Inhaltsverzeichnis


Venus und Adonis
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel
Nero im Reifrock
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
Amor mit dem Korporalstock
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
Eine Frau auf Vorposten
Die Kunst geliebt zu werden
Nur die Toten kehren nicht wieder
Ungnade um jeden Preis
Ein Damen-Duell
Leopold von Sacher-Masoch

Katharina II: Russische Hofgeschichten

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musaicumbooks@okpublishing.info
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0717-6

Ein Damen-Duell

Inhaltsverzeichnis


Das Fußregiment der Preobraschenskischen Garden hatte die Wache im Winterpalaste bezogen. Es war im Frühsommer, aber die Zarin Katharina die Zweite schien noch immer nicht daran zu denken, das festliche Petersburg mit dem idyllischen Landaufenthalt von Zarskoje Selo zu vertauschen.

In der geräumigen weißgetünchten Wachstube schliefen die Soldaten sitzend, aus Furcht, ihre großen festgewickelten Zöpfe zu beschädigen; in dem kleinen anstoßenden Offizierszimmer lagerten Lieutenants und Junker von den verschiedensten Regimentern um einen langen schmierigen Tisch und spielten Onze et demi; sie spielten bereits den ganzen Nachmittag und spielten bis in die Nacht hinein bei dem spärlichen Lichte einer kleinen Öllampe, welche von der rußigen Decke herabhing. Nur einer spielte nicht. Es war ein junger schlanker Offizier mit blühendem Gesicht und großen hellblauen Augen unter dunklen Wimpern und dunklen Brauen, welche sich beinahe kokett von dem weißen Toupet abhoben. Er saß, die Beine weit von sich gestreckt, die Hände nach rückwärts in die Taschen seines grünen Uniformrockes versenkt, in einer finstern Ecke und starrte vor sich hin.

Jetzt verließ auch ein Zweiter den Spieltisch; er atmete auf und blickte um sich, dann näherte er sich dem Kameraden in der Ecke.

»Du spielst nicht mehr, Koltoff?« begann er, die Hand auf seine Schulter legend.

»Nein – und Du?«

»Ich bin fertig,« erwiderte der Zweite. »Ich habe alles verspielt.«

»Ich auch,« sprach Koltoff, »aber bei Dir, mein lieber Lapinski, bedeutet dies im Grunde nichts, oder doch nicht viel. Eine Karambole mit Deinem teueren Vater, eine Sittenpredigt, und damit gut. Ich bin ruiniert. Ich habe entsetzlich viel Schulden, wie Du weißt, und keinen Vater, der sie zahlen würde, nicht einmal einen Onkel, den ich beerben könnte; ich habe heute meine Gage verspielt in der wahnsinnigen Hoffnung, das Glück könnte mir lächeln und mir ein paar Tausend Rubel in den Schoß werfen wie neulich dem Grafen Saltikoff, und jetzt stehe ich da ohne eine Kopeke, und in ganz Rußland giebt es niemand mehr, der mir eine Kopeke leiht. Mir bleibt also nichts übrig, als mich zu erschießen.«

»Hör' mir auf,« erwiderte sein Freund. »Wie Du richtig bemerkt hast, gilt es nur eine Karambole mit meinem teuren Vater, und wir haben Geld.«

»Das heißt, Du hast Geld.«

»Nein, wir.«

»Ich kann doch nicht –«

»Was kannst Du nicht?«

»Von Deinem Gelde leben,« sprach Koltoff; »die Ehre gebietet mir, mich zu töten.«

»Ah! ich glaube, Du hast zu viel getrunken,« erwiderte Lapinski, die Achseln zuckend; »aber sage mir lieber gleich, wie viel Du brauchst, es geht in Einem.«

Koltoff schwieg.

»Nun, wenn Du durchaus nicht willst,« sprach Lapinski ärgerlich, »ich dränge meine Liebe und Freundschaft niemandem auf.«

Damit stülpte er den dreieckigen goldbordierten Hut so heftig auf seinen wohlgepuderten Kopf, daß eine weiße Wolke aus demselben emporwirbelte, und verließ sporenklirrend die Wache; als er jedoch vor dem niedrigen Thore seines Wohnhauses stand und bereits den Klopfer in der Hand hatte, da fielen ihm die Worte seines Kameraden schwer und beängstigend auf die Brust; er kehrte um und ging mit raschen Schritten zu Koltoff's Wohnung, sprang über die Planke, welche den Hof derselben umfaßte, und die morsche Holztreppe empor.

Durch die Thüre seines Freundes fiel ein weißer Streifen Licht auf die Diele. Er war also gleichfalls nach Hause zurückgekehrt und noch wach. Lapinski klopfte. Keine Antwort. Er klopfte stärker und rief zugleich: »Um Gottes willen, mach auf; Geld, es ist Geld da für Dich!«

Nun hörte er Schritte, dann wurde eine Lade zugeschoben, endlich öffnete Koltoff.

Lapinski erschrak über die Veränderung, die in so kurzer Zeit mit seinem Freunde vorgegangen war; das Haar hing ihm wirr in das bleiche Gesicht, die Augen waren tief in ihren Höhlen eingesunken und zeigten ein unheimliches, unruhiges Feuer.

Lapinski hatte instinktmäßig, als wenn er ihn von einem Vorhaben abhalten wollte, seine Hand ergriffen und blickte verstört im Zimmer umher, ohne daß er etwas Verdächtiges entdecken konnte, dann näherte er sich rasch dem Tische, welcher in der Fenstertiefe stand und auf dem Koltoff zu schreiben pflegte. Dieser machte eine Bewegung, aber schon hatte der Kamerad eine Lade hervorgezogen und in derselben die Pistole entdeckt, deren Hahn noch gespannt war.

»Also wirklich?« stammelte Lapinski; mehr vermochte er im Augenblicke nicht.

Beide schwiegen einige Zeit. Dann nahm Lapinski das Wort. »Habe ich Dir nicht gesagt, daß ich Dir Geld schaffen will?«

»Ich erkenne Deine treue Freundschaft von ganzem Herzen an,« erwiderte Koltoff, »aber ich bin nicht imstande, auf fremde Kosten zu leben. Es handelt sich ja bei mir nicht um momentane Hülfe. Es fehlt jede Aussicht für die Zukunft, und wenn ich auch von Brot und Wasser leben und Spiel und Frauen für immer abschwören will, wie soll ich von meiner elenden Lieutenantsgage meine Schulden zahlen? Zuletzt wird mir doch nichts übrig bleiben als – eine Kugel.«

»Sollte es wirklich keinen anderen Ausweg mehr geben?« sprach Lapinski. »Laß uns nachdenken. Aber versprich mir vor allem, nichts gegen Dein Leben zu unternehmen, ehe unser Witz sich nicht erschöpft hat. Gieb mir die Hand darauf.«

»Unter Bedingungen,« entgegnete Koltoff.

»Gut,« entschied der erstere, »wenn wir binnen einem Monate zu keinem Resultate gelangt sind, steht es Dir frei –«

»Mich zu erschießen?«

»Zu erschießen, zu ersäufen, zu vergiften, rädern zu lassen, was Dir besser gefällt.«

»Abgemacht.«

Die Kameraden schüttelten sich herzlich die Hände.

»Aber was hast Du für ein Projekt?« begann Koltoff.

»Vor der Hand noch gar keins,« erwiderte Lapinski, »aber mir ist nicht bange darum. Gäbe es etwas erfinderischeres auf der Welt als das Hirn eines Lieutenants? Also gieb Acht! Fangen wir gleich mit dem Kühnsten an. Stürze Orloff und schwinge Dich zum Günstling der Zarin auf.«

»Was fällt Dir ein!« rief Koltoff.

»Warum nicht?« meinte der Kamerad. »Die Geschichte ist nur halb so lebensgefährlich wie das Erschießen, Du bist ein hübscher Junge, es muß Dir gelingen.«

Koltoff antwortete mit einem lauten Lachen.

»Warum lachst Du?« fuhr Lapinski fort. »Heutzutage ist alles möglich, alles, sag ich Dir, das Wunderbarste und Seltsamste, genau so wie zu Zeiten des Kalifen Harun al Raschid. Aber ich sehe, zu einem solchen Wagestück hast Du nicht den Mut, oder ist Katharina die Zweite vielleicht nicht ganz nach Deinem Geschmacke? Ziehst Du die schwarzen Augen vor?«

»Genug des Spaßes!« sagte hierauf Koltoff, »der Weg, den ich gehen soll, muß vor allem ein ehrlicher sein.«

»Hm« – Lapinski sann nach. »Ich hab' es« schrie er plötzlich auf. »Ich hab' es. Du mußt heiraten.«

»Heiraten?« Nein, da will ich mich lieber erschießen,« erwiderte der Lieutenant mit dem Ausdrucke wirklichen Entsetzens in dem jugendlichen Gesichte.

»Verloren bist Du einmal,« lachte der Kamerad, »so wähle mindestens die angenehmste Todesart und – heirate.«

»Angenommen, ich könnte mich entschließen,« sprach Koltoff, »wo fändest Du eine Frau für mich; eine reiche Frau, die den armen verschuldeten Offizier die Hand reichen würde?«

»Nichts leichter als das,« erwiderte Lapinski, »ein armes Mädchen zu finden, das Dich nimmt, aus purer Liebe nimmt, das hielte schwer; unsere Fräulein vom alten Adel und leerem Geldsack spekulieren sämtlich auf Generäle oder mindestens auf einen reichen Bojaren vom Lande; aber eine Dame, die selbst ein großes Vermögen hat, kann sich schon den Luxus gestatten, einen Mann zu nehmen, den sie liebt.«

Koltoff lächelte. »Du hast vielleicht schon eine Braut für mich in petto

»Warum nicht? Hundert auf einmal,« sprach Lapinski, »ich habe darin schon manchem braven Menschen geholfen, aus reinem Vergnügen an der Sache, und weil ich, wie Dir bekannt, in allem Ordnung liebe und halte, so habe ich mir zu diesem Zwecke ein genaues Lexikon aller unserer heiratsfähigen Damen angelegt.«

»Wie?« rief Koltoff immer heiterer, »ein Heiratslexikon?«

»Hier,« fuhr Lapinski fort, ein ziemlich voluminöses Notizbuch hervorsuchend, »da hast Du es. Du findest sie alle beisammen, unsere Schönen, jede mit genauer Personbeschreibung, sowie Angabe ihres Vermögens, Charakters, Vorlebens und anderweitiger Verhältnisse.«

»Das ist in der That kostbar,« lachte Koltoff »Laß also sehen.« Und die beiden munteren Offiziere begannen das Heiratslexikon zu studieren.

»Ich wäre dafür, alphabetisch vorzugehen,« begann Lapinski nach einer Pause, »versuche bei der ersten Dein Glück, und bekommst Du einen Korb, so belagere die zweite und so fort von A bis Z.«

»Das wäre doch zu leichtsinnig,« meinte Koltoff, »ich bin meinetwegen bereit, meinen Nacken dem Pantoffel einer Frau zu beugen, aber es muß ein Pantoffel sein, – eine Frau wollte ich sagen, welche ich liebe.«

»Wie ist also Dein Geschmack, blond, braun, schwarz?«

»Vor allem lege ich auf ein bescheidenes Wesen Wert.«

»Dann erschieße Dich auf der Stelle,« rief Lapinski, »im Reiche und am Hofe der nordischen Semiramis Katharina der Zweiten ein bescheidenes Wesen! Weißt Du nicht, daß unsere besten Frauen, von dem Beispiel oben verführt, mindestens Amazonen und Blaustrümpfe sind?«

»Was also thun?«

»Wenn Du schon zu gewissenhaft bist, alphabetisch vorzugehen, so laß das Fatum entscheiden,« meinte der übermütige Kamerad.

»Wie?«

»Wie? Ganz einfach. Wir machen es wie die Araber, wenn sie ihren Koran um Rat fragen,« erwiderte Lapinski, »wir stechen mit einer Nadel in mein Lexikon, und dort, wo die Spitze haften bleibt, dort hast Du Deine Braut zu suchen.«

»Gut.«

Lapinski nahm hierauf eine Nadel und verfuhr ganz in der Weise und mit dem Ernste orientalischer Fatalisten, dann schlug er das durchstochene Notizbuch auf. »Du hast ungeheures Glück,« sagte er, nachdem er den Stich aufgesucht und geprüft. »Dein Schicksal führt Dich zu der zugleich schönsten und reichsten Dame meines Verzeichnisses.«

»Laß sehen!« rief Koltoff erregt.

»Lubina Fürstin Mentschikoff,« las Lapinski, »Witwe des Fürsten Iwan, dreiundzwanzig Jahre alt, hohe, imposante Gestalt, schlank, herrliche Formen stolze, schöne Gesichtszüge, schwarzes Haar, schwarze, feurige Augen, tiefe Altstimme. Charakter fest und verläßlich, Wesen gebieterisch, aber liebenswürdig und anmutig, viel Geist, große Bildung, besitzt ein Vermögen von zwei Millionen Rubel, vollkommen frei und unverschuldet, ist ihren Verwandten gegenüber vollkommen selbständig. Ihr Ruf sowohl in ihrer Ehe, als seitdem, der beste. Besondere Bemerkungen: gilt als Männerfeindin.«

»Dient sie nicht in der Armee?« fragte Koltoff.

»Warte. Richtig, ja. Sie dient im Regiment« Simbirsk und hat den Rang eines Majors.«

»Das kommt ungelegen,« meinte Koltoff.

»Weshalb? Unsere Amazonen tragen ja sämtlich Offiziersepauletten, die Gräfin Iwan Saltikoff, Frau Samarin, Fräulein Sophie Narischkin und viele andere, und Frau von Mellin kommandiert sogar ein Regiment.«

»Aber ich bitte Dich,« rief Koltoff, »wie soll ich es anfangen, meinem Vorgesetzten eine Liebeserklärung und einen Heiratsantrag zu machen?«

»Ich weiß nichts davon, daß dies gegen das Reglement wäre,« entgegnete Lapinski. »Zu Deinem Glücke hat Peter der Große nicht im entferntesten daran gedacht, daß es Lieutenants in Reifröcken und einen Major geben könnte, welcher der mediceischen Venus Konkurrenz macht. Also fasse Dir ein Herz, es wird Dir nicht den Kopf kosten, beziehe jetzt ruhig Dein Biwak, und morgen beginnen wir die Operationen, das heißt, der Herr Lieutenant der Preobraschenskischen Garde wird anfangen, dem Herrn Major des Regiments Simbirsk den Hof zu machen.«

»Und wenn mich der schöne Major für meine Kühnheit in den Arrest schickt?« lachte Koltoff.

»Dann tröstest Du Dich damit,« erwiderte der Kamerad, »daß Amor Dein Profoß ist.«

Es war gegen Mittag, als Koltoff am nächsten Tage von seinem Freunde aufgepoltert wurde, welcher in rosigster Laune, den Schnurrbart unternehmend aufgedreht, mit den großen Sporen klirrend, bei ihm eintrat.

»Zu den Waffen!« schrie Lapinski. »Auf den Feind! Der Krieg beginnt, zu den Waffen!« und zu gleicher Zeit stellte er sich vor den Nachttisch und begann mit den Fäusten auf demselben Reveille zu trommeln.

Koltoff, der Selbstmörder, dehnte sich behaglich in seinem Bette und gähnte. »Was drängst Du so?« sprach er langsam gedehnt, »wir haben ja nichts zu versäumen.«

»Wir haben sehr viel zu versäumen,« rief der Kamerad; »Du vergißt, daß ich nur vier Wochen Zeit habe, um Dich zu verheiraten, mein Geliebter, und dann, wenn es nicht gelungen ist, bist Du toll genug, Deinem kostbaren Leben ein Ende zu machen. Also zu den Waffen, um so mehr als dies die Stunde ist, wo die Fürstin Lubina Mentschikoff nach den übereinstimmenden Berichten meiner Spione auf der Terrasse ihres Palastes die Morgenschokolade nimmt.«

»Du hast schon Spione?« murmelte Koltoff erstaunt, indem er sich anzukleiden begann.

»Spione, gute Spione sind für eine geschickte und erfolgreiche Kriegführung unentbehrlich,« antwortete Lapinski, »man muß über die Aufstellung und die Bewegungen des Feindes stets auf das genaueste unterrichtet sein, um darnach seine Dispositionen treffen zu können.« Der lustige junge Offizier blickte auf seine Uhr. »Es fehlt eine Viertelstunde zu Zwölf. Genau vor fünfzehn Minuten ist unsere Göttin erwacht, in weiteren fünfzehn Minuten wird sie ihre Morgentoilette beendet haben und Schlag zwölf Uhr auf die Terrasse hinaustreten. Also beeile Dich!«

In wenigen Minuten war Koltoff fertig, und die beiden Freunde durchschritten, ein französisches Kriegslied der Zopfzeit trällernd, die Straße, welche zu dem Paläste der Fürstin Mentschikoff führte, aber sie näherten sich dieser feindlichen Festung, wie Lapinski das in schönem Renaissancestile erbaute, von einem weitläufigen Parke, im Geschmack von Versailles, umgebene Gebäude nannte, von rückwärts, durch ein schmutziges Gäßchen, das längs der Gartenmauer lief.

»Kein Mensch in der Nähe,« sprach Lapinski, »laß uns somit vor allem rekognoszieren.«

Koltoff stellte sich auf seine Anordnung an die Mauer des Parkes, und sein Kamerad schwang sich auf seine Schulter und blickte hinein. »Auch im Garten ist alles still,« meldete er, »und weithin nichts zu entdecken. Wir können es also wagen, einzudringen.«

Ohne weiteres schwang sich Lapinski hierauf von der Schulter seines Freundes auf die Mauer, und von dieser mit Hülfe eines Astes auf einen nahestehenden Nußbaum, von welchem er sich rasch zur Erde herabgleiten ließ.

»Warte,« ertönte seine Stimme von innen, »ich will sehen, ob ich keine Bresche entdecke.«

Die Bresche fand sich nicht, aber dafür eine Gartenleiter, welche vor einer halbgestutzten Taxushecke ausgespreizt stand. Lapinski bemächtigte sich ihrer und schob sie über die Mauer, drüben wurde sie von Koltoff aufgefangen, der wenige Sekunden darnach auf der Mauer erschien und die Leiter an sich zog, um dann bequem auf ihren Sprossen in den Garten hinabzusteigen. Die beiden Freunde näherten sich nun, durch die langen parallel laufenden Hecken verdeckt, dem Palaste, von dem eine geräumige Terrasse mit breiten Stufen gegen den Garten ablief. Sie verbargen sich hinter einem großen Boskett roter Rosen etwa fünfzig Schritte von derselben entfernt.

Auf der Terrasse stand zwischen schlechten, geschmacklosen Statuen der Venus und des Liebesgottes ein kleines Tischchen, für eine Person gedeckt, und vor demselben ein samtener Armstuhl und ein Fußschemel von gleichem Stoffe.

Nicht lange, und ein Diener in gestickter Livree nach französischem Schnitte erschien und brachte auf einem silbernen Brette die Schokolade, während ein zweiter die Flügelthüren weit öffnete.

Eine Dame trat mit raschen Schritten in stolzer gebieterischer Haltung heraus. Nach der Beschreibung des Heiratslexikons seines Kameraden konnte Koltoff keinen Augenblick zweifeln, daß es die Fürstin Lubina Mentschikoff war, aber die lebendige Erscheinung wirkte ganz anders, als das tote Wort.

Koltoff war in der ersten Sekunde von der jugendlich majestätischen Gestalt, dem feinen, geistvollen Gesichte, den großen, blitzenden schwarzen Augen der schönen Amazone überrascht, in der zweiten geblendet, in der dritten bis zum Wahnsinn verliebt. Die Fürstin trug ihr dunkles, nur ganz leicht gepudertes üppiges Haar in einem großen, von einem hellroten Bande zusammengehaltenen Knoten, über dem duftigen weißen Spitzennegligee einen Schlafpelz von rotem Atlas mit reichem Hermelinbesatz, nach damaliger Mode in der Taille knapp anschließend und dann in reichen Falten sich einbauschend bis zu der Schleppe, welche weit zurückfloß. Ohne daß sie nur im geringsten ahnte, man beobachte sie, benahm sie sich doch bei ihrem Frühstück mit der ganzen koketten Anmut einer Rokokodame, so daß der junge Lieutenant von der Preobraschenskischen Garde nahe daran war, alle Subordination bei Seite zu setzen und den verführerischen Major vom Regimente Simbirsk glattweg zu Füßen zu stürzen.

»Nun, wie gefällt Dir Deine Braut?« fragte Lapinski im Flüstertone.

»Du hast mich hierher geführt,« erwiderte Koltoff, »nur um mich noch unglücklicher zu machen; wie soll ich nur eine Sekunde hoffen, dieses herrliche Weib, diese Gottheit mein zu nennen, wo soll ich den Mut hernehmen, mich ihr zu nähern oder gar um ihre Hand zu werben?«

»Sehr gut, ausgezeichnet,« sprach leise sein Freund, »Du bist verliebt, ja, Du brennst lichterloh, wie ich sehe. Alles nach Wunsch –«

»Wie?«

»Laß mich nur manövrieren.«

»Was hast Du vor?«

»Du mußt ihr eine Liebeserklärung machen,« fuhr Lapinski fort.

»Ja, aber wie soll ich das anfangen?« fragte Koltoff ziemlich ratlos. »Ich kann doch nicht hier –«

»Ich denke nicht im entferntesten daran,« entgegnete Lapinski.

Indes hatte sich, von dem Geräusche auf der Terrasse und dem Anblick der Fürstin angelockt, von dem Dache des Palastes herab, sowie aus allen Büschen und Ästen eine zahlreiche Gesellschaft von Sperlingen, Finken, Zeisigen, Stieglitzen um die schöne Frau versammelt, welche ihr Brot zerpflückte und den schreienden und durcheinander flatternden kleinen Bettlern die Krumen desselben zuwarf.

»Genug, Du wirst Dich doch nie sattsehen,« fuhr Lapinski fort, »so reizend auch die Idylle gerade jetzt ist. Komm also, ich habe einen Plan, Du wirst heute noch die Bekanntschaft der stolzen Schönen machen. Was sage ich, heute! Auf der Stelle!«

Die beiden Offiziere verließen hierauf ihr Versteck und den Park auf demselben Wege, auf welchem sie denselben betreten hatten.

Eine Stunde nach dem Frühstück pflegte die Fürstin Lubina Mentschikoff eine Spazierfahrt durch die Stadt zu machen und dann in der Kaserne ihres Regimentes den Bataillonsrapport entgegen zu nehmen und die dringendsten dienstlichen Angelegenheiten zu erledigen.

Zugleich mit ihrer Equipage waren diesmal die beiden Lieutenants zur Stelle, welche sich indes darauf beschränkten, den Palast und das Fuhrwerk aus weiter Entfernung zu beobachten. Der Wagen der Fürstin im Rokokostile war einer jener schwerfälligen Kriegsmaschinen, mit denen die eroberungslustigen Damen jener Tage zum Siege zogen; auf vier hohen Rädern ruhte ein viereckiger vergoldeter Kasten mit Glaswänden, welche die in demselben sitzende Dame von allen Seiten deutlich zu sehen gestatteten. Ein großer dicker Kutscher in roter Livree mit großem dickem Zopf und einer weißen Halsbinde, welche gleich einem Riesenschmetterling unter seinem Kinn saß, leitete die schönen Holsteiner Pferde mit großer Würde.

Zwei Lakaien sprangen aus dem Palaste hervor, der eine riß den Schlag auf. Die Fürstin folgte raschen Schrittes in einer Uniform, welche weibliche und männliche Toilette geschmackvoll verband; über die hohen schwarzen Reitstiefeln, an denen gewaltige Sporen saßen, fiel eine reichfaltige samtne Robe von dem Grün des russischen Soldatenkleides, welche, da sie von keinem Reifrock auseinander gespannt wurde, in natürlichen malerischen Falten fiel. Ein Überrock von gleichem Stoff und gleicher Farbe mit rotem Aufschlag und goldenen Litzen umschloß die Taille, an dem schwarzen Lackgürtel hing der Stoßdegen, auf dem weißen Toupet ruhte der dreieckige Hut mit weißem Federbesatz.

»Nun kaltes Blut und Geistesgegenwart!« sprach Lapinski.

Die schöne Amazone war eben im Begriff, ihre Handschuhe zuzuknöpfen, als ein Bettler, welcher bisher mit den Pferden schön gethan hatte, sie um eine Gabe ansprach. Sie warf ihm eine Münze zu, stieg elastisch in den Wagen, der Lakai schloß den Schlag, und der Wagen rollte davon. Die Pferde gingen im ruhigen, stolzen Trabe, aber nicht lange. Nach wenigen Schritten schon wurden sie unruhig, fielen in ein rascheres Tempo, begannen sich zu bäumen, zu wiehern und zeigten Lust durchzugehen. Der Kutscher riß sie mit aller Kraft zurück, aber ein neuer Anlauf, den die Pferde nahmen, warf ihn vom Kutschbock herab und in den Straßenkot. Die Pferde rasten mit dem schwerfälligen Wagen, welcher jeden Augenblick umzuwerfen drohte, davon, die Fürstin war in Gefahr – sie richtete sich vom Sitze auf und suchte das Fenster zu öffnen, vergebens. Der Pöbel schrie und lief dem Wagen nach, wodurch die Pferde nur noch scheuer wurden. Da, im entscheidenden Augenblick stürzte sich Lieutenant Koltoff dem Gespann entgegen, warf sich den Pferden in die Zügel und brachte sie zum Stehen. Lapinski war in der nächsten Sekunde gleichfalls zur Stelle und faßte die Pferde, während Koltoff den zertrümmerten Wagenschlag öffnete und die Fürstin, welche, von Glassplittern verwundet, am Kopfe und an den Händen blutend, ohnmächtig geworden war, heraushob. Er trug sie auf seinen Armen in ihr Palais zurück und ließ sie auf einem Lehnstuhl, den die herbeigeeilte Dienerschaft im Thorwege aufstellte, nieder. Während ihre Kammermädchen ihr mit Wasser und Essenzen Hülfe leisteten, lag der junge Offizier, unbekümmert um die gaffende Umgebung, vor ihr auf den Knieen und bedeckte ihre Hände mit Küssen. Endlich schlug die Fürstin die Augen auf, sah Koltoff lange und erstaunt an und fragte:

»Was ist geschehen? Wo bin ich?«

Der junge Offizier erklärte ihr die Lage, in welcher sie sich befand, indes kam sie selbst vollkommen zur Besinnung und dankte ihrem Retter mit einigen abgebrochenen Worten, dann erhob sie sich und zog sich, auf den Arm einer alte Amme gestützt, in ihre Gemächer zurück.

Koltoff suchte seinen Freund auf, welcher ihn mit einem selbstgefälligen Lächeln erwartete.

»Nun, Du dankst mir nicht einmal,« begann er, »habe ich meine Sache nicht gut gemacht?«

Koltoff verstand seinen Kameraden nicht und sah ihn mit unzweideutigem Erstaunen an. »Du – wie soll ich das verstehen?« stammelte er endlich.

»Hältst Du Dich für so einen Glückspilz,« erwiderte Lapinski, daß die fürstlich Mentschikoff'schen Pferde Dir zu lieb aus eigenem Antriebe durchgehen, damit Du die Ehre und das Vergnügen hast, ihre Gebieterin zu retten?«

Koltoff war vollständig verblüfft. »Also Du hast – aber wie?« stotterte er.

»Hast Du den alten Bettler bemerkt, welcher sich an den Pferden zu schaffen machte, während Deine Göttin einstieg?« fragte Lapinski.

»Ja, nun?«

»Der geriebene Bursche hat dem einen Gaul, mit dem ich übrigens das lebhafteste Bedauern fühle, einen brennenden Feuerschwamm in die Nüster gesteckt.«

»In Deinem Auftrag?« schrie Koltoff auf.

»Allerdings, damit Du Gelegenheit habest, der Fürstin das Leben zu retten,« entgegnete sein Kamerad mit vollkommener Seelenruhe.

»Du bist ja ein furchtbarer Mensch!« rief Koltoff. »Bedenke, welches Unglück geschehen konnte!«

»Ich habe keinerlei Bedenklichkeit, wo es das Glück, das Leben eines Freundes gilt,« erwiderte Lapinski. »Übrigens ist alles gut abgelaufen, wozu sich also jetzt über alle möglichen und unmöglichen Möglichkeiten den Kopf zerbrechen!«

»Aber wenn die Fürstin tot geblieben wäre?«

»Nun, so hätten wir sie beweint,« entgegnete der leichtfertige Gardelieutenant, »und das Heiratslexikon von neuem zu Rate gezogen. Aber sie ist vor der Hand nicht gestorben, und der Schreck, den der Herr Major trotz seiner schönen Uniform und seinem Degen ausgestanden, wird ihm hoffentlich nicht schaden. Du bist jetzt auf das glänzendste bei der schönen Lubina eingeführt, und ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie sie jetzt aufgelöst auf ihrer Ottomane ruht und Du ihr im Traume erscheinst, schön wie Adonis, stark und mutig wie Herkules, von bengalischen Flammen effektvoll beleuchtet. Komm, mein Junge, trinken wir eine Flasche guten Weins!«

»Ja, das wollen wir,« stimmte Koltoff bei »auf das Wohl der Fürstin.«

»Was fällt Dir ein?« lachte Lapinski; »auf jenen großen Unbekannten, der den Feuerschwamm entdeckt hat.«

Gegen Abend erschienen die beiden Offiziere in voller Parade in dem Palaste der Fürstin, um über das Befinden derselben Erkundigungen einzuziehen. Nachdem man ihnen darüber die beruhigendsten Versicherungen gegeben, traten sie den Rückweg an.

»Höre,« begann Lapinski, »wir können uns doch nicht so ohne weiteres damit zufrieden geben, daß man uns mitteilt, die Fürstin sei so gut wie unversehrt und vollkommen wohl. Es ist anständig und klug, daß wir unserer Freude darüber, daß dieser Unfall keine ernsten Folgen gehabt hat, auf irgend eine Weise Ausdruck geben. Was hältst Du von einer Serenade?«

Koltoff brach in lautes Lachen aus. »Eine Serenade, ohne eine Kopeke im Sack zu haben?«

»Warum nicht?« erwiderte sein ausgelassener Kamerad, seine Säcke umkehrend. »Sieh mich an, ich besitze noch bare anderthalb Rubel, und doch wollen wir allen Geldsäcken zum Trotz der Fürstin heute eine Serenade bringen, wie sie das kleine Weibchen gewiß noch nicht erlebt hat.«

Während Koltoff noch den Kopf schüttelte, zählte Lapinski das Geld, ein und einen halben Rubel, in seine Hand und beauftragte ihn, Papiere in allen Farben, Öl und Unschlittkerzen einzukaufen; er selbst nahm es auf sich, die Musik, sowie ein preciöses Bouquet, wie er sich ausdrückte, herbeizuschaffen.

»Ich fange an zu glauben, daß Du mit dem Teufel im Bunde bist,« meinte Koltoff.

»Allerdings,« erwiderte Lapinski, »und zwar mit einem armen, aber lustigen Teufel.«

Damit trennten sich die Freunde.

Nach einer Stunde trafen sie, wie es Lapinski angeordnet hatte, in der Kaserne der Preobraschenskischen Garde zusammen, Lapinski mit einem riesigen Bouquet dessen Zusammenstellung zwar viel zu wünschen übrig ließ, das aber nichts destoweniger durch die Seltenheit seiner Blumen und die Pracht seiner Farben imponierte

»Wie kommst Du dazu?« fragte Koltoff, während er den schweren Strauß in der Hand hielt und bewundernd betrachtete.

»Auf die billigste Weise von der Welt,« erwiderte Lapinski; »ich stieg auf dem bekannten Wege in den Garten der Fürstin und band dort höchst eigenhändig das Bouquet.«

»Du hast also die Blumen gestohlen?«

»Nehmen wir an, es wäre so,« erwiderte der wenig bedenkliche Kamerad, »so geschah es nur, um sie der Eigentümerin wieder in kürzester Zeit zurückzustellen.«

»Du bist unverbesserlich,« meinte Koltoff.

Lapinski hatte indes bei sämtlichen Wäscherinnen des Regiments die Wäschestangen requiriert, und jetzt begannen seine Soldaten unter seiner Anleitung aus den von Koltoff eingekauften Kerzen und dem in Oel getränkten farbigen Papiere Lampions zu verfertigen und auf den Stangen zu befestigen. Das Ganze ging so militärisch rasch und genau vor sich, daß mit eingetretener Dunkelheit der Abmarsch beginnen konnte.

Vorn gingen Soldaten mit brennenden Lampen in allen Farben, dann folgten in einem Spalier von Lampions die beiden Offiziere, Koltoff mit dem Bouquet und hinter ihnen sämtliche kleine Tambours und Pfeifer der Preobraschenskischen Garde in voller Parade, frisch gepudert, mit steifen Zöpfchen. Den Zug schlossen wieder Soldaten mit Lampions. Zahlreiche Gaffer folgten; als man vor dem Palaste der Fürstin Halt machte, war bereits eine unabsehbare Menschenmenge versammelt.

Lapinski stellte seine Leute in ein Karree, welches, von den farbigen Lampions umgeben, garnicht übel aussah, und postierte sich mit Koltoff unmittelbar vor der Front desselben dem Balkon des schönen weiblichen Majors gegenüber. Als alles bereit war, hob er den Rohrstock, welchen damals jeder Offizier trug, und die Tambours eröffneten die seltsame, echt soldatische Serenade mit einem höllischen Wirbel, dann fielen die Pfeifer ein und alle zusammen spielten nunmehr den originellen zierlich pedantischen Marsch, nach welchem die Rokokosoldaten damals marschierten und der auch damals bei Gassenlaufen üblich war.

Es währte nicht lange, so klang die Glasthür des Balkons, und die schöne Lubina trat heraus im weißen Nachtgewande, eine Samtmantille umgeworfen; sie blickte sichtlich erstaunt auf die Menge, die Tambours, die Offiziere; erst als Koltoff den Hut abnahm und mit einem kräftigen Wurf den riesigen Blumenstrauß emporschleuderte, so daß er zu den Füßen der Fürstin niederfiel, erkannte diese den Retter ihres Lebens und verstand seine Absicht. Sie dankte mit artiger Verneigung, hob die Blumen auf, und als die Tambours wieder ihren Wirbel schlugen, hielt sie sich die Ohren zu und brach in lautes Lachen aus.

Lapinski gebot Ruhe. Die Fürstin dankte nochmals mit einem bezaubernden Lächeln und zog sich zurück. Wenig Augenblicke später erschien ein Kammerdiener, welcher in ihrem Namen die beiden Offiziere einlud, zu ihr zu kommen.

»Vorwärts!« flüsterte Lapinski seinem strahlenden Kameraden zu. »Jetzt liegt alles in Deiner Hand. Erkläre Dich ihr auf der Stelle. Ich führe indes meine kleinen Helden nach Hause.«

Während die Serenade schwenkte und abmarschierte, wobei Lapinski noch tüchtig wirbeln ließ, stieg Koltoff langsam, bei jedem Treppenabsatz anhaltend und Atem schöpfend, die Stiege empor. Der Kammerdiener führte ihn durch eine Flucht herrlich eingerichteter Säle, schlug eine Portiere zurück und im nächsten Augenblicke stand der junge Offizier der reizenden Frau gegenüber, mit ihr allein in einem Boudoir, wie es nur jene Zeit so kokett und sinnverwirrend einzurichten verstand.

Die Fürstin war so taktvoll, nicht nach seinem Freunde zu fragen, sondern lud Koltoff mit der anmutigsten Handbewegung und dem liebenswürdigsten Lächeln, als verstehe sich ihr Tête-à-Tête von selbst, ein, neben ihr auf dem echt türkischen Divan Platz zu nehmen.

»Vergeben Sie,« begann Koltoff, »Fürstin, die armselige Art und Weise, in der ich meiner Freude über Ihre Rettung aus einer so ernsten Gefahr Ausdruck gegeben habe, aber –«

»Weshalb vergeben?« unterbrach ihn die Fürstin. »Es war eine echt militärische Serenade.«

»Sie sind zu gütig,« erwiderte der Gardelieutenant; »aber ich bitte nochmals, nicht darnach meine Gefühle für Sie zu beurteilen.«

»Ich bin von Ihren guten Gesinnungen gegen mich überzeugt,« sagte die schöne Frau, indem sie ihre dunkle Samtmantille fallen ließ und die Büste einer olympischen Göttin zeigte.

»O, ich wäre glücklich, wenn ich mein Blut für Sie verspritzen, mein Leben für Sie geben könnte!« erwiderte Koltoff leidenschaftlich erregt.

»Illusionen der Jugend!« sprach die Fürstin; »aber Sie wählen Worte, wie man sie nur einer Frau gegenüber gebraucht, welche man liebt.«

»Und Sie finden es recht traurig, daß ein armer Lieutenant die Fürstin Mentschikoff zu lieben wagt?«

»Traurig? Nein.«

»Also lächerlich!« rief Koltoff.

»Noch weniger,« erwiderte die schöne Frau, mit den Spitzen ihres Deshabilles spielend. Zugleich zuckte ein mutwilliges Lächeln um ihre Mundwinkel.

»Aber Sie lachen doch,« rief Koltoff vorwurfsvoll.

»Über Ihre Zaghaftigkeit,« erwiderte die kokette Rokokoschöne, »sie steht dem Soldaten schlecht an.«

»Sie ermutigen mich also?«

»Wozu?«

»Sie zu lieben.«

»Lieben Sie mich denn?« rief die Fürstin und schlug ein helles Lachen an.

»Aber jetzt lachen Sie doch über den armen Lieutenant!« sagte Koltoff bitter.

»Bei Gott, nein!« entgegnete die Fürstin auf einmal sehr ernst.

»Lachen Sie nur,« fuhr der junge Offizier fort, »verspotten Sie mich auf das unbarmherzigste, ich liebe Sie dennoch und werde Sie immer lieben; ich bin glückselig, daß ich Ihnen nun einmal sagen darf, wie sehr, wie unaussprechlich ich sie liebe, wenn Sie mich auch auf der Stelle für immer aus Ihrer Nähe verbannen.«

»Wer sagt Ihnen, daß ich dies thue?« entgegnete die Fürstin, welche sich offenbar an der jugendlichen Glut des Lieutenants ergötzte.

»Sie verbannen mich nicht?« schrie Koltoff auf.

Die schöne Lubina legte den Finger auf den Mund, um vorerst den Ausbruch seiner Freude ein wenig zu mäßigen, und als der hübsche Offizier noch einmal, noch dringender, aber leise fragte, schüttelte sie den Kopf. O, wie reizend, wie verheißend war dieses Kopfschütteln für Koltoff.

»Sie lieben mich also wieder?« fragte er, von der Liebenswürdigkeit seines Vorgesetzten, des Majors vom Regimente Simbirsk, fortgerissen.

»Das habe ich nicht gesagt,« beeilte sich Lubina, seine Hoffnungen kokett vernichtend, einzufallen, »aber –,« sie lächelte wieder mit ihrem bezaubernden Lächeln, »ich erlaube Ihnen, mich zu lieben.«

»Und Sie erlauben mir, um Ihre Gunst, um Ihre Hand zu werben?« rief der von neuem entstammte Lieutenant.

»Wie kühn auf einmal!« sagte die Fürstin.

»Sie verbieten es mir wenigstens nicht?« drängte Koltoff, ihre kleine Hand ergreifend, welche sich vergebens in die weißen Spitzenwellen zu retten suchte.

»Nein, nein,« lachte Lubina.

In demselben Augenblicke lag Koltoff zu ihren Füßen und küßte ihre Hände, und die schöne Rokokodame wurde auffallend rot, trotz der weißen und roten Schminke, mit der ihr Gesicht bemalt war.

Einige Tage später, an einem warmen Sommernachmittag, gingen die Fürstin und Koltoff in einer schmalen Allee des Mentschikoff'schen Parkes, durch die dichte grüne Taxuswand vor der Sonne geschützt, auf und ab. Sir sprachen lange nicht, sondern schienen damit beschäftigt, mit ihren Blicken den Faltern zu folgen, welche paarweise über die Spaliere herein- und hinausflogen und, hier und da sich auf der Erde niederlassend, ihre farbenprächtigen Flügel auseinanderspannten. Endlich schlug die schöne Lubina einen Seitenweg ein, und sie kamen zu einem reizenden Plätzchen, einer massiven Steinbank, von den Zweigen einer alten Eiche beschattet, der gegenüber ein Springbrunnen plätscherte, und hinter der riesigen Marmormuschel, in welche derselbe sein helles schäumendes Wasser warf, stand eine von einem Italiener der Antike fein nachgebildete Gruppe, Venus und Adonis. Koltoff heftete seine Augen mit einem so seltsamen Ausdrucke auf diese Gruppe, daß Lubina, ihn leicht mit dem Fächer treffend, fragte, ob er die marmorne Dame schöner finde als sie.

Koltoff gab keine Antwort. Nach einer kleinen Weile seufzte er aber und sprach: »Glauben Sie nicht, daß die Menschen damals weit glücklicher waren als jetzt?«

»Sie meinen, weil die schönen Göttinnen des Olymps damals zu den Sterblichen herabstiegen?«

»Nein, weil sie lieben konnten,« sprach Koltoff »es ist als hätten Korsett und Reifrock alle natürlichen Empfindungen erstickt.«

»Warum gerade Korsett und Reifrock?« fiel die Fürstin ein. »Glauben Sie, daß das Jabot und der Zopf dem Herzen freieren Spielraum lassen?«

Der Lieutenant zuckte die Achseln, ihm schien es doch, daß er ordentlich liebe und darin den verliebten Heroen des Altertums in nichts nachgebe, aber die Fürstin war anderer Ansicht.

»Sie glauben, mich zu lieben,« sprach sie, »aber was ist das, was Sie da empfinden? Ein wenig Einbildung, ein wenig Eigensinn und sehr viel – Eitelkeit. Heutzutage liebt man nicht mehr, sondern hat Liaisons, und nicht das Herz, nicht die Leidenschaft sind es, welche diese zarten Banden knüpfen, nur die Langeweile.«

»Und was hätte diesen Umschwung in der menschlichen Natur hervorgebracht?«

»Die Philosophie,« erwiderte die Rokokodame, »wir denken zu viel über unsere Gefühle nach, als daß dieselben tiefe Wurzeln fassen könnten, und wir haben Ideale, welche uns die Freude an der Wirklichkeit verderben, und wäre die letztere noch so schön, noch so lachend. Bleiben wir gleich bei mir selbst stehen. Sie haben mir, gleich im ersten Augenblicke, als ich nach jenem Unfall zur Besinnung kam und Sie vor mir knieen sah, sehr wohl gefallen –«

Koltoff errötete und blickte verschämt zu Boden. »Sie gefielen mir an jenem Abende, wo Sie mir nach der originellen Serenade Ihre Liebe gestanden,« fuhr Lubina fort, »beinahe noch besser, und jetzt –«

»Jetzt finden Sie mich bereits unausstehlich!« rief Koltoff.

»Nein,« erwiderte die Fürstin, mit ihrem Fächer und jedem einzelnen Worte tändelnd, »jetzt glaube ich sogar, daß ich Sie liebe.«

»Sie lieben mich!« schrie der junge Offizier auf, und so heftig zwar, daß ein kleines Rotkehlchen, das vom Rande des Bassins aus neugierig mit seinen Edelsteinaugen das Paar betrachtet hatte, erschreckt aufflog.

»Es scheint,« sagte die Fürstin, »oder was soll es bedeuten, daß mein Herz so heftig klopft, wenn Sie eintreten, und auch dann, wenn Sie bei mir sind, lange noch? Entscheiden Sie selbst.« Und die kokette Schöne nahm die Hund des jungen Offiziers und legte sie auf ihr Herz.

»In der That,« stammelte Koltoff.

»Nun denn, nehmen wir an, daß ich Sie liebe,« fuhr Lubina fort. »Wie lange werde ich Sie lieben? Ich bin so unglücklich, ein sehr hohes männliches Ideal in meiner Seele zu tragen. Begegnet mir nun ein Mann im Leben, der durch einen oder den anderen oder mehrere jener Vorzüge, welche ich von einem echten Manne unzertrennlich halte, meine Phantasie erregt, so meine ich ihn zu lieben, ja, ich liebe ihn vielleicht wirklich, ich bin begeistert von ihm, ich könnte alle die Thorheiten eines jungen Mädchens begehen, bis – bei fortgesetzter und schärferer Betrachtung – an meinem glänzenden Monde die Flecken hervortreten.«

»Wie?«

»Bis ich jene dunklen Stellen entdecke, welche jeder Mensch in seinem Wesen hat,« fuhr die schöne Frau fort, »denn ich sehe plötzlich, wie weit der Mann, den ich liebe, von dem Manne entfernt ist, den ich mir träume, und ich bin enttäuscht, meine Neigung ist entwurzelt, ich habe kaum Mitleid, wo ich vor kurzem noch Bewunderung hatte.«

»Das ist aber recht traurig,« sagte Koltoff, eigentlich wußte er aber weder, was er von der Fürstin denken, noch was er sagen sollte.

»Sie sehen also,« fuhr diese fort, »daß ich Unrecht begehe, Unrecht an mir und dem Manne, dem ich mich gebe, wenn ich eine neue Ehe eingehe.«

»Und wie ist das männliche Ideal beschaffen, das Ihnen vorschwebt?« fragte Koltoff nach einer kleinen Pause.

»Der Mann, den ich liebe, den ich gehören soll,« erwiderte Lubina, »muß alle Vorzüge des Körpers mit jenen des Geistes vereinigen, er muß zu gleicher Zeit ein vollkommener Kavalier, ein tapferer Soldat und ein Philosoph von nicht gewöhnlichem Geiste sein.«

»Sie verlangen viel,« stammelte der junge Lieutenant, ihm erschreckte vorzüglich die Philosophie.

»Gewiß finden sich alle diese Eigenschaften selten vereinigt,« sagte Lubina, »ja, vielleicht nie. Voltaire ist häßlich wie ein Affe, und Moritz von Sachsen hat die Logik eines Korporals; aber wenn dies wirklich so ist, bin ich, wenn mein Geist in höheren Regionen schwebt, verpflichtet, statt meiner göttlichen Träume mit der gemeinen Wirklichkeit vorlieb zu nehmen. Beklagen Sie mich.«

Die Fürstin versank in Nachdenken.

»Werde ich je mein Ideal finden?« sprach sie nach einiger Zeit, den Blick ihrer dunklen seelenvollen Augen schwermütig in die Weite verloren.

Koltoff schwieg, und er schwieg auch beharrlich, als die schöne Frau, scheinbar unabsichtlich, zuerst mit ihrer Fußspitze die seine berührte, dann mit ihrem vollen warmen Arm seine Hand streifte. »Eine seltsame Frau,« dachte er, »sollte sie wirklich unfähig sein zu lieben?«

Und die Fürstin? Die Fürstin sagte zu sich: »Ein seltener Lieutenant. Er scheint zu viel in Plato gelesen zu haben.«