Hotel_Edelweiss_epub

Anni Lechner

Hotel Edelweiß

Roman

Anni Lechner: Hotel Edelweiß

Copyright © by Anni Lechner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.

Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag

Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

ISBN 978-3-95912-239-9

Die Autorin

Anni Lechner wurde auf einem Bauernhof geboren und blieb der Landwirtschaft bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr treu. Acht Jahre lang bewirtschaftete sie den heimatlichen Hof, bis sie sich beruflich anders entschied und nach München zog. 1995 fing sie an, Geschichten aus dem bäuerlichen Umfeld zu schreiben und veröffentliche bis zum Jahr 2015 über 90 Heimat- und Bergromane. Sie ist dem bäuerlichen Umfeld noch immer verbunden und besucht regelmäßig ihre Schwester und deren Tochter, die mit ihrem Ehemann zusammen ihren früheren Hof bewirtschaftet.

Der neue Kellner

1

Andrea bemerkte die schlechte Laune ihres Vaters sofort beim Betreten des Büros. Sein rundliches Gesicht wirkte wie das eines Babys, das zum ersten Mal Spinat zu essen bekam, und die Zeitung umklammerte er mit den Händen, als wolle er sie erwürgen.

»Guten Morgen, Papa, wie geht es dir?«, grüßte sie betont fröhlich.

Bartholomäus Kreuzberger hielt seiner Tochter mit einem ärgerlichen Schnauben die Zeitung hin.

»Schau dir diese Schweinerei an! Schreiben die glatt, dass beim Prachtl die berühmte deutsche Filmdiva Simone Becher eingetroffen ist! Dabei ist die Frau so alt und abgetakelt, dass mein Großvater sie schon als Bub im Kino gesehen hat. Aber die ist für unser Bezirksblatt wichtig, und davon, dass heut die Gewinner von unserem Preisausschreiben ankommen, davon schreiben sie nix!«

»Der Gewinner, Papa. Es kommt bloß einer von den dreien, die bei unserem Preisrätsel gewonnen haben.« Andrea seufzte leise, denn gerade diese Tatsache war an der schlechten Laune ihres Vaters schuld.

Kreuzberger feuerte die Zeitung in eine Ecke seines Büros und fluchte.

»Lumpen sind das, sag ich dir, alle miteinander. Da schreibt der eine, dass er den Preis in Geld ausgezahlt haben will. Der andere möcht gleich seine ganze Familie umsonst mitbringen und alles inklusive haben. Dabei hab ich extra in das Preisausschreiben setzen lassen, dass der Gewinn aus einem zweiwöchigen Urlaub mit Halbpension in unserem Hotel besteht. Andere wären froh, wenn sie sich das leisten könnten.«

»Aber wenigstens kommt einer, und den bringen wir schon noch ins Bezirksblatt, Papa. Verlass dich drauf.« Andreas’ beschwichtigende Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Ihr aufgebrachter Vater setzte sich wieder gerade hin, nahm ein Zigarillo aus der Schachtel und zündete es an.

»Hast du die Prospekte von der Druckerei geholt, Andrea?«, fragte er, während er Rauchringe in die Luft blies.

Das Mädchen nickte.

»Freilich! Ich bring sie gleich hinüber ins Fremdenverkehrsamt.«

Ihr Vater blickte auf die Kuckucksuhr, die an der Wand hing.

»Wart noch eine Viertelstunde, dann kommt der Bus aus Kitzbühel. Mit dem wollte doch unser Preisträger kommen.«

»Mach ich!« Andrea wollte das Büro verlassen, da hielt ihr Vater sie zurück.

»Zeig mir einen von den Prospekten.«

Andrea zuckte zusammen.

»Ich hab eigentlich noch was zu erledigen, bevor ich zum Touristenamt geh.« Es klang so schuldbewusst, dass ihr Vater seine Stirn in Falten zog.

»Ich will sie aber sehen!«

»Also gut, ich hol einen.« Andrea verschwand und kehrte kurz darauf mit einem hübsch gestalteten Prospekt in modernen Farben zurück.

Ihr Vater warf einen Blick darauf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Ja Donnerwetter, das ist nicht der Prospekt, den ich haben wollt. Wer hat dir den eingeredet?«

»Das hat der Florian gestaltet. Du weißt, er versteht etwas davon. Er hat ja auch unser Reservierungsportal im Internet eingerichtet.«

Kreuzberger winkte bei diesem Hinweis verächtlich ab.

»Das ist doch alles Unsinn, was sich der Bub da einbildet.«

»Es hat uns heuer mehr als zehn Anmeldungen gebracht«, erinnerte Andrea ihren Vater an den durchaus messbaren Erfolg ihrer Internetpräsenz.

Sein Vorurteil gegen moderne Technik, vor allem aber das mangelnde Zutrauen in die Fähigkeiten seines Sohnes, konnte sie damit jedoch nicht ändern.

»Der Prospekt ist genauso eine Schnapsidee wie sein Aufenthalt in Aspen im letzten Winter und seine jetzigen Ferien in Biarritz.«

»Du hast selbst gesagt, dass ein guter Hotelier Fremdsprachen dort lernen muss, wo sie gesprochen werden«, erklärte Andrea lächelnd. »Außerdem haben die in der Druckerei gesagt, unser Prospekt wär weitaus schöner und auffälliger als das neue Faltblättchen vom Prachtl.«

Toni Prachtl, der Besitzer des vor Kurzem renovierten Hotels Edelweiß machte Kreuzbergers Erzherzog Josef mit zum Teil unfairen Mitteln den Rang des ersten Hauses am Platz streitig. Andreas Vater zog daher ein Gesicht, als hätte sie ihm statt eines schmackhaften Gumpoldskirchners ein Glas Essig kredenzt.

»Übrigens, der Branko hat Knall auf Fall gekündigt, und das ausgerechnet jetzt, wo die Saison richtig anfängt. Der Prachtl hat ihm mehr geboten, sagt er, und größere Aufstiegschancen hätt er dort auch.«

Sosehr der Vater sich über den Verlust des Oberkellners ärgerte, so wenig vermochte Andrea ihn zu bedauern. Branko, trotz seines slawischen Vornamens ein waschechter Wiener, hatte ihr in den beiden Jahren, die er bei ihnen angestellt gewesen war, dauernd nachgestellt und versucht, auf diesem Weg der Chefetage näher zu kommen. Zuerst hatte sie ein wenig mit ihm geflirtet, ihm aber später, als sie ihn besser kennengelernt hatte, die kalte Schulter gezeigt.

»Dann wird halt der Sepp der neue Oberkellner«, schlug sie vor.

»Der Sepp ist viel zu unselbstständig dafür.«

Der Hotelier hatte sein festgefügtes Urteil über den jungen Mann, seit dieser mit fünfzehn Jahren als Piccolo im Hotel angefangen hatte und damals vor allem durch seine Nervosität aufgefallen war. Außerdem tat Branko alles, um den Ruf seines Kollegen beim Chef zu unterminieren. Andrea wusste dies. Aber ihr war klar, dass sie bei ihrem Vater ins Leere laufen würde, wenn sie ihm das sagen wollte.

»Einen anderen haben wir aber net. Du kannst jedenfalls keinen von draußen hereinholen und ihn dem Sepp vor die Nase setzen. Sonst ist der schneller drüben beim Prachtl, als wir schauen können.«

Da wurde ihr Vater doch nachdenklich.

»Einen zweiten Kellner tät ich ungern verlieren, und an den Prachtl schon gar nicht. Mich wundert bloß, warum der Branko auf den Deppen hereingefallen ist.«

»Das kann ich dir sagen, weil nämlich ich net auf ihn hereingefallen bin«, antwortete Andrea spitz.

»Warum solltest du auf den Prachtl hereinfallen?« Ihr Vater sah sie verständnislos an, dann aber begriff er und lachte bellend auf. »So ist das also! Der Branko hat unseren Erzherzog Josef für das Weiße Rössl am Wolfgangsee gehalten und gedacht, sich mit deiner Hilfe ins gemachte Nest setzen zu können. So weit gesunken, dass meine Tochter einen Kellner heiratet, sind wir wirklich net.«

»Wenn mir der Kellner gefallen tät, könntest du nichts dagegen machen!« Andrea stellte die Stacheln auf. Sie wusste, dass ihr Vater Heiratspläne für sie verfolgte, denen sie wenig abgewinnen konnte.

Kreuzberger lachte jedoch nur selbstgefällig und winkte ab.

»Ach geh! Dann wärst du doch auf den Branko hereingefallen. Ich habe gesehen, was der für eine Wirkung auf unsere weiblichen Gäste gehabt hat. Es gibt bestimmt ein paar, die allein wegen ihm ins Edelweiß wechseln werden.«

Beim letzten Satz lachte er nicht mehr, sondern zählte all die Pluspunkte auf, die Branko in seinen Augen besaß und die dem Sepp fehlten.

Andrea war anderer Meinung als er, behielt diese aber für sich, um ihn nicht noch mehr zu verärgern. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es Zeit wurde aufzubrechen.

»Du, Papa, ich muss gehen, sonst kommt der Bus mit unserem Preisträger, und es steht keiner zum Empfang bereit.«

»Nimm aber einen Blumenstrauß mit, und den Sepp, damit er das Ganze fotografiert. Ich möchte ein Bild im Bezirksanzeiger haben.« Kreuzberger wollte sich schon wieder seinem Schreibtisch zuwenden, als ihm noch etwas einfiel.

»Halt, ich hab gestern, nachdem der Branko mir gesagt hatte, dass er kündigt, die Stellenvermittlung angerufen, damit sie uns einen ausgebildeten Kellner besorgen. Die Frau dort hat gemeint, sie schaut, ob sie uns einen der Iren, die in der Sommersaison in Tirol arbeiten, schicken kann. Es könnt sein, dass der heut auch mit dem Bus kommt. Wenn, dann bringst du ihn gleich mit. Er kann ja das Gepäck von dem Reszak tragen.«

»Ich hab gedacht, ich nehm einen unserer Pagen mit«, wandte Andrea ein.

»Die Bürscherl haben nicht die Kraft, einen schweren Koffer zu uns heraufzutragen. Und jetzt tummle dich, es wird Zeit.«

Andrea lächelte sanft und verabschiedete sich von ihrem Vater. Während sie den Stapel Prospekte holte, die sie im Fremdenverkehrsamt abgeben wollte, rief sie nach Sepp. Der Bursche kam sofort um die nächste Ecke geschossen.

»Grüß dich, Andrea. Brauchst du mich?«

»Du sollst fotografieren, wenn unser Preisträger ankommt. Du weißt ja, wo die Kamera ist!«

»Freilich, Andrea.«

Sepp sauste los und ließ Andrea mit zuckenden Mundwinkeln zurück. Sie spürte, dass er alles tun würde, um den ersehnten Posten des Oberkellners zu bekommen, und hoffte, dass ihm im Übereifer kein Fehler unterlief, der ihren Vater gegen ihn aufbringen würde. Sie mochte den jungen Mann, der etwa in ihrem Alter war, wie einen jüngeren Bruder und wünschte, dass es ihm gelingen würde, aus Brankos Schatten herauszutreten. Wenigstens war er kein Schürzenjäger und in ihren Augen weitaus zuverlässiger. Bei ihm brauchte sie keine Angst zu haben, dass er einen Teil der Einnahmen in die eigene Tasche abzweigte, wie sie es bei Branko das eine oder andere Mal vermutet hatte.

Sie richtete ihre Gedanken nach vorn und legte sich die Worte zurecht, mit denen sie Ernst Reszak aus Wien begrüßen wollte, der als einziger Gewinner des Preisausschreibens zu ihnen ins Hotel kommen würde, um vierzehn Tage Übernachtung mit Halbpension zu genießen.

2

Der Bus fuhr durch eine herrliche Landschaft. George Trelone blickte staunend auf die hoch aufragenden Berge, die ihre schneebedeckten Gipfel in den Himmel reckten, bewunderte die grünen Matten, aus denen sich der graue Fels erhob, und sog den Anblick der dunklen Tannen, die sich wie ein dicker Teppich an den Bergflanken erstreckten, in sich hinein. Es war eine Landschaft, wie es sie in seiner Heimat nicht gab, und doch fühlte er sich ihr auf eine seltsame Art und Weise verbunden.

Und ich habe allen Grund dazu, dachte George mit einem Lächeln, das zwischen Bitterkeit und Spott schwankte. Er war gekommen, um eine Nadel im Heuhaufen zu suchen, und wusste dabei nicht einmal, ob es diese Nadel überhaupt gab.

Seine Gedanken wanderten drei Wochen zurück in das zwar imposante, aber stark renovierungsbedürftige Suthermere House, dessen Besitzer er sich neuerdings nennen durfte. Der alte Hausherr, Henry Archibald Trelone, elfter Earl of Suthermere, hatte als Letzter seiner Familie nach der Devise gelebt: »Nach mir die Sintflut!« und alles durchgebracht, was vom einstigen Vermögen der Suthermeres noch übrig gewesen war.

Nach seinem Tod hatten die Anwälte vier Monate gebraucht, um die Spuren eines vor Generationen abgespaltenen Familienzweiges zu verfolgen und ihm, George, die Nachricht zu überbringen, dass er sich zum Hochadel des britischen Empire zählen konnte.

Georgs Lächeln wurde sarkastisch. Außer dem Titel, dem baufälligen Familiensitz in Cornwall und der berühmten handgeschriebenen Suthermere-Bibel aus dem 13. Jahrhundert, die trotz ihres Wertes nicht veräußert werden durfte, hatte er nur Probleme geerbt. Er konnte von Glück sagen, dass der Verkauf eines zum Besitz der Suthermeres zählenden Hotels genug eingebracht hatte, um wenigstens die Erbschaftssteuer bezahlen zu können. Wahrscheinlich hatte der alte Henry Archibald gar nicht gewusst, dass das Hotel ihm gehörte, sonst hätte er es ebenfalls in teuren schottischen Whisky und andere Annehmlichkeiten umgesetzt.

Für einen Augenblick stellte George sich vor, er hätte die alte Bibel bei Sotheby’s versteigern können. Mit dem Erlös könnte er zwar nicht gerade in Saus und Braus, aber sicherlich gut leben. Doch gerade diese Bibel war ein altes Erbstück und durfte weder verkauft noch beliehen werden. Trotzdem konnte sie ihm zu einem gewissen Wohlstand verhelfen, und das hatte etwas mit den Tiroler Bergen zu tun und mit einem kleinen Bogen aus Pergament, den er zufällig durch einen Riss in der kalbsledernen Hülle der Bibel erspäht hatte. Auf diesem hauchdünn geschabten Zettelchen hatte ein sehr früher Vorfahr, nämlich Geoffrey Maurice of Trelone, ein Ritter aus dem Gefolge von König Richard Löwenherz, in schlechtem Altfranzösisch beschrieben, wie er seine aus dem Orient mitgebrachte Kriegsbeute in einer Höhle bei dem Dorf der frommen Brüder von Sanctus Valentinus vergraben hatte, um seinen von Herzog Leopold gefangen gesetzten und verschleppten König zu suchen und zu befreien. Nach langem Überlegen und dem Studieren alter Karten war George zu dem Schluss gekommen, dass er sein Glück in dem Ort St. Velten versuchen könnte. Der Name war zumindest ein Hinweis darauf.

Wahrscheinlich bin ich ein Narr, der einer Chimäre nachrennt, dachte er kopfschüttelnd.

Dann aber zuckte er mit den Schultern. Wenn er nicht wollte, dass Suthermere House über seinem Kopf zusammenbrach, brauchte er Geld, um es zu renovieren. Die andere Möglichkeit war, sich einen reichen Trampel zu suchen, der sich mit ihm – oder besser gesagt, seinem Titel – schmücken und sich Lady Suthermere nennen konnte.

Aber das kam für ihn nicht infrage. Zumindest vorerst nicht, wie er mit einem gewissen Zynismus einschränkte.

Der Bus hatte die letzte Steigung überwunden und fuhr abwärts ins Tal von St. Velten. George vertrieb die trüben Gedanken und richtete sein Augenmerk auf den hübsch gelegenen Ort. Die wuchtige alte Kirche mit ihrem gotischen Spitzturm stand fast genau im Zentrum auf einer kleinen Anhöhe und schien wachsam auf Hotels, Pensionen und paar Bauernhöfe herabzublicken, die zusammen mit ein paar Dutzend kleinerer Wohnhäuser das Dorf bildeten.

»Das ist wirklich das Ende der Welt!« Der einzige Fahrgast, der sich außer George noch im Bus befand, seufzte tief und schüttelte den Kopf, bevor er sich George zuwandte.

»Meinen Sie nicht auch? Es gibt so schöne Flecken auf der Welt, und ausgerechnet da müssen wir landen.«

George verstand durch einen mehrmonatigen Studienaufenthalt in Hannover ein wenig Deutsch, doch die Aussprache des großen, ein wenig stämmigen Mannes mit den silbergrauen Haaren war ihm sehr fremd.

»Sorry, ich habe nicht verstanden«, antwortete er, während er sein Gehirn mühsam nach deutschen Vokabeln durchforstete.

Der andere hob interessiert den Kopf. »Ah, der Herr ist wohl Amerikaner.«

»No, I’m an Englishman. Entschuldigung, ich meine, ich bin Engländer.«

»Engländer sind Sie? Das freut mich. Ich war vor zwanzig Jahren einmal in London. Eine schöne Stadt muss ich sagen, beinahe so schön wie unser Wien. Der Buckingham-Palast ist eine Wucht, fast so prachtvoll wie unser Schönbrunn. Und euer Tower erst! Und die Brücke dazu. Also, mir hat London sehr gut gefallen. Schad, dass ich später nicht mehr dazu gekommen bin, noch einmal hinzufahren. Damals war es beruflich, und im Urlaub, da hat meine Frau nicht mitgemacht. Die hat immer nach Kroatien fahren wollen. Ihre Großmutter ist von dort nach Wien gekommen, damals, als in Wien noch unser alter Kaiser Franz Josef regiert hat. Das waren andere Zeiten als heute.«

Es war, als hätte der Mann jemand gesucht, mit dem er reden konnte. Einmal in Schwung gekommen, prasselte seine ganze Lebensgeschichte auf George nieder. Dieser erfuhr, dass sein Begleiter Ernst Reszak hieß, im letzten Jahr seine Frau durch eine heimtückische Krankheit verloren hatte und im Winter durch Intrigen seiner, wie er sagte, unfähigen Vorgesetzten in den vorzeitigen Ruhestand abgedrängt worden war.

»Dabei bin ich gerade erst fünfundfünfzig geworden und hätte sicher noch fünf bis acht Jahr arbeiten können. Aber die Trottel haben von oben die Anweisung gekriegt, ein Zehntel der Belegschaft abzubauen, und sortieren einfach uns Ältere wie abgetretene Schuhe aus.«

George spürte, wie sehr diese Tatsache an Reszak fraß. So kurz nach dem Tod der Frau konnte ein solcher Schlag den Lebensmut eines Menschen zerstören, und er schüttelte den Kopf über die verantwortlichen Leute in Firmen und Behörden, die erfahrene Leute nach Hause schickten, weil nur die Jugend als belastbar galt und niemand mehr das Wissen der Älteren schätzte.

»Na ja, die werden schon sehen, was sie davon haben«, schloss Reszak dieses trübe Kapitel ab und wies nach vorn. Dort tauchte links von der Straße und dem kleinen Fluss, der parallel dazu verlief, ein großer Reitstall auf. Fast genau gegenüber stand ein großes Gebäude, dessen Schild es als »Zugmaierwirt« auswies. Ein weiteres Wirtshaus befand sich ein Stück weiter an derselben Seitenstraße. Es sah etwas kleiner und weniger protzig aus.

»Wenigstens kann man ein bisserl einkehren in dem Nest«, befand Reszak, während der Busfahrer um das Gemeindehaus herumfuhr und auf dem danebenliegenden Parkplatz anhielt.

»St. Velten, Endstation, alles aussteigen«, rief der Fahrer mit singender Stimme.

»Da sind wir also.« Reszak packte seufzend die beiden riesigen Koffer, die er hinten in den Gang gestellt hatte, und schleppte sie nach vorn.

George folgte ihm mit ein wenig Abstand, um keinen davon auf seine Füße zu bekommen, falls der Mann sie absetzen musste. Sein Gepäck war weniger umfangreich und bestand nur aus einem Hartschalenkoffer, den er für diese Reise billig erstanden hatte. Er hätte natürlich auch einen der vielen Koffer aus bestem Leder nehmen können, die ihm der elfte Earl hinterlassen hatte. Doch diese trugen das Wappen der Suthermeres, und so protzig hatte er nicht auftreten wollen.

»Leut, lasst’s Leut außi«, schimpfte Reszak, weil ein paar Gäste bereits in den Bus drängten, obwohl er aussteigen wollte.

Eine etwas rundliche Frau in hautengen Leggins und einem T-Shirt, das sich wie eine Wurstpelle um ihre Formen spannte, wollte sich an ihm vorbeidrängen, stolperte über einen seiner Koffer und wurde nur durch Georges rasches Zugreifen vor einem Sturz bewahrt. Anstatt sich zu bedanken, drehte die Frau sich zu Reszak um und überschüttete ihn mit einer Fülle von Schimpfworten, die diesen rot anlaufen ließen.

»Sie, wenn ich ausfällig werden soll, brauchen Sie’s bloß zu sagen!«, schäumte er auf.

»Kommen Sie, Herr Reszak, wir müssen wirklich hinaus. Auf Wiedersehen!« George nickte dem wortgewaltigen Pummel kurz zu und schob den Wiener Pensionär nach vorn. Reszak murmelte noch ein paar Worte, die sich wie »depperte Kuh« und »aufgeblasene Blunz’n« anhörten, aber zum Glück so leise, dass das Ziel dieser Bemerkungen ihn nicht hören konnte. Kurz darauf standen sie auf dem Parkplatz und sahen sich um.

»Abholen tut mich anscheinend keiner«, maulte Reszak und zeigte auf eine von zwei riesigen Blumenkübeln flankierte Tür im Gemeindehaus, über der groß »Fremdenverkehrsamt« und etwas kleiner »Tourist Information« stand. »Ich erkundige mich, wo das Hotel Erzherzog Josef ist. Da hab ich nämlich ein Zimmer bei einem Preisausschreiben gewonnen. Wenn ich mich so umschau, frag ich mich sowieso, warum ich mitgemacht hab. Ich könnt jetzt schön gemütlich in Istrien sitzen, ein Glas Roten auf dem Tisch und aufs Meer hinausschauen. Das ist eine Stimmung, sag ich Ihnen.« Er seufzte erneut und stapfte los.

George folgte ihm kopfschüttelnd. Ihm gefiel die Gegend, und er freute sich darauf, ein paar Wochen in diesem Ort verbringen zu können.

Vergiss den vergrabenen Schatz des alten Kreuzritters und betrachte es als Urlaub, sagte er sich und betrat hinter dem alten Wiener das Fremdenverkehrsamt.

Zwei junge Frauen und ein ebenso junger Mann in dunklen Hosen, weißem Hemd und roter ärmelloser Weste mit einer Digitalkamera in der Hand befanden sich im Raum. Die blonde und üppig gebaute Frau saß hinter einer Art Schreibtisch und trug ein enges erdnussbraunes Mieder mit einem recht großzügigen Ausschnitt, der, als sie sich leicht vorbeugte, einen grandiosen Einblick bot. Obwohl sie durchaus hübsch war, streifte George sie nur mit einem beiläufigen Blick und starrte das andere weibliche Wesen an. Die junge Frau reichte ihm bis knapp über das Kinn und besaß herrliches brünettes Haar, ein fein gezeichnetes, herzförmiges Gesicht mit einem sanft geschwungenen Mund und zwei Augen wie leuchtender Bernstein. Ihre Figur war schmal, besaß aber durchaus angenehme Formen. Das hellgrüne Mieder und die weiße Bluse ließen ihren Busen mehr erahnen, als dass sie ihn zur Schau stellten, und unter ihrem wadenlangen Faltenrock kamen zwei zierliche Füße zum Vorschein.

Der dunkelhaarige Mann sah Reszak und George kommen und räusperte sich. »Andrea, der Bus!«

»Was?« Andrea Kreuzberger fuhr zusammen und drehte sich um. Reszak stellte eben seine beiden Koffer ab und musterte die Einrichtung des Fremdenverkehrsbüros so griesgrämig, dass Andrea hoffte, sein Begleiter könnte der Gewinner des Preisausschreibens sein. Ein Bild mit einem grantigen Alten stellte gewiss keine Werbung für das Hotel ihres Vaters dar.

»Grüß Gott. Ich bin Ernst Reszak aus Wien und suche das Hotel Erzherzog Josef. Ich habe dort vierzehn Tage Urlaub gewonnen.«

Reszaks Vorstellung ließ Andreas Hoffnung wie eine Seifenblase zerplatzen. Sie wechselte einen entsagungsvollen Blick mit Sepp und wandte sich mit einem geschäftsmäßigen Lächeln an den Frühpensionär. »Grüß Gott, Herr Reszak. Mein Name ist Andrea Kreuzberger, und ich begrüße Sie recht herzlich bei uns – auch im Namen meines Vaters Bartholomäus, dem der Erzherzog Josef gehört. Darf ich Ihnen diesen Blumenstrauß überreichen?«

Andrea nahm rasch die Blumen, die sie auf dem Schreibtisch ihrer Freundin Sissy abgelegt hatte, und drückte sie Reszak in die Hände. Dabei winkte sie Sepp, er solle ein paar Bilder machen.

»Einen Moment, da muss ich mich besser hinstellen.« Der junge Mann hantierte vor Aufregung linkisch mit der Kamera und stieß im Rückwärtsgehen mit George zusammen, der sein Augenmerk auf eine Panoramakarte des
St. Veltener Tales gerichtet hatte.

»Entschuldigung, das wollt ich net!« Sepp wurde vor Verlegenheit rot.

George lachte nur und nahm ihm die Kamera aus den Händen. »Wenn Sie erlauben, mache ich die Fotos. Ich war nämlich eine Zeit lang als Fotograf beschäftigt.«

Andrea hörte seinen englischen Akzent und atmete erleichtert auf. Anscheinend hatte die Arbeitsvermittlung diesmal rasch gehandelt und ihnen einen der Iren als Kellner geschickt.

»Lass das ruhig den Mister machen, und stell dich zu uns«, rief sie Sepp zu, in der Hoffnung, dass Reszaks trübsinnige Miene zwischen zwei fröhlich wirkenden Gesichtern nicht so auffallen würde. Sepp gehorchte, und George schoss mehrere Bilder, wobei der Wiener Pensionär sich doch noch zu einer freundlicheren Miene bequemte. Als Andrea sich die gespeicherten Bilder ansah, atmete sie erleichtert auf.

»Danke schön! Da wird sich mein Vater freuen. Du bist sicher der neue Kellner, der bei uns anfangen soll.«

Sie musterte George mit einem gewissen Interesse und wusste ihn nicht so recht einzuschätzen. Er war groß und sportlich, fast ein wenig hager. Aus einem angenehmen, männlichen Gesicht blickten zwei durchdringend blaue Augen, und sein blondes Haar besaß den leichten Rotstich, den es in dieser Art nur auf den britischen Inseln gab.

Wie ein Kellner sah er wirklich nicht aus, eher wie ein Student, der sich während der Semesterferien ein paar Pfund dazuverdienen wollte. Es war allerdings auch egal, wer er war. Hauptsache, er blieb ihnen die Hauptsaison hindurch erhalten. Mit seinem Aussehen würde er bei den weiblichen Gästen den Verlust Brankos locker ausgleichen, dachte sie mit einem gewissen Spott und ärgerte sich gleichzeitig über diesen Gedanken. Resolut schob sie ihre Überlegungen beiseite und zeigte auf das Gepäck des Wieners.

»Du kannst gleich die Koffer vom Herrn Reszak tragen. Es ist nicht weit, nur fünfhundert oder sechshundert Meter. Der Sepp nimmt dafür deinen Koffer. Er ist unser Oberkellner und dein direkter Vorgesetzter.«

George hätte Andreas Irrtum mit ein paar Worten aufklären können. Aber ein weiterer Blick auf sie veranlasste ihn dazu, die beiden anscheinend mit Ziegelsteinen gefüllten Riesenkoffer des Wiener Pensionärs zu ergreifen und der jungen Frau zu folgen. Hinter ihm kam Sepp mit seinem eigenen Koffer und einem Blick, der anzeigte, dass er den Job des Oberkellners liebend gern George überlassen hätte.

Der brave Bursche wusste selbst nicht, weshalb er so dachte. Bei Branko hatte er immer gehofft, diesen einmal ausstechen und seinen Platz einnehmen zu können, doch dieser Ire flößte ihm aus einem unerfindlichen Grund gewaltigen Respekt ein.

3

Das Erzherzog Josef war groß und feudal genug, um auch Reszak zu beeindrucken. Höher als die übrigen Hotels gelegen, wirkte das Gebäude mit seinem sorgfältig renovierten Äußeren und dem mit Fingerspitzengefühl modernisierten Innenleben wie eine gelungene Symbiose aus altösterreichischer Behaglichkeit und den Segnungen der modernen Technik. Die Einrichtung war dem alten Stil nachempfunden. George, der nicht erst seit dem Tag, an dem er Suthermere House geerbt hatte, ein Faible für altehrwürdige Bauten besaß, fand, dass dies der richtige Rahmen für das hübsche Fräulein war, das ihn für einen Kellner hielt.

Auf dem beschwerlichen Aufstieg zum Hotel hatte Sepp Walcher, sein künftiger Kollege und Vorgesetzter, ihm erklärt, was er neben freier Kost und Logis verdienen würde. Da George zuletzt als freier Journalist in Stratford upon Avon gearbeitet hatte, fand er das zukünftige Kellnerdasein gar nicht so schlecht. Niemand wartete auf ihn, er war ungebunden und vermochte das Ganze vielleicht sogar noch in einem Artikel zu verwerten. Die Spuren seines Vorfahren konnte er in seiner Freizeit erforschen. Er sagte daher nichts, als Andrea ihn Sepps Obhut übergab, damit dieser ihm sein Zimmer zeigen und ihn in seine neuen Aufgaben einführen konnte.

Während George Sepp ganz nach oben folgte zu den kleinen, unter dem Dach liegenden Zimmern des Personals, führte Andrea den Wiener Pensionär in das Büro ihres Vaters. Sie war sich nicht sicher, was sie von Reszak halten sollte. Der Mann wirkte selbst jetzt, da er ihrem Vater gegenüberstand, griesgrämig und sogar ein wenig ärgerlich.

Bartholomäus Kreuzberger erkannte die schlechte Laune seines Gastes und musste seinen eigenen Unmut hinunterschlucken. Er hatte sich die Idee mit dem Preisausschreiben ausgedacht, um seinen Konkurrenten Prachtl auszustechen, und es hatte ihn einiges gekostet, die Sache in die überregionalen Zeitungen zu bringen. Ein muffiger Wiener älteren Baujahrs war nicht unbedingt der Preisträger, den er erhofft hatte. Trotzdem begrüßte er Reszak mit aller Freundlichkeit.

»Habe die Ehre, Herr Reszak. Ich hoffe, Sie haben eine gute Reise gehabt. Mit der Bahn sind Sie ja schnell von Wien zu uns nach Tirol gekommen. Was wollen Sie trinken, einen Cognac vielleicht oder lieber einen Obstler? Komm, Andrea, schenk uns ein Stamperl ein.« Kreuzberger stand auf, reichte Reszak die Hand und sah ihn dabei so beschwörend an, als wollte er ihm die gute Laune durch die bloße Kraft seines Willens einflößen.

Der Pensionär musterte das kleine Wandschränkchen, aus dem Andrea eben zwei Schnapsgläser aus Steingut und eine Flasche ebenso hochwertigen wie hochprozentigen Inhalts herausholte, und nickte.

»Also, gegen einen Schnaps hab ich nichts, auch wenn das Frühstück im Zug eher bescheiden war.«

Kreuzberger sah ihn entsetzt an.

»Was? Ich sag’s ja! Die Dienstleistungsunternehmen taugen in der heutigen Zeit wirklich nichts mehr. In meiner Jugend, da war das noch anders. Da hat es bei der ÖBB noch einen richtigen Speisewagen gegeben. Da haben sie Schnitzel vom Feinsten zubereitet, sage ich Ihnen. Besser werden sie auch in meinem Hotel nicht serviert.«

»Hoffentlich hat sich Ihre Küche nicht der Bahn angeglichen. Ich hab nämlich einen empfindlichen Magen.« Reszak klang ziemlich bärbeißig.

Der Hotelier erkannte, dass die schlechte Laune seines Gastes auf einen leeren Magen zurückzuführen war, und funkelte Andrea mahnend an.

»Sorg dafür, dass unser Ehrengast ein richtiges tirolerisches Frühstück kriegt, mit Schinken, Speck, Käse, Kaminwurzen und allem, was dazugehört!«

»Aber Vater, es gibt bald Mittagessen.« Es war ein Einwand, den Andrea besser nicht gebracht hätte. Ihr Vater riss ihr die Schnapsflasche aus der Hand und knallte sie auf den Tisch.

»Bis die Küche aufmacht, dauert’s mindestens noch eine Stund! So lang wirst du unseren Gast wohl nicht hungern lassen. Husch, schau, dass du hinauskommst und was herrichtest. Und wir, Herr Reszak, trinken erst einmal auf Ihre glückliche Ankunft!« Während seine Tochter das Büro verließ, reichte Kreuzberger seinem Gast einen Stamper und stieß mit ihm an.

»Auf Ihr Wohl!«

»Und das Ihre!« Reszak setzte an und ließ den Schnaps mit Genuss die Kehle hinunterrinnen. »Also, der schmeckt, das muss ich schon sagen.«

»Wollen wir noch einen trinken?«, fragte der Hotelier.

Reszak schüttelte zunächst den Kopf, hielt ihm dann aber doch das Glas zum Nachfüllen hin.

»Auf einem Bein steht sich’s schlecht, heißt es. Aber mehr als zwei Schnapserl sollten es nicht werden, sonst lauf ich noch wie ein Ochs auf allen vieren!«

Kreuzberger lachte pflichtschuldig und fand allmählich, dass er es mit diesem Gewinner seines Preisausschreibens nicht so schlecht getroffen hatte wie befürchtet. Reszak mochte keine Berühmtheit sein wie die alternde Schauspielerin Simone Becher, aber gerade das würde sich in der Zeitung gut machen.

Das Erzherzog Josef, das Hotel mit einem Herz für den normalen Bürger! Kreuzberger sah die Überschrift bereits vor sich und beschloss, alles zu tun, damit sie auch in der Zeitung erscheinen würde.

»Also dann, auf das zweite Standbein, Herr Reszak. Danach bring ich Sie ins Frühstückszimmer, wo die Andrea sicher schon was Feines hergerichtet hat. Da werden Sie die lätscherten Semmeln und den schlechten Kaffee von der Reise schnell vergessen.«

»Na ja, so schlimm war’s auch wieder net. Man hat’s essen können.« Es sah fast aus, als wäre Reszak ein wenig über seine eigene grantige Art erschrocken. Er prostete Kreuzberger zu, stellte den Stamper auf dessen Schreibtisch ab und ließ sich von dem Hotelier zum Frühstückszimmer bringen. Dort stand wirklich ein prachtvolles Frühstück bereit.

Während Reszak sich setzte, winkte Kreuzberger den Oberkellner heran und befahl ihm leise, ein paar gute Aufnahmen zu machen. Dann sah er George, dem Sepp unterdessen die dunklen Hosen, das weiße Hemd und die rote Weste mit dem Emblem des Erzherzog Josef verpasst hatte.

»Wer ist denn das?«

»Das ist unsere neue Aushilfskraft aus Irland. Er ist mit demselben Bus gekommen wie unser Preisträger«, antwortete Andrea an Sepps Stelle.

Sie hatte George angewiesen, Reszak zu bedienen, um sich ein Bild von seinen Fähigkeiten zu machen. Der junge Brite enttäuschte sie nicht. George entsann sich rasch der Lehren aus seiner Studienzeit und sorgte vorbildlich für den Gast, auch wenn er dabei mehr wie ein gediegener englischer Butler wirkte als wie ein beflissener Kellner.

»Der macht sich gut! Diese Iren, die haben was an sich, was man bei uns so leicht net findet.« Kreuzberger nickte zufrieden und wollte sich wieder zurückziehen, als George sich mit einem Lächeln an ihn wandte.

»Verzeihen Sie, ich bin kein Ire, sondern ein Mann aus good old England. Ich habe gelernt, Ober zu sein, in Clacton on Sea und Margate.« Georges Deutsch war besser, als er gerade unter Beweis stellte, aber er wollte seine Rolle als Saisonkellner so realistisch wie möglich spielen.

»Ob Ire oder Engländer, das ist fast das Gleiche«, winkte Kreuzberger ab.

»Oh, sagen Sie das nicht einem Iren oder einem Englishman. Die sind da sehr speziell.« Es machte George Spaß, den Hotelier ein wenig an der Nase herumzuführen. Dabei warf er immer wieder ein Auge auf Andrea, die mit der Miene einer gestrengen Richterin neben dem Tisch stand. Ihr Blick ruhte mit einem Mal mahnend auf ihm.

»Die Tasse von Herrn Reszak ist leer!«

George nahm sofort die Kaffeekanne auf, um die Tasse zu füllen. Der alte Wiener hob abwehrend die rechte Hand.

»Das kann ich selbst machen.«

»Also, Sie sind unser Gast, und der Gast ist bei uns König.« Kreuzberger wollte etwas sagen, sah aber dann seine Tochter fragend an. »Wie heißt er eigentlich, unser englischer Ire?«

»George Trelone, Sir!« George verbeugte sich dabei vor Kreuzberger, als hätte er statt eines Tiroler Hoteliers einen Mann aus königlichem Blut vor sich.

Kreuzberger lächelte geschmeichelt. »Also, George, du kannst dem Herrn Reszak das zweite Frühstücksei herrichten.«

Der Wiener schüttelte den Kopf.

»Nein danke, ein Ei reicht mir vollkommen. Ich darf net so viel davon essen, wegen des Cholesterins, wissen Sie.«

»Aber ein Stückerl Schinken essen Sie gewiss noch!«

Ein Wink mit den Augen brachte George dazu, Reszak vorzulegen.

Dieser schnitt sich seufzend ein Stück ab und steckte es in den Mund.

»So, nun reicht es aber wirklich. Ich komm mir wie genudelt vor. Ich glaub, zum Mittagessen brauch ich heut nichts«, sagte er, nachdem er den Schinken gekaut und hinuntergeschluckt hatte.

»Vielleicht ein Schnapserl?« Kreuzberger hob die Hand, um George loszuschicken, doch Reszak wehrte vehement ab.

»Nein danke! Noch stehe ich fest auf beiden Beinen. Ich würd gern mein Zimmer sehen, und wenn Sie mir vielleicht ein Mineralwasser bringen lassen könnten?«

»Das wird sofort geschehen! George …« Bevor Kreuzberger weitersprechen konnte, griff seine Tochter ein.

»Das soll besser der Sepp machen. Der George kennt sich im Hotel noch net aus und müsst das Zimmer von Herrn Reszak erst suchen.«

Der Oberkellner kam sofort heran und lächelte Reszak zu. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen! Das Wasser bring ich Ihnen gleich.«

»Das kann eines von den Zimmermädchen machen. Ich seh grad, dass draußen auf der Terrasse Gäste gekommen sind. George, kümmere dich um sie. Der Sepp wird nachkommen.«

Kreuzberger blickte mit einer gewissen Anspannung auf die Gruppe von Radfahrern, die vor dem zum Hotel gehörenden Restaurant ihre Drahtesel angehalten hatten und nun dicht gedrängt die Speisekarte studierten. Sie schien ihnen zu gefallen, denn die Ersten stiegen bereits die kurze Treppe zur Terrasse hoch und suchten sich einen Platz.

Noch bevor der Rest sich entschieden hatte, erschien George auf dem Plan und nahm die ersten Bestellungen auf. Kreuzberger sah zufrieden, wie geschickt er die Speisekarten verteilte, und hoffte, dass der junge Engländer sich halbwegs mit den darauf aufgeführten Gerichten auskannte.