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Axel Limberg

Das rettende Ufer

Schwule Flüchtlinge berichten

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Vorwort

VORWORT

Die Flüchtlinge – das Mega-Thema unserer Zeit! Mal war von einem Strom, dann von einer Welle die Rede; es ging um Obergrenzen, zwischenzeitlich wurde eine Flüchtlingskrise ausgerufen. Journalisten schrieben von einem Ansturm, Politiker redeten gar von einer Lawine.

Strom, Welle, Krise, Ansturm, Lawine – das alles klingt schlimm, nach einer Naturkatastrophe oder an militärischen Bewegungen. Dass es in erster Linie um Menschen geht, rückt durch diese Wortwahl in den Hintergrund. Brutaler noch: Mit diesen weder positiven noch neutralen Begriffen nimmt man den Geflüchteten jede menschliche Betrachtung.

Viel zu selten ging und geht es den Medien und der Politik um das einzelne Schicksal. Viel zu oft wurden die Flüchtlingsbewegungen genauso analysiert wie die Börsenbewegungen. Von Anfang 2015 bis Mai 2017 wurden in Deutschland 1.317.328 Asylanträge gestellt. Das sind 1.317.328 Menschen und ebenso viele Lebensgeschichten.

 

Ein paar Hundert dieser Menschen haben einen sehr speziellen Grund, warum sie zu uns geflohen sind: Sie sind aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Identität hier. Als Schwule wurden sie in ihrer Heimat verfolgt – dort drohen ihnen Gefängnis, Folter oder sogar der Tod.

Die Lebenswege der schwulen Flüchtlinge unterscheiden sich erheblich. Je nach Heimatland oder Region sind Homosexuelle ganz unterschiedlichen Gefahren ausgesetzt. Hinzu kommt die persönliche Situation: Wie öffentlich wurde ihr Schwulsein in der Heimat? Müssen sie sich nicht nur vor dem Staat, sondern auch vor ihrer Familie fürchten?

 

Ich habe für dieses Buch mit vielen Menschen gesprochen. Mit schwulen Geflüchteten, Flüchtlingsorganisationen und ehrenamtlichen Helfern. Herausgekommen ist eine Betrachtung, in der ich die Lebensgeschichten und Gedanken von sieben schwulen Flüchtlingen nachzeichne. In den Texten weite ich zusätzlich den Blick auf die Themen, die für Flüchtlinge von besonderer Bedeutung sind: Heimatgefühle, das „Ankommen“ in Deutschland, berufliche Perspektiven – es sind nur drei dieser großen Themen. Ergänzt werden die Berichte der Geflüchteten um Interviews, die Hintergründe beleuchten.

 

Ich habe dieses Buch nicht nur als Journalist, sondern auch als Experte geschrieben. Seit zweieinhalb Jahren betreue ich selbst minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. Einen kompletten Überblick habe ich dadurch sicher nicht gewinnen können. Doch hunderte Gespräche mit Geflüchteten fließen als Erfahrung in dieses Buch ein. Eindrücke, die entstehen, weil ich in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit unterschiedliche Rollen einnehme: Ich bin mal Vormund oder Pate, mal großer Bruder oder kleiner Vater, zuweilen auch Großvater (das liegt weniger an meinen teilweise bereits ergrauten Haaren – vielmehr gehen die hauptamtlichen Betreuer in den Jugendheimen eher als strenge Eltern durch, während ich etwas mehr erlaube oder außer der Reihe mit einem kleinen Geschenk überrasche, wie ein Opa es eben tun würde).

 

Wer aus schwuler Perspektive auf das Flüchtlingsthema blickt, muss das mit gemischten Gefühlen tun. Die meisten Asylbewerber kommen aus Ländern, in denen Schwule verfolgt werden. Die Ressentiments dieser Menschen gegenüber unserem Lebensstil sind entsprechend groß. Doch das muss nicht so bleiben. Erfolgreiche Integration kann diese schwere Hürde meistern. Das ist nicht nur meine Überzeugung, das ist auch meine Erfahrung. Doch werden wir so eine erfolgreiche Integration nicht immer hinbekommen. Nicht alle Geflüchteten werden oder wollen verstehen und verinnerlichen, dass Schwulsein etwas ganz Normales ist. Solche nicht zu integrierten Menschen gehören, wenn sie mit ihrer Meinung hausieren gehen, aus meiner Sicht abgeschoben, sobald es die Bedingungen in ihrem Heimatland zulassen. Sie passen nicht in unsere offene Gesellschaft. Leider spielt im Asylrecht gelungene Integration keine Rolle. Menschen, die gegen Schwule wettern, kein Deutsch lernen und nicht arbeiten wollen, haben mit einem positiven Asylbescheid keine Abschiebung zu befürchten und dürfen bleiben.

 

In allen Gesprächen zu diesem Buch war die schwulenfeindliche Grundeinstellung vieler Asylbewerber ein großes Thema. Dazu habe ich sehr unterschiedliche Antworten und Lösungsansätze erhalten.

Eine spannende Frage in diesem Zusammenhang ist, wie die von mir betreuten Jugendlichen – allesamt nicht schwul – mit meinem Schwulsein umgehen. Immerhin kommen auch sie alle aus Ländern, in denen Schwulen das Leben schwer, zuweilen gar zur Hölle gemacht wird. Nach zweieinhalb Jahren ehrenamtlichen Engagements kann ich sagen: Sie gehen mit diesem Thema äußerst entspannt um! Zwölf Jugendliche wissen es inzwischen – keiner von ihnen hat sich abgewendet. Die meisten machen es nicht zu einer großen Angelegenheit, drei stellen öfters Fragen. Einer will unbedingt, dass ich meinen Freund heirate (besonders, seit die Ehe für alle durch den Bundestag gekommen ist). Er würde auch Blumen streuen. Alle besuchen uns sehr gerne, niemand will auf eine herzliche Umarmung zur Begrüßung verzichten. Alles ganz normal.

Zu Beginn meiner Tätigkeit hätte ich niemals damit gerechnet, dass es so kommen würde. Die entspannte Situation heute hat aber auch viel mit dem zu tun, wie sich die Dinge entwickelt haben. Von Anfang an habe ich mich um die ruhigen, zurückhaltenden Jungs gekümmert. Verhaltensauffällige oder gar aggressive Jugendliche gehörten nie zu denen, um die ich mich kümmern wollte. Ganz bestimmt sind unter diesen Heranwachsenden welche, die Probleme mit meiner Homosexualität gehabt hätten.

Aber auch „meinen“ Jugendlichen habe ich erst spät, nach und nach, von meinem Schwulsein erzählt. Dieses späte Offenbaren fiel mir als offen Schwuler nicht leicht, da ich es seit über zwei Jahrzehnten gewohnt bin, ganz selbstverständlich mit meinem Schwulsein umzugehen. Doch bei den Jugendlichen habe ich mich immer erst geoutet, wenn ich das Gefühl hatte, der Jugendliche würde die kulturellen Unterschiede, Normen und Werte zwischen seiner Heimat und Deutschland überblicken. Wenn dann ein Jugendlicher soweit war, und ich es ihm erzählt habe, waren die Reaktionen meistens überraschend: Einer wollte mich sofort umarmen. Er fand es toll, dass ich ihm so eine persönliche Sache erzählt habe. Ein anderer hat sich nach der Gesetzeslage erkundigt und dann nachgefragt, ob man neben der Eingetragenen Partnerschaft (bald Ehe für alle) denn auch noch eine Frau heiraten könne. Ein dritter kam auf einen afghanischen Brauch zu sprechen: Danach haben dort Männer in bestimmten Regionen Sex mit Kindern und männlichen Jugendlichen. Dem schloss sich ein längeres Gespräch über Vergewaltigung und Pädophilie auf der einen Seite, sowie Liebe und einvernehmlicher Sex auf der anderen Seite an.

 

Es ist eine Selbstverständlichkeit, die mir am häufigsten in den Sinn kam, als ich mit Geflüchteten über oder zu diesem Buch gesprochen habe: Schwule haben in großen Teilen Deutschlands die Möglichkeit, ein relativ unbeschwertes Leben zu führen. Welch eine Errungenschaft, welch ein Glück.