»Denn zu bewundern und zu schauen ...«

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Tausend und ein Abenteuer – – –

Vielleicht waren es auch nur neunhundert, vielleicht fünfhundert, vielleicht nur eine Handvoll. Aber so viel oder so wenig ihrer gewesen sind, so will ich sie lieben.

Ja, wer auf Abenteuer ausgeht, der wird sie auch finden, manchmal mehr, als ihm lieb ist! Von anderen habe ich schon in vielen Büchern berichtet, und wenn ich mich nun hinsetze, um von diesen letzten zu erzählen, die mir im Lauf des vergangenen Jahres über den Weg gelaufen sind, in Afrika, in Australien, in der Südsee, in Japan, in der Mandschurei, in Sibirien und Moskau, so bleibe ich auf einmal mitten im vollen Menschenleben stecken. Es geht nicht ganz in einen Band, wenn er sich nicht zu einem Ungetüm auswachsen soll.

Ein Jahr lang war die Welt wieder mein ... Ein Jahr lang war ich wieder Weltwanderer, wieder Soldat im Heere der Heimatlosen, die unstet umherschweifen, Landsknechte des Glücks und der Unruhe.

Und warum?

Frage das Meer und den Wind und die Wolken. – Einmal las ich in Kiplings Balladen den Stoßseufzer eines Soldaten, den ich hier wiedergebe in schlechtem Deutsch:

»Denn zu bewundern und zu schaun,
Zu wandern, auf ein Nichts gestellt,
Was Gutes bracht's mir nie im Traum –
Könnt's doch nicht lassen um die Welt!«

So etwas wird zur Gewohnheit. Es ist ein Gift wie manches andere, ein schaffender Teufel, der aus biederen, zu allen Bürgertugenden geborenen Menschen zuweilen Geschöpfe macht, die widerhaarig und unleidlich sind, Tiere, die man tanzen lehrte mit vielen Schlägen und schmalen Bissen, hoffnungslose Phantasten, gehetzt von Dämonen der Unrast. –

»Nicht doch«, sagt Zarathustra zum sterbenden Seiltänzer, »du hast die Gefahr zu deinem Berufe gemacht; so will ich dich mit meinen Händen begraben!«

Winnipeg (Kanada), im September 1929.

Kurt Faber

1
Fahrt nach Südwest

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Noch einmal in Antwerpen / Die »Olle mit die vier Meisjes« / Sie beliebt mich nicht zu kennen / Wieder unterwegs / Olle Afrikaner / Von Farmlöwen und anderen Dingen / Desdemona im Zwischendeck / Endlich in Afrika

Der Anfang war vielversprechend. Ein nasser, kalter, unfreundlicher Tag. Die Nässe spiegelte sich im Asphaltpflaster und dicke Nordseenebel hingen um die hohen Häuser. Ab und zu kam eine Regenschauer auf Flügeln des eiskalten Windes, der pfeifend um die Ecke fegte. – Wahrlich ein Wetter, in dem man keinen Hund auf die Straße schicken mochte.

Noch einmal in Antwerpen! Zum letztenmal – wann war es doch? – vor vielen, vielen Jahren, so ungefähr Anno 1913, da fuhren wir nach langer Reise mit dem Segelschiff die Scheide hinauf in richtigem seemännischem Stil. Damals – da kamen die Herren Heuerbaase Anwerber der Schiffsmannschaft schon in Vlissingen mit der Schnapspulle an Bord und klopften jedem väterlich wohlwollend auf die Schulter und verkauften uns echt englische Anzüge, die nachher auch danach waren, und die beutelüsternen Gastwirte an der Lange Straat luden einen mit freundlichen Worten ein, und man war der Held in jeder Hafenkneipe, selbst ein Stück des Lebens, das da durch die Gassen flutete, so wild und lärmend wie die Brandung, die gegen die Hafenmole tobte.

Damals –

Aber welche Welt lag dazwischen! Und wieviel Weltgeschichte gerade hier! Zwar ist noch immer alles so, wie es war. Noch sind es dieselben Straßen, dieselben hohen Häuser, deren Stockwerke sich wunderlich übereinandertürmen, die dürren, wetterharten Gestalten mit den breiten Schirmmützen und den großen Halstüchern, ohne die man sich eine europäische Hafenstadt nicht recht vorstellen kann. Man verliert sich in den engen Gassen, wo es nach Motten und alten Kleidern riecht, wo aus dunklen Läden eine vielgestaltige Herrlichkeit bis in die Straße überquillt und man alles zum Verkauf ausbietet, von einem getragenen Überzieher bis zu der eigenen Seele. Ja, und da sind noch immer dieselben fahrenden Händler, um deren Buden ein süßer Duft von pommes frites und Brüsseler Waffeln schwebt. Die feinen Nebel ziehen zwischen den Schiffsmasten auf der Schelde, von überall kommt das Schnauben der Krane und der geschäftige Lärm der Docks. – So heimlich die Namen der Wirtshäuser, die am Wege stehen! »In 't Antje«, »de Scheldevriend«.

Ein schöner, alter Platz mit buckligem Pflaster kam mir besonders bekannt vor, trotz der vielen Jahre. Stand es da noch immer über der Tür des alten Hauses: »In 't Mientje«. Das war doch »die Olle mit die vier Meisjes«, die täglich mit ihren Karten nach dem Segelschiffhafen zu kommen pflegte. Die mußte ich mit meiner Kundschaft beehren, grade nur um der alten Zeiten willen. – Es war wirklich noch alles so wie einst. Der Laden noch so sauber geputzt und die Tische noch so blank gescheuert. Und rote Vorhänge an den Fenstern und auf der Theke ein mächtiger flandrischer Käse, der unter einer Glasglocke träumte. Und die Katze schnurrte vor dem Kachelofen ganz so wie damals, als ob nicht Generationen von Katzen seither gekommen und gegangen wären. – Ah, aber die Menschen waren anders! Das Meisje setzte das Weinglas grob auf den Tisch. Es war wohl schon das Meisje des Meisjes von damals, und das keifende Weib, das da im Hintergrund schimpfte – wer weiß? Es wurde einem übel, wenn man nur daran dachte! Aber da kamen von draußen ein paar Matrosen herein, und das Meisje blickte auf einmal wieder so freundlich und liebreizend wie das vor beinahe fünfzehn Jahren, und die dicke Madame lächelte so freundlich, wie das nur möglich war bei ihren Jahren, derweilen der Wirt ein Geldstück in den Musikkasten warf, der lärmend loslegte.

Inzwischen fing es an dunkel zu werden. Die Nacht kroch aus allen Ecken. Da und dort blitzten die Lichter in den fallenden Schatten. Nur der Turm der Kathedrale ragte noch stolz hinein in ein Meer von Licht. Die Glocken schlugen wirr durcheinander, genau so, wie sie es damals taten. –

Am anderen Morgen regnete es noch immer. Der ganze Himmel weinte, und das war gut so, denn so gab es wenigstens doch etwas in Antwerpen, das Rührung zeigte über meine Abreise. Im übrigen war es höchste Zeit, als ich mit meinen Siebensachen vor dem Dampfer »Toledo« ankam. »Man tau«, sagte der Mann, der sich eben anschickte das Fallreep hochzuziehen, »et ward all Tid!« Und schon warfen sie die Leinen los. Schon arbeiteten die Maschinen. –

Und wenn man es tausendmal gesehen und miterlebt hat, so erfaßt einen doch immer wieder dasselbe seltsame Gefühl bei der Abreise eines Dampfers. Freilich ist die Welt nicht mehr so wie zu Kolumbus' Zeiten. Schiffe kommen und gehen alle Tage zwischen Ländern und Meeren, ohne daß ein Hahn danach kräht, ohne daß auch nur eine mitfühlende Musik ein »Muß i denn, muß i denn zum Städtele naus« spielt. Es geht alles so sang- und klanglos, so empörend nüchtern und geschäftsmäßig zu, und doch ist das Abschiednehmen noch um kein Jota leichter geworden für die, die da am Kai noch ein letztes Wort, einen letzten Blick zu erhaschen suchen, ein wenig mitrennen mit dem davongleitenden Schiff, bis die winkenden Taschentücher sich im Grau des Herbsttages verlieren. So viel Betrieb, so viel gemachte Lustigkeit, so viel krampfhaftes » keep smiling«, »Immer lächeln«, Schlagwort zur Bezeichnung einer grundsätzlich optimistischen Lebenseinstellung das nicht echt ist! Nirgendwo wird jahraus, jahrein so viel und so gut Theater gespielt wie an den Kais der Dampferlinien. –

*

Auf Schiffen ist es heutzutage nicht anders wie auf der Eisenbahn: das beste Publikum fährt in der letzten Klasse. Freilich – was wissen die Leute, die heute in den ach so komfortabel eingerichteten dritten Klassen unserer modernen Überseedampfer fahren, von der Hölle des Zwischendecks, die noch vor gar nicht langer Zeit in allgemeiner Geltung war, jenen schwimmenden Menschenmenagerien, in denen die lebende Fracht wie gepökelte Heringe auf dumpfen Pritschen im Halbdunkel eines kahlen Schiffsraumes lag, wo Atem und Dunst von zahllosen Menschen wie eine Wolke um die düster brennenden Petroleumlampen hing, wo es nach faulen Strohsäcken, sauren Speiseresten und sonstigen schönen Dingen duftete, wo man seinen Blechteller vor den lauernden Zigeuneraugen verstecken mußte und wo überhaupt einer des anderen Wolf war während der ganzen langen Reise. Und doch hatte auch das seine großen Reize, zumal in lauen Mondscheinnächten, wenn die See ringsum so glatt war wie ein Spiegel und nichts lebendig, als der Rauch, der qualmend zum Himmel stieg. Wenn dann bei sinkender Nacht die drückende Sonne vom Verdeck gewichen war und so etwas wie Kühle durch das Tauwerk zog und ein Matrose seine »Quetschmaschine« und die Zigeuner ihre Geigen hervorholten und alles ringsum sich im Kreise bewegte, da war man einmal wieder für ein paar glückliche Stunden versöhnt mit der christlichen Seefahrt.

Ach, aber die Zeiten sind inzwischen kalt und kälter geworden! Kein Platz mehr für rauhe Romantik in dieser nüchternen Welt. Und doch –

Es müßte einer blind sein und ohne Phantasie, wenn ihn nicht auch heute noch das wehmütig bange Gefühl erfaßte beim Ansehen dieser Fracht von Hoffnungen und Illusionen, die sich den Himmel versprechen und oft die Hölle finden.

Himmel und Hölle, diesmal in Südwest.

Was ist es nur um dieses Land, daß es nach wie vor die deutsche Wanderlust weckt? Was wünschen, was hoffen, was versprechen sich alle diese Menschen, die ein tolles Schicksal aus den verschiedensten Lebenslagen zusammengewürfelt hat?

Da sind zunächst die alten Afrikaner, die da nach langen Jahren der Trennung wieder zurück zur altgewohnten Sonne fliegen wie die Motten zum Licht. Der »olle Afrikaner« auf Reisen ist ein Studium für sich. Meist ist er leicht zu kennen; ein Abbild seines Landes. Lang, dürr, ausgetrocknet in mehr als einer Hinsicht zwingt er einem geradezu den Gedanken auf: dieser Mensch kann nur aus Afrika kommen! Von anderer Gesellschaft hält er nicht viel. Der Mensch fängt bei ihm erst beim Südwestafrikaner an. Gleich bei der Abfahrt von Hamburg sieht er sich nach seinesgleichen um und sagt einen Dauerskat bis Swakopmund an. Zwischendurch werden alte Erinnerungen von der »Pad« und vom Feldzug aufgefrischt und ein Jägerlatein verzapft, vor dem die Löwen in Busch und Namib schamrot werden würden, wenn sie es hörten. Und dann gleitet das Gespräch unmerklich auf das Gebiet der Farmlöwen, und das ist auch ein Thema, über das man Bände reden kann. Schon immer war Südwest das Land der verlorenen Söhne, nach dem man böse Buben abschob, wenn zufolge Beschluß des Familienrats ihres Bleibens in Deutschland nicht mehr länger sein konnte. Südwest war da gerade weit genug, und die Farmer im neuen Lande, denen sie zur Erlernung des Handwerks als »Farmlöwen« zugeteilt wurden, hatten ihre liebe Mühe, ihren Ärger und manchmal ihr Pläsier an ihnen. Auch heute erzählt man sich die Geschichte von jenem gräflichen Farmlöwen, der immer schon vorzeitig zu Ende war mit seinen Monatsapanagen. Dann verwandte er seine letzten Groschen zu einem dringenden Telegramm an seine lieben Verwandten in Deutschland: »Komme mit dem nächsten Dampfer.« Der erhoffte Erfolg blieb nie aus.

Heute, nachdem die Grenzen wieder geöffnet sind, kommen wieder Farmlöwen, aber es ist eine andere Sorte. Nicht mehr der Leichtsinn, die Sorglosigkeit, die Sektgelage, der glorreich gefüllte väterliche Geldbeutel. Nüchtern und illusionslos ist man geworden, voll von moderner Sachlichkeit. Aber nicht alle, besonders nicht die zukünftigen Farmlöwinnen. Da war eine an Bord der »Toledo« – Exwandervogel, Rohköstlerin, Steinerianerin im Nebenberuf und im übrigen Tom Mix ins Weibliche übersetzt, mit einem Cowboyhut und Wasserstiefeln, als ob man drüben so etwas brauchen könnte. Und eine andere – ach Gott, welche Schicksale enden auf Auswandererschiffen! – Dame in den sogenannten besten Jahren. Schon etwas beleibt, schon etwas angegraut, schon etwas ungeschickt auf den Beinen. Früher Schauspielerin, sogar berühmte Schauspielerin in England. Großes Haus. Viele Verehrer. Krieg, Internierung, Inflation. Armut in Berlin. Pellkartoffeln zum Nachtessen. – Nichts für Madame! Verkauft den letzten Möbelplunder mitsamt den bisher so eifersüchtig gehüteten Souvenirs aus besseren Tagen, die Kotillongeschenke des Lords, die Tanzorden der Großfürsten. Auf nach Windhuk vis-à-vis de rien. dem reinen Nichts gegenüber – Aber warum nicht? Was ein rechter Schauspieler ist, dem wird es nimmer fehlen an den Enden der Erde.

Ja, das Auswandern nach Südwest ist heute eine ernste Angelegenheit, der letzte Strohhalm, an den sich mancher klammert, nachdem alle anderen versagten. Die Ungewißheit geht um auf dem Schiffe, und so ist es gut, daß es zur Ablenkung der Gemüter ab und zu etwas zu sehen gibt.

An einem wunderschönen, sommerlich blauen Morgen tauchten die Bergspitzen von Madeira aus den Fluten auf.

Es gibt Orte, die man schon um ihres Namens willen liebt. Madeira – hört sich das nicht an wie weicher Wind und sanfte Harfenklänge, wie blaues Meer und blauer Himmel und Sonne und Farben und süßer Wein, bei dessen Anblick allein schon die Welt des Südens aus dem Glase steigt?

Und wenn man denkt, daß dieses Zauberwort nichts anderes heißt als Holz, einfach Holz. – Ja, das klingt sehr nüchtern, und mit Fug und Recht möchten wir bezweifeln, ob dieses Zauberland noch den gleichen Nimbus hätte, wenn man fürderhin etwa sagen müßte: »Kommerzienrats haben heuer die Saison auf Holz verbracht.«

Und doch – Holz oder nicht; diese Inseln sind schön, wenn man zuerst in zarten Umrissen die hohen Berge aus der blauen Flut aufsteigen sieht, die einen eben erst noch in der Nordsee, im Kanal, in der ††† Biskaya mit allen Schrecken der Seekrankheit geplagt hat. Hier endlich ist Sommer und Sonne.

Die Berge schimmern grün in der Ferne. Die weiße Brandung bricht sich an der steilen Küste. Es ist so recht eine Landschaft, die Dichter begeistern könnte, und wenn wir es nicht ganz genau wüßten, daß er nie über das Schwabenland hinausgekommen war, so könnte man wohl auf den Gedanken kommen, daß Mörike im Anschauen dieser Küsten die Verse schrieb:

»Du bist Orplid, mein Land,
Das ferne leuchtet!
Vom Meere dampfet dein besonnter Strand.«

Oh, hätte man nie mehr als das von Madeira gesehen! Aber es ist hier nicht anders als in anderen südlichen Plätzen, wenn bei näherer Betrachtung der betörende Glanz der Farben zerrinnt und Menschliches, allzu Menschliches nackt und bloß im grellen Lichte steht.

Man wandert über die Mole von Funchal, die schwarz ist von Kavalieren, die den Werktag zum Sonntag machen. Sie stehen auf der Praca und spucken; sie sitzen im Café und lesen mit Andacht den Correio do Funchal. Überall ist es lebendig von schwarzgelockten Gassenbuben, die einem die Schuhe putzen wollen, von gefälligen Leuten, die einem ihre Dienste als Bärenführer anbieten.

Die beste Weinkneipe, den schönsten Aussichtspunkt, das Grabmal des Kaisers Karl. Es gibt nichts zwischen Himmel und Erde, das sie einem nicht willig zeigen würden gegen eine kleine Vergütung. Und dann sind da die Fuhrleute mit ihren wunderlichen Ochsenschlitten, auf denen man sich unter rotem Baldachin zur Not wie ein König vorkommen kann. Man wandert durch diese fremde Welt in engen Gassen, die zu beiden Seiten von Wirtshäusern überquellen, Gassen, in denen es nicht nur nach Madeirawein riecht, und es ergreift einen ein peinliches Gefühl der Unwirklichkeit, als ob man nicht mehr sein eigenes Selbst wäre, sondern ein wesenloses, unwirkliches Objekt der Fremdenindustrie, ein wandelndes Pfund Sterling, eine begehrenswerte Mark, ein allmächtiger Dollar, nach dem diese seltsame Stadt mit tausend Polypenarmen greift.

Eine ganz enge Gasse führte steil bergauf zwischen hohen Mauern, hinter denen man die Schönheit der Gärten nur ahnen konnte. Bald wurde es lichter ringsum. Zuckerrohrfelder wiegten sich leise im Winde. Weiße Landhäuser standen in hellen Bananenhainen. Der Duft der Blumen lag schwer und berauschend in der Luft. Der Abend stand rot über dem Meere, und an den Hügelhängen entzündete sich ein Kranz von Lichtern. Wie still es hier war! Wie weit entfernt vom Lärm der Gasse und der plappernden Stimme der Fremdenführer!

Ein dünnes Stimmchen läßt sich klagend und bittend dicht neben mir vernehmen.

Galgenstrick, der du dich trinkgeldlüstern an meine Ferse geheftet! Aber wer vermochte je den großen, schwarzen Glutaugen eines südländischen Bambino kleines Kind zu widerstehen? Sie schauen dich an, als ob sie Generalpardon erflehten für alle sündhaften Lazzaroni, Bettler für jede Lüge eines Fremdenführers. Und sie tun es auch.

O Sonne von Madeira! O süße Unmoral dieser schwülen Luft! Später – wenn es Gottes Wille ist – werde ich noch einmal zu diesen Ufern kommen, aber nicht als landflüchtiges Objekt der Fremdenindustrie, sondern als seßhafter Wintergast. Und werde alsdann mit den anderen im Kaffeehaus sitzen und im Correio do Funchal lesen, ich werde mit Don Silva da Costa auf den Weinfässern sitzen und die Politik erörtern und werde dem bunten Gewimmel auf dem Markte zuschauen und mich verirren in dem Hexeneinmaleins von Pfunden, Dollars und Eskudos, portugiesische Münze = RM. –,15 das hier in Geltung ist. Und werde mit offenen Augen zusehen, wie sie mir mit Grazie die falschen Fünffranksstücke andrehen, und mich nicht einmal darüber ärgern, weil es gerade so und nicht anders sein muß in Sommer und Sonne dieses lachenden Landes. –

Aber wie mancher ist schon an diesen Inseln vorbeigefahren, nach Südafrika, nach Südamerika, und fortan haben sie jahrelang in seinem Gedächtnis fortgelebt als wahre Inseln der Seligen, denn hier hatte er die letzten Stunden ungetrübter Freude erlebt, ehe das wilde, rauhe Leben, das hemdsärmelige Auswandererschicksal ihn beim Schopfe nahm und nicht mehr zur Besinnung kommen ließ in manchen Jahren. So mag es auch manchem gehen, der damals an Bord der »Toledo« die Ausreise antrat.

Wir fuhren längs der afrikanischen Küste, und es war afrikanisch heiß. Die See war glatt und still wie Öl. Die Hitze kroch durch alle Sonnensegel. Einige Tage später wurde es kühler. Ein feiner Dunst stieg aus dem Wasser. Weit in der Ferne, im unsicheren Licht über dem Horizont tauchte eine flache, kahle, gelbe Küste auf, die unsere landhungrigen Augen gierig verschlangen. Einige, die in der Geographie Bescheid zu wissen glaubten, meinten, sie gehöre zum belgischen Kongo, andere rieten auf Portugiesisch-Angola, aber der Bootsmann, der dazukam, machte dem Argument ein Ende.

»Das da«, sagte er mit grimmigem Schnurrbartstreichen, »das ist immer noch Deutsch-Südwestafrika!«

2
Jim macht Dampf

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Ankunft in Walfischbai / Südwest im Morgengrauen / Die Angst vor dem Immigrationsoffizier / Er läßt mit sich reden / Der staatsgefährliche Weihnachtsbaum / Sandwichmann im Wüstensand / Beamtenlachse / Vorstadt von Hamburg / Jakobus in der Kaiser-Wilhelm-Straße / Spuk in der Namib / Man feiert Siegesfest / Jim macht Dampf / Es bekommt der Lokomotive schlecht / Endlich in Windhuk

So waren wir endlich in Südwest! Aus dem Grau des dämmernden Tages sondert sich die Küste ab. Schön im landläufigen Sinne ist sie keineswegs, und man müßte lügen, wenn man behaupten wollte, daß sie auch nur einigermaßen einladend aussähe. Und sie gewinnt auch nicht bei näherer Betrachtung. Wie mancher mag hier schon an Deck gestanden haben mit süßsaurer Miene im Angesicht des Landes, das er sich zur neuen Heimat auserwählt hatte, derweilen es ihm ein wenig kalt über den Rücken lief beim Anblick der gelben Sanddünen, die kahl und tot in der grellen Sonne stehen. Nicht jeder konnte sich, wie einst Peter Moor, zu dem Gedanken aufschwingen, daß das nur eine von der weisen Natur errichtete Kulisse sei, damit die Löwen keine nassen Füße bekommen.

Der Schlepper führt uns hinein in die Bucht von Walfischbai, und das ist keine kleine Kunst, denn obwohl es eine sehr geräumige Bai ist, ist sie doch übersät mit wandernden Sandbarren, von deren Gefährlichkeit manches halb versandete Wrack ein beredtes Zeugnis ablegt. Seit einigen Jahren hat sie einen ernsthaften Anlauf zu einem ordentlichen Hafen genommen. Es wurden Kaianlagen errichtet, an denen die Schiffe langseits gehen können, und dicht am Wasser erhebt sich das recht stattliche, aber unschöne Haus der »Cold Storage«, die Gefrierfleischanstalt, als einzig nennenswertes Gebäude in der weiten Umgebung. Wenn es nun auch nicht viel zu sehen gibt, so bekommt man um so mehr zu riechen; ein furchtbar penetranter Gestank, der wie eine Wolke über die Bai herüberkommt von den Blechbuden der Walfischstation, wo sie eben dabei sind, die Meeresungeheuer auszukochen.

Aber viel Zeit bleibt nicht zu solchen Beobachtungen, denn schon ist der englische Immigrationsoffizier an Bord, und das würgt einem ein wenig in der Kehle in diesem deutschen Koloniallande.

Rede einer vom deutschen Bürokratismus! Er ist gewiß nicht immer erfreulich – das wäre auch zuviel verlangt! – aber man weiß, woran man mit ihm ist. Nicht so beim englischen, der unendlich langsam und schwerfällig arbeitet. Er hüllt sich in zweideutige Redensarten wie ein delphisches Orakel. Er wiegt seine Opfer ein in falsche Hoffnungen. »I am sorry – I shall see what I can do for you –.« Es tut mir leid – ich will sehen, was ich für Sie tun kann Und dann tun sie am Ende gar nichts, und das mit dem Bedauern ist auch nur so ein echt englisches Wort, bei dem sich jeder etwas anderes denken kann.

So auch der Immigrationsoffizier. Er kommt nicht allein. Mit ihm kommen ein Kollege und ein deutscher Dolmetscher. Letzterer tut die ganze Arbeit. Er redet mit den Leuten. Er fragt sie aus nach dem Woher und Wohin. Er erkundigt sich nach ihrem Vorleben, ihrer Gesundheit, ob sie getauft, geimpft, ob sie schon einmal im Zuchthaus waren, und was sonst noch so an seltsamen Fragen im Formulare steht. Und alle die Zeit sitzen die beiden angelsächsischen Edelmenschen, die natürlich kein Wort Deutsch verstehen, dafür aber ein doppelt so hohes Gehalt beziehen, dabei und nicken gewichtig mit dem Kopfe.

Und gleich hier macht man eine lehrreiche Beobachtung: schon immer hat man sich darüber gewundert, woher es kommt, daß dieses mit Glücksgütern doch keineswegs überreichlich gesegnete Land einen so unwiderstehlichen Reiz auszuüben vermag auf alle, die einmal dort gewesen. – Nun wohl, hier offenbart sich uns das Geheimnis aus dem Munde des Dolmetschers bei jedem neuen Namen der Liste:

»Tag, Frau Müller! Auch wieder in Südwest? – Nanu, Herr Krause! Schlanker sind Sie man auch nicht geworden! – Sieh da, Herr Schulze! Na, ich sage ja nur, die Olle wartet schon in Tsumeb!«

Ja, so ist's! Da kommt es einem zum Bewußtsein gleich am ersten Tage, noch ehe man das Land betreten:

Südwest ist ein einziges großes Dorf, vom Oranje bis zum Kunene ...

Was bin ich, wenn ich nach Hamburg komme? Eine Null, ein Nichts, eine ärgerliche Bewegung im Wege. Hier aber ist ein großes heimatliches Land, in dem man Mensch ist und es sein darf, in dem jeder des anderen Vermögen und seine Bankschulden kennt, und seine Fehler und Gebrechen und seine Liebschaften und seine Leidenschaften, so gut und besser als er selber, in dem alles Menschliche umrankt ist von einer Legende von Buschklatsch.

Aber schon liegen wir langseits am Kai, wo die vielen Mohren, die hierzulande nicht schokoladenbraun wie anderswo, sondern schwarz wie Stiefelwichse sind, das ganz besondere Interesse unserer europäischen Neulinge erregen. Mancher mochte es sich wohl etwas anders vorgestellt haben unter dieser heißen afrikanischen Sonne.

»Kleider sind hier wenig Sitte,
Höchstens trägt man einen Hut
Oder einen Schurz der Mitte.
Man ist schwarz, und damit gut.«

Aber gerade der Aufwand von eigenartigen Toiletten ist es, der diesem schwarzen Gewimmel von Walfischbai seine besondere Note verleiht. Die meisten machen freilich einen ziemlich »z'sammg'stupften« Eindruck, doch kann man auch ganz löbliche Anläufe zu wirklicher Eleganz beobachten, wie z. B. bei jener farbigen Dame mit dem roten Sonnenschirm und dem Kapotthut von Anno Dazumal und bei dem Kavalier mit der fabelhaften Bügelfalte, der mit den anderen den Güterwagen vor sich herschiebt. Am Fallreep wird man von einer Menge begrüßt, die uns in einem mehr malerischen als verständlichen Deutsch ihre Dienste anbietet. Und auch das ist eine Überraschung für den europäischen Neuling, die zuweilen mit Schrecken gemischt sein mag wie bei jenem Trupp deutscher Auswanderer in Südbrasilien, die einen Neger antrafen, der tadellos plattdeutsch sprach, obgleich sein Gesicht tiefschwarz war. Da staunten die biederen Einwanderer. »Wie kommt denn das, daß du so gut deutsch kannst?« fragten sie den farbigen Gentleman. »Ja,« antwortet der, »das kommt nun mal so. Das Klima bringt das mit sich. Wartet nur einmal zehn Jahre lang und ihr werdet mindestens ebenso schwarz sein wie ich.«

Nun endlich ist das Schiff seiner Ladung ledig. Hier stehen wir herum, eine Fracht von alten Afrikanern und solchen, die es noch werden wollen, von alten Farmern und kommenden Farmlöwen und was sonst noch so von einem Schiff an Land gesetzt werden kann an Hoffnungen und Illusionen und gescheiterten Existenzen.

Wer heute nach Südwest auswandern will, der muß bei der Ankunft in Walfischbai fünfzig Pfund gleich tausend Mark Landungsgeld aufweisen können, und das zusammen mit den Reisekosten ist ein Batzen Geld, in dessen Besitz die meisten es sich zweimal überlegen würden, ehe sie sich zur Auswanderung entschließen. Aber es muß schon so sein, daß der Auswanderungskommissar beide Augen zudrückt, denn wie anders kann man es sich erklären, daß einige jener hoffnungsvollen Jünglinge schon im Zollschuppen von Walfischbai sich das Geld zur Reise nach Windhuk borgen mußten? In anderen Dingen, bei denen man es nicht für möglich halten sollte, ist man jedoch von größter Strenge. – Es kam da auch ein älteres Ehepaar, das in Anbetracht des kommenden Festes einen ganz hübschen kleinen Weihnachtsbaum in einem Topfe mitgebracht hatte. Der Beamte besah sich das corpus delicti von oben bis unten, schüttelte den Kopf, schaute in der Tabelle nach. – Lebende Pflanzen, Einfuhr verboten. Konfiszierte das staatsgefährliche Ding und versiegelte es, wie das Gesetz es befahl. –

Zehn Stunden dauerten diese Orgien des Bürokratismus, und man hatte währenddessen Zeit, die Sehenswürdigkeiten jener aufblühenden Stadt in Augenschein zu nehmen, die man freilich bequem in einer halben Stunde abtun kann. Da ist die Walfischstation, zu der man erwartungsvoll seine Schritte lenkt, um dann auf halbem Wege umzukehren, hoffnungslos besiegt durch den Pesthauch, der wie aus einem Vorhof zur Hölle von dorther kommt; da ist ein Hotel mit einem großen Namen und kleinen Akkomodationen, ein Café Royal, dessen Herrlichkeiten auf weißer Tafel in großen Lettern von einem Sandwichmann Träger von Reklameplakaten, die auf Brust und Rücken befestigt sind auf dem Kai spazieren getragen werden. Da ist eine Reihe von kümmerlichen englischen Normalhäuschen, die trostlos in der heißen Sonne stehen. Irgendwo erblickt man, sorgfältig eingehüllt in ein altes Zementfaß, ein schwindsüchtiges Tamariskenbäumchen, dem man es ansehen kann, wie sauer ihm seine Würde als alleiniger Vertreter des grünen Pflanzenreiches wird. Wohin man schaut, ist es eine Symphonie von Blechkannen und leeren Whiskyflaschen, welch letztere hier sogar als Einfassung dienen für das, was man mit einiger Kühnheit als Gartenbeete zu bezeichnen beliebt.

Es ist Mittag. Die Sonne steht im Zenit. Der Wind kommt vom Meere. Die Brise summt zwischen den Wellblechbuden. Die Konservenbüchsen kollern lustig in den Straßen. Der kühle Abend erst treibt die Menschen aus den Häusern. Da und dort bemerkt man dann ein Gewimmel von zwei oder drei Menschen, die eiligst zum Whisky oder zu den »Movies« Kinovorstellung gehen. Denn auch diese Armseligkeit hat ein Kinotheater. –

Das ist die Walfischbai, das ist das Tor zu diesem neuen Lande. Es ist wie jenes andere, über dem geschrieben stand: »Lasciate ogni speranza.« laßt alle Hoffnung fahren

Alles geht indes einmal vorüber: auch zehn Stunden in Walfischbai. Endlich hat das Züglein sich ermannt und fährt schnaubend davon, nach Swakopmund, immer dicht am Strande hin, zwischen jenen beiden ewigen Dingen: dem Meer und der Wüste. Kahl und tot ist die Gegend und doch von seltsamer Schönheit, jetzt wo die Sonne sich blutigrot zum Meere neigt und der Abend einen Goldstaub über Meer und Wüste wirft. Es ist, als ob die Natur mit lebendigen Farben wieder gutmachen wollte, was sie an sonstigem Leben versäumt hat. Dunkelviolette Schatten huschen über die blaue Meeresfläche. Weiß und wild tobt die Brandung an der gelben Sandküste. Da und dort wälzt sich wohlig ein Seelöwe, da und dort sieht man eine Schar Kormorane oder einen Zug von Flamingos in zartem Rosa der sinkenden Sonne entgegenfliegen. Da und dort brennt das Feuer vor einem Kaffernpontok, bienenkorbförmige Wohnhütte der Kaffern und überall am Strande sieht man das seltsame Zeug, das das ewig unruhige Meer herangespült hat, am seltsamsten unter diesem die kleinen Grundhaie, die ganz Maul sind und vom Volksmund »Beamtenlachse« getauft wurden.

In großem Bogen fährt das Bähnlein erst rings um den Ort herum, bis es endlich vor einem Bahnhof hält, der mit deutscher Solidität mitten im Sand der Wüste erbaut wurde. Draußen empfängt uns die seltsamste aller Straßenbahnen, die nach dem etwas abseits gelegenen Städtchen fährt. Was immer an Fahrgästen angekommen ist, wird mit Kisten und Koffern auf einen von zwei lustigen Mauleseln gezogenen Flachwagen gepackt, auf dessen Bänken in drangvoller Enge das Publikum sitzt, in der Hoffnung, daß der Herr nicht regnen lasse auf die Gerechten. Und er tut es auch nicht; denn in Swakopmund regnet es nie.

Petrus, der schwarze Zugführer, läßt die Peitsche knallen, Jakobus, sein womöglich noch schwärzerer Assistent, ruft die Namen der Hotels aus, Johannes, ebenso schwarz, springt ab und stellt die Weichen. Die Sonne ist schon untergegangen, und die Abendschatten liegen lang in den Straßen. Aber noch sehen wir genug der Dinge, die uns staunen machen und zugleich ein schönes, süßes Gefühl der Heimatlichkeit an diesem fernen Strande in uns wecken. In flottem Tempo geht es durch die Kaiser-Wihelm-Straße. Nun biegen wir ein in die Moltke-Straße und halten schließlich vor dem Hotel Fürst Bismarck. Weiterhin bemerken wir ein Hotel Kaiserhof, einen »Krug zum grünen Kranze«, und so geht es weiter. Wohin man schaut, sieht man nur deutsche Inschriften an den Häusern und an den Straßenecken. Wo man hinhört, spricht man deutsch. Noch immer ist Swakopmund, wie einst, die Vorstadt von Hamburg.

Vor dem Strandhotel, das aussieht wie jedes andere in Deutschland auch, nimmt Markus, der schwarze Hausknecht, unseren Koffer in Empfang, Lukas bemächtigt sich der Stiefel, Nikodemus richtet ein Bad. Wo immer drei oder vier von diesen zu sehen sind, da ist gleich auch die ganze heilige Familie versammelt.

Am anderen Morgen sind wir frühzeitig auf den Beinen und schauen den Ovamboleuten zu, die den Sand der breiten Straßen so sauber rechen, daß es einem ordentlich wie eine Entweihung scheint, wenn man mit plumpen Füßen dieses Vorbild deutscher Ordnungsliebe zerstört. Denn mehr als je legt Swakopmund Wert auf seine äußere Erscheinung. Der Traum eines Seehafens ist ausgeträumt; dafür fühlt man sich nun als kommenden Badeort, und das mit vollem Recht. Wenn es irgendwo auf dieser Erde noch einen Seestrand gibt, der vollkommener wäre als der von Swakopmund, so möchte ich wissen, wo er ist. Was immer zu den Erfordernissen eines solchen gehört, ist hier in geradezu idealer Weise vereinigt. Ein flacher, weicher, sandiger Strand, eine mächtige Dünung, die ewig donnernd dagegen anrollt, dazu in den Sommermonaten ein immer blauer Himmel von fleckenloser Reinheit und vor allem diese köstliche Ruhe, dieses seltsam anheimelnde kleinstädtische Milieu, das allein schon eine Medizin für zerzauste Nerven ist. In den Sommermonaten sind die Hotels überfüllt mit Gästen, die der Gluthitze des Innern entfliehen. Aber auch jetzt, wo die »Saison« noch nicht begonnen hat, sieht man die hier zur Schule gehenden Farmersbuben, die braun verbrannt und geradezu herausfordernd gesund aussehen. Die Jungens machen einen Diener, die Mädchen begrüßen uns mit einem Knicks. – Wo sonst passiert einem noch so etwas auf dieser Erde?

Wir gehen hinunter zum Strande, wo die Gärten stehen, die mit rührender Geduld den Kampf mit Meer und Wüste zu bestehen haben. Weiße Margriten und blutrote Geranien umsäumen die alte, längst versandete Mole, die heute als Badestrand eine Auferstehung feiert.

Nein, Swakopmund ist nicht tot! An diesem seltsamen Städtchen ist alles Kampf und Sieg und Niederlage und neue Auferstehung, so recht ein Musterbeispiel dafür, was deutsche Kulturpioniere zu schaffen vermögen, die unverzagt auch das Hoffnungsloseste überwanden.

»Wie rauscht das Meer um deine weißen Küsten
und singt ein Lied von alter Hansamacht!«

Längst schon ist die Sonne gesunken. Weiß schäumend bricht die Brandung aus dem nachtschwarzen Meere. Stetig blitzt das Licht vom Leuchtturme. Nur ab und zu schreit ein Pinguin, nur ab und zu kreischen die Kormorane, die sich auf dem Brückenkopfe eingenistet haben.

O süße, erhabene Ruhe dieser Märchenstadt zwischen Meer und Wüste! Wie lange noch? Wie lange wird es dauern, bis ein geschäftstüchtiger Impresario auch dieses Idyll entdeckt und in verwässerten Aktien zu einer Limitedcompany emporgepufft haben wird? Dann wird es aus sein mit dem niedlichen Strandcafé zwischen den roten Geranien, dann werden keine »Hühnersteige« mehr über die Sandstraßen führen, keine Mädchen mehr knicksend den Vorübergehenden begrüßen. Es wird alles Zement und Asphalt und Pikkolos und Zahlkellner und Golfklubs und mondäne Toiletten sein. Der Benzingestank wird die Pinguine vertreiben und das Heulen des Saxophons das Meeresrauschen übertönen. Die Hausplätze an diesem Strande wird man alsdann per Quadratmeter handeln, und geschäftige Landagenten werden ihre Zukunft in schreienden Zeitungsanzeigen preisen.

Aber das Swakopmund, das wir lieben, diese anheimelnde Vorstadt von Hamburg am südlichen Strande, wird dann für uns in Wahrheit eine tote Stadt sein.

*

Je größer die Entfernungen, desto langsamer die Zugverbindungen. Das ist eine Regel, von der die südwestafrikanischen Eisenbahnen wahrlich keine Ausnahme bilden. In der glühenden Mittagshitze sitzen wir auf dem Bahnsteig von Swakopmund, wo Tickets und Kaartjes verkauft werden, und ringsum das »Nix deutsch« von allen Wänden schreit. Nur englisch und »afrikaans« die Inschriften, einerlei, ob es einer versteht oder nicht. Puffend und fauchend steht die Lokomotive, beinahe so, als ob sie es eilig hätte. Noch einen Blick erhaschen wir von dem blauen Meere, noch eine Nasevoll von der weichen Seebrise, die frisch und lebendig von dorther kommt, ehe es hineingeht in den Glutofen der Wüste, die feindselig unter der hellen Sonne steht.

»Wüstensand und Sonnenbrand,
Das war alles, was ich fand.
Als ich ging so ganz allein
Tief nach Afrika hinein.«

Sand und Sonne ist hier alles. Schweigende Einsamkeit und trostlose Dürre. Die Sonnenstrahlen fallen senkrecht in den Sand, und die kahlen Bergkuppen in der Ferne werfen sie zurück in flimmernden Wellen. Es ist eine Gegend, die auffallend viel Ähnlichkeit hat mit den Salpeterwüsten des nördlichen Chile, auf der Strecke, die von Antofagasta nach Bolivien führt. Genau wie dort, so steigt auch hier die Bahnlinie schnell bergan, ohne daß man im äußeren Landschaftsbilde viel davon gewahr wird, wenngleich das Schnauben der hinten und vorne angekoppelten Maschinen etwas davon ahnen läßt. Nur ab und zu sieht man ein Bahnwärterhäuschen, das trostlos in der heißen Sonne steht. Das Wellblechdach funkelt weithin in der Wüste, eine Ziege knabbert an einer alten Zeitung, ein paar Kaffern liegen faul in der Sonne. Sonst ist nichts zu sehen als der Sand und nichts zu hören als der Wind, der eintönig in den Telegraphendrähten summt. Heutzutage sind es Buren, die hier als Streckenwärter fungieren und sich offenbar auch ziemlich wohlfühlen inmitten einer Schar von Jongens und Meisjes, von denen pünktlich in jedem Jahre aufs neue eines das Licht der Wüste erblickt. Wie man aber früher einmal deutsche Menschen finden konnte, die um ein geringes Entgelt sich dazu bereit finden ließen, die schönsten Jahre ihres Lebens in diesem beschaulichen Martyrium zu verbringen, das ist uns heute noch nicht verständlich.

Aber noch etwas anderes sieht man hier in der Wüste stehen, unweit Swakopmund, dort, wo die ersten Dünen beginnen. – Was ist es nur? Ein Automobil, eine Dampfwalze, ein ultramoderner Tank? Es ist ein eigenes Ding und eine große Hoffnung liegt mit ihm begraben, hier im Sande. Im Aufstandsjahre 1904, als die Eisenbahn noch nicht ging, erschien es einem Berliner Geheimrat als das einzig wahre Transportmittel zum Nachschub für die kämpfenden Truppen. So wanderte es vom grünen Tisch direkt in die Namib. Aber in der ersten Düne blieb es stecken und da steckt es heute noch. Fortan aber hieß und heißt es nur noch der »Martin Luther«. (Hier stehe ich, ich kann nicht anders.)

Aber einmal nimmt auch die Wüste ein Ende und mit ihr der Sand und die Salzbüsche. Unmerklich zieht sich ein brauner Schimmer über die Hügel. Gelbes Steppengras wuchert am Bahndamm. Schon tauchen vereinzelte Kameldornbäume auf. Von Stunde zu Stunde wird es schöner. Wohin man schaut, sieht man die schwarzen, seltsam verzerrten Dornbuschbäume. Das gelbe Gras wiegt sich im Winde. Die hohen Khanberge, die unseren Lauf schon eine Zeitlang im Süden begleiteten, leuchten plötzlich rot auf in der sinkenden Sonne. Ein feiner Goldstaub liegt über der Steppe. Tiefdunkelblau leuchtet der Himmel, und ringsum ist es ein Sprühen und Leuchten von Farben, die einem ein blasierter Europäer niemals glauben würde, wenn es wirklich gelänge, sie so, wie sie sind, auf die Leinwand zu bringen. Das ist der Zauber der Steppe. Das sind die Farben von Südwest!

Schon ist es ganz dunkel. Man sieht nur die Nacht und die Sterne und die Schatten der Dornbüsche, die gespensterhaft in der Landschaft stehen. Von fernher blitzen ein paar Lichter, die einem ordentlich deplaciert vorkommen in dieser endlos scheinenden Wildnis. Ehe wir's uns versehen, fahren wir in den Bahnhof von Usakas ein, von wo die Otawibahn nach dem Norden abzweigt. Es herrscht ziemlicher Betrieb auf dem Bahnsteig. Die ganze Bevölkerung hat sich, nach uraltem Brauche der Kleinstadtbewohner, zur Begrüßung des Zuges versammelt. Eine babylonische Sprachverwirrung von Deutsch, Englisch, Afrikaans und Herero beleidigt die Ohren. Zumal die Engländer treten sehr in die Erscheinung an diesem Eisenbahnknotenpunkt, denn selbstverständlich haben sie alle fetten Posten im Bahndienst für sich reserviert, in Südwest wie überall sonst in dem großen Reiche, das längst aus einer machtpolitischen Einheit herabgesunken ist zu einem Zweckverband zur Beschaffung von Sinekuren müheloses, einträgliches Amt für die Söhne Britanniens. Ob einer dabei auch was versteht von seinem Amte und es genau nimmt mit seinem Dienste, ist eine Konsideration, die erst in zweiter Linie kommt. Hauptsache ist, daß er zur Edelrasse gehört.

Und nun muß ich in diesem Zusammenhange meine Feder tief eintauchen, um von Dingen und Vorgängen zu berichten, die mir der europäische Mensch – trotz aller Wundergläubigkeit für afrikanische Abenteuer – so ohne weiteres gar nicht glauben wird.

Schon in Usakas war mir die große Zahl freudig erregter junger Männer und Mädchen aufgefallen, die mit großen, roten Blumen im Knopfloch den Zug bestiegen.

»Hallo, Jim«, rief einer dem Lokomotivführer zu, »mach' Dampf! Wir kommen zu spät auf den Maskenball.«

Jim tat, wie ihm geheißen. Er machte Dampf. Der Zug schwankte wie ein Schiff bei hohem Seegang, und währenddem wurde es allenthalben lebendig von Clowns, Dominos, Don Quichotes, Sancho Pansas und dergleichen Gestalten, deren Daseinsberechtigung uns nicht recht einleuchten mochte in Anbetracht der noch etwas entfernten Karnevalszeit. Die Clowns – das waren verkleidete Eisenbahnbeamte und der größte Clown saß auf der Lokomotive.

Jim machte noch mehr Dampf. Die Lokomotive selbst wurde angesteckt von der allgemeinen Festesfreude. – Heisa! Heut war ja der elfte November! Armisticeday, Waffenstillstandstag. Gedächtnistag für zehn Millionen Tote. Das mußte gefeiert werden. In einer Kurve bockte die Maschine. Die Steigung war doch etwas zu stark für ihren schon in der Vorfreude des Festes erschöpften Atem. Wieder und wieder fuhr sie mit dem Zuge zurück und rannte gegen das Hindernis wie ein bockiger Maulesel, dem man das Springen beibringen will. Glücklicherweise war es eine herrlich schöne, milde Mondnacht. So stiegen wir alle aus und betrachteten uns das Sekundärbahnidyll von außen.

»Zwei zu eins, daß ihr nie da hinaufkommt«, sagte ein langer Engländer.

»Gemacht!« sagte Jim und wieder brauste die Lokomotive gegen den Berghang. Aber Jim verlor die Wette.

»Drei zu eins!« rief es im Chor. Jim nahm auch diese Wette an.

So ging es weiter. Die Wetten wuchsen, aber als sie zehn zu eins auf dem Mißerfolg standen, entschloß man sich, den Zug auseinanderzunehmen und stückweise nach Karibib zu fahren. Dort angelangt, verschwand das gesamte Zugpersonal, um zunächst einmal in einem nahen Wirtshause Waffenstillstand zu feiern. Das dauerte drei Stunden, währenddessen nichts zu hören war als das Klanken der großen Windpumpe am Bahnhof und das Zirpen der Grillen in der Stille der Nacht. Als sie wiederkamen, waren sie samt und sonders drei Strich im Wind und gerade in der Stimmung, ihre frohe Festeslaune an der Lokomotive auszutoben. Aber es war ein kurzer Spaß. Schon nach zwei oder drei weiteren Stationen blieb der Zug stehen, trotzdem sie alle Ventile öffneten und aus Leibeskräften an dem Feuer rüttelten. Eine Stunde verging und noch eine. Längst war der Tag schon wieder angebrochen, aber die Maschine rührte sich nicht. Die Reisenden stiegen aus, steckten mit afrikanischer Gemächlichkeit ihre Pfeifen an und berieten, was da nun zu tun wäre. Einige stiegen auf die Plattform der Lokomotive, guckten ins Feuer und gingen kopfschüttelnd wieder fort. Andere schlüpften zwischen die Räder und betrachteten das widerspenstige Ding von unten, ohne jedoch zu einem besseren Resultat zu kommen. Zuletzt kam noch ein deutscher Schlosser herbei, der sich auskannte. – Freilich, wie konnte man selbst einer afrikanischen Maschine irgendwelche Arbeit zumuten, wenn aus durchgebrannten Kesselrohren das Wasser auf den Bahndamm lief! Per Telephon – das wenigstens war nicht defekt – bestellte man eine andere Maschine, die denn auch nach geraumer Zeit endlich angefahren kam und diesem afrikanischen Eisenbahnidyll ein Ende machte. Der Zug wurde zur nächsten Station geschoben, wo man die infolge des Waffenstillstandstages so glorreich verwundete Lokomotive auf ein Seitengleis schob, mitsamt den beiden noch immer nicht ganz ernüchterten Führern, die übers ganze Gesicht strahlten in Erwartung der Bezahlung für die vielen Überstunden.

»Oh, it was good sport! What fun we had!« Oh, das war eine feine Sache! Was hatten wir für einen Spaß!

»Nichts Neues!« sagten die Mitreisenden mit gleichgültigem Achselzucken. »Kein Grund zur Aufregung. Man ist eben in Afrika, in Südwestafrika. Das ist der Schuttabladeplatz für allen Plunder, menschlichen und anderen, aus der südafrikanischen Union. Nicht wert, daß man sich darüber aufregt.«

Es ist jedoch ein schlechter Wind, der niemand zuliebe bläst.

Wären wir bei Nacht und Nebel von Karibib weitergefahren, so hätte ich nie geahnt, welch liebliches Land zwischen dort und Windhuk liegt; lieblich nicht im herkömmlichen Sinne, sondern so wie man es bei Steppenländern haben will, mit dem berauschenden Eindruck der unermeßlichen Weiten und den glühenden Farben, die darauf liegen. Noch stand alles verstaubt und dürr, in Erwartung der Regenzeit, die in einigen Wochen fällig sein mußte. Das gelbe Gras zog weithin über die Hügel. Überall glucksten die Perlhühner, ein Rudel Kuduantilopen schaute gemächlich und nicht ein bißchen scheu dem Teufelsding aus Frankistan nach, das heulend und fauchend durch seine Steppe zog. Ab und zu sah man eine Herde Bockies im Busch. Von menschlichen Wohnungen kaum irgendwo eine Spur. Noch nicht einmal eingezäunt ist dieses Land des weiten Raumes und der großen Entfernungen.

Okahandja stand auf der Tafel einer größeren Station. Es ist ein Name, der allen Deutschen geläufig ist oder doch sein sollte, denn dieser Platz hat viel deutsches Blut getrunken. Hier war es, wo der mächtige Häuptling Samuel Maharero seine Werft hatte, von der eines Tages das Stichwort ausging zur Ermordung der Farmer. Hunderte von braven deutschen Kulturpionieren mußten damals ihr Leben lassen, aber freilich – wären es Engländer gewesen, hätte man sich in der Heimat darüber aufgeregt, wären es Buren gewesen, so hätte man ihnen Heldengedichte gewidmet, wären es Armenier gewesen, so hätte man für sie gesammelt. So aber redete man von der Streusandbüchse und von Hottentottenkralen und kam sich wunder wie gescheit dabei vor, bis dann die anderen den Braten rochen, und heute – ja heute –!

Im Busch stehen ein paar kümmerliche Pontoks. Um das Feuer lungern die ehemaligen Herren dieses Landes, die einst wie Könige mit ihren Rindern von Wasserstelle zu Wasserstelle zogen. Große, stattliche Männer in billigen europäischen Lumpen. Die Weiber gar sind eine Erscheinung in ihrer hohen, turbanartigen Kopfbedeckung und den langen, aufgeplusterten Röcken, die wie ein stummer Protest wirken auf das Ideal der modernen schlanken Linie.

Vorbei der Glanz des Hererovolkes.

Vorbei auch der kurze Traum der deutschen Herrschaft. Und doch ist hier der Grund uneben von Gräbern, die es laut verkünden, selbst wenn es die Menschen nicht mehr wahrhaben wollten:

»Ich aber kann des Landes nicht, des eignen,
Schmerzerfüllte Frage mißverstehen,
Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen,
Wie tief sie auch im Unkraut heut vergehen.«

Um aber auf die Geschichte zurückzukommen: am späten Nachmittag fuhren wir mit der Kleinigkeit von zwölf Stunden Verspätung in den Bahnhof von Windhuk ein.