Tanja Kohl

 

 

 

 

Nicht streicheln, ich arbeite

 

Wahre Führ-Hundegeschichten

 

 

 

 

 

Epubli GmbH


 

Nicht streicheln, ich arbeite

Wahre Führ-Hundegeschichten

 

Tanja Kohl

Copyright 2010 Tanja Kohl

published by epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

 

ISBN 978-3-86931-947-6

 

Die Illustrationen wurden von Maria Mai,
einer sehbehinderten jungen Frau angefertigt.

 

 

Kontaktadresse

Hessische Blindenführhundschule Blickpunkt

Mail: info@mein-blindenfuehrhund.de

Internet: www.mein-blindenfuehrhund.de

 

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Widmung

 

Dieses Buch widme ich meinen bisherigen Ausbildungshunden,
von denen ich alles gelernt habe,
was ich heute über Hunde weiß.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei den Erzählungen handelt es sich um wahre Führ-Hundegeschichten

Alle Personen- und Hundenamen wurden geändert.

Vorwort

Bei meiner Arbeit als Blindenführhundausbilderin sind mir in den vergangenen zehn Jahren so viele besondere Momente zuteil geworden, dass ich irgendwann den Wunsch hatte, diese Erlebnisse mit anderen Menschen zu teilen.

Doch zu allererst möchte ich kurz davon erzählen, wie ich zu meinem heutigen Beruf gekommen bin. Nach meiner abgeschlossenen Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten und einer anschließenden Weiterbildung zur Verwaltungsfachwirtin, arbeitete ich viele Jahre bei der Stadtverwaltung. Da mich diese Arbeit nicht erfüllte, schloss ich einen berufsbegleitenden Studiengang zur Betriebswirtin an. Nach erfolgreichem Studienabschluss wechselte ich in ein Forschungsunternehmen und kümmerte mich dort um die Verteilung von Fördermitteln. Mittlerweile hatte ich meinen jetzigen Mann kennen gelernt und wir lebten gemeinsam in Darmstadt. Irgendwie stellte sich die von mir erwartete Zufriedenheit immer noch nicht ein. Ich quälte mich jeden Tag aus dem Bett und die Arbeit machte mir keinen rechten Spaß.

Ein Fernsehbericht veränderte dann eines schönen Tages mein weiteres Leben. Der Bericht handelte über die Arbeit mit Blindenführhunden und da ich seit meinem 18. Lebensjahr immer Hunde hatte, faszinierte mich dieser Bericht von der ersten bis zur letzten Sekunde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich wohl meinen Entschluss bereits gefasst:
‚Ich wollte Blindenführhundausbilderin werden!'
Am
selben Abend sprach ich mit meinem Mann Andreas über mein Vorhaben und er fand die Idee großartig und unterstütze mich von Anfang an. Am nächsten Tag besorgte ich mir alle Fachbücher, die es über die Blindenführhundausbildung gab. Ich verschlang die Bücher und wurde in meinem Entschluss noch mehr bekräftigt. Nachdem ich einen Praktikumsplatz in einer Blindenführhundschule bekommen hatte, startete mein neues Abenteuer. Nach Beendigung des Praktikums war ich vollends davon überzeugt, dass ich endlich meinen Traum-Beruf gefunden hatte. Mein Mann und ich verließen unsere bisherigen Arbeitsstellen und lernten in einer Blindenführhundschule die Ausbildung von Blindenführhunden.

Ich hatte vom ersten Trainingstag an das Gefühl, dass ich endlich eine Arbeit gefunden hatte, die mir sinnvoll erschien.

Hatte ich zuvor immer Probleme gehabt, früh aus dem Bett zu kommen, so gelang es mir nun mühelos.

Nachdem ich meine ersten zwei Blindenführhunde ausgebildet und an ihre blinden Besitzer übergeben hatte, war ich sehr glücklich und unglaublich zufrieden!

Einem harmonischen Führhundgespann bei der gemeinsamen Arbeit zuzusehen ist etwas ganz besonderes. Das gegenseitige Vertrauen zwischen dem sehbehinderten oder blinden Menschen und seinem Blindenführhund ist fast grenzenlos und das Zusammenspiel einzigartig! Dadurch, dass sich die Beiden täglich aufeinander verlassen müssen, wächst eine so starke Verbindung, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Es verursacht mir heute noch eine Gänsehaut, wenn ich ein gutes Führgespann arbeiten sehe. Darüber hinaus bin ich immer wieder von der Begeisterungsfähigkeit und dem Tatendrang meiner Ausbildungshunde fasziniert. Wenn es dann noch gelingt für jeden einzelnen Blindenführhund den passenden sehbehinderten oder blinden Kunden auszuwählen und diese Beiden zu einem guten Gespann zusammen zu führen, hat sich die Arbeit gelohnt. Es erfüllt mich immer wieder aufs Neue mit innerer Zufriedenheit und Stolz, wenn das Führgespann sich gegenseitig „blind vertraut“.

Ich hoffe, dass ich einen Teil meiner Begeisterung an die Leser weitergeben kann und dass mein Buch dazu beiträgt, dass der Arbeit von Blindenführhunden mehr Beachtung geschenkt wird, denn sie leisten einen sehr wichtigen Beitrag zur Selbständigkeit von sehbehinderten und blinden Menschen!

Für die Unterstützung bei der Verwirklichung meiner Buch-Idee, möchte ich mich insbesondere bei Maria Mai für die einfühlsamen Illustrationen und für ihr hervorragendes Sprachgefühl bedanken.
Eine weitere unentbehrliche Hilfe waren mir mein Mann Andreas Kohl, sowie Anna-Lea Hiller und Brigitte Schäfer, die einen wichtigen Anteil bei der Fertigstellung des Buches leisteten.

Tanja Kohl
Bad König, Dezember 2010


Kiwi – Meine kanadische Labradorhündin

Als wir auf der Suche nach einer neuen Zuchthündin waren, kam uns der Zufall zur Hilfe. Freunde von uns hatten ein Ferienhaus in Canada und wollten zu der Zeit dorthin als wir einen Labrador-Welpen als Zuchthündin suchten. Sie versprachen uns die Augen in Canada offenzuhalten. Als eine Woche später der Anruf aus Canada kam, dass hier eine blonde Labradorhündin von acht Wochen zum Kauf stand, zögerten wir nicht lange und willigten ein. Wir überließen die Auswahl der Hündin der dortigen Züchterin. Darüber hinaus baten wir Sie, die Hündin Kiwi zu nennen. Wir erhielten am nächsten Tag eine e-Mail mit dem ersten Foto von unserer Kiwi. Kiwi hatte zehn Geschwister und ihre Mutter war eine nervenstarke, wesensfeste Labradorhündin mit robuster Gesundheit. Wir waren ganz gespannt auf unseren Neuzugang.

Einige Wochen später holten wir Kiwi am Frankfurter Flughafen ab. Unser Freund hatte es durch diplomatische Überredungskunst geschafft, dass Kiwi den ganzen Flug in der Passagierkabine sein durfte und zum Liebling aller Stewardessen wurde. Nach der Klärung aller Formalitäten am Flughafen wurde Kiwis Transportbox geöffnet und sie spazierte mit vollem Selbstbewusstsein aus ihrer Box, schaute sich voller Neugier die Umgebung an und begrüßte uns stürmisch. So wie Kiwi sich dort präsentierte, ist sie heute noch. Kiwi ist mittlerweile erwachsen und hatte auch schon ihren ersten eigenen Wurf Welpen, bestehend aus drei Rüden und fünf Hündinnen. Sie ist eine sehr robuste, nervenstarke und sozialverträgliche Hündin, die aber auch einen guten Anteil Esel mitbringt, der es manchmal etwas schwierig macht mit ihr zu arbeiten. Was mich aber immer wieder an ihr begeistert, ist ihre Ruhe.

Wir hatten vor einigen Jahren eine schwierige Prüfung in der Schweiz vor uns. Die Generalprobe am Tag zuvor war überhaupt nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Bei einer Übung hatte mich meine Kiwi total veräppelt. Sie sollte bei Fuß mit mir eine Wegstrecke zurücklegen. Als wir losgingen war noch alles in Ordnung. Kiwi lief nahe an meiner linken Seite und hielt Augenkontakt. Da Kiwi die Übung genau kannte, wusste sie auch, dass wir dieselbe Strecke zuerst hin- und dann auch wieder zurück laufen würden. Als ich etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte folgte eine Kehrtwende und dann der Rückweg.
Ich drehte mich herum, natürlich in der festen Überzeugung, dass meine Kiwi immer noch an meiner linken Seite war und richtete meinen Blick auf den Rückweg. Und wer saß dort mitten auf dem Weg? Meine Kiwi! Sie war einfach nur einen Teil der Strecke mitgelaufen und da sie ja wusste, dass ich sowieso auf dem Rückweg wieder hier vorbei gehen musste, setzte sie sich und wartete auf mich. Und ich hatte es die ganze Zeit nicht bemerkt, weil ich mich einfach felsenfest auf meine Kiwi verlassen hatte. Zuerst war mir die Situation total peinlich, aber dann musste ich doch mit den Umstehenden laut mitlachen. Ich hoffte nur inständig, dass sich Kiwi am nächsten Tag bei der Prüfung diesen ‚Scherz‘ nicht erlauben würde. Am Prüfungstag war ich sehr aufgeregt und total nervös. Kiwi spürte das natürlich auch und ich wusste nicht, wie sie damit umgehen würde, da sie erst knapp eineinhalb Jahre alt war. Als einige der Kandidaten vor uns mit ihren belgischen Schäferhunden durch die Prüfung rasselten, weil deren Hunde ebenfalls die Nervosität ihrer Halter gespürt und die Übungen deshalb nicht mehr korrekt ausgeführt hatten, wurde ich immer nervöser. Endlich waren wir an der Reihe. Wir betraten den Übungsplatz und begannen mit der ersten Übung. Dabei ging es darum, den Hund innerhalb kürzester Zeit durch die Kommunikation des Hundeführers zum Spielen zu animieren, ihn dann mit einem Spielzeug zu bestätigen und danach den Hund ins Platz zu kommandieren. Kiwi hatte wohl gespürt, dass es heute um alles ging und legte sich ins Zeug wie nie zuvor. Wer schon mal versucht hat einen Labrador innerhalb weniger Minuten aufzudrehen, weiß wie schwer das ist, schließlich saugen sie die Gemütsruhe bereits mit der Muttermilch ein! Wir gingen vom Platz und ich freute mich sehr mit meinem Hund. Als nächstes stand die Unterordnungsübung an, die am Vortrag total schief gelaufen war. Ich war also noch aufgeregter als vorher. Wir gingen auf den Platz und Kiwi war wie ausgewechselt.
Sie führte die Übung diesmal perfekt aus. Sie trabte neben mir her und befolgte alle Anweisungen schnell und präzise. Ich platzte fast vor Freude! Auch diese Übung haben wir erfolgreich beendet. Nun folgte Kiwi‘s Paradedisziplin, das Apportieren. Sie blieb ruhig sitzen bis das Apportel geworfen war, stürmte auf Kommando los um es zu holen und brachte es noch schneller zurück. Das war geschafft! Daraufhin folgte die Übung Sitz und Platz auf eine Distanz von zehn Metern und Abruf in die Fuß Position. Zuerst kommandierte ich Kiwi ins Sitz, entfernte mich zehn Meter von ihr und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen. Dann drehte ich mich um, wartete kurz und kommandierte Platz, was Kiwi auch sogleich ausführte. Als ich gerade Sitz sagen wollte, führte es Kiwi bereits aus und eine Sekunde später sprach ich es aus. Da der Prüfer dachte, ich hätte reflexartig auf das Sitzen meines Hundes das Kommando nachgeschickt, bekam ich keinen Punktabzug. Dabei war ich ja unmittelbar davor das Kommando auszusprechen und habe nicht erst auf Kiwis Sitz reagiert. Aber das war bis heute Kiwis und mein Geheimnis. Danach rief ich Kiwi zu mir und sie führte das Kommando sofort aus und saß bei Fuß. In mich rein grinsend verließen wir den Platz. Als nächstes wartete auf uns die Aufgabe, dass Kiwi ohne Leine bei Fuß mit mir an einer freilaufenden Entengruppe vorbei musste. In einem Meter Entfernung zu den Enten musste Kiwi ins Platz gelegt werden und ich ging außer Sichtweite und wurde vom Richter nach einiger Zeit wieder gerufen, um den Hund abzuholen. Dabei musste Kiwi nochmals an den Enten vorbei und zu mir in die Fuß Position kommen. Kiwi machte super mit, sie blieb ohne Leine bei mir, legte sich sofort ins Platz, wartete ruhig neben den Enten und kam angeschossen, als ich sie abrief.

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Anschließend wartete die nächste Aufgabe auf uns. Nun mussten wir an einer angebundenen Ziege vorbei und auch dort musste ich Kiwi ablegen, um sie anschließend wieder abzurufen. Kiwi war interessiert an der Ziege, hatte aber auch den nötigen Respekt vor ihr. Sie folgte mir, legte sich zögerlich ins Platz, da ihr die unmittelbare Nähe der Ziege Respekt einjagte und als ich sie abrief, raste sie zu mir und wir verließen zusammen den Platz. Endlich hatten wir den praktischen Teil der Prüfung abgeschlossen und ich war mächtig stolz auf meinen Hund und mich. Wer hätte das gedacht, dass mein Hund stärkere Nerven beweisen und mir von Beginn der Prüfung an vermitteln würde, dass wir das Ding schon schaukeln werden!

Zum Abschluss wurde ich nochmal in Theorie geprüft und strengte mich sehr an, da Kiwi schließlich auch alles gegeben hatte. Bis zur Verkündung des Prüfungsergebnisses konnten wir es kaum aushalten, dann war es soweit. Wir wurden in den Prüfungsraum gebeten und erhielten alle unsere Bewertung. Das unglaubliche war geschehen: Kiwi und ich hatten von den rund zwanzig Teilnehmern den zweiten Platz belegt! Nur eine Hundeführerin mit einem Riesenschnauzer war besser als wir. Das war deshalb so unglaublich schön, weil Kiwi und ich während des Trainings immer etwas belächelt wurden, ein Labrador in so einer Prüfung neben belgischen Schäferhunden, Riesenschnauzern und Jack Russel Terriern. Aber wir haben ihnen gezeigt, dass auch ein Labrador schnell, wendig und triebstark sein kann und darüber hinaus Nerven wie Drahtseile hat!

Amigo und Penny – Meine ersten Blindenführhunde

Als ich die Ausbildung zum Blindenführhundtrainer begann, bekam ich zwei Hunde als Schüler. Einen schwarzen Großpudelrüden namens Amigo und eine schwarz-graue Schäferhündin namens Penny.
Amigo war ein sensibler Hund, der sehr schnell lernte. Er war von jeder neuen Übung begeistert und entwickelte sich zu einem eifrigen Schüler. Penny war ein ganz anderer Charakter. Sie war zwar ebenfalls sehr gelehrig, aber sie brauchte auch einen starken Rudelführer, der ihr immer mal wieder klar machte, wer der Chef ist. Durch Penny lernte ich sehr viel über Durchsetzungsvermögen und was ein Rudelchef so alles mitbringen muss, um einen Hund von seiner Führungsqualität zu überzeugen.

Nach den ersten zwei Monaten der Ausbildung erfolgte die erste von drei Qualitätsprüfungen der Hunde. In der ersten Prüfung mussten die Hunde zeigen, ob sie Sitz, Platz und Fuß, sowie das Herankommen verstanden hatten. Darüber hinaus mussten sie auf einem geraden Gehweg in der Stadt führen, die Richtungsänderungen nach rechts und links durchführen, eine Kehrtwendung machen, sowie eine Sitzgelegenheit auf entsprechendes Hörzeichen aufsuchen. Meine anfängliche Nervosität legte sich nach den ersten Übungen, denn es lief sehr gut. Ich bekam meine Gratulation zur ersten bestandenen Prüfung und war sehr stolz auf meine Hunde und mich.

Nach weiteren drei Monaten erfolgte die zweite Prüfung. Diesmal war ich noch aufgeregter, weil mein Ausbilder selbst mit meinen Hunden die Prüfung absolvierte und ich nicht dabei sein durfte. Nun würde sich zeigen, ob meine Blindenführhunde auch einer fast fremden Person das Gelernte zeigen würden oder nicht. Ich hielt die Spannung kaum aus, bis der Ausbilder nach zwei Stunden endlich wieder mit beiden Hunden erschien. Beide Hunde hatten, bis auf ein paar Kleinigkeiten, die bisher gelernte Führarbeit gezeigt und bestanden. Ich war überglücklich!
Es folgte der Endspurt der Ausbildung. In dieser Zeit trainierte ich ausschließlich in Großstädten wie Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden. Dabei mussten die Hunde alle vierzig Kommandos ausführen, die ein Blindenführhund insgesamt beherrschen sollte. Ich fuhr mit meinen Hunden Bus, U-Bahn, S-Bahn sowie Zug. Darüber hinaus mussten sie unbekannte Wege laufen und Nahziele wie Treppen, Türen, Aufzüge, Sitzgelegenheiten, Briefkästen, Schalter, Automaten, Ampeln und Zebrastreifen suchen. Bei diesem Training wurde zeitgleich der Blindenstock eingesetzt, damit sich beide daran gewöhnten. In dieser Trainingsphase wurden auch verschiedene Gänge von mir unter der Dunkelbrille vorgenommen, wobei ein zweiter Trainer immer hinterherlief. Dieser teilte mir in bestimmten Abständen meinen Standort mit, damit ich dem jeweiligen Hund das richtige Kommando geben konnte. Dieses Training forderte immer meine volle Konzentration, da ich mich auf meine verbliebenen Sinne verlassen musste. Auch meine Hunde mussten sich erst auf meinen nun etwas unsicheren Gang einstellen.

Nach nochmals zwei Monaten intensiven Trainings der Hunde wurde die Abschlussprüfung durchgeführt, in der mein Ausbilder alle Kommandos überprüfte, die die Hunde beherrschen sollten. Dazu gehörte auch die Überprüfung der intelligenten Gehorsamsverweigerung bei herannahendem Verkehr. Dabei wartet der Prüfer an einer Straße darauf, dass sich ein Fahrzeug annähert und gibt dann dem Führhund das Kommando zum Überqueren der Straße. Der Führhund muss dieses Kommando verweigern, indem er stehen bleibt.

Ich saß wie auf glühenden Kohlen und wartete gespannt auf die Rückkehr meines Ausbilders. Natürlich hatte ich in den zurückliegenden Monaten meine Führhunde kennen und schätzen gelernt. Ich kannte ihre Stärken und Schwächen und war sehr gespannt darauf, wie sie sich zeigen würden. Nachdem der Ausbilder nach immerhin vier Stunden aus der Stadt zurückkehrte und ich das Ergebnis ‚bestanden‘ schriftlich in den Händen hielt, war ich so stolz! Der Ausbilder hatte genau dieselben, mir bekannten Stärken und Schwächen meiner Schützlinge erkannt. Nun hatte ich noch einen Monat Zeit an den kleinen Schwächen zu arbeiten, um dann anschließend die Einschulungen mit den vorgesehenen Sehbehinderten zu beginnen. Beide Einschulungen liefen gut und Penny bestand ihre Gespannprüfung mit ‚sehr gut‘.

Bei einer Gespannprüfung begutachtet ein externer Prüfer, ob der Sehbehinderte mit seinem Blindenführhund zu Recht kommt und beide zusammen als Team verkehrssicher sind.

Amigo musste keine Gespannprüfung ablegen, da die Krankenkasse des Sehbehinderten darauf verzichtet hatte.

Beide Blindenführhunde haben ihren Dienst täglich mit viel Hingabe verrichtet und Penny würde heute noch arbeiten, wenn ihr Herrchen nicht aufgrund gesundheitlicher Probleme gezwungen gewesen wäre sie abzugeben. Wir haben Penny zu uns in die Führhundschule geholt, wo sie ihre Rente genießt. Von Amigo mussten wir leider im Jahr 2007 Abschied nehmen, da er viel zu jung, einem Krebsleiden erlag. Amigo und Penny sind und bleiben für mich ganz besondere Führhunde, da ich mit und durch sie die Faszination der Führhundausbildung kennengelernt habe. Die Leidenschaft mit der diese beiden Hunde ihre verantwortungsvolle Aufgabe erlernt und ausgeführt haben, hat mich an die weitere Ausübung dieses faszinierenden Berufes gefesselt. Was Hunde im Stande sind zu leisten habe ich in dieser Zeit erfahren. Wie oft werden sie doch von uns Menschen unterschätzt! Die Hilfe, die Blindenführhunde ihren sehbehinderten Besitzern leisten, ist für diese von unschätzbarem Wert und diese Wertschätzung spüren die Hunde. Als ich meine beiden Blindenführhunde und deren Besitzer nach einem halben Jahr besucht habe und sie beim Führgang begleiten durfte, war ich gerührt von der Teamarbeit, die sie leisteten. Wenn man das einmal sehen durfte wird man es nie mehr vergessen!

Flynn – Der Navigator

Flynn, ein blonder Labrador Rüde, wurde im Jahr 2001 von unserer Hündin Umba zur Welt gebracht und wuchs dann in einer Patenfamilie auf. Die Familie bereitete ihn optimal auf seine Aufgabe als Blindenführhund vor. Als Flynn zwölf Monate alt war, kam er zurück in unsere Führhundschule. Es folgte eine weitreichende Gesundheitsuntersuchung. Flynn brachte gesundheits- und wesensmäßig alle Voraussetzungen mit, um ein guter Blindenführhund zu werden. Also begannen wir mit der Ausbildung. Flynn hatte eine sehr gute Auffassungsgabe und viel Freude am Arbeiten. Er war ein Musterschüler und beendet seine Ausbildung in einer Rekordzeit von fünf Monaten. Flynn absolvierte die Abschlussprüfung mit sehr gutem Erfolg und nachdem feststand, welcher blinde Kunde zu ihm passte, begann die Einschulung. Nun sollte aus dem Blindenführhund und dem blinden Mann namens Helmut ein Team werden.

In der Einschulung wurde sehr schnell deutlich, dass Flynn eine bessere Orientierungsfähigkeit als sein neues Herrchen hatte. So passierte es des Öfteren, dass Helmut auf dem Weg zum Metzger nicht mehr wusste, ob er nun nach rechts oder links weiter gehen musste. Da sich Flynn den Weg bereits gemerkt hatte, führte er Helmut auch dann richtig, wenn dieser die falsche Richtung angegeben hatte. Flynn kannte das Ziel und das reichte ihm aus, um dorthin zu führen. Nach einigen Monaten waren die Beiden gut aufeinander eingespielt und Flynn hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass sich Helmut des Öfteren verlief und er den Weg nach Hause selbst suchen musste. Jeden Tag gingen Helmut und Flynn zum Einkaufen und der Weg führte meist erst zum Bäcker und danach zum Metzger. Da Flynn beim Metzger immer eine Scheibe Wurst bekam, änderte er häufig die Route und führte zuerst dorthin und dann zum Bäcker. Helmut bemerkte wohl, dass der Weg heute anders war, überließ es aber trotzdem Flynn. Das wäre bei einem anderen Blindenführhund sicherlich auf Dauer schief gegangen, denn eigentlich sollte der blinde Besitzer immer bestimmen, wo es hingeht. Ein Blindenführhund sollte nur dann Abweichungen vom Weg selbstständig vornehmen, wenn dieser Weg durch Hindernisse oder dergleichen versperrt ist.

Flynn nutzte seine umfassende Selbstständigkeit aber nie aus und so kamen die Beiden immer an ihr vorgesehenes Ziel - früher oder später jedenfalls!

So wollte Helmut eines Tages zu seinem Sohn laufen. Der Sohn wohnte in der Nähe und der Weg dorthin führte durch ein längeres Waldstück. Flynn suchte den Weg durch den Wald und kam nach einer dreiviertel Stunde an der Haustür des Sohnes an. Dort erfuhr Helmut, dass sein Sohn gerade unterwegs sei und erst in einer Stunde wiederkommen würde. So machten sie sich unverrichteter Dinge auf den Heimweg. Doch Flynn sah seinen Auftrag noch nicht als erledigt an und führte Helmut kreuz und quer durch den Wald, um nach eineinhalb Stunden nochmals vor der Haustür des Sohnes anzukommen. Nun war der Sohn zu Hause und Helmut konnte seine Erledigungen vornehmen.
Danach führte Flynn auf direktem Weg nach Hause, denn der Auftrag war nun erledigt.

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Umba – Eine Hündin im Ausnahmezustand

Umba ist unsere mittlerweile zwölfjährige schwarze Labradorhündin.
Sie war bis vor zwei Jahren der Chef unseres vierköpfigen Hunderudels. Nun hat Dolly, unsere zehnjährige schwarz-graue Schäferhündin die Leitung übernommen. Umba ist aber immer noch unser Vorbild, was die Leitung und Führung eines Rudels angeht. Sie musste nie um ihren Stand kämpfen, sondern zeigte allein durch ihre Körpersprache den anderen Hunden, dass sie der unangefochtene Chef war. Diese Führungsposition behauptete sie stets unblutig und mit einer Gelassenheit, die uns in all den Jahren immer wieder beeindruckte. Teilweise reichte ein strenger Blick von Umba einem anderen Hund gegenüber und schon ging dieser ihr aus dem Weg. Von Umba haben wir mehr über Hundeverhalten gelernt als aus Hundebüchern. Sie hat in den letzten Jahren insgesamt vier Würfe mit achtzehn Welpen zur Welt gebracht und fünf dieser Nachkommen sind Blindenführhunde geworden.

Eine Geburt entwickelte sich besonders dramatisch. Umba hatte einsetzende Presswehen, aber es schien mit der Geburt nicht voran zu gehen, obwohl sich der Welpe bereits im Geburtskanal kurz vor dem Ausgang befand. So entschieden wir uns mit Umba in unsere Tierklinik zu fahren. Dort machte man mir keine Hoffnung bezüglich der Überlebenschancen des Welpen. Es war sehr schwierig den Welpen aus dem Geburtskanal herauszuholen, aber schließlich gelang es der Tierärztin doch noch. Der Welpe war sehr schwach und zeigte erst nach einer halben Stunde kräftigen Rubbelns Lebenszeichen. Zuerst waren wir erleichtert. Die Ärzte stellten nach einer röntgenologischen Untersuchung fest, dass keine weiteren Welpen im Muttertier waren.
Wir packten also Umba und ihren Welpen ein und fuhren nach Hause.
Wir gaben dem Welpen den Namen Dusty und hofften, dass er sich trotz der komplizierten Geburt normal entwickeln würde. Im Welpenzimmer hatte ich ein Klappbett aufgestellt, um die erste Zeit immer bei Umba und Dusty sein zu können und alle Veränderungen mitzubekommen.
Dusty war von der ersten Minute an nicht so wie die bisherigen Welpen. Er versuchte nicht an die Zitze der Mutter zu gelangen und kroch ihr auch nicht nach, wenn sie sich von ihm weglegte. Auch Umba verhielt sich nicht wie bei ihren vorherigen Würfen.
Sie jammerte unentwegt und machte keine Anstalten sich wie sonst intensiv um den Welpen zu kümmern. Weil Dusty nicht die Zitzen der Hündin suchte, fütterte ich ihn alle zwei Stunden mit Ersatzmilch und massierte ihm danach den Unterbauch, damit er sich entleeren konnte. Zuerst hatte ich die große Hoffnung, dass er durch die Aufnahme der Milch so viel Kraft bekommen würde, um selbstständig Umba`s Zitzen aufzusuchen und sich säugen zu lassen. Aber alle Bemühungen schienen vergebens, denn am nächsten Tag bekam Dusty Atemstillstände in immer kürzeren Abständen. Es war die Hölle für den Welpen, die Hündin und uns. Wir brachten Dusty sofort in die Tierklinik und hofften inständig auf ein Wunder. Dusty wurde eingehend untersucht und die Ärztin gab ihm eine Spritze gegen Bauchschmerzen, denn er hatte einen sehr aufgeblähten Bauch und sie nahm an, dass dies von der Ersatzmilch herrührte. Der Zustand von Dusty verschlimmerte sich weiter und die Ärztin empfahl uns, ihn von seinem Leid zu erlösen. Es führte kein Weg daran vorbei, er musste eingeschläfert werden, denn sonst hätte er sich noch weiter gequält. Das wollten wir ihm nicht zumuten. Die Tierärztin gab Dusty eine Spritze und er reagierte überhaupt nicht mehr auf den Einstich. In diesem Moment wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war, aber es tat trotzdem verdammt weh! Dusty schlief ganz ruhig ein und wir ließen Umba nach dessen Herzstillstand noch einmal an ihm schnüffeln. Sie schnüffelte, wendete sich von ihm ab und begann zu zittern und zu jammern. Die Tierärztin musste ihr sogar eine Beruhigungsspritze geben. Wir nahmen Dusty mit nach Hause, um ihn dort zu begraben. Umba war am Ende. Normalerweise nehme ich meine Hunde nie mit ins Bett, aber in diesem Fall spürte ich, dass Umba meine körperliche Nähe brauchte, um darüber hinwegzukommen. Als sie bei mir lag, beruhigte sie sich und schlief ein. Umba suchte am nächsten Tag das ganze Haus nach Dusty ab und jammerte unentwegt. Wir haben unsere Hündin nicht wiedererkannt. Sie duldete in den nächsten zwei Wochen keinen anderen Hund in ihrer Nähe und jammerte die ganze Zeit. Nach zwei Wochen verhielt sie sich wieder wie vorher und ließ unsere anderen Hunde auch wieder in ihre Nähe. Ich habe noch nie einen Hund so leiden sehen wie Umba in dieser Zeit und ich hätte vorher auch nicht gedacht, dass ein Hund so leiden könnte.

Kiwi – Gefahr am Abgrund

Als wir vor drei Jahren im Urlaub in Österreich waren, erlebten wir etwas Unglaubliches. Wir hatten an einem Tag beschlossen eine Tageswanderung zu unternehmen. So liefen wir am frühen Vormittag los. Der Weg führte über verschiedene Bergpässe an wunderbaren Bächen und Berghütten vorbei und wir genossen diesen wunderschönen Sommertag. Da es in Österreich häufiger über Weiden und Wiesen geht, wo auch freilaufende Rinder oder Pferde grasen, hielten wir das zuerst für nichts Besonderes.

Die eine Weide, die wir überqueren mussten, war rechtsseitig durch die Berge und linksseitig durch einen tiefen Abgrund begrenzt. Auf der Wiese graste in einiger Entfernung eine ansehnliche Pferdegruppe.
Da ich mich immer auf meine Kiwi verlassen konnte, leinte ich sie nicht an, sondern ließ sie frei bei Fuß laufen. Ich hatte aber nicht mit der Unberechenbarkeit der Pferdegruppe gerechnet, die auf dieser Wiese lebte. Als wir fast am Ende der Wiese waren, stürmten drei Pferde von hinten auf mich und Kiwi zu. Kiwi erschreckte sich und rannte nach vorne los. Das war die Chance für die Pferde. Sie jagten sofort hinter Kiwi her und trieben sie von mir weg.

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Ich war kurzzeitig erstarrt vor Schreck, weil ich sah, wie die Pferde versuchten Kiwi Richtung Abgrund zu treiben. Ich wusste, dass wenn ich es nicht schaffen würde, sie sofort zu mir zu rufen, sie so lange gejagt werden würde, bis sie entweder den Abgrund runterstürzen oder tot getreten werden würde. Ich rief mit meiner ganzen Verzweiflung nach Kiwi. Und das unglaubliche geschah, Kiwi drehte sich zu den Pferden um und rannte unter ihnen durch zu mir. Ich leinte sie sofort an und verjagte die nun heran galoppierenden Pferde. Diese hatten genug Respekt vor dem Menschen, so dass sie abdrehten. Wahrscheinlich haben sie auch meine Adrenalinausschüttung gewittert und gespürt, dass ich fest entschlossen war meinen Hund zu verteidigen. Endlich erreichten wir das Ende der Wiese. Ich war heilfroh, dass Kiwi so ein unglaublich großes Vertrauen zu mir gehabt hatte und unter all den Pferdebeinen hindurch zu mir gerannt war. Gar nicht auszudenken, was alles hätte passieren können. Mir war das jedenfalls eine große Lehre! Auch wenn ich meinem Hund vertraue, weiß man nie, was in den anderen Tieren vorgeht, die frei auf einer Wiese laufen, wenn ein für sie fremder Eindringling die Wiese überquert. Ich leine meinen Hund jetzt immer an, wenn ich über eine Wiese mit anderen Tieren gehen muss.

Coco – Klein aber oho

Eines Tages rief uns unsere Grosspudelzüchterin an und bot uns eine für die Zucht zu klein geratene schwarze Hündin an. Wir fuhren hin und schauten uns die Hündin an. Coco war eine ziemlich kleine Hündin, die aber ein sehr gutes Wesen und einen starken Charakter hatte.