Anni Lechner

Die Liebe sucht sich ihren Weg
Über mein Leben entscheide ich selbst
Des Lebens verworrene Wege

Anni Lechner: Band 15, Die Liebe sucht sich ihren Weg ... und zwei weitere spannende Romane

Copyright © by Anni Lechner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.

Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag

Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

ISBN 978-3-95912-222-1

Die Liebe sucht sich ihren Weg

"Grüß dich, Tante Lydia. Wo hat's denn dir die Petersilie verhagelt?", rief Evi verwundert. Ihre Tante saß nämlich wie ein Häuflein Elend in ihrem kleinen Laden und blickte nicht einmal auf, als sie durch die Tür hereinkam.

Lydia Kleewein hob verwundert den Kopf. "Du bist es, Evi. Wo kommst denn du her?"

"Du bist ja gut", platzte Evi heraus. "Du hast mich doch eingeladen, nach der Schule für ein paar Wochen zu dir zu kommen. Gestern war die Abschlussprüfung und heut bin ich da."

"Es tut mir leid, Evi. Das hab ich ganz vergessen gehabt", klang es kläglich zurück. "Aber komm erst einmal ins Wohnzimmer. Ich richt dir eine kleine Brotzeit her."

"Aber ned, bevor du mir sagst, warum du ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter machst."

"Ich muss meinen Laden aufgeben", erklärte Lydia traurig.

"Was musst du?" So weit Evi zurückdenken konnte, war Tante Lydias kleiner Kramladen ein Teil ihres Lebens gewesen. Als Kind hatte sie oft ihre Ferien hier verbracht und dabei im Laden ausgeholfen. Sie war daher entsetzt, weil ihre Tante vom Aufhören sprach.

"Ja, wie kommst du denn auf diese Idee?", fragte sie nach.

"Seit der neue Supermarkt in Wolfsberg aufgemacht hat, mach ich keinen Umsatz mehr", seufzte die Tante bedrückt.

"Als wenn die Herrnrieder je nach Wolfsberg zum Einkaufen fahren würden", rief Evi verblüfft. "Mein Gott, wir haben ja schon als Kinder Spottlieder auf die da drüben gesungen."

"Die Zeiten haben sich geändert, Evi. Die alten Vorurteile gelten nimmer. Einesteils ist's ja gut so. Zum andern fahren die Herrnrieder jetzt doch nach Wolfsberg zum Einkaufen."

"Damit sie sich im Monat ein paar Euro sparen können. Pfui Teifi, kann ich da bloß sagen. Schließlich haben ja schon ihre Großeltern bei den deinen eingekauft. Also, ich kann das ned glauben." Evi schüttelte vehement den Kopf. Der Blick ihrer Tante sagte ihr jedoch, dass es so war.

Da bin ich ja grad noch rechtzeitig gekommen, um der Tante beizustehen, dachte Evi, als Lydia müde wie eine alte Frau aufstand und sie in die hinter dem Laden liegenden Privaträume führte. Eine Viertelstunde später saßen sie im altmodisch-heimeligen Wohnzimmer der Tante, tranken Kaffee und aßen Rhabarberkuchen. Lydia Kleewein wirkte jetzt doch um einiges munterer als vorhin und brachte es sogar fertig, über ein paar spaßhafte Bemerkungen ihrer Nichte zu lachen.

"Einen Schatz hast du noch ned?", fragte sie zuletzt.

Evi verschluckte sich fast, als sie das hörte, und brauchte einige Sekunden, bis sie wieder Luft bekam. "Das war jetzt aber wirklich von Linksaußen, Tante Lydia. Wenn ich jetzt erstickt wär, tät auf meinem Grabstein stehen, dass ich durch deine Neugier aus dem Leben gerissen worden bin."

"Das ist aber keine Antwort auf meine Frage", tat Lydia beleidigt.

"Sagen wir's ganz offen. Ich hab keinen Schatz. Wenigstens hat mir kein Bursch lang genug gefallen, dass er dafür in Frage gekommen wär. Ganz im Vertrauen, die meisten, die ich kennengelernt hab, waren solche Deppen, dass ich lieber eine alte Jungfer werd, als mir so einen anzutun."

"So eine alte Jungfer wie ich?" Lydia Kleewein klang ein bisschen verbittert.

"Ich wollt dich ned kränken, Tanterl", rief Evi rasch und strich der ältlichen Frau sanft über die Hände.

"Du hast mich ned gekränkt. Ich hab mir nur gedacht, wenn ich vielleicht doch geheiratet hätt, wär's vielleicht mit dem Geschäft besser geworden. Aber so meckert schon der Kratzl vom Großmarkt, weil ich ihm so wenig abnehme. Und der Bäcker will mir kein Brot mehr herausfahren. Wenn ich aber kein Brot mehr hab, kommt gar keiner mehr in den Laden." Lydia sah aus, als wolle sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.

Zum Glück schlug in dem Moment die Ladenglocke an. "Willst du ned nachschauen, wer da ist?", fragte Evi, als ihre Tante nicht sofort reagierte. Als sich Lydia erhob, folgte sie ihr neugierig in den Laden. Eine hochgewachsene, schlanke Frau wartete neben dem Ladentisch. Sie trug ein geschmackvolles Dirndlkleid, das ihr ausgezeichnet stand. Auch die Haare waren traditionell, aber erstklassig frisiert. Evi wurde fast ein wenig neidisch auf die stolze Gestalt mit dem schmalen, rassigen Gesicht.

"Ich brauch ein Pfund Salz. Das hab ich nämlich in Wolfsberg vergessen", erklärte die Frau, als Lydia Kleewein auf sie zutrat.

Evis Tante schluckte bei diesen Worten und holte dann ein Päckchen Salz aus dem Regal. "Macht einen Euro", erklärte sie, als sie es der anderen reichte.

"In Wolfsberg wär's zwanzig Cent billiger gewesen", erwiderte diese mit gerümpfter Nase.

"Dann musst du halt noch einmal hinfahren und es dort holen", fuhr ihr Evi über den Mund. Die andere schnaufte empört und verließ mit hochgeworfenem Kopf den Laden. Sekunden später fuhr sie mit einem durchaus stattlichen Auto los. Durch die Heckscheibe sahen Evi und Lydia etliche vollgepackte Einkaufstüten mit dem Logo einer bekannten Supermarktkette.

"Wer war denn die Habergeiß?", fragte Evi angefressen.

"Hast du sie denn ned erkannt?", wunderte sich ihre Tante. "Das war die Malz Roswitha. Ihre Eltern haben einen großen Einödhof zwei Kilometer außerhalb von Herrnried."

"Bei dem kleinen See neben dem Wald, wo wir als Kinder immer schwimmen gegangen sind?"

"Nein, das ist der Herrschingerhof. Zum Malz biegt man ein paar hundert Meter vorher ab", berichtigte sie Lydia. "Dass du die Roswitha nimmer kennst. Schließlich seid ihr doch fast im selben Alter und habt früher oft miteinander gespielt."

"Da hat sie noch ein bisserl anders ausgeschaut als jetzt. Aber du hast schon recht, an ihrem Zinken hätt ich sie eigentlich erkennen müssen", erwiderte Evi gehässig. „Ich hätt nie denkt, dass sie einmal so eine überspannte Geiß wird."

"Die Roswitha ist halt einmal die beste Partie in der Gemeinde. Außerdem schaut sie sehr gut aus. So was kann einem Madl schon zu Kopf steigen."

"Also, mir ned", meinte Evi kopfschüttelnd. "Dabei bin ich gewiss ned hässlich."

Evi war wirklich ein ausnehmend hübsches Mädchen, fand Lydia. Nicht ganz so groß wie Roswitha, die auf ihre eins achtzig zuging, dafür aber mit einer Figur, die ebenso gut in Jeans und T-Shirt wie in ein Dirndlkleid passte. Das lange, blonde Haar trug Evi offen und aus ihrem ebenmäßigen Gesicht blickten zwei große blaue Augen ein wenig spöttisch in die Welt. Einesteils war es für Lydia ein Wunder, dass ihre Nichte noch keinen festen Freund gefunden hatte. Andererseits brauchte es schon einen ganzen Kerl, um neben diesem selbstbewussten Persönchen bestehen zu können.

"Irgendwas müssen wir zwei unternehmen, damit's mit deinem Geschäft wieder aufwärtsgeht", riss Evis Stimme Lydia aus ihren Gedanken heraus.

"Ich glaub ned, dass wir da noch viel ändern können", erwiderte sie zweifelnd.

"Aber ich", gab ihre Nichte unverwüstlich zurück.

*

Als Roswitha die Abzweigung erreichte, die zum elterlichen Hof führte, bog sie nicht ab, sondern fuhr geradeaus weiter. Nach wenigen hundert Metern kam sie an einem kleinen See vorbei. Nicht weit dahinter stand ein großer Vierkanthof breit behäbig zwischen wohl bestellten Feldern. Er war Roswithas Ziel.

Ein älterer Mann steckte den Kopf aus der Stalltür heraus, als Roswitha ihren Wagen in den Innenhof lenkte, und zog ihn mit einem ärgerlichen Schnauben wieder zurück. "Bauer, du hast Besuch", bellte er nach hinten.

"Ich komm ja schon!" Simon Herrschinger klopfte der Kuh, die er eben abgebürstet hatte, auf die Kruppe und verließ den Stall. In seiner abgetragenen blauen Arbeitskluft wirkte er wie ein Knecht und nicht wie der Besitzer des großen Hofes.

Roswitha musterte ihn stirnrunzelnd und schüttelte den Kopf. "Es wird wirklich Zeit, dass eine Bäuerin auf deinen Hof kommt. Wenn ich jetzt der Viechhändler wär, müsst ich denken, dir steht das Wasser bis zum Hals, weil du in so alten Klamotten herumläufst.“

Simon wusste, dass sie mit dieser Bäuerin sich selbst meinte. Er hatte auch schon ein paar Mal überlegt, um Roswitha zu werben. Immerhin war sie hübscher als die meisten Mädchen hier, und sie bekam von daheim einen hübschen Batzen als Mitgift. Er wusste jedoch auch, dass sein Herz um keinen Tick schneller schlug, wenn er sie beim Tanzen im Arm hielt. Trotzdem besaß der Gedanke an eine Ehe mit ihr nichts Abschreckendes für ihn. Als Bauer musste er eh mehr aus Vernunftgründen heiraten denn aus heißer Liebe. Er musste sich nur an seinen Nachbarn Sepp Zeilinger erinnern. Der war an einem Stadtmädchen hängen geblieben, das ebenso hübsch wie flatterhaft gewesen war. Nach zwei Jahren war die Stadtmadam nach Hause zurückgekehrt und die darauf folgende Scheidung hatte Sepp den Hof gekostet. An dem Tag, an dem dieser versteigert hätte werden sollen, hatte er sich erhängt.

"Was ist los, Simon, hat's dir die Sprache verschlagen?", fragte Roswitha verärgert über sein Schweigen.

Simon lächelte Roswitha an. "Entschuldige, ich war in Gedanken. Gut schaust du aus. In diesem Dirndl macht dir so leicht keine andere Konkurrenz."

"Als wenn's bloß am Gwand liegt, ob man gut oder schlecht aussieht", protestierte Roswitha.

"Du hast eben selbst gesagt, dass ich wie ein Knecht ausseh", konterte Simon scheinbar ernsthaft. Da er aber dabei über das ganze Gesicht grinste, beschloss Roswitha, die Sache ebenfalls mit Humor zu nehmen.

"Ich weiß, dass du ned im Trachtenanzug in den Stall gehen kannst. Trotzdem ist das Arbeitsgwand, das du jetzt anhast, schon arg verschossen und fadenscheinig. Man könnt dich glatt für geizig halten."

"Das ist jedem seine eigene Sache, für was er mich hält", erwiderte Simon ungerührt. "Ein bisserl sparen hat noch nie geschadet. Man darf es nur ned übertreiben."

"Da hast du schon recht, Simon. Obwohl du natürlich als Vorstand der hiesigen Bauernverbandssektion schon was darstellen musst."

"Deswegen muss ich aber ned zu meinen Kühen Sie sagen", gab er lachend zurück. Auch Roswitha lachte jetzt, es klang jedoch etwas gequält. Simon fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er es wirklich auf Dauer mit ihr aushalten würde. Doch im Gegensatz zu der Städterin, die seinen Freund und Nachbarn in den Ruin getrieben hatte, war Roswitha eine Bauerntochter, die wusste, worauf es ankam.

"Warst du einkaufen?", fragte er und zeigte mit dem Kinn auf ihren vollgeladenen Wagen.

"Freilich. Deswegen bin ich ja auch da. Du hast doch gestern zu meinem Vater gesagt, dass ihr dringend Mehl und Zucker braucht. Darum hab ich euch ein paar Pfund von beidem mitgebracht." Roswitha öffnete die Hecktür ihres Autos und holte eine volle Einkaufstüte heraus.

Simon nahm sie entgegen, ging zur Haustür und rief hinein: "Anna, kannst du schnell herauskommen. Die Roswitha hat uns vom Einkaufen was mitgebracht."

Es dauerte etwas, bis ein altes Weiberl, das seine siebzig längst hinter sich hatte, herauskam und die Einkaufstüte in Empfang nahm. Sie wirkte nicht unbedingt erfreut, als sie darin herumkramte und schließlich meinte, dass sie mehr brauchen würde als das bisschen Zucker und Mehl.

"Du musst doch selbst nach Herrnried einifahren oder nach Wolfsberg in diesen neumodischen Laden. Da hätt sich die Roswitha den Weg sparen können."

"Sie hat's doch gut gemeint", erwiderte Simon seufzend. In gewisser Weise war es schlimm, dass Anna keine angestellte Magd, sondern eine unverheiratet gebliebene Schwester seines Großvaters war. Seit über vierzig Jahren führte sie das Regiment in der Küche und hatte es auch an seine vor mehreren Jahren verstorbene Mutter nicht abgegeben. Der Vater hatte im letzten Jahr eine Witwe in einem Nachbarort geheiratet, um, wie er spöttisch sagte, seinem Sohn den Hof übergeben zu können. Simon gönnte ihm sein Glück, zumal er mit seiner Stiefmutter sehr gut auskam.

"Simon, was ist los?"

Roswithas Rufen ließ ihn ein zweites Mal zusammenzucken. Ich muss wirklich bald heiraten, fuhr es ihm durch den Kopf. Ich krieg langsam Grillen. Er kehrte auf den Hof zurück und bat die junge Frau um Entschuldigung. "Tut mir leid, aber die Anna hat noch was von mir wissen wollen. Ich soll dir auf alle Fälle erst einmal Vergelts Gott fürs Mitbringen sagen."

"Aber das ist doch gern geschehen", wehrte Roswitha den Dank nicht ganz ernst gemeint ab.

Simon rieb sich kurz über das stoppelige Kinn und dachte nach. "Jetzt was anders. Hast du am nächsten Samstag schon was vor? Ich tät gern nach Wolfsberg zum Josefitanz fahren."

Roswithas Augen leuchteten erfreut auf. Gerade deswegen war sie auf den Herrschingerhof gekommen. Sie legte Simon die rechte Hand auf die Schulter und nickte. "Gern. Du weißt, dass ich mit keinem anderen so gern tanz als mit dir."

"Also ausgemacht. Ich hol dich nach der Stallarbeit ab." Simon wirkte wie einer, der eben die erste Hürde überwunden hatte und nicht genau wusste, ob er auch noch die nächste nehmen sollte. Roswitha machte sich jedoch keine Gedanken darum. Sie würde schon dafür sorgen, dass er anbiss.

*

Nachdem Roswitha wieder gefahren war, kehrte Simon in den Stall zurück. Der alte Franz, der ihm bei der Arbeit half, musterte ihn dabei verstohlen. Wie ein glühender Liebhaber wirkte der Bauer nicht gerade. Franz überlegte schon, ob er nicht doch den Mund auftun und ein paar Worte sagen sollte. Er ließ es jedoch sein, um Simon nicht zu verärgern. Dieser hatte ihn nach dem Freitod seines Neffen Sepp auf den Hof genommen und als Knecht beschäftigt. In seinem Alter war es schwer, woanders unterzukommen. Sollte Roswitha erfahren, dass er gegen sie geredet hätte, würde sie alles daransetzen, um ihn loszuwerden. Daher hielt er sich zurück, dachte aber daran, dass er es auch bei seinem Neffen versäumt hatte, auf diesen einzuwirken, bis es zu spät gewesen war.

"Ich bin ein elender Feigling", murmelte er bedrückt vor sich hin.

"Was hast du gesagt, Franz?"

"Nix von Belang, Bauer. Ich hab bloß der Schneckerl gesagt, dass sie mir diesmal ned den Schwanz ins Gesicht hauen soll", rief Franz zurück. Im selben Moment holte die Kuh mit ihrem Schwanz aus und zog ihm damit eins über.

Franz sprang mit einem Satz zurück und drohte dem Tier mit der Faust. "Ja bist denn du übergeschnappt, Schneckerl. Das nächste Mal kannst du dich selbst striegeln."

"Ich glaub, die Schneckerl putz ich lieber selbst", wandte Simon grinsend ein. "Bei dir probiert sie immer dasselbe Spiel."

"Weil sie weiß, dass ich mich ned wehren kann. Denn ein richtiges Mannsbild vergreift sich ned an einem Frauenzimmer, und wenn's ein Rindviech ist", rief der Knecht grollend. Er nahm aber Simons Vorschlag an und ging zu einer anderen Kuh.

Simon striegelte Schneckerl, ohne dass diese einen Mucks machte, und tätschelte sie zuletzt am Hals. "Brav bist du gewesen, so gefällt's mir."

"Lob das Viech auch noch. Dann haut es das nächste Mal gleich doppelt so fest zu", schimpfte der Knecht.

"Jetzt sei ned eingeschnappt, Franz. Die Schneckerl mag halt ned jeden. Das ist bei den Madln ned anders."

"Auf dich steht eine jede, Bauer."

"Täusch dich ned. Bloß weil das eine oder andere Madl mit mir tanzt, will sie noch lang ned die Bäuerin auf meinem Hof werden. Dabei wird's langsam wirklich Zeit, dass eine kommt."

"Jetzt tu ned so, als wenn du schon ein alter Knacker wärst", widersprach der Knecht vehement. "Schließlich hast du erst letzten Herbst deinen sechsundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Da hast du noch lang hin, bis du dich mit Ehefesseln binden lassen musst."

"Denen du dein Leben lang entgangen bist", spottete der Bauer.

"Gott sei Dank", erklärte der Alte mit Nachdruck. "Ein Kittel hätt mir wirklich noch gelangt zu meinem Glück. Ich brauch bloß an den Sepp zu denken. Der arme Kerl liegt auf dem Friedhof, und ich ..." Er brach ab und kämpfte mit den Tränen.

Simon fasste ihn um die Schulter. "Es ist ned eine jede so wie die Stadtmadam, an der der Sepp hängen geblieben ist. Man kann auch Glück haben im Leben."

"Dir wünsch ich's, dass du Glück hast", erwiderte Franz aus ehrlichem Herzen. "Einen besseren Mann wie dich hat's noch nie gegeben."

"Jetzt mach aber halblang, sonst werd ich noch rot." Simon gab Franz einen aufmunternden Klaps und räumte dann Striegel und Bürste beiseite. "So, jetzt wollen wir einmal schauen, was uns die Anna aufgetischt hat. Immerhin hat ihr die Roswitha ja ein paar Sachen zum Kochen mitgebracht."

"Also, für mich hätt's eine Scheibe Brot und ein Stück Presssack auch getan." Franz war fast stolz auf seinen Mut, dies zu sagen. Simon grinste jedoch nur und winkte ihm zu folgen. Nachdem sie ihre Stiefel ausgezogen und die Hände gewaschen hatten, gingen sie in die Küche.

"Ihr seit zehn Minuten zu spät dran. Jetzt sind die ganzen Knödeln verkocht. Du hättest halt weniger um die Roswitha herumscharwenzeln sollen", empfing Anna sie schimpfend.

"Ich weiß ned, was du gegen die Roswitha hast, Anna", erwiderte Simon seufzend. "In der heutigen Zeit muss man froh um jede Frau sein, die noch auf einen Bauernhof einheiraten will. Den meisten graut doch vor der harten Arbeit und dass man keinen Feiertag und keinen Urlaub wegbleiben kann."

"Jetzt malst du wirklich zu schwarz, Simmerl", gab seine Verwandte zurück. "Ich könnt dir zehn Madln nennen, die dich sofort nehmen würden."

"Und von denen taugen zehne nix", brummte der Weiberfeind Franz dazwischen.

"Jetzt fangt mir nicht auch noch zu streiten an. Ich will in Ruhe essen." Simons Stimme klang zwar ruhig, aber zwingend. Franz nahm leise vor sich hinbrummelnd Platz, während Anna die Teller austeilte und die große Bratpfanne auf den Tisch stellte.

"Nehmt euch derweil schon das Fleisch. Ich bring gleich das Surkraut und die Knödeln", erklärte sie.

"Sollen wir den Braten vielleicht mit den Händen herausnehmen", beschwerte sich Franz, weil noch keine Gabeln auf dem Tisch lagen.

"Ich bring sie schon", wies ihn Simon zurecht. Während das Essen in düsterem Schweigen verging, sagte er sich, dass es wirklich an der Zeit war, frisches Blut auf den Hof zu bringen. Anna werkelte zwar bemüht, war aber doch schon etwas zu alt, um die Hauswirtschaft des großen Hofes in der Hand zu behalten. Spätestens bis zur nächsten Ernte, wo außer ihnen dreien noch einige Saisonarbeiter mit am Tisch sitzen würden, musste etwas geschehen sein.

"Ich weiß ned, Bauer. Aber irgendwie schmeckt das Essen heut ein bisserl letschert", maulte Franz naserümpfend.

"Wenn ich ein Gewürz hätt, tät's schon anders schmecken. Aber mir sind die meisten Sachen ausgegangen. Früher bin ich ja selbst ins Dorf gegangen und hab bei der Kleewein eingekauft. Aber jetzt kann ich halt wegen meiner Füß nimmer so weit laufen", schimpfte Anna vor sich hin.

"Es ist ja kein Beinbruch", wies Simon den Knecht zurecht. Dann wandte er sich Anna zu und forderte sie auf, ihm alles aufzuschreiben, was sie brauchte. "Ich fahr nach dem Essen in die Stadt und kauf auf dem Heimweg ein. Das nächste Mal fahren wir dann zusammen, damit du wieder einmal was anderes siehst als bloß den Hof."

"Ist schon recht. Es geht mir schon ein bisserl ab, weil ich nimmer in den Ort komm und mit der Kleewein ratschen kann", erwiderte Anna und schlurfte zum Schrank, um nachzuschauen, was alles fehlte. Ein paar Minuten später überreichte sie Simon einen Zettel, auf dem sie mit altmodischer Schrift ihre Wünsche notiert hatte. Simon musste ein paar Mal nachfragen, bis er alles begriff. Als schließlich alles zu seiner Zufriedenheit geklärt war, ging er in sein Zimmer, um sich umzuziehen.

*

Simon brauchte in der Stadt länger als erwartet. Die Zeit drängte bereits, als er sich ins Auto setzte und mit zügigem Tempo heimwärts fuhr. Erst als er Wolfsberg bereits passiert hatte, fiel ihm Annas Einkaufsliste ein. Um nicht mehr umkehren zu müssen, beschloss er, bei der Krämerei Kleewein zu halten. Er wusste zwar nicht, ob er dort alles bekommen würde, doch es musste fürs Erste reichen.

Das hastige Bimmeln der Ladenglocke riss Evi hoch. Ihre Tante war zu einer Nachbarin gegangen, und sie hatte ihr versprochen, in den Laden zu gehen, wenn ein Kunde käme. Das war jetzt der erste. Wahrscheinlich würde er auch nur eine Kleinigkeit brauchen, die er im Supermarkt vergessen hatte.

Ein hochgewachsener Mann stand mitten im Laden und sah ihr sichtlich ungeduldig entgegen. "Grüß Gott! Die Sachen hätt ich gern!" Mit diesen Worten streckte er Evi einen Zettel hin. Diese nahm ihn, blickte kurz darauf und reichte ihm mit einem verlegenen Lächeln zurück.

"Es tut mir leid, aber ich kann die Schrift ned lesen!"

Der Mann schien erst jetzt zu begreifen, dass er nicht ihre Tante vor sich hatte. Seine Augen weiteten sich, und der ärgerliche Zug um seinen Mund verlor sich wie durch einen Zauber. "Entschuldigen Sie. Aber meine Großtante Anna ist noch vom alten Schlag. Die Frau Kleewein kann ihre Schrift lesen. Ich hab aber selbst meine Probleme damit und einem jungen Madl wie Ihnen muss es ja wie Chinesisch vorkommen."

"Wie Chinesisch grad ned. Aber auch ned viel besser", erwiderte Evi lachend. Der Mann lachte ebenfalls, und es ließ ihn weitaus jünger erscheinen, als sie angenommen hatte. Er konnte mit Sicherheit noch nicht über dreißig sein, strahlte aber eine unwahrscheinliche Selbstsicherheit und innere Ruhe aus. Außerdem sah er in seinem modischen Trachtenanzug sehr gut aus.

Etwas verwirrt über ihre Gedanken hörte sie sich an, was ihr der Fremde vorlas und suchte die Waren im Regal. Da sie sich im Laden nicht auskannte, dauerte es ein wenig, bis sie alles zusammenhatte. Trotzdem wurde der Mann nicht ungehalten, sondern half ihr, die Sachen zu finden.

"Es tut mir leid, ich bin halt fremd und helf bei meiner Tante bloß aus", bat sie ihn um Entschuldigung.

"Sag bloß, du bist die Scharnagl Evi aus München", rief Simon lachend. "Du hast dich aber herausgemacht. Wer hätt das gedacht, dass aus dir spirrigen Lausdirndl eine solche Schönheit wird."

Evi wurde bei diesen Worten rot und kramte verzweifelt in ihrem Gedächtnis herum, wer der Mann sein könnte. Direkt fragen wollte sie nicht, fand es aber ungerecht, dass er jetzt wusste, wer sie war, während sie im Dunklen herumtastete. "Schönheit ist wohl ein bisserl übertrieben, obwohl du auch gut aussiehst", erwiderte sie, um Zeit zu gewinnen. Die Tante würde schon wissen, wer er war. So ein Mannsbild wie ihn konnte es auch hier in Herrnried und Umgebung nur ein einziges Mal geben.

"Mir langt's, wie ich ausschau", erwiderte er das Kompliment. "Obwohl ein sauberes Madl allemal ein angenehmerer Anblick ist als ein Bursch."

"Für einen Mann vielleicht, aber ned für eine Frau", gab sie lachend Kontra.

"Touché. Das hat aber gesessen", lobte Simon ihre Schlagfertigkeit.

"Auf dem Mund gefallen bin ich ned", erwiderte Evi selbstbewusst. Durch dieses Wortgeplänkel dauerte es eine ganze Weile, bis sie Annas Einkaufsliste durchhatten. Fast bedauernd steckte Simon den Zettel wieder weg und bezahlte.

Evi reichte ihm noch einige Tüten, in denen er seinen Einkauf verstauen konnte, und verabschiedete ihn mit einem freundlichen Gruß. Als er gegangen war, bedauerte sie ihren fehlenden Mut, ihn nach dem Namen zu fragen. "Na ja, vielleicht seh ich ihn noch einmal. Und wenn ned, werd ich auch ned sterben", sagte sie schließlich zu sich selbst. Sie ertappte sich jedoch dabei, wie sie die Rückkehr ihrer Tante förmlich herbeisehnte.

*

Durch das Einkaufen hatte sich Simon so verspätet, dass Franz bereits die Kühe molk. Da Simon wusste, dass das Schneckerl nur darauf lauerte, den alten Knecht zu ärgern, brachte er rasch seine Einkäufe in die Küche und beeilte sich, in den Stall zu kommen.

Unterdessen räumte Anna die Lebensmittel auf und begann, das Abendessen vorzubereiten. Dabei entdeckte sie, dass sie am Nachmittag ein paar wichtige Dinge vergessen hatte. Sie wollte schon Simon rufen, um ihn noch einmal in den Ort zu schicken. Da fiel ihr ein, dass er ihr schlechtes Gedächtnis zum Vorwand nehmen könnte, doch Roswitha als Bäuerin auf den Hof zu bringen.

"Früher wär ich mit dem Radl schnell in den Ort gefahren. Doch jetzt ist's mir zu viel. Wenn aber das Essen wieder ned schmeckt, hab ich den Dreck im Schachterl", jammerte sie vor sich hin. Es hatte jedoch auch keinen Sinn, darauf zu warten, bis Franz aus dem Stall kam und ihn zu schicken. Zum einen brauchte sie ihre Sachen bald. Zum anderen hatte die Krämerin bis dorthin ihr Geschäft längst geschlossen.

Während die alte Frau fast verzweifelte, streifte ihr Blick zufällig das Telefon. "Wenn ich die Kleewein Lydia anruf, bringt sie das Zeug vielleicht vorbei", machte sie sich Mut und suchte die Nummer aus dem Telefonbuch heraus. Als sie jedoch anrief, meldete sich nicht die Krämerin, sondern eine fremde und wie Anna fand, sehr sympathische Stimme.

"Hier bei Kleewein, Grüß Gott."

"Grüß Gott, ich bin die Anna", erwiderte Simons Verwandte erleichtert. "Mein Bauer war grad vorhin bei euch zum Einkaufen. Ich hab aber ein paar Sachen vergessen gehabt und wollt jetzt fragen, ob ihr die mir schnell herfahren könnt."

"Wenn ich wüsst, wo ich die Sachen hinbringen soll, gern!" Evi freute sich, zu erfahren, wer ihr gut aussehender Kunde war, ohne ihre Tante danach fragen zu müssen.

"Ja, mir sind beim Herrschinger zu Herrsching", erklärte ihr Anna etwas verwundert. In ihrem eng umgrenzten Weltbild konnte sie es kaum glauben, dass jemand sie und Simon nicht kannte. "Du bist wohl fremd da?", fragte sie nach.

"Das kannst du laut sagen. Ich war zwar früher öfters in den Ferien in Herrnried, aber in den letzten Jahren bin ich wirklich selten da gewesen", erklärte ihr Evi.

"Wenn du bei der Kleewein Lydia bist, musst du das kleine Dirndl sein, das der Simon damals aus dem See gezogen hat." Annas Gedächtnis für vergangene Sachen war besser als das Evis, die sich erst mühsam an diese Begebenheit erinnern musste. Simon Herrschinger war der Sohn des größten Bauern in der ganzen Gemeinde, wenn sie sich recht erinnerte. Halt, Anna hatte ihn Bauer genannt. Sollte sein Vater etwa gestorben sein? Da sie selbst keine Antwort auf ihre Fragen wusste, versprach Evi Anna, ihr die gewünschten Sachen zu bringen und legte auf.

Das war also mein Lebensretter, dachte sie, während sie die paar Gewürze und Lebensmittel zusammensuchte, die Anna noch bestellt hatte. Sie überlegte, ob sie einen Flirt mit Simon anfangen sollte, entschied sich aber dagegen. Er sah nicht wie ein Mann aus, dem an einer oberflächlichen Bekanntschaft gelegen war.

"Eigentlich schade", flüsterte sie traurig. "Aber was soll's. Er hat gut eingekauft, und auch das da bringt ein paar Euro in die Ladenkasse". Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie den Laden schließen konnte. Danach trug sie die Einkaufstüte mit den bestellten Waren zu ihrem Kleinwagen und fuhr los. Als sie den Herrschingerhof erreicht hatte und ausstieg, wurde die Haustür geöffnet und ein kleines, verhutzeltes Weiblein trat heraus.

"Die Evi, Jessas, bist du aber groß geworden", rief Anna überrascht.

"Hoffentlich ned zu groß mit meinen eins dreiundsiebzig", erwiderte Evi lachend. Sie hatte die alte Frau sofort wiedererkannt. Anna hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert. "Aber zuerst einmal Grüß Gott, Frau Herrschinger. Da hab ich die Sachen."

"Du kannst ruhig du zu mir sagen. Mir da heraußen haben's ned so mit die städtischen Moden", winkte Anna ab und forderte Evi auf, ihr ins Haus zu folgen.

"Ich bin grad beim Abendessen herrichten, sonst könnt ich dir einen Kaffee kochen. Aber ein Glas selbst gemachten Hagebuttenwein wirst du wohl trinken", erklärte sie, als sie in der Küche angelangt waren.

"Gern!" Evi freute sich, länger hierbleiben zu können. Vielleicht kommt Simon einmal herein, dachte sie, als sie auf der Eckbank Platz nahm. Anna holte eine leicht angestaubte Flasche aus dem Keller und füllte den Inhalt in ein Glas.

"Wohl bekommt's", sagte sie, als sie es Evi reichte.

"Danke, der Hagebuttenwein schmeckt übrigens ausgezeichnet", erwiderte Evi, nachdem sie probiert hatte. Anna freute sich sichtlich über das Lob und achtete in der nächsten Zeit weniger auf ihr Abendessen als auf ihren Besuch. Zuerst fragte sie Evi, was sie so machen würde und wie es ihr ginge. Nachdem Evi ihre Fragen beantwortet hatte, erzählte die alte Frau von sich und dass eben ihre Beine nicht mehr so richtig mitmachen würden.

"Das darf ich aber dem Simon ned sagen. Sonst glaubt der wirklich, er muss den Malzdrachen schnell ins Haus holen", schloss sie mit einem listigen Augenzwinkern.

Evi wusste instinktiv, dass mit dem Malzdrachen Roswitha gemeint war. Wenn Simon diese Frau heiraten wollte, konnte er einem leidtun. Sie sagte dies auch und fühlte sich in ihrer Meinung bestätigt, da Anna heftig nickte.

"Sie macht sich schon schwer ran an ihm. Aber es gibt halt keinen fescheren Burschen als unseren Bauern und keinen größeren und schöneren Hof im ganzen Gäu als den unseren."

"Was mich ein bisserl wundert, ist, dass der Simon schon Bauer ist. Soviel ich mich erinnern kann, war doch sein Vater noch ned so alt zum Übergeben", wandte Evi ein.

"Der Altbauer ist heuer fünfundfünfzig geworden. Aber er hat eine neue Frau gefunden und auf deren Anwesen eingeheiratet. Da zu der Zeit der Zeilinger Franz bei uns als Knecht eingestanden ist, hat er's tun können." Anna freute sich sichtlich, endlich mal wieder jemanden zu haben, mit dem sie reden konnte. Da Evi geduldig zuhörte, berichtete sie ihr die ganzen Neuigkeiten aus der Gemeinde Herrnried, die sie wusste. Sie sprach auch über Roswitha Malz und deren Versuche, Simon einzufangen und meinte zuletzt, dass sie es wohl auch schaffen würde.

"Ich bin halt langsam zu alt, um den Haushalt in Ordnung halten zu können. Da hat der Simon schon recht. Aber mir wär halt jede andere lieber als der Malzdrachen. Ins Gesicht tut die Roswitha einem ja schön. Aber hinter dem Buckel macht sie schon eine Faust, um einen zu schlagen." Anna schwieg etwas bedrückt und musterte Evi verstohlen.

"Bleibst du länger in Herrnried?"

"Das weiß ich noch ned genau", erwiderte Evi achselzuckend. "Aber ein paar Wochen können's schon werden."

"Wenn du so lang bleibst, könnten wir zwei vielleicht ein Geschäft miteinander machen", rief Anna erfreut. "Weißt du, ich mag ned alleweil den Simon bitten müssen, einkaufen zu fahren, wenn ich was brauch. Damit treib ich ihn bloß der Roswitha in die Arme. Wenn du mir die Sachen herbringen könntest, wär das Problem gelöst. Ich hätt alleweil genug Lebensmittel, und der Simon bekäm das Gefühl, dass er sich mit dem Heiraten doch noch Zeit lassen kann. Vielleicht wird er dann den Drachen los."

"Der Simon schaut mir aber ned so aus, als wenn die Roswitha so leicht mit ihm Schlitten fahren könnt", verteidigte Evi den Bauern.

"Du kennst sie ned", seufzte Anna. "Die hat so viel Haar auf den Zähnen, dass sie nimmer richtig zubeißen kann."

Evi erinnerte sich an Roswithas Auftreten am Nachmittag und konnte der Alten nicht so widersprechen. Roswitha besaß wirklich keine Ähnlichkeit mehr mit dem Mädchen, das vor Jahren mit ihr zusammen mit Puppen gespielt hatte. Sie schob aber den Gedanken an ihre ehemalige Freundin rasch beiseite und konzentrierte sich auf Annas Angebot.

"Ich bring dir die Sachen gern vorbei. Das heißt, wenn es den Simon ned stört."

"Der Simon hat mir im Haushalt noch nie hineingeredet", wischte Anna diesen Einwand hinweg. "Also ausgemacht. Ich ruf dich an, und du lieferst mir die Ware ins Haus.“

"Gern!" Evi reichte der Alten die Hand und hatte plötzlich das Gefühl, sich verabschieden zu müssen. So konnte sie Simon heute nicht mehr unter die Augen treten. Irgendwie nutzte sie seine Lage doch schamlos zu Gunsten ihrer Tante aus.

"Ich glaub, ich sollt jetzt lieber heimfahren. Sonst gibt Tante Lydia noch eine Vermisstenanzeige für mich auf", erklärte sie mit einem unecht klingenden Lachen.

"Pfia Gott, Evi. Und grüß die Lydia von mir", rief ihr Anna nach.

*

Simon ertappte sich in den nächsten Tagen mehrmals dabei, wie er an das hübsche Mädchen aus dem Krämerladen dachte. Er hätte dort gerne wieder eingekauft, nur um Evi wiederzusehen. Doch zu seiner Verwunderung lehnte seine Großtante das Angebot ab.

"Ich brauch nix, Simon", erklärte Anna sichtlich zufrieden.

"Wenn das Essen am nächsten Sonntag genau so nach Ar…mut und Friedrich schmeckt wie letztes Mal, kannst du es selbst fressen", murrte Franz ziemlich verärgert. Er änderte seine Meinung jedoch schnell wieder. Denn das, was Anna in den nächsten Tagen auf den Tisch zauberte, hatte wirklich Hand und Fuß, wie er am Freitag widerwillig zugestehen musste.

"So alt bin ich auch noch ned, dass ich Zucker und Salz nimmer auseinanderkenn", entgegnete Anna giftig. "Ich brauch bloß die richtigen Zutaten zum Kochen."

"Wenn du was brauchst. Ich fahr gern ins Dorf", beeilte sich Simon zu versichern. Er nahm einen Löffel von dem Eiersalat, aß ihn und nickte zustimmend. "Übrigens muss ich das Essen auch loben. Du kochst ja noch besser als früher."

"Ich hab nix verlernt", erklärte Anna sichtlich zufrieden. Im Stillen bedankte sie sich bei Evi, die ihr dieses Rezept verraten hatte. Franz entschuldigte sich sogar für einige boshafte Bemerkungen, die er in der letzten Zeit gemacht hatte, und Simon sprach schon einige Tage lang nicht mehr von Roswitha. Anna nahm es als gutes Zeichen, dass es ihm mit der Heirat doch nicht so pressierte.

Simon hatte Roswitha tatsächlich ganz vergessen und erinnerte sich erst wieder an sie, als ihm Xaver Malz am Samstagmorgen bei einer zufälligen Begegnung verschwörerisch zugrinste und ihm viel Vergnügen beim Tanz wünschte.

"Die Roswitha freut sich schon die ganze Woche darauf, kann ich dir sagen. Es hat ja auch kein Madl einen fescheren Burschen als sie", schloss Malz lachend.

Simon kam sich vor, als hätte der andere einen Kübel Eiswasser über ihn ausgeleert. "Ja, ich freu mich auch schon sakrisch auf das Tanzen", würgte er mit Mühe heraus und hoffte gleichzeitig, dass das Mädchen aus der Krämerei auch dort sein würde. Sein Lächeln bei dem Gedanken, Evi wiederzusehen, brachte sein Gegenüber auf eine falsche Spur.

"Ich glaub, es wird doch was werden mit dir und dem Herrschinger", erklärte Malz daher wenig später seiner Tochter. "Der Simon hat direkt glänzende Augen gekriegt, als ich ihn auf den heutigen Tanz angesprochen hab."

"Er hätt trotzdem die Tage einmal anrufen können", erwiderte Roswitha verärgert.

"Da darfst du dir nix draus machen. Der Simon ist halt ein Bauer und kein Leonardo mit dem Cabrio", winkte ihr Vater ab. "Für den ist eine Heirat ein halbes Geschäft. Das muss alles zusammenpassen. Vom Diridari angefangen bis zum ... du weißt schon, was ich mein!"

"Ich weiß es ned."

"Ich glaub kaum, dass du mit deinen zwanzig Jahren noch Jungfrau bist", spottete Malz. "Und wenn doch, wird dir der Simon schon beibringen, wie's geht."

"Schäm dich, Vater", meldete sich in dem Moment seine Ehefrau Sali. "Über so was redet man ned."

"Jetzt tu ned so, als wenn wir noch im neunzehnten Jahrhundert wären", entgegnete ihr Mann lachend. "Das gehört auch zur Ehe, und umso besser es geht, umso besser ist es."

"Trotzdem ist's ned richtig, in einer solchen Weise davon zu reden", beharrte Sali auf ihrer Meinung. Ihr Mann winkte jedoch nur.

"Du hast recht, und ich hab meine Ruhe. Die Hauptsache ist, dass unsere Roswitha und der Herrschinger Simon zusammenkommen. Eine bessere Partie wie ihn gibt's im ganzen Landkreis ned."

"Als wenn Geld alles wär“, murmelte Sali vor sich hin. Sie wusste jedoch, dass weder ihr Mann noch ihre Tochter sie verstanden.

Roswitha fieberte dem Abend förmlich entgegen. Sie hatte ihr bestes Dirndlkleid ausgesucht und benutzte das teure Parfüm, das sie von ihrer Patentante zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Ein tiefer Griff in ihre Schmuckschatulle vervollständigte ihre Erscheinung. Selbst ihre Mutter musste zugeben, dass ihr so leicht keine das Wasser reichen konnte.

"Die Hauptsache ist, der Simon beißt an", erklärte Roswitha schließlich nach einem letzten Blick in den Spiegel. Punkt sieben Uhr abends hielt Simons Wagen vor dem Malzhof. Er stieg jedoch nicht aus, sondern drückte nur einmal kräftig auf die Hupe.

"Herrschaftszeiten, was sind denn das für Manieren", schimpfte Xaver Malz, der gern ein paar Worte mit dem Nachbarn gewechselt hätte. Auch Roswitha ärgerte sich, weil ihr Simon nicht mehr Aufmerksamkeit widmete als einem Hund, nach dem man pfiff. Sie schluckte jedoch ihren Unmut hinunter, verabschiedete sich von ihren Eltern und eilte ins Freie. Simon öffnete ihr die Beifahrertür und wartete gerade so lange, bis sie saß. Noch bevor sie den Sicherheitsgurt angelegt hatte, fuhr er los.

"Zuerst einmal Grüß Gott, Simon", wandte sich Roswitha an ihn. "Zu was pressiert es dir denn so?"

"Ich will einen guten Parkplatz haben", erwiderte Simon nicht ganz wahrheitsgetreu. In Wirklichkeit wollte er als einer der Ersten im Saal sein, um sehen zu können, wenn Evi hereinkam.

Roswitha wunderte sich über seine Eile, zuckte aber dann mit den Schultern. Einer der Vorzüge, die Simon den meisten anderen heiratswilligen Burschen, die ihr den Hof machten, voraus hatte, war die Tatsache, dass man ihn keinen gemütlichen Bierdimpfl nennen konnte. Er besaß einen scharfen Verstand und war ebenso kurz entschlossen wie durchsetzungsfähig. Für Roswitha war er genau der Mann, der mit leichter Anleitung durch eine kluge Frau wie sie die Erfolgsleiter noch sehr hoch steigen konnte. Immerhin würde der Landtagsabgeordnete des hiesigen Wahlkreises bei der nächsten Wahl nicht mehr kandidieren, und bei der Suche nach einem Nachfolger wandten sich immer mehr Augen Simon zu.

In ihren Tagträumen verstrickt merkte Roswitha nicht, dass sie vor dem Schicklwirt in Wolfsberg angelangt waren. Erst als Simon sie antippte, schrak sie hoch.

"Auf geht's", meinte er lachend. "Komm, gehen wir in den Saal."

Roswitha stieg aus dem Auto und folgte ihm in das wuchtig gebaute Gasthaus. Bevor sie jedoch in den Saal trat, bog sie zu den Damentoiletten ab, um nachzuschauen, ob ihr Aussehen durch die Autofahrt gelitten hatte. Simon bezahlte inzwischen den Eintritt für sie beide und suchte sich einen geeigneten Tisch aus. Als Roswitha kam, war sie zwar nicht gerade begeistert davon, so nahe am Eingang zu sitzen. Doch dann siegte auch bei ihr die Neugier. Auf die Weise konnte sie wenigstens die anderen Gäste beobachten und ihre Kommentare dazu abgeben.

"Ist das dort ned die junge Landauerin von Steinzell", sagte sie zu Simon. "Mein Gott, ich tät mich schämen, in so einem altbackenen Dirndlkleid auf den Tanz zu gehen."

Simon achtete jedoch nicht auf die Frau, die Roswitha meinte, sondern starrte auf Lydia Kleewein, die hinter der Landauerin hereinkam. Das Mädchen aus dem Laden war tatsächlich bei ihr. Evi trug zwar keines der hier üblichen Dirndlkleider, sondern ein eher städtisches Kostüm, das ihr allerdings ausgezeichnet stand.

Der Metzger und Gastwirt Anton Schickl, der Lydia mit frischen Wurstwaren belieferte, begrüßte die Krämerin freundlich und führte sie und Evi zu einem Tisch, an dem schon einige andere Geschäftsleute aus der Umgebung Platz genommen hatten. Obwohl Lydias Umsatz in der letzten Zeit arg abgenommen hatte, machte ihr der Wirt keinen Vorwurf. Ihn hatte die Flaute ebenso getroffen. Seit der Eröffnung des neuen Supermarktes wollten nur mehr wenige Leute die zwar qualitativ gute, aber eben auch entsprechend teure Wurst bei ihm kaufen.

Kurz darauf kam ein dynamisch wirkender Mann um die dreißig herein und grüßte den Wirt mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit. Schickl verzog sein Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse, denn der andere war niemand anderer als Jakob Strahner, der Geschäftsführer des Supermarktes, der nicht nur Lydia Kleewein, sondern auch ihm wie ein Stein im Magen lag.

Strahner warf einen kurzen Blick in die Runde und ging zielstrebig auf den Honoratiorentisch zu. Dabei ignorierte er Lydia, die neben ihm saß, völlig, musterte dafür jedoch Evi mit sichtlichem Wohlgefallen.

Simon hatte Strahner bis jetzt nur ein- oder zweimal gesehen und sich noch kein Urteil über ihn gebildet. Als er jedoch sah, wie dieser Evi wie eine Ware taxierte, fasste er eine starke Abneigung gegen ihn.

Roswitha schien diese jedoch nicht zu teilen. "Er schaut ziemlich fesch aus, der Strahner, meinst du ned auch? Er hat zwar keinen richtigen Trachtenanzug an, sondern eher was im Landhausstil. Aber ich muss sagen, er macht schon was her", lobte sie das Aussehen des Supermarktmanagers.

"Ich find ihn affig", gab Simon verächtlich zurück.