Don Juan von Kolomea

Inhaltsverzeichnis

»Alle Weisheit meines Lebens
Hat das Eine mich gelehrt,
Lieb’ ist sterblich! Ganz vergebens
Hoffst du, daß die Liebe währt!
Bist du treu, sie lachen deiner,
Aendern wie die Moden sich,
Aenderst du dich, keift gemeiner
Eifersücht’ger Neid um dich.
Drum vermeide Hymens Falle,
Hoffe nie: ein Weib sei dein!
Aber lieb’ und täusche alle,
Um nicht selbst getäuscht zu sein.«

Karamsin.

Wir fuhren aus der Kreisstadt Kolomea auf das Land. Es war Abend und am Freitag. Der Pole sagt: »Der Freitag ist ein guter Anfang,« aber mein deutscher Kutscher, ein Colonist aus Mariahilf, behauptete, der Freitag sei ein Unglückstag, denn an diesem Tage sei unser Herr am Kreuze gestorben und habe das Christenthum angefangen.

Diesmal behielt der Deutsche Recht, denn eine halbe Stunde von Kolomea wurden wir von einer Bauernwache angehalten.

»Steh! – den Paß!«

Wir standen. Aber der Paß! – Meine Papiere waren freilich in Ordnung, aber wer hatte an meinen Schwaben gedacht. Der saß auf seinem Kutschbock, als wenn die Erfindung des Passes noch zu machen wäre, schnalzte mit der Peitsche und legte frischen Schwamm in seine kurze Pfeife. Der konnte freilich ein Verschwörer sein. Sein unverschämt behagliches Gesicht forderte meine russischen Bauern heraus. Paß hatte er keinen, das war richtig; nun zuckten sie die Achseln, das war ebenso richtig.

»Ein Verschwörer,« hieß es.

»Aber Freunde bedenkt doch!« Alles umsonst.

»Ein Verschwörer!«

Mein Schwabe rückt verlegen auf seinem Brett und maltraitirt fruchtlos die russische Sprache. Alles umsonst. Die Bauernwache kennt ihre Pflichten. Wer wagt ihr eine Banknote anzubieten? Ich nicht. So werden wir denn zusammengepackt und einige hundert Schritte weit zu der nächsten Schenke geführt.

Von weitem schien es vor derselben von Zeit zu Zeit aufzublitzen. Es war die aufwärts genagelte Sense eines Bauers, der vor der Thüre Wache hielt, und gerade über dem Rauchfang der Schenke stand der Mond und blickte auf den Bauer und seine Sense. Er blickte durch das kleine Fenster der Schenke und warf seine Lichter wie Silbermünzen hinein, und füllte die Pfützen vor dem Hause mit Silber, um den geizigen Juden zu ärgern. Ich meine den Schenkwirth, der uns auf der Schwelle empfing und seine lebhafte Freude über die vornehmen Gäste dadurch ausdrückte, daß er eine Art monotones Jammergeschrei ausstieß.

Er wackelte mit dem Körper auf und ab wie eine Ente, küßte auf meinen rechten Aermel einen Schmutzfleck, und der Symmetrie wegen auch auf den linken, und schalt dabei die Bauern, daß sie »einen solchen Herren,« »einen solchen« – er wußte keine bezeichnendere Eigenschaft an mir zu finden – »einen solchen Herren arretirt, und einen solchen durch und durch schwarzgelben Herren, einen Herren, dessen Gesicht schon ganz schwarzgelb sei und dessen Seele ganz schwarzgelb sei, das möchte er auf die Thora beschwören«, und schalt und gebärdete sich, als hätten sie ihm das ärgste Unrecht zugefügt.

Ich ließ indeß meinen Schwaben bei den Pferden – die Bauern bewachten ihn – und rettete meine schwarzgelbe Seele in die Schenkstube, wo sie sich auf der hölzernen Bank ausstreckte, die um den großen Ofen lief.

Ich langweilte mich bald, denn Freund Moschu hatte vollauf zu thun, seinen Gästen Branntwein und Neuigkeiten auszuschenken, und hüpfte nur selten wie ein Floh über den breiten Schenktisch zu mir und saugte sich fest und versuchte ein gebildetes Gespräch von Politik und Literatur.

Auch ohne das. Ich langweilte mich und sah mich in der Schenke um.

Ihr Grundton war Grünspan.

Die spärlich genährte Erdöllampe erfüllte die Schenke mit grünlichem Lichte. Grüner Schimmel an den Wänden, der große viereckige Ofen wie mit Grünspan lackirt, grünes Moos wuchs aus den Feldstein-Parketen Israels. Grüner Bodensatz in den Schnapsgläsern, wirklicher Grünspan an den kleinen Blechmaßen, aus denen die Bauern tranken, wenn sie an den Schenktisch traten und ihre Kupfermünzen hinlegten. Eine grüne Vegetation bedeckte den Käse, den Moschku mir vorsetzte, und sein Weib saß im gelben Schlafrock mit großen Grünspanblumen hinter dem Ofen und schläferte ihr blaßgrünes Kind. Grünspan in dem abgehärmten Gesicht des Juden, Grünspan um seine kleinen unruhigen Augen, um seine dünnen, bewegungsvollen Nasenflügel, in seinen höhnisch verzogenen, sauren Mundwinkeln.

Es gibt Gesichter, die mit der Zeit Grünspan ansetzen, es gibt solche, und mein Jude hatte ein solches Gesicht.

Der Schenktisch stand zwischen mir und seinen Gästen. Sie saßen alle um einen schmalen langen Tisch, meist Bauern aus der Umgegend; sie unterhielten sich leise und steckten die zottigen, schwermüthigen grünen Köpfe zusammen. Einer schien mir ein Kirchensänger. Er führte das große Wort, hatte eine große Dose, aus der er aber allein schnupfte des nöthigen Respectes wegen, und las den Leuten aus einer halbvermoderten, grünen russischen Zeitung vor.

Alles leise, ernsthaft, würdevoll, und draußen sang die Bauernwache ein melancholisches Lied, dessen Töne schienen aus weiter Ferne zu kommen. Wie Geister schwebten sie um die Schenke und klagten und schienen sich nicht hinein zu wagen unter die lebenden, flüsternden Menschen. Die Melancholie floß zu allen Ritzen herein als Moder, Mondlicht und Lied.

Auch meine Langeweile wurde zur Melancholie, zu jener Melancholie, welche uns Kleinrussen so eigenthümlich ist, zu einer männlichen Ergebung in das Gefühl der Nothwendigkeit. Und meine Langeweile war so nothwendig, wie Schlaf und Tod.

Der Kirchensänger war in seiner grünen Zeitung eben bei den Verstorbenen, Angekommenen, dem Courszettel, der Eisenbahn-Fahrordnung angelangt, als draußen plötzlich Peitschenknallen, Pferdegetrappel, Menschenstimmen wirr durcheinander klangen.

Dann war es stille.

Dann hörte man eine fremde Stimme, welche sich mit jenen der Bauernwachen mischte. Es war eine lachende männliche Stimme, es war Musik in ihr, aber eine fröhliche, kecke, übermüthige Musik, die vor den Menschen in der Schenke nicht zurückschreckte. Sie tönte immer näher, bis ein fremder Mann über die Schwelle trat.

Ich richtete mich auf, aber ich sah nur seine hohe, schlanke Gestalt, denn er trat nach rückwärts in die Schenke, indem er noch immer lustig zu den Bauern sprach.

»Aber Freunde, thut mir doch nur den Gefallen und erkennt mich? Bin ich denn ein Emissär? Seht mich an? Fährt die Nationalregierung mit vier Pferden auf der Kaiserstraße ohne Paß? Geht die Nationalregierung mit einer Pfeife im Munde wie ich? Brüder! thut mir den Gefallen und seid gescheidt!«

Jetzt kamen ein paar Bauernköpfe zum Vorschein und eben so viel Hände, welche diese Bauernköpfe unter dem Kinn rieben, was so viel zu bedeuten hatte, als: »Den Gefallen thun wir dir nicht, Bruder.«

»Also wirklich nicht? Aber thut mir doch die Gnade und seid vernünftig –«

»Es geht nicht.«

»Bin ich denn ein Pole? Wollt ihr, daß meine Eltern sich auf dem russischen Kirchhofe zu Czernelica im Grabe umdrehen? Waren meine Ahnen nicht mit Bogdan Chmielnicki, dem Kosaken, gegen Polen? In wie viel Schlachten? Bei Pilawce, bei Korsun, bei Batow, bei den gelben Wässern; haben mit ihm Zbaraz belagert, worin auch die Polen lagen, standen oder saßen nach Belieben – aber thut mir nur den Gefallen und laßt mich fahren.«

»Es geht nicht.«

»Auch nicht wenn mein Großahn mit Hetman Dorozenko Lemberg belagert hat? Damals, sag’ ich euch, waren die Köpfe der polnischen Edelleute billiger als Birnen, aber – bleibt gesund und laßt mich fahren.«

»Es geht nicht.«

»Es geht nicht! – Wirklich nicht?«

»Wirklich nicht.«

»Nun gut, dann bleibt gesund.« Der Fremde ergab sich männlich der Nothwendigkeit, ohne Klage. Er trat ein, immer noch das Gesicht von mir abgewendet, nickte zu den neuen Entenstößen des Juden und setzte sich vor den Schenktisch, den Rücken gegen mich.

Die Jüdin horchte, sah auf ihn, legte das schlafende Kind auf den Ofen und trat an den Schenktisch. Sie war schön, als Moschku sie heimführte, ich wette darauf. Jetzt ist alles so befremdend scharf in ihrem Gesichte. Schmerzen, Schande, Fußtritte, Peitschenhiebe haben lange in dem Antlitz ihres Volkes gewühlt, bis es diesen glühend welken, wehmüthig höhnischen, demüthig rachelustigen Ausdruck bekam. Sie krümmte ihren hohen Rücken, ihre feinen durchsichtigen Hände spielten mit dem Branntweinmaß, ihre Augen hefteten sich auf den Fremden. Eine glühende, verlangende Seele stieg aus diesen großen schwarzen, wollüstigen Augen, ein Vampyr aus dem Grabe einer verfaulten Menschennatur, und saugte sich in das schöne Antlitz des Fremden.

Es war wirklich ein schönes Antlitz, es neigte sich über den Schenktisch zu ihr herüber wie der Mond, aber warf wirkliche Silbermünzen auf den Tisch und verlangte eine Flasche Wein.

»Geh hinaus!« sagte der Jude zu seinem Weib.

Sie krümmte sich noch tiefer und ging mit geschlossenen Augen, wie eine die im Schlafe wandelt; Moschku aber flüsterte über den Tisch zu mir: »Er ist ein gefährlicher Mensch, ein gefährlicher Mensch,« und schüttelte das vorsichtige Köpfchen mit den dicken kleinen Stirnlöckchen.

Das machte den Fremden aufmerksam. Er wandte sich rasch herum, erblickte mich, stand auf, riß seine runde Schaffellmütze vom Kopfe und entschuldigte sich in verbindlichster Weise. Wir begrüßten uns. Die russische Menschenfreundlichkeit hat sich in Sprache und Sitte so verkörpert, daß der Einzelne die zärtlich schmeichelnde Redensart nicht mehr zu überbieten vermag. Aber in der That begrüßten wir uns noch artiger, als es gewöhnlich geschieht.

Nachdem wir uns gegenseitig unzählige Male als die elendesten Knechte bezeichnet hatten und zu den Füßen gefallen waren, setzte sich der Gefährliche mir gegenüber und bat, seine Pfeife stopfen zu dürfen. Es rauchten die Bauern, es rauchte der Diak, endlich rauchte auch der Ofen, aber er bat und ich bewilligte Alles »aus Erbarmen«. Er stopfte also seine lange türkische Pfeife.

»Diese Bauern!« sagte er heiter, »aber ich! – Sagen Sie selbst, würden Sie mir das auf hundert Schritte anthun und mich für einen Polen halten?«

»Gewiß nicht.«

»Nun sehen Sie, lieber Bruder!« setzte er in überströmender Dankbarkeit hinzu, »aber reden Sie mit denen da.« Er zog einen Feuerstein aus dem Sack, legte ein kleines Stückchen Schwamm darauf und schlug damit auf sein Messer.

»Nun, aber der Jude nennt Sie doch einen gefährlichen Menschen.«

»Ja so.« Er sah vor sich auf den Tisch und lächelte. »Mein Moschku meint – den Weibern. Haben Sie gesehen, wie er seine Frau hinausgeschickt hat? Das fängt so leicht Feuer.«

Auch der Schwamm fing Feuer. Er legte ihn in die Pfeife und hüllte uns bald in dichte blaue Wolken. Er hatte die Augen bescheiden niedergeschlagen und lächelte nur so.

Ich hatte Muße, ihn zu betrachten.

Er war offenbar ein Gutsbesitzer, denn er war sehr gut gekleidet; sein Tabaksbeutel reich gestickt, seine Art vornehm; aus der Nähe oder doch aus dem Kreise von Kolomea – denn der Jude kannte ihn. Ein Russe, das hatte er gleich gesagt, und war auch nicht schwatzhaft genug, um für einen Polen gelten zu können. Es war ein Mann, der den Frauen gefallen konnte. Er hatte nichts von jener plumpen Kraft, von jener rohen Schwerfälligkeit, welche andern Völkern als Männlichkeit gilt, er war durchaus edel, schlank und schön; aber seine elastische Energie, seine unverwüstliche Zähigkeit sprach aus jeder Bewegung. Das braune schlichte Haar, der etwas gekräuselte, kurz geschnittene Vollbart, warfen ihre vollen Schatten in ein wetterbraunes, aber wohlgebildetes Gesicht.

Er war nicht so ganz jung mehr, aber hatte fröhliche blaue Augen wie ein Knabe. Unauslöschliche, gütige Menschenliebe lag milde in diesem dunkeln Antlitz, dunkel in so viel Linien, welche das Leben tief hineingeschnitten.

Er stand auf und ging ein paarmal durch die Schenke. Die weiten Hosen in die faltigen gelben Stiefel gesteckt, den Leib unter dem offenen weiten Rocke mit einer bunten Binde gegürtet, die Pelzmütze auf dem Kopfe, sah er wie einer jener alten weisen, tapferen Bojaren aus, welche zu Rathe saßen mit Wladimir und Jaroslaw, in die Schlacht zogen mit Igor und Roman.

Den Frauen konnte er gefährlich sein; ich glaubte es ihm gerne, und wie er so auf-und abging und lächelte, war es auch mir ein Vergnügen, ihn anzusehen. Auch kam die Jüdin mit der Flasche Wein, setzte sie auf den Tisch und hockte wieder hinter den Ofen, das Auge unverwandt auf ihn gerichtet. Mein Bojar kam herbei, sah die Flasche an und schien etwas zu erwarten.

»Eine Flasche Tokai,« sagte er heiter, »ist noch der beste Ersatz für das heiße Blut eines Weibes.«

Er rieb sich mit der flachen Hand die Brust; es machte mir den Eindruck, als ob ihm etwas auf dem Herzen brenne.

»Sie haben gewiß« – ich fürchtete unzart zu sein, er aber fiel lebhaft ein: »Ein Rendezvous? Freilich!« schloß die Augen halb, stieß dichte Wolken aus der Pfeife und nickte mit dem Kopf »Ein Rendezvous, verstehen Sie mich, und was für ein Rendezvous. O ich habe Glück bei den Weibern, verstehen Sie mich, ganz außerordentliches Glück. Sie sollen mich in den Himmel lassen unter die heiligen Frauen und Jungfrauen, so wird allenfalls der Himmel so ein – Haus. Gott verzeih’ mir die Sünde! Thun Sie mir die Gnade und glauben Sie es mir.«

»Ich glaube es Ihnen gerne.«

»Nun sehen Sie. Aber das soll wahr bleiben, wie das Sprichwort sagt: »»Was du dem besten Freunde nicht sagst und deinem Weibe nicht sagst, sagst du dem Fremden auf der Heerstraße.«« Mach’ die Flasche auf, Moschku, gib zwei Gläser – und Sie erbarmen sich, trinken mit mir den Tokai und hören meine Liebesabenteuer an, köstliche, seltene Liebesabenteuer, Raritäten von Liebesabenteuern, wie ein Autograph von Goliath dem Philister, denn die Silberlinge, um die Judas Ischariot unsern Herrn verkauft hat, sind gar nicht selten. Das glauben Sie mir aufs Wort, ich habe schon so viele in Galizien und in Rußland in den Kirchen gesehen, daß er eigentlich keinen so schlechten Handel gemacht hat. Aber Moschku –«

Der Schenkwirth hüpfte heran, stieß ein paarmal nach rückwärts aus, holte einen Korkzieher aus der Tasche, klopfte das Siegellack herab, blies darauf, nahm dann die Flasche zwischen die mageren Beine und zog unter furchtbaren Verzerrungen des Gesichtes den Kork heraus. Blies dann zum Ueberfluß noch einmal in die Flasche und schenkte den gelben Tokai in die reinsten zwei Gläser, welche in Israel geduldet werden. Der Fremde hob sein Glas gegen mich. »Auf Ihre Gesundheit!«

Er meinte es aufrichtig, denn er leerte das große Glas auf einen Zug. Ein Trinker war er nicht, dazu hatte er den Wein zu wenig gekostet, auf die Zunge genommen, an den Gaumen emporgeschnalzt.

Der Jude sah ihm zu und sprach schüchtern: »Das ist eine Ehre, daß der Herr Wohlthäter wieder einmal bei mir einsprechen und wie gut aussehen, immer noch ganz am Fleck!« Moschku versuchte, sich bei dieser Bemerkung die Haltung eines Löwen zu geben, und dazu schien es ihm unentbehrlich, seine mürben Arme wie die zerbrochenen Henkel einer Vase von Pompeji auseinander zu spreizen und wie in der Tretmühle die Füße abwechselnd zu heben und wieder aufzustampfen.

»Nun, und wie befinden sich die gnädige Frau Wohlthäterin und die lieben Kinder?«

»Gut! Gut!« Mein Bojar schenkte sich das zweite Glas ein und trank es aus, aber Alles mit niedergeschlagenen Augen, wie beschämt. Und als der Jude längst fort war, blickte er schüchtern nach mir herüber und war über und über roth. Lange war er stille, rauchte so vor sich hin, schenkte mir ein, endlich sagte er ganz leise: »Ich muß Ihnen ziemlich lächerlich erscheinen. Sie denken gewiß, der alte Esel hat Weib und Kinder zu Hause und will mich da von seinen Romanen unterhalten und von Rendezvous und Liebesbriefen. Ich bitte Sie, sagen Sie gar nichts, ich weiß es ja doch. Aber sehen Sie, einmal ist es eine angenehme Pflicht, einen Fremden zu unterhalten, und da dachte ich – dann wieder – verzeihen Sie – es ist eigentlich recht sonderbar. Man begegnet sich, um sich vielleicht nie wieder zu sehen. Man könnte denken, was liegt daran, was der von dir meint. Aber es ist nicht so. Bei mir wenigstens nicht. Freilich, ich will mich nicht schön machen, wer so ein Verführer ist, der ist es gewiß halb nur aus Wollust und halb aus Eitelkeit. Wenn man von meinen Abenteuern nichts wüßte, wäre ich der unglücklichste Mensch von der Welt, und da erzähle ich sie so Jedem und sie beneiden mich Alle, aber heute hab’ ich mich lächerlich gemacht.«

Ich wendete etwas ein.

»Bemühen Sie sich nicht, es ist einmal so, – lächerlich, denn Sie kennen ja meine Geschichte nicht. Der ganze Kreis weiß, was mir passirt ist, aber Sie wissen es nicht. Und dann wird man so lächerlich eitel, wenn man den Frauen gefällt, lächerlich eitel, will, jeder Mensch soll gut von uns denken, und verschenkt sein Geld an die Bettler auf der Straße und seine Geschichten an die Fremden in den Einkehrhäusern. O! es ist recht lächerlich. Aber nun muß ich Ihnen doch das Ganze erzählen. Haben Sie die Gnade und hören Sie mich an. Ich weiß nicht, ich habe so etwas Zutrauen zu Ihnen.«

Ich bedankte mich.

»Nun gut. Und dann, was fangen wir sonst an? Karten sind keine da! – Also will ich – aber nein! – und doch – Bedenken Sie – »»ein guter Vogel beschmutzt sein Nest nicht,«« das sagt jeder Bauer bei uns. Aber ich bin kein guter Vogel. Ich bin ein leichter Vogel, ein lustiger Vogel. Noch eine Flasche Tokai, Moschku! – Ich will Ihnen meine Geschichte erzählen.«

Er stützte seinen Kopf in die Hände und dachte nach. Es war stille. Wieder tönte das grauenhafte Lied der Bauernwache, bald wie eine Todtenklage aus weiter Ferne, bald ganz nahe und leise, als schwinge die Seele des fremden Mannes in verzweifelten, herzzerreißend süßen Melodien.

»Sie sind also verheirathet?« fragte ich endlich.

»Ja.«

»Glücklich?«

Er lachte. Sein Lachen klang eigentlich harmlos wie das Lachen eines Kindes; aber mich machte es schauern, ich weiß nicht warum.

»Glücklich?« sagte er, »was soll ich sagen? Thun Sie mir die Gnade und bedenken Sie einmal, was das ist: Glück! – Sind Sie Landwirth?«

»Nein.«

»Aber Sie verstehen etwas von der Landwirthschaft? Gewiß. Nun sehen Sie, das Glück, möchte ich so sagen, ist nicht wie ein Dorf oder Gut, das einem gehört, sondern wie eine Pacht. Ich bitte, verstehen Sie mich, wie eine Pacht. Wer sich da einrichten will für die Ewigkeit, wer brach liegen läßt nach der Ordnung, oder gar düngt, oder den Wald schont, oder junges Holz hegt, oder eine Straße baut« – er nahm sich wie verzweifelt beim Kopfe – »Herr Gott! der macht, als hätte er für seine Kinder zu sorgen. Da heißt es: was herausschlagen, das Jahr oder gar heute, ja nicht morgen. Da heißt es: das Feld aussaugen, den Wald verwüsten, die Weiden ruiniren, Gras wachsen lassen auf den Wegen, Scheunen, und wenn Alles zu Grunde gerichtet ist am Ende und der Stall jede Stunde einstürzen kann: gut, und auch der Speicher – um so besser! oder gar das Wohngebäude – unübertrefflich! unübertrefflich! Der hat’s genossen, der hat jubilirt. – Da haben Sie das Glück! Lustig! Lustig!«

Die neue Flasche Tokai wurde entkorkt und er schenkte fleißig ein.

»Was ist das Glück?« rief er, »der Athemzug, den ich mache. Da, sehen Sie!« – er hauchte in die Luft – »da haben Sie ihn! Sehen Sie! Sehen Sie ihn!« – er wies mit den Fingern hin – »Wo ist er jetzt? – Ein Augenblick, eine Secunde auf der Uhr, einmal klopft der Zeiger – vorbei! Das Lied, das die Wache singt! Hören Sie den letzten schwellenden Ton, wie er sich emporhebt und fliegt – und schwimmt nur so in der Luft. Man meint er könnte kein Ende nehmen. Er trägt uns fort, fort – immer fort! – da – da hat ihn die Nacht verschlungen – für immer – das ist das Glück.«

Wir schwiegen beide einige Zeit.

Endlich fragte er ziemlich heiter: »Verzeihen Sie, darf ich Sie fragen: warum sind denn alle Ehen unglücklich? oder doch die meisten! Was wollen Sie einwenden?«

»Ich? Nichts! gar nichts!«

»Also sehen Sie, es ist eine Thatsache! Aber ein Mensch, der das was so ist, annimmt, ohne darüber nachzudenken, oder sich dagegen zu stemmen, der ist so ein schwacher Mensch in jeder Beziehung. – Ich meine, man muß tragen, was nothwendig ist, was so bestimmt ist, oder was so in der Natur liegt, wie allenfalls der Winter, oder die Nacht, oder der Tod. Aber ist es auch nothwendig, daß die Ehen so in der Regel unglücklich sind? Ist da – nun Sie verstehen mich – eine Nothwendigkeit, eine Regel, wenn ich mich so ausdrücken darf: ein Gesetz in der Natur?«

Mein Mann fragte mit dem Eifer eines Gelehrten, der seinen Gegenstand erörtert. Er war offenbar seiner Sache gewiß und sah mich nicht im mindesten ernsthaft, sondern mit der liebenswürdigsten Neugierde an.

»Was macht so die meisten Ehen unglücklich?« wiederholte er, »verstehen Sie mich, Bruder?«

Ich sagte irgend Etwas, was man so gewöhnlich sagt.

Er unterbrach mich, entschuldigte sich und sprach weiter.

»Verzeihen Sie, aber das haben Sie aus den deutschen Büchern. Es ist so. Sie lesen sie gerne, das möchte ich glauben, ich auch, aber man bekommt so Ideen, so Phrasen – nun Sie verstehen mich ja. – Da könnte ich auch sagen: »Meine Frau war mir nicht genug,« oder »sie hat mich nicht verstanden« und »wie das furchtbar ist, wenn man so nicht verstanden wird,« wie ich so ein ganz origineller Mensch bin, so ein Original, wie ich so ganz originelle Gedanken habe und so ganz originelle Gefühle und wie ich mich so enttäuscht sehe und keine Frau finde, die mich versteht, aber doch immerfort suche – solche Phrasen wissen Sie – das ist aber Alles erlogen, Alles erlogen! Ueberhaupt, mein Bester, haben Sie schon bemerkt, wie eigentlich jeder Mensch ein Lügner ist? Nur gibt es zwei Arten und darnach kann man die Menschen eintheilen, in solche, welche andere belügen, das sind die materiellen Menschen, von denen man so in den Büchern liest und dann die Idealisten, wie die Deutschen sie nennen – die sich selbst belügen.«

Ich gestehe es, der Mann begann mich immer mehr zu interessieren.

Er trank noch ein Glas Tokai und war vollends im Fluß. Seine Augen schwammen, seine Zunge schwamm, seine Worte floßen nur so.

»Nun Herr, was macht die Ehe unglücklich?« sagte er und legte seine Hände auf meine Achseln, als wolle er mich an sein Herz drücken – »denken Sie sich, Herr – die Kinder!«

Ich war überrascht.

»Aber lieber Freund,« sagte ich, »sehen Sie einmal diesen Juden an, wie elend er da lebt und sein Weib – würden sie nicht auseinanderlaufen wie Hunde, wenn nicht die Kinder wären und die Liebe zu den Kindern?«

Er nickte eifrig mit dem Kopfe und hob die Hände flach gegen mich empor, als wollte er mich segnen. »So ist es, so ist es, Bruder! Das eben, das allein, – das, das! – Hören Sie nur meine Geschichte.

Ich war so ein Bursche, was soll ich Ihnen sagen, ein Tölpel. Ich fürchtete mich vor den Frauen. Wenn ich zu Pferde war, da war ich ein Mann. Oder ich nahm die Büchse und ging durch das Feld, in den Wald, in das Gebirge – ich will Ihnen aber keine Anekdoten erzählen von meinen Jagden – genug, wenn ich dem Bären begegnete, ließ ich ihn ganz nahe kommen und sagte nur: Hopp Bruder! – da stand er auf, daß ich seinen Athem fühlte und ich schoß ihn, gerade auf den weißen Fleck hin, in die Brust. Aber wenn ich ein Weib sah, ging ich aus dem Wege. Sprach sie mich an, wurde ich roth, stotterte – so ein Tölpel, wissen Sie. Ich meinte immer noch, ein Weib habe nur längeres Haar als wir und längere Kleider und das sei Alles. So ein Tölpel! Sie wissen ja, wie man bei uns ist. Nicht einmal die Dienstleute sprechen so von diesen Sachen, man wächst auf und es kommt einem der Bart beinahe und man weiß nicht warum einem das Herz schlägt, wenn man so ein Weib sieht. So ein Tölpel! sag’ ich Ihnen.

Da meinte ich, ich hätte Amerika entdeckt oder wenigstens einen neuen Planeten, wie ich endlich wußte. – Bedenken Sie nur, daß die Kinder nicht aus dem Wasser gezogen werden, wie die Krebse. Gut. Da verliebte ich mich auf einmal. Ich weiß selbst nicht wie. – Aber ich langweile Sie, gewiß?«

»Nein, ich bitte –«

»Gut. Ich verliebe mich. Da hatte mein seliger Vater, da hatte er so eine Idee, uns tanzen zu lassen, nämlich meine Schwester und mich. Da kam so ein kleiner Franzose mit seiner Geige und dann kamen die Gutsbesitzer aus der Nähe mit ihren Söhnen und Töchtern. Es war eine lustige Gesellschaft so von Nachbarn. Jeder kannte den andern und war guter Dinge, nur ich zitterte am ganzen Leibe. Mein kleiner Franzose aber besinnt sich nicht, stellt seine Paare auf wie’s ihm einfällt, erwischt mich beim Ermel und erwischt auch ein Fräulein von unserem Nachbarn, ein Kind sag ich Ihnen. Sie stolperte noch über ihr Kleid und hatte blonde Zöpfe bis hinab.

Da standen wir nun und sie hielt meine Hand – denn ich – ich war Ihnen todt; so tanzen wir. Aber ich sehe sie gar nicht an, nur unsere Hände brennen so ineinander. Bis zuletzt, da heißt es: »Messieurs!« – Man tritt vor seine Dame, klappt die Absätze zusammen, läßt den Kopf auf die Brust fallen, wie wenn er abgehackt wäre, macht seinen Arm krumm, nimmt sie bei den Fingerspitzen und küßt die Hand. Das Blut schoß mir zu Kopfe. Sie machte nur so einen Knix und wie ich meinen Kopf hob. da war sie ganz roth und hatte Augen – was für Augen!«

Er schloß die seinen und lehnte sich zurück.

»Bravo, Messieurs!« ich war erlöst. Von da an tanzte ich nicht mehr mit ihr.

Sie war die Tochter eines Nachbars. Schön! – was soll ich Ihnen sagen – schön! so vornehm, möchte ich sagen. – Jede Woche war eine Tanzstunde. Ich sprach nicht einmal mit ihr, aber wenn sie so den Kosak tanzte, den Arm zierlich eingestemmt, stachen meine Augen nur so in sie und sah sie dann auf mich, pfiff ich wohl und drehte mich auf dem Absatz um. Die anderen jungen Herren leckten ihre Finger wie Zucker, verrenkten sich Hände und Füße, um ihr Taschentuch zu erwischen, sie aber warf die Zöpfe zurück und blickte auf mich.

Wenn sie davonfuhr, da war ich ein Held, wenn ich die Treppe hinab leuchtete und unten stehen blieb. Da wickelte sie sich behaglich ein, zog den Schleier herab, nickte allen freundlich zu, daß mir der Neid im Magen brannte und wenn die Glöckchen nur noch so aus der Ferne klangen, stand ich noch da und hielt mein Licht in der Hand, ganz krumm, das tropfte nur. So ein Tölpel, sag’ ich Ihnen!

Dann waren die Tanzstunden zu Ende und ich sah sie lange nicht.

Da wachte ich Nachts auf und hatte geweint und wußte nicht warum, da lernte ich verliebte Gedichte auswendig und sagte sie tüchtig her, Alles meinem Kleiderstock; da hatte ich Muth und phantasirte, nahm die Guitarre und sang, daß unser alter Jagdhund unter dem Ofen hervorkroch, die Nase zum Himmel hob und heulte.

Dann kam mir im Frühjahr die Idee, auf die Jagd zu gehen. Streife so im Gebirge, lege mich über eine Schlucht und wie ich so liege, da brechen die Zweige und kommt das Dickicht herab ein großer Bär, langsam, ganz langsam. – Ich bin ganz stille und im Walde ist es stille – nur ein Rabe fliegt über mir und schreit. – Da faßt mich eine namenlose Angst, ich mache das Kreuz und athme nicht einmal und wie er hinab ist – laufe ich was ich laufen kann.

Da war dann der Jahrmarkt – Verzeihen Sie, ich erzähle Ihnen wohl Alles erbärmlich durcheinander. – Da fahr’ ich denn auf den Jahrmarkt und wie ich so gehe, ist sie auch da. – Richtig! ich vergesse zu sagen wie sie heißt: Nikolaja Senkow also. Einen Gang hatte sie jetzt wie eine Fürstin und auch die Zöpfe hingen ihr nicht mehr herab, sondern lagen auf ihrem Haupte wie ein goldener Reif und ihr Gang war so frei, sie wiegte sich und die Falten ihres Kleides rauschten so anmuthig, man konnte sich in dieses Rauschen allein verlieben. – Da lärmt der Jahrmarkt, der Handel, rings herum, da traben die Bauern in ihren schweren Stiefeln, da schießen die Juden durch das Gedränge, das schreit und jammert und lacht, und die Buben haben kleine hölzerne Pfeifchen gekauft und pfeifen. Aber sie hat mich gleich gesehen.

Da faß ich mir ein Herz, sehe mich um und denke: »Halt! Du gibst ihr die Sonne! das wird sie freuen! was kannst du mehr geben?« – Verzeihen Sie, es war eine Sonne von Lebzelten, prächtig vergoldet, sag’ ich Ihnen. Sie fiel mir von weitem auf und machte ein erstauntes Gesicht wie unser Pfarrer, wenn er Jemand umsonst begraben soll. Gut ich habe dießmal Courage wie der Teufel, gehe, werfe meinen Zwanziger hin – es war mein einziger – und kaufe die Sonne. Mache dann große Schritte und erwische mein Fräulein richtig bei einer Falte; was eigentlich recht unanständig war, aber so ist man, wenn man verliebt ist, ganz unanständig! – erwische sie und präsentire ihr die Sonne und was denken Sie, was thut meine Nikolaja?«

»Sie bedankt sich wohl.«

»Bedankt sich? – Sie – sie lacht mir ins Gesicht, lacht auch ihr Vater, lacht ihre Mutter, lachen ihre Schwestern und Basen, alle Senkows lachen! Mir ist zu Muthe wie an der Schlucht dort, wie der Bär so langsam kommt. Ich möchte laufen, aber ich schäme mich; die Senkows etwa lachen so fort. – Es sind reiche Leute und wir waren eben so – wir hatten unser Auskommen; da stecke ich beide Hände in die Taschen und spreche: »Das ist nicht schön, Pana Nikolaja, daß Sie so lachen. Mein Vater hat mir nichts gegeben als den Zwanziger für den Jahrmarkt, den hab’ ich für Sie hingeworfen wie ein Fürst, wenn er seine zwanzig Dörfer nimmt und Ihnen so hinwirft. – Haben Sie die Gnade also –« – ich konnte nicht weiter – mir kamen die hellen Thränen. So ein ganzer Tölpel, sag’ ich Ihnen. Aber die Pana Nikolaja nimmt meine Sonne so mit beiden Händen an die Brust und sieht mich an. Ihre Augen waren so groß, so weit – die ganze Welt schien mir nicht so weit – und so tief! es zog einen so hinein und sie bat mich, mit ihren Augen bat sie mich, ihre Lippen zuckten nur so –

Da schrie ich auf! »O! was für ein Tölpel bin ich, Pana Nikolaja! Die Sonne möchte ich jetzt herunterreißen vom Himmel, Gottes wahrhaftige, lichte Sonne und Ihnen zu Füßen legen, lache Sie mich nur aus, lachen Sie.« – Da kommt ein polnischer Graf gefahren. Sechs Pferde hat er vorgespannt und sitzt auf dem Bock mit der Peitsche, fliegt nur so hin, sag’ ich Ihnen, auf seiner Britschka, mitten durch den Jahrmarkt. Ein Unsinn! fährt da so schnell. Das schreit nur, ein Jude kugelt sich am Boden, meine Senkows ergreifen die Flucht, nur Nikolaja steht starr, hebt nur die Hand gegen die Pferde. Ich sie um den Leib und trage sie. Nikolaja die Hände um meinen Hals. Alles schreit, ich aber möchte tanzen mit ihr auf dem Arme. Da ist der Graf auch vorbei mit seiner Britschka, das Mädchen aus meinen Armen, ein Moment, sag’ ich Ihnen! Polak das! fährt da so schnell!

»Aber ich erzähle Ihnen das Alles wie ich es erlebt habe, ich will mich kurz fassen –«

»Nein! nein; wir Russen erzählen gerne und lassen uns gerne erzählen. Fahren Sie nur so fort.« Ich streckte mich auf meiner Bank aus. Er stopfte sich eine neue Pfeife.

»Es ist so Alles eins,« meinte er, »Arrestanten sind wir einmal, also hören Sie die Geschichte zu Ende.«

Da hat uns der polnische Graf getrennt von der tapferen Familie. Meine Senkows waren in alle vier Winde zerstreut. Glauben Sie, ich habe sie gesucht? Pana Nikolaja hängt sich in mich ein, ganz sanft und ich führe sie zu ihren Leuten, das heißt, ich sehe mich immer um, damit ich sie von weitem entdecke und noch zu rechter Zeit in eine andere Gasse von Marktbuden einbiegen kann. Ich hebe meinen Kopf stolz wie ein Kosak und wir plaudern. Was gleich? Da sitzt ein Weib und verkauft Kannen. Pana Nikolaja behauptet, die irdenen Kannen sind besser für das Wasser und ich die hölzernen, nur um so zu reden; sie lobt die französischen Bücher und ich die deutschen; sie die Hunde, ich die Katzen, und ich widersprach nur, um sie reden zu hören, so allerliebst! und wenn sie zornig wurde – diese Stimme! – wie Musik, sag’ ich Ihnen! Endlich hatten mich die Senkows umstellt wie ein Wild, es war nicht mehr auszuweichen, da liefen wir denn Vater Senkow gerade in die Arme. Der wollte gleich nach Hause fahren. Gut. Ich hatte jetzt meine Courage beisammen, schrie den Kutscher recht an und sage ihm dann, wie er fahren soll. Hebe zuerst Madame Senkow in den Wagen, stoße dann Vater Senkow, der einsteigt, so hinterrucks – wissen Sie – hinein, Alles damit ich mich dann auf ein Knie niederlassen, Nikolaja auf das andere ihren Fuß setzen und auf ihren Sitz springen kann. Kommen noch die Schwestern und Basen, küsse noch ein halbes Dutzend Hände, der Kutscher peitscht in die Pferde, fort sind sie. –

– Es ist wirklich – Sie verzeihen – wenn ich nur könnte – so eine schlechte Gewohnheit – so zu erzählen. Aber ich fahre lieber fort, sonst halte ich noch mehr auf. Endlich sind wir ja Arrestanten.

Also der Jahrmarkt!

Da hab’ ich mich verkauft, sag’ ich Ihnen, mich wie ich da bin. Da ging ich herum wie ein Thier, das seinen Herrn verloren hat. Ganz verloren war ich.

Den nächsten Tag ritt ich hinaus auf das Dorf der Senkows, wurde gut empfangen. Nikolaja war ernster als sonst, ließ das Köpfchen etwas hängen. Auch ich wurde traurig, sah sie an und dachte »was bist du so? Ich bin dein, deine Sache, dein Geschöpf, mache mit mir was du willst, ich bin dein, lache doch!« – Ich dachte gar nicht, daß sie Etwas mehr wünschen könnte.

Ich ritt jetzt oft hinaus zu den Senkows.

Einmal sagte ich zu Nikolaja: »Erlauben Sie mir, daß ich nicht mehr lüge.« Sie sah mich erstaunt an. »Sie lügen?« – »Da sage ich Ihnen, ich bin Ihr Knecht, meine Seele gehört Ihnen; da falle ich Ihnen zu Füßen, küsse Ihre Fußstapfen und bin es nicht und thue es nicht. Erlauben Sie, daß ich nicht mehr lüge.« – Glauben Sie mir. ich – ich hörte noch in derselben Stunde auf zu lügen.

Nach einiger Zeit sagte unser alter Kosak so zu den Dienstleuten: »Unser junger Herr ist jetzt andächtig geworden, hat der förmliche Flecke auf den Knien.« – So. Jetzt muß ich Ihnen von einem Hunde erzählen.

Die Senkows hatten ihr Dorf näher dem Gebirge als wir. Sie hatten zahlreiche Schafe im Freien auf der Weide, nah dem tiefen Walde. Der Lagerplatz war von einem tüchtigen Zaun eingeschlossen. Da machten die Hirten Nachts ihre Feuer, hatten ihre Stöcke mit Eisen beschlagen, sogar eine alte Entenflinte mit einem Lauf und ein paar Wolfshunde. Alles wie gesagt, weil es nahe dem Gebirge war und die Wölfe und Bären liefen dort herum wie die Hühner und waren zahlreich und vermehrten sich in einer Weise wie die Juden.

Da war ein schwarzer Wolfshund.

Sie nannten ihn Kohle.

Er war auch kohlschwarz und seine Augen funkelten wie Kohlen.

Der war der Freund meiner –, verzeihen Sie – was sag’ ich da –«

Er erröthete etwas und senkte den Blick.

»Also Kohle war der Freund der Pana Nikolaja. Wie sie noch ein kleines Eichen war, im warmen Sande lag, da kam Kohle – selbst ein Kind – zu ihr und leckte sie, so mit der Zunge gleich über das ganze Gesicht, und das Kindchen legte ihm die Fingerchen zwischen die großen Zähne und lachte und mein Hund lachte auch.

Dann wuchsen sie beide auf. Kohle wurde groß und stark wie ein Bär; Nikolaja konnte nicht so schnell nachkommen; aber lieb hatten sie sich immerfort. Und als Kohle zu den Schafen kam – nicht daß man ihn hingab. Lassen Sie sich das sagen. Er war so großmüthig von Natur, er mußte immer etwas zu beschützen haben. Auf Meilen war kein Thier wie er.

Wenn er einen Hund zerriß, so war es, weil er einen andern gebissen hatte. Ihm wich der Wolf aus und der Bär blieb aus, wenn er Wache hielt.

So fiel es meinem Kohle ein, die Schafe zu beschützen. Das waren so recht arme, ängstliche Thiere, so recht für meinen Kohle. Er kam also zu ihnen und machte fortan nur noch Besuche im Herrenhause; und wenn er zurückkam, da drängten sich die Lämmer um ihn und grüßten ihn und er leckte nur so nach links und rechts mit seiner rothen Zunge, als wollte er sagen: »Ist schon gut! ich weiß schon.« – Nikolaja machte also jetzt auch ihre Besuche in der Hürde und sie nahmen es beide genau. Wenn das Kind einmal ausblieb, schmollte der Hund und lief einmal statt in den Hof in den Wald, wo er sich den Spaß machte, dem Wolfe sein Weib zu verführen.

Es war ein majestätisches Thier. Wenn Nikolaja kam, trieb er ihr die kleinen Lämmchen zu. Sie setzte sich auf seinen Rücken und er trug sie so leicht, was leicht? – stolz! er wußte was er trug.

Wie ich Kohle kennen lernte, war er alt, hatte schlechte Zähne, ein lahmes Bein, schlief oft und es geschah, daß da und dort ein Lamm verloren ging.

Um diese Zeit sprach man in unserer Gegend viel von einem Bären, einem ungeheuren Bären, sag’ ich Ihnen, der sich auch bei den Senkows sehen ließ.

Ich dachte gleich an meinen Bären in der Schlucht und schämte mich etwas.

Einmal reite ich wieder zu den Senkows; da laufen mir Bauern über den Weg, rennen gegen die Hürde – ein Tumult – ich sporne mein Pferd, von weitem höre ich – »der Bär! der Bär!« – Die Angst kommt mir, ich jage nur hin, springe vom Pferd, da steht ein Haufe Volk – Nikolaja liegt am Boden, den Wolfshund in den Armen und schluchzt. Die Leute stehen herum und flüstern nur.

Der Bär war da, der große Bär und holt ein Lamm. Die Hirten, die Hunde, rühren sich nicht, heulen nur aus Leibeskräften, das Fräulein schreit auf, Kohle schämt sich und springt mit seinem lahmen Bein über den Zaun, gerade hin auf den Bären.

Seine Zähne sind stumpf. Er packt den Bären, der Bär ihn – die Hirten rennen heraus mit der Flinte, der Bär flieht, das Lamm ist gerettet, Kohle aber schleppt sich nur einige Schritte und fällt, wie ein Held sag’ ich Ihnen –. Nikolaja wirft sich über ihn, schließt den Wolfshund an ihre Brust. Ihre Thränen fließen bis auf seinen Kopf, er sieht hinauf zu ihr, zieht noch einmal Luft – es ist zu Ende.

Ich habe ein Gefühl wie wenn ich einen Mord begangen hätte. »Lassen Sie ihn Pana Nikolaja,« sag’ ich. Sie aber hebt die Augen voll Thränen zu mir und sagt: »Sie sind ein harter Mensch, Demetrius,« – so heiße ich nämlich. »Ich ein harter Mensch! denken Sie!«

Ich gebe mein Pferd den Hirten, nehme mir ein langes Messer, schleife es noch, nehme die alte Flinte, ziehe die Ladung heraus, lade sie wieder selbst; noch eine Handvoll Pulver und gehacktes Blei in den Sack, und fort – in das Gebirge.

Ich wußte, daß er durch die Schlucht kommen werde.«

»Der Bär?«

»So ist es. Ihn erwartete ich ja. Ich stellte mich in die Schlucht, dort war an ein Ausweichen nicht zu denken. Die Wände fielen nur so gleich ab, steil, steinhart. Oben standen die Bäume, aber keiner ließ seine Wurzel so weit herab, daß man sie mit der Hand erreichen und sich hinaufschwingen konnte.

Er kann nicht ausweichen – und er kehrt auch nicht um – und ich auch nicht.

So stehe ich denn und erwarte ihn.

Waren Sie je einsam? – Wissen Sie, was das heißt, Jemand erwarten? – Eines peinlich genug, einen Menschen zu zerfleischen. Hier aber stand ich im einsamen Urwald und ein Bär war es, den ich erwartete.

Komische Vorsicht, kopflose Klugheit der Aufregung! Da stieß ich noch einmal meinen Ladstock in den Lauf, damit die Kugel festsitze.

Ich weiß nicht wie lange ich gewartet.

Es war einsam, unendlich einsam.

Da raschelt das Laub hoch oben in der Schlucht, Schritt für Schritt, wie die schweren Stiefel eines Bauers.

Jetzt brummt er so vor sich hin.

Da ist er.

Er sieht mich und hält stille.

Ich trete noch einen Schritt vor und spanne – was spanne? – will den Hahn spannen. Greif herum, finde nicht – kein Hahn an der Flinte! Ich mache nur das Kreuz, werfe den Rock ab, wickle ihn um den linken Arm – der Bär kommt auch schon.

»Hopp Bruder!« rufe ich. Aber er hört gar nicht auf mich, sieht mich auch nicht an.

Halt Bruder, ich will dich russisch lernen!

Drehe meine Flinte um und haue mit aller Kraft über seine Schnauze. Der brüllt, steht auf, ich den linken Arm in seine Zähne, das Messer in sein Herz, er die Tatzen um mich –

Das Blut stürzt über mich wie eine Welle – die Welt geht unter.

Er saß eine Weile, stützte den Kopf, schwieg.

Dann schlug er mit der flachen Hand leicht auf den Tisch und sprach lächelnd: »Da hab’ ich Ihnen richtig so eine Anekdote erzählt. Aber Sie sollen seine Tatzen sehen. Erlauben Sie, daß ich mein Hemd aufmache –« Er zog es auseinander und zeigte an jeder Seite seiner Brust eine Narbe wie die eingedrückte, weiße Hand eines riesigen Menschen.

»Er hat mich gut gefaßt.«

Die Gläser waren leer. Ich winkte Moschku, eine neue Flasche zu bringen.

»So fanden mich also die Bauern,« fuhr mein Bojar fort, »aber lassen wir das. Ich lag also lange im Hause bei den Senkows, im Fieber. Wenn ich bei Tage zu mir kam, saßen sie um mich, auch meine Leute, wie um einen Sterbenden, aber Vater Senkow sagte: »Nun es geht ja gut!« und Nikolaja lachte. Einmal erwache ich Nachts und sehe um mich. Da brennt nur eine einsame Lampe. Nikolaja liegt auf den Knien und betet.

Genug davon. Es ist vorbei, nur manchmal kommt es noch im Traum. Genug. Sie sehen, ich bin nicht gestorben.

Jetzt kam Vater Senkow oft zu uns auf seiner Britschka und mein Vater wieder hinüber. Die Frauen nicht selten mit. Die alten Leute flüsterten und kam ich dazu, so lächelte Senkow, zwinkerte mit den Augen und bot mir eine Prise.

Nikolaja – liebte mich. So herzlich! glauben Sie mir. Ich glaubte es wenigstens und auch – die alten Leute glaubten es.

So wurde sie denn mein Weib.

Mein Vater übergab mir die Wirthschaft. Senkow gab seiner Tochter ein ganzes Dorf.

Die Hochzeit war in Czernelica. Alles besoffen, sag’ ich Ihnen, mein Vater tanzte mit Madame Senkow den Kosak.

Am nächsten Abend – sie suchten noch alle, wie die Todten am jüngsten Tage, ihre Glieder zusammen und fanden sie nicht – spannte ich selbst sechs Pferde, alle weiß wie Tauben, vor meinen Wagen. Das glänzende langhaarige Fell meines todten Bären lag über den Sitz gebreitet, die Tatzen mit vergoldeten Nägeln bis auf den Wagentritt herab von jeder Seite, der große Kopf mit funkelnden Augen wie lebendig zu den Füßen. Meine Leute, Bauern, Kosaken zu Pferde Fackeln, Brände in den Händen; ich mein Weib im rothen Hermelinpelz auf die Schulter und trage sie in den Wagen. Meine Leute jauchzen, sie sitzt wie eine Fürstin in dem Pelz des Bären, die kleinen Füße auf seinem großen Kopfe.

Mein Volk zu Pferde um uns – so führe ich die Herrin in ihr Haus. –

Es ist auch so eine große Dummheit, die man in den deutschen Büchern liest von dem Himmel der Liebe, und dann die Abgötterei, die man mit der Jungfrau treibt –«

»Wie etwa Schiller in der –«

»Ich bitte Sie, Sie werden mir doch nicht Etwas von Herrn von Schiller aufsagen? Erbarmen Sie sich

»Nur eine Stelle, wissen Sie

»Verzeihen Sie –«

»Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt der schöne Wahn entzwei!«

deklamirte ich erbarmungslos.

»Da hat er einmal Recht der Herr von Schiller,« sagte der Landedelmann, »ein schöner Wahn das! Das wäre Etwas, wenn die Jungfrau so die Krone der Schöpfung wäre und die Liebe so das schöne dumme Gefühl, das man allenfalls für so ein Mädchen hat. Auch mir riß so der Wahn entzwei.

Wie sie mein Weib war, da hatte ich erst den Muth, sie zu lieben und sie mich. Da warf sie Sitte, Anstand, Alles von sich so mit Schnürleib und Strumpfband gleich auf den Boden und wie meine Liebe groß wurde an ihrer Liebe, und groß und immer größer. Meine Liebe und ihre Liebe wuchsen so wie Zwillinge.

Pana Nikolaja küßte ich die Hände, meinem Weib die Füße und biß oft nur so hinein, daß sie schrie und mich ins Gesicht trat.

Jetzt verstand ich, warum man niederkniet und anbetet das Weib mit dem Kinde, aber sie haben auch aus ihr eine Jungfrau gemacht, die Hausthiere unseres Herrgottes.

Sehen Sie, das Mädchen ist so eine Sklavin ihres Hauses. Mancher Vater rechnet sie so zu seinen Gütern. Aber die Frau – jeden Augenblick kann sie mich verlassen. Hab’ ich Recht? Sie wählt wie ich wähle. Da stehen sie die Jungfrau auf den Altar. Große Dummheit. Dann sagen sie »Du holdes Kind!« Also ein so buttergelbes Entchen da, ist meines Gleichen. Thun Sie mir den Gefallen und bedenken Sie das.

Die Liebe von Mann und Weib ist die Ehe; ich meine die Ehe wie die Natur sie schließt.

Ueberhaupt, was hat man?

Belieben Sie nur, dieses Leben etwas zu betrachten. Ein seltsamer Text und – –.«

Er horchte einen Augenblick auf das Lied der Bauernwache.

»Und da die Melodie dazu.

Da haben die Deutschen ihren Faust; und auch die Engländer haben so ein Buch. – Bei uns weiß das jeder Bauer. Es ist wie eine Ahnung, die über ihn kommt, was das Leben ist.

Was macht unser Volk so melancholisch?

Die Ebene.

Sie gießt sich aus wie das Meer und wogt im Winde wie das Meer. Der Himmel taucht in sie – wie in das Meer – sie umgibt den Menschen schweigend wie die Unendlichkeit; fremd wie die Natur.

Er möchte zu ihr sprechen und von ihr Antwort bekommen. Wie ein Schrei des Schmerzes entringt sich das Lied seiner Brust und stirbt unbeantwortet wie ein Seufzer.

Da ist es dem Menschen so seltsam. Gehört er nicht zu ihr? Hat sie ihn nicht geschaffen? hat sie ihn unterworfen nur? – hat er sie verlassen? stößt sie ihn von sich?

Sie gibt ihm keine Antwort.

Aus seinem Grabe wächst ein Baum; Sperlinge schreien auf den Aesten – soll das eine Antwort sein?

Er sieht den Ameisen zu, wie sie in langen Karawanen, mit Eiern beladen, durch den warmen Sand ziehen und zurück; da hat er seine Welt. – Ein Wimmeln auf dem kleinsten Raum, ein rastloses Bemühen um – Nichts. Er fühlt sich verlassen, ihm ist als könnte er jeden Augenblick vergessen, daß er lebt.

Da spricht im Weibe die Natur zu ihm: »Du bist mein Kind. Du fürchtest mich wie den Tod, aber hier bin ich wie du. Küsse mich! Ich liebe dich, komm, schaffe mit an dem Räthsel des Lebens, das dich ängstigt. Komm! ich liebe dich!« –

Er schwieg eine Weile. Dann fuhr er fort.

»Ich und Nikolaja, wie glücklich waren wir. Wenn die Eltern kamen oder die Nachbaren, da hätten Sie sehen sollen, wie sie kommandirte im Haus und Alles gehorchte ihr. Die Dienstleute duckten so wie die Enten auf dem Wasser, wenn sie nur auf sie hinsah. Einmal wirft mein junger Kosak ein Dutzend Teller hin. Trägt sie richtig bis an das Kinn hinauf, wirft sie hin; mein Weib die Peitsche vom Nagel. Nun – wenn die Herrin ihn peitscht, sagt er, will er täglich ein Dutzend Teller zerbrechen – verstehen Sie; und beide fangen an zu lachen.

Da kamen auch die Nachbaren.

Zu mir waren sie alle heiligen Zeiten gekommen, das heißt etwa zu Ostern auf ein Geweihtes, aber jetzt suchten sie es etwa gut zu machen. Alle kamen sie, sag’ ich Ihnen.

Da war der pensionirte Leutnant Mack, er kannte den Schiller auswendig, war aber sonst ein guter Mensch. Es war nur das Unglück mit ihm, daß er gerne trank. Wissen Sie, nicht daß er etwa so besoffen wurde und man ihn unter das Sopha werfen konnte. Was meinen Sie, da stellte er sich Ihnen mitten in das Zimmer der kleine dicke rothe Kerl und deklamirte Ihnen allenfalls den Kampf mit dem Drachen und wenn er nüchtern war – bedenken Sie – erzählte er uns so die ganzen französischen Kriege. Sagen Sie selbst, was war da zu machen.

Dann kam der Baron Schebicki. Kennen Sie ihn nicht? – Eigentlich hieß der Alte Schebig, Salomon Schebig. War ein Jude, ging mit dem Bündel, kaufte und verkaufte, machte den Lieferanten für das Aerar, kaufte ein Gut und nannte sich Schebigstein. Heißt einer Lichtenstein, sagte er, warum soll ich nicht heißen Schebigstein? Und der Sohn wurde Baron und nennt sich Raphael Schebicki. Lacht Ihnen immerfort. Sagen Sie ihm »Erweisen Sie mir die Ehre mich zu besuchen;« – lacht er so und sagen Sie ihm »Belieben da ist die Thüre Paschol!« – lacht er auch so. Und jeder hübschen Frau will er gleich Kleider bringen von Brody und einen Shawl von Paris; trinkt immer nur Wasser, geht täglich ins Dampfbad, trägt eine große goldene Kette auf der rothen Sammetweste und macht immer das Kreuz vor der Suppe und nach Tisch.

Dann der Edelmann Domboski; ein langer Pole mit rothen Augen, schwermüthigem Schnurrbart und leeren Taschen; der immer für die armen Emigranten sammelt, jeden den er das zweitemal sieht ungestüm an sein Herz drückt und zärtlich küßt; wenn er ein Glas zu viel hat ungezählte Thränen vergießt, »Noch ist Polen nicht verloren« singt, jeden einzeln unter den Arm nimmt, um ihm die ganze polnische Verschwörung anzuvertrauen; wenn er endlich lustig ist, ein »Vivat, lieben wir uns!« ausbringt und aus den schmutzigen Schuhen der Frauen trinkt.