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Nr. 1583

 

Das Mädchen und der Nakk

 

GALORS gibt Alarm – Besuch auf dem Planeten Nobim

 

Marianne Sydow

 

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Seit dem Tag, da ES die prominentesten Friedensstifter der Linguiden mit den Zellaktivatoren ausstattete, die einst Perry Rhodan und seinen Gefährten zur relativen Unsterblichkeit verhalfen, ist das Volk der Linguiden aus dem Dunkel der Geschichte jäh ins Rampenlicht der galaktischen Öffentlichkeit katapultiert worden.

Ob man den Linguiden, einem Volk liebenswerter Chaoten, denen Zucht und Ordnung fremde Begriffe sind, damit einen Gefallen getan hat, bleibt dahingestellt. Die neuen Aktivatorträger sind jedenfalls überzeugt davon, dass die Geschichte Großes mit ihnen vorhat. Sie fühlen sich dazu berufen, die politischen Verhältnisse in der Galaxis neu zu ordnen.

Dementsprechend beginnen sie zu handeln. Sie sind bei ihrem Vorgehen nicht gerade zimperlich, wie das Anheuern von Überschweren als Schutz- und Ordnungstruppe aufzeigt. Und wenn es um die Durchsetzung wichtiger Ziele geht, kennen weder die Friedensstifter noch ihre Helfer irgendwelche Skrupel.

In dieser Situation schlägt Anfang August 1173 NGZ GALORS Alarm. Die Impulse, die das galaktische Ortungssystem empfängt, scheinen etwas mit dem Superwesen ES zu tun zu haben. Julian Tifflor fliegt sofort hin, und seine Entdeckung – das ist DAS MÄDCHEN UND DER NAKK ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Anjannin Tish – Ein junges Mädchen, das »anders« ist.

Balinor – Ein hilfloser »Schneckenwurm«.

Julian Tifflor – Er folgt einem Alarm von GALORS.

Tamosh Unda – Ein akonischer Linguidenfan.

Kair Elsam – Ein Biont aus Chukdars Jagdkommando.

Prolog

 

»Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun«, sagte Tamosh Unda zu Homer G. Adams. »Lass mich damit in Ruhe. Außerdem verstehe ich nicht genug von Politik.«

»Aber du verstehst etwas von den Linguiden«, erwiderte der Chef der Kosmischen Hanse. »Das ist mir fürs Erste eine völlig ausreichende Qualifikation.«

»Es ist noch gar keine linguidische Delegation eingetroffen«, bemerkte der akonische Linguidenexperte.

»Wer weiß, ob sie überhaupt kommen werden.«

»Sie werden kommen«, versicherte Adams außergewöhnlich grimmig. »Und wenn sie erst einmal da sind, werden sie den ganzen Galaktischen Rat in Grund und Boden reden.«

»Sie werden für das eintreten, was sie für richtig halten. Das ist ihr gutes Recht.«

»Selbstverständlich ist es das. Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Mich interessieren im Augenblick nicht die Linguiden, sondern ihre Parteigänger. Du wirst dich ein bisschen umhören und mir berichten, wie die Stimmung unter den Abgeordneten ist. Achte vor allem auf die Delegation der Springer.«

»Es wäre mir lieber, wenn ich in die CIMARRON jetzt zurückkehren könnte.«

»Das kannst du immer noch tun«, sagte Adams ungeduldig. »Deine Arbeit auf der CIMARRON läuft dir nicht davon. Zuerst wirst du ins Humanidrom gehen und mir einen Bericht liefern.«

»Im Humanidrom gibt es genug andere Leute, die das viel besser können als ich!«

»Selbstverständlich!«, erwiderte Adams. »Und du darfst mir eines glauben: Ich habe durchaus noch einige andere Beobachter dort. Aber deine Meinung wäre mir jetzt in dieser Angelegenheit von ganz besonderem Wert.«

»Wenn ich dir nun wirklich meine Meinung sage, wirst du behaupten, ich sei parteiisch und von vorneherein für die Linguiden eingenommen«, stellte Tamosh Unda deprimiert fest.

»Du scheinst mir einer von denen zu sein, die immer schon alles im Voraus wissen«, sagte Adams ärgerlich. »Das solltest du dir so schnell wie möglich abgewöhnen. Im Übrigen bist du parteiisch und für die Linguiden eingenommen. Du solltest dich nicht so sehr von deinen Gefühlen leiten lassen.«

»Du weißt noch nicht einmal, wie ich wirklich bin«, erwiderte der Akone wütend. »Woher nimmst du dir dann das Recht, mir zu sagen, wie ich sein soll?«

Für einen Augenblick wirkte Adams betroffen, aber das ging schnell vorbei.

»Hör auf, mit deinem Schicksal zu hadern«, sagte er kühl. »Du kommst jetzt doch nicht mehr um die Sache herum. Du wirst das schon schaffen. Ich verlasse mich auf dich.«

Dann wandte er sich ab und ging davon.

»Ich will diesen Job nicht haben!«, schrie Tamosh Unda dem Chef der Kosmischen Hanse nach.

Aber Homer G. Adams tat, als hätte er nichts gehört.

Wie ich einen Auftrag bekommen kann, weiß ich mittlerweile, dachte Tamosh Unda ärgerlich. Aber wie wird man ihn mit Anstand wieder los, wenn man ihn nicht haben will?

Sein Problem bestand darin, dass er die Linguiden sehr mochte. Es schmerzte ihn zu wissen, was aus ihnen zu werden drohte. Er glaubte, auf jede weitere Information zu diesem Thema getrost verzichten zu können.

Tamosh Unda war im Dezember des Jahres 1169 NGZ bei Rhodans erstem Besuch auf dem Planeten Drostett dabei gewesen. Er hatte damals zwei linguidische Friedensstifter und einige ihrer Schüler persönlich kennen gelernt.

Diese Begegnungen hatten ihn tief beeindruckt. Er hatte sich seither intensiv mit den Linguiden beschäftigt und sich mehrfach unter ihnen aufgehalten.

Inzwischen war viel geschehen.

Die Friedensstifter – speziell jene, die Zellaktivatoren trugen und somit als unsterblich galten – hatten sich allem Anschein nach verändert, und dies nicht gerade zu ihrem Vorteil. Anstatt ihrem Volk zu dienen, wie sie es immer hatten tun wollen, schienen sie nun die Absicht zu haben, es zu beherrschen.

Damals, im Jahre 1169 NGZ, hatte Balasar Imkord dem Terraner Reginald Bull auf die Frage, warum die Linguiden nicht in das Galaktikum eintreten wollten, erklärt:

»Das Galaktikum ist eine Organisation, und jede Organisation benötigt feste Formen und Regeln, um funktionieren zu können. Lernt uns Linguiden ein wenig besser kennen, und ihr werdet merken, dass solche Formen und Regeln Gift für unser Volk sind.«

Heute präsentierte sich derselbe Balasar Imkord als einer der drei obersten Friedensstifter und Gesetzgeber seines Volkes.

Nie hatte es eine Rangordnung unter den Friedensstiftern gegeben. Nie hatten die Linguiden Gesetze gebraucht. Nie hatte einer von ihnen geglaubt, über die anderen bestimmen zu müssen.

Jetzt war das anders.

Balasar Imkord und die dreizehn anderen Unsterblichen stellten sich ganz offiziell über ihr Volk. Sie erließen Regeln und Gesetze und verlangten, dass das Volk sich nach den Befehlen der Friedensstifter richtete.

All das ergab keinen Sinn.

Es sei denn, man akzeptierte es als Beweis dafür, dass die Friedensstifter sich tatsächlich verändert hatten – aus welchem Grund auch immer. Andernfalls musste man davon ausgehen, dass man sie von Anfang an völlig falsch eingeschätzt hatte.

Tamosh Unda wollte weder das eine glauben, noch das andere akzeptieren.

Er wollte das Bild behalten, das er sich von den Friedensstiftern gemacht hatte. Er wollte nicht, dass irgendetwas an diesem Bild sich änderte.

Aber ganz tief drinnen im Kern seiner Gedanken war ihm schon längst klar, dass diese Veränderungen sich nicht mehr verhindern ließen.

Denn sie hatten bereits stattgefunden.

Ob es Tamosh Unda nun gefiel oder nicht: Im Humanidrom würde er gezwungen sein, diese Tatsache nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie darüber hinaus auch noch zu dokumentieren.

1.

1.8.1173 NGZ, Humanidrom

 

Aller Protest hatte ihm nichts genutzt.

Nun saß er hier fest in diesem unheimlichen Gebilde, in dessen unterer Hälfte die Nakken hausten und in dem Tamosh Unda sich als Nicht-Nakk nicht einmal frei bewegen konnte: Sobald er die Tür zu seiner Unterkunft auch nur einen Spaltbreit öffnete, schwirrte einer dieser aufdringlichen kleinen Roboter herbei und bestand darauf, den Akonen auf Schritt und Tritt zu begleiten.

»Ich brauche kein Kindermädchen!«, fuhr Tamosh Unda das Maschinchen wütend an.

»Nein, aber einen Vertigo, der dich davor bewahrt, dass du dich im Humanidrom verirrst«, antwortete der Roboter ungerührt.

»So schnell wird mir das schon nicht passieren!«, erwiderte der Akone ungnädig.

»Es sind schon mehrere Intelligenzen in den Tiefen des Humanidroms verschwunden und nie wieder aufgetaucht«, gab der Roboter zu bedenken.

»Wer ist eigentlich auf diese blödsinnige Idee gekommen, ausgerechnet das Humanidrom zum Sitz des Galaktischen Rates zu erklären?«, fragte Tamosh Unda seinen ungebetenen Beschützer. »Wäre es nicht vernünftiger gewesen, stattdessen irgendeinen x-beliebigen Planeten zu nehmen? Einen, auf dem niemand Gefahr läuft, beim erstbesten Spaziergang in einer Falle zu landen, aus der er vielleicht nie wieder herauskommt? Selbst Lokvorth wäre hundertmal besser gewesen als das Humanidrom!«

Der Roboter – ein Diskus aus stumpfgrauem Metall, einen halben Meter breit und zehn Zentimeter hoch – schwebte unbeirrt in Augenhöhe vor Tamosh Undas Gesicht und schwieg.

»Ganz abgesehen davon, dass mir die Nakken keine besonders angenehmen Hausgenossen zu sein scheinen«, fuhr der Akone mit steigendem Groll fort. »Es weiß doch niemand, was diese Kerle im nächsten Augenblick anstellen werden. Wenn sie plötzlich durchdrehen und die gesamte politische Prominenz der Milchstraße samt dem Humanidrom in einer ihrer Zeitfalten verschwinden lassen, stehen wir schön dumm da!«

Der Roboter war offensichtlich nicht gewillt, auf dieses Thema einzugehen.

»Also gut«, gab Tamosh Unda es seufzend auf. »Bring mich an einen Ort an dem man sich entspannen kann! Gibt es hier so etwas wie ein Freizeitdeck?«

»Folge mir!«, sagte der Roboter.

»Was bleibt mir denn anderes übrig?«, murmelte der Akone resignierend.

Sein Weg führte ihn durch einen Korridor, der ausnahmsweise ganz normal aussah – zumindest so lange, wie man sich in seinem Inneren befand. Erst als Tamosh Unda sich am Ende dieses Korridors zufällig umsah, stellte er fest, dass er sich die ganze Zeit hindurch in einem langsam pulsierenden und sich dabei träge windenden Schlauch aufgehalten hatte.

Das ganze Gebilde wirkte auf höchst beunruhigende Weise organisch. Für den Ausgang des Korridors galt das doppelt.

»Scheußlich!«, bemerkte der Akone. »Von hier aus sieht das haargenau so aus, als sei dieser Korridor mit dem Enddarm irgendeines Ungeheuers identisch. Ich will dir lieber gar nicht erst erläutern, wie ich mich jetzt fühle. Kann man nicht wenigstens diese Pulsiererei abstellen und die Form des Ausgangs korrigieren?«

»Wenn dieser ganz normale Korridor bei dir derartige Assoziationen hervorruft, dann hast du ein Problem!«, behauptete der Vertigo. »Wir haben sehr gute Psychiater hier im Humanidrom. Soll ich dich zu einem von ihnen hinführen?«

Dem Akonen verschlug es für einen Augenblick die Sprache.

»Pass bloß auf!«, sagte er schließlich. »Ich kann freche Roboter nicht leiden!«

Den Vertigo schien das nicht zu interessieren.

Der Roboter hielt vor einem offenen Schott. Tamosh Unda ging hindurch und sah sich um.

»Das soll ein Freizeitdeck sein?«, fragte er ungläubig.

»Es ist ein Ort, an dem man sich entspannen kann«, behauptete der Vertigo.

»Da muss man aber sehr genügsam sein!«, bemerkte der Akone nüchtern.

»Bist du zufrieden?«, fragte der Roboter mit der für Maschinen dieser Art typischen unerschütterlichen Höflichkeit. »Oder soll ich dich an ein anderes Ziel bringen?«

Tamosh Unda sah sich nachdenklich um.

Er befand sich in einer kleinen Cafeteria. Ein paar Tische standen entlang der Wände aufgereiht. Alle Plätze waren leer.

Offensichtlich hatte zurzeit niemand Lust, außerhalb der ihm zugewiesenen Unterkünfte oder Diensträume zu speisen. Das war verwunderlich, selbst wenn man die angespannte Situation bedachte und die Tatsache berücksichtigte, dass eine Krisensitzung vorbereitet wurde.

Große Veränderungen standen bevor. Jeder wusste das. Tamosh Unda hatte angenommen, dass die derzeitige politische Situation genug Gesprächsstoff bot, um das Mitteilungsbedürfnis der im Humanidrom beschäftigten Intelligenzen drastisch zu steigern.

Der Akone war darauf gefasst gewesen, dass die Terraner und die Arkoniden sich diesmal als betont zurückhaltend präsentieren würden, aber er hatte fest damit gerechnet, dass zumindest zwischen den Vertretern der kleineren Delegationen zahlreiche inoffizielle Gespräche in den Freizeiträumen stattfanden.

Die Terraner und die Arkoniden waren diejenigen, die auf eine Entscheidung drängten. Sie verlangten eine Vollversammlung – so schnell wie möglich.

Auf dieser Vollversammlung sollten Sanktionen gegen die Linguiden beschlossen werden.

Zuvor waren jedoch ein paar Fragen zu klären.

Zum Beispiel:

Hatten sich die linguidischen Friedensstifter tatsächlich aufrührerischer Umtriebe schuldig gemacht, wie die Terraner und die Arkoniden behaupteten? Hatten sie die galaktische Ordnung gefährdet? Und wenn ja: Was konnte man dagegen tun?

Konnte man überhaupt etwas tun?

Immerhin gehörten die Linguiden nicht zum Galaktikum. Sie unterhielten nicht einmal eine Botschaft auf Lokvorth, geschweige denn im Humanidrom. Konnte man sie unter diesen Umständen dazu zwingen, sich an die Spielregeln des Galaktikums zu halten?

Wobei man diese Frage nach Tamosh Undas Meinung noch ganz anders stellen musste:

Konnte man die Linguiden – speziell die linguidischen Friedensstifter – überhaupt zu irgendetwas zwingen?

Wenn man es versuchte, drehten sie einem das Wort nicht erst im Mund, sondern schon im Gehirn um.

Wie sollte man da mit ihnen reden?

Am besten per Funk, dachte Tamosh Unda sarkastisch, denn es war allgemein bekannt, dass die speziellen Fähigkeiten der Linguiden nur im persönlichen Gespräch zum Tragen kamen. Die Frage ist nur, ob sie sich darauf einlassen werden.

»Bring mich zum Büro des Galaktischen Rates von Akon!«, befahl er.

 

*

 

Der offizielle Vertreter des akonischen Volkes im Galaktischen Rat war zurzeit nicht ansprechbar.

Diese Auskunft kam für Tamosh Unda nicht sonderlich überraschend, auch wenn er sich bis zuletzt die stille Hoffnung bewahrt hatte, dass man ihn als einen der persönlich Beauftragten des großen Homer G. Adams etwas zuvorkommender behandeln würde.

Zähneknirschend gab er sich mit einem untergeordneten Mitglied der akonischen Delegation zufrieden.

Dieses untergeordnete Mitglied hieß Sonag von Sanui.

Sonag von Sanui war ein Schwätzer und ein Blender. Seine Arroganz stand im umgekehrten Verhältnis zu seiner fachlichen Kompetenz. Er ließ sich durch seine Unwissenheit jedoch niemals daran hindern, sich freimütig zu jedem nur denkbaren Thema zu äußern.

Da Sonag von Sanui sich selbst für sehr intelligent, humorvoll und witzig hielt, waren seine Vorträge meist von so peinlicher Art, dass Tamosh Unda zusammenzuckte und sich demonstrativ zur Seite wandte, sobald Sonag von Sanui in Anwesenheit Außenstehender auch nur den Mund aufmachte.

Was die Linguiden betraf, so wusste dieser Akone über sie die erstaunlichsten Dinge zu berichten; zum Beispiel, dass sie Vegetarier seien, grundsätzlich barfuß gingen und Sonnenuhren benutzten. Mit geradezu bestürzender Unbefangenheit gab Sonag von Sanui eine Probe dessen, was er für linguidische Sprachtechnik hielt.

Bei alldem sprach der Akone grundsätzlich mit lauter, weithin schallender Stimme. Er schien der leisen Töne grundsätzlich nicht mächtig zu sein.

Und dies nicht nur in akustischer Beziehung.