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Friederun Pleterski

Ein Haus in Dalmatien

Vom Leben auf einer Insel der Adria

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DRAVA VERLAG • ZALOŽBA DRAVA GMBH

Alle Rechte vorbehalten

© Drava Verlag/Založba Drava GmbH Klagenfurt/Celovec 2017

Coverfoto © Friederun Pleterski

www.drava.at

Die Erstausgabe erschien 2004, die überarbeitete Neuauflage 2008

© Verlag Carinthia in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG Wien -
Graz - Klagenfurt

ISBN 978-3-85435-820-6

eISBN 978-3-85435-852-7

Inhalt

Vorwort

Der Traum vom Haus am Meer

Steine, Holz und Gottvertrauen

Der Kauf

Frauen-Netzwerk

Eine kleine Welt in der Adria

Sonniges Sibirien

Unter Brüdern

Spargelzeit

Aus Landratten werden Seebären

Rund ums Einstandsfest

Die heilige Mittagsruhe

Per pedes über die Insel

Is small beautiful?

Der Dorfchef und sein Weisenrat

Lammfromm im Garten

Mr. Clever bittet zum Tanz

Endlich wieder frische Fische

Feigen, Trauben und Oliven

Altweibersommer

Verliebt in einen Riesen

Mehr Tod als Leben

Das verlorene Paradies

Im kleinen Paris

Villa Papparella

Ein Haus in Dalmatien
Zur dritten Auflage

Der Erwerb meines Hauses auf der norddalmatinischen Insel Olib war ein Abenteuer. Das Haus war alt, der Umgang mit den Bewohnern der Insel, mit den Handwerkern und den kroatischen Behörden, war für mich neu. Ich hatte mich in dieses verträumte Haus am Meer verliebt. Erst während der Zeit des Umbaus begann ich zu realisieren, was es bedeutet, auf einer Insel zu arbeiten und zu leben. Drei Stunden brauchte man von Zadar per Schiff nach Olib, zehn Stunden von Österreich nach Zadar, im Jahr 2002 gab es noch keine Autobahn und Kroatien war noch nicht in der EU. Es gab Grenzen, Zoll und keine Baumärkte. Meine Annäherung an eine urtümliche, postjugoslawische Welt ist das Thema dieses ersten Insel-Buches in das ein Stück kroatische Landesgeschichte einfließt. „Ein Haus in Dalmatien“ erschien 2004 in einer ersten und 2008 in einer zweiten, dieses Mal mit Fotos bunter gestalteten Auflage bei „Carinthia“ (Verlag Styria).

Friederun Pleterski

Der Traum vom Haus am Meer

Im Jahr 2001 kaufte ich auf eine Anzeige im Internet hin ein stabiles altes Haus auf Olib. Ein Haus, das für mich der Inbegriff von Lebensqualität ist: luftig, hell, aus Stein und Holz, dauerhaft und anspruchslos. Es sollte ein Ferienhaus sein, doch mittlerweile ist es schon beinahe zum Wohnsitz geworden. Macchia, Olivenöl und die skurrilen Bewohner des Eilands sind mir so vertraut, als wäre ich schon viele Jahre hier. Wer sich selber genug ist, keine Ansprüche an den Konsum stellt und die Natur zum Atmen braucht, der kann auf den letzten von Hast und Gier unberührten Inseln Dalmatiens seine Heimat finden.

Ich suchte jahrelang und legte tausende Kilometer und Seemeilen zurück, bis ich durch eine simple Zeitungsannonce an die Adresse eines deutschen Vermittlers geriet, die mich auf seine Immobilienseite im Internet verwies. Die Angebote schienen interessant, und so fuhr ich in den Süden.

Als Edeltraud, die Vertreterin des Maklers in Zadar, nachdem sie mir zehn Fotos von angeblich attraktiven Objekten gezeigt hatte, schließlich das Foto meines Hauses aus dem Kuvert zog, entschuldigte sie sich fast dafür: »Ein Haus für Aussteiger, auf einer entlegenen Insel, wo es nur Olivenbäume und Wein und nur Wasser aus der Zisterne gibt …« Für mich klang das verlockend. Noch am selben Tag bestieg ich das Schiff und fuhr mit ihm in die finstere Nacht. Es war Ende Oktober und abends schon kühl. Um zweiundzwanzig Uhr kamen wir auf Olib an.

Die Umrisse der Insel waren nicht auszumachen, doch ich war informiert. Diese Insel, Edeltraud hatte mich vorgewarnt, ist grün und flach und eigentlich nicht so, wie man es sich im Idealfall vorstellt. Die Lichter des Ortes leuchteten spärlich, das Boot kam näher zur Küste, ich sah eine Mole, sie war von einem Scheinwerfer beleuchtet, und dahinter eine Bucht, in der ärmliche Boote lagen. Die Fähre legte an. Von Station zu Station – sie war zuvor zwei andere kleine Inseln angefahren – waren wir weniger Passagiere geworden, jetzt waren wir nur noch vier: eine behäbige Frau in schwarzem Kleid, ein zerfurchter Alter, ein dicker Pfarrer und ich. Nicht mitgerechnet hatte ich die Besatzung, sieben in fesche Marineuniformen gekleidete Matrosen der Jadrolinija. Ein paar Pakete lagen noch im Gepäcksraum; auf dem Schiff, das die einzige öffentliche Verbindung zwischen den Inseln und dem Festland zu sein schien, wurde alles, aber wirklich alles, was der Inselbewohner braucht und nicht selber produzieren kann, transportiert. An der Mole standen ein paar Kinder, ein Mann mit Pudel und Fahrrad, ein älteres Paar mit einem Wägelchen, ein fescher Mensch mit einem kleinen Traktor plus Anhänger hintendran und eine massige Gestalt mit einem seltsamen Gefährt, einem Elektroauto, einem sogenannten Papamobil. Es stammt, wie ich am selben Abend erfuhr, wie vieles hier aus den USA. Die Fähre fuhr ihr Hecktor aus. Ich schulterte meinen Rucksack und ging an Land und setzte zum ersten Mal meinen Fuß auf die Insel Olib, im Volksmund »Little America« genannt. Eine finstere, von grüner Macchia überwucherte Insel, über die in einem bekannten deutschen Reiseführer stand: Touristen sind in Olib nicht willkommen.

Der Pfarrer wurde in das Papamobil gestopft, und ab ging die Fahrt – sogar ich wurde abgeholt. Vesna, eine fesche Frau mittleren Alters, begrüßte mich. Herzlich in gebrochenem Englisch. Die Maklerin hatte sie organisiert, erstens weil sie Englisch spricht und zweitens weil sie selber ein anderes, kleineres Haus verkaufen wollte, sollte ich mich nicht für das große vom Foto entscheiden. Sie begleitete mich am Ufer entlang, vorbei an den kleinen Fischerbooten, eine letzte herbstliche Jacht lag noch an der Mole vertäut. Ich machte die Silhouette von Gebäuden aus, ein paar unscheinbare neue und einige trutzige alte Gebäudefragmente tauchten auf. Am Ende der Mole stand an eine Wand genagelt ein großes Schild: Dobrodošli, Welcome, Willkommen in Olib. Vor einem mit »Turist Office« beschrifteten, vom Zahn der Zeit angenagten Haus saßen zehn alte Männer auf einer Bank. Argwöhnisch beobachteten sie mich mit geneigten Köpfen, ihre Augen lagen tief unter ihren Seemannsmützen und Pullmankappen versteckt. In ihren wattierten dunkelblauen Anoraks und wetterfesten Hosen sahen sie wie Relikte aus der guten alten Zeit aus, in der die Insel noch Teil der blockfreien jugoslawischen Welt war. Olib, eine Insel im nördlichen Archipel von Zadar und doch am Ende der Welt, vor fünfhundert Jahren von Christen auf der Flucht vor den Türken besiedelt und urbar gemacht. Rund dreitausend Einwohner zählte der Ort noch vor hundert Jahren, heute leben nur noch hundertzwanzig Menschen da. Die Häuser der eingesessenen Sippschaften stehen noch alle, einige sind in einem bedauernswerten Zustand. Das war mein erster Eindruck, und: Hier hat sich nichts geändert, hier bleibt alles, wie es war. Ich atmete auf.

So gingen wir weiter zur einzigen Pension auf der Insel, dem Lokal »Amfora« angeschlossen, im Volksmund heißt es »Chèz Madame«. Eine vollschlanke, reife Französin wie aus dem Bilderbuch stand an der Schänk. Sie trug eine Art Nachthemd und erinnerte mich an die Witwe des Kapitäns, an Alexis Sorbas’ Geliebte im gleichnamigen Film. Ja, man habe ein Zimmer reserviert. Der Garçon wird es Ihnen zeigen. Und ob ich noch ein Gläschen Pernod trinken möchte? Aber ja. Essen gebe es auch noch, Beefsteak mit Pommes frites und Blattspinat, »des épinards«. Sie sagte, auf Französisch, n’est pas: »Sie haben Glück, dass Sie heute gekommen sind, denn übermorgen sperren wir zu.« Den Winter über hier offen zu halten, das lohne sich nicht, und eigentlich auch nicht im Sommer, aber schlicht aus Gewohnheit sei man noch hier geblieben. Dann ging sie zur Musicbox und legte eine Platte auf: »Parlez mois d’amour«, ein französisches Chanson. »Je m’appelle Mireille«, so stellte sie sich vor und verkürzte meinen unaussprechlichen deutschen Namen sofort auf ein kurzes »Fredi«. Madame roch nach einem längst aus der Mode gekommenen Parfum. Ein Gläschen Pernod, die Terrasse mit den unvermeidlichen stapelbaren weißen Plastikstühlen, mit denen ein unbekannter Designer die ganze Welt beglückt, und der Amphore – ich fühlte mich wohl und international. Aber ich war auch angespannt: Wie würde das Haus aussehen, wo würde es sein? Ich wollte es sofort besuchen, doch Vesna, meine nette, fesche Begleiterin, meinte, sie könne es mir nicht zeigen, sie wisse nicht, um welches Haus es sich handle, sie wolle nur am nächsten Morgen hier sein, um mich zu ihrem Haus zu führen.

Wir verabredeten einen Termin und blieben noch ein Weilchen sitzen, bis ein Mann auf einem Quad die schmale Straße, auf der keine Autos fahren sollten oder dürften, entlangkam. Wie vom Pferd stieg er von seinem vierrädrigen Motorrad, einem Quad, ab, oder besser: wie vom Esel. Ein großer Blonder, der mich sofort an die Filmfigur Crocodile Dundee erinnerte. Er stellte sich vor und machte auch gleich einen Witz: »Ich heiße Krešimir Cukar, bin süß wie Zucker, Zucchero auf Italienisch.« Wir redeten italienisch miteinander, eine Sprache, mit der man hier neben Englisch gut durchkommt, weswegen mein Kroatisch noch immer sehr dürftig ist. Er fasste sich kurz und bündig, was im Lande der dalmatinischen Dampfplauderer eine große Ausnahme ist. »Morgen um zehn bin ich da.« Danach stellte er die Hacken zusammen, grüßte angedeutet militärisch und verschwand.

Ich wagte noch einen nächtlichen Spaziergang, die Lichter waren noch an, die Menschen saßen vor dem Fernsehapparat, dessen Bildschirm durch die weißen Spitzenvorhänge flimmerte. Ist es dieses Haus? Oder jenes? Irgendwie sahen alle Häuser gleich aus, schlichte einstöckige Bauten mit einem Satteldach. Punkt. Hie und da gab es ein paar Zubauten und Terrassen im barocken andalusischen Stil, woran man, wie ich bald erfahren sollte, den wohlhabenden Mann erkennt. Dann bezog ich mein einfaches Zimmer bei Chèz Madame und ging schlafen.

Mir träumte viel, und ich schlief unruhig. Mir träumte von meinen Versuchen, ein Häuschen am Meer zu ergattern. Das erste wurde mir in Sveti Anton angeboten, einem wunderhübschen Ort im Kvarner, oberhalb von Mošenicka Draga, wohin kroatische und österreichische Touristen gern essen gehen. Der heilige Antonius ist mein Lieblingsheiliger, und er hatte mir schon oft in der Vergangenheit geholfen, Gewünschtes zu finden. Wiener Freunde hatten hier bereits ein Haus, das des Nachbarn wurde angeboten, aber es gefiel mir nicht, es war muffig und bot Aussicht links auf die Skyline von Rijeka und rechts auf den einzigen Betonbau im Dorf, der die Sicht auf das Meer versperrte. Auf der Straße hinauf nach Sveti Anton, am Abhang des höchsten istrischen Berges, des Učka, wurde mir schwindlig. Wie sollte ich hier, mit meinem Auto und nach einem opulenten Essen, begleitet vom vielgepriesenen istrischen Weißwein bei »Benita«, meines Lebens sicher sein? Nachts, in Madames Bett, fuhr ich die schmale Straße noch einmal hinauf oder hinunter, »nein«, rief ich, »nein«, wachte auf und schlief wieder ein, hinein in den nächsten Versuch, als ich mich schon weiter südlich vorwagte, auf die Insel Krk. Was waren das nur für laute und finstere, stickige Bleiben mitten in der Stadt, die mir angeboten wurden! Und dann der Leuchtturm in Punat! Ja, auch der stand zum Verkauf. Ein Kroate aus Frankfurt, offenbar in Geldnot, veräußerte das Objekt um hundertvierzigtausend Mark, ein Gemäuer mit Lichtsignal, in der Nähe des FKK-Strands. Zwar war die Lage des aus der k. u. k. Zeit stammenden Baurestes sensationell und vom Meer aus wirkte das Grundstück auch attraktiv, doch als ich mich auf dem Landweg, einem Fußweg, der sich die Küste entlang in den Stein gräbt, dem Verkaufsobjekt näherte, sah das Ganze schon anders aus. Unter den Feigenbäumen im verwilderten Leuchtturmwärtergarten erwartete mich eine Schar sonnenverbrannter, fröhlicher Nackter mit Bierbauch. Es war ein überraschender, doch auch lustiger Anblick, und ich lachte darüber sogar im Schlaf. Ein Kanadier kroatischer Abstammung kaufte wenig später den Leuchtturm und das angrenzende Grundstück als Spekulationsobjekt. Ich vergönnte ihm den Deal von Herzen, denn was ich wollte, das war keine Ruine zum Spekulieren, sondern ein Haus zum Wohnen, wenn möglich direkt am Meer. Mit diesem Wunsch im Unterbewussten wickelte ich mich fester in Madames Bettwäsche ein, drehte mich auf die Seite und durchträumte mein letztes Traumobjekt: ein winziges altes Knusperhäuschen aus Stein in Stara Baška, dem ältesten Ort auf Krk. Um diesen Verlust tat es mir immer noch leid.

Schon die Fahrt nach Stara Baška war eine Traumreise gewesen. Die Insel Krk bricht im Süden, kurz bevor man auf einer atemberaubenden Küstenstraße zu einer Badebucht hinunterfährt, zweihundert Meter steil ab. Man lässt einen Campingplatz, der den Großteil dieser Bucht in Anspruch nimmt, rechts liegen und fährt links nach Stara Baška, das man, wenn einem auf der schmalen Straße kein Fahrzeug entgegenkommt, tatsächlich erreicht. Stara Baška, das alte Baška, ist ein Fischerdorf, in dem niemand mehr seinen Lebensunterhalt mit dem Fischen verdient. Es ist an den Hang gebaut, oben befinden sich die Schule, in die keiner mehr geht, und die Kirche mit dem Friedhof, er wird häufig besucht; darunter das Dorf mit seinen dicht aneinandergedrängten Natursteinhäuschen, die zum Großteil renoviert sind. Ich parkte vor dem einzigen Laden der Ortschaft, der zweimal in der Woche offen hat. Ich fragte nach einem Zimmer, es war September, ich schrieb an einem Buch und brauchte einen ruhigen Platz. Der Kaufmann empfahl mir einen Vermieter, seinen Cousin, die Wohnung befand sich in einem – ohne Rücksicht auf Ästhetik – an ein altes Haus angebauten Betonklotz, sie war klein und ungemütlich, auf der Terrasse ragten rostige Betoneisen aus dem Boden. Der Zubau war irgendeinmal begonnen und nie fertiggestellt worden, dieser Zustand ist an den Ufern des Balkans allgemein üblich. Aber der Ausblick war herrlich und der Weg hinunter zur Kiesbucht, zu der man über viele Stufen gelangt, malerisch. Zwischen den Steinstufen schauten vertrocknete Grasbüschel heraus, auf den Mauerresten wuchs die grüne Hauswurz, an einigen Stellen breiteten sich purpurfarbene Mittagsblumen über den Mauerrand aus, Agaven klammerten sich an die Felsen, an den abschüssigen Hängen blühte der Natternkopf, aus Ritzen lugte das gelbe Löwenmaul. Jeder Ab- und jeder Aufstieg wurde vom würzigen Duft der Kräuter begleitet.

Am Strand kam ich mit einer älteren Dame ins Gespräch. Wir waren die Einzigen, die zu dieser milden Jahreszeit noch im glasklaren Wasser schwammen. Die Dame war modebewusst und sehr gepflegt, bis zur perlmuttrosa lackierten kleinen Zehe; man merkte, dass sie ihre Kleidung und die Accessoires mit Sorgfalt aussuchte. Ja, sie verwende sehr viel Zeit darauf, nach günstiger und passender Bekleidung Ausschau zu halten, und sie nähe auch selbst, erzählte sie. Sie war Anfang sechzig, eine typische kroatische Akademikerin in Pension, mit viel Bildung und Geschmack und mit sehr wenig Geld. Sie besaß ein kleines Haus im Ort. Nach ein paar verplauderten Stunden am Strand lud sie mich in ihren Garten ein.

Der war zauberhaft. Er war gleich neben den Stufen, die ich täglich mehrmals hinauf- und hinabstieg, in kleinen Terrassen angelegt. Wir nahmen unter einer Weinlaube Platz, diese spendete der obersten Ebene des Gartens Schatten, die länglichen Trauben waren gelb und reif. Sie bot mir keine zu essen an, und ich wagte auch nicht, mir eine Rispe zu nehmen; ich wusste, die Dame war streng und sparsam und hatte mich schon einmal, bei einem Spaziergang, gerügt, als ich mir so mir nichts, dir nichts von einem Strauch eine Feige nahm, weil sich das nicht gehöre.

Der Tisch war eine große naturbelassene Platte aus dem Steinbruch von Benkovac, die auf zwei Steinquadern lag. Neben der Laube befand sich ein Häuschen aus Stein, aber verputzt, in dem eine Küche, ein Bad und eine Toilette untergebracht waren; alles hatte hier einen genau definierten Platz, und alle Tätigkeiten fanden auf kleinstem Raum statt, vom Kochen bis zum Duschen. So zart und blond, wie sie war, kam mir die Dame vor wie Schneewittchen, und »Snježana«, Schneeweißchen oder Schneewittchen, so hieß sie nun auch mit ihrem Vornamen. Er ist wie so viele weibliche Vornamen im südslawischen Sprachraum dem Leben in der wilden Natur entnommen, und er klingt märchenhaft. Ober dem Gartenhäuschen am Rand der Laube befand sich ein asphaltierter Weg und dahinter das Wohnhaus, als erstes in einer Reihe von vieren, die ähnlich angelegt sind. Es hatte eine Stiege, die von außen in den ersten Stock führte, und drei Etagen übereinander mit einer gesamten Wohnfläche von nur vierzig Quadratmeter. Die Wohnräume waren winzig, aber sympathisch, mit Einfühlungsvermögen, Sorgfalt und einem minimalen Budget renoviert. Ich machte der Besitzerin aus ganzem Herzen ein Kompliment.

Snježana lebte ganz allein, und sie sprach neben Kroatisch nur noch Italienisch. Das wollte sie verbessern, und da ich gut Italienisch spreche, vereinbarten wir, dass ich ihr Italienisch beibringe und sie mir dafür ihren Lebensstil. Denn der begann mich immer mehr zu interessieren, schrieb ich doch an meinem Buch »Vom Luxus des Einfachen« und hatte hier jemanden getroffen, der es verstand, mit zweihundertfünfzig Euro im Monat ein Auto zu fahren, sich elegant zu kleiden und gepflegt auszusehen, wohlschmeckend und gesund zu kochen und komfortabel zu wohnen – mit einem Wort: gut zu leben.

An diesem ersten Nachmittag gab es gebackene Feigen zum türkischen Kaffee. Dazu verwendete sie die getrockneten Feigen vom Vorjahr, tauchte sie in einen Teig und backte sie in heißem Öl heraus, vor dem Auftragen bestreute sie die knusprigen Kugeln mit Staubzucker. Danach tranken wir ein Gläschen Prošek. Der Feigenbaum, von dem die Früchte stammten, überdachte den gesamten unteren Teil des Gartens; schon mehrmals hatte sie die zu dick gewordenen Äste entfernt, damit er ausreichend zum Tragen kam. Im Sommer schützte er den Bereich der Salat- und Gemüsebeete vor den heißen Sonnenstrahlen, im Spätherbst verlor er dann die Blätter, so ließ er den ganzen Winter und das Frühjahr die wärmenden Strahlen durch, Radieschen, Frühzwiebeln, Petersilie und Pflücksalat konnte man hier schon im März ernten. Seit Jahren, seit ihr Mann tot ist, sei sie allein, auch die Freunde seien schon gestorben, seufzte sie, und: »Ach, was war das früher doch für ein herrliches Leben!« Nicht, dass man sich überarbeitet hätte, und nichts ging ihnen ab. Sie waren beide Ärzte am Krankenhaus in Rijeka, auf der Alkoholiker-Entwöhnungsstation, sie hatten lange Ferien und jedes Wochenende frei. Da kamen sie dann her und bauten mit ihren eigenen Händen das alte Steinhäuschen aus, auch die Terrassen für den Garten legten sie selber an. Die Baumaterialien brachten sie auf einem Esel mit. Sie waren Zugereiste und hatten mit der örtlichen Bevölkerung wenig Kontakt, »Gott sei Dank«. Snježana, die ein gebildeter, urbaner Mensch war, ließ immer wieder durchblicken, wie wenig sie vom »primitiven Volk« hielt. Ihre Freunde, die meisten waren Ärzte, besuchten sie, man saß, aß, trank Wein und spielte Gitarre, die siebziger Jahre waren auch in Jugoslawien eine sehr schöne Zeit gewesen. »Schade darum«, sagte sie und zündete sich die x-te Zigarette des Tages an, keine Angst, damals rauchte sie noch mehr, man hatte viel Zeit und diskutierte den lieben langen Tag, da ergab sich das Rauchen von selber. Von Snježana lernte ich einiges über die Vergangenheit und noch mehr: Ich lernte sparen, oder zumindest wie man sparen könnte, müsste oder wollte man. Mit dem Wasser, das sie in einer Zisterne sammelte, ging sie sehr sparsam um; darum befanden sich unter der Dusche im Freien zwei Kübel: einer fürs Klo, wenn man sich abseift, der das Seifenwasser auffängt, und einer für den Garten, wenn man beim Duschen kein Shampoo benutzt. Das restliche Abwasser floss einfach in die Tiefe hinunter, sickerte Etage für Etage durch den porösen Karst. »Wenn es unten ankommt«, erklärte mir Snježana zuversichtlich, »ist es gefiltert und rein.« Was sogar stimmen kann, das Badezimmer steht auf einer Klippe hundert Meter über dem Meer.

Die mit Steinen gepflasterten Wege im Garten waren aus Reststeinen von irgendwelchen Bauten im Patchwork zusammengesetzt und sahen sehr kreativ aus. Die Stiegengeländer im Haus stammten aus dem Restbestand einer Einrichtungsfabrik. Wer erfolgreich sparen will, braucht eben nur Erfindergeist und Zeit.

Am Morgen wanderten wir den Strand entlang und kratzten mit einem spitzen Messer winzige, kegelförmige, gerippte Schneckengehäuse von den Steinen. Hatten wir einen Sack dieser Meeresfrüchte beisammen, dann kochte Snježana daraus mit Petersilie, Tomaten, Olivenöl und Zwiebeln einen Saft, »sugo«, es wird in Kroatien wie »schugo« ausgesprochen. Es schmeckte fantastisch zu Nudeln oder zu Reis. Wir schmausten »Spaghetti Vongole« oder »Muschelrisotto« aus Eigenproduktion, tranken dazu »Îlahtina«, den Krker Weißwein, schauten unterm Blätterdach auf die Bucht von Stara Baška hinaus und planten ein Überlebenskochbuch. Beim Spaziergang sammelten wir Dosen und Gläser, sie konnte sich maßlos über die »balkanische Wegwerf-Unkultur« aufregen; den Wasserflaschen aus Plastik schnitt sie die Hälse ab, und für alle Behälter fand sie Verwendung. Den Müll nahm sie in Plastiksäcken nach Rijeka mit. Wir wanderten landeinwärts und fanden Parasole. Die Steinpilze, die es weiter oben im aufgeforsteten Tal von Baška gab, fädelte sie zum Trocknen auf, und im Frühjahr brachen wir unzählige grüne Spargel vom dornigen Strauch. Bei Snježana lernte ich den köstlichen grünen Spargel, einen wichtigen Bestandteil von Kroatiens Küstenküche, zum ersten Mal kennen.

Ich war nämlich, mein Herbstaufenthalt war längst zu Ende gegangen, schon im folgenden März wieder nach Stara Baška gekommen. In dieser Zeit sprach sie zum ersten Mal davon, ihr Haus zu verkaufen. Sie hatte, wie so viele hier, Arthritis und bildete sich ein, es würde ihren Gelenken im Süden, in Split, bessergehen. Dort wohnte ein alter Onkel, den wollte sie beerben, und möglicherweise sei es bald so weit. Auch ihre Wohnung in Rijeka wollte sie verkaufen, ein hübsches Appartement mit Panoramablick im neunten Stock eines Hochhauses ohne Lift. Wenn ich seither auf der Autobahn durch Rijeka fahre und die Hochhäuser sehe, denke ich immer daran, dass in vielen von ihnen kein Lift ist.

Ob ich ihr Haus in Krk kaufen wolle, wenn es spruchreif sei? Ich sagte nicht nein.

Bis sich der Onkel aus seinem Appartement in Split verabschiedete, verging noch ein Sommer, in dem ich ihr Gast war. Ich revanchierte mich mit dem, was sie sehr schätzte: mit Kaffee, Kochschokolade, Biokosmetik oder Vollwertprodukten aus dem Reformhaus in Österreich. Manchmal lud ich sie nach Vrbnik zu »Nada« ein, dem besten Restaurant auf Krk. Ich ging meist leger gekleidet hin, doch sie machte sich hübsch und fein. Ich wollte sie auch gerne an einen Freund, der eine Jacht in der Marina von Punat stehen hat, verkuppeln, doch er biss nicht an. Vielleicht wusste er, ein Österreicher mit kroatischen Wurzeln, früher als ich, dass sie eine harte Nuss war. Ich bemerkte es erst, als ich versuchte, mit den Dorfbewohnern in Kontakt zu kommen, was mir sehr schwer gelang. Denn jedes Mal, wenn die Leute im Gespräch etwas auftauten, funkte sie scharf dazwischen, und bald kapierte auch ich: Snježana hasste die armen, die ungebildeten Leute.

Die meisten von ihnen waren weder Fisch noch Fleisch, weder Kroaten noch Ausländer, sondern Auswanderer und Heimkehrer in Personalunion. Sie waren in den fünfziger Jahren nach Australien ausgewandert. Dort hatten sie sich als Fabriks- oder Minenarbeiter ein bescheidenes Vermögen, ein Häuschen und eine Rente erschuftet, immer mit dem Wunsch vor Augen, im Herbst des Lebens in die alte Heimat zurückzugehen, was auch vielen gelang. Ihre Rente war mindestens zehnmal höher als die von Snježana, ihr Bildungsniveau zehnmal tiefer. Sie können es sich leisten, den europäischen Winter im sonnigen Australien und den Sommer auf Krk zu verbringen, und das tat Snježana weh. Sie wollte doch immer so gerne reisen und konnte es nie finanzieren.

Äußerlich wirken diese wohlbestallten Rentner wie arme Fischer. Denn kaum in der alten Heimat angekommen, tauschen sie ihre australischen Kleider und Gewohnheiten gegen die alten jugoslawischen. Wie einst, bevor sie auswanderten, sitzen sie in dunkler Kleidung, mit ihren kroatischen Tüchern aus Blaudruck und ihren Kommunistenmützen auf dem Kopf, wieder mit dem Strickzeug vor dem Haus oder dösen im Schatten der Hausmauer vor sich hin. Nie sah ich sie unten am Strand oder gar im Badeanzug, auch niemals ärmellos oder mit Kurzarm. Und wenn ich einen Blick in ihre Küchen warf, sah ich, was in Australien sicher schon museumsreif ist: einen Sparherd und eine Kredenz, einen Holztisch mit einem gemusterten Wachstuch, eine emaillierte Abwasch und eine durchgelegene Couch. In einer Bleibe war über einem Tischchen mit Spitzendecke eine Art Altar aufgebaut, mit gerahmten Fotos der Familie, Heiligenbildchen und einem verblichenen Foto von Tito.

Snježanas liebenswertem Feriendomizil fehlte die passende Nachbarschaft. Wenn die Nachbarn ein Lamm oder Fische grillten und der Rauch zu uns herüberzog, bekam sie einen Wutanfall. Und wollte ein Kind etwas für die Mama borgen, wurde es von ihr verscheucht. Blieb das Kind aber beharrlich, so gab sie nach. »Primitives Volk«, brummte sie dann. Diesen Ausspruch habe ich im Laufe der Jahre in Kroatien sehr oft gehört. Es ist, als wollten sich die »Zivilisierten« ständig für ihre weniger kultivierten Mitbürger entschuldigen – einerseits für die Auswanderer und andererseits für die Zuwanderer aus dem Inneren des Balkan. Ich sollte auch bald lernen, dass der Begriff »Balkan« negativ besetzt ist und dass man ihn in Kroatien besser nicht in den Mund nimmt, spricht man mit Kroaten. Und dass es gar nichts nützt, wenn man zu erklären beginnt, dass der Balkan ein Gebirge ist, aus dem wir alle, auch die Kärntner und vor allem die Tiroler, stammen.

Wie dem auch sei, im Laufe des Sommers hatte es sich herumgesprochen, dass Snježana ihr Häuschen verkauft. Und bald schon tanzten Interessenten an, von Woche zu Woche setzte sie deshalb den Preis immer höher hinauf, bis er für mich an die Schmerzgrenze stieß. Schließlich erreichte sie einen Traumpreis von zweihunderttausend D-Mark für ein pflegeintensives Gartenparadies und vierzig bewohnbare Quadratmeter. Ein ungarischer Zahnarzt aus Sopron ist nun der glückliche Hausbesitzer. Unsere Wege sind danach auseinandergegangen, und ich gab meine Pläne auf, ein Häuschen am Meer zu ergattern, ohne mich damit in den finanziellen Ruin zu stürzen. Krk – das war gelaufen: zu teuer, zu voll, zu gierig, zu laut.

Zwei Jahre später fiel ich zweihundert Kilometer südlich gegen drei Uhr morgens in einen tiefen Schlaf. Er fiel kurz aus. Um halb fünf wurde ich aus dem Bett gerüttelt. Der Katamaran, der die Linie Zadar–Premuda–Silba–Olib fährt, liegt nämlich über Nacht im Hafen von Olib. Ab vier Uhr dreißig beginnt er die Motoren anzuwärmen. Abfahrt ist dann pünktlich um fünf Uhr zwanzig, täglich, bis auf Sonntag. Das mag sich sogar in Olib ändern. Denn im Laufe der Zeit bekamen die anderen Inseln, allen voran Silba und Ist, auch am Sonntagmorgen eine Verbindung zum Festland. Olib nicht, weil der Sonntag auf dieser Insel immer noch heilig und arbeitsfrei ist.

Die Bewohner Olibs haben sonst alle Zeit der Welt für sich, doch wollen sie mit dem Frühschiff nach Zadar, müssen sie auf die Minute pünktlich sein. Das ist hart! Ich sollte diese Härte noch oft zu spüren bekommen.

Auch der Gestank der Motoren drang durch die finstere Nacht bis in mein Zimmer. Vielleicht liegen auch deshalb im Hafen so wenig Jachten, kam mir in den Sinn, da man neben so einer frühaktiven Maschine schwer Urlaub machen kann. Da hast du eine schicke Jacht und musst mit ihr in einem lauten und stinkenden Hafen übernachten! Nein, danke. Ich wusste schon, warum ich ein Haus wollte und das Boot erst viel später, vielleicht, danach. Ab halb fünf also ratterte und knallte es, so lange braucht anscheinend das Wunder der ausrangierten schwedischen Luftkissentechnik, bis es warm wird. Auch russische Fossilien kreuzen noch für die Jadrolinija. Jedem, der vorhat, im Oliber Hafen zu übernachten, empfehle ich seither Oropax.

Als das Boot vierzig Minuten nach dem Start entschwand und das Rattern nicht mehr zu hören war, sank ich noch einmal in Morpheus’ Arme, weil es ja noch stockfinster war. Als ich um acht Uhr aufwachte, sah die Welt aber gleich anders aus. Herbstlich schien die Sonne, die Luft war mild, und überall rundum blühte es noch: die unverwüstlichen Malven, wilde Astern, Hundsrosen, Euphorbien, Thymian, Currykraut. Ja man kann hier bis Ende November sogar noch baden und die Sonne genießen, dieses wunderbare dalmatinische Licht, das die kühleren Monate in klares Gelb, in Rosa, Türkis und in Lila taucht.

Steine, Holz und Gottvertrauen

Ich frühstückte unter Mireilles Bougainvillea, sie war schon zum Großteil verblüht, es gab frisches, warmes Weißbrot, Butter, Honig und einen großen Häfen »Café au lait«. Ich wartete auf den großen Blonden. Er holte mich mit dem Quad ab. Jetzt konnte ich ihn genauer betrachten. Er war vielleicht vierzig oder auch fünfzig Jahre alt, hatte im Nacken viele kleine Krater einer verheilten Akne und im Gesicht noch mehr sympathische Falten. Seine Zähne waren Natur, weiß und gepflegt, das ist auf der Insel, aber auch im Rest von Dalmatien eine auffallende Seltenheit. Er roch frisch, nach Hirsch-Zitronella, trug ein kariertes Holzfällerhemd und eine Latzhose aus Jeansstoff und erschien mir wie ein aus einem amerikanischen Katalog gekleideter Farmer. Was auch irgendwie passte: Sein reicher Onkel in Amerika hatte ihm den Quad geschenkt. Über eine schmale betonierte Straße fuhren wir flott bis zu einem kleinen Pinienwald, danach rumpelten wir entlang von vier gepflegten Häusern einen Feldweg hinauf. Und dann stand es vor mir: mein Haus in seiner schlichten Größe und seinen perfekten Proportionen. Es ist das schönste aller Häuser, die man sich vorstellen kann. Ein Natursteinhaus, gebaut für die Ewigkeit; alle Details, wie die Laibungen der Fenster oder der Mauerkranz, auf dem die Dachrinne lag, waren aus behauenem Sandstein. Das Haus war acht Meter breit, zwölf Meter lang, einstöckig, stellenweise bröckelte der Verputz ab. Die Fensterläden waren schadhaft, das rote Ziegeldach schien in Ordnung. Und dann traten wir ein, durch eine graugrün gestrichene Holztür, über der die Jahreszahl der Errichtung des Hauses stand: 1928.

Dieses Haus war auf dem Reißbrett entworfen worden, das sah man sofort. Der Mittelgang war drei Meter breit, die Zimmer vier mal vier Meter im Quadrat, auf einer Mittelstiege aus Holz kam man in den ersten Stock und von dort ins Dachgeschoß. Nur im Parterre waren die Böden mit Terrazzofliesen ausgelegt worden, der Rest der Böden war aus Holz. Schiffböden, richtige fugenlose Schiffböden aus Eiche, aber auch aus Kiefer, sind auf Balken genagelt worden, dieses Haus schwingt und ist hellhörig, wie ein Instrument. Die Böden waren unbehandelt, die Balken auch, das ganze Haus roch nicht, war weder stickig noch staubig, hie und da bröckelte auch innen der Verputz ab. »Ich lüfte«, sagte der Blonde, »ein paar Mal im Jahr – und das seit zwanzig Jahren.« So lange schon wohnte niemand mehr im Haus. In den vier Schlafzimmern links und rechts des acht Meter langen Ganges standen einige Möbel aus den zwanziger Jahren herum, ein paar Wiener Kaffeehausstühle mit Geflecht, weiß lackierte Eisenbetten mit Drahteinsätzen und in jedem Zimmer eine alte Seemannstruhe, ein paar Heiligenbilder hingen an den Wänden. Und wie prächtig der Speicher war! Über seinen Querbalken hingen weiße, aus grober Schafwolle gewebte Decken. »Die sind so alt wie das Haus«, meinte der Blonde. Sie dufteten nach Schaf und hatten kein einziges Mottenloch. Es hingen auch mehrere bunt bestickte und reich plissierte Kleider über den Balken, die habe ich dem Volkskundemuseum geschenkt. Die Kisten und Truhen auf dem Speicher habe ich behalten. In einer lag ein Büchlein einer christlichen Bruderschaft, in einer anderen ein Rosenkranz und ein paar Seidenschleifen, auch ein altes, koloriertes Familienfoto. Ich hängte es später in meinem Arbeitsraum an die Wand und behaupte seither, es sei das Bild der ehemaligen Besitzer. Im ganzen Haus gab es keine Kästen, offenbar hatte man seine Habseligkeiten früher nur in transportierbaren Kisten und Truhen aufbewahrt. Beim dalmatinischen Völkchen waren einst wohl nur die Frauen sesshaft, die auf ihre Seefahrer warteten. Ein Anhäufen von Gütern lohnte auch nicht, von den alten Illyrern bis zu den Partisanen gab es zwischen Rijeka und Dubrovnik außer Händlern, Fischern und Soldaten nur noch Hirten, Helden und vor allem Piraten.

Badezimmer sah ich keines, auch kein Klo. Früher, erklärte Crocodile Dundee, da ging man einfach aus dem Haus. Er trat vor die Haustür und machte mit der Hand eine großzügige Bewegung in Richtung Natur. Und von der gab es reichlich. Außerhalb des von einer Trockenmauer umgebenen Grundstücks war Wald, dichte silbrig grüne Macchia, und innerhalb wilder, Stroh gewordener Fenchel. Nur der kleine Stall für den Esel, der stand noch neben dem Haus. »Sie könnten«, erklärte Krešimir, »wieder einen Esel haben – iah.« So eine Verrückte, dachte er wohl, als er mich überlegen sah. Ich überlegte aber nicht lang. Schon als ich dieses Haus gesehen hatte, als ich in dieses Haus eingetreten war, wusste ich: Das ist das Haus, nach dem ich ein Leben lang gesucht habe. Ein lichtdurchflutetes, festes Haus aus Holz und aus Stein, auf einer wilden Insel mitten in der guten alten Adria. Ich fühlte mich sofort daheim.

Nur die Küche war benützt worden, es lag noch ein gehäkeltes Deckchen auf der hellgrün gestrichenen Kredenz und ein gemustertes Wachstuch auf dem Tisch. Und nur in der Küche muffelte es ein wenig. Der eilige Belüfter, denn Krešimir war eilig, das war mir in diesem Land der Langsamen sofort aufgefallen, zeigte mir nun das Einzige, was ein Mensch auf einer Insel wirklich zum Leben braucht: die Zisterne. Ihr Deckel war von der Küche aus zu öffnen, ein Kübel mit einem dicken Hanfstrick stand darauf; er hob den Deckel, damit ich hinunter auf den Wasserspiegel schauen konnte. Dann ließ er den Kübel an dem Strick hinunter und zog klares Wasser herauf. »Das ist so sauber«, sagte er, »das können Sie auch trinken«, und er nahm einen Schluck zur Demonstration.