Stehlende Hand

Ihr müßt wissen, Gent's, begann der greise Indianeragent, daß ich über den wilden Westen und die Indianer meine eigenen Ansichten habe, ganz andre, als sie hier landläufig sind; die Roten sind weit besser als ihr Ruf, und ich möchte manchem Weißen wünschen, so zu sein wie sie!

Ja, ich bin eine Reihe von Jahren Indianeragent gewesen, aber nicht einer von der Sorte, die, um sich selbst zu bereichern, die Roten um ihr Recht prellen und um ihr Hab und Gut betrügen. Diese Art von Agenten trägt die meiste Schuld daran, daß der Indianer nie aus dem Zorn gegen die Weißen herauskommt. Gewissenlos bereichern sie sich an der Armut und Nacktheit der bedauernswerten Indsmen und schreien Ach und Weh, wenn diese dann endlich einmal die Geduld verlieren und mit den Waffen in der Hand Gerechtigkeit verlangen.

Gerade, weil ich immer bestrebt war, ehrlich an den roten Männern zu handeln, habe ich auch viele treue und aufopferungsfähige Freunde unter ihnen getroffen und besonders die Apatschen waren und sind mir ans Herz gewachsen. Habe schon manchmal widersprechen müssen, wenn ein Gast hier bei unserer würdigen Mutter Thick behauptete, die Apatschen seien früher durch ihre Feigheit und Hinterlist bekannt gewesen und hätten sich durch sie den Schimpfnamen »Pimo« zugezogen; erst seit Winnetou ihr Häuptling ist, seien geschickte Jäger und tapfere, verwegene Krieger aus ihnen geworden.

Ja, es gibt allerdings einige Stämme unter ihnen, denen die Natur ihrer Wohnsitze nichts, gar nichts zu bieten vermag und die darum nicht bloß körperlich, sondern auch geistig heruntergekommen sind. Daran sind aber die Weißen schuld, die sie von ihren einstigen, besseren Jagd- und Weidegründen verdrängt haben und nun glauben, sie verachten zu dürfen. Von andern Stämmen aber, und besonders von den Mescaleros, darf man das nicht sagen. Ich habe sie längst gekannt, bevor Winnetou geboren war, und schon mit seinem Vater Intschu-tschuna eine vieljährige und innige Freundschaft gehalten. Er war vielleicht nicht so durchgeistigt wie Winnetou, allein auch schon in ihm lagen alle edlen Keime, die bei seinem Sohn so herrlich zur Vollendung kamen. Und, seht ihr, dieser prächtige Indsman wurde von Weißen ermordet, er und Nscho-tschi, seine Tochter, die Schwester Winnetous, diese schönste, beste und seelenreinste Tschargooscha der Apatschen! –

Doch könnt ihr euch ja selbst ein Urteil über die Apatschen bilden aus der Geschichte, die ich euch versprach. Ich will versuchen, sie auch so hübsch und fließend zu machen wie die andern Masters vor mir. Also, es mag beginnen:

Es war ein wunderbar schöner Junimorgen, eine wirkliche Seltenheit in jener weit entlegenen Ecke, die der nordwestliche Winkel des Indianerterritoriums mit den gradlinigen Grenzen von Kansas, Kolorado und Neu-Mexiko bildet. Es hatte während der Nacht ziemlich stark getaut; nun funkelten an Halmen und Zweigen brillantene Tropfen, und der eigenartige Duft des Büffelgrases und der kurzlockigen Grama erhielt eine so erquickende Frische, daß die Lunge das balsamische Cumarin in langen, tiefen Zügen einatmete.

Ein solcher Morgen pflegt auf die Stimmung des Menschen von wohltätiger Wirkung zu sein, und doch ritt ich ziemlich verdrossen in den prachtvollen Tag hinein. Der Grund war ein sehr einfacher: mein Pferd ging lahm. Es war vorgestern beim Galoppieren an einer Wurzel hängen geblieben. Und in der Prärie ein lahmes Pferd zu reiten, das ist nicht nur ärgerlich, sondern es kann sogar verhängnisvolle Folgen haben. Bei den dort täglich drohenden Gefahren hängen Leben und Sicherheit des Jägers nur zu oft von der Brauchbarkeit seines Tieres ab.

Ich hatte mit einigen Trappern droben in der Nähe von Spanish Peaks gejagt und war dann über die Willow-Springs hierher nach dem Nescutunga-Creek gekommen, um an dessen rechtem Ufer mit Will Salters zusammenzutreffen, mit dem ich vor Monaten in Nebraska Biber gefangen und beim Scheiden das gegenwärtige Stelldichein verabredet hatte. Wir wollten das Indianerterritorium bis an die südöstliche Grenze durchreiten und dann gerade nach Westen in den Llano estakado gehen, um diese berüchtigte Wüste kennen zu lernen.

Dazu war vor allem ein gutes Pferd nötig, und das meinige lahmte. Es hatte mich treu durch viele Gefahren getragen; ich wollte es gegen kein andres vertauschen, und so war ich gezwungen, ihm Ruhe zu gönnen, bis der Fuß sich wieder eingerichtet haben würde. Die dadurch entstehende Zeitversäumnis war allerdings höchst unangenehm.

Während mein Mustang langsam über die Prärie hinkte, sah ich mich nach Anzeichen um, aus denen ich die Nähe des Flusses zu erraten vermochte. Da, wo ich ritt, gab es nur vereinzeltes Buschwerk. Nach Norden aber zog sich eine dunkle Linie hin, die mich auf geschlosseneren Baum- und Strauchwuchs schließen ließ. Ich lenkte also nach dieser Richtung ab, denn wo sich mehr Pflanzenleben findet, muß auch mehr Wasser sein.

Ich hatte recht gehabt. Die dunkle Linie bestand aus Mezquite- und wilden Kirschensträuchern, die sich an beiden Ufern des Flusses hinzogen. Dieser war nicht breit und, wenigstens an der Stelle, wo ich auf ihn traf, auch nicht tief.

Ich ritt langsam am Ufer hin und suchte aufmerksam nach einem Zeichen Will Salters, der ja schon vor mir hier angekommen sein konnte.