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Albertine Gaul

Das Haus der Nachtschwärmer

Kampf um die Pension Grabräuber


Gewidmet meiner Familie und Hans


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Ein später Gast

Das kleine Dorf Lallen, ein Ort mit 150 Einwohnern, lag mitten in Deutschland, umgeben von Feldern, Wäldern, Wiesen und Weiden . Die meisten der Bewohner lebten von der Landwirtschaft, auch wenn die Bauern der Umgebung, wie alle Bauern in Deutschland, um ihre Existenz bangen mussten.

In der Mitte des Dorfes verlief die einzige Straße des Dorfes, an dessen Rand die Bauernhöfe aufgereiht standen, vorbei an der alten Backsteinkirche, in der schon viele Jahre kein Gottesdienst mehr gefeiert wurde. 

Neben der Kirche lag der Friedhof, ein Ort der Ruhe, an dem zuletzt vor zehn Jahren ein Dorfbewohner beerdigt wurde. Es war der Pensionsbesitzer Robert Frosch, der unerwartet und viel zu früh an einem Herzinfarkt verstorben war. Was nicht hieß, dass er überhaupt nicht mehr auf Erden wandelte.

Auf der anderen Straßenseite, gegenüber der Kirche, befand sich das einzige Gasthaus des Ortes, welches der findige Immobilienmakler Jens Petermann für sich und seine Familie als Wohnhaus umgebaut hatte. Mit Pool und einem, hohem Zaun, der alles verbarg, was man nicht sehen sollte.

Direkt neben dem Friedhof lag die Pension Grabräuber, ein altes Schulgebäude, das die Familie Frosch vor zwanzig Jahren in eine solide und geheimnisvolle Pension umgebaut hatte.

Viele der Dorfbewohner fragten sich, wie Rosa Frosch (genannt Mutter Frosch) den Betrieb so lange aufrechterhalten konnte, da der Ort nicht touristisch erschlossen war und auch keine Durchreisenden in dem Dorf übernachteten. Es wurde auf der Landkarte und von den Navis schlichtweg übersehen, so dass die Bewohner unter sich blieben. Dachten sie zumindest.

Aber Mutter Frosch hatte ihre Nische längst gefunden, was sie den neugierigen Dorfbewohnern nicht unbedingt auf die Nase binden wollte. Schließlich würden sie sich vor ihren besonderen, außergewöhnlichen Gästen zu Tode erschrecken, was nicht für ihr Geschäft zuträglich wäre. Gäste, die das Tageslicht scheuten und nur in der Nacht reisten, wenn alle anderen schliefen. Mutter Frosch nannte sie ihre Nachtschwärmer.

 

An einem kühlen Frühlingsmorgen aber begannen sich die Ereignisse zu überschlagen und sie fingen mit einen späten Gast an.

Es war kurz nach Mitternacht und Mutter Frosch, eine Endfünfzigerin und ein besonderer Mensch, hatte ihren Platz gerade hinter der Rezeptionstheke bezogen, als es an der Eingangstüre heftig klopfte.

Sie drückte den Türdrücker und die schwere Tür öffnete sich schwungvoll. Eine vermummte Gestalt in einem weiten, Dunklen Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, betrat den Eingangsbereich der Pension.

„Was kann ich für Sie tun“, fragte Rosa Frosch den späten Gast freundlich, wie es ihre Art war.

„Ich suche ein Zimmer“, kam es unter der Kapuze hervor. „Für eine Nacht.“

„Sie haben Glück, ein Zimmer ist noch frei“, antwortete ihm die Pensionswirtin. „Zimmer 13 in der ersten Etage. Ich hoffe, Sie haben damit kein Problem?“ Auch Nachtschwärmer waren abergläubisch, wusste Rosa Frosch.

„Nehme ich“, sagte der Mann eilig. „Was macht das?“

„Eine Nacht kostet 13,50 Euro. Frühstück“, erkundigte sich Rosa und tippte den Betrag in ihre Kasse.

„Nein, dafür sorge ich selber“, äußerte der Gast und Rosa Frosch meinte lange, spitze Eckzähne unter der Kapuze hervorblitzen zu sehen.

„Ok. Dann nur die Übernachtung. Zahlen Sie bar?“

„Natürlich. Hier“, eine bleiche Hand schnellte unter den Umhang hervor und legte eine Handvoll Münzen auf den Tresen. „Sie können nachzählen, es stimmt.“

Rosa Frosch zählte natürlich das Geld nach und nickte. „Gut. Hier ist der Schlüssel. Falls Sie etwas brauchen, klingeln Sie. Der Schalter ist neben der Tür.“

„Danke, aber ich habe alles, was ich möchte“, flüsterte der Gast heiser und wandte sich der Treppe zu.

Kaum war er verschwunden, knarrte der Schaukelstuhl in der Lobby und begann dann sachte zu schaukeln.

„Mit dem wirst Du noch Ärger kriegen“, meinte eine Stimme, die geisterhaft durch den Raum hallte.

„Denkst Du, Robert“, erkundige sich Rosa und blickte kurz von der Kasse auf. „Du bist schon wieder unsichtbar, ich sehe dich nicht.“

„Tut mir leid, auch geistern will gelernt sein“, sagte Robert Frosch und materialisierte sich. „Besser so?“

Rosa nickte. „Viel besser. - Was meintest Du mit Ärger?“

„Du bist dir doch im Klaren darüber, dass das ein Vampir war, oder“, fragte Robert besorgt.

„Natürlich, die kann ich meilenweit riechen. Und er ist nicht der Einzige hier. Gestern sind schon drei Weitere eingetroffen, falls Du dich erinnerst? Ich denke nicht, dass er dazu gehört, Robert.“

„Das nicht, aber er ist aggressiver. Das konnte ich spüren. Hoffentlich jagt er nicht im Dorf, das wäre schlecht für das Geschäft, Rosa.“ Robert war aufgestanden und schwebte an den Tresen. „Machst Du dir keine Sorgen?“

„Doch, aber wir haben Regeln. Die liegen in jedem Zimmer aus. Jagen im Dorf ist nur eingeschränkt möglich und die Dorfbewohner sind zu verschonen. Ich denke, er wird sich daran halten. Schließlich sind wir die einzige Pension im Umkreis, die übernatürliche Wesen beherbergt“, sagte Rosa und verschloss ihre Kasse wieder. „Er bekommt Ärger, wenn er sich nicht daran hält.“

„Von unserem Sohn? Antonius schafft es nicht einmal, für sein Essen zu sorgen. Wenn Du ihm nicht beim Metzger Blut besorgen würdest, würde er glatt verhungern. Der ist keine Hilfe gegen wilde Vampire“, meinte Robert lapidar.

„ Er ist ein lieber Junge, wenn er auch Probleme mit dem Jagen hat. Das kommt schon noch“, antwortete Rosa überzeugt. Auf ihren Sohn ließ sie nichts kommen, der würde seinen Weg gehen. So oder so.

„Seit dieser… wie hieß er noch“, erkundigte sich Robert.

„Du meinst den Kerl, der unseren Jungen hat sitzen lassen? Tyrone, glaube ich, hieß der“, schimpfte Rosa. „Nenn nie wieder seinen Namen in meiner Gegenwart.“

„Seit dem er Antonius verlassen hat, ist der nicht mehr der, der er mal war. Verdammt! Der Junge braucht unbedingt einen neuen Partner.“ Robert war zu seinem Schaukelstuhl zurückgekehrt und hatte sich grübelnd nieder gelassen. „Leider sind nebenan keine Vampire begraben. Schade, ich würde ihm so gerne helfen.“

„Du bist nicht böse, dass wir nie Enkel haben werden“, fragte Mutter Frosch erstaunt. Als ihr Mann noch gelebt hatte, war dies das Thema gewesen, weshalb sie ständig gestritten hatten. Seit Robert nicht mehr unter den Lebenden weilte, war er viel humaner geworden. Er sah seinen Sohn so wie er war, ein schwuler Vampir, zu gut für die raue Welt.

„Nein, Antonius wird sich nie ändern, das weiß ich. Mit dem Übergang in diese Dimension kam die Weisheit, Rosa. Ich bin sehr froh, dir noch eine Weile zur Seite stehen zu können. Und natürlich auch unserem Sohn.“ Er schaukelte sachte hin und her.

Mutter Frosch wollte gerade antworten, als das Telefon klingelte.

„Pension Grabräuber, Mutter Frosch am Apparat“, kam ihr Standardspruch.

„Ah, der Herr aus Zimmer drei? - Eine Dose Blut. - Am liebsten Rind? - Ja, ich sage es dem Zimmermädchen, ihr Frühstück ist unterwegs. - Danke, Ihnen auch.“ Sie legte vorsichtig den Hörer auf und klingelte dann nach dem Zimmermädchen.

„Lisa, der Herr aus Zimmer drei möchte eine Dose Rinderblut. Ich sage in der Küche Bescheid, dass sie den Kühlraum aufschließen“, meinte Rosa ,als Lisa de Rossa, eine Dämonin im besten Alter, in die Lobby stürmte.

„Kein Problem, Mutter Frosch. Wollte er sonst noch was“, fragte Lisa und leckte sich die Lippen. „Ein wenig spielen, vielleicht?“

„Lisa“, wies sie Mutter Frosch, gespielt empört, zurecht. „Dies ist eine ehrenwerte Pension. Die Angestellten spielen nicht mit den Gästen. Zügle dein Temperament.“

Lisa lachte schallend. „Ich stehe nicht immer auf Vampire, keine Sorge. Menschen sind schon eher mein Geschmack, die lassen sich leichter manipulieren. - Aber nun bringe ich dem Gast sein Frühstück.“ Mit wippenden Hüften verschwand sie im Speisesaal, hinter dem die Küche lag.

„Teufelsweib“, murmelte Robert anerkennend. „Schade, dass ich dafür schon viel zu tot bin. Ein Dämon im Bett wäre auch mal was.“

„Robert“, schimpfte Rosa entrüstet, auch wenn sie ihren Mann kannte. „Das hätte ich nicht von dir gedacht.“

„Ich von mir auch nicht“, konterte der Geist. „Vorbei! Vorbei!“

Lisa kehrte mit einer Karaffe und der Dose Blut in die Lobby zurück.

„Drei, sagten Sie“, fragte sie, um sicher zu sein.

„Korrekt. Nun aber schnell, der Gast ist schon ungeduldig, Lisa“, sagte Rosa.

„Nicht hetzten, Mutter Frosch. Der wird schon nicht verhungern“, lächelte die Dämonin. „Magie anwenden darf ich ja nicht, haben Sie gesagt. Es würde schneller gehen.“

„Nein, keine dämonische Magie“, beeilte sich, Rosa zu sagen. „Besser nicht, schließlich müssen wir unauffällig bleiben.“

Lisa verschwand im Treppenhaus und aus dem Speisesaal kam ein großer, Dunkelhaariger Mann in die Lobby.

„Frau Frosch, Yella sagte mir gerade, die Blutkonserven neigten sich dem Ende zu. Sie würden gerade so drei Tage reichen, wenn keine weiteren Vampire kämen. Soll Sie sie neu bestellen? Im Schlachthaus in der Stadt werden morgen wieder Tiere geschlachtet. Ich könnte hinfahren und die Konserven abholen.“

„Ja, sagt ihr, sie soll bestellen. Fahr dann gleich vor Tagesanbruch, Louis. Ich will nicht, dass die Nachbarn davon etwas mitbekommen“, antwortete Rosa schnell.

„Das werden sie nicht, Mutter Frosch“, sagte Louis. „So wie immer. Ihr macht Euch zu viele Sorgen. Bisher ahnt da draußen keiner was davon und wird es bis in alle Ewigkeit nicht. - Sobald alle gegessen haben, nehme ich den Wagen und fahre in die Stadt.“

„Danke, Louis“, meinte Rosa erleichtert. Seit der große Werwolf alle Besorgungen in der Stadt machte, konnte sie wieder besser schlafen. Yella war zwar eine gute Köchin, aber eben doch eine Elfe, die Aufsehen erregte und nicht gut mit Geld umgehen konnte. Und ihre Hilfe, Zora die Fee, war auch nicht besser.

Louis nickte und kehrte an seinen Arbeitsplatz im Speisesaal zurück.

„Ich verstehe nicht, wie Du eine Fee und eine Elfe als Köchinnen einstellen konntest, Robert“, rief sie ihrem Mann zu, der im Schaukelstuhl döste.

„Sie brauchten Hilfe, Rosa“, antwortete der. „Und kochen können sie, oder? Besser wie Du, meine Liebe.“

„Das schon, aber sie sind zu verträumt. Ständig muss man sie ermahnen. Sonst läuft in der Küche nichts.- Du und dein gutes Herz.“ Rosa schüttelte nur den Kopf. „Eine richtige Köchin wäre mir manchmal lieber.“

„Hier wird kein normaler Koch anfangen, Rosa. Wievielte Anzeigen hast Du geschaltet? Ein  Dutzend? Oder mehr! Kaum waren sie hier, wollten sie nicht bleiben. Wer kocht schon für Werwölfe, Dämonen und Vampire? Nein, es ist gut so, wie es ist.“ Robert streckte sich. „Ich sehe mal nach der Heizung.“

„Nimm Vlads Futter mit, bitte. Yella hat mir versprochen, es an die Hintertreppe zu legen“, meinte Rosa.

„Mache ich.“ Robert löste sich einfach auf und Rosa behielt die Telefonzentrale im Auge. Es schien wieder eine eher ruhige Nacht zu werden, dachte sie. Bis auf den neuen Gast würden heute keine Besucher mehr kommen. Und die, die da waren, suchten wohl mehr die Ruhe.

„Mutter!“

Rosa blickte hoch und entdeckte Antonius im Eingang.

„Was ist? Warst Du jagen?“

„Nein, sehe ich so aus“, fragte der bleiche, junge Vampir und schütteltet energisch den Kopf.

„Nicht unbedingt. Hast Du nichts zu tun?“ Seit ihr Sohn für den Garten verantwortlich war, sah sie ihn im Haus viel seltener.

„Doch. Aber ich habe da etwas gerochen, das mir bekannt vorkam. Ist Tyrone vielleicht aufgetaucht?“ Er blickte seine Mutter hoffnungsvoll an.

„Ich habe ihn nicht gesehen, Antonius. Denkst Du immer noch an ihn? Warum suchst Du dir nicht einen anderen Freund? Vampire steigen hier ja genug ab.“

„Mutter“, Antonius verdrehte genervt die Augen. „Ich will keinen anderen Freund. Wann kapierst Du das endlich. - Zumindest nicht im Augenblick.“ Er zuckte die Schultern und ging wieder an seine Arbeit.

„Warum lässt Du den Jungen nicht einfach in Ruhe“, hörte Rosa ihren Mann leise sagen. „Wenn er soweit ist, sich wieder neu zu verlieben, wird es schon geschehen. Gib ihm Zeit, Rosa.“

„Es ist nicht leicht für mich, ihn so zu sehen, Robert. Er ist unglücklich, das spüre ich“, sie seufzte traurig. „Vielleicht hast Du Recht, und ich muss lernen loszulassen. Aber für mich ist es schwierig, mein Mutterherz will helfen.“

„Da habe ich es leichter, meine Liebe. Komm erst mal in meinen Agrazustand, dann wirst Du einiges anders sehen“, lachte der Geist leise. „Gehen kann ich trotzdem nicht. Ich denke immer, Ihr braucht mich noch.“

„Das stimmt, Robert. - Ich habe Sorgen. Die Einnahmen reichen hinten und vorne nicht. Das Haus müsste dringend renoviert werden, aber uns fehlt einfach das Geld. Und auch den Angestellten kann ich nicht das zahlen, was sie verdienen müssten. Wer weiß, wie lange wir die Pension noch halten können.“ Rosa blickte auf ihre Bücher und schüttelte den Kopf. „Freddy tut, was er kann, um zu sparen. Aber mehr Einschränkungen gehen einfach nicht.“

„Dir wird schon was einfallen, Rosa“, meinte ihr Mann. „Bei Vlad war ich im Übrigen noch nicht. Yella hat das Futter vergessen. Sag Lisa, sie soll sie daran erinnern, wenn sie wieder herunter kommt.“

Rosa nickte und wandte sich erneut dem Computer zu.

Kurz drauf hörte sie die hohen Hacken der Dämonin die Treppe herunterstöckeln. Sie schien äußerst zufrieden und sang sehr falsch einen bekannten Schlager. „Heute Nacht, heute Nacht, gehör ich dir…“

„War der Gast zufrieden“, erkundigte sich Rosa ironisch, als Lisa endlich in der Lobby auftauchte.

„Sehr zufrieden, Mutter Frosch. Ich denke, ich konnte ihn außerordentlich beglücken. - So ein galanter Vampir ist mir noch nie untergekommen. Er wird wohl dieses Haus wärmstens weiter empfehlen“, schwärmte Lisa lächelnd. „Sie können mir glauben, er ist einfach umwerfend.“

„So sehr, dass Du deine Bluse falsch herum angezogen hast“, antwortete Rosa und musterte Lisa kritisch. „Zieh dich ordentlich an und sag Yella, Vlad braucht sein Futter. Die Heizung gluckert und es ist kühl geworden im Haus. Der Drache lässt sie ausgehen, wenn er nichts zu fressen bekommt.“

„Sofort, Mutter Frosch. Bin schon weg“, beeilte sich, Lisa zu sagen. Der Fauxpas mit der Bluse war ihr äußerst unangenehm, auch wenn alle wussten, was sie in den Zimmern mit den Gästen trieb, sollten es die anderen doch nicht so offensichtlich sehen. Schließlich stand ihre Dämonenehre auf dem Spiel.

„Du hast sie in Verlegenheit gebracht“, kommentierte der Geist den Vorfall. „Denk daran, sie ist ein nachtragender Dämon, wenn auch der zweiten Kategorie.“

„Ich weiß das, Robert“, entgegnete Rosa genervt. „Sie könnte sich etwas zurückhalten mit ihren Gelüsten, meinst Du nicht?“

„Sie ist ein Dämon“, wiederholte ihr Mann. „Wichtiger ist, die Kobolde zur Raison zu bringen. Pitsch und Patsch haben gerade die Speisekammer verwüstet. Yella ist auf der Jagd nach ihnen.“

Aus der Küche drang Gezeter und das hohe Kichern der Kobolde, die sich mal wieder keiner Schuld bewusst waren.

Zornig tauchte die Elfe in der Lobby auf.

„Mutter Frosch, das ging zu weit“, rief sie mit hochrotem Kopf. „Die beiden Diebe haben meine Speisekammer geplündert. Was soll ich den Gästen am Morgen servieren? Wir haben keinen Nektar und auch kein ordentliches Frühstück für den Werwolf aus Zimmer Acht. Außerdem muss ich alles wieder aufräumen. Dazu habe ich einfach keine Zeit. Ich bin Köchin, keine Kindergärtnerin.“

„Ich kümmere mich darum, Yella. Die beiden werden alles selber wieder aufräumen. Und ich sagte Louis Bescheid, er fährt am Morgen sowieso in die Stadt. Er wird die verspeisten Vorräte wieder auffüllen“, meinte Rosa optimistisch, auch wenn sie anders dachte. Wieder Geld, das sie eigentlich nicht ausgeben wollte. Die Renovierung und Modernisierung des Gebäudes rückte immer weiter in unerreichbar weite Ferne.

„Danke. Sollen Pitsch und Patsch doch das gestohlene Essen selber bezahlen“, überlegte Yella. Sie konnte Rosas Gedanken lesen und wusste um deren Sorgen.

„Ich überlege es mir“, erklärte die Chefin. „Denk an den Drachen, Yella.“

Die zarte Elfe nickte und kehrte, immer noch zornig, in die Küche zurück.

„Kobolde, die Chefin will Euch sehen“, rief sie in den leeren Raum.

Es raschelte in der Speisekammer und zwei Durchsichtige, mit Mehl besprenkelte Kobolde machten sich auf den Weg in den Eingangsbereich der Pension. Schuldbewusst waren sie noch immer nicht, auch wenn sie nun ein Donnerwetter erwartete. Sie würden es koboldmäßig über sich ergehen lassen.

Robert, immer noch unsichtbar, war hinter Yella in die Küche gekommen und wartete auf das Futter, Schweinsköpfe, für den Drachen im Keller.

Angeekelt packte sie die Elfe in einen Beutel und legte die Köpfe an die Hintertreppe, wo Robert sie mitnehmen konnte.

„Ich weiß, Yella, Du magst kein totes Fleisch“, flüsterte er, als er an ihr vorbei zur Hintertür ging. „Vlad wird sich aber freuen und die Heizung erneut anfachen.“

„Warum frisst er so etwas“, murmelte Yella, da sie Robert hören und spüren konnte. „Drachen sollten Dörfer zerstören und Menschen jagen. Er aber hockt den ganzen Tag im Keller und zählt Kohlen. Das ist nicht normal für seine Spezies.“

„Vlad ist faul, Yella. Er kann ja nicht mal fliegen. Ich denke, er fühlt sich da unten sicher und geborgen. Lass ihm das Vergnügen“, antwortete Robert leise, bevor er die Türe hinter sich schloss.

„An einen Geist kann ich mich nur schwer gewöhnen“, sagte Zora und blickte von dem Gemüse auf, das sie gerade zerkleinerte. „Und an den Drachen im Keller auch nicht. Seit ich hier arbeite, macht er mich nervös.“

„Ich habe so das Gefühl, das sich etwas ändern wird, Zora“, meinte die Elfe und kehrte an den Herd zurück. „Nenn es Vorahnung, wenn Du willst. Mutter Frosch hat arge Probleme. Lange wird sie das Haus nicht halten können.“

„Was wird dann aus uns“, fragte Zora. „Eine Elfe und eine Fee finden in dieser Welt nicht so schnell eine Arbeit. Ich möchte nicht Versuchsobjekt für Wissenschaftler werden.“

„Ich auch nicht. Vielleicht findet sie eine Lösung“, gab Yella zur Antwort.

Draußen hatte Robert den Beutel mit dem Futter des Drachen an sich genommen und stieg die steile Kellertreppe hinab. Hinter der starken Metalltür hockte Vlad zusammen gerollt neben dem Kohlenofen, der das ganze Haus mit Wärme versorgte, und grummelte ärgerlich.

„Tut mir leid, mein Freund“, sagte Robert entschuldigend. „Yella hat mal wieder nicht an dein Futter gedacht. Aber nun wird sich dein leerer Magen füllen. Hier, schau mal, was ich dir mitgebracht habe. Fetteste Köpfe von Schweinen. Letzte Nacht frisch vom Großmarkt geholt.“

„Wurde auch Zeit“, zischte der Drache. „Mit leerem Magen kommt kein Feuer. Und ohne Feuer keine Wärme. Sag der dusseligen Elfe, das nächste Mal fresse ich sie, wenn sie nicht an mein Essen denkt.“

„Na, na! Keine Aggressionen gegen das Hauspersonal“, beruhigte Robert den aufgebrachten Drachen. „Morgen Nacht werde ich sie so lange daran erinnern, bis sie dein Futter an die Hintertür legt.- Sie ist eine Elfe, totes Fleisch ist ihr zuwider.“

„Dann sollte sie nicht als Köchin arbeiten“, brummte der Drache und verschluckte den ersten Kopf. Zufrieden schmatzend füllte er seinen leeren Bauch mit dem Fleisch. „Besser.“

„Ich geh dann mal wieder. Brauchst Du noch etwas“, erkundigte sich Robert.

„Nein. Ich habe alles, was ich wollte. Bald wird es wieder warm“, meinte er und pustete eine Feuerzunge in den alten Ofen. Knisternd glühten die Kohlen auf und verbreiteten in dem Kellerraum eine wohlige Wärme. „Hundertdreizehn…“ zählte der Drache und beachtete den Geist nicht mehr. Robert empfahl sich leise und kehrte in den kalten Garten zurück, wo Antonius die Bäume stutzte.

„ Hat sich Mutter wieder beruhigt“, fragte der seinen Vater.

„Natürlich. Sie macht sich Sorgen um dich“, antwortete Robert.

„Sollte sie nicht. Mir geht es gut. Ehrlich!“

„Sie sieht das anders. Versuch es, zu ignorieren, Antonius.“

Der junge Vampir hob lauschend den Kopf, als er von drinnen leises Schimpfen hörte.

„Haben die Kobolde wieder mal Mist gebaut? Ich höre Mutters Stimme.“

„Ja, wie immer“, lächelte sein Vater. „Bessern werden sich die Beiden nie. Aber sie mag sie, auch wenn deine Mutter das nie zugeben würde.“

„Sie hat ein Herz für viele Wesen“, gab Antonius zu. „Sonst hätte sie damals meine Verwandlung nicht so locker weggesteckt. Und all die anderen Wesen, die hier arbeiten. Für einen Mensch ist Mutter bemerkenswert.“

„Ja. Das ist sie.-Ich geh mal wieder rein. Vielleicht braucht sie mich, um die Racker zur Raison zu bringen.“ Kurz legte Robert seine Hand väterlich auf Antonius Schulter. „Bis später, Sohn.“

In der Lobby hatte Rosa ihr Donnerwetter bereits beendet, als ihr Mann wieder in seinem Schaukelstuhl Platz nahm. Die beiden Kobolde waren wie begossene Pudel zurück in die Küche gehuscht, um ihre Unordnung aufzuräumen.

„Den hast Du es aber gegeben“, flüsterte er und Rosa lächelte.

„Hin und wieder brauchen sie das“, meinte sie. „Für einige Tage werden sie sich bessern, bis sie erneut der Hafer sticht und sie Mist bauen. Egal, dann geht alles von vorne los.“ Nachdenklich blickte sie zur Uhr, die hinter ihr an der Wand hing.

„Louis sollte jetzt in die Stadt fahren. Ich frage Freddy, ob er die Liste fertig hat. Bleibst Du in der Lobby“, fragte sie ihren Mann.

„Ja, geh nur ruhig. So wie ich das sehe, kommt heute kein Gast mehr“, sagte Robert und blickte nach draußen, wo der Morgen noch lange auf sich warten ließ.

Im hinteren Büro hockte der Buchhalter Freddy Frey, ein alter Zombie, vor seinem Computer und gab die Rechnungen der letzten Nacht in das System ein.

„Hast Du die Listen für Louis fertig“, erkundigte sich Rosa bei ihm.

„Ja, sie liegen auf dem Schreibtisch. Die Finanzen sehen nicht gut aus, Rosa“, antwortete der vernarbte Zombie besorgt. „Du solltest deine Preise erhöhen. So schlitterst Du immer weiter in die roten Zahlen.“

„Ich weiß, Freddy“, seufzte Rosa schwer. „Aber wenn ich die Preise erhöhe, kommt keiner mehr. Unsere Lage hier ist mehr als schwer. Lallen liegt zu weit ab von allem. Auch wenn ich die Gegend und das Haus mag.“

„Warum hast Du es damals denn gekauft? Woanders gibt es auch passende Häuser.“

„Lieber Freddy, ich habe das Haus bei einer Durchreise gesehen und mich sofort verliebt. Es schien mir ideal, da ich schon immer besondere Freunde hatte. Hier schert es niemanden, ob jemand Vampir, Geist oder Zombie ist. Woanders aber schon.“

Freddy nickte und seine Gelenke knarrten. „Ich verstehe. Sag, Louis, er soll verhandeln und nicht so viel Geld ausgeben. Ende des Monats kommt die Rechnung für Strom, Steuer und Wasser. Deine Finanzen sehen düster aus, wenn nicht noch Geld hereinkommt.“

„Ich sage es ihm.“ Rosa nahm die Liste und kehrte an ihren Tresen zurück. Dort wartet Robert schon auf sie. Vor ihm stand eine Gruppe von drei Männern, die sich nach Zimmern erkundigten.

„Rosa, haben wir noch Platz? Diese drei sagen, sie müssten dringend einen Schafplatz haben, bevor die Sonne aufgeht.“

„Ich sehe mal nach.-Sagst Du Louis Bescheid, er soll jetzt in die Stadt fahren. Die Liste kannst Du mitnehmen.“ Rosa drückte ihm das Papier in die gestaltlose Hand und wandte sich den Gästen zu.

„Im Dach ist noch Platz. Die restlichen Zimmer sind ausgebucht“, bedauerte sie. „Die Kammern dort oben sind um die Hälfte günstiger.“

„Wir bezahlen jeden Preis“, erklärte der erste Mann. „Bald geht die Sonne auf, gefährlich für uns.“

Rosa nickte bestätigend. „Ja, ich verstehe. Drei Zimmer?“

„Wenn es sich einrichten lässt“, meinte der Zweite und langte unter seinen Umhang. „Was bekommen Sie?“

„Pro Zimmer 7,50 Euro. Frühstück geht extra.“

„Ok. Wir nehmen beides“, antwortete der Dritte und legte einige Scheine auf den polierten Tresen. „Stimmt schon so.“

„Wann können wir heute Abend speisen“, erkundigte sich der Erste.

„Sobald es dunkel wird“, sagte Rosa. „Wir servieren auch auf die Zimmer.“

„Dann speisen wir dort“, antwortete der Zweite. „Unsere Wünsche geben wir telefonisch durch.“

„Gut. Hier die Schüssel. Die Treppe rauf bis in den obersten Stock. Die Zimmer sind nummeriert.“ Sie drückte ihnen die Schlüssel in die Hand und wartete, bis sie im Treppenhaus verschwunden waren, bevor sie die Scheine zählte. „Zweihundert Euro. Ein großzügiges Trinkgeld dabei“, murmelte sie erstaunt.