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Paul Heyse

Novellen in Versen

Lyrik

Paul Heyse

Novellen in Versen

Lyrik

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-85-3

null-papier.de/521

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Die Braut von Cy­pern.

Ers­ter Ge­sang.

Zwei­ter Ge­sang.

Drit­ter Ge­sang.

Vier­ter Ge­sang.

Fünf­ter Ge­sang.

Sechs­ter Ge­sang.

Die Brü­der.

Kö­nig und Ma­gier.

Mar­ghe­ri­ta Spo­le­ti­na.

Uri­ca.

Die Fu­rie.

Rafa­el.

Mi­che­lan­ge­lo Buo­narot­ti.

Die Hoch­zeits­rei­se an den Wal­chen­see.

Ers­ter Ge­sang.

Zwei­ter Ge­sang.

Drit­ter Ge­sang.

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Die Braut von Cypern.

(1856)


Eduard Mö­ri­ke
zu­ge­eig­net.

Erster Gesang.


Es gibt ein Buch, vor Zei­ten viel be­wun­dert,
Bei Nied­ri­gen und Ho­hen wohl­ge­lit­ten,
Ein welter­fah­re­ner Trös­ter, des­sen hun­dert
Ge­schicht­lein sanft in Ohr und Her­zen glit­ten,
In un­serm höchst an­stän­di­gen Jahr­hun­dert
Ver­pönt in­des ob all­zu frei­er Sit­ten,
Ein Lust­wald voll der schöns­ten Aben­teu­er,
Nur, wie die Sage geht, nicht ganz ge­heu­er.

Doch Stel­len gib­t’s in dem ver­ru­fe­nen Hain,
Die selbst der lie­ben Ju­gend un­ge­fähr­lich.
Von Bel­la­don­nen sind die Wie­sen rein,
Der Weg für gu­ten Wan­del un­be­schwer­lich;
Kein schnö­der Faun grins’t un­ver­schämt dar­ein,
Der stren­gen Müt­ter Auf­sicht wird ent­behr­lich,
Und lose Vö­gel plau­dern von Ge­schich­ten,
Zwar auch ver­liebt, doch zü­gel­los mit­nich­ten.

Solch ein Ge­schicht­lein – wenn ihr lau­schen wollt –
Ge­lüs­tet mich, dass ich im Reim er­zäh­le.
O wä­ren mei­ne Ver­se hel­les Gold
Zu würd’­ger Fas­sung die­sem Licht­ju­we­le!
Nie ward der Schön­heit Hul­di­gung ge­zollt
An­däch­ti­ger von ei­ner Dich­ter­see­le,
Nie hat Boc­ca­z sich hö­he­ren Flugs er­ho­ben –
Doch still! Ich will er­zäh­len – ihr mögt lo­ben!

Der Ort ist Cy­pern, je­nes Son­nen-Ei­land,
Um das ein Sa­gen­meer me­lo­disch bran­det;
Die Hei­mat For­tu­nats, wo kläg­lich wei­land
Der bei­den Söh­ne Le­bens­schiff ge­stran­det;
Auch edle Rit­ter, glü­hend für den Hei­land,
Sind öf­ter hier, als nö­tig war, ge­lan­det.
Wer kennt nicht Zy­per­kat­zen, Zy­per­wei­ne
Und Ve­nus Cy­pria mit ih­rem Hai­ne!

»Zeit: die poe­ti­sche!« wie Heb­bel sagt,
Und schwer­lich meint er die ma­schi­nen­rei­che,
Die sich als über­klug und alt ver­klagt,
Macht sie auch noch die jüngs­ten dum­men Strei­che.
In­des, so leid­lich sie mir sonst be­hagt,
Zu­wei­len lohnt sich’s, dass man ihr ent­wei­che
Zu Men­schen in ver­schol­le­ne Zei­ten­fer­nen,
Die noch das Le­ben nicht aus Bü­chern ler­nen.

Auf Cy­pern also und vor grau­en Jah­ren
Gab’s einen Kauf­mann, reich an Geld und Gut,
Dem stets be­wahrt vor Stür­men und Kor­sa­ren
Manch wack­res Schiff sich schau­kel­t’ auf der Flut.
Und doch die liebs­ten sei­ner Gü­ter wa­ren
Ihm sei­ne Söh­ne, frisch an Seel’ und Blut.
Er­götzt uns ja zu­meist von al­len Ga­ben
Was wir nächst Gott uns selbst zu dan­ken ha­ben.

Nur Ei­ner war zu sei­nem Gram ge­bo­ren,
Der Schöns­te zwar, und doch sein ste­ter Kum­mer.
Jed­we­de Mühe schi­en an ihm ver­lo­ren,
Den trä­gen Geist zu rüt­teln aus dem Schlum­mer.
Er ging um­her, wie mit ver­schloss­nen Ohren,
Ver­schloss­nem Mund ein Tau­ber und ein Stum­mer,
Und musst’ er ei­nem ja ein Wört­lein gön­nen,
Hät­t’ ihn ein Kind an Witz be­schä­men kön­nen.

Er hieß Ga­le­so. Doch bei al­len Leu­ten
War’s Brauch, dass sie ihn nur Ci­mo­ne hie­ßen.
Dies dunkle Wort weiß ich euch nicht zu deu­ten,
Da ich des Cy­pri­schen mich nie be­flis­sen.
So was wie »Töl­pel« wird es wohl be­deu­ten;
Boc­cac­cio sagt es auch, der muss es wis­sen.
Ge­nug, mit die­sem Na­men rief man ihn,
Der ihm durch­aus nicht eh­ren­rüh­rig schi­en.

Der Va­ter selbst er­gab sich in sein Los,
Von vie­ren einen dum­men Sohn zu ha­ben.
Am Ende ward er wirk­lich auch zu groß,
Zu hof­fen auf noch un­ent­deck­te Ga­ben.
Er sprach ihn also von dem Leh­rer los.
Der Frucht er­zielt an sei­nen an­dern Kna­ben,
Und des­sen Kunst im Schrei­ben, Rech­nen, Le­sen
Nur bei dem Jüngs­ten gar um­sonst ge­we­sen.

Denn all­zu rasch hat Ei­nes an­ge­schla­gen:
Der Kin­der­zucht ul­ti­ma ra­tio
So gut in je­nen, wie in un­sern Ta­gen.
Ci­mo­ne, zwar in al­len Küns­ten roh,
Be­griff die eine schnell, die Kunst zu schla­gen,
Und übte sie an sei­nem Leh­rer so,
Dass die­ser wack­re, vie­ler­fahr­ne Mann
Im Schü­ler bald den Meis­ter sich ge­wann.

Was war zu tun? Man musst’ ihn lau­fen las­sen,
Ein Fül­len, dem der Zaum nicht an­zu­hef­ten.
Die Brü­der gin­gen längst auf fer­nen Stra­ßen
Der Bil­dung nach, den Wei­bern, den Ge­schäf­ten.
Ci­mo­ne blieb da­heim und schlug ge­las­sen
Die Tage, Wo­chen, Jah­re tot nach Kräf­ten.
Doch sonst un­schäd­lich tat er Nie­mand weh,
Und hass­te nichts, als nur das Abe­ce.

Zwar schi­en er auch von Lie­be nichts zu wis­sen;
Den Va­ter lieb­t’ er kaum, Gott nicht zu sehr,
Sich selbst am we­nigs­ten. Denn ab­ge­ris­sen
Mit wir­ren Haa­ren ging er stets um­her.
Sein Sam­t­rock war, kaum an­ge­schafft, zer­schlis­sen,
Und ein Ba­rett be­saß er bald nicht mehr.
Der Va­ter, ihm den Un­fug zu ver­lei­den,
Ließ end­lich ihn wie sei­ne Knech­te klei­den.

Das war ihm eben recht. Von da an blieb er
Ganz aus den Mau­ern weg der dump­fen Stadt.
Ein Le­ben gleich dem ärms­ten Bau­er trieb er,
Sch­lief auf dem Stroh, aß sich am Her­de satt.
Sein Va­ter hat­t’ ein Land­gut, wo der Cy­per
Auf Fel­sen reift’ an wohl­ge­schirm­ter Statt,
Mais­fel­der wog­ten und Oran­gen­gär­ten
Ihm Schat­ten, Blüt’ und Frucht zu­gleich be­scher­ten.

Da braucht’ es Arme, und im Arm Ci­mo­ne’s
War Mark ge­nug, um vie­re zu be­schä­men.
Kein Knecht ver­maß sich, mit des Her­ren­soh­nes
Ge­wal­t’­ger Mus­kel­kraft es auf­zu­neh­men.
Er pfleg­te je­dem Ta­ge­werk, ob­schon es
Oft nicht das feins­te war, sich zu be­que­men,
Als tät’s ihm Not, den Über­mut der Kräf­te
Zu bän­di­gen durch knech­ti­sche Ge­schäf­te.

Mit ei­nem Faust­schlag fäll­t’ er je­des Tier,
Dass ihm der Schä­del töd­lich schüt­ter­te,
Und wenn sich los­ge­macht ein jun­ger Stier,
Der hör­ner­wet­zend Frei­heit wit­ter­te,
Ci­mo­ne fing ihn ein im Wald­re­vier,
Riss ihn zu Bo­den, dass er zit­ter­te,
Dann führ­t’ er ihn nach Haus, pfiff sei­nen Hun­den
Und wan­der­t’ auf die Jagd für lan­ge Stun­den.

Denn fast ver­gaß ich, et­was liebt sein Herz:
Die bei­den Rü­den, die ihn stets um­spran­gen.
Bald nahm er sie und warf sie him­mel­wärts,
Um am Ge­nick sie wie­der auf­zu­fan­gen,
Bald, hin­ge­la­gert, hat­t’ er sei­nen Scherz,
Wenn wü­tend sie auf sei­ner Brust sich ran­gen,
Und hetz­te laut die un­ge­tü­men Bes­ti­en;
Es schi­en im Minds­ten nicht ihn zu be­läst’­gen.

Doch auch ein nütz­li­cher Ver­gnü­gen fand sich
Für ihn und sie: den stol­zen Hirsch zu ja­gen.
Ein Wölf­lein auch, ein Luchs und Eber stand sich
Nicht wohl da­bei, mit ih­nen es zu wa­gen.
So kam mein jun­ger Wild­ling in die Zwan­zig
Und schi­en dem Welt­lauf we­nig nach­zu­fra­gen,
Von des Ge­dan­kens Blass nicht an­ge­krän­kelt,
Doch de­sto breit­rer Brust und schlank ge­schen­kelt.

Nun war’s im Juni, ei­nes Nach­mit­tags,
Wo Tier’ und Men­schen große Glut be­täub­te.
Das müde Meer, im Son­nen­duns­te lag’s,
Kein Lüft­chen ging, das eine Wel­le sträub­te.
Im tie­fen Wald an­statt des Vo­gel­schlags
Klang nur der Bach, der von der Klip­pe stäub­te,
Dem Hir­sche, dem Ci­mon den Rest ge­ge­ben,
War heut der Tod be­que­mer als das Le­ben.

Sein Jä­ger, sonst ein Freund von Vier­zeh­nen­dern,
Heut schilt er selbst auf den ge­wicht’­gen Bra­ten.
Es wär’ ihm lie­ber, leer nach Haus zu schlen­dern,
Zu­mal er weit ins Land hin­ein­ge­ra­ten.
Doch da Ge­scheh­nes sel­ten mehr zu än­dern
Und oft uns drücken uns­re bes­ten Ta­ten,
So geht Ci­mon, die Hun­d’ ihm nach mit Schnau­fen,
Ver­dros­sen le­ckend an den blut’­gen Trau­fen.

Der Wald zog sich im In­nern mei­len­weit
Die Höh’n ent­lang, und schirm­te so den Rücken
Land­häu­sern, die, nicht nach der Schnur ge­reiht,
Mit bun­ten Gär­ten das Ge­sta­de schmücken.
Die Rei­chen bar­gen hier zur Som­mers­zeit
Sich mon­den­lang vor des Sci­roc­co Tücken,
Und oft er­scholl am Wald­saum ih­rer Töch­ter
Ge­sang und Tanz und fröh­li­ches Ge­läch­ter.

Mehr braucht es nicht, dass al­len Nach­bar­pfa­den
Der Men­schen­feind Ci­mo­ne stets ent­flieht.
Doch heut, mit dem ver­wünsch­ten Hirsch be­la­den,
Wählt er den nächs­ten Weg durch dieß Ge­biet.
Zum Glück er­scheint in Stein- und Laub-Ar­ca­den
Ihm nichts, was ei­nem Men­schen ähn­lich sieht;
Ein je­des Haus gleicht ei­ner si­chern Ves­te,
Vor de­ren To­ren Wa­che steht die Sies­te.

Wie nun ganz fried­lich und ge­dan­ken­los
Der klei­ne Jagd­zug wan­delt sei­ner Stra­ßen,
Auf ein­mal ste­hen in ei­nes Wäld­chens Schoß
Die Hun­de still und wit­tern mit den Na­sen.
Ihr Jä­ger stutzt und späht; sie win­seln bloß
Und fe­gen mit dem Schwanz den ho­hen Ra­sen.
Da plötz­lich schim­mernd aus dem grüns­ten Schat­ten
Sieht er das Wild, das sie ge­wit­tert hat­ten.

Ein Fleck des Wal­des war’s, den Gärt­ner­hän­de
Ent­wil­dert schon, al­lein nicht zahm ge­macht.
Ein Quell sprang aus den Bü­schen vor be­hän­de
Und plät­scher­t’ in ein Be­cken, über­dacht
Von wil­den Ro­sen. Hohe Lor­beer­wän­de
Um­heg­ten die­sen Traum der Wal­des­nacht.
Von fer­ne sah das Land­haus ei­nes Rei­chen
Her­über durch die im­mer­grü­nen Ei­chen.

Und hier, ins Moos am Brünn­lein hin­ge­streckt,
Lag eine Jung­frau, schla­fend in der Hit­ze.
Ein luf­tig som­mer­lich Ge­wand be­deckt
Den schlan­ken Leib bis zu der Füß­chen Spit­ze.
Ci­mo­ne steht wie aus dem Schlaf ge­weckt,
Wie an­ge­sengt von ei­nem flücht’­gen Blit­ze;
Die Hun­de selbst, die täp­pi­schen Ge­sel­len,
Sehn, dass es hier un­ziem­lich sei, zu bel­len.

Ein Künst­ler, des­sen Feu­er­ge­ni­us
Manch großes Irr­licht ru­hig über­ragt,
Ge­nel­li, den die Zeit ver­ken­nen muss,
Weil dieß Ge­schlecht nichts mehr nach Grö­ße fragt,
Mal­t’ uns den Lie­bes­gott, wie er am Fuß
Der Ei­che schläft. Das Wal­des­dun­kel tagt
Von sei­ner Fa­ckel, die im Bo­den steht,
Und ihm zur Sei­te ruht sein Kampf­ge­rät.

Und eine Lö­win, fraß­be­gie­rig, schleicht
Am Wald­rand zu des Kna­ben Schlum­mer­stät­te.
Al­lein so­bald ihr Scheelblick ihn er­reicht –
Als ob sie bang den Gott ge­wit­tert hät­te,
Hebt sie die Tat­ze, duckt sich und ent­weicht.
So mit den blö­den Tie­ren in die Wet­te
Wird sich Ci­mon in Tie­fen sei­ner Brust
Zum ers­ten Mal des Gött­li­chen be­wusst.

Die Schlä­fe­rin ließ sich für­wahr nicht träu­men,
Welch wil­der Sipp­schaft sie den Weg ver­leg­te.
Fest lag die Wim­per mit den schwar­zen Säu­men,
Kaum dass den Mund ein­mal ein Seuf­zer reg­te,
Wenn sich der Wind, er­wa­chend in den Bäu­men,
Mit schwü­lem Hauch um ihre Brust be­weg­te.
Den blo­ßen Ar­men, die ihr Haupt um­fin­gen,
War viel zu wohl, zu lö­sen ihre Sch­lin­gen.

Das An­ge­sicht war frei; nur dass sich eine
Der dun­keln Flech­ten um die Stirn ver­scho­ben.
Die Wan­gen schim­mer­ten in Ju­gen­drei­ne,
Die zar­te Brust war mäd­chen­haft ge­ho­ben.
Von so viel Adel, Her­big­keit und Fei­ne
War die­se se­li­ge Ge­stalt um­wo­ben,
Dass auch ein größ­rer Ken­ner als Ci­mo­ne
Sie nen­nen muss­te: des Ge­schlech­tes Kro­ne.

Und er nun gar, mein ar­mer dum­mer Jun­ge,
Sonst al­len Wei­bern blind vor­bei­ge­rannt,
Er wär’ auch jetzt vor­bei mit ei­nem Sprun­ge,
Doch hält ein Zau­ber sei­nen Fuß ge­bannt.
So steht er vor ihr, wie mit blö­der Zun­ge
Der ers­te Mensch vorm ers­ten Wei­be stand.
Da aber brach Gott Va­ter selbst das Schwei­gen;
Und hier – will denn kein Gott sich gnä­dig zei­gen?

O heil’­ges Wun­der! ur­alt ist die Welt,
Und den­noch steht am An­fang al­ler Din­ge
Das Herz, in das ein Strahl der Schön­heit fällt.
Als ob dich eine Schöp­fung neu um­fin­ge,
Wird dir die Brust er­schüt­tert und ge­schwellt,
Es trifft dich wie ein Schlag von Ad­ler­schwin­ge,
Die Trä­ne fühlst du dir im Auge be­ben –
Nun weißt du erst, le­ben­dig sei dein Le­ben.

Sie aber, die mit himm­li­schen Or­ga­nen
Nie in sich sau­gen die­se Le­bens­kraft,
Die nie, in Gold und Stau­be wüh­lend, ah­nen
Den rei­nen Schatz ver­klär­ter Lei­den­schaft, –
Ein dump­fer Ne­bel liegt auf ih­ren Bah­nen,
Be­gier al­lein dünkt ih­nen we­sen­haft;
Der bleib’ uns fern, der nicht zu schei­den wüss­te
Die Schön­heits­trun­ken­heit vom Rausch der Lüs­te!

Es lag auf die­ses Mäd­chens Stirn und Brau­en
Un­schuld’­ge Ma­je­stät, selbstun­be­wuss­te,
Dass, wer nicht wür­dig war, sie an­zu­schau­en,
Sich als ein Knecht vor ihr emp­fin­den muss­te.
So spürt Ci­mon ein un­ge­wohn­tes Grau­en,
Dem sei­ne See­le nicht zu weh­ren wuss­te;
Ahnt gar vor die­sem edeln Men­schen­bil­de
Die eig­ne dump­fe Nied­rig­keit der Wil­de?

Ein dunk­ler Zug der An­dacht, der ihn fass­te
Zum ers­ten Mal, hält sein Ge­müt im Zaum.
Als ob ein schwe­res Schick­sal auf ihm las­te,
Steht er von fern und wagt zu at­men kaum,
Ob­wohl er wie im Fie­ber dar­auf pass­te,
Dass sich, er­mun­tert aus dem letz­ten Traum,
Die Wun­der­schö­ne möch­te zu ihm nei­gen
Und was die Wim­per noch ver­hüllt ihm zei­gen.

In­des­sen schlief das Fräu­lein im­mer fort,
Wer weiß wie lang. Still war’s um die­se Stun­de;
Kein le­bend We­sen nah­te sich dem Ort,
Als Freund Ci­mon und sei­ne bie­dern Hun­de.
Die aber spra­chen alle drei kein Wort.
Die letz­tern nur – ver­zeih­lich war’s im Grun­de –
Be­gin­nen end­lich doch sich lang­zu­wei­len,
Da sie die Kurzweil ih­res Herrn nicht tei­len.

An­fangs ver­mag sie noch ein Blick zu bän­d’­gen,
Ein Fuß­tritt und ein Speer­hieb zu re­gie­ren.
Doch wil­der mur­ren schon die Un­ver­stän­d’­gen,
Die end­lich heu­lend die Ge­duld ver­lie­ren.
Die Schlä­fe­rin er­wacht, fährt mit den Händ­chen
Sich übers Ant­litz, sieht bei sei­nen Tie­ren
Ci­mo­ne ste­hen, und in des Schrecks Er­blei­chen
Ver­gisst sie Ru­fen, Fliehn und all der­glei­chen.

Auch un­ser Freund ver­säumt, was üb­lich ist;
Sich zu ent­schuld’­gen mocht’ er we­nig tau­gen.
Hat­t’ er doch nur ge­harrt so lan­ge Frist,
Um end­lich auch zu schaun die hel­len Au­gen.
In­des er al­les um sich her ver­gisst,
Ihr Licht al­lein in sei­ne Brust zu sau­gen,
Be­sinnt das Fräu­lein sich, und dreist und dreis­ter
Rück­keh­ren die ver­scheuch­ten Le­bens­geis­ter.

Denn ob Ci­mo­ne gleich kein Mäd­chen kann­te,
Sie ken­nen ihn, die alt’ und jun­gen alle,
Und Man­che, der er scheu vor­über rann­te,
Ge­stand sich ein, dass er ihr wohl­ge­fal­le,
Ob­wohl die Welt ihn einen Töl­pel nann­te.
Das Fräu­lein zwar war nicht in glei­chem Fal­le,
Doch sag­te sie zu ihm mit güt’­gem Tone
Und hol­dem Lä­cheln: Gu­ten Tag, Ci­mo­ne!

Er aber gab den Gruß ihr nicht zu­rücke,
Er starr­te nur sie an. Zu Häup­ten schoss
Ein Schwin­del ihm von un­be­kann­tem Glücke,
Da wie Mu­sik ihr Grü­ßen ihn um­floss.
Sie ahnt nicht, was so selt­sam ihn be­rücke,
Und mehr und mehr wird ihre Sor­ge groß:
Wenn sei­ne Wild­heit jetzt ihn über­käme,
Was fängt sie an, dass sie al­lein ihn zäh­me?

So stellt das klu­ge Kind sich un­be­fan­gen
Und steht mit Ho­heit auf von ih­rem Quel­le.
Ein leich­tes Rot ent­brennt auf ih­ren Wan­gen,
Da sie mit tap­ferm Schritt, doch nicht zu schnel­le,
An ihm vor­bei­geht mit ge­hei­mem Ban­gen.
Be­hüt’ dich Gott, Ci­mo­ne! spricht sie hel­le.
Doch er, dem alle Men­schen­furcht ge­raubt ist,
Sagt: Ich ge­leit’ Euch, Fräu­lein, wenn’s er­laubt ist.

Das Jung­fräu­lein erschrickt und ist ge­neigt,
Ein we­nig miss­zu­traun so sanf­ten Sit­ten.
Doch wenn ein Löwe höf­lich sich er­zeigt,
Wie dürf­te sich’s ein ar­mes Reh ver­bit­ten!
Sie geht vor­an und staunt bei sich und schweigt,
Er hin­ter ihr mit sei­nen Rie­sen­schrit­ten,
Und im­mer schwankt im Gehn um sei­ne Len­den
Das Hir­schen­haupt mit sei­nen vier­zehn En­den.

Der Wald hört auf, und durch des Gar­tens Git­ter
Tritt leich­tern Muts das schö­ne Mäd­chen nun.
Hier hofft sie los­zu­wer­den ih­ren Rit­ter,
Doch pflegt ein gan­zer Mann nichts halb zu tun.
Ge­dan­ken­voll den Lau­ben­gang durch­schritt er
Und ließ auf ihr al­lein das Auge ruhn.
Erst als die Vil­la wird den Bli­cken frei,
Be­sinnt er sich, dass er ein Frem­der sei.

Auch lädt sie ihn nicht ein. Mit kur­z­em Gru­ße
Schlüpft sie hin­ein und ach! ver­schwin­det drin­nen.
Da steht er nun und hat die schöns­te Muße,
Des Glückes schnel­lem Wech­sel nach­zu­sin­nen.
In so be­schau­li­chem Ge­dan­ken­flus­se
Ver­fällt er auf ein löb­li­ches Be­gin­nen:
Er hebt den Hirsch von sei­ner Schul­ter schnel­le
Und legt ihn wid­mend nie­der an der Schwel­le.

Dann aber macht er ei­lig sich da­von,
Als hät­t’ er, statt zu brin­gen, ihn ge­stoh­len.
Ihm brennt der Kopf – er meint bei je­dem Ton,
Man setz’ ihm nach, um ihn zu­rück­zu­ho­len.
Durch­mes­sen ist der klei­ne Gar­ten schon,
Er stürmt den Wald­weg hin auf flücht’­gen Soh­len
Und macht erst Halt an je­ner Quel­le Rand,
Wo er sein himm­li­sches Ver­häng­nis fand.

Da bückt er sich und trinkt in lan­gen Zü­gen;.
Nie ist ein Quell so la­bend ihm er­schie­nen.
Ach, könn­te man des Her­zens Durst be­trü­gen
Mit schlech­tem Was­ser – Man­chem würd’ es die­nen!
Die Heil’­gen mö­gen sich da­mit be­gnü­gen,
Poe­ten zäh­len sel­ten nur zu ih­nen,
Und dürft’ ich jetzt die Tra­di­ti­on ver­let­zen,
Ließ’ ich Ci­mon sich in die Schen­ke set­zen.

Dieß Was­ser zwar ist kein ge­wöhn­lich Nass,
Denn ih­ren Atem hat es ein­ge­so­gen;
Der Duft des Haars, da sie hier nie­der­saß,
Ihr Schat­te selbst ist drü­ber hin­ge­flo­gen.
Und dort – was liegt in je­nem sel’­gen Gras,
Das un­ter ih­rem Füß­lein sich ge­bo­gen?
Ein Buch, in blaue Sei­den ein­ge­bun­den.
Las sie dar­in, eh sie den Schlaf ge­fun­den?

Ci­mo­ne hebt es auf, mit sei­nen Hän­den,
Die grob ihm däuch­ten jetzt zum ers­ten Mal.
Er öff­net’s und be­schaut’s an al­len En­den,
Und auf die See­le fällt es ihm mit Qual:
Wie er es im­mer dre­hen mag und wen­den,
Es bleibt ihm stumm, es sagt ihm nicht ein­mal
Den hol­den Na­men je­ner ein­zig Lie­ben,
Der, wie er mut­maßt, vorn ist ein­ge­schrie­ben.

O ihr Dä­mo­nen der ver­säum­ten Ju­gend,
Nun stürmt ihr vor! Er­hab­nes Abe­ce,
Wenn dein er­zürn­ter Geist her­nie­der­lu­gend
Jetzt dei­nen Spöt­ter so im Elend säh’,
Und du, Ma­gis­ter, des­sen Lehrer­tu­gend
Ihm doch nicht wohl ge­tan, und dir so weh,
Wenn, sag’ ich, ihr ihn Alle säht, den Ar­men,
Trotz eu­res Grolls, – ihr müss­tet euch er­bar­men!

Tief­sin­nig steht der gute Jun­ge dort,
Die Hun­de kön­nen kei­nen Blick er­ha­schen.
Wohl konnt’ in al­ler Welt kein and­rer Tort
Des Schick­sals hä­mi­scher ihn über­ra­schen.
Zu­letzt be­sinnt er sich und steckt so­fort
Den Fund in eine sei­ner großen Ta­schen.
Trotz­dem dass Ehr­lich­keit am längs­ten währt,
Hält er, was er ge­fun­den, für be­schert.

Dann geht er fort. Ja, Ärms­ter, gehe nur,
Doch wirst du kaum vor Nacht nach Hau­se kom­men.
Ein schlim­mer Schütz ist jetzt auf dei­ner Spur
Und hat den Jä­ger auf das Korn ge­nom­men.
Er hetzt ihn durch Ge­bir­ge und Wald und Flur,
Em­por den Klip­pen­weg, den er er­klom­men –
Hört ihr in Lüf­ten gold­ne Pfei­le klin­gen?
Wie tief sie tra­fen, will ich nächs­tens sin­gen.

Zweiter Gesang.


Ein Sta­chel ist’s in ed­le­ren Ge­mü­tern,
Den Dank für rei­che Wohl­tat nicht zu zol­len.
Wer aber seg­net uns mit hö­he­ren Gü­tern,
Als wer uns Leh­re spen­det aus dem Vol­len!
Und gehn wir gar der Dicht­kunst grei­sen Hü­tern
Dan­k­los vor­bei, wird uns die Muse grol­len.
Nicht wei­ter führt sie mich des Lie­des Pfad,
Bis ich ver­eh­rend, Uh­lan­d, dir ge­naht.

Dir dank’ ich die­se Stro­phe, die elas­tisch
Und leicht dem Lied sich an die Hüf­ten schmiegt,
Jetzt sei­nen Wuchs be­zeich­net, streng und plas­tisch,
Jetzt flat­ternd als ein Schlei­er es um­fliegt.
Mit ihr hat schon Or­lan­do hoch­fan­tas­tisch
Und üp­pig Don Juan die Welt be­siegt.
Doch wie auch in ihr glänzt der Wel­sch’ und Brit­te,
Erst For­tu­nat trägt sie nach deut­schem Schnit­te.

O warum hat dein Meis­ter, ar­mer Wicht.
Die Hand so jäh­lings von dir ab­ge­zo­gen!
War un­er­schöpf­lich denn der Se­ckel nicht,
Draus des Hu­mors Gold­mün­zen klin­gend flo­gen?
Und tat dein Wün­schel­hut nicht sei­ne Pf­licht
Und trug den Dich­ter flugs durch Lüft’ und Wo­gen? –
For­tu­na sel­ber hat sich ab­ge­wen­det,
Und For­tu­nat blieb lei­der un­voll­en­det.

Hier hör’ ich Man­chen sich ins Fäust­chen la­chen.
Ei, sagt ein gründ­lich kunst­ver­stän­d’­ger Mann,
Ver­dankt Ihr Stoff und Form bei Eu­ern Sa­chen
Boc­caz und Uh­land, was ist Euer dann?
Da wär’s ein Kin­der­spiel, Ge­dich­te ma­chen. –
Er ma­che sie! Wer hin­dert ihn dar­an?
»Hier ist der Bo­gen noch und hier die Rin­ge!«
Wir aber küm­mern uns um bess­re Din­ge. –

Am Tag nach je­nem, wo im Wal­de drauß
So un­er­hör­te Wun­der sich be­ga­ben,
Saß in der Ha­fen­stadt im stil­len Haus
Ci­mo­ne’s Va­ter, in sein Buch ver­gra­ben.
Er sah ge­sund und satt und gü­tig aus
Und über­sann zu­frie­den Soll und Ha­ben;
Nicht den Ro­man; noch war an Cy­perns Strand
Die Fir­ma T. O. Schrö­ter un­be­kannt.

Wie nun von die­sen würd’­gen Fo­lio­sei­ten,
Sich aus­zu­ruhn, Aug’ und Ge­dan­ken eben
Hin­aus zum Fens­ter auf die Rhe­de glei­ten,
Die lärmt und wim­melt von ge­schäft’­gem Le­ben,
Er­dröhnt im Vor­saal ein so mann­haft Schrei­ten,
Dass Tür’ und Fens­ter in den An­geln be­ben.
Da­zwi­schen knurrt ein selt­sam heis­rer Ton;
Die Tür geht auf, und es er­scheint Ci­mon.

Ver­le­gen we­delnd, mit ver­halt­nem Bel­len
Hat sich das Rü­den­paar ihm nach­ge­schli­chen.
So stan­den im Ge­mach die drei Ge­sel­len
Mit Bli­cken, die aufs Haar ein­an­der gli­chen.
Doch hat der Jüng­ling an des Stadt­tors Schwel­len
Erst Wams und Lo­cken sich zu­recht­ge­stri­chen,
Und wie die Wan­gen jetzt ihm scheu ent­bren­nen,
Muss, dass er schön sei, auch der Neid be­ken­nen.

Der Va­ter selbst sieht ihn mit Freu­den an,
Doch min­der froh die zot­ti­ge Beglei­tung.
Er denkt: der Jun­ge wird für­wahr ein Mann.
Wie könnt’ ich stolz sein, folg­t’ er wei­ser Lei­tung! –
Mit stil­lem Seuf­zer fragt der Gute dann:
Nun, lie­ber Sohn, was bringst du mir für Zei­tung?
Der fasst ein Herz und sagt: Ich hät­te ger­ne,
Wenn du er­laub­test, dass ich le­sen ler­ne. –

Wenn jetzt auf ein­mal von den Hun­den ei­ner
Sich hät­t’ im Tanz durch das Ge­mach ge­schwun­gen,
In­des dem an­dern wär’ ein glo­cken­rei­ner
Ten­or­ge­sang aus rau­er Brust er­k­lun­gen,
Das Stau­nen uns­res Man­nes wäre klei­ner,
Als da er hört, dass sei­nem großen Jun­gen,
An dem die Bil­dung nie hat wol­len haf­ten,
Der Trieb er­wacht ist zu den Wis­sen­schaf­ten.

Der bra­ve Kauf­herr – of­fen sei’s ge­sagt –
War selbst kein Freund von vie­lem Bü­cher­we­sen.
Ein Buch nur gibt es, das ihm stets be­hagt,
Drin die Ge­schich­te sei­nes Gelds zu le­sen.
Und ein­zig dar­um hat er es be­klagt,
Dass sein Herr Sohn ein Ler­ne­nichts ge­we­sen,
Weil er auch ihm die Le­bens­freu­de gönn­te,
Dass er dies Buch ver­ste­hen und meh­ren könn­te.

Nun spricht er wür­dig­lich: Mich freut, mein Sohn,
Dass dir ver­lei­det ward dein wil­des Trei­ben.
Zum Ler­nen wird man nie zu alt, ob­schon
Du fast schon alt ge­nug, dich zu be­wei­ben.
Gleich geb’ ich in Ko­rinthos Com­mis­si­on,
Dir einen Päd­ago­gen auf­zu­trei­ben,
Den al­ler­treff­lichs­ten in West und Os­ten;
Ich lass’ es gern mich tau­send Drach­men kos­ten.

Nein, Va­ter, sagt Ci­mo­ne, spart das Geld,
Ich war­te nicht so lang; mir eilt die Sa­che.
Ich weiß hier einen Mann der Schu­le hält,
Die Schif­fer­kin­der ler­nen da die Spra­che.
Da will ich hin. Und wenn es Euch ge­fällt,
Be­fehlt, dass man mir and­re Klei­der ma­che.
Ich schä­me mich, so durch die Stadt zu tra­ben.
Auch eine neue Müt­ze möcht’ ich ha­ben.

Das war die längs­te Rede, die zu hal­ten
Der jun­ge Mann sich je die Mühe gab.
Man den­ke sich den freu­d’­gen Schreck des Al­ten!
Er küsst den Sohn, läuft sel­ber dann hin­ab,
Be­schickt den Schnei­der, heißt ihn flugs ent­fal­ten
Was er an Kunst und ed­len Stof­fen hab’,
Und lässt den sämt­li­chen Ver­wand­ten sa­gen,
Was sich mit sei­nem Jüngs­ten zu­ge­tra­gen.

Nun läuft zu­sam­men bis ins drit­te Glied
Die gan­ze Freund­schaft, Kei­ner bleibt zu Haus.
Doch ihm, zu des­sen Fei­er dieß ge­schieht,
Wird all die Lie­b’ und Ehre bald ein Graus.
Wie er nun gar die vie­len Tan­ten sieht,
Stürmt er auf ein­mal blind zum Saal hin­aus,
So töl­pel­haft wie je, und bleibt ver­bor­gen,
Ob­wohl man nach ihm sucht in großen Sor­gen.

Er saß im Pfer­de­stall und schlief die Nacht,
Wie er am liebs­ten schlief, auf ei­ner Streue.
Die paar Ge­dan­ken, die er sich ge­macht,
Ich mei­ne fast, sie schmeck­ten stark nach Reue.
Dann aber fühl­t’ er in die Ta­sche sacht
Nach sei­nem Buch, und über ihn aufs Neue
Kam ein Ge­wühl von himm­li­schen Ge­wal­ten
Und gab ihm Mut, dem Schlimms­ten Stand zu hal­ten.

Und in der Früh, da in die Schul’ am Ha­fen
Die Bu­ben schwär­men, wie zum Korb die Bie­nen,
Sehn höch­lich sich ver­wun­dernd mei­ne bra­ven
Zy­pre­ser Freund Ci­mo­ne un­ter ih­nen.
Doch er, ob­wohl ihn alle Bli­cke tra­fen,
Geht sei­nes We­ges mit ge­fass­ten Mie­nen
Und mit­ten in der wil­den Ju­gend Chor
Stellt er be­klom­men sich dem Leh­rer vor.

Das war zum Glück kein lei­di­ger Phi­lis­ter,
Wie je­ner, der Ci­mon er­zog vor Zei­ten;
Denn sei­nes Zei­chens ein ge­wes’­ner Pries­ter
Kennt er das Le­ben von so man­chen Sei­ten.
Und jetzt nach bun­ten Wech­sel­fäl­len ist er
Be­stellt, den Ju­gend­un­ter­richt zu lei­ten.
Der krän­ken­de Ver­dacht blieb stets ihm fer­ne,
Dass ir­gend wer bei ihm sich über­ler­ne.

Er kennt Ci­mo­ne wohl; wer kennt ihn nicht?
Und über­dies kommt er mit sei­nen Hun­den.
Der Leh­rer macht ein höf­lich ernst Ge­sicht
Und weis’t die Bes­ti­en fort aus sei­nen Stun­den.
Gut­wil­lig tut Ci­mon auch den Ver­zicht.
Die Rü­den wer­den drau­ßen an­ge­bun­den,
Und wie sie win­seln, krat­zen und ru­mo­ren,
Heut hat ihr Herr nur für die Weis­heit Ohren.

O gold­ne Zeit! o wun­der­vol­les Land!
So­gar dem Schulzwang nehmt ihr sei­ne Schau­er.
Was un­ter Schul­haus da­mals man ver­stand,
War nur ein Hof mit ei­ner schat­t’­gen Mau­er.
Der Him­mel lacht her­ein, vom na­hen Strand
Er­klingt das Meer­ge­braus; es fliegt kein grau­er
Ge­lehr­ter Staub den der­ben Wet­ter­jun­gen
Hier ju­gend­mör­de­risch auf Geist und Lun­gen.

Das steht und liegt und kau­ert durch­ein­an­der,
Malt schlecht und recht Buch­sta­ben mit der Krei­den;
Der Leh­rer mit­ten drin. Gar wohl ver­stand er,
Dem Über­mut die Flü­gel zu be­schnei­den.
Doch kei­nen Schü­ler wie Ci­mo­ne fand er,
So lern­be­gie­rig, sit­tig und be­schei­den.
Still­sit­zen lernt er heu­te schon, in­glei­chen
Vom Al­pha­bet die ers­ten sie­ben Zei­chen.

Und als das Nütz­li­che nun ab­ge­tan,
Will man im Schö­nen auch sich wei­ter brin­gen.
Der Leh­rer selbst stimmt einen Hym­nus an,
Den man in Kir­chen da­mals pflag zu sin­gen,
Und zu der Kin­der fröh­li­chem So­pran
Lässt er sein al­tes Gei­gen­spiel er­klin­gen.
Ci­mo­nen treib­t’s, dass er ein Herz sich fas­se;
So gut er kann, fällt er mit ein im Bas­se.

Das war ein Bass! Es wankt bei sei­nen Tö­nen
Die alte Lehm­wand, die in Ris­se sprang.
Nie war auf Er­den seit den Enakssöh­nen
Ein Abe­ce­schütz, der so wa­cker sang.
Die Hun­de hö­ren die­se Stim­me dröh­nen
Und heu­len los bei dem be­kann­ten Klang,
Die Bran­dung selbst hält ein in ih­rem Grim­me,
Als hör­te sie Po­sei­d­ons Herr­scher­stim­me.

Dann aber geht der Schü­ler stil­le fort.
Be­sorgt, sein kost­bar Wis­sen zu ver­lie­ren,
Sucht er sich ei­lig einen si­chern Ort.
Der Weis­heit Mut­ter ist das Re­pe­tie­ren.
Er zieht sein Büch­lein vor, am ers­ten Wort
Be­ginnt er gleich ein ernst­lich Buch­sta­bie­ren,
Doch wie er­heb­lich viel er auch ge­lernt,
Vom Ziel des Stre­bens ist er weit ent­fernt.

Ge­duld, mein Freund! Es kommt der Tag zum Tage,
Auch der zu­letzt, der die Er­fül­lung bringt,
Wo dir, dem Stau­nen­den, mit Ei­nem Schla­ge
Die har­te Fes­sel von den Au­gen springt.
Denkt euch hin­ein in des Adep­ten Lage,
Dem end­lich Gold aus sei­nem Tie­gel blinkt:
So war dem Jüng­ling, als sich lö­sen ließ
Das Rät­sel ih­res Na­mens: Fl­or­de­lis.

Nicht Iphi­ge­nie, wie Boc­cac­cio meint;
In die­sem Punk­te fol­g’ ich an­dern Quel­len.
Und wenn sie al­len Reiz der Welt ver­eint,
Sie darf sich doch nicht ne­ben Jene stel­len,
Die wie der Mond am Frau­en­him­mel scheint,
Ver­klä­rend Tau­ri­ens un­hol­de Wel­len.
Wo ist die Jung­frau, die nicht müss­te za­gen,
Den Na­men die­ser Pries­te­rin zu tra­gen!

Doch dieß bei­seit. Was kann dem Her­zen auch
Ein Name sein? Schien’s un­serm Freun­de nicht,
Als müss’ ihn ganz be­sel’­gen die­ser Hauch,
Und ist er se­lig nun, da er ihn spricht?
Er fühlt es wohl: »Der Nam’ ist Schall und Rauch!«
Zu fern, ihn zu er­wär­men, flammt das Licht,
Und frei­lich auch zu fern, die dun­keln Stel­len
In sei­nem ar­men Kop­fe zu er­hel­len.

Denn, was noch sonst im Büch­lein stand ge­schrie­ben,
Bleibt lei­der ihm Ge­heim­nis ganz und gar.
Im Abe­ce ist er nicht ste­cken blie­ben,
Doch frem­de Wor­te stel­len sich ihm dar.
Und wie er zor­nig sich die Stirn ge­rie­ben,
Die dun­keln Lau­te wer­den ihm nicht klar.
Ihm fällt nicht ein, dass etwa fremd die Spra­che;
Er denkt nur, dass er Le­se­feh­ler ma­che.

Nun war bei sei­nen an­dern Schul­ge­nos­sen
Ein auf­ge­weck­ter Bursch von vier­zehn Jah­ren,
In frem­dem Lan­de kräf­tig auf­ge­spros­sen,
Ein See­manns­kind; und hier in Cy­pern wa­ren
Die El­tern ihm ge­stor­ben. Aus­ge­sto­ßen,
Ver­wais’t im Le­ben, musst’ er bald er­fah­ren,
Wie Vie­les man zu ler­nen hat hie­nie­den,
Um sich auf eig­ne Faust ein Glück zu schmie­den.

So kam es, dass er bald der Ers­te ward
Und ihn Ci­mo­ne sah mit stil­lem Nei­de.
Doch heut, da er am Meerstrand ihn ge­wahrt,
Ver­hofft er Trost von ihm in sei­nem Lei­de.
Er lädt ihn ein zu ei­ner klei­nen Fahrt
Ins Meer hin­aus, ins Schiff­lein sprin­gen Bei­de,
Ci­mo­ne stößt mit gan­zer Macht vom Lan­de,
Und bald ist ihre Gon­del fern dem Stran­de.

Und wie sie jetzt auf abend­li­cher Flut
Hin­trei­ben, wo die Tie­fen pur­purn blau­en,
Fasst un­ser Lie­ben­der sich einen Mut,
Sein Un­ge­schick dem Kna­ben zu ver­trau­en.
Das Büch­lein zieht er vor aus sich­rer Hut
Und heißt Pe­druc­cio mit hin­ein zu schau­en,
Und ihm zu sa­gen, wenn er selbst es wis­se,
Wie man die schwe­ren Wor­te le­sen müs­se.

Kaum blickt der Knab’ hin­ein, so jauchzt er auf,
Klatscht in die Hän­d’ und sei­ne Au­gen strah­len.
Herr, das sind Lie­der, ju­belt er dar­auf,
Wie man sie singt im Land der Pro­ven­za­len.
Bei mir da­heim an der Du­ran­ce Lauf
Hör­t’ ich sie klin­gen zu viel­hun­dert Ma­len.
Und nun be­ginnt er mit den mun­tern Au­gen
An der ver­trau­ten Schrift sich fest­zusau­gen.

Lehr’ mich die Spra­che! sagt Ci­mo­ne schnel­le;
Fang’ an beim ers­ten Blatt, und dann so fort. –
Ge­hor­sam folgt sein klei­ner Schul­ge­sel­le
Und lies’t und über­setzt ihm Wort für Wort.
Der And­re wie­der­holt es auf der Stel­le
Und birg­t’s im Geist, wie einen gold­nen Hort.
Im Tak­te wiegt den Kahn das stil­le Meer,
Und Abend­lüf­te schwan­ken um sie her.

Du aber, was du lie­sest, weißt du kaum,
Du Wai­sen­kind! Doch weiß es um so bes­ser,
Der dir die Wor­te nach­spricht wie im Traum,
Den Blick ver­sun­ken in des Meers Ge­wäs­ser.
Und wäh­rend über ihm am Him­mels­raum
Die Abend­glut sich dämp­fet, blass und bläs­ser,
Fährt wie ein Sturm in sei­ne Flam­me wie­der
Der sanf­te Atem die­ser Lie­bes­lie­der.

Doch end­lich setzt das Zwie­licht gold­ner Ster­ne
Dem Leh­rer wie dem Ler­nen­den ein Ziel.
Das And­re mor­gen! spricht Ci­mon, und ger­ne
Ge­lob­t’s der Kna­be. Heim­wärts fährt der Kiel
Des klei­nen Boots; noch aber sind sie fer­ne,
Da trifft ihr Ohr Ge­sang und Sai­ten­spiel,
Und durch die Flut, von Fa­ckeln über­glom­men,
Kommt ein be­kränz­tes Schiff da­her­ge­schwom­men.

Ein Lust­schiff war’s, drauf die Zy­pre­se­r­in­nen
Der Mee­res­küh­le man­che Nacht ge­nos­sen.
Jung­frau­en mit den Müt­tern sa­ßen drin­nen,
Und Jüng­lin­ge, der ers­ten Häu­ser Spros­sen.
Ci­mo­ne sieht’s, und plötz­lich hält er in­nen,
Von tie­fem Not das Ant­litz über­gos­sen,
Denn wie der Fa­ckel­schein ihm deut­lich wies:
Sie ist im Schiff, sie sel­ber, Fl­or­de­lis!

Auf ei­nem Tep­pich ruht sie, dicht am Bord,
Und blickt hin­über in die Mee­res­wei­ten.
Zu­wei­len wech­selt sie ein flüch­tig Wort
Mit je­nen Jüng­lin­gen an ih­ren Sei­ten.
Auch dass sie la­che, meint der Spä­her dort
Zu se­hen, zu hö­ren gar von Zeit zu Zei­ten.
Ihm ist, als ob der Wohl­laut ih­rer Stim­me
Durch die Mu­sik hin­durch in Lüf­ten schwim­me.

Nun sieht er Ei­nen, der die Flö­te nimmt,
Und ein­fällt zu des Cither­spiels Ac­cor­den.
Ob die­ser Ton zu ih­rem Her­zen stimmt?
Dem Spie­ler ist ein Blick zu Teil ge­wor­den,
So freund­lich, dass Ci­mo­ne tief er­grimmt;
Ihm zuckt die Faust, als gäl­t’ es Wen zu mor­den,
Und sei­nen Zorn in et­was aus­zu­to­ben,
Schlägt er ins Meer; hoch spritzt die Flut nach oben.

Dieß schi­en ein Wink dem klei­nen Pro­ven­za­len,
Dass sei­nen Freund nun­mehr nach Haus ge­lüs­te.
Er ru­dert em­sig; kaum be­ach­tet stahlen
Sie von dem Schiff sich weg zur In­sel­küs­te.
Ci­mo­ne sitzt un­tä­tig und in Qua­len,
Als ob Me­du­se sei­ne Lip­pen küss­te,
Und da sie kaum ihr Boot ge­lan­det ha­ben,
Ver­lässt er schwei­gend den be­troff­nen Kna­ben.

Die Nacht war schlaf­los, – was man sel­ber näm­lich
Schlaf­los zu nen­nen pflegt bei zwan­zig Jah­ren:
Dass noch ein Stünd­lein vor dem Schlaf ver­nehm­lich
Und klar sich Tön’ und Bil­der um uns scha­ren
Und früh uns we­cken, wenn zu­vor be­quem­lich
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­Leo­nat
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