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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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11.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 1720

 

Kommandant der Abruse

 

Die Spiegelgeborenen in der Todeszone – sie suchen Kontakt zu einem Kristall

 

von Susan Schwartz

 

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Zu Beginn des Jahres 1217 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 4804 alter Zeit – ist die Menschheit an mehreren Stellen des Kosmos in Ereignisse verwickelt, die auf den ersten Blick zwar nichts miteinander zu tun haben, in Wirklichkeit aber in enger Beziehung stehen.

Beispielsweise die kritische Lage im Solsystem: Der Mars ist unter dem Einfluss merkwürdiger Objekte völlig kristallisiert; wer ihm zu nahe kommt, muss sterben. Inseln der Illusion verunsichern die Menschen auf der Erde, und das Mondgehirn NATHAN arbeitet an einer merkwürdigen Totenliste. Gleichzeitig sorgen mysteriöse Waren in den Magellanschen Wolken und in der Milchstraße für Probleme.

Für Unruhe sorgt zudem die Tatsache, dass auf der Erde nichts Neues über Perry Rhodan und seine 12.000 Begleiter an Bord der BASIS bekannt ist. Das Trägerraumschiff der Menschheit wich den mörderischen Kämpfen am Rand der Großen Leere aus und ist derzeit die unglaubliche Entfernung von weit über 300 Millionen Lichtjahre von der Heimat entfernt.

Mit drei Rochenschiffen der Ayindi operieren mittlerweile die Zellaktivatorträger auf der »anderen Seite« des Universums. Dem Enterkommando der Beausoleils gelang es, ein abrusisches Kristallschiff zu erobern und ein Wesen aus diesem Schiff zu entführen – es ist der KOMMANDANT DER ABRUSE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Nadja und Mila Vandemar – Die Spiegelgeborenen haben Probleme mit ihren Mutanten-Fähigkeiten und Gefühlen.

Alaska Saedelaere – Der ehemalige Maskenträger versucht ein Kristallwesen zu verhören.

Myles Kantor – Der Wissenschaftler beißt auf Granit.

Cryzz – Ein geheimnisvolles »Kristallwesen«.

Perry Rhodan – Er leitet den Einsatz in der Todeszone.

1.

Sonntag, 21. März 1217 NGZ

 

»Bonjour, ma chérie«, erklang Joseph Broussards jr. muntere Stimme. Sein grinsendes Gesicht mit den funkelnden, blauen Augen erschien in einem Holo in der Unterkunft der Vandemar-Zwillinge.

»Störe ich dich?«, fuhr er fort. Sein strahlendes Lächeln zeigte allerdings, dass er die Frage mehr rhetorisch meinte. Er zog gar nicht erst in Betracht, dass er tatsächlich stören könnte. Beim letzten Bordfest in der BASIS hatte er mit Mila fröhlich getanzt, doch sie hatte sich plötzlich von ihm zurückgezogen, bevor er näher mit ihr bekannt werden konnte. Dies wollte er nun nachholen und vor allem ergründen, weshalb seine behutsamen Annäherungsversuche bisher nicht den gewünschten Erfolg zeigten.

Die angesprochene junge Frau setzte den Kaffeebecher ab und zwinkerte lächelnd. »Nein, du störst nicht«, gab sie die gewünschte Antwort. »Darf ich dir einen Kaffee anbieten?«

Der Cajun lachte. »Herzlich gern. Ich könnte in etwa einer Viertelstunde da sein.«

»Oh, das tut mir Leid«, bedauerte die Gäa-Geborene daraufhin, »aber in einer Viertelstunde bin ich schon unterwegs.«

Die junge Frau lächelte erneut.

Joseph Broussards Stirn legte sich in Kummerfalten, und seine dichten schwarzen Brauen überschatteten die Augen. »Ach, wirklich?«, sagte er enttäuscht. Dann winkte er ab. »Verschieben wir's auf ein andermal. Trotzdem schade, dass du heute keine Zeit hast.« Er hob die Hände in einer bewundernden, typisch französischen Geste: »Aujourd'hui, tu es très jolie«, versicherte er.

»Danke«, antwortete das Objekt der Bewunderung. »Es klingt sehr nett, was du da sagst, aber leider verstehe ich kein Wort davon.«

»Oh? Wie bedauerlich.« Der Anführer der Beausoleils wirkte einen Moment fast peinlich berührt; so wie man einen Witz niemals erklären durfte, durfte man ja kein Kompliment wiederholen oder gar übersetzen. Aber die Frau sah ihn so erwartungsvoll an, dass er nicht ausweichen konnte.

»Ich sagte nur, dass du heute besonders hübsch aussiehst«, murmelte er. »Mila, ich muss dir unbedingt die Feinheiten meiner Sprache beibringen, sonst wird das nie etwas mit uns.«

Die Gäa-Geborene hob die Brauen, und in ihren Augenwinkeln blitzte etwas auf, das den Cajun erst recht außer Fassung brachte: Schalk. Womit hatte er sich jetzt wieder blamiert?

»Ich fürchte, hier handelt es sich um ein Missverständnis«, sagte die junge Frau lächelnd. »Ich bin Nadja.«

Joseph Broussard jr., Anführer der Beausoleils, der weder Tod noch Teufel fürchtete, war für einen denkwürdigen Augenblick sprachlos. »Nadja ... C'est vrai?«, stotterte er dann. Sein mächtiger schwarzer Schnurrbart begann zu zittern.

Nadja Vandemar nickte; auch wenn sie die Aussage nicht verstand, war ihr klar, was er gesagt hatte.

»Verzeihung ... das wusste ich nicht ...«, stieß der Cajun hervor und griff sich an den Hals, weil er spürte, wie sich die Schlinge zuzog. Egal, was er jetzt noch sagte, es konnte nur falsch sein.

»Was sollte ich denn entschuldigen?«, entgegnete Nadja ein wenig spitz. »Ziehst du dein Kompliment zurück, da ich nicht Mila bin?«

»Mais non ... natürlich nicht ...«, stammelte der Mann, »ich meinte nur, wegen Mila ..., aber da sie ohnehin nicht da ist ..., entschuldige, da kommt gerade ein wichtiger Ruf, bis später ...« Er schüttelte den Kopf und unterbrach die Verbindung.

Nadja konnte sich nicht mehr zurückhalten, sie platzte laut lachend heraus, bis ihr die Tränen in die Augen traten. Mila, die soeben hereinkam, blieb erstaunt stehen.

»Was ist denn los?«, fragte sie.

Nadja erzählte ihr die Episode, obwohl sie selbst kaum reden konnte.

»Du bist gemein«, sagte Mila vorwurfsvoll und prustete dann selbst los.

»Ich weiß«, gab Nadja zu, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte. »Ich werde ihn jetzt anrufen und mich entschuldigen. Aber ich konnte einfach nicht anders, Mila. Hoffentlich habe ich dir da jetzt nicht etwas vermasselt.«

»Ach, er ist ganz nett«, meinte die Schwester achselzuckend.

»Mehr nicht?«

»Auf mehr lasse ich mich nicht ein.«

Nadja wurde für einen Moment ernst. Sie strich Mila sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du bist ein Mensch, Mila. Eine Frau. Sperr deine Gefühle nicht ein.«

»Und du?«, gab Mila zurück.

Nadja gab darauf keine Antwort, sonst hätte sie gestehen müssen, dass sie ein Geheimnis vor ihrer Schwester hatte. Stattdessen rief sie Joseph Broussard jr. an.

Der starrte etwas entgeistert auf das Holo, das die beiden Schwestern zeigte, eine als perfektes Spiegelbild der anderen. Bisher war diese unglaubliche Ähnlichkeit niemandem sonderlich aufgefallen, da die beiden sich meist etwas unterschiedlich kleideten und auch die Frisuren variierten. Nadja trug beispielsweise gerne modische Accessoires und steckte sich häufig einen kleinen Kamm oder eine hübsche Klammer ins Haar, während Mila auf schmückendes Beiwerk fast ganz verzichtete, dafür aber farbenfrohere Kleidung bevorzugte. Dieses Outfit war so unverwechselbar, dass sie häufig auseinander zu halten waren, selbst wenn sie allein auftraten.

Im Moment aber gab es nicht die geringste Möglichkeit, sie zu unterscheiden. Der Cajun hatte, da er Mila sprechen wollte, einfach automatisch angenommen, dass er diese vor sich hatte; ihm war gar nicht die Idee gekommen, dass er sie mit ihrer Schwester verwechseln könnte.

Die beiden lächelten ihn synchron an; man hätte es für eine optische Täuschung halten können.

»Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Joseph«, sagte die junge Frau, die vor einem halb aufgegessenen Frühstück saß. »Ich habe mir einen Scherz auf deine Kosten erlaubt, das tut mir wirklich Leid. Ich hoffe, du bist mir nicht böse deswegen.«

»Selbstverständlich nicht, Nadja«, sagte der Cajun. »Ich gebe zu, die Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik ... Normalerweise bin ich auch nicht so uncharmant, aber du hast mich völlig aus dem Konzept gebracht.«

Nadja lachte herzlich, und er fiel in ihr Lachen ein. »Ich werde es bei Gelegenheit ausgleichen«, versprach sie.

 

*

 

19 Tage waren vergangen, seitdem die drei ayindischen Rochenschiffe CADRION, MANAGA und TYRONA tief in die Todeszone hineingeflogen waren, zusammen mit den mutigen Männern und Frauen der Beausoleils – jener Truppe aus Eigenbrötlern, deren Anführer sich gern der nahezu ausgestorbenen französischen Sprache bedienten, ihre »Jolie Blonde« selbst brauten und ausgelassene Feste feierten.

Diesem Kommando war etwas ganz Entscheidendes gelungen: Die Beausoleils hatten ein Kommandoschiff der Abruse, einen rund 1500 Meter durchmessenden »Diamanten«, geentert. Das aufgebrachte Schiff war in drei hohlkugelförmige Sphären unterteilt gewesen. Im dritten, innersten Ring stießen die Terraner auf das Kommandozentrum, überwacht von vierzehn Kommandanten.

Bei der ersten Begegnung der CADRION im Februar 1217 NGZ mit einem Diamanten hatte Gucky festgestellt, dass diese Kommandanten eine Art Intelligenz besaßen. Damit war den Galaktikern das erste Mal die Möglichkeit gegeben, Kontakt mit einem der Abruse dienenden Wesen aufzunehmen. Und deshalb war man übereingekommen, den Schwerpunkt auf die Eroberung eines solchen Diamantschiffes zu setzen.

Der erste Einsatz der drei Rochenschiffe hatte eigentlich der Suche nach Voltago gegolten, der aus unerfindlichen Gründen in die Todeszone der Abruse geflohen war. Die Spur des Kyberklons hatte sich zwischenzeitlich völlig verloren. Perry Rhodan glaubte trotzdem nicht daran, nie wieder etwas von Voltago zu sehen oder zu hören; zu oft hatten sich ihre Wege völlig unerwartet wieder gekreuzt. Der Terraner vertraute gefühlsmäßig darauf, Voltago eines Tages wiederzufinden und den Grund seiner Flucht zu erfahren.

Das Kommandozentrum des gestellten Brillantschiffs zu entern, erwies sich als schwierige Aufgabe, bei der acht Beausoleils starben und mehrere verletzt wurden. Die Vandemar-Zwillinge waren nicht in der Lage, ihre Psi-Fähigkeiten in gewünschtem Maße einzusetzen, vielleicht, weil dieses »Schiff« und seine »Mannschaft« so fremd waren, dass es keine Möglichkeit zur menschlichen Definition gab. Beide Frauen konnten Strukturen erkennen, aber nicht deuten, abgesehen von gelegentlichen »Glückstreffern«, bei denen Nadja sogar ein Strukturformen gelungen war.

Dann war jedoch etwas völlig Unerwartetes eingetreten: Gucky war es gelungen, einen gewissen »Kontakt« mit einem der bisher nie gesichteten Kommandanten aufzunehmen. Als akustisch-sprachliches Analogon zu den beiden häufigsten »Gedanken« des Kommandanten benannte Gucky ihn als »Cryzz«, sein Schiff als »KYSHATT«, ohne eine Möglichkeit zu haben, die wahren Bedeutungen zu erfahren.

Er behielt Kontakt mit Cryzz, doch kam es zu keiner weiteren Annäherung. Der Kommandant seinerseits erkannte Guckys mentale Nähe, wenngleich auch er keinen direkten Kontakt aufnehmen konnte.

Doch als hätte dieses Eindringen in seine Sphäre etwas Verborgenes freigesetzt, arbeitete er plötzlich gegen die anderen Kommandanten – er rebellierte gegen die Abruse!

2.

Warten

 

»Wie kann etwas nur so schrecklich langweilig sein«, klagte Michael Rhodan. In der Kommandozentrale der MANAGA schwebte er in seinem Kommandosessel auf und ab, ließ die Beine über die Lehne baumeln. Zur Unterstreichung seiner Worte seufzte er tief.

Als niemand auf ihn achtete, richtete er sich auf. »Kannst du mir freundlicherweise verraten, was du vorhast?«

Diese Frage war an seinen Vater gerichtet, der grübelnd auf eine Projektionswand starrte, auf der die beiden anderen Schiffe zu sehen waren.

Nach der Selbstzerstörung der KYSHATT durch eine Art Kristallbrand war Cryzz als einziger Überlebender zur Untersuchung auf die CADRION gebracht worden. Die ayindischen Schiffe waren von der ursprünglichen Position zu einem zwei Lichtjahre entfernten Sonnensystem geflogen und hatten ihren Beobachtungsposten im Ortungsschutz einer Sonne bezogen.

»Sei nicht so ungeduldig, Mike«, antwortete Perry Rhodan ungerührt. »Wir haben einen offenen Angriff auf die Abruse gestartet und eines ihrer Kommandoschiffe zerstört. Ich will wissen, was jetzt geschieht.«

»Bisher geschieht nicht sehr viel, Perry«, meldete sich Homer G. Adams zu Wort. »Wir haben uns bereits vor einem Tag zurückgezogen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Abruse so lange braucht, um zu reagieren.«

»Das meine ich auch«, bekräftigte Mike. »Bisher sind wir immer sehr schnell von Schneeflocken angegriffen worden, und wir befinden uns mitten in der Todeszone. Wir wissen, dass die Abruse recht genau mitbekommt, was innerhalb ihres Machtbereichs geschieht, sonst könnte sie uns nicht so gezielt Illusionen schicken.«

»Ich wiederum kann mir nicht vorstellen, dass die Abruse keine Vergeltung will«, widersprach der unsterbliche Terraner. »Darum geht es doch nach wie vor: Wir müssen herausfinden, wer oder was die Abruse ist. Dazu gehört auch einmal defensives Handeln, sprich: warten.«

»Und wie lange?«, wollte Michael Rhodan wissen. Er hob auffordernd die Hand. »Na?«

»Ich weiß es nicht, Mike. Wir werden zunächst beobachten und sonst gar nichts tun.« Perry Rhodan wandte den Kopf, als er einen Anruf erhielt.

»Joseph Broussard jr. hier«, meldete sich der Cajun. »Während wir hier herumsitzen, könnten sich ein paar von uns doch auf den Weg machen ...«

»Nein«, schnitt Rhodan ihm das Wort ab. »Keine Einsätze derzeit.«

»Aber wir haben doch ...«

»Nein«, wiederholte Rhodan etwas schärfer. »Wir haben schon acht Leute verloren, einige sind verletzt worden. Ich riskiere jetzt nichts.«

»Das Risiko ist jedem von uns bekannt«, zeigte sich Broussard empört. »Weshalb sind wir denn mitgekommen?«

»Ich weiß«, sagte Perry Rhodan beschwichtigend. »Aber im Augenblick sehe ich überhaupt keine Veranlassung, erneut ein Risiko einzugehen. Wir haben einen Kommandanten in unsere Gewalt bringen können, und wir müssen zunächst erst alles versuchen, um Kontakt mit ihm aufzunehmen. Ein weiteres Enterkommando ist derzeit sinnlos, noch dazu, da das erste fast schief gegangen wäre, wenn uns Cryzz nicht unterstützt hätte. Wir bleiben in Warteposition.«

»Und wie lange?«, maulte der Cajun. Die anderen in der Zentrale grinsten über die zum zweiten Mal gestellte Frage.

Rhodan seufzte verhalten. »Bis wir mehr wissen«, antwortete er und schaltete die Verbindung ab.

 

*

 

Die Stimmung auf den anderen beiden Schiffen war nicht anders; nach der hektischen Aktivität der letzten Wochen mochte sich keiner so recht mit der Zwangspause abfinden.

Reginald Bull wanderte in der Kommandozentrale der CADRION düster auf und ab; seine Laune besserte sich erst, als sich Atlan von der TYRONA meldete.

»Nun, terranischer Feuerwehrhauptmann«, sagte der Arkonide in gutmütigem Spott. Diese Bezeichnung für Bully hatten die Ennox aufgrund seiner borstigen roten Haare geprägt. »Wie stehen die Dinge auf der CADRION?«

»Es ist zum Nägelkauen, arkonidischer Bleichling«, erwiderte der Terraner mit einem Knurren in der Stimme. »Ich sitze hier völlig nutzlos herum.«

»Wo sind denn die anderen?«

»Du meinst Gucky & Co.? Bei Cryzz. Sie analysieren ihn und murmeln seltsame Dinge vor sich hin. Sie haben mich hinausgeworfen, weil ich sie nur stören würde.« Zum ersten Mal lächelte Bull. »Damit haben sie zwar Recht, aber das macht mich erst rasend. Ich bin's nicht gewohnt, außen vor zu stehen.«

Atlan lachte. »Falls es dich tröstet: Ich langweile mich fast zu Tode, obwohl wir erst eineinhalb Tage hier sind.«

»Fühle mich getröstet. War das der einzige Grund deines Anrufs?«