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Über dieses Buch:

Er verzaubert mit wunderschönem Bariton und beeindruckt mit messerscharfem Verstand: Kater Caruso weiß, wie man sich Ansehen und Respekt unter den Vierbeinern verschafft! Er ist der Meisterdetektiv von Venedig – und wenn es einen Mord gibt, ist er sofort zur Stelle. Mithilfe seiner Detektivbande und seinem feinen Gespür hilft er der Polizei bei der Aufklärung mysteriöser Verbrechen. Doch dann wird er mit Fällen konfrontiert, deren Spuren weit in die Vergangenheit reichen, und auf der Suche nach den Tätern gerät Caruso nicht nur einmal in Lebensgefahr …

Über die Autorin:

Christiane Martini, geboren in Frankfurt am Main, ist Diplom-Musiklehrerin und Absolventin des Konzertexamens. Sie leitet ihre eigene Musikschule »CasaMusica« und ist Dozentin für Blockflöte, Querflöte und Klavier. Neben eigenen Kompositionen hat sie auch zahlreiche musikalische Lehrwerke verfasst. Christiane Martini ist nicht nur Musikerin, sondern als Autorin in verschiedenen Genres zu Hause. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Nähe von Frankfurt und wurde von ihrer Heimatstadt Dreieich mit einem kulturellen Förderpreis für Musik und einem Stipendium ausgezeichnet.

Christiane Martini veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Mops Maple« und »Saitensprung mit Kontrabass«, den historischen Roman »Die Meisterin aus Mittenwald«, die Katzenkrimis um Kater Caruso sowie die heiteren Kriminalromane »Tote Oma im Weihnachtsfieber«, »Tote Oma mit Schuss«, »Tote Oma auf Eis« und »Tote Oma Ahoi!«. Die letzten drei »Tote Oma«-Bände sind im Sammelband »Mord mit Seebrise« erhältlich.

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Originalausgabe August 2017

Dieses Buch erschien bereits 2016 in vier Einzelausgaben bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe »Meisterdetektiv auf leisen Pfoten – Carusos erster Fall« 2005 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Venezianischer Mord – Carusos zweiter Fall« 2006 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Die venezianische Schachspielerin – Carusos dritter Fall« 2007 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © aller drei Neuausgaben 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Schatten über der Serenissima – Carusos vierter Fall« 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Sammelband-Ausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: HildenDesign, München, unter Verwendung einer Illustration von Veronika Wunderer

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96148-052-4

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Christiane Martini

Mord in der Lagunenstadt – Kater Caruso ermittelt in Venedig

Vier Krimis in einem Band

dotbooks.

Meisterdetektiv auf leisen Pfoten

PROLOG

Ächzend schloss sich die schwere Tür von San Marco hinter dem Abbé, durch dessen Beine eine schlanke schwarze Katze schlüpfte. Mit dem Brevier in der rechten Hand und den Noten unter dem anderen Arm wollte er gerade die Stufen in den nebligen Morgen hinabsteigen, als ihn eine maskierte Gestalt überraschend an der Schulter packte und in einen dunklen Winkel neben dem Eingang der Basilika zog.

»Abbé, Ihr müsst mir die Beichte abnehmen«, sprach der Unbekannte atemlos. »Jetzt gleich, hier an Ort und Stelle.«

Don Abbé Antonio Vivaldi blickte in das weißmaskierte Gesicht. Der jährlich stattfindende Karneval in Venedig hatte vor kurzem begonnen. Während dieser Zeit hatten alle Bürger Venedigs Narrenfreiheit und erfüllten sich so manchen abenteuerlichen Wunsch.

»Wisst Ihr nicht, dass ich schon lange keine seelsorgerischen Pflichten mehr wahrnehme?«, fragte Vivaldi ruhig.

»Dennoch könnt Ihr als Priester mir die Beichte nicht verweigern: Ihr müsst mir zuhören, es geht um ein kleines Menschenleben.«

Vivaldi drückte das Brevier erschrocken an seine Brust, und da begann die Gestalt aufgeregt zu erzählen:

»Giulietta, die Mutter eines kleinen Mädchens, ist bei seiner Geburt gestorben. Sie war eine Nonne, von außergewöhnlicher Anmut und Schönheit, und ich verliebte mich in sie, als ich sie das erste Mal sah.«

In diesen Tagen war es nicht nur in Venedig nichts außergewöhnliches, dass eine Nonne es mit der Keuschheit nicht so genau nahm. So war es auch Vivaldi bekannt, dass Nonnen zur Karnevalszeit aus ihren Klöstern entwichen und mit ihren Liebhabern in den engen und dunklen Kanälen Venedigs frivole Gondelfahrten unternahmen und in den Gassen erotische Abenteuer erlebten. Auch hatte er gehört, dass es Nonnen gab, die außerhalb der Karnevalszeit ein skandalumwittertes Leben führten und in tief ausgeschnittenen Kleidern ihre männlichen Besucher empfingen.

»Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, dass ich der Vater des kleinen Mädchens bin. Dennoch fühle ich mich verpflichtet, etwas für sie zu tun. Aus diesem Grund möchte ich Euch etwas geben, eine Apanage, die ausschließlich dem Kind zum Wohle gereichen soll. Ihr seid der Maestro di Violin' im Ospedale della Pietà. In diesem Findelhaus weiß ich das Kind gut aufgehoben. Bitte sorgt für das Mädchen und lasst ihm später eine musikalische Ausbildung angedeihen. Ihr Name ist Maria Giulietta.«

Die Gestalt zog einen kleinen Beutel aus der Tasche und legte diesen auf Vivaldis Hand, die das Gebetbuch noch immer gegen seine Brust drückte.

»Bitte nehmt diesen Beutel mit Diamanten an Euch. Sie sind unter unangenehmen Umständen in meinen Besitz gelangt, aber bei Euch werden sie Gutes tun. Veräußert sie, wann immer es zum Wohle des Kindes notwendig ist.«

Die Gestalt näherte sich nun Vivaldis Gesicht.

»Ich möchte Euch noch sagen, dass ich nicht der Einzige war, der diese Frau so begehrt hat. Mächtige Männer waren von ihrem Liebreiz angezogen, und es war mir, als hätte ich vor ihrer Tür die Gestalt des Dogen gesehen.«

Die letzten Worte hatte der Mann geflüstert, sodass Vivaldi den Atem hatte anhalten müssen, um ihn verstehen zu können. Er erschauerte innerlich, die Kälte der Kirchenwand kroch seinen Rücken hinauf.

Bevor er eine Regung zeigen konnte, verschwand die Gestalt im Nebel.

1. KAPITEL

Eine samtige Katzenstimme klang durch die Abenddämmerung. Caruso, der stolzeste Kater von ganz Venezia, saß in der Nähe des Canal Grande auf dem Rand eines prächtig verzierten Brunnens und sang. Andächtig lauschte seine Katzenbande, die sich wie immer um diese Zeit um ihren Anführer geschart hatte.

Carusos schlanke Gestalt reckte sich, als er zum hohen C ansetzte.

»Njiiiiii«, jaulte es weithin hörbar. Dann senkte er seinen Kopf und maunzte etwas tiefer und schmelzend schön moduliert: »Njau-njau-njaaaaau-au-auooo ...«

Die Katzen schnurrten ergriffen. Rossi, der Rote, zwinkerte Fredo, dem Flinken, zu. So kann nur Caruso singen, sagte sein Blick. Unser Capo ist einfach der Größte.

Caruso setzte gerade zu einer zarten Cantilene an, als ein kleiner Kater herbeisprang.

»Attenzione!«, durchschnitt seine aufgeregte Stimme Carusos Gesang.

Alle zuckten zusammen. Caruso sah das Entsetzen im Gesicht des kleinen Corriere-Katers und unterbrach sofort seinen Gesang. Die Katzen waren traurig und wütend zugleich, dass das schöne Konzert so jäh unterbrochen wurde. Alle Augen richteten sich unwirsch auf den kleinen Kater. Was konnte nur so Aufregendes geschehen sein?

Caruso sprang mit einem gekonnten Satz zum Corriere.

»Erzähl, Amico, was gibt's für Neuigkeiten?«

»Stellt euch vor, es ist ein Menschenmord geschehen«, sprudelte der kleine Kater hervor, sichtlich erleichtert, dass er endlich Gehör fand. »Die Leiche liegt in einer Gondel am Canal Grande, ganz in der Nähe der Rialto-Brücke!«

»Schon wieder ein Mord«, brummte Caruso nachdenklich. »Das häuft sich hier in der letzten Zeit. Vor einer Woche wurden doch erst zwei Menschen tot aufgefunden. Eine junge Frau, die als Leiche im Canal Misericordia schwamm und ein älterer Mann, der stranguliert in einem Motorboot lag. Und nun erneut ein Toter?«

Alle schauten ihn gespannt an. Caruso überlegte einen Moment konzentriert und blickte dabei in die Runde seiner Katzengang. Dann gab er sich einen Ruck.

»Ich muss euch ein Geheimnis erzählen ... Mein Freund Camillo, der Kater des Ispettore, hat mir berichtet, dass die Polizei es immer seltener schafft, die Mordfälle hier in der Stadt aufzuklären«, begann er vorsichtig.

Dass Camillo eigentlich Camilla hieß und seine heimliche Geliebte war, musste die Gang nicht wissen. Denn Camilla war hässlich und würde von der Gang mit Sicherheit nicht als würdige Partie für den Capo akzeptiert.

Caruso gab ein unwilliges Maunzen von sich und fuhr fort:

»Wenn sich erst herumspricht, dass hier in Venedig rätselhafte Morde geschehen, dann ist das schlecht. Schlecht für Venedig. Schlecht für uns. Ihr wisst, cari amici miei, dass die Leute vor allem wegen der Gondeln und Kanäle hierher kommen. Wenn da Leichen in Gondeln liegen und niemand genau weiß, was geschehen ist, dann kommt bald kein Tourist mehr her. Dann kriegen die Leute es mit der Angst zu tun und bleiben lieber zu Hause. Und was das bedeutet, wisst ihr selbst. E allora?«

Er blickte auffordernd in die Runde.

»Keine Pescheria mehr und keine Fischabfälle für uns?«, entfuhr es Ornella, der schlanken Schwarzen.

Gleich darauf kniff sie erschrocken ihre grünen Augen zusammen. Hatte sie sich jetzt verraten? Denn gerade heute Mittag noch hatte sie sich heimlich mit ihrem Freund Rocco am Canal Grande getroffen, an der Seite des Kanals, wo die Fischabfälle landen, und hatte dort zusammen mit ihm ein königliches Katzenmahl genossen. Doch das durfte Caruso nicht wissen, denn Rocco gehörte nicht zur Gang.

Der Capo nickte nur.

»Esatto«, bestätigte er. »Genau. Auch die Hotels werden sparen und schließlich sogar schließen müssen, wenn keine Gäste mehr kommen. Das würde bedeuten, dass auf uns Katzen ganz andere, härtere Zeiten zukämen!« Sein rotes Fell leuchtete wie Feuer im warmen Licht der Abendsonne. »Wollt ihr das, amici miei?«

»No«, maunzte es einstimmig aus zehn Katzenkehlen zurück.

»Der Name Venedig wird Kriminalität bedeuten, Mafia, eine überforderte Polizei, so wie in vielen anderen Städten auch«, fuhr Caruso eindringlich fort und seine bernsteinfarbenen Augen funkelten. »Es wird keine Ehre mehr sein, sich gatto di Venezia nennen zu können. Der stolze Name unserer geliebten Stadt wird in den Schmutz gezogen, er wird nicht mehr gleichgesetzt mit Liebe und Romantik, sondern mit Gefahr, Schmutz, Blut und Tod. Wollt ihr das, verehrte gatti e gatte?«

»No, no, nooooo!«

»Bene.« Caruso sprang vom Brunnen, machte einen Buckel und strich der Reihe nach an seinen Katzen vorbei. »Jetzt muss ich euch noch etwas furchtbares erzählen, was uns Katzen betrifft.«

Er hielt einen Moment inne, dann fuhr er behutsam fort:

»Seit einiger Zeit beobachten Camillo und ich, dass Kollegen von uns aus Venedig verschwinden.«

»No!« Ein Raunen ging durch die Gang. »Das ist doch unglaublich!«

Caruso nickte grimmig. »Camillo und ich haben gesehen, wie ihnen einige Männer an der Pescheria mit Netzen und Fangkörben auflauern und sie einfangen.«

Er legte eine Pause ein und ließ die entsetzliche Mitteilung wirken.

»Warum, fragt ihr euch nun sicher, und wer steckt dahinter?«

Die Katzen blickten ihn starr vor Entsetzen an.

»Zunächst hatten Camillo und ich darauf auch keine Antwort, aber wir haben uns am Fischmarkt hinter einer Abfalltonne auf die Lauer gelegt und haben ein Gespräch zweier Männer mit angehört.«

Die Katzen rückten aufgeregt noch etwas näher zusammen.

»Es geht um ein Labor in Padua, das für medizinische Versuche ausschließlich Katzen benötigt. Sie sind auf der Suche nach einem Impfstoff für eine mysteriöse Krankheit, deren Namen ich noch nie zuvor gehört habe. Sie benötigen für ihre Versuche zähe, kräftige und kämpferische Tiere.«

Caruso stoppte seine Erzählung. Es ging ein Furcht erregendes Protestgemaunze um den Brunnen. Der Capo hob die Tatze und sogleich verstummten die erbosten Katzen.

»Was können wir tun, fragt ihr euch nun sicher«, fuhr er schließlich fort.

Die Gang rückte, so nah sie konnte, an Caruso heran. Keiner wollte ein Wort des Capo verpassen.

»Wir werden den Menschen zeigen, dass Venedig anders ist als all die schmutzigen Städte, in denen Verbrechen geschehen, die niemals aufgeklärt werden«, erklärte Caruso und wedelte bekräftigend mit seiner schwarzen Schwanzspitze. »Wir Katzen werden dafür sorgen, dass unser Venedig sauber bleibt. Eine Stadt der Liebe und der Romantik, in der sich jeder Mensch gerne und gefahrlos aufhalten kann und in der Katzen mehr sind als lausige Straßenvagabunden, die man einfängt! Wir werden den Mord aufklären und damit zeigen, wie wichtig wir Katzen für Venedig sind.«

Mit einem eleganten Satz sprang er wieder auf den Brunnenrand.

»Gemeinsam werden wir in die Katzengeschichte dieser Stadt eingehen, aber nicht nur dieser Stadt, nein, in aller Welt werden wir bekannt werden als Caruso, der Meisterdetektiv von Venedig und seine Gang!«

Die Katzen miauten Beifall.

»Sag uns, was wir zu tun haben!« Fredo sprang ebenfalls auf den Brunnenrand und empfing den kameradschaftlichen Pfotenschlag des Capo.

Ihm folgte Uno, der Einäugige. Nach und nach sprang die ganze Gang auf den Brunnenrand und scharte sich dicht um Caruso.

Der schnurrte zufrieden und wandte sich wieder an den kleinen Corriere-Kater.

»Erzähl uns alles, was du über diesen Mord weißt«, forderte er ihn auf.

Ob Rocco etwas bemerkt hat?, ging es Ornella durch den Kopf. Doch sie hütete sich, es laut zu sagen. Sie würde ihn bei nächster Gelegenheit darauf ansprechen. So bald wie möglich!

Der Corriere maunzte verlegen.

»Eigentlich war das schon alles, was ich weiß«, gestand er. »Inzwischen ist sicher bereits die Bande der Kanalratten auf dem Weg zur Leiche.«

»Wir müssen vor den Ratten bei dem Toten sein«, sagte Caruso sofort. »Erstens, wie sieht das aus: eine Leiche, die schon von den Ratten zerfressen ist!? Zweitens werden die Ratten alle wichtigen Spuren beseitigen, und dann können wir nicht einmal die Todesursache feststellen.«

»Los, beeilen wir uns«, maunzte Ornella.

Die Katzengang machte sich mit großen Sprüngen in Richtung Tatort auf, allen voran Caruso. Sie liefen dicht an der Häuserreihe der Calle Racchetta entlang zur Strada Nuova, überquerten den Campo S. Bartolomeo und erreichten schließlich den Canal Grande.

Sie hatten Glück: Die Ratten waren noch nicht am Tatort. Da lag er, der Tote, in einer riesigen Blutlache, mitten in einer eleganten Gondel. Caruso sprang sachte hinein und schnupperte gründlich an der Leiche und an der Blutlache.

»Riecht alles noch ganz frisch«, stellte er fest. »Der Mord muss sich erst vor kurzem zugetragen haben. Ich schätze, ungefähr vor einer knappen halben Stunde, so gegen achtzehn Uhr.«

Zu seiner Gang gewandt ordnete er an: »Avanti, avanti, suchen wir weitere Anhaltspunkte: Fredo und Rossi, ihr untersucht die Füße und die Beine, ich übernehme –«

»Vengono!«, unterbrach ihn Unos erschreckte Stimme vom Ufer her. »Die Ratten kommen!«

Alle verstummten und lauschten. Ja, Uno hatte Recht: Raschelnde, wispernde Geräusche näherten sich, und da bogen sie auch schon um die Ecke: etwa zwanzig Ratten mit Furcht erregenden Fratzen. Rasch sprang Caruso aus der Gondel.

»Ciao, Caruso«, tönte Galluzzio, der Anführer der Ratten, und baute sich respektlos vor dem Capo auf, »sieht man sich auch mal wieder, eh? Das da«, er machte eine Kopfbewegung zur Gondel mit dem Toten hin, »ist unser Ratten-Fressen, klar? Also macht euch davon. Oder soll es einen Kampf geben?«

Die Katzengang wich zurück. Auf einen Kampf mit den Ratten wollte es keiner ankommen lassen, die Kerle hatten verdammt scharfe Beißer.

Caruso warf seiner ängstlichen Gang einen tadelnden Blick zu. Dann trat er mutig einen Schritt vor.

»Es soll einen Zweikampf geben«, bestimmte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, »eine eurer Ratten gegen einen unserer Kater. Die Siegerpartei bekommt die Leiche.«

Insgeheim hoffte er, dass die Ratten einen solchen Kampf annehmen würden, denn die Stärke der Ratten lag vor allem in ihrer großen Zahl, das hatten die Katzen bei vergangenen Kämpfen schmerzhaft genug erfahren.

Galluzzio ging nach kurzer Überlegung auf Carusos Vorschlag eines Zweikampfs ein.

»D'accordo«, sagte er mit drohendem Unterton, »Alfredo, unsere beste Ratte, wird kämpfen!«

Caruso warf einen unbehaglichen Blick auf Alfredo. Ein Biss von dieser riesigen Ratte, und man könnte dahin sein, dachte er. Wir müssen unseren zähesten Kater aufstellen, der noch alle sieben Katzenleben hat, denn die wird er vielleicht brauchen. Sechs Mal kann er tödlich verletzt werden, aber erst bei der siebten tödlichen Verletzung müsste er sterben ... Fredo?, überlegte er. Nein, der ist zwar der Flinkste, aber zu klein.

»Renaldo wird antreten«, entschied er laut. Renaldo konnte herrlich hohe und schnelle Sprünge machen, damit würde Alfredo sicher nicht rechnen.

Renaldo trat ohne zu zögern vor. Schon sprang Alfredo auf ihn zu. Der Kampf begann.

Mit einem nervtötenden Quietschen feuerten die Ratten ihren Kämpfer an. Die Katzen lärmten ohrenbetäubend für ihren Renaldo.

»Mach ihn fertig!«, quietschten die Ratten.

»Zeig ihm deine Krallen«, fauchten die Katzen.

Die Ratte ging erneut mit einem Satz auf Renaldo los. Der Kater erkannte sofort die Situation und sprang zur Seite, doch die Ratte erwischte ihn am Schwanz. Renaldo schrie auf und mit ihm alle Katzen. Er blutete ganz fürchterlich, doch Alfredo hatte nun seinen Zorn geweckt, und jetzt ging der Kampf erst richtig los. Renaldo scheuchte die Ratte hin und her, bis sie ermüdete und ihre Bewegungen langsamer wurden. Schließlich holte der Kater zum siegbringenden Angriff aus und zog der Ratte seine Kralle quer über das Gesicht. Alfredo taumelte, benommen vorn Schmerz, zurück und konnte nicht weiterkämpfen.

Die Katzen jubelten. Jetzt war es Caruso, der sich überlegen vor Galluzzio aufbaute.

»Wir haben gewonnen! Dein bester Kämpfer muss sich wohl erst mal wieder erholen«, maunzte er triumphierend.

Galluzzio fletschte noch einmal wütend die Zähne, aber dann gab er seiner Bande ein Zeichen, sich zurückzuziehen.

Ornella schmiegte sich anerkennend an Renaldo und leckte an seiner Wunde. Dankbar schaute ihr der Kämpfer in ihre grün funkelnden Augen.

»Cari amici, wir haben keine Zeit zu verlieren«, mahnte Caruso und deutete mit der Pfote zu dem Toten hinüber. »Wir müssen den Mörder finden!« Erneut lief er zur Gondel. »Fredo, Rossi, kommt mit mir, wir wollen den Toten näher betrachten.«

Vorsichtig schlich er an die Leiche heran.

»Ihr beiden untersucht ihn wie besprochen untenherum, ich sehe mir den Oberkörper näher an.«

Die drei Kater schnüffelten vorsichtig an dem toten Körper, schoben ihre Schnauzen unter die Kleidung und prägten sich alles ein.

»Sieht aus, als hätte ihn eine Kugel getroffen«, murmelte Caruso.

»Könnte auch ein Messer die Todesursache gewesen sein, Capo?«, warf Fredo ein.

Caruso schüttelte den Kopf. »Dagegen sprechen die Schmauchspuren auf seiner Jacke. Da, seht ihr?«

Fredo und Rossi schauten sich die Stelle an, die Caruso ihnen zeigte. Dann nickten sie sich zu und warfen Caruso einen bewundernden Blick zu. Der Capo verfügte wirklich über einen bemerkenswerten detektivischen Spürsinn!

Caruso nahm die Bewunderung mit gewohnter Würde entgegen. Dann sprang er auf den Rand der Gondel und balancierte halsbrecherisch zu ihrem anderen Ende. Was war das? Da war offensichtlich etwas neben das Sitzkissen gefallen. Er machte einen Satz dorthin. Eine Patronenhülse!

»Da haben wir es!«, rief er den beiden anderen zu und deutete mit der Pfote auf seinen Fund. »Dies ist bestimmt die Hülse zu dem tödlichen Geschoss!«

Er schlich zu dem Toten zurück und schaute sich den Oberkörper noch einmal genau an.

»Es ist ein Durchschuss«, sagte er zu Fredo, der ihm neugierig gefolgt war.

»Und was machen wir jetzt, Capo?«

»Tja, es gibt eigentlich nur eine Lösung: Wir müssen jemanden losschicken und versuchen, den Mörder ausfindig zu machen«, sagte Caruso.

Er reckte sich und machte einen gewaltigen Satz zu der wartenden Gang am Ufer.

»Wen sollen wir schicken?«, fragte er erwartungsvoll in die Runde.

»Am besten, wir schicken Uno los«, meinten Fredo und Rossi wie aus einem Maul.

Die anderen nickten zustimmend. Uno konnte zwar nicht sehr gut sehen, denn er hatte vor einiger Zeit bei einem Kampf mit den Ratten ein Auge eingebüßt, aber dafür hörten seine Ohren einfach alles – das, was für sie bestimmt war, und auch das, was eigentlich geheim bleiben sollte. Er war bei seinen Katzenkollegen sehr beliebt. Seine Ruhe und Besonnenheit wurde in der Gang sehr geschätzt. Seit seinem Unfall wirkte er auf die Gang besonders zäh und dafür bewunderten sie ihn sehr.

»Bene«, sagte Caruso. »Dann wollen wir zunächst Uno als Kundschafter ausschicken.«

Als er seinen Namen hörte, trat Uno vor. Er wirkte etwas verschlafen, denn die letzte Viertelstunde hatte er faul auf einer Mülltonne gelegen und ein Nickerchen gemacht.

»Eh beh, dann werd ich mal um die Ecken ziehen«, sagte er und streckte sich. »Bis Mitternacht bin ich wieder da, dann weiß ich vielleicht schon Näheres.«

»Va bene«, sagte Caruso, »ich verlasse mich auf dich. Wenn du ohne Informationen zurück kommst, wird der Rest der Gang auch losziehen.«

2. KAPITEL

Uno wandte sich um und lief leichtfüßig in Richtung Ponte di Rialto davon.

»Buona fortuna!«, riefen ihm die Katzen nach.

»Werde tun, was ich kann«, gab er zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die Gang hielt ihn für stark und mutig. Sollten sie doch, es musste ja keiner wissen, wie es wirklich in seinem Katzeninneren aussah.

Als er sicher sein konnte, dass er außer Sichtweite der Gang war, verlangsamte er sein Tempo. Endlich Ruhe! Zeit, seine Gedanken wieder an einen der vielen herrlich warmen Kachelöfen von Davos wandern zu lassen. Davon hatte er nämlich vorhin, während seines Schläfchens auf der Mülltonne, geträumt.

Er träumte oft von Davos, denn seine Mutter war eine gebürtige Davoserin. Sie war eine wunderschöne Mamma gewesen, etwas rundlich, denn sie naschte gerne, und sie hatte eine wunderbar sanfte Stimme gehabt, die ihn so häufig in den Schlaf geschnurrt hatte. Sie hatte ihm, als er noch ganz klein war, in den höchsten Katzentönen von diesem Bergdorf namens Davos vorgeschwärmt, und es war ihm vorgekommen, als erzählte sie von einer anderen Welt. Sie war dort in ihrer Jugend Hotelkatze im ersten Haus am Platze gewesen und von der Familie, der das Hotel gehörte, aber auch von den Hotelgästen aus aller Welt maßlos verwöhnt worden. Ihre Hauptaufgabe hatte darin bestanden, erlesene Leckereien zu fressen, frische Sahne zu trinken und am warmen Ofen zu liegen, sich von zärtlichen Menschenhänden streicheln zu lassen und gelegentlich dabei zu schnurren und jemandem um die Beine zu streichen.

Eines Tages hatte sich ein reicher Venezianer in sie verliebt und darauf bestanden, sie in seine Heimatstadt mitzunehmen. Er wohnte in einer riesigen, alten Villa in der Calle di Regina. Es gab dort eine ganze Heerschar von knackigen Mäusen – doch leider auch schon ein Dutzend anderer Katzen, und weder diese noch die Haushälterin dachten auch nur im Traum daran, die Davoser Hotelkatze mit Samthandschuhen anzufassen.

Als der Venezianer gestorben war, rannte sie einfach davon. Nun brachen schlimme Zeiten für sie an – Hunger, Kälte, Kämpfe mit anderen Katzen, aber auch mit Hunden und Ratten ... bis sie endlich ein neues Hotel direkt am Canal Grande gefunden hatte, in dem sie wieder die erste und einzige Hauskatze sein konnte. Unweit von dort, in der Calle dei Miracoli, in einem engen Durchgang zwischen zwei Häusern, war sie wenig später ihrer großen Liebe Luigi da Luini begegnet. Luigi da Luini war ein typischer Katzen-Casanova gewesen und hatte seine Geliebte sofort nach ihrem Rendezvous im Stich gelassen. Kurz darauf wurde Uno geboren, der Älteste von vier stolzen, getigerten Davoser Hauskatzennachfahren! Er sah seinem Vater sehr ähnlich und seine Mamma liebte ihn aus diesem Grunde ganz besonders.

Unwillkürlich entfuhr Uno ein wehmütiger Maunzer. Er blickte sich um. Inzwischen war er auf der Ponte di Rialto angekommen, einer Brücke, die den Canal Grande in einem einzigen Bogen überspannte. Lustlos schlich er zwischen den vielen, sich bewegenden Beinen hindurch. Dieser ganze Rummel hier war nicht sein Ding. Er mochte es lieber beschaulich, wie seine Mamma.

»Ragazzino, mach mal Pause!«, würde sie gesagt haben ...

Ja, eine kleine Pause hatte er sich wirklich verdient. Bis Mitternacht war ja noch lange Zeit! Er trottete in Richtung Balustrade, zwängte sich an vier ruhig beieinander stehenden Menschenbeinen vorbei und schmiegte sich eng an einen steinernen Brückenpfeiler. Mit seinem einen Auge blinzelte er zunächst zum Wasser des Canal Grande hinunter; es schimmerte golden in der Abendsonne. Dann blickte er zurück zu den vier Beinen an der Balustrade und an ihnen entlang in die Höhe.

Aaah, ecco, ein Liebespaar, das in Romantik versunken die Abenddämmerung über dem Canal Grande genoss! Prego, warum machten es nicht alle Menschen so? Warum fiel einigen nichts Besseres ein, als andere Menschen umzubringen? Und wer hatte jetzt den Ärger am Hals? Esatto, er, Uno! Wenn seine gute Mamma das wüsste! Aber sie ruhte nun schon so lange im Katzenhimmel und ahnte nichts von all den Gefahren und Scheußlichkeiten, die jetzt auch auf Venedigs Plätzen und Gassen auf eine brave Katze lauerten. Dass Menschen hier Katzen sogar mit Fischernetzen einfingen und wer weiß wohin verschleppten ... und dass Katzen neuerdings scheußliche Menschenmorde aufklären mussten! Sicuro, der Capo hatte Recht, da musste etwas geschehen, das konnten sie nicht einfach so hinnehmen. Aber warum sollte ausgerechnet er sich mit diesen schrecklichen Dingen abgeben – er, Uno, Erstgeborener einer Davoser Hotelkatze, die nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Deutsch maunzen konnte?

Er begann, sein getigertes Fell zu lecken. Allmählich machte sich Hunger in seinem Bauch bemerkbar. Ornella hatte da eben etwas erwähnt, von wegen Pescheria und Fischabfälle. Ob er da einfach mal vorbeischauen sollte?

Er streckte sich ausgiebig, leckte sich noch einmal mit seiner rosigen Zunge über die Vorderpfoten, stellte den Schwanz auf und bemerkte mit Stolz, dass er damit bis an die steinerne Balustrade heranreichte. Dann setzte er sich gemächlich in Bewegung, allerdings nicht, ohne schnurrend an dem zarten Frauenbein vorbeizustreichen, das zu dem Liebespaar gehörte.

Auf der Brücke kam er wegen der vielen Menschen nur langsam voran. Drüben auf der anderen Seite angekommen, ging es schneller. Er hatte jetzt wirklich einen ausgewachsenen Katzenkohldampf!

Hinter dem Palazzo di Camerlenghi lief er an einem alten venezianischen Haus vorbei. In der geöffneten Tür sah er eine Katzenfrau sitzen, die er gut kannte.

»Ciao, bellezza!«, maunzte er freundlich und blieb hoffnungsvoll stehen.

Raffaela war stadtbekannt unter den Katern. Sie war eine von denen, die leicht zu haben sind. Seidiges, weißes Fell zierte ihre schlanke Gestalt und ihr offener Blick lud dazu ein, bei ihr zu verweilen. Das Schönste an ihr aber, fand Uno, waren ihre niedlichen kleinen Öhrchen. Solche Öhrchen hatte er bisher nur bei einer einzigen anderen Katze gesehen: bei seiner geliebten Mamma.

Raffaela schnurrte aufreizend um Uno herum: »Willst du nicht reinkommen, Tesoro? Die Gattara hat mir gerade frische Sardellen in den Fressnapf getan. Zu zweit schmecken die doch viel besser!«

Das ließ sich Uno nicht zwei Mal sagen. Erwartungsfroh folgte er der schönen, weißen Raffaela in den Hausflur hinein. Lautlos huschten acht Katzenpfoten über den alten Mosaikboden. Und dann, in einer Nische unter der Treppe, sah er es: Nicht nur ein großer Napf mit den angekündigten frischen Sardellen stand da, nein, daneben befand sich eine ebenso große, noch fast volle Schüssel mit Hühnchenfleisch, eine weitere mit Trockenfutter sowie eine Schale mit Wasser und eine andere mit Katzenmilch. Ein einziges Futterfest!

»I-ist das hier immer so für dich angerichtet?«, stotterte Uno verwirrt.

»Si, Tesoro, meine Gattara meint es gut mit mir und füllt meine Schüsseln jeden Tag frisch auf.« Raffaela schenkte ihm einen tiefen Blick aus ihren grünen Augen. »Du kannst jederzeit kommen«, setzte sie leise hinzu, »allein schaffe ich das sowieso nie.«

Uno beugte seinen Kopf über die Schüssel mit dem Hühnchenfleisch und schnüffelte genüsslich den herrlichen Duft ein. Hühnchen mochte er für sein Leben gern, viel lieber noch als Sardellen!

Ich bin doch ein echter Glückskater, dachte er, während er sich über das Fressen hermachte. Das hier ist wirklich erste Katzenklasse! Ein Futter, wie ich es sonst noch nicht mal an Weihnachten habe, und obendrein eine Katzentraumfrau ...

Wenig später lagen sie dicht nebeneinander in Raffaelas ausgepolstertem Katzenkörbchen. Uno hatte sein Gesicht in ihr weiches Fell vergraben.

»Mmmjaou«, maunzte Raffaela behaglich, »weißt du, was jetzt schön wäre?«

»Schön wäre?«, wiederholte Uno verschlafen. »Aber haben wir's denn nicht schön?«

Raffaela leckte ihm zärtlich über das Gesicht. »Noch schöner, meine ich, caro mio! Am schönsten wäre es jetzt doch, in einer Gondel zu liegen und hinauf in den Himmel zu schauen, so wie die Menschen das machen, wenn sie verliebt sind ...«

Gondel? Menschen? Uno zuckte zusammen und es überlief ihn abwechselnd heiß und kalt. Sein Auftrag! Heiliger Katzenhimmel, er hätte beinahe seinen Auftrag vergessen! Wie spät mochte es jetzt sein? Jedenfalls höchste Zeit für ihn, an die Ermittlungen zu gehen. Denn was der Capo und die Gang mit ihm machen würden, wenn er ihnen von nichts anderem als Raffaelas Öhrchen und Hühnchenfleisch erzählen würde, das wollte er sich lieber nicht ausmalen.

Raffaela kommt viel herum, überlegte er, vielleicht hat sie etwas von dem Mord mitbekommen? Mit einem Ruck richtete er sich auf.

»La piu bella micina di tutte«, schmeichelte er ihr, »schönstes Miezchen von allen, ich brauche deine Hilfe!«

Raffaela schmiegte sich eng an ihn.

»Was auch immer du willst«, schnurrte sie. »Du weißt, ich tue alles für dich. Fast alles!«

Uno rückte ein wenig von ihr ab, um einen klaren Kopf zu behalten.

»Ich – ich brauche eine Information.«

»Ah ecco«, sagte Raffaela ein wenig enttäuscht. »Di che cosa si tratta?«

»Eine üble Geschichte ...«, begann Uno, und dann erzählte er ihr alles: Von dem Toten in der Gondel, von Carusos Rede vor der Gang, von dem siegreichen Kampf gegen die Ratten und dass die Katzengang nun den Mörder suchte und ihn, Uno, vorausgeschickt habe, um erste Informationen einzuholen.

Raffaela hörte aufmerksam zu.

»Dio mio!«, stöhnte sie, als er mit seinen Ausführungen geendet hatte. »Das ist ja ...«

In diesem Moment schaute ein riesiger schwarzer Kater mit struppigem Fell und unangenehm funkelnden Augen in den Hausflur.

»... furchtbar!«, führte Raffaela erschrocken ihren Satz zu Ende und gab Uno heimlich einen so festen Tritt mit der Vorderpfote, dass er unsanft aus dem weichen Katzenkorb purzelte.

»Massimo!« Auch sie verließ nun ihr Körbchen und glitt dem Eindringling sanft entgegen. »Du hier, mio buon' amico? Um diese Zeit?«

Massimo blickte finster von der weißen Katzenkurtisane zu dem erschrockenen Uno und wieder zurück zu Raffaela.

»Um diese Zeit«, äffte er sie höhnisch nach, »um diese Zeit pflegst du wohl andere Kater zu empfangen, wie?«

»Aber nein, Tesorone, nein! Wie kommst du denn darauf?«, maunzte sie mit unnatürlich hoher Stimme zurück.

Uno hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Der riesige pechschwarze Kater baute sich bedrohlich vor ihm auf.

»Wie ich darauf komme?«, fauchte er und wischte mit einer Pranke über Unos blindes Auge. »Na, ich hab halt noch beide Augen im Kopf! Im Gegensatz zu deinem feinen Signore hier!«

»Das – das ist ein Missverständnis«, stotterte Uno.

»Ah, davvero, un malinteso!«, lachte Massimo höhnisch. »Da bin ich aber gespannt, was dem Signore im gestreiften Anzug dazu Schlaues einfällt!«

Uno schaute sich verzweifelt um. An dem riesigen Kater würde er kaum vorbeikommen, und wenn, dann würde Massimo ihm mit Sicherheit nachhetzen. Und wer dabei den Kürzeren ziehen würde, das lag auf der Pfote: Er, Uno, dessen Beine höchstens halb so hoch waren wie die des schwarzen Riesen vor ihm.

»Per diavolo, wird's bald?«, drängte Massimo. »Sonst geb ich dir gleich ein Missverständnis!«

Raffaela kam Uno unerwartet zur Hilfe.

»Schau mal, mio buon' amico«, begann sie schüchtern, »ein Mann ist ermordet worden, die Katzen suchen den Mörder. Sie haben Uno losgeschickt, damit er erste Informationen einholt.«

Schmeichelnd schnurrte sie um Massimo und streifte ihn wie zufällig mit ihrem weißen Seidenfell.

»Du bist doch so ein mächtiger und kluger Kater, vielleicht könntest du ja etwas darüber wissen? Ich selbst konnte Uno leider nicht weiterhelfen. Ich meine, wenn hier jemand weiterhelfen kann, dann du!«

Uno riss sein eines Auge auf und warf ihr einen bewundernden Blick daraus zu. Sie war nicht nur schön, sondern auch außerordentlich klug! Im Gegensatz zu diesem widerlichen schwarzen Kater, den sie schmeichelnd umstrich. Der ging ihr natürlich prompt auf den Leim.

»Maledetto, vielleicht kann ich das ja«, knurrte er, »aber was bekomme ich dafür?«

Er ließ seinen gierigen Blick von ihren niedlichen Öhrchen über den schlanken, geschmeidigen weißen Körper bis hinab zu den samtweichen Pfoten wandern.

»Momento, du sollst nicht ihr helfen«, schaltete sich Uno grimmig ein, »sondern Caruso und seiner Gang.« Triumphierend setzte er hinzu: »Wir haben schon mit den Ratten gekämpft und gewonnen!«

»Bestiaccia«, warf Massimo angewidert ein, »ich hasse sie! Diese schmutzigen, ekligen Kreaturen haben vor einiger Zeit meinen Cousin Nunzio böse zugerichtet.«

Uno nickte eifrig und wies auf sein blindes Auge.

»Das ist auch Rattenwerk«, zischte er. »Aber jetzt geht es noch um weit mehr. Wir müssen einen Mord aufklären, damit die Katzen Venedigs endlich ein anderes Ansehen erhalten! Und damit sie von niemandem mehr eingefangen und fortgeschleppt werden.«

Massimo nickte gnädig. »È vero«, brummte er und leckte an seiner linken Pfote. »Davon habe ich auch schon gehört.«

Nach einer Weile fragte er dann: »Wo habt ihr die Leiche gefunden?

Uno erzählte ihm alles, was vorgefallen war.

»Misero ratto, ich bin dabei!«, sagte Massimo entschlossen. »Aber lass in Zukunft deine Pfoten von Raffaela.«

»Aber Tesorone«, flötete Raffaela, »Uno hat mich nicht angerührt, ich schwöre es bei allen Katzenheiligen! Er hat mir nur genau das erzählt, was er auch dir jetzt erzählt hat, und dann hat er mich gefragt, ob ich etwas weiß. Leider konnte ich ihm nicht helfen. Was für ein Glück, dass du dazugekommen bist! Ich bin sicher, mit dir zusammen wird die Gang wunderbar vorankommen!«

»Mmmmm«, knurrte Massimo und ging zu den Fressnäpfen hinüber.

Er wies ärgerlich mit seiner Pfote auf eine säuberlich ausgeleckte Schüssel, die noch leicht nach Hühnchenfleisch duftete.

»Und das da?«, fragte er drohend. »Gehört das vielleicht auch zum Informationen-Einholen?.«

Uno setzte sich gelassen auf seine Hinterpfoten.

»Wer viel arbeitet, muss auch viel essen«, erklärte er überzeugt. »Das hat schon meine Mamma gesagt. Und sie hat es von dem Hotelbesitzer in Davos, in dessen Hotel sie erste Hauskatze am Platze war!«

»Mmmmm«, knurrte Massimo wieder.

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und machte sich über die Sardellen her. Plötzlich unterbrach er sein Fressen und wischte sich nachdenklich mit der Zunge über die Schnauze.

»Per diavolo«, fluchte er, »am Canal Grande, sagst du?«

»Si, si«, erwiderten Raffaela und Uno wie aus einem Munde und schauten den struppigen Kater gespannt an.

Massimo kratzte sich mit der Pfote am Kopf, dann nickte er und sagte mehr zu sich selbst: »Da fällt mir jemand ein, den ich fragen kann ...«

3. KAPITEL

Caruso war erneut in die Gondel gesprungen. Aufmerksam strich er um die Leiche herum, beobachtete und beschnupperte sie von allen Seiten.

»Seltsam ... wie ein Tourist sieht der Mann nicht aus«, grummelte er vor sich hin. »Es ist nirgendwo eine Kamera oder eine Tasche zu sehen, auch kein Stadtführer von Venedig. Ist der Tote etwa ein Einheimischer? Aber wie kommt er in die Gondel? Ob der Fundort auch der Tatort ist oder hat man die Leiche erst nach der Tat hierher gebracht? Was ist da nur vorgefallen?«

Sanft strich der Abendwind durch das lange, dunkle Haar des Toten. Das Gesicht des Mannes wirkte geradezu friedlich. Wären da nicht die Blutlache und die Spuren des Schusses auf seiner Brust gewesen, hätte man meinen können, er schliefe. Caruso hätte gerne die Augenfarbe des Mannes festgestellt, aber mit seinen Pfoten die Lider des Toten zu lüpfen, erschien ihm doch zu pietätlos. Die Augenbrauen des Mannes waren buschig. In der Mitte des Gesichtes thronte eine markante Nase. Zugleich hatte der Tote für einen Mann ungewöhnlich hohe Wangenknochen, die sein Gesicht weich wirken ließen.

Eh beh, hübsch ist der Mann nicht gerade, dachte Caruso, aber er hat eigenwillige, sinnliche Züge. Ich könnte eine Sardelle darauf verwetten, dass er ein Künstler ist. Vielleicht Musiker oder Maler.

Caruso glitt noch näher an den Mann heran und sah sich auch dessen Hände an. Die Finger waren lang und schlank, seine Nägel kurz geschnitten und sauber. Farbflecken oder andere Spuren waren nicht zu entdecken. Va bene, dann war er wohl eher ein Musiker, kombinierte Caruso. Auch seine dunkle Kleidung passte dazu. Irgendwie makaber, es sah aus, als trüge der Mann Trauerkleidung zu seinem eigenen Ableben!

Behutsam durchzog Caruso mit seiner Pfote die Hosentasche des Toten.

»Ah, was haben wir denn hier?«, meinte er an Fredo und Rossi gewandt, die wieder an die Seite des Capo gesprungen waren. Triumphierend zog er ein Taschentuch hervor und drehte es ein paar Mal herum.

Drei Katzenschnauzen schnüffelten neugierig daran herum.

»Riecht muffig«, sagte Fredo und wandte sich angewidert ab.

»Wie schade, sieht völlig unbedeutend aus«, maunzte der Capo enttäuscht und ließ das Taschentuch fallen. Dann wandte er sich nochmals der grauen Hosentasche des Toten zu. Blitzte da nicht etwas Weißes hervor?

»Ecco, un biglietto!« Aus Carusos Stimme klang neue Hoffnung.

Er schaute sich die Fahrkarte genau an, rechts und links flankiert von seinen beiden Assistenten Fredo und Rossi.

»Eine Karte für eine einfache Fahrt mit dem Vaporetto zur Rialto-Brücke«, stellte er fest.

»Aber warum nur eine einfache Fahrt?«, fragte Rossi und strich sich über seine Schnurrbarthaare.

»Lasst mich überlegen ...« Caruso kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Eine einfache Fahrt – das bedeutet: Es gab für den Toten keinen Grund für eine Rückfahrt, vero?«

Die beiden Kater nickten eifrig.

»Aber dass es eine Fahrt in den Tod sein sollte, das hatte er sicher auch nicht geahnt«, fuhr Caruso fort und maunzte unzufrieden. So kamen sie nicht weiter.

»Vielleicht steckt noch etwas in der Hosentasche?«, gab Fredo zu bedenken.

»Schauen wir mal ... vielleicht hast du Recht!«

Caruso reckte sich, dann fuhr er noch einmal mit seiner Pranke in die Tasche des Toten – vorsichtig, mit eingezogenen Krallen, um den feinen Stoff nicht zu zerreißen.

»Nanu – hier ist noch ein Zettel!«, rief er plötzlich.

Aufgeregt zog er das Papier hervor und hielt es hoch, sodass nicht nur seine beiden Assistenten in der Gondel, sondern auch die staunende Gang am Ufer es bewundern konnten. Neugieriges Maunzen von allen Seiten war die Antwort. Caruso nahm den Zettel in die Schnauze, sprang mit einem waghalsigen Satz ans Heck der Gondel und setzte sich auf deren Rand. Er bewegte den Schwanz ein Mal hin und her, legte dann seine schwarze Schwanzspitze auf den Rand der Gondel und faltete mit wichtiger Miene den Zettel auseinander.

»Ich treffe Sie um acht, Balzani«, las er in feierlichem Ton mit seiner melodiösen Stimme.

Andächtiges Schweigen folgte.

»La incontro – alle – otto«, wiederholte Fredo schließlich und betonte ehrfurchtsvoll jedes Wort.

»Balzani«, ergänzte Rossi. »Den Namen müssen wir uns merken!«

In diesem Moment ertönte von der Turmuhr der Chiesa Santa Maria Assunta dei Gesuiti das Halbstundenzeichen zu zwanzig Uhr. Caruso spitzte aufmerksam die Ohren und wartete, bis der letzte Schlag verklungen war.

»Halb acht«, murmelte er zu sich selbst.

Dann blickte er wieder auf den Zettel und sagte mit lauter Stimme in Richtung Gang: »Ein Stück ist hier abgerissen. Aber unten in der Ecke kann ich noch etwas lesen, hört zu: ›Bringen Sie Manus ...‹«

»Manus?«, fragte Fredo sofort. »Was ist Manus?«

»Vielleicht hat er sich verschrieben«, gab Ornella vom Ufer her zu bedenken. »Vielleicht sollte es Maus heißen?«

»Mmjao«, maunzte Caruso unwillig, »che assurdo! Warum sollte ein Mensch einem anderen Menschen eine Maus bringen?«

Ornella senkte beschämt den Kopf. Ja, der Capo hatte Recht, eine Maus ergäbe hier keinen rechten Sinn. Vielleicht hatte ihr einfach die Langeweile einen Streich gespielt? Sie hätte jetzt für ihr Leben gern eine Maus gehabt, um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben. Dieses Warten und Schauen und Zuhören war nicht ihre Sache. Und mit bekritzelten Zetteln hatte sie schon gar nichts im Sinn, denn im Gegensatz zum Capo konnte sie weder lesen noch schreiben.

Damit war sie nicht die Einzige in der Gang. Genau genommen konnte es niemand außer Caruso. Dass er über diese besonderen Fähigkeiten verfügte, hatte er seinem Urgroßvaterkater Benvenuto zu verdanken. Der nämlich war vor langer Zeit der Lieblingskater eines kleinen adeligen Mädchens gewesen, das den Kater überall mit hin nahm, auch zum Unterricht bei ihrem Hauslehrer. Nur nach außen hin hatte Benvenuto während dieser langen Lehrstunden unbeteiligt und gelangweilt getan, in Wirklichkeit hatte er die Ohren gespitzt und in jeder unbeobachteten Minute geübt, was er zuvor im Unterricht mit angehört hatte.

Leider fand er unter den Katzen seiner Zeit wenig Anklang damit. Die meisten waren der Meinung, vom Schreiben und Lesen sei noch niemand satt geworden und er möge sich lieber in der Kunst des Mäusefangens üben. So wäre die Schriftkultur bei den Katzen Venedigs beinahe wieder ausgestorben – hätte Benvenuto nicht kurz vor seinem seligen Dahinscheiden in Caruso noch einen überaus wissbegierigen und fleißigen Urenkelkater gefunden, an den er sein Können weitergeben konnte. Und nun machte sich das Erbe des Urgroßkaters bezahlt! Keine der anwesenden Katzen hielt das Schreiben- und Lesenkönnen mehr für einen überflüssigen Luxus, im Gegenteil, sie alle blickten wie gebannt auf den Zettel in der Pfote des Capo und hätten etwas darum gegeben, ihn ebenfalls entziffern zu können.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragten Fredo und Rossi wie aus einem Munde und blickten erwartungsvoll von dem Papier zu ihrem lesenden Capo auf.

Caruso drehte den Zettel um. »Auf der Rückseite ist der Name Teatro della Pergola gedruckt«, stellte er fest. Und mit einem eindringlichen Blick in die Runde fragte er: »Hat jemand von euch schon einmal von diesem Teatro gehört?«

Alle schüttelten die Köpfe.

Caruso machte einen Satz zum Ufer hin.

»Allora, amici miei, dann müsst ihr eben herausbekommen, was das für ein Teatro ist und wo es steht«, befahl er in strengem Ton. »Wir müssen den Fall lösen! Seid ihr bereit?«

»Zu Befehl, Capo«, riefen die Katzen aufgeregt und rückten näher an ihn heran.

Auch Ornella wurde wieder munter. Endlich geschah etwas! Rossi verließ nun ebenfalls die Gondel und sprang an Land. Fredo wollte es ihm nachtun und setzte zu einem besonders weiten Sprung an, doch in seinem Übereifer rutschte er an der glatten Gondelwand ab und klatschte in das kalte, schmutzige Wasser des Canal Grande. Die Katzen maunzten vergnügt.

Caruso brachte sie mit einem strengen Blick zum Schweigen. »Er wird wieder auftauchen«, sagte er nur.

Tatsächlich kam Fredo mit einem lauten »Mjaoaoao« wieder an die Oberfläche und schwang sich auf einen Pfahl, der aus dem Wasser ragte. Idiota, was für eine Blamage, schimpfte er mit sich. Aber bloß keine Schwäche zeigen! Er schüttelte sich kräftig.

»Komme gleich«, maunzte er zu Caruso und der Gang hinüber, »hab mich nur kurz abgekühlt. Bei solch einem heißen Fall muss man sehen, dass man einen kühlen Kopf bewahrt, stimmt's?«

Und schon sprang er, diesmal mit einem vollendeten Satz, zum Ufer und stellte sich neben den Capo, der ihn mit einem so heftigen Pfotenhieb empfing, dass die letzten Wassertropfen wild durch die Luft hüpften. Fredo reckte sich und blickte die Gang frech an. Ornella zuckte ein Lächeln um ihre hübsche Schnauze. Als sie aber Carusos zurechtweisenden Blick bemerkte, bemühte sie sich rasch wieder um eine ernsthafte Miene.

»Bene«, nickte Caruso entschlossen, »andiamo!«

Prüfend schaute er nacheinander jede Einzelne seiner Katzen an: Rossi, den Roten mit dem grau getupften Bauch; Fredo, den Eifrigen mit den weißen Socken; Renaldo, den Kühnen mit dem wachsamen Blick; Franco, den Unscheinbaren, aber Schlauen; Alfonso, den Kleinen, der aussah, als hätte er eine schwarzweiß geringelte Hose an; Marco, den edlen Braunen; Tarquinio, den grauen Schwerenöter; Ornella, die schwarze Schönheit, und den flinken Corriere-Kater, der an ihrer Seite saß.

»Wir werden den Mörder finden«, stieß er entschlossen hervor. »Wir sind eine starke Katzengang, wir schaffen das, alle zusammen!«

»Certo!« Die Katzengang miaute laut Zustimmung. »Wir schaffen das!«

Carusos Blick blieb an dem erprobten Kämpfer aus der Rattenschlacht hängen. »Renaldo«, sagte er auffordernd, »du nimmst noch jemanden mit und versuchst, etwas über das Teatro herauszubekommen.«

»Gerne, Capo!«, kam prompt die Antwort.

Nach seinem Sieg über die Ratte war Renaldo schon begierig auf weitere Ruhmestaten. Die Verletzung am Schwanz spürte er fast gar nicht mehr, denn Ornella hatte ihm die Wunde liebevoll und sorgfältig ausgeleckt.

»Tarquinio, grauer Casanova, du gehst mit mir«, entschied er spontan.

Tarquinio sprang freudig zu Renaldo hinüber. Sie fielen freundschaftlich übereinander her und kugelten sich auf dem Boden.

»Schluss jetzt«, schaltete sich der Capo ein. »Ihr seid nicht zum Vergnügen unterwegs! Fredo, Franco, Alfonso und Marco, ihr lauft zur Pescheria und werdet euch vorsichtig dort umtun«, befahl er weiter.

Schon setzten sich die Angesprochenen in Bewegung. Ornella versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Zu gerne wäre auch sie mit zum Fischmarkt gelaufen. Vielleicht hätte sich ihr eine Gelegenheit geboten, in einer verschwiegenen Ecke ein paar Töne mit Rocco zu wechseln ...? Doch nein, das wäre zu gefährlich. Das würde sie nachholen, wenn nicht die halbe Gang in der Nähe weilte. Schade auch, dass Renaldo sie nicht ausgewählt hatte. Dabei hatte er es ihr zu verdanken, dass er schon wieder so gut auf den Pfoten war. Undankbarer Kater!

»Rossi und ich, wir bleiben hier und bewachen die Leiche, bis die Polizia eintrifft«, verkündete Caruso weiter. »Wir müssen unbedingt in Erfahrung bringen, was es mit diesem rätselhaften Treffen mit Balzani auf sich hat.«

»Und ich?«, maunzte Ornella schüchtern. »Was soll ich tun, Capo?«

Caruso überlegte einen kurzen Moment. »Du schaust dich nach ungewöhnlichen Gestalten um und achtest auf alles, was mit Musik zu tun hat.«

Ornella machte große Augen. Ein Mord und Musik? Das ergab für sie keinen Zusammenhang.

Caruso bemerkte ihre Verwunderung, sagte aber nichts. Seine Vermutung, dass es sich bei dem Toten um einen Musiker handeln könnte, wollte er vorerst für sich behalten. Noch hatte er zu wenig Anhaltspunkte. Vielleicht liege ich ja völlig daneben und dann würde ich die Ermittlungen der Gang in eine falsche Richtung lenken, hatte er sich überlegt. Erst einmal muss ich das, was meine Gang herausbekommt, wie kleine Mosaiksteine zusammensetzen. Mal sehen, welches Bild sich dabei ergibt.

»Los, geh mir aus den Augen«, fuhr er die schwarze Ornella an, die ihn immer noch unschlüssig anstarrte. »Du wirst schon sehen, was dahinter steckt.«