Toni der Hüttenwirt – 157 – Herzensquartett

Toni der Hüttenwirt
– 157–

Herzensquartett

Ein Fundbüro mit Sonderservice

Friederike von Buchner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-067-8

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Bürgermeister Fellbacher steuerte sein Auto langsam den Waldweg entlang. Er war auf dem Weg ins Forsthaus. Die Fenster seines Wagens waren weit heruntergekurbelt, damit er den Vogelstimmen lauschen konnte. Es ging ihm so richtig das Herz auf. Wieder einmal freute er sich im Stillen, Bürgermeister in diesem Ort zu sein.

Das Forsthaus kam in Sicht. Lorenz Hofer, der Förster, stand mit den Waldarbeitern vor dem Haus. Fellbacher parkte neben dem dunkelgrünen Geländewagen der Försterei. Er stieg aus. Hofer kam auf ihn zu.

»Grüß Gott, Fellbacher! Mei, des ist eine Überraschung. Mit dir habe ich nicht gerechnet. Hast du dich von dem schönen Wetter anstecken lassen und willst mal wieder einen Waldspaziergang machen? Heute Morgen kamen schon mehrere Wandergruppen vorbei. Das ist schon merkwürdig. Da sehen wir tagelang niemanden und dann kommen sie alle auf einmal. Aber recht haben sie, der Wald ist herrlich und er duftet heute besonders intensiv, nach dem gestrigen Regen.«

»Grüß Gott«, sagte Fellbacher.

Er gab Hofer die Hand.

»Du schaust aber nicht gut aus, Fellbacher.«

»Ich habe die Nacht fast kein Auge zugetan.«

»Ich bin gerade auf dem Weg zur neuen Schonung, der letzten, die wir im vorigen Jahr angelegt haben. Magst mitkommen? Nach einer Portion frischer Luft und Waldesstille fühlst dich wie neu geboren.«

Fritz Fellbacher schüttelte den Kopf. »Hofer, ich bin nicht zum Vergnügen hier, sondern dienstlich.«

»Dienstlich?«, staunte der Förster. »Muss ja wichtig sein, dass du nicht angerufen hast und dich stattdessen persönlich bemühst.«

Fellbacher nickte. Er zog die Stirn kraus und seufzte.

»Ja, es gibt etwas, was ich dich fragen muss. Aber net hier draußen«, fügte er leise hinzu. »Es sollte erst mal unter uns bleiben.«

Die Forstarbeiter schauten alle herüber. Hofer drehte sich zu ihnen um und rief:

»Ihr könnt dann mal schon fahren. Ihr wisst, was zu tun ist. Ich komme später nach.«

Die Männer nickten und kletterten auf die Pritsche des Anhängers, der von einem Traktor gezogen wurde. Willy, der Vorarbeiter, ließ den Motor an und fuhr los. Hofer wartete, bis sie außer Hörweite waren.

»Scheint eine ernste Sache zu sein, Fellbacher, so ernst wie du mich ansiehst.«

»Das ist es!«

»Gut, dann gehen wir rein! Meine Lydia hat die Kinder in die Schule gebracht und ist dann nach Kirchwalden zum Einkaufen gefahren. Wir sind unter uns.«

Hofer ging voraus in die große Wohnküche des Forsthauses. Er schaltete die Kaffeemaschine ein und bat Fellbacher, sich zu setzen. Bald saßen sie bei einem Becher Kaffee zusammen.

»Also, nun rede schon, Fellbacher«, forderte ihn der Förster auf. »Dein Schweigen spricht Bände. Es muss sich um etwas sehr Ernstes handeln oder um eine politisch sehr delikate Angelegenheit.«

»Richtig, Hofer, so ist es, wichtig und sehr delikat. Mach bitte das Küchenfenster zu! Ich will nicht riskieren, dass uns jemand belauscht.«

»Himmel, du machst es spannend!«

Förster Hofer schloss das Fenster. Er setzte sich wieder. Bürgermeister Fritz Fellbacher sah ihn ernst an und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Hast du Wolfsspuren im Wald gesehen?«

Hofer starrte Fellbacher zuerst wortlos an, dann lachte er.

»Wolfsspuren? Bei uns soll es Wölfe geben? Na, davon weiß ich nix. «

»Bist du sicher, Hofer? Bist du absolut sicher?«

»Mei, was soll diese Fragerei? Wenn ich Wolfsspuren gesehen hätte, hätte ich dich informiert. Ich sage dir gleich, meinen Wald kenne ich so gut wie meine Westentasche.«

Fellbacher entspannte sich leicht.

Hofer trank einen Schluck Kaffee.

»Wolfsspuren haben dich also zu mir geführt. Wie kommst du auf so etwas, Fellbacher? Soll es in meinem Forst einen Wolf geben?«

»Ja, das wird behauptet.«

»Von wem?«

Fellbacher trank einen Schluck Kaffee. Dann erzählte er:

»Gestern am späten Nachmittag, kurz vor Büroschluss, bekam ich einen Anruf. Am Apparat war eine Journalistin. Sie sagte, sie arbeite für eine Münchener Zeitung und sei Redakteurin. Sie fragte mich geradeheraus nach dem Wolf, der sich im Wald von Waldkogel herumtreibe. Besonders interessiere sie sich dafür, welche Maßnahmen die Gemeinde ergriffen habe, um die Bevölkerung vor dieser gefährlichen Bestie zu schützen.«

»Was hast geantwortet?«, fragte Hofer.

»Ich war zuerst mal baff. Dann musste ich lachen. Ich hielt es für einen Scherz. Doch die Redakteurin ließ nicht locker. Ich gab zu bedenken, dass es viele Orte in den Bergen gibt, die mit der Silbe ›Wald‹ beginnen. Vielleicht war es eine Verwechselung? Sie blieb dabei. Es gäbe Augenzeugen, sagte sie. Diese hätten auf einer Wanderung einen Wolf gesehen.«

»Das glaube ich net, dass des ein Wolf war. Es war vielleicht ein großer Hund. Es werden viele Hunde ausgesetzt, besonders in der Ferienzeit.«

»Traurig, aber wahr, Hofer! Genau das habe ich der Redakteurin gesagt, dass es sich nur um einen großen streunenden Hund gehandelt haben konnte. Doch sie blieb bei ihrer Behauptung.«

»Wo soll er sich herumtreiben? Konnte sie dazu etwas sagen?«

»Sie könne nur das wiedergeben, was ihr die Wandergruppe erzählt hatte. Sie beschrieb den Weg von der Hauptstraße in den Wald. Nach diesen Angaben, kann es sich nur um das Waldstück hinter der Kate von der Ella Waldner handeln.«

»Und deswegen kannst nicht schlafen, Fellbacher? Vergiss die Sache! Mei, wir haben Sommer, da gibt es bekanntlich in den Zeitungsredaktionen das berühmte ›Sommerloch‹. Deshalb ist der Verdacht, es gäbe hier einen Wolf, ein gefundenes Fressen für diese Schreiberlinge.«

»Meinst wirklich, Hofer? Denkst, an der Sache ist nichts dran?«

»Fellbacher, warum bist du so unsicher? Wo ist dein logischer Verstand geblieben? Denke doch mal nach! Diese Redakteurin behauptet, es sei ein Wolf gewesen, obwohl sie ihn nicht gesehen hat. Sie verlässt sich darauf, was ihr die Wanderer erzählt haben. Die wollten sich doch nur wichtigmachen. Wenn sich wirklich hier im Wald ein Wolf herumtreiben würde und wenn sie ihn tatsächlich gesehen hätten, dann wären sie zu mir ins Forsthaus gekommen und hätten es gemeldet oder bei der Polizei oder direkt bei dir im Rathaus. Kein Mensch fährt heim und ruft dann eine Zeitung an. Des stinkt zum Himmel. Ich sage es noch einmal. Hier soll ein Sommerloch gefüllt werden!«

Fellbacher zuckte mit den Schultern.

»Hofer, es wurde mir gemeldet. Also habe ich mich damit zu befassen.«

»Mei, das sehe ich ja ein. Also noch einmal, ich habe keine Wolfsspuren gesehen, basta.«

»Vielleicht ist das Tier drüben auf der anderen Seite von Waldkogel, ganz in der Nähe von der Ella Waldner?«, gab Fellbacher zu bedenken.

»Die Ella ist fast den ganzen Tag auf Kräutersuche im Wald. Wenn sie verdächtige Spuren gesehen hätte, dann hätte sie es gemeldet. Außerdem ist nicht bekannt, dass Tiere zu Schaden gekommen sind. Aber wenn es dich beruhigt, dann gehe ich der Angelegenheit nach. Ich begebe mich auf Spurensuche und spreche auch mit der Ella.«

Bürgermeister Fellbacher nickte.

»Ich gebe zu, dass mir die Sache auch etwas merkwürdig vorkommt. Es gibt große Hunde, die man sicherlich mit einem Wolf verwechseln könnte. Vor allem, wenn man so ein Tier nur von ferne zwischen den Bäumen sieht und vielleicht auch nur kurz.«

»So denke ich auch darüber. Ich sage dir etwas. Ich werde auch mit unserer Tierärztin sprechen. Die Beate weiß bestimmt, wer hier in Waldkogel Hunde hat, die man mit einem Wolf verwechseln könnte. Jetzt denkst du nimmer dran und überlässt mir die Aufklärung! Außerdem fällt das sowieso in meinen Aufgabenbereich.«

»Des stimmt, Hofer. Gut, dann machen wir es so. Wenn du etwas herausgefunden hast, gibst du mir sofort Bescheid, diskret natürlich. Ich muss vermeiden, dass in Waldkogel Panik ausbricht.«

Hofer wiegte den Kopf hin und her.

»Wenn diese Zeitungsdame auf Biegen und Brechen etwas veröffentlicht, dann kannst du unter Umständen eine Aufregung nicht vermeiden, Fellbacher. Aber ich denke, an der Geschichte ist nichts dran. Jetzt hab’ ein bisserl Geduld. Ich werde mich darum kümmern.«

»Danke, Hofer!«

»Scheinst ja wirklich erleichtert zu sein.«

»Sicher, die Last der Verantwortung, die trägt sich leichter, wenn sie auf mehreren Schultern verteilt ist. Schließlich muss ich als Bürgermeister bei außerordentlichen Gefahren oder bei einer Bedrohung der Bevölkerung für deren Sicherheit sorgen. Aber ich kann doch nicht den Wald absperren oder eine Ausgangssperre erlassen, nur auf den Verdacht hin, dass sich ein Wolf herumtreibt.«

Lorenz Hofer lachte laut.

»Der arme Wolf, falls es einen gibt, der hat mehr Angst vor den Menschen, als du dir des ausmalen kannst. Vertraue mir! Mit wem hast drüber gesprochen?«

»Die Gina war nicht im Amt. Ich habe selbst das Gespräch angenommen. Du bist der Erste, mit dem ich darüber gesprochen habe.«

»Gut so, ich spreche mit der Beate. Sie wird die Angelegenheit auch für sich behalten. Auf die Ella Waldner ist ebenso Verlass. Außerdem halte ich des wirklich für eine Fehlinformation, die nur aufgebauscht wurde. Ich gebe dir einen Rat, Fellbacher. Falls die Tussi von der Zeitung noch einmal anruft, dann drohst du mit Schadensersatzforderungen und lässt dich mit dem Verleger verbinden. Das wirkt ganz sicher!«

Jetzt huschte ein Lächeln über Fellbachers Gesichtszüge.

»Wenn es ums Geld geht, werden alle vorsichtig«, sagte er. »Ich werde diese Redakteurin anrufen. Das habe ich ihr ohnehin zugesichert, damit habe ich sie hingehalten. Ich sage ihr, sie soll mir bitte schriftlich mitteilen, wo genau der Wolf gesehen wurde, damit ich etwas tun könne.«

»Das ist eine gute Idee, Fellbacher. Weißt, es ist etwas ganz anderes, am Telefon etwas zu sagen, als es schriftlich zu bestätigen. Vielleicht löst sich damit der Wolf ganz schnell in Luft auf.«

Fellbacher trank seinen Kaffee aus. Er wollte unverzüglich zurück ins Rathaus und noch bevor Gina, die Gemeindesekretärin kam, mit der Redakteurin telefonieren, die ihm ihre Handynummer gegeben hatte.

Hofer verabschiedete Fellbacher und brachte ihn hinaus. Er sah ihm nach, wie er mit dem Auto davonfuhr. Als dieser nicht mehr zu sehen war, schüttelte Lorenz Hofer den Kopf und ging zurück ins Forsthaus.

Er suchte die Adresse eines Bekannten heraus, von dem er wusste, dass er ein Experte für Wildtiere war, auch für Wölfe, und rief ihn an.

*

Es war Abend. Die Sonne stand schon sehr tief. Oliver Rosner und Daniel Welter joggten die letzten Meter bis zu dem Parkplatz eines Biergartens, außerhalb von München. Zweimal in der Woche trieben die Freunde zusammen Sport.

»Was ist, gehen wir noch auf ein Bier, Olli?«, fragte Daniel.

»Sicher, ›die gleiche Prozedur, wie immer‹, nur dass wir nicht so viel trinken«, sagte Oliver in Anlehnung an den bekannten englischen Silvestersketch.

Sie gingen zum großen Biergarten und suchten sich im hinteren Bereich einen einsamen Tisch unter einem Baum. Dort war es ruhig, denn die meisten Biergäste saßen vorn in der Nähe der Wirtsstube.

Die junge Bedienung kam und brachte gleich zwei große Bier mit.

»Mei, das ist ein Service«, lachte Daniel sie an.

»Aber nur für Stammgäste. Wieder Sport getrieben?«

»Aber sicher, das sieht man doch. Bringst du uns noch eine herzhafte Brotzeit?«

»Kommt sofort, wie immer eine große Wurst-Käse-Platte und Brot!«

Die Bedienung im feschen Dirndl, das ihre weiblichen Reize zur Geltung brachte, ging davon.

Die beiden Freunde schauten ihr nach.

»Mei, das wäre ein Madl, das mir gefallen könnte. Sie weiß, was ich will, bevor ich es gesagt habe.«

»Daniel, höre auf zu träumen! Du hast des Madl schon so oft angebaggert und dir jedes Mal eine Abfuhr eingehandelt.«

»Ich weiß, Olli, aber was soll ich machen? Wenn ich sie sehe, komme ich ins Träumen.«

»Sie ist die Tochter des Wirts und verlobt, das weißt du genau. Sie wird im nächsten Jahr den Koch heiraten und damit hat es sich.«

»Sie wäre perfekt.«

»Gleich verliere ich die Geduld mit dir, Daniel«, stöhnte Oliver.

»Mei, ich kann doch nix dafür. Es ist eben so, dass sie mir gefällt und ich fast einen Herzkasper bekomme, wenn ich sie sehe.«

»Wir sollten uns einen anderen Biergarten suchen, mit einer alten, sehr kräftigen und ein bisserl herrischen Bedienung. Dann bekommst du deine Gefühle besser in den Griff.«

»Das kommt nicht infrage, Oliver. Ich weiß, dass des Madl den Koch heiratet. Aber erstens ist sie noch nicht verheiratet, also ist alles offen. Zweitens darf man sich bekanntlich an den Auslagen in den Schaufenstern erfreuen, selbst wenn man weiß, dass man die ausgestellten Sachen nie besitzen wird. Es ist einfach eine Freude, des Madl anzusehen.«

»Du solltest dich nach einem anderen Madl umsehen, das rate ich dir. Es nervt mich allmählich, Daniel.«