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Über dieses Buch:

1718, Karibische Inseln. Die junge Skye Kinsdale ist auf dem Weg von England in die amerikanischen Kolonien: Ihr Vater zwingt sie, dort einen Mann zu heiraten, den sie noch nie zuvor gesehen hat. Doch dann wird ihr Schiff von dem berüchtigten Piraten Silver Hawk gekapert. Vom ersten Moment an will der stürmische Freibeuter die stolze Lady seinem Willen unterwerfen – wird die eigensinnige Skye ihm widerstehen können? Denn auch sie fühlt sich durch seine raue Männlichkeit und seinen Charme unwiderstehlich zu ihm hingezogen. So entspinnt sich ein ebenso verführerisches wie gefährliches Spiel auf hoher See, in dem schon bald nicht mehr klar ist, wer eigentlich wen gefangen hält …

Über die Autorin:

Heather Graham wurde 1953 geboren. Die New-York-Times-Bestseller-Autorin hat über zweihundert Romane und Novellen verfasst, die in über dreißig Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Heather Graham lebt mit ihrer Familie in Florida.

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eBook-Neuausgabe Juni 2019

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1989 Heather Graham

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1989 unter dem Titel »A Pirate’s Pleasure« bei Dell.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1991 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Daniel Eskridge und Period Images Mary Chronis Dunraven Productions

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (cg)

ISBN 978-3-96148-837-7

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Heather Graham

Die Geliebte des Freibeuters

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Eva Malsch

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PROLOG

4. April, 1718
Cameron Hall, Tidewater, Virginia

»PIRATEN! GOTTVERDAMMTE PIRATEN!«

Der Ruf verscheuchte die trügerische Heiterkeit des Abends. Über dem James River ging die Sonne unter. Orangerotes und gelbes Licht fiel auf moosbewachsene Eichen und die sanft abfallende Grasböschung am Flußufer. Irgendjemand summte bei der Arbeit vor sich hin, die Vögel sangen melodische Lieder.

»Piraten! Piraten!«

Alexander Spotswood, Gouverneur von Virginia, schlug wütend auf das polierte Tischchen, das auf der Veranda neben seinem Sessel stand. Lässig lehnte Lord Cameron an einem massiven Pfeiler, beobachtete seinen Freund und lächelte schief. Alexander war besessen. Der kluge, attraktive Mann war bei den Koloniebewohnern sehr beliebt, bei Damen und Herren gleichermaßen und nicht zuletzt auch bei den Dienstmädchen. Trotz seines Zorns wirkte er aristokratisch, von der gepflegten weißen Perücke über den pfirsichfarbenen Brokatrock und die senfgelben Kniehosen bis zu den feinen Schuhen mit den Silberschnallen. Allerdings fehlte ihm in diesem Augenblick die übliche Redegewandtheit. War er nur noch auf ein einziges Wort fixiert?

»Piraten! Piraten!« wiederholte Spotswood, schlug aber nicht mehr auf den Tisch und zog es statt dessen vor, sein Sherryglas zu retten, das der kraftvolle Fausthieb gefährlich nahe an den Rand befördert hatte. »Piraten! Piraten! Piraten! Die werden mich noch umbringen.« Mit schmalen Augen starrte er seinen Gastgeber Petroc Cameron an, Lord Cameron von Cameron Hall, den Freunde und Verwandte ›Roc‹ nannten. Der hochgewachsene junge Mann mit den markanten Gesichtszügen besaß eine gebieterische Ausstrahlung und wohin immer er ging, zog er respektvolle Blicke auf sich. Wie so viele Camerons hatte er scharfe graue Augen, die bei einer gewissen Beleuchtung silbrig funkelten. Meistens weigerte er sich, eine Perücke zu tragen. Im Schein der untergehenden Sonne schimmerte sein dunkles Haar schwarz wie Jettperlen.

Obwohl er jetzt träge am Pfeiler lehnte, als er auf den Fluß blickte, war ihm eine energische Vitalität anzumerken, die seine Nonchalance Lügen strafte. Seine Augen spiegelten Humor wider, aber auch wilde Kühnheit. Er pflegte jede Herausforderung anzunehmen. »Du kannst sie nicht allein bekämpfen«, erklärte er seinem Freund. »Aber wir werden unser Bestes tun, um sie an den Galgen zu bringen.«

»Pah!« protestierte Spotswood ungeduldig. »Am liebsten würde ich sie alle im Hafen am Galgen baumeln lassen oder anketten. Ein Pech, daß Galgen und Ketten so viel kosten! Leider kann ich mir ein solches Spektakel nicht leisten.« Er lehnte sich zurück und betrachtete die Flußlandschaft. Cameron Hall war ein schönes Anwesen. Strategisch angelegt, verband es alle Vorzüge eines englischen Landsitzes mit der ursprünglichen Schönheit der Kolonie. Aufgrund des tiefen Gewässers konnten die Schiffe bis zu Camerons Flußhafen fahren. Das Haus wirkte sowohl praktisch als auch elegant. Spotswood war schon mit Rocs Vater befreundet gewesen. Damals hatte er den Bau des Gouverneursgebäudes in Williamsburg geplant und bei seinen Gesprächen mit den Architekten oft an Cameron Hall gedacht. Das Haus war in den späten zwanziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts errichtet worden. Damals hatte es nur aus der Eingangshalle und den Schlafzimmern im Oberstock bestanden. Eine Inschrift auf einem Ziegel im Keller wies auf das Datum hin: »Mit diesen Steinen bauen wir unser Haus im Jahr des Herrn 1627, auf starken Grundfesten. Mit Gottes Hilfe werden unser Haus und unsere Familie der Prüfung der Zeiten standhalten, Jamie und Jassy Cameron.«

Und die Familie hatte tatsächlich gute und schlechte Zeiten überdauert. Alle ältesten Söhne waren Mitglieder des Gouverneursrates gewesen.

»Du kommst sehr gut mit diesen Horden zurecht«, meinte Roc nun.

Verspottete er ihn? Das wußte Spotswood nie. Er zeigte auf die Zeitung, die er vorhin gelesen und dann schwungvoll beiseite geworfen hatte. »Schon wieder ein Artikel von einer sogenannten Ehefrau dieses Edward Thatch, Teach, Tech – wie immer der verdammte Kerl auch heißen mag! Er heiratet eine nach der anderen!«

»Und alle bleiben am Leben und können davon erzählen.«

Der Pirat Teach zog immer größere Aufmerksamkeit auf sich. Wegen der üppigen Behaarung in seinem Gesicht nannte man ihn ›Schwarzbart‹. Angeblich stammte er aus Bristol, war in Königin Annes Krieg gezogen und dann von dem Piraten Hornigold in einem neuen Gewerbe unterrichtet worden, der Räuberei auf hoher See. Doch er zählte keineswegs zu den Schlimmsten seines Kalibers.

»Logan segelt da draußen umher«, fuhr Roc fort. »Und Jack der Einäugige. Die beiden stehlen nicht nur Frachten, sie gehen auch äußerst sorglos mit dem menschlichen Leben um.«

Spotswood nickte langsam, schlang die Finger ineinander und ergänzte: »Und der Silberfalke.«

»Und der Silberfalke«, bestätigte Roc ausdruckslos.

»Wir brauchen neue Kompetenzen«, klagte Spotswood. »Königin Anne ist tot, und dieser Deutsche sitzt auf dem Thron ...«« Als er von Rocs Gelächter unterbrochen wurde, färbten sich seine Wangen hochrot. »Nun, der Mann ist tatsächlich ein Deutscher und beherrscht nicht einmal Englisch! Wie weit wird es mit dieser Welt noch kommen? Piraten machen die Meere unsicher, und wir haben einen König, der nicht einmal die Sprache seines Landes spricht!«

»Besser als ein Papist.« Roc betrachtete sich als Virginier. Er liebte seine Heimat und war trotz seines Adelstitels mit Leib und Seele Farmer, außerdem ein tüchtiger Kaufmann. In der Neuen Welt konnte jeder reich werden, unabhängig von seiner Herkunft, aber nur, wenn er harte Arbeit nicht scheute.

Auch Spotswood liebte Virginia. Aber er war Engländer und von der Krone mit seinem Posten betraut worden. Wenn er auch über den deutschen König schimpfte, er befolgte alle Befehle, die ihn aus England erreichten. 1714 war Königin Anne gestorben, die letzte Stewart-Monarchin. Zuvor hatte die arme Frau so viele Kinder verloren. Und ehe die Engländer Annes Halbbruder, einen Papisten, auf dem Thron akzeptierten, ertrugen sie lieber einen deutschen Protestanten. Die Religionsfrage war nach wie vor heikel. In den Kolonien zeigte man sich in dieser Hinsicht toleranter. Aber auch hier gehörten alle Leute von Stand der anglikanischen Kirche an und hielten sich an die Glaubensregeln.

Spotswood seufzte. Immer neue Plagen! Vor einem Jahrhundert hatten die Indianer den Siedlern das Leben zur Hölle gemacht, und jetzt die Piraten. »Roc ...«, begann er, verstummte aber, als Geräusche aus dem Haus drangen. Die Veranda lag vor der zentralen Eingangshalle, dem Fluß zugewandt, so daß bei starker Hitze eine frische Brise vom Wasser herauf und durch die offene Tür in das Gebäude wehen konnte. Nun erklang eine Donnerstimme, begleitet von schweren Schritten.

Der Gouverneur runzelte die Stirn, und Roc zuckte grinsend die Achseln. »Lord Kínsdale.«

Peter Lumley, Lord Camerons Butler und Kammerdiener, erschien auf der Schwelle. Ärgerlich straffte der kleine, etwa vierzigjährige Mann die Schultern. »Sir, ich sagte seiner Lordschaft, Sie hätten etwas mit Mr. Spotswood zu besprechen, aber er ließ sich nicht abweisen ...«

»Schon gut, Peter.« Roc strich seinen braunen Rock glatt und wartete.

Wenig später trat ein untersetzter Mann mit blauen Augen und schütterem grauen Haar auf die Veranda. »Cameron! Hast du's gehört? Schon wieder Überfälle auf hoher See!« Er hielt eine Ausgabe der Zeitung hoch, die der Gouverneur zu Boden geworfen hatte.

»Ja, Theo, ich hab's gehört«, erwiderte Roc.

Lord Theodore Kinsdale nickte dem Gouverneur zu, der den Gruß erwiderte und dann über dem Kopf des kleinen Mannes dem Blick des Hausherrn begegnete. Beide lächelten. Kinsdale war ein wackerer Mann, der Spotswood in allen Dingen unterstützte und viele fröhliche Feste gab. Er besaß große Zuckerplantagen auf den Inseln, zog es aber vor, in Williamsburg zu leben. Die dreistündige Fahrt nach Cameron Hall war ihm ein Greuel, und da er sie auf sich genommen hatte, mußte er tatsächlich sehr aufgeregt sein. »Alexander, was gedenkst du zu unternehmen?«

Spotswood starrte ihn an. »Ich war keineswegs untätig und habe bereits an der ganzen Küste Schiffe verteilt.«

»Darf ich dir was zu trinken anbieten?« schlug Roc vor.

»Einen Scotch könnte ich tatsächlich vertragen.« Kinsdale sank in einen Korbstuhl und fächelte sich mit einem Tuch Kühlung zu, dann stöhnte er: »Meine Tochter ist losgesegelt.«

»Wann?« fragte Roc.

»Heute.«

Spotswood räusperte sich. »Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß die Piraten ausgerechnet dein Schiff überfallen werden.«

»Oh, doch! Ich bin ein reicher Mann, die Silver Messenger befördert eine kostbare Fracht. Allein die Juwelen sind ein Vermögen wert.« Mit schmalen Augen musterte er Roc, der leicht zusammenzuckte.

Die beiden waren in eine konstante Fehde verstrickt, weil Rocs Vater und Theo ihre Kinder schon bei der Geburt einander versprochen hatten. Roc fand ein solches Arrangement barbarisch. Er wollte sich seine Braut selber aussuchen, zu einem Zeitpunkt, der ihm zusagte. Außerdem hatte ihn ein Gerücht aus England erreicht. Angeblich weigerte sich das Mädchen, ihn zu heiraten. Das ärgerte ihn, wie er sich eingestehen mußte, obwohl er bestimmt nicht sonderlich stolz war, andererseits erleichterte es die Situation erheblich.

»Sicher wird sie wohlbehalten hier ankommen«, versuchte Alexander den besorgten Vater zu beruhigen.

Doch das gelang ihm nicht. Theo sprang auf. »Roc, bitte! Dein Vater war mir so lieb und teuer. Nur du kannst sie schützen. Du hast Freunde unter den Piraten ...«

»Freunde!« rief Roc erbost.

Unglücklich rang Theo die Hände. »Sie ist mein Leben – alles, was mir geblieben ist. Ich habe ihr befohlen, nach Hause zurückzukehren und dich zu heiraten. Also gut, du hast keine Freunde unter den Piraten, aber Verwandte ...«

»Auch keine Verwandten«, widersprach Roc entschieden. Er spürte den aufmerksamen Blick des Gouverneurs und gab seiner Stimme einen warnenden Klang. »Das hört sich beinahe so an, als würde ich mich mit diesen Schurken verbrüdern.«

Belustigt lehnte sich Alexander zurück, und Theo ballte die Hände. »Angeblich ist der Silberfalke ein Cameron.«

»Das ist er nicht!«

»Seine Silberaugen verraten ihn. Und man behauptet auch, er hege einen sonderbaren Respekt vor dem Namen deiner Familie und sei stets bereit, mit dir zu verhandeln. Wenn er deine Schiffe kapert, gibt er sie dir zurück, wenn du ihm eine entsprechende Entschädigung zahlst. Du sollst sogar auf einer Insel gewesen sein, um mit ihm zu reden. Bei Gott, Petroc, du mußt mir helfen!«

Seufzend breitete Roc die Arme aus. »Dieser Pirat stammt vielleicht von einem Cameron-Bastard ab, und deshalb mag er deine Kehle lieber durchschneiden als meine. Was willst du von mir?«

Theo zögerte einige Sekunden lang, dann zog er eine Schriftrolle aus der Tasche. »Heirate sie. Sofort.«

»Was?« stieß Roc ungläubig hervor.

»Heirate meine Tochter und erfülle das Versprechen, das du deinem Vater auf seinem Totenbett gegeben hast.«

»Sie ist ja nicht einmal hier ...«

»Ich habe alle nötigen Papiere für eine Ferntrauung, und sie hat ihre Unterschrift geleistet. Sie weiß zwar nicht, was da unterzeichnet wurde, aber trotzdem hat alles seine Richtigkeit. Du mußt sie auf der Stelle heiraten.«

»Warum?«

»Weil der Silberfalke dein Vetter ist. Und weil er meinem Schiff und meiner Tochter begegnen könnte. Selbst wenn er sie nicht trifft – viele andere Piraten werden seine Verwandtschaft mit dir respektieren und dieses Schiff nicht kapern, aus Angst vor seiner Rache.«

»Das ist doch verrückt.«

»Nein! Cameron, du verstehst das nicht!« Theos Stimme zitterte, er war leichenblaß geworden. »Es ist das Dunkel – sie kann das Dunkel nicht ertragen.«

Verlor der Mann den Verstand? Normalerweise neigte Roc nicht zur Unhöflichkeit, aber nun warf er die Arme hoch, wandte sich ab und ging den Hang zum Fluß hinab. Er starrte auf sein Schiff, die mit Kanonen bestückte Schaluppe Lady Elena, nach seiner Mutter genannt. Bald würde es an der Zeit sein, wieder die Segel zu setzen. Sehr bald.

Er holte tief Luft und eilte zur Ostseite des Hauses. Dort standen die Nebengebäude, hübsche Cottages für die Dienstboten, die Räucherkammer, die Küche, die Stallungen, die Schmiede, die Böttcherwerkstatt, die Wäscherei. Dahinter, von Bäumen abgeschirmt, lag der Friedhof, den Roc nun aufsuchte. Nahe dem neuen Zaun waren seine Eltern und ein kleines Kind begraben, etwas weiter entfernt die anderen Camerons der letzten hundert Jahre.

Kurz vor seinem Tod hatte der Vater die Schiefergrabmäler neu abschleifen lassen. Sie erhoben sich über den letzten Ruhestätten der Urgroßeltern, Jassy und Jamie. Er berührte den kühlen Stein und dachte an die beiden. Sie waren hierhergekommen, um eine Dynastie zu gründen, und die Familie hatte Bestand. Im Kampf gegen die Indianer waren sie letztlich Sieger geblieben, und nicht einmal der verheerende Angriff von 1622 hatte sie vertrieben. Ihre Erben bevölkerten einen Großteil Virginias. Und die Carolinas und New York und die Oststaaten, dachte Roc amüsiert.

Dann erstarb sein Lächeln. Er verließ den Friedhof und kehrte zum Haus zurück. Spotswood und Kinsdale saßen nicht mehr auf der Veranda, ihre Stimmen drangen aus dem Speisezimmer. Peter würde für das leibliche Wohl der Gäste sorgen, darauf konnte Roc sich verlassen. In der Halle blieb er zögernd stehen, ehe er die breite, geschwungene Treppe zur Ahnengalerie hinaufstieg.

Alle Camerons hatten sich malen lassen, schon Jamie und Jassy. Vor den Porträts seiner schönen, dunkelhaarigen Mutter mit dem scheuen Lächeln und des stolzen, würdevollen Vaters, dessen merkwürdige Silberaugen der Künstler lebensnah festgehalten hatte, hielt Roc nur kurz inne. Er ging an den Bildern der Großeltern vorbei, und dann erreichte er Jassy.

Man hatte ihm erzählt, sie sei eine Kämpfernatur gewesen. Ihr Blick verriet ein feuriges Temperament, die Lippen lächelten – eine schöne Frau mit feingezeichneten Zügen. Die Augen schienen Roc anzuschauen. Schon als Kind war er von diesem Gemälde fasziniert gewesen und oft hierhergekommen. Dann trat er vor Jamies Porträt – Lord Cameron, stark und jung, voller Selbstbewußtsein. Roc schuldete seinen Großeltern sehr viel. Zahlreiche Camerons lebten in der Neuen und in der Alten Welt, aber er war der Erbe. Jassys Blick schien ihn daran zu erinnern.

»Also gut, Mylady«, sagte er leise, »ich weiß, ich bin längst ein Mann, mit meinen dreißig Jahren. Und vielleicht habe ich bisher mein Schicksal zu leichtsinnig herausgefordert und sollte seßhaft werden. Aber – verstehst du – ich will mir die Mutter meiner Kinder selbst aussuchen. Das Mädchen könnte schielen oder irgendeine gräßliche Krankheit ins Haus schleppen. Oder womöglich ist sie dem Wahnsinn verfallen ...«

Er verstummte und blickte die Galerie entlang. Für jeden Cameron, dessen Bild hier hing, war die Ehe heilig gewesen. Seufzend stemmte Roc die Hände in die Hüften und schlenderte wieder zu den Porträts seiner Eltern. »Ich bin dagegen, Sir. Ganz und gar dagegen. Du hast mich gelehrt, stets nach meinem eigenen Gutdünken zu handeln, und mir dann auf dem Totenbett dieses Versprechen abgenommen. Nur damit es keine Mißverständnisse gibt, ich protestierte gegen diese Ehe. Aber ...« Er schluckte. »Aber ich werde deinen Wunsch erfüllen, Vater, und mein Bestes für dieses Mädchen tun.« Bevor er davonging, drohte er dem Gemälde mit dem Finger. »Wehe, wenn sie schielt oder einen Buckel hat, Sir!«

Als er ins Speisezimmer stürmte, sahen Spotswood und Kinsdale verwirrt von ihrem schmackhaften Rehbraten auf. »Also gut, ich bin einverstanden«, verkündete Roc.

»Peter! Peter!« Erregt sprang Kinsdale auf. »Laufen Sie sofort zum Pfarrhaus und holen Sie Reverend Martin! Und seine Tochter Mary! Die soll Skye vertreten.«

Roc nickte. »Tun Sie das, Peter.« Zum Gouverneur gewandt, fuhr er fort: »Würdest du als Trauzeuge fungieren, Alexander?«

»Sicher, wenn Theos Papiere in Ordnung sind und es dein Wunsch ist.«

»Es ist mein Wunsch.«

Betrübt starrte Spotswood auf den Tisch. »Schade um das köstliche Essen ...«

Wenig später eilte ein atemloser Reverend Martin mit seiner errötenden Tochter herein. Die zeremoniellen Worte wurden gesprochen, die Papiere unterzeichnet.

Das Dinner interessierte Kinsdale nicht mehr, der Zweck seines Besuchs war erfüllt. »Alle sollen erfahren, daß du sie geheiratet hast. Der Name Cameron wird sie schützen.«

»Theo ...« Roc versuchte ihn zurückzuhalten, aber sein Schwiegervater hatte es eilig und beauftragte Peter, den Kutscher und den Kammerdiener zu rufen, da er noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause fahren wollte. »Theo, hör doch! Auf offener See gibt es keine Garantien. Verstehst du denn nicht, Mann ...«

Kinsdale umklammerte seine Hände. »Vielen Dank, und vergiß nicht – sie fürchtet die Finsternis mehr als alles andere. Bewahre sie davor! Ich habe ein Medaillon mit ihrem Bild auf den Tisch gelegt.«

Resignierend begleitete Lord Cameron seinen Gast zur Tür. Der Wagen wartete bereits, Laternen hingen am Baldachin über dem Kutschbock.

»Mein Junge, ich vertraue auf Gott den Allmächtigen, auf deinen Namen und deine Ehre.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, stieg Kinsdale ein und fuhr davon.

Roc kehrte ins Speisezimmer zurück, wo man Spotswood eine aufgewärmte Portion Rehbraten serviert hatte. »Komm und iß!« rief der Gouverneur. »Das ist dein Hochzeitsmahl.« Er hielt das Medaillon in der Hand, und sein Freund lachte gequält. »Willst du deine junge Frau nicht sehen?«

»Schielt sie?«

»Nein, sie ist sehr schön.«

»Das kannst du dieser Miniatur entnehmen?«

Spotswood ließ das Medaillon zuschnappen und steckte es ein. »Ich kenne die Lady. Seit dieser Begegnung sind einige Jahre verstrichen, aber das Kind hat vielversprechend ausgesehen.«

»Wie erfreulich«, murmelte Roc düster.

»Sie besitzt einen eisernen Willen, mein Lieber, und ein lebhaftes Temperament, ist mutig und intelligent und ...«

»Sie wird hier ankommen und sich um ihren eigenen Kram kümmern«, fiel Roc dem Gouverneur tonlos ins Wort. »Und ich befasse mich mit meinen Angelegenheiten.«

Lächelnd schaute Spotswood auf seinen Teller. »Das bezweifle ich.«

»Wie bitte?«

»Es scheint so, als würdest du früher lossegeln als erwartet.«

»So scheint es.« Lord Cameron goß sich einen Whisky ein. »Auf meinen Vetter, Gouverneur! Auf den Silberfalken! Auf daß unsere Verhandlungen zu einem günstigen Ergebnis gelangen.«

»Auf den Silberfalken.« Spotswood prostete ihm zu.

Mit einem Knall stellte Roc sein Glas auf den Tisch und verließ das Zimmer. Nur mühsam hielt er seine Wut in Zaum. Gouverneur Alexander Spotswood senkte seinen Drink etwas langsamer, zog das Medaillon hervor und öffnete es. Bewundernd musterte er das schöne, zarte Gesicht. »Und auf dich, Lady Cameron«, flüsterte er. »Ich freue mich auf deine Heimkehr, Skye, und würde gern die Funken fliegen sehen, wenn du deinen Mann kennenlernst! Wäre ich nicht der Gouverneur, ich würde selber Segel setzen, denn das wird bestimmt ein faszinierendes Abenteuer.«

Er schloß das Medaillon und hätte es beinahe auf dem Tisch zurückgelassen. Kinsdale hatte es immerhin für Roc Cameron hinterlegt. Doch dann grinste Spotswood boshaft und steckte es wieder ein. Sollte er doch glauben, seine Frau würde schielen ...

Langsam erlosch sein Lächeln. Die Piraten würden Lord Kinsdales Schiff verfolgen, wenn sie erfuhren, daß es ausgelaufen war. Nicht nur die Tochter, eine wertvolle Geisel, war an Bord, sondern auch ihr persönliches Eigentum und vermutlich noch einiges mehr. Natürlich, sie könnte den Ozean unbeschadet überqueren – doch das war zweifelhaft. In welch einem beklagenswerten Zustand sich die Welt befand ...

»Diese verdammten Piraten!« fluchte er zornig.

In der Tat eine traurige Welt. Piraten machten die Küsten unsicher, ein Deutscher saß auf dem englischen Thron.

Er klopfte auf die Truhe, in der er das Medaillon verwahrte. »Nimm dich in acht, Mylady«, murmelte er. »Ich fürchte, für dich hat der Gewittersturm bereits begonnen.«

Kapitel 1

9. Juli 1718
Auf dem Atlantik

»DIE SCHWARZE PIRATENFLAGGE! Die Totenkopfflagge kommt auf uns zu!«

Skye Kinsdale erreichte gerade rechtzeitig das Ruder, um den Ruf zu hören, den der Mann im Ausguck voller Angst hervorstieß. Sie taumelte auf den heftig schwankenden Planken, ein Blitz zerriß die dunklen Wolken und beleuchtete das Schiff, das der Silver Messenger wie ein gespenstisches Echo durch die Nacht folgte. Mühsam trimmte die Besatzung die Segel, um den Sturm zu bekämpfen, der den Atlantik heimsuchte. Und nun drohte eine weitere Gefahr, als das Geisterschiff seine wahre Flagge offenbarte – ausgebleichte Gebeine vor dem schwarzen Hintergrund ewiger Nacht.

»Kapitän! Die schwarze Piratenflagge!« wiederholte der Beobachtungsposten.

»Der Totenkopf und die gekreuzten Gebeine«, sagte Skye bestürzt. Sie stand nun neben Kapitän Holmby, und der unglückliche Ausluger, der hoch oben im Krähennest saß, starrte auf sie herab – Davy O'Day aus County Cork, erst kürzlich auf dem Schiff ihres Vaters angeheuert. Beim Anblick ihres feurig-goldenen Haares, ihrer feinen, schönen Gesichtszüge und der leuchtenden, aquamarinblauen Augen schwand die Furcht um seine eigene Haut. Der Wind peitschte den weiten Umhang eng an ihre wohlgeformte Gestalt und ließ die Locken tanzen. Ob sie in Gefahr schwebte oder sich ihres Lebens freute – stets schien sie zu vibrieren vor Vitalität, als wäre sie ein Teil der Elemente, die nun das Schiff umtosten.

Seit Davy zum erstenmal einen Fuß an Bord gesetzt hatte, betete er sie an. Lachend und fröhlich, aber immer damenhaft, interessierte sie sich für alles in ihrer Umgebung. Er liebte sie so heiß, wie ein kleiner, irischer Junge das vermochte, und nun gelobte er, sie unter Einsatz seines Lebens zu retten. Piraten! Heilige Mutter Gottes!

Ungeduldig schaute Holmby zu ihm herauf. Davy fand seine Sprache wieder und fragte sich, ob der Kapitän ihn verstanden hatte. »Die Totenkopfflagge, Sir! Ein Piratenschiff! Wir werden angegriffen!«

»Ja, ich weiß, mein Junge. Mr. Gleason!« rief Holmby seinem Obermaat zu. »Mein Fernglas!«

Ängstlich, aber auch fasziniert, beobachtete Skye, wie der Obermaat vortrat und dem Kapitän das Fernrohr reichte. An diesem Morgen hatte sich das Wetter zusehends verschlechtert, das Schiff stampfte und rollte auf weißen Schaumkronen. Ein starker Unwettergeruch hing in der Luft, ein sonderbares Grau verdunkelte den Himmel, immer kälter und wilder blies der salzhaltige Wind.

An einem solchen Tag mußte man Stürme und den Zorn Gottes fürchten, aber niemand segelte heutzutage über die Meere, ohne auch vor den verdammten Piraten zu bangen, die überall auf dem Atlantik und in der Karibik lauerten. Und Schwarzbart und Anne Bonny, Jack der Einäugige, der Silberfalke und ihresgleichen durften oft genug auf kostbare Beute hoffen.

Doch dies war nicht die richtige Witterung für einen Piratenangriff. Die Schurken, das hatte der Kapitän Skye am Vorabend versichert, attackierten nicht gern, wenn sie nicht nur von Kanonen, sondern auch von König Neptun bedroht wurden. Nein, meinte Holmby, sie würden ungefährdet weitersegeln, mochte das Gewitter auch noch so wütend toben, und die Reise über den Atlantik bald beenden. Sie würde zu ihrem Vater nach Williamsburg zurückkehren und dann dem glücklichen Bräutigam überantwortet werden. Bei diesen Worten hatte er ihr zugezwinkert und, weil er so ein lieber alter Mann war, ein sanftes Lächeln zum Lohn erhalten.

Aber die Frage, ob sie heiraten würde, stand auf einem anderen Blatt. Ihr Vater hatte einen Mann für sie ausgesucht, den sie gar nicht kannte. Sie wußte zwar, daß ein solches Arrangement üblich und schicklich war, doch sie akzeptierte es nicht. Mochten die Camerons die schönste Plantage in Tidewater, Virginia, ihr eigen nennen und Lord Cameron ein großartiger Gentleman sein – Skye betrachtete sich nicht als Gegenstand, um den man feilschen, den man verkaufen oder in Besitz nehmen konnte. Nein, sie beabsichtigte keineswegs, als Braut in Virginia einzutreffen. Irgendwie würde sie der Hochzeit entrinnen.

Aber nicht auf diese Weise! Nicht, indem sie sich von Piraten rauben ließ! Es mußte einen legitimen Weg geben. Skye und ihr Vater standen sich seit dem frühen Tod der Mutter sehr nahe. Stets hatte sie ihren Willen durchgesetzt – bis vor sechs Monaten, wo er zu ihr in die Londoner Schule gekommen war, um zu erklären, sie müsse nach Hause zurückkehren. Sie war so glücklich gewesen. Und dann hatte er ihr mitgeteilt, sie würde heiraten. Natürlich versuchte sie ihn umzustimmen – erst mit sanften Schmeicheleien, dann mit Wutausbrüchen. Aber er beharrte auf seinem Wunsch. Noch bevor sie Gehen gelernt hatte, war irgendein albernes Abkommen geschlossen worden, dem zufolge sie Lord Petroc Cameron ehelichen mußte, und ihr Vater ließ sich nicht zur Vernunft bringen. Sie redete und schrie und stampfte mit dem Fuß auf – es nützte alles nichts. Lord Theodore Kinsdale umarmte sie liebevoll und sagte, nach dem Ende des Semesters in Mrs. Poindexters Schule für feine Damen würde er sie in Williamsburg erwarten. Die erfreuliche Aussicht, Mrs. Poindexter verlassen zu dürfen, hatte sie bewogen, sich vorerst geschlagen zu geben und den Kampf in der Neuen Welt fortzusetzen. Diese Heirat würde ihr erspart bleiben ...

Ja – weil nun ein Piratenschiff geradewegs auf sie zukam.

Plötzlich erhellten gelbrote Flammen den Himmel, die Seeräuber eröffneten das Feuer.

»Jack der Einäugige!« schrie Holmby und zeigte mit dem Fernrohr auf die Verfolger. »Er will uns rammen und entern! Mr. Gleason! Alle Mann an Deck! Zu den Geschützen!«

Das Geschoß traf die Silver Messenger nicht, aber ganz in der Nähe spritzte eine Wasserfontäne hoch, wie von einem riesigen Wal aufgewirbelt.

»Es ist Jack der Einäugige?« Kalte Angst stieg in Skye auf, obwohl sie versuchte, eine tapfere Miene aufzusetzen. Sie hatte Geschichten über diesen Mann gehört. Geiseln nahm er nur, wenn es ihm gerade paßte. Brave Männer streckte er ebenso skrupellos nieder wie er Fliegen erschlug. Und Frauen ... Rasch verdrängte sie diesen Gedanken, sonst würde wilde Panik ihre Vernunft ausschalten, ihre Willenskraft und ihren Kampfgeist lähmen.

»Ja, Jack der Einäugige«, bestätigte Holmby. »Sie sehen die Flagge, Mylady. Sogar seinem Totenschädel fehlt eine Augenhöhle.« Geistesabwesend tätschelte er ihre Hand. »Beidrehen, Mr. Gleason!« Seine blauen Augen richteten sich auf Skye. »Lady Kinsdale, ich lasse Sie jetzt in Ihre Kabine bringen.«

»Aber, Sir ...«

»Nein, besser in meine Kabine. Dort sind Sie in Sicherheit, wenn der Beschuß anhält ...« Er verstummte und schluckte verlegen. »Ich meine nicht ...«

»Sir, ich bin kein Kind mehr.« Auf keinen Fall würde sie tatenlos herumsitzen und sich niedermetzeln lassen, wenn die Heiden an Bord kamen. Sie wußte zu kämpfen, und das würde sie auch tun.

»Komm herunter, Davy!« rief der Kapitän zum Krähennest hinauf. »Bring Lady Kinsdale in meine Kabine!«

»Aye, aye, Sir!« antwortete der Junge und kletterte blitzschnell herab.

»Haben Sie keine Angst, Mylady, wir werden diese Prüfung bestehen.«

»Ich fürchte mich nicht vor der Gefahr, sondern vor der Kabine ...«, begann sie, doch er beachtete sie nicht mehr. Hastig erteilte er dem Obermaat seine Befehle, und dieser gab sie an die Besatzung weiter, überschrie den Lärm des Sturms, der Wellen und der Geschütze, die mit den Donnerschlägen wetteiferten.

»Kommen Sie, Mylady!« Davy ergriff Skyes Hand und rannte mit ihr über das Deck. Sie wichen Seeleuten und verstreuter Takelage aus, dann erreichten sie die Tür zur Kapitänskajüte.

Der Raum war elegant eingerichtet, mit einem großen Schreibtisch aus Eichenholz, Damastvorhängen und einer Koje, von Bücherregalen umgeben. Auf der Tischplatte stand immer noch das hübsche, für den Kapitän reservierte Teeservice. Vermutlich hatte er gerade Tee getrunken, als er wegen des Gewitters und der Annäherung eines unbekannten Schiffs an Deck gerufen worden war.

»Gott mit Ihnen, Mylady!« rief Davy. »Später komme ich noch mal vorbei und ...«

»Nein!« protestierte sie mit scharfer Stimme, dann lächelte sie leicht verlegen. Sie würde sich wohl fühlen, solange Licht brannte, solange die Tür nicht verschlossen wurde. »Bitte, Davy, sperr mich nicht ein.«

»Nein, Mylady, wenn Sie's nicht wünschen ...«

»Danke. Geh jetzt. Gott schütze dich.« Als er die Tür hinter sich zuzog, lehnte sie sich dagegen. Sie hörte, wie seine Schritte verklangen, wie der Obermaat die Befehle des Kapitäns brüllte. Plötzlich schrie sie auf. Ein heftiger Ruck ging durch das Schiff, so daß sie gegen den Schreibtisch geschleudert wurde. Klirrend fiel das Porzellan zu Boden. Eine Kanonenkugel mußte das Schiff getroffen haben.

Skye vernahm einen qualvollen Schmerzensschrei, dann wurde die Silver Messenger von neuem erschüttert. Mit dumpfem Krach bohrten sich Enterhaken in das Holz des Rumpfs, wie die gigantischen Fänge eines bösen Ungeheuers.

Sie rieb ihre Schulter an der Stelle, wo sie gegen die Tischkante geprallt war, und richtete sich vorsichtig auf. Der Rock ihres neuen, von Goldfäden durchwirkten Kleids war an einem geschnitzten Tischbein hängengeblieben, und sie riß ihn hastig los. Rauch drang in die Kabine. Rauch vom Kanonenfeuer, das vermutlich mehrere Segel in Brand gesteckt hatte. Schreiende Männer rannten über das Deck, Stahl klirrte, beißender Pulvergestank mischte sich in die grauen Schwaden.

Skye konnte kaum noch atmen. Sie lief zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit. Eisiges Grauen drohte das Blut in ihren Adern zu gefrieren. Direkt vor ihren Füßen lag die Leiche es guten Kapitäns. Seine Besatzung kämpfte immer noch an Deck, aber es war nur zu offensichtlich, daß die Piraten als Sieger aus dieser Schlacht hervorgehen würden. Sie preßte die Hände auf die Ohren, um sie vor dem wilden Lärm zu schützen, und schloß die Lider, in tiefer Trauer um den tapferen Holmby und seine Männer.

Beim Klang weiblicher Stimmen riß sie die Augen wieder auf. Die jungen irischen Dienstmädchen waren in ihrem Quartier entdeckt worden. Bessie kreischte verzweifelt, Tara stieß nur mehr einen halberstickten Laut aus. Und dann sah Skye, wie die beiden Frauen mittschiffs gezerrt wurden, unter das Großsegel. Ringsum ging Holz in Flammen auf, die Scharmützel tobten immer noch. Aber kein galanter Ritter kam den Mädchen zu Hilfe, alle Männer waren in ihre eigenen Kämpfe verstrickt.

»Nein!« flüsterte Skye und biß sich in die Unterlippe.

Aber es gab keine Rettung. Trotz des dunklen Tages und der zuckenden Blitze, trotz des drohenden Regens, des widerwärtigen Gestanks von verkohltem Holz und versengtem Fleisch beschlossen einige Piraten, ihre Lust zu befriedigen. Tara, ein Mädchen mit sanften blauen Augen und schneeweißer Haut, wurde auf die Decksplanken geworfen und gegen einen Wassereimer geschleudert. Keiner der wilden Schurken schien ihren Schmerzensschrei zu hören. Zu viert attackierten sie die beiden Mädchen – ein Junge mit weißblondem Bart, einer mit Zahnlücken, ein Graukopf und ein häßlicher, dunkelhaariger Kerl mit gelbem Gebiß voller Tabakflecken.

Skye schloß die Augen und lehnte sich an den Türrahmen. Sie durfte das nicht zulassen. Aber was konnte sie tun? Gemeine Bestien hatten das Schiff in ihrer Gewalt, das Böse würde über das Gute siegen. Auch sie würde man finden. War es nicht besser, im Kampf zu sterben, als wie eine schwache Füchsin in die Enge getrieben und eingefangen zu werden?

Sie schaute zum Schreibtisch des Kapitäns hinüber. Darüber hingen zwei edle Damaszener Dolche. Gefährlich schlingerte das Schiff, als sollte es vom Meer verschluckt werden.

In einem kurzen Gebet bat sie Gott um Vergebung ihrer vielen Sünden, nicht zuletzt ihres unbezähmbaren Stolzes, dann sprang sie über den Tisch und riß einen Dolch aus der Scheide, die an der Wand befestigt war. Sie fühlte den Stahl in der Hand, schwenkte die Klinge durch die Luft, prüfte das Gewicht. Rasch rannte sie aus der Kabine, ehe der Mut sie verlassen konnte.

In einer Hand hielt sie den Dolch, mit der anderen raffte sie ihre Röcke. Draußen auf dem Deck drang ihr der widerliche Gestank der Schlacht noch stärker in die Nase. So viel verbranntes Fleisch! Zerbrochenes Holz, zerbrochene Glieder, lodernde Segel! Sie schluckte und widerstand der Versuchung, beim Anblick des Kapitäns, dessen Augen leer nach oben starrten, in Ohnmacht zu fallen. Dann straffte sie die Schultern und stieg über den Toten hinweg. Bis jetzt war sie im wilden Getümmel unbemerkt geblieben. Aber sehr bald würde man sie entdecken.

Mutig stürzte sie sich auf die Männer, die Tara und Bessie festhielten. »Laßt sie los!« befahl sie und zückte den Dolch in die Richtung des Graukopf s, der an Taras Rock zerrte.

Er starrte sie an, auch die anderen hielten verblüfft inne. Dann grinste der Graukopf und leckte sich über die Lippen. »Da haben wir ja noch was viel besseres gefunden, Jungs!« Er ließ Taras Rock los und stand auf. »Guten Tag, Mylady. Mein Name ist Samuel, und wir beide werden uns bestimmt ganz ausgezeichnet miteinander amüsieren.«

»Halten Sie den Mund und treten Sie beiseite. Und Sie!« herrschte sie den blonden Jungen an, der die arme Bessie schon beinahe überwältigt hatte. »Stecken Sie Ihre Männlichkeit schleunigst wieder in die Hose, sonst schneide ich sie ab!«

Samuel brach in schallendes Gelächter aus, während der Junge diese Drohung weniger komisch fand. Hastig sprang er auf und zog die Kordel zu, die seine Hose zusammenhielt.

»Eine couragierte Lady!« meinte Samuel vergnügt. »Gebt mir mal ein Schwert. Dieses Vögelchen will ich unbedingt haben.«

»Du mußt sie aber mit uns teilen«, verlangte der Blondschopf.

»Mal sehen, wie die Lady zu kämpfen versteht! Ich finde, diese Beute sollte zuerst mir gehören!« rief eine neue Stimme, und Skye wirbelte herum.

Jack der Einäugige brauchte sich nicht vorzustellen. Eine schwarze Binde verdeckte die leere Augenhöhle, ein lüsternes Lächeln entblößte faulige Zähne. Er war ein kleiner, sehniger Mann mit Schnurrbart.

»Ich habe den Kapitän dieses Schiffs getötet!« schrie Sam. »Deshalb steht sie mir zu! Gebt mir ein Schwert!«

»Gut, Sam, du kämpfst mit ihr.« Jack warf ihm eine Waffe zu. »Dann werden wir verhandeln.« Er grinste Skye wieder an, und sie gelobte sich, lieber zu sterben, als von diesem Mann vergewaltigt zu werden. Nun verfluchte sie ihre unbedachte Handlungsweise. Statt Samuel zu warnen, hätte sie ihn einfach erstechen sollen, während er mit Tara beschäftigt gewesen war. Nun würde sie für ihr moralisches Vorgehen bitter bezahlen müssen.

»Sir!« rief sie und ging in Stellung. Ehe sie auf Mrs. Poindexters Schule gegangen war, hatte ihr Vater sie nach Frankreich geschickt und ihr von einem berühmten Fechtmeister Unterricht geben lassen. Samuel war zwar stark und kampferprobt, beherrschte aber keine Finessen. Sie wußte, daß sie ihn besiegen konnte. Und danach? Zwanzig oder fünfzig weitere Piraten mußten abgewehrt werden – oder noch mehr.

»Ich glaube, Sie sind gar keine Lady!« rief Sam, und ein bösartiges Glitzern trat in seine Augen. Jetzt kämpfte er nicht mehr um eine Beute, sondern um sein Leben. Hart prallten die Klingen aufeinander. Er versuchte seine Körperkräfte einzusetzen, aber Skye war zu schnell, parierte und fintierte und entkam seinen zornigen Angriffen. Schließlich sprang sie auf eine umgestürzte verkohlte Segelstange, und als er sein Schwert in ihre Richtung schwang, duckte sie sich blitzschnell, drehte eine Pirouette, und ihr Dolch bohrte sich in den Bauch ihres Gegners. Er stürzte, und nach wenigen Sekunden wurde das wütende Feuer in seinen Augen vom glasigen Eis des Todes verdrängt.

Plötzlich merkte sie, wie still es an Bord geworden war. Nirgends fanden Zweikämpfe statt, die überlebenden Besatzungsmitglieder, von Klingen an den Kehlen in Schach gehalten, starrten Skye ebenso an wie die Piraten. Und dann klatschte Jack der Einäugige in die Hände. Ohne seinen Respekt zu verhehlen, musterte er sie. »Madame, zuletzt werden Sie sich mit mir messen.«

Sie hatte keine Wahl. Den Dolch erhoben, wich sie zum Mast zurück, schaute nach allen Seiten und erwartete den nächsten Gegner. Es war der blonde Junge. Er folgte ihr, spuckte auf die Planken, irgend jemand reichte ihm ein Schwert. »Mylady?« Spöttisch verbeugte er sich. Dann sprang er vor.

Skye hatte leichtes Spiel mit ihm, denn er war bei weitem nicht so kräftig wie sein älterer Kamerad. Bald sah sie Schweißperlen auf seiner Stirn.

»Lady Skye!« Nur für eine Sekunde lenkte Davys Ruf sie vom Kampf ab. Der Junge warnte sie vor einem zweiten Mann, der hinter ihrem Rücken sein Schwert gezogen hatte. Ein Pirat, dessen kahler Schädel von einem roten Tuch umwunden wurde, schlug Davy mit einem Pistolengriff auf den Kopf, und der kleine Ire sank lautlos zu Boden.

Instinktiv näherte sich Skye dem betäubten Jungen. Mit einem weit ausholenden Schwertstreich zerfetzte der Blondschopf ihren Rock. Und sie wich gerade noch rechtzeitig zur Seite, ehe die Stahlspitze ihre Haut treffen konnte.

»Keine Angst, Mylady!« rief der Glatzkopf. »Der Junge ist nicht tot, er schläft nur!«

»Ich wünsche keine Störung mehr!« erklärte Jack der Einäugige. »Falls sie unter der Bettdecke genauso temperamentvoll ist, will ich sie lebend haben.«

Für diese Männer ist dieser Kampf ein Spiel, dachte Skye. Auch Mord und Totschlag werden ein Spiel für sie bleiben, bis sie in ihrem eigenen Blut ertrinken.

»En garde, Monsieur!« forderte sie ihren blonden Gegner auf, und dann stolperte sie vornüber, wie alle anderen. Plötzlich war ein neues Monstrum aus dem Grau des stürmischen Tages aufgetaucht. Das Schiff wurde an der Backbordseite gerammt. Besatzungsmitglieder und Piraten rangen um ihr Gleichgewicht und blickten sich verwirrt um.

Niemand hatte das Schiff herankommen sehen, das scheinbar wie ein Meeresgespenst aus der Tiefe emporgestiegen war.

Wildes Geschrei ertönte, und Skyes Duell war unterbrochen. Ihre Hoffnung, dies könnte die Rettung sein, wurde jedoch rasch enttäuscht. Ein zweites Piratenschiff ...

Musketen flammten auf, gellendes Gebrüll erklang, wieder gruben sich Enterhaken ins Holz, und aus der Takelage sprangen die Neuankömmlinge auf die Decksplanken. Die Schlacht begann von neuem.

»Der Silberfalke!« schrie jemand. »Da oben, im Tauwerk! Legt die Waffen weg, dann wird er euch nicht töten!«

»Pah, du Feigling!« rief ein anderer. »Jack der Einäugige ist mein Kapitän, und ich werde nicht vor dem Silberfalken zu Kreuze kriechen!«

»Seht doch, da ist er!«

Skye vergaß ihren Gegner. Die Waffe gesenkt, starrte sie hinauf.

Und da sah sie ihn, schwarz gekleidet vom Scheitel bis zur Sohle. Das Hemd schien aus schwarzer Seide zu sein, der Rock, silbern durchwirkt, aus Brokat. Die enge Kniehose steckte in schenkelhohen Stiefeln, eine silberne Adlerfeder schmückte den schwarzen Hut. Ein sorgsam gestutzter, schwarzsilberner Bart bedeckte das Kinn, über der Oberlippe wellte sich ein stilvoller schwarzer Schnurrbart. Flink und behende kletterte er an der Takelage herab, landete auf dem Deck, und sobald seine Füße die Planken berührten, war er auch schon in einen Zweikampf verwickelt. »Ergeben Sie sich und überlassen Sie mir die Beute, Messieurs, oder Sie werden sterben!« Seine Stimme glich einem Donnerschlag, der den Himmel herausforderte.

Zunächst leisteten stolze, altgediente Piraten Widerstand, doch sie fielen so schnell, daß Skye kaum einen Kampf beobachten konnte. Aber sie sah die Klinge des Silberfalken aufblitzen, seine geschmeidigen Sprünge, das anmutige Tänzeln. Keiner wagte sich allein an ihn heran. Nur gruppenweise griffen sie ihn an, fanden aber unweigerlich den Tod.

Fasziniert schaute Skye zu, ohne an ihre eigene Gefahr zu denken. Immer mehr Anhänger des Silberfalken kamen auf das zerstörte Schiff, neue Scharmützel wurden ausgefochten.

Schließlich befahl der Silberfalke: »Nehmt einige Besatzungsmitglieder als Geiseln!«

»Falke, ich werde Sie töten!« schrie Jack der Einäugige.

»Ein tapferes Wort, Jack! Lassen Sie ihm die Tat folgen!«

Ringsum prallte Stahl auf Stahl, die Hitze des Gefechts steigerte sich.

Plötzlich stürzte sich der Blondschopf mit wutverzerrtem Gesicht auf Skye, und sie parierte in letzter Sekunde seinen Schwerthieb. Der nächsten Attacke wich sie mit einem Seitensprung aus und stach ihrem Gegner die Spitze ihres Dolchs in den Hals. Blutüberströmt brach er zusammen, und sie schwankte keuchend inmitten der klirrenden Klingen.

Und dann herrschte auf einmal Grabesstille, sogar der Sturm war verstummt. Die drohenden grauen Gewitterwolken, von Pulverdampf und Flammenrauch verstärkt, hoben sich hoch wie künstlicher Nebel auf einer Londoner Bühne, und Skye glaubte, ringsum seltsame Schauspieler zu sehen. Die Besatzung war zur Achterkabine gedrängt worden, die Männer des Silberfalken hielten sie mit Waffengewalt unter Kontrolle. Der zweite Maat stützte den kleinen Davy, der seinen Kopf betastete. Jack der Einäugige würde Skye nie mehr lüstern angrinsen. In einer Blutpfütze lag er vor dem Besanmast.

Und auf der Teakholzbalustrade, die sich bis zum Ruder erstreckte, stand der Silberfalke, eine schwarzbehandschuhte Hand am Schwertgriff, und starrte auf Skye und ihren gefallenen Widersacher. »Bravo, Mylady! Und nun seien Sie ein braves Mädchen und werfen Sie Ihre Waffe weg.«

Offensichtlich hatte er das Schiff gekapert. Aber sie hatte sich der ersten Piratenbande nicht unterworfen, und vor der zweiten würde sie ebensowenig kapitulieren. Als sie den Kopf schüttelte, hob der Silberfalke erneut die Brauen, sprang von der Balustrade und kam auf sie zu. »Sie ergeben sich nicht, Mylady?«

»Niemals«, erwiderte sie leise.

Ein hysterischer Schrei erreichte sie. »Werfen Sie den Dolch weg, Mylady, dann läßt er Sie am Leben!« Dieser Ruf stammte von Bessie, die von einem der Neuankömmlinge festgehalten wurde, einem attraktiven, dunkelhaarigen jungen Piraten. »Heilige Mutter Gottes, Mylady, wenn Sie's tun, wird er uns schonen ...«

»Still, Mädchen!« Der Bursche brachte sie zum Schweigen, indem er sie in die Rippen kniff. »Was sollen wir mit diesen Weibern machen, Kapitän?«

»Was Sie wollen, Robert«, antwortete der Silberfalke, ohne Skye aus den Augen zu lassen.

Lauter Jubel brach aus. Plötzlich befreite sich der kleine Davy vom Griff des zweiten Maats und stürmte zum Silberfalken, der sich so schnell wie ein Tiger bewegte und sein Schwert hob. Der Junge würde sterben, das wußte Skye.

»Nein!« rief sie und warf sich zwischen den Piraten und Davy. Sie prallte mit dem kleinen Iren zusammen, und beide stürzten auf die Planken. In einem Durcheinander aus Röcken und Unterröcken rappelte sie sich auf und ignorierte die hilfreiche Hand, die ihr der Silberfalke entgegenstreckte. Den Dolch hatte sie nicht losgelassen. Nun wich sie zurück, die Schneide gezückt.

Lachend verneigte er sich. »Wie Sie wünschen, Mylady.« Gebieterisch hob er sein Schwert. »Jemand soll den Kleinen wegholen! Er scheint seiner Lady eine geradezu idiotische Loyalität entgegenzubringen, und ich möchte mich nicht gezwungen sehen, ihn zu töten.«

Ein Mann zerrte Davy davon, der sich erbittert wehrte, aber Skye konnte nicht mehr auf ihn achten. Das Schwert des Silberfalken blitzte auf, die Klingen trafen sich. Der stählerne Zusammenprall war grauenvoll, und sie konnte den Griff ihres Dolchs kaum festhalten. Sie hatte den Tod herausgefordert. Gegen diesen Mann vermochte sie sich nicht zu behaupten. Aber wenn sie nicht kämpfte – erwartete sie dann nicht ein noch schlimmeres Schicksal als das Ende ihres Lebens?

»Mylady ...« Er trat ein wenig zurück und erlaubte ihr, den Dolchgriff fester zu umfassen.

»Sir ...« Sie ging wieder in Stellung.

Der dunkelhaarige Mann, der Bessie festhielt, warf sie in die Arme eines anderen und sprang vor. »Kapitän, die Lady ist im Nachteil! Ihre Röcke behindern sie!«

»Schneiden Sie das Zeug runter, Robert«, befahl der Silberfalke.

Beinahe hätte Skye aufgeschrien. Der hübsche junge Pirat schwang sein Schwert hoch, Röcke und Unterrücke wurden ihr vom Körper gerissen, bis sie nur noch in der Unterhose dastand, die von den Resten ihres zerfetzten Kleids kaum verhüllt wurde. Das Blut stieg ihr in die Wangen, aber sie reckte das Kinn hoch, ohne auf ihre demütigende Blöße hinabzublicken. Nun mußte sie sich an ihren Stolz und ihren Mut klammern, denn sie waren alles, was sie noch hatte.

»Mylady?«

»Ich bin bereit, Sir.«

»Ich warte auf Ihren Angriff, Lady ...«

»Kinsdale.«

»Kinsdale!«

Der Name schien ihn zu überraschen, und sie nutzte seine momentane Verwirrung, um zu attackieren. Geschickt parierte er den Hieb, wich zur Balustrade zurück und sprang hinauf. Sie folgte ihm, und dann merkte sie, daß er ihre Angriffe nicht erwiderte, sondern nur abwehrte. Und dabei beobachtete er sie mit silbergrauen Augen, die seiner Schwertklinge und dem stürmischen Meer glichen.

Lachend applaudierten die Piraten, und Skye erkannte, daß es kein Entrinnen gab – nicht einmal im unwahrscheinlichen Fall, daß sie diesen Kampf als Siegerin beenden würde. Doch das alles schien keine Rolle mehr zu spielen. Ihr erschöpfter Arm fühlte sich wie Blei an, das stählerne Klirren vibrierte in ihrem ganzen Körper. Verbissen attackierte sie, immer schneller, suchte nach einer Schwachstelle ihres Gegners. Aber die gab es nicht. Gelassen parierte er jeden Hieb, und dabei lächelte er sogar. Aber je klarer sie erkannte, daß sie das Duell unmöglich gewinnen konnte, desto vehementer kämpfte sie.

»Passen Sie auf, Falke! Angeblich versteht sie es, den kostbarsten Teil eines Mannes zu bedrohen!« scherzte ein Pirat.

»Mit einer Fistelstimme kann ich mir den Kapitän nun wirklich nicht vorstellen«, spottete ein anderer.

»Vorsicht, Falke, sie ist zu allem entschlossen!«