Inhaltsverzeichnis


Einführung

Vorwort

Männer - Frauen, ein Spannungsbogen

Dann halt eben mit Nagellack
Wie sich zwei Künstlerinnen in einer Welt behaupten, die reich und rückständig ist
Geschlechtertrennung
Ausgerechnet in der Kunst werden Frauen besonders benachteiligt
Hauptsache, nackt
Die Ausstellung „Geschlechterkampf“ meint es – eigentlich – gut und folgt doch alten Klischees
Es schwingt, es duftet
Warum plötzlich der „weibliche“ Impressionismus wiederentdeckt wird (Berthe Morisot, Eva Gonzalès, Marie Bracquemond, Mary Cassatt)
Warum die nackten Nymphen weg mussten
Die Künstlerin Sonia Boyce löste mit dem Abhängen eines Gemäldes einen weltweiten Proteststurm aus

Porträts wichtiger Künstlerinnen

Häßlich, roh und wehrlos
Die US-amerikanische Bildhauerin Louise Bourgeois (1911-2010)
Außenseiterin im Weltmaßstab
Yoko Ono prägte die Avantgarde-Kunst der Sechzigerjahre (*1933)
Auf ihre sehr eigene Weise
Die deutsche Konzeptkünstlerin Hanne Darboven (1941-2009)
Das Herz ist das Ziel
Die serbische Performance-Künstlerin Marina Abramović (*1946)
Die 721-Stunden-Frau
Die 75-Tage-Performance von Abramović im New Yorker Museum of Modern Art
Sonnenschirme der Sehnsucht
Die deutsche Bildhauerin Isa Genzken (*1948)
„Ich bin gerne frech“
SPIEGEL-Gespräch mit Isa Genzken
So brutal, fies, schön!
Die südafrikanische Künstlerin Marlene Dumas (*1953)
Die Spleens der Schattenfrau
Die französische Konzeptkünstlerin und Hobbydetektivin Sophie Calle (*1953)
Feministin oder nicht?
Die deutsch-amerikanische Bildhauerin und Grafikerin Kiki Smith (*1954)
Fluch der Teufelin Suleika
Die iranische Künstlerin Shirin Neshat (*1957)
Disteln und Heilpflanzen
Rosa Loy aus der „Neuen Leipziger Schule“ (*1958)
Ein Ego wie van Gogh
Die britische Skandalkünstlerin Tracey Emin (*1963)
„Ich will nie wieder arm sein“
SPIEGEL-Gespräch mit Tracey Emin
Frauenbilder
Die deutsche Malerin Sabine Moritz (*1969)

Wiederentdeckungen und Neubewertungen

Pygmalia mit Doppelleben
Die klassizistische Bildhauerin Elisabet Ney (1833-1907)
Vorstoß ins Glühende
Die Malerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907)
Hitler in Kubistisch
Die deutschen Malerinnen Anita Rée (1885-1933) und Jeanne Mammen (1890-1976)
Rettungsleine zur Welt
Die mexikanische Malerin Frida Kahlo (1907-1954)

Mäzeninnen

Die Muse des Kupferkönigs
Die exzentrische Baroness Hilla von Rebay war Mitbegründerin des New Yorker Guggenheim Museums
Club der Königinnen
Die russische Mäzenin Janna Bullock

Künstlerinnen fern der bisherigen Kunstzentren

Aufstand in Öl
Junge afghanische Künstlerinnen malen aus ihrem Leben
Land der Frauen
Eine Wolfsburger Ausstellung würdigt Werke indischer Künstlerinnen
Sand von gestern
Das Emirat Katar schmückt sich mit Werken junger emiratischer Künstlerinnen
Das Beste beider Welten
Die Iranerin Shirin Neshat mit einem filmischen Plädoyer für die Rechte muslimischer Frauen

Vermischtes

Vermischtes
Kurze Meldungen, Auszüge und Zitate aus SPIEGEL-Artikeln 1971–2018

Anhang

Impressum
Einführung • Einleitung

Vorwort

Vor 25 Jahren, im Oktober 1993, erschien im SPIEGEL ein Artikel über die Bildhauerin Louise Bourgeois, damals 81 Jahre alt und auf dem Weg, eine Legende zu werden. Die Künstlerin hatte spät Anerkennung erfahren, im Grunde zu einem Zeitpunkt, an dem andere mit ihrem Alterswerk beginnen.  
Eine Redakteurin des SPIEGEL besuchte die gebürtige Französin damals in New York, in dem journalistischen Porträt heißt es: Bourgeois habe einst bei den Vordenkern der Kunst gelernt, „sich auch gegen sie aufgelehnt, eine junge Frau, die wusste, dass kein anderer Lebensplan für sie in Frage kam. ‚Man wird Künstler, weil man muss, nicht weil man will.‘“ 
Viele Frauen hatten und haben diesen unbedingten Drang, Kunst zu erschaffen, doch wurde ihnen das Recht, das Talent lange Zeit pauschal abgesprochen. Im Grunde bis vor kurzem. Das Genialische, das Radikale – eben das angeblich Notwendige in Sachen Kunst – schien Männersache zu sein, und so wurde es auch immer in den Büchern, in den Museen gelehrt. Noch 2013 sagte der Künstler Georg Baselitz in einem SPIEGEL-Gespräch, Frauen könnten nicht malen.  
Wer sich als Frau trotz aller Vorurteile dazu entschloss, diese Laufbahn einzuschlagen, musste also stets mehr Mut haben, musste auch mehr Idealismus besitzen und damit leben können, mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschätzt und sogar verkannt zu werden.
Der SPIEGEL hat sich den starken Frauen in der Kunst immer wieder gewidmet und auch die Frage nach der Benachteiligung gestellt – die in der Bildenden Kunst so besonders seltsam anmutet, weil dieser Bereich doch als fortschrittlich gilt. 
Auch das SPIEGEL-Sonderheft #frauenland, das am 10. Oktober 2018 erschien und den Frauen gewidmet ist, nimmt das Thema, diesen großen Widerspruch auf. Ein Beitrag über zwei Künstlerinnen und wie sie die globale Kunstwelt sehen, erscheint dort und geht ebenso in dieses E-Book ein.   
Viele weitere Artikel handeln von dem Mut der Künstlerinnen, von Paula Modersohn-Becker, von Frida Kahlo, Yoko Ono, Marlene Dumas, Tracey Emin, Martina Abramovic, Katharina Grosse, Josephine Meckseper, Sabine Moritz und vielen weiteren. Andere Beiträge schildern die Herausforderungen für Künstlerinnen in Afghanistan, in Indien. 
Manches mag übrigens überraschend klingen. Yoko Ono, eine echte Avantgardistin, etwa hat dem SPIEGEL vor ein paar Jahren gesagt, Zustimmung hätte sie – als Künstlerin – womöglich sogar umgebracht.  

Ulrike Knöfel 
Männer - Frauen, ein Spannungsbogen
SPIEGEL 41A/2018

Dann halt eben mit Nagellack

Die Kunstszene? Die ist mondäner, aufregender und vor allem fortschrittlicher als der Rest der Welt. Oder doch nicht?
Zwei Künstlerinnen über Frauenkunst, Männergeschmack und die Frage, ob ihre Welt eine Gegenwelt ist. Von Ulrike Knöfel
Das Atelier von Josephine Meckseper befindet sich in einem alten Gebäude einer schmalen Straße, die an Chinatown grenzt. Viele kleine Geschäfte, viele Menschen, viele Nationalitäten, viel Alltag, viel Lautstärke, viel Leben. Diese Gegend in Manhattan ist so inspirierend wie der Rest der Stadt. Gar nicht weit entfernt sind auch noch die wichtigsten Museen des Planeten und die mächtigsten Galerien ansässig.
Die deutsche Künstlerin Meckseper liebt diese Metropole, die zufällig das Zentrum der Kunstwelt ist – aber was ist das eigentlich für eine Welt?
Dem Klischee zufolge ist die sogenannte Kunstszene unangepasster, mondäner, international vernetzter, aufregender und vor allem fortschrittlicher als der Rest der Gesellschaft.
Nur: Sobald es die Frauen betrifft, erweist sie sich als erstaunlich rückständig, in New York, in Berlin, eigentlich überall auf der Welt.
Spricht man mit Meckseper darüber, glaubt man fast eine gewisse Ungläubigkeit, gar eine Fassungslosigkeit zu spüren, dass es so gekommen ist. Denn genau damit war früher, als sie ein Kind war, nicht zu rechnen, es sah so aus, als schlügen die Leute (und vor allem die Künstler) eine andere Richtung ein. Als würden nicht alle einen Schritt zurückvollziehen.
Josephine Meckseper wurde sozusagen in einer Utopie groß. Sie wuchs auf unter Künstlern und Schriftstellern, und zwar an einem Ort, der in jeder Hinsicht weit weg ist von New York – in dem verwunschen wirkenden Künstlerdorf Worpswede. Ihr Urgroßonkel hatte diese norddeutsche Kolonie Ende des 19. Jahrhunderts mitgegründet, und schon von der Geschichte dieser Gemeinschaft geht eine leicht ermutigende Botschaft aus: Die Malerin Paula Modersohn-Becker gehörte mit zur Worpswede-Clique, eine der wenigen Frauen dieser Zeit, die von der Kunstgeschichte anerkannt werden. Auch Clara Rilke-Westhoff lebte seinerzeit dort, früh forderte sie Freiheit für Künstlerinnen.
Mecksepers Vater, ein Maler und Grafiker, hatte seit 1961 sein Atelier im Dorf. Das Leben sei ihr frei erschienen und ungeheuer weltoffen in ihrer Kindheit in den Siebzigerjahren, sagt Meckseper. Die Freiheiten und Chancen, den Eindruck hatte sie wenigstens, waren für alle da, für Männer und Frauen. Und auch im Idyll konnte man ein politischer Mensch sein. Ihre Mutter, eine Fotografin, war eine Zeit lang die Vorsitzende der Grünen in Worpswede. Sie selbst war schon als Schülerin auf Demos unterwegs.
West-Berlin, wo Josephine Meckseper in den späten Achtzigerjahren Kunst studierte, kam ihr dagegen altmodisch vor. An Deutschlands Hochschulen unterrichteten die Malerfürsten, Künstler wie Georg Baselitz oder Markus Lüpertz, die sich als Genies inszenierten. Auch an ihrer Akademie, der Berliner Hochschule der Künste, lehrte kaum eine Professorin.
Sie wechselte nach Kalifornien, machte dort ihren Abschluss, blieb im Land. Damals schienen die USA kein schlechter Platz für Frauen zu sein. Künstlerinnen wie Jenny Holzer und Cindy Sherman, 10, 15 Jahre älter als sie, wurden ernst genommen, wurden auch berühmt.
Josephine Meckseper ist heute eine der bekanntesten Konzeptkünstlerinnen Amerikas, ihre Werke wurden und werden in bedeutenden Museen gezeigt, dem Museum of Modern Art, dem Whitney Museum, es gibt Lob von den strengen Kritikern in New York. Und doch sagt sie, in Sachen Gleichberechtigung tauge New York nicht oder jedenfalls nicht mehr. Die Kunstszene ist eben keine bessere Gegenwelt, dort nicht, nirgendwo.
In dieser Kunstwelt wurde übrigens versucht, eine ähnliche Debatte wie in Hollywood auszulösen. Meckseper gehört zu den mehr als 2000 Menschen aus aller Welt, auch aus Deutschland, die nach dem Vorbild der Filmleute einen offenen Brief im Internet veröffentlicht haben, der unter der Überschrift »Wir sind nicht überrascht« sexuelle Übergriffe in Galerien, Museen und an anderen Orten der Kunst thematisierte. Der Umsturz blieb aus.
Zwar hat Meckseper unterschrieben, aber sie sagt, dass sie den Verlauf der Debatte schwierig finde. Diese Diskussion um ein paar Schuldige, das Skandalisieren von Vorfällen, »es lenkt ab von dem grundlegenderen Problem« – von der »fortlaufenden, systematischen Benachteiligung von Frauen«. Auch sie selbst bekomme dies zu spüren, »sogar jeden Tag«.
Wie sich das bemerkbar macht?
Zum Beispiel, ganz alltäglich, an den Witzen, die sie von Männern in der Kunstszene über die #MeToo-Bewegung zu hören bekomme. »Aber auch an den Preisen für meine Werke. Wären sie von einem Mann, könnten und würden Galeristen vermutlich das Doppelte verlangen.«
Künstlerinnen stoßen an Grenzen, an die männliche Künstler nicht stoßen, und das hat überhaupt viel mit Geld zu tun. Kunst ist ein Markt, ein Weltmarkt, auf ihm wird verbissen gekämpft (und nirgendwo härter als in New York, dem wichtigsten Marktplatz).
Das letzte Wort hat die Kundschaft, die besteht oft aus Unternehmern, Selfmademilliardären, die ihr Vermögen in anderen Branchen verdienen und es dann unter anderem in Kunst investieren. »Viele interessieren sich für Kunst aus spekulativen Gründen, es ist, als würden sie ›Monopoly‹ spielen, nur dass sie durchaus echte Gewinne machen wollen«, sagt Meckseper. Manchmal würden Werke von jungen Künstlern günstig erworben, und dann werde strategisch daran gearbeitet, dass die Preise hochschnellten.
Diese Klientel hält mit ihrem Geld den Kunstbetrieb am Laufen, deshalb zählt ihr Geschmack. Die Sammlerschaft, weitestgehend männlich, kauft auch vorzugsweise Kunst von Männern (und danach richtet sich das Angebot der Galeristen). Unter den 500 höchstbezahlten Künstlern des Marktes finden sich nur 19 Frauen.
Die solventen Kunden wünschen sich etwas, was man eine Männerkunst nennen könnte: Trophäen, die auffällig sind, dabei aber noch gefällig, die nicht wirklich stören. Obwohl Kunst doch gerade das sein sollte: ein Störfaktor.
Sie hoffe, sagt Meckseper, dass in Zukunft mehr Frauen in größerem Stil sammelten, dass sie dabei »auch mehr Risiken eingehen«. Sie selbst ist bekannt für pointierte Gesellschaftskritik. Auch ihre Werke verstecken sich dabei nicht. Denn sie sind großformatig, füllen oft Räume aus, drängen mit allen Mitteln zum Betrachter.
Da sind ihre minimalistisch eleganten Vitrinen aus Glas und Stahl, die sie mit scheinbar absurden Arrangements füllt. Mit Damenstrumpfhosen, Flakons, Klobürsten, blitzenden Autofelgen und mit T-Shirts, deren Aufdruck fordert, Veteranen zu danken. Weil die Krieger von einst in die Jahre gekommen sind, gibt's auch Rollatoren. Die Männer (und die Idee der Männlichkeit) sind alt geworden, doch die Klischees haben sich gut gehalten, haben auf jeden Fall überlebt. Wie ein Bumerang, so sieht Meckseper es, kehrten die alten gesellschaftlichen Gewohnheiten zurück, die traditionellen Rollenbilder, gerade in den Staaten. Deutschland erscheint der Künstlerin zurzeit geradezu fortschrittlich im Vergleich zu den USA. Immerhin, sagt sie, regiere in Berlin eine Frau. In den USA sei das Thema Frau eines, das gerade sogar in den »toten Winkel« gerate.
Vor knapp zwei Jahren hat »die Nichtwahl von Hillary Clinton« die Künstlerin zu einem filmischen Werk angeregt, es ist fürs Museum gemacht, hat aber Kinoqualität, ein Independent-Stück.
In dem Film leiten Aufnahmen der Paraden zu Trumps Amtseinführung und des Protests der Frauen am Tag danach hin zu einer bitteren Liebesgeschichte. Als Vorlage für dieses Beziehungsdrama verwendete sie ein französisches Schauspiel aus dem 19. Jahrhundert, »Pelléas et Mélisande«. Doch kämpfen bei ihr nicht wie im Original zwei Brüder um ein Mädchen, sondern zwei Frauen um einen Soldaten. Meckseper verkehrte in ihrem Film, den sie »Pellea(s)« nannte, einstige Zuschreibungen ins Gegenteil, bei ihr sind die Frauen mächtiger als der Soldat.
Auf die männerdominierte Welt antwortet sie mit ihrer Kunst, ihrer Unbeugsamkeit. »Dass es immer noch eine große Hürde ist, als Frau erfolgreich zu sein«, sei für sie ein Ansporn. Sie werde schon deshalb nicht resignieren, weil es dann »noch eine Künstlerin weniger gäbe«.

Die Machtfrage in der Kunst wird immerhin neu gestellt in diesen Tagen, und Mecksepers Analyse mag überraschen angesichts dessen, was sich in den vergangenen vier, fünf Jahren getan hat. Museen von Berlin bis London entdeckten, dass es auch Künstlerinnen gibt. Sogar Direktorenposten gingen an Frauen, wenngleich die wichtigsten Häuser weltweit, vom Louvre bis hin zum Museum of Modern Art, überwiegend in Männerhand geblieben sind. Aber niemand will sich mehr nachsagen lassen, er fördere nicht doch irgendwie die Frauen.
Die Szene ist also plötzlich voller Feministen. Nur: Meinen die es ernst?
Wer bei der Beantragung von Fördergeldern für Forschungsprojekte Begriffe wie »Gender« verwende, löse oft reflexartige Ablehnung aus, sagt die Kunsthistorikerin Alma-Elisa Kittner, die an der Universität Duisburg-Essen unterrichtet. Beschäftige sich eine Expertin mit Geschlechterfragen, etwa damit, wie Frauen und Männer typischerweise dargestellt seien und welche Rückwirkungen das auf die Gesellschaft habe, werde sie leicht als Frauenbeauftragte angesehen und nicht als Wissenschaftlerin. Daran habe auch die #MeToo-Debatte nichts geändert. Das Fach Kunstgeschichte, aus dem ja auch die meisten Museumsleute hervorgehen, nennt sie »sehr konservativ«.
Im Grunde, sagt sie, seien Teile der Wissenschaft noch auf dem Stand des 16. Jahrhunderts, als der italienische Maler, Architekt und Schriftsteller Giorgio Vasari – für viele der erste Kunsthistoriker – den Frauen die ganz große, genialische Schöpferkraft abgesprochen habe. »Diesem Denkmodell des männlichen Künstlerheroen folgen einige noch heute«, sagt Kittner.
Jahrhundertelang wurde vermittelt, nur Männer könnten große Künstler sein, nur ihre Kunst hing in den Museen. Der Maler Georg Baselitz sagte noch 2013 im SPIEGEL, Frauen könnten nicht malen. Der Satz machte Karriere, auch international. Baselitz hatte hinzugefügt, Frauen fehle die notwendige Brutalität, Männer hätten da kein Problem.
Vorurteile wurden Teil des Bildungskanons, dann der Allgemeinbildung. Wissenschaftler der Luxemburger Universität stellten fest, dass die Testpersonen ihres Experiments ein Kunstwerk immer dann mehr wertschätzten, wenn sie glaubten, es stamme von einem Mann, und dass sie es schlechter benoteten, wenn sie vermuteten, eine Frau habe es geschaffen.
Die Ungleichbehandlung betrifft nicht nur die, die immerhin von ihrer Kunst leben können. Sogar unterhalb des Existenzminimums sind Unterschiede auszumachen. Einer Studie des Berliner Instituts für Strategieentwicklung zufolge verdienen in dieser Stadt die Künstler zu wenig und Künstlerinnen noch weniger. Männer nehmen mit dem Verkauf ihrer Werke 11 662 Euro im Jahr ein, Frauen 8390 Euro – die Ignoranz der Galeristen gegenüber Künstlerinnen trägt mit dazu bei. Die Verfasser der Studie betonen, es gehe um den Verbleib der Frauen in der Kunst. Und außerdem darum, »gesellschaftliche Missstände wie die Benachteiligung von Frauen« nicht noch zu reproduzieren.
Dass die Frauen nicht darauf warten, dass etwas für sie getan wird, davon ist die Kunsthistorikerin Kittner aber auch überzeugt. Unter den Künstlerinnen entwickle sich eine »unerschrockene und ziemlich coole Generation«, die auf Vorbehalte pfeife und sich »ganz locker« zum Feminismus bekenne.

Lotte Meret Effinger ist eine dieser jungen Unerschrockenen, sie ist Anfang dreißig und dabei, sich einen Namen zu machen. Sie hat ein paar Antworten auf die Frage, ob das für eine Frau immer noch schwieriger sei als für einen Mann.
Seit ein paar Monaten lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt Berlin, sie war lange weg, hatte eine Zeit lang in New York gejobbt, dann in Karlsruhe studiert und anschließend ein Stipendium der Kunstakademie Jan van Eyck in Maastricht erhalten, dort verbrachte sie das vergangene Jahr.
In ihrer WG in Kreuzberg hängt, um Platz zu sparen, der Wäscheständer unter der Decke. Die Gegend vor der Haustür ist ihr von früher ebenso vertraut wie die Geschichte des Feminismus, die entsprechenden Bücher standen zu Hause im Regal. Ihre Mutter hatte sich im Studium mit Genderthemen befasst. Wobei die Tochter sich nach Barbiepuppen sehnte, bevor sie dann als Jugendliche zu den Schriften George Sands griff – jener französischen Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts, die als Pseudonym einen Männernamen trug und als eine Wegbereiterin der Emanzipation gilt.
An der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe gründete Effinger 2012 mit anderen Studentinnen das Feministische Arbeits-Kollektiv, abgekürzt Fak, das klingt einprägsam wie der englischsprachige Fluch »fuck«. Sie forderten mehr Professorinnen und »die Umsetzung bisher ungedachter Möglichkeiten«. Fak galt erst als Ärgernis und wurde später mit einem Förderpreis ausgezeichnet. Feminismus sei inzwischen geradezu ein Modewort, Mainstream, jedenfalls in Berlin, sagt Effinger.
In ihrer Kunst blinkt die Geschlechterfrage auf, auf eine irritierende Art. Die Hochglanztöne ihrer Grafiken erinnern an Nagellack oder an Autolackierungen, je nach Sicht der Dinge. Sie produziert auch Filme, und als Erstes fällt die Schärfe der Bilder auf, diese fast surreale HD-Ästhetik. Sie lässt die Kamera auf Hautflächen, Körperstellen, auf die ganze Äußerlichkeit richten, die eben zum Menschen gehört (und von der diverse Industrien leben).
Eine Frau mit Bodybuilding-Muskeln erscheint in einem Film. Der Körper wirkt männlich, doch ist sie zurechtgemacht wie eine Schönheitskönigin, allein das Rouge, der Bikini, der Strass. Vielleicht ordnet sie sich Diktaten unter, die einander widersprechen, vielleicht macht sie nur, was sie will. Effingers Kunst lässt einen nachdenken über äußere Zwänge und die innere Freiheit, über die Frage, wie Persönlichkeit entsteht, was sie prägt. Wie viel unbeeinflusstes Ich bleibt eigentlich noch übrig?
Dann ist da, in einem anderen Film, dieses groteske Wesen, das von Frauenhänden im Labor zusammengesetzt wird, mehr schlecht als recht. Schließlich ist es fertiggestellt: eine Personifikation der Unvollkommenheit, geschlechtslos und rührend. Es kann den OP-Tisch verlassen, es tanzt, torkelt unbeholfen zu softer Musik.
Wahrscheinlich denken die Zuschauer an Frankenstein. Dessen Erfinderin, die britische Schriftstellerin Mary Shelley, führte im frühen 19. Jahrhundert ein vergleichsweise freies Leben, hatte einen Beruf, Erfolg, bekam Kinder vor der Hochzeit. Immer wieder gab es ja Momente in der Geschichte, die den Anschein erweckten, die Welt drehe sich doch weiter und lasse unnötige Konventionen hinter sich.
Als Effinger den Film im Frühjahr bei einer Gruppenschau erstmals öffentlich zeigte, wirkte sie fast ein wenig nervös, sie saß irgendwann mit Freunden lieber draußen vor der Tür. Ihr Werk war dasjenige, das am meisten über das Hier und Jetzt zu sagen wusste, über die trügerische Glätte des modernen Lebens, und womöglich hat es die zuständige Jury gerade deshalb überfordert. Effinger gehörte, obwohl ihre Arbeit wohl die stärkste war, am Ende nicht zu den Gewinnern des ausgelobten Stipendiums. Wenige Wochen später erhielt sie ein anderes, es sieht einen dreimonatigen Aufenthalt in China vor.
Sie bekam schon früh Anerkennung. Sie stellte in Baden-Baden bei der Schau »Übermorgenkünstler« aus und nahm an einer Basler Ausstellung mit dem Titel »Jungs, hier kommt der Masterplan« teil. Es lief gut an, und es läuft gut weiter.
Und doch ahnt sie, dass da noch viele Stolpersteine herumliegen.
Ihrer Beobachtung nach fällt es Leuten beiderlei Geschlechts leichter, Frauen zu kritisieren als Männer. Auch das ist ein kleines Machtspiel mit großer Wirkung, nicht nur in der Kunst. Sie erlebte das auch, als sie während des Studiums gemeinsam mit einer Freundin anfing, als DJane aufzulegen. Manche Techniker trauten ihnen kaum zu, die Anlage zu bedienen.
Viele Freunde sind Musiker, ihr Lebensgefährte ist DJ. Auch in jener Sparte, das ahnt sie, hielten Männer Gleichberechtigung eher für »so ein Frauenthema«. Aber immerhin seien die Leute in dieser Szene schon weiter darin, Netzwerke zu bilden, die den Frauen durchaus weiterhelfen sollten. Sie selbst hat, mit ihrem Partner und einem Freund zusammen, eine Plattform gegründet: »Sexes Work«. Geschlechter funktionieren.
Es braucht Rückenwind, das weiß sie und produziert ihn mit Freunden zusammen selbst. Effinger glaubt an Veränderungen, sie sei überhaupt eher optimistisch, sagt sie. Sie hat einen besonderen Humor, man bemerkt ihn auch, wenn man ihre Werke sieht.
Eher ernst sagt sie nun, sie stelle sich eine ideale Welt vor, in der nur die Arbeit, nur das Geleistete zähle. Allerdings bereite sie sich darauf vor, dass der Mann-Frau-Konflikt es schafft, sie zu überleben.
Männer - Frauen, ein Spannungsbogen • Kultur
SPIEGEL 12/2013

Geschlechtertrennung

Ausgerechnet in der Welt der Kunst, die als offen und fortschrittlich gilt, werden Frauen besonders benachteiligt. Und das ist mehr als eine gefühlte Wahrheit. Von Ulrike Knöfel
Katharina Grosse sieht in ihrem weißen Schutzanzug aus wie jemand von der Spurensicherung. Gleich wird sie sich mitten im Museum hinter riesige Plastikplanen verziehen, zu Schutzhelm und Spritzpistole greifen - und ihre eigenen Spuren hinterlassen. Sie sei dann lieber allein, sagt sie, „ich erschrecke, wenn ich arbeite und jemand durch mein Bild läuft“.
Später, wenn sie fertig ist, darf das Publikum genau das: durch ihre abstrakten, neonbunten Farbwelten gehen. Grosse versteht sich als Malerin, aber sie erweitert die Idee vom Tafelbild. Sie besprüht Wände, Böden, Decken, ganze Hallen, riesige Erdklumpen, eigens für sie produzierte Riesenbälle und felsartige Brocken aus laminiertem Styropor. In ihrer Kunst stellt sie dar, wie das aussieht, wenn die Kraft der Vorstellung auf die Oberflächen des Alltags trifft. Sie sagt: „Das, was ich mache, ist einzigartig auf der Welt.“
Das Museum De Pont im niederländischen Tilburg, das sie eingeladen hat, ist der Kunst der Gegenwart gewidmet. Der weltberühmte Anish Kapoor hatte vor ihr eine Schau hier. Von Gerhard Richter, gefeiert wie kaum ein anderer, hängen Bilder in der Dauerausstellung. Das ist Grosses Liga, jedenfalls im Ausland, von Paris bis Chicago. Ihr Erfolg ist der Grund, weshalb sie ein ganzes Team von Leuten beschäftigt, weshalb sie es sich leisten konnte, ein riesiges Ateliergebäude in Berlin errichten zu lassen.
In Deutschland schätzt man sie, sie hat eine Professur an der Akademie in Düsseldorf. Aber sie erhält nicht die Aufmerksamkeit, die sie bekäme, wenn sie ein männlicher Künstler wäre. Grosse sagt, das deutsche Kunstsystem sei „extrem konservativ“.
Hendrik Driessen, der Museumsdirektor in Tilburg, meint: „Diese Energie in Grosses Arbeiten ist kühn und optimistisch zugleich, das lässt mich nicht los.“ Frauen? Männer? Ob das in der Kunst nicht gleichgültig sei?
In der Welt der Kunst aber gibt es keine Gleichberechtigung. Man kann das zum Beispiel an den Auktionsergebnissen ablesen. Seit Jahren hält sich da international nur eine Frau in der Spitzengruppe. Die Amerikanerin Cindy Sherman.
Ausgerechnet also in einer Szene, die sich als unangepasst, unkonventionell, geradezu radikal und fortschrittlich versteht, in der der Feminismus Teil des Diskurses war, scheint die Zurücksetzung von Frauen ausgeprägt zu sein. Deutschland ist in dieser Hinsicht ein Extremfall, rückständiger als viele andere westliche Länder.
Als der Künstler Georg Baselitz im SPIEGEL vor kurzem die Ansicht äußerte, Frauen malten nicht so gut wie Männer, löste das in amerikanischen Kunst-Blogs eine Debatte aus, ebenso im nahen Österreich, auch die Briten zürnten. In Deutschland nahm man das so hin.
Dass es auch sonst eine klare Benachteiligung gibt, ist mehr als eine gefühlte Wahrheit. Werke von Künstlerinnen werden deutlich seltener gezeigt. Kunst aber braucht Publikum, sie muss sich beweisen.
Beispiel Neue Nationalgalerie in Berlin. In der Hauptstadt ist es das wichtigste staatliche Haus für die Kunst der Gegenwart. In den vergangenen zwei Jahren hat der zuständige Direktor zwölf personenbezogene Schauen organisiert - nur eine war einer Frau gewidmet, einer Amerikanerin. Immerhin gibt es den Preis der Neuen Nationalgalerie für junge Kunst, und bei dessen erster Verleihung im Jahr 2000 war auch Grosse nominiert. Gewonnen hat ein Mann, ein eher traditionell arbeitender Maler.
Oder die Pinakothek der Moderne in München. Eine Institution, mit der Bayern sich als Kulturbundesland profilieren will. 2002 wurde das Museum eröffnet. Die Ausstellungstitel der folgenden zehn Jahre nennen 66 Künstler und 18 Künstlerinnen. 2012 hatte eine Schau dort den Titel „Frauen“. Gezeigt wurde die Kunst von drei Männern, die das Weibliche zu ihrem Motiv gemacht haben. Trotzdem glaubt Klaus Schrenk, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, es sei in seinen Häusern besser um die Frauen bestellt als in anderen. Er sagt auch, was viele Männer in Deutschlands Kunstszene sagen: Die Situation habe sich verbessert.
Das stimmt. Die Documenta in Kassel wurde 2012 zum zweiten Mal in ihrer Geschichte von einer Frau verantwortet, und die wählte tatsächlich ähnlich viele Männer wie Frauen aus. Was als Sensation galt. Und an der legendären Düsseldorfer Akademie lehren so viele Frauen wie noch nie, eine von ihnen ist Grosse. Aber trotzdem sind nur 5 von 27 Professuren weiblich besetzt. „Wer glaubt, die Sphäre der Kunst sei per se offen und modern, liegt falsch“, sagt Grosse. Sie spricht von einer Welt „der alten Knochen“. „Dabei funkelt da ganz viel Neues, es gibt eine ungeheure Vielfalt, ein Potential, das wir uns gar nicht vorstellen können, und es macht auch einfach mehr Spaß, wenn sich alles fifty-fifty mischt.“
Nicolaus Schafhausen weiß, dass die Kunstwelt noch nicht so weit ist. Er lei-tet die Wiener Kunsthalle, kommt aus Deutschland und ist einer der bekanntesten Kuratoren seiner Generation. Er sagt: Da, wo die strategischen Entscheidungen gefällt würden, herrschten hauptsächlich Männer. Und für die sei männliche Kunst einfach nur Kunst. „Das Testosteron gilt als normal und nicht erwähnenswert.“ Kunst von Frauen dagegen sei immer auch etwas anderes, „weiblich“ beispielsweise oder „feministisch“.
Beide Adjektive gelten im Kunstbetrieb meistens als Ausschlusskriterium.
Als Schafhausen 2007 im Auftrag der Bundesregierung für den Deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig zuständig war, wählte er die Künstlerin Isa Genzken aus. Es war ein fast historischer Moment, und man muss nur nachzählen, um zu verstehen, weshalb. Seit 1948 wurde dieses Land in Venedig von 90 Männern und 9 Frauen vertreten. Nicht berücksichtigt sind in dieser Bilanz sogar zwei Ausstellungen über historische und ausschließlich männliche Kunstströmungen. Und wie ging die Kunstwelt um mit Genzkens Werk? „Ich warte noch immer auf den Tag, an dem über Isa Genzken als Künstlerin geschrieben wird und nicht über sie als Ex-Frau von Gerhard Richter“, sagt Schafhausen.
Für die Biennale im kommenden Sommer hat die derzeitige Kuratorin Susanne Gaensheimer vier Künstler auserkoren, darunter nur eine Frau. Das ist es, was viele Künstlerinnen sagen: Auch Kuratorinnen setzen in dieser Männerwelt im Zweifel lieber auf männlichen Erfolg.
Eigentlich passt genau das nicht zum Verständnis von Kunst. Niemand sollte es sich leichtmachen wollen. Zumindest entspricht es dem Ruf der modernen Kunst, immer ein paar Schritte weiter zu sein als der Rest der Gesellschaft.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich das Verständnis und die Wertschätzung von Kunst in ganz anderer Hinsicht geändert. Sie wurde zum Milliardengeschäft - und das soll weiterhin reibungslos laufen. Galeristen, Sammler und Museen bevorzugen die Kunst von Männern, weil man damit finanziell nichts falsch machen kann. Denn Ausstellungshäuser stellen vor allem männliche Künstler aus und machen sie so berühmt und teuer. Ein geschlossenes System.
90 Prozent der Werke, die von deutschen Museen angekauft werden, sind von Männern produziert worden, 10 Prozent von Frauen - so schätzt es Anne-Marie Bonnet, eine in Bonn lehrende Professorin für Kunstgeschichte. Bonnet ist Französin, sie sagt, Deutschlands Kunstszene stecke in der Geschlechterfrage in den fünfziger Jahren. Immer noch seien die meisten Direktorenposten von Männern besetzt. Wenn, sagt sie, wie im vergangenen Jahrzehnt auch Frauen solche Jobs angeboten bekämen - „dann geht gleich ein Aufschrei durch die Szene“.
Bonnet gehörte fünf Jahre lang der Kommission an, die für die Bundesregierung zeitgenössische Kunst einkauft. Sie selbst hat eine große Reputation. Doch sie wisse auch, sagt sie, was sich noch heute Studentinnen in Seminaren anhören müssen. „Sexismus ist alltäglich, selbst Professorinnen werden an den Unis oft genug nach dem Motto behandelt: 'Unser Mädel macht das schon'.“ Sie habe das Gefühl, der Umgang gerade unter den Jüngeren werde kollegialer, es werde besser, doch es sei ein eher milder Optimismus, den sie entwickle.
Sexistische Sprüche, das mag sich für viele auch in den Wochen seit Brüderle nach kleinen Beleidigungen, nach Lappalien anhören. Tatsächlich geht es um eine große Ungerechtigkeit, etwa um verhinderte Karrieren.
Die Medien tragen eine Mitschuld. Das sieht Kurator Schafhausen so, das meint auch die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Fritsch. Sie wird von Museen wie der Tate Modern in London oder dem MoMA in New York geehrt, ihre Ausstellungen aber werden ihrer Meinung nach in Deutschland zu wenig rezensiert. „Bitte aktualisieren Sie das längst überholte Bild der erfolglosen Künstlerin. Machen Sie uns sichtbar“, fordert sie.
Mathilde ter Heijne, eine Niederländerin mit Wohnsitz Berlin, ist ebenfalls Künstlerin und Professorin. Sie sagt: „Nichts ist paletti.“ Das gelte für ihre Generation und für die ihrer Studenten. „Es ist schwer, sich erfolgreich gegen die Versuche der Marginalisierung zu wehren, wenn die von einem ganzen System ausgehen. Das trifft für das System Gesellschaft zu und natürlich ebenso für das System Kunst.“