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AUSSERDEM VON PANINI ERHÄLTLICH:

Star Wars: Rogue One – Jugendroman zum Film

Matt Forbeck – ISBN 978-3-8332-3449-1

Star Wars: Das Erwachen der Macht – Jugendroman zum Film

Michael Kogge – ISBN 978-3-8332-3026-4

Star Wars: Ahsoka

E. K. Johnston – ISBN 978-3-8332-3450-7

Star Wars: Blutlinie

Claudia Gray – ISBN 978-3-8332-3354-8

Star Wars: Verlorene Welten

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Claudia Gray – ISBN 978-3-8332-3194-0

Star Wars: Bewegliches Ziel – Ein Prinzessin Leia-Abenteuer

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Cecil Castellucci, Jason Fry – ISBN 978-3-8332-3197-1

Star Wars: Die Waffe eines Jedi – Ein Luke Skywalker-Abenteuer

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Jason Fry – ISBN 978-3-8332-3196-4

Star Wars: Im Auftrag der Rebellion – Ein Han Solo & Chewbacca-Abenteuer

(Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht)

Greg Rucka – ISBN 978-3-8332-3195-7

Star Wars: Shadow Games – Im Schatten

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-3158-2

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 1 – Im Zwielicht

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2906-0

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 2 – Straße der Schatten

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2983-1

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 3 – Schablonen der Macht

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2984-8

Nähere Infos und weitere Bände unter:

www.paninibooks.de

jyn.tif

Von Beth Revis

Ins Deutsche übertragen von
Andreas Kasprzak

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Titel der Amerikanischen Originalausgabe: „Star Wars: Rebel Rising“ by Beth Revis, published by Disney, Lucasfilm Press, an imprint of Disney Book Group, May 2017

© & TM 2017 LUCASFILM LTD.

Deutsche Ausgabe 2017 by Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87,

70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: marketing@panini.de)

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Andreas Kasprzak

Lektorat: Marc Winter

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDSRRR001E

ISBN 978-3-7367-9998-1

Gedruckte Ausgabe

1. Auflage, Februar 2017, ISBN 978-3-8332-3539-9

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

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PaniniComicsDE

Für Corwin.

Ich weiß.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit,
weit entfernten Galaxis …

IMPERIALES INHAFTIERUNGSZENTRUM & ARBEITSLAGER LEG-817

1. MONAT

Der Sturmtruppler lachte leise, als Jyn Erso auf die Knie fiel und ihre gefesselten Hände hob. „Wie wär’s, wenn du mir die Dinger jetzt abnimmst?“, fragte sie. „Wohin sollte ich hier schon fliehen?“ Sie deutete auf den langen Korridor und den matten Lichtschein, der von der Beleuchtung über jeder Zellentür ausging.

„So macht es mehr Spaß“, entgegnete der Sturmtruppler und zog Jyn an den Fesseln hoch, die ihre Handgelenke umschlossen.

Das Metall schnitt Jyn in die Haut und scheuerte über die sensiblen Knochen darunter, doch sie verzog kaum eine Miene. Diese Befriedigung wollte sie ihm nicht gönnen.

„Sie sind immer so …“ Der Gefängnisdirektor, ein groß gewachsener, dürrer Mann ganz in Schwarz, fuchtelte mit der Hand, als würde er nach dem richtigen Wort suchen. „Sie sind immer so vornehm, wenn sie hier ankommen, findest du nicht?“

Der Sturmtruppler gab einen gleichgültigen Laut von sich, als er Jyn nach vorn stieß und sie durch den dunklen Gang weiter zu ihrer Zelle führte.

Der Direktor lachte verhalten über seinen eigenen Scherz, ehe er entschuldigend sagte: „Tut mir leid, ich finde das einfach immer wieder amüsant. Es ist, als könnte ich die Neulinge riechen. Sie gehen aufrechter als die, die wissen, was sie hier erwartet.“ Seine Schritte wurden länger, als er an Jyn und dem Sturmtruppler vorbeiging, dann kehrtmachte und vor ihnen stehen blieb.

Als der Direktor die Neue am Kinn packte und Jyn zwang, ihn anzusehen, drehte sie nur trotzig den Kopf zur Seite.

Wieder lachte der Mann. „Außerdem steckt in den Neulingen immer noch ein bisschen Kampfgeist“, sagte er und rümpfte bei „ein bisschen“ die Nase. Als Jyn den Köder jedoch nicht schluckte, verdüsterte sich seine Miene. „Hier entlang, Gefangene!“ Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte schnellen Schrittes den Korridor hinunter.

Jyn hielt den Blick starr nach vorn gerichtet und versuchte, sich auf den müden Füßen zu halten, damit sie nicht erneut stolperte und die Tortur damit noch weiter in die Länge zog.

„Wo genau haben die dich eigentlich aufgegriffen?“, fragte der Gefängnisdirektor beiläufig.

Jyn antwortete nicht.

Der Direktor wirbelte herum und schlug ihr hart ins Gesicht. „Ich habe dir eine Frage gestellt, Sechs-Zwo-Neun-Fünf-A!“

„Ich wurde auf einem Schiff im Fünf-Punkt-System gefasst“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

„Gefasst – und verhaftet.“ Der Direktor klang, als wäre er stolz auf sich, obwohl er mit ihrer Festnahme nicht das Geringste zu tun hatte. „Und nun bist du hier.“ Mit einem Arm vollführte er eine schwungvolle Geste und blieb stehen.

Eine der vom Gang abgehenden Zellen war dunkel und leer. Der Sturmtruppler stieß Jyn in diese Richtung und sie taumelte in den winzigen Raum.

Als Jyn diesmal die Handgelenke hob, deaktivierte der imperiale Soldat die Fesseln. Das kleine Lämpchen an dem schweren Metallband wechselte von Rot zu Grün und mit einem erleichterten Seufzen streifte Jyn es ab.

„Ich bin sicher, unsere bescheidene kleine Unternehmung hier in L-E-G-acht-eins-sieben wird dir gefallen“, sagte der Direktor.

Der Imperiale betonte die Abkürzung der Einrichtung des Justizsystems, in der sie sich hier befand, auf eine Art und Weise, dass die Buchstaben LEG fast wie Elegie klangen – Klagelied. Jyn fand, dass das eine durchaus angemessene Beschreibung für dieses Höllenloch war.

„Willkommen auf Wobani!“ Bei diesen Worten grinste der Direktor. Offensichtlich war er sich des Rufs, den der Planet genoss, nur zu bewusst. „Auch wenn deine Vergehen beileibe nicht die schlimmsten sind, die je gegen das Imperium verübt wurden, darf man sie dennoch nicht tolerieren. Du hast der Galaxis schlecht gedient, und um diesen Schaden gegenüber der Gesellschaft wiedergutzumachen, wirst du arbeiten.“ Der Gefängnisdirektor tippte einen Code in das biometrische Datapad an Jyns Zellentür ein und die metallenen Gitterstäbe glitten zu, um sie in der Zelle einzusperren. „Allerdings kann ich dir jetzt schon versprechen, dass dir diese Arbeit nicht gefallen wird“, fügte der Mann hinzu – noch immer klang sein Tonfall auf tückische Weise gütig und freundlich. „Und dein neues Zuhause hier wird dir auch keine Freude bereiten. Doch das ist nun mal die Strafe, die einen erwartet, wenn man Verbrechen gegen das Imperium begeht. Auf dich wartet die mit Abstand schlimmste Zeit deines Lebens!“

Jyn sah, wie der Direktor sie über seinen Nasenrücken hinweg durch die Gitterstäbe musterte und leicht spöttisch grinste. Zweifellos war er daran gewöhnt, dass Kriminelle auf seine einstudierte Ansprache mit Panik reagierten, doch Jyn starrte ihn bloß grimmig an. Die schlimmste Zeit ihres Lebens? Der Direktor konnte nichts weiter tun, als verwirrt dreinzuschauen, als Jyn ihm ins Gesicht lachte.

1. KAPITEL

JYN ERSO, 8 JAHRE ALT

Jyn Erso versteckte sich im Dunkeln. Sie hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Früher, da schon, aber jetzt nicht mehr. Dafür kannte sie diese Dunkelheit zu gut. Sie war schon seit Stunden hier – seit sie mitansehen musste, wie ihre Mutter ermordet worden war.

In der Höhle war es eng, aber nicht so eng, wie es nun eigentlich sein sollte. Sie und Mama und Papa hatten diese Dinge geübt, wieder und wieder, und als sie so taten, als würde das Imperium kommen, und es Zeit wurde, sich zu verstecken, versteckten sie sich gemeinsam. Doch nun war Jyn allein.

Sie hatte einen Tornister bei sich, in dem sich die wenigen Habseligkeiten befanden, die sie hastig in die Tasche gestopft hatte, als ihre Mama ihr sagte, dass die Zeit nun tatsächlich gekommen war. Abommy der Gig war nicht unter den Sachen. Sie hatte ihn unter dem Bett zurückgelassen, von wo aus er sie lange vor Monstern beschützt hatte, von denen sie mittlerweile wusste, dass sie überhaupt nicht existierten – mit ihren acht Jahren machte Jyn sich diesbezüglich nichts mehr vor. Dennoch wünschte sie, Abommy wäre jetzt bei ihr und sie hätte sein weiches, synthetisches Fell streicheln können, das nach Papas Nelkenrasierwasser roch.

Jyn schüttelte den Kopf. Nein, kein Spielzeug würde ihr jetzt, in dieser Situation, Trost spenden. Sich so etwas zu wünschen, war töricht. Sie musste sich zusammenreißen. Sie konnte es sich nicht leisten, sich wie ein Baby aufzuführen.

Jyn hielt die Halskette fest, die ihre Mutter ihr nur Minuten vor ihrem Tod gegeben hatte, und kniff die Augen zusammen. Sie fragte sich, ob es wohl wehtat zu sterben? Sie nahm an, dass es gar nicht anders ging.

Es war so dunkel. Jyn entzündete eine Laterne. Die Schatten tanzten über das felsige Innere der Höhle und erinnerten sie an die Truppler in ihren schwarzen Rüstungen. „Papa wird kommen“, sagte sie sich. In der Finsternis klang ihre Stimme dünn und brüchig.

„Vertraue der Macht“, hatte Mama zu ihr gesagt. Jyn versuchte es. Sie versuchte, daran zu glauben. Sie versuchte zu hoffen.

Die Luke über ihr klapperte. Jyn schluckte einen furchtsamen Schrei hinunter, als die Klappe aufging und das Gesicht eines Mannes zu ihr hinabschaute. Dann schluchzte sie. Saw! Er war gekommen, um sie zu retten! Sie … aber nicht Mama. Um Mama zu retten, war er zu spät gekommen.

„Mein Kind, komm!“, sagte Saw. „Eine lange Reise liegt vor uns.“ Er streckte seine Hand in die Höhe, um ihr nach oben zu helfen.

Jyn schaute Saw an und zögerte bloß einen Moment, ehe sie seine Hand ergriff. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sie und ihre Familie nach Lah’mu gebracht, wo sie nach ihrer Flucht von Coruscant einen Neuanfang wagten. Mama und Papa hatten Jyn die verschiedenen Szenarien eingebläut, zu denen es kommen konnte, falls – wenn – das Imperium sie fand.

„Noch etwas“, hatte ihre Mama gesagt, als sie ihr zeigte, wie man den Kom-Turm bediente. „Falls es zum Schlimmsten kommt und du Hilfe brauchst, Papa und ich aber nicht zugegen sind, musst du nur diesen Knopf hier drücken und schon kommt Saw Gerrera.“

Jyn erinnerte sich, wie sie damals die Hand nach dem Knopf ausgestreckt hatte, begierig darauf, ihn auf der Stelle zu betätigen. „Er besucht uns nie!“, hatte sie trotzig gesagt, während ihre Mutter sie zurückzog und ihr deutlich machte, dass sie Saw nur in Notfällen rufen durfte.

Jetzt waren Saws Lippen ein einziger grimmiger Strich. Er lächelte nicht und in seinen Augen lag auch keine Heiterkeit wie beim letzten Mal, als sie einander gesehen hatten. Eine deutliche Narbe war an einem seiner Augen zu erkennen und ließ das Lid hängen. Die Augen wölbten sich auch ein wenig aus den Höhlen, die Mundwinkel wiesen nach unten und Regentropfen rannen ihm den kahlen Schädel hinab. Er wirkte zornig.

Jyn langte in die Höhe und ergriff mit ihrer kleinen, blassen Hand seine dunkle und schwielige. Er drückte sanft ihre Finger und sie erwiderte die Geste, ehe sie sich an ihm festklammerte, als sei sie am Ertrinken und er das Seil, das sie ans Ufer zog.

„Wir müssen gehen“, sagte Saw.

Jyn schluckte ihre Furcht und ihren Kummer hinunter. Sie nickte. Als sie und Saw durch das Feld auf Jyns Zuhause zuliefen, roch die Luft draußen nach dem kühlen Regen klar und frisch. Jyn kam es ausgesprochen seltsam vor, dass die Welt um sie herum schlief, schön und still, obwohl ihre Mama nicht mehr … „Da waren Soldaten“, sagte Jyn und zupfte an Saws Hand. Sie biss sich auf die Unterlippe, wie um sich selbst zu tadeln. Sie hätte zählen sollen, wie viele Soldaten zur Farm gekommen waren. Da war der Mann in Weiß, der Mann, für den Papa manchmal gearbeitet hatte. Und die Soldaten in ihren schwarzen Rüstungen. Und … Sie hätte aufmerksamer sein sollen, doch alles war so schnell passiert.

„Außer uns ist niemand hier“, sagte Saw.

Ihr Zuhause und die Farmausrüstung – ein Kom-Turm, Bewässerungsanlagen, ein Erntedroide – waren die größten Erhebungen in einem Meer sanft wogenden Himmelsmais. Die Brise ließ ein Hemd vom Boden in die Höhe flattern, das sich wie ein Geist vor dem nächtlichen Firmament abhob, ehe es wieder nach unten wogte.

Jyn war sich ziemlich sicher, dass das Hemd nicht ihrem Vater gehörte. Es war nicht das mit den ausgefransten Ärmeln, das immer nach ihm roch, eine Mischung aus Nelken, Erde und Schmiere und noch etwas anderem, etwas Kaltem und Hartem. Doch bevor sie sich das Hemd schnappen und um sich schlingen konnte, erfasste es der Wind und wehte es davon. Je näher sie dem Haus kamen, desto mehr Kleidungsstücke flatterten in der Brise, trieben über das Weideland und verschwanden in der Nacht. Dann sah sie den umgekippten Wäschekorb und daneben die blutbesudelte Mulde im Gras.

In Jyns Herz loderte Hoffnung auf. Die Leiche ihrer Mama war nirgends zu sehen! Doch tief drinnen, tief in ihrem Innern wusste sie, dass das nicht daran lag, dass ihre Mutter überlebt hatte. Einen solchen Blastertreffer mitten in die Brust überlebte niemand. Jyn biss sich in die Innenseite der Wange und schmeckte den metallischen, penetranten Geschmack von Blut, sagte jedoch kein Wort.

Saw bewegte sich zielstrebig, stieß die Tür des Farmhauses auf und Jyn folgte ihm schweigend – ein Hauch bitteren Rauchs ließ sie die Nase rümpfen. Die Truppen hatten im Gebäude ein Feuer gelegt, das noch immer in der Küche brannte und die helle Wand verkohlte, sodass sie ein rußiges Schwarz annahm. Saw wusste, wo er nachsehen musste – im Arbeitsschrank, in den verborgenen Winkeln und Ecken, unter den Dielenbrettern unter dem Teppich. Doch dort war nichts. Er fluchte. „Sie haben alles mitgenommen“, knurrte er.

Und sie haben ihn mitgenommen, dachte Jyn in dumpfem Schock. Sie haben Papa mitgenommen. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch das hatte nichts mit dem Rauch zu tun. Auch wenn es nicht ihr Papa gewesen war, der sie aus der Höhle geholt hatte, sondern Saw, hoffte sie noch immer, dass er sich hier irgendwo aufhielt. Dass er sich irgendwo versteckt hatte und wartete – auf sie. Doch das tat er nicht. Er war fort.

Zerbrochenes Geschirr lag auf dem Boden verstreut. Jyn wusste, dass ihr Vater versucht hatte, seine Arbeit zu zerstören, bevor er ihr aufgetragen hatte wegzulaufen. Gewiss war nichts mehr übrig. Papa hätte nicht zugelassen, dass irgendetwas übrig blieb.

Saw kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und drehte sich zu Jyn herum. „Hatte dein Pa irgendwelche geheimen Orte, wo er Dinge versteckt haben könnte, von denen er nicht wollte, dass sie dem Imperium in die Hände fallen?“

Ihr Zuhause war durchwühlt worden, und obwohl es Mama gelungen war, einen Teil von Papas Forschungsunterlagen zu vernichten, war das Imperium einfach zu unerwartet aufgetaucht. Sie deutete auf die Stelle im Schlafzimmer ihrer Eltern, wo der Safe verborgen war, doch auch der war leer. Das Tagebuch fehlte und auch Papas Datenspeicher war verschwunden. Sie schaute in ihr eigenes Zimmer. Auf der Suche nach Papas Arbeitsunterlagen hatten die Truppler in den schwarzen Rüstungen sogar ihr Bett umgedreht und ihre Puppen auf dem Boden verstreut. Sie war sich nicht sicher, ob sie dabei irgendetwas gefunden hatten. Das spielte allerdings auch keine Rolle – Papa hatte sowieso alles im Kopf. Und nun hatten sie ihn in ihrer Gewalt.

„Wir müssen diesen Planeten verlassen“, erklärte Saw schroff. „Denk nach, Jyn. Gibt es hier sonst noch irgendwelche Stellen, wo die Arbeit deines Vaters versteckt sein könnte?“

„Nein“, sagte sie mit leiser Stimme.

„Dann verschwinden wir jetzt von hier.“

Jyn wollte zu ihrem Zimmer hinübergehen, um noch einige Dinge einzupacken, aber Saw legte ihr eine schwere Hand auf die Schulter und hielt sie zurück.

Jyn schluckte und eine ihrer Hände fuhr in die Höhe, um sich an die Halskette mit dem Kristall zu klammern, die ihre Mutter ihr gegeben hatte. Sie hatte schon einmal alles aufgegeben, damals, als ihre Familie Coruscant verließ. Sie konnte es wieder tun. Wenigstens hatte sie ihren Tornister.

Jyn verließ das Haus als Erste. Bevor Saw die Tür hinter sich schloss, hörte sie drinnen etwas Schweres, Metallisches auf die hölzernen Bodenbretter fallen. Dann packte Saw sie am Ellbogen und zog sie mit sich – sie musste beinah rennen, um mit seinen großen Schritten mitzuhalten. Sie waren erst fünfzig Meter weit entfernt, als das Haus explodierte. Das Dröhnen der Detonation ließ Jyn straucheln und sie spürte, wie eine Woge siedender Hitze über sie hinwegspülte. Das, was von dem Ort noch übrig war, den sie ihr Zuhause nannten, brannte lichterloh. Die orange-gelben Flammen leckten über das blasse Gras und drohten, das Feld draußen in Brand zu setzen.

Saw blieb nicht stehen, ja, er schaute nicht einmal zurück, weder auf das Feuer noch auf Jyn. Sein Shuttle wartete auf sie und Saw eilte die Einstiegsrampe hinauf.

Jyn indes verharrte am Fuß der Rampe und ließ ihren Blick über den Rauch schweifen. Hier gab es nichts mehr, was sie hielt.

2. KAPITEL

Jyn saß neben Saw im Cockpit seines Raumschiffs. Sie starrte stur geradeaus aus dem Sichtfenster und verfolgte, wie sie durch die Wolken von Lah’mu stießen. Der Ring, der den Planeten beständig wie ein weißer Regenbogen umkreiste, wölbte sich über ihnen und dann ließen sie die Atmosphäre hinter sich. Der Himmel wurde schwarz, gesprenkelt mit weißen Sternen. Von dem Sonnenlicht, das sich auf dem Gürtel des Planeten brach, blieb bloß ein schwacher Glanz übrig. Jyn holte hörbar Luft.

Saw schaute dorthin, wohin der Blick des Mädchens ging, und nickte mit ernster Miene. Ein Sternenzerstörer hing in der Schwärze des Alls, die Sonne spiegelte sich matt auf der Unterseite des gewaltigen Schiffs.

Sie hatten einen Sternenzerstörer geschickt, um ihren Vater zu holen. Papa ist an Bord dieses Schiffs, wurde Jyn mit großen Augen klar. Er war irgendwo dort drüben, irgendwo dort, unmittelbar außer Reichweite und trotzdem so nah.

Saw war mit der Steuerung beschäftigt. Verglichen mit dem Sternenzerstörer war sein Schiff absolut winzig, ein Floh neben einem Riesen, doch seine gemurmelten Flüche ließen Jyn wissen, dass er sich dennoch sorgte, man könne sie entdecken. Gleichwohl waren sie innerhalb weniger Sekunden an dem Zerstörer vorbei und wenige Minuten später machten sie den Sprung in den Hyperraum.

Der blaugraue Lichtstrom draußen vor dem Fenster ließ Jyn angestrengt blinzeln. Ihr Blick verschwamm, nicht bloß von den gleißenden Lichtern, sondern ebenso von den unvergossenen Tränen, die ihr in die Augen zu treten drohten.

„Hey, Kleine“, sagte Saw und schwang mit seinem Sessel herum, sodass er Jyn vollends ansehen konnte. „Ich …“ Er hielt inne.

Jyn wusste, er wollte sagen, dass ihm das Ganze leidtat, doch da war etwas in seinen Augen. Es ließ sie erkennen, dass ihm klar war, wie sinnlos diese Worte gewesen wären. Sie starrte ihm ins Gesicht und wunderte sich darüber, dass er in ihren Erinnerungen stets lustig und freundlich war. Seine dunkle Haut ließ die schlecht verheilten Narben neben seinem linken Auge noch deutlicher hervortreten. Er sah wütend aus. Nur nicht seine Augen – die blickten eher fragend. „Ich will nicht darüber reden“, sagte Jyn, zog die Knie hoch zum Kinn und schlang sich die Arme um ihre Beine.

Saws Miene verhärtete sich. „Zu dumm“, sagte er, „denn ich muss wissen, warum das Imperium derart versessen darauf ist, deinen Vater in die Finger zu bekommen.“

„Du weißt doch, warum meine Eltern untergetaucht sind“, entgegnete Jyn.

„Ich kenne Teile der Geschichte. Bruchstücke. Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass sie so scharf auf ihn sind, dass sie ihm einen Sternenzerstörer auf den Hals hetzen.“

Jyn musste zugeben, dass sie das ebenfalls ein wenig überraschte. Sie wusste, dass ihr Vater ein wichtiger Mann war und dass er als Wissenschaftler für das Imperium gearbeitet hatte, bevor sie von Coruscant geflohen und sich auf Lah’mu versteckt hatten. Sie wusste über einiges von dem Bescheid, was er gemacht hatte. Mama und Papa hatten sie ermahnt, niemals jemandem von Papas Forschungen zu erzählen, doch sie wusste, dass sie Saw vertrauen konnte. Mama hatte es getan. „Er hat Kristalle studiert“, erklärte Jyn und holte die Kette unter ihrem Hemd hervor, die ihre Mutter ihr gegeben hatte. Als Saw die Hand danach ausstreckte, streifte sie sich die Kette über den Kopf und reichte sie ihm.

Saw drehte die Kette auf seiner Handfläche hin und her und hielt sie hoch ins Licht, um den klaren Kristall mit halb zusammengekniffenen Augen zu mustern.

Jyn wusste, dass es sich um einen Kyberkristall handelte – allerdings um keinen besonders reinen, keinen, der viel Geld wert war. Bei seiner Tätigkeit für das Imperium hatte Papa mit wesentlich besseren Kyberkristallen gearbeitet. Er mochte Steine.

„Ich weiß über die Kristalle Bescheid“, sagte Saw und gab Jyn die Kette zurück. „Doch dein Vater muss sich noch mit irgendetwas anderem beschäftigt haben, irgendetwas Handfesterem. Mit irgendetwas, das das Imperium unbedingt haben will. Wegen irgendwelcher Kristalle würden die Imperialen nicht so einen Aufwand betreiben.“

„Das ist das Einzige, woran er gearbeitet hat“, beharrte sie.

„Alles, wovon du weißt“, entgegnete Saw düster. „Hat er irgendwas gesagt, als das Imperium auftauchte? Ganz egal, was – vielleicht hat er dir irgendetwas gesagt, in dem sich ein Hinweis verbirgt, ohne dass du es ahnst?“

Jyn schloss die Augen. Noch immer konnte sie die Stimme ihres Vaters hören. Jyn, vergiss nicht – was immer ich tue, hatte er zu ihr gesagt, tue ich, um dich zu beschützen. Und dann war er mit dem Mann fortgegangen, der Mama getötet hatte. „Nein“, versicherte Jyn ihrem neuen Beschützer.

Saw wandte sich dem Sichtfenster zu und starrte zu dem blaugrauen Leuchten des Hyperraums hinaus. „Es muss da noch mehr geben“, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr. „Ich weiß, dass Galen seit Coruscant an etwas Großem gearbeitet hat – und wir müssen rauskriegen, woran.“

Jyn spürte, wie ihr Tränen in den Augen brannten. An dem Abend, bevor das Imperium kam, hatte ihr Vater an einem kaputten Erntedroiden herumgebastelt, nicht an irgendeinem großen Geheimnis. Trotzdem wusste sie, dass Saw recht hatte. Mama und Papa hatten darüber gesprochen, spät nachts, wenn sie glaubten, Jyn würde schlafen. Es dreht sich um Forschung, Kristalle und Ängste. Sie wünschte, sie wäre aufmerksamer gewesen und hätte besser aufgepasst, worum genau es ging. Sie wünschte, sie würde wenigstens verstehen, warum dies alles geschah.

Jyn zwang sich, daran zu denken, wie die Dinge früher waren. Auf Coruscant hatte ihr Vater offen für das Imperium gearbeitet. Damals war sie noch kleiner und leicht abgelenkt, doch selbst sie erkannte, dass ihre Eltern nicht glücklich waren. Als sie dann nach Lah’mu übersiedelten, schien sich die Lage zu verbessern. Alles entspannte sich ein wenig. Jeden Tag unterrichtete ihre Mama sie in Mathe, Naturwissenschaft, Literatur und Geschichte. Papa arbeitete auf den Feldern und setzte nachts seine Forschungen fort, aber nicht so wie auf Coruscant. Er schuftete nicht mehr, bis er zusammenbrach, murmelte nicht mehr nur noch vor sich hin und beachtete sie gar nicht. Die Dinge waren besser als vorher.

Trotzdem war da diese unterschwellige Furcht, die gelegentlich aufkeimte, wenn der Kom-Turm ohne Vorwarnung statisches Rauschen auffing oder Mama und Papa darauf bestanden, dass sie jetzt sofort eine Sicherheitsübung durchführen müssten. Sie spielten alle möglichen unschönen Szenarien durch, die passieren konnten, und erklärten Jyn, was sie in welchem Fall zu tun hatte. Papa tat zwar gern so, als sei das Ganze bloß ein Spiel, aber Jyn wusste es besser.

Es gab kein Szenario, was ich tun soll, wenn Mama stirbt, dachte Jyn. Sie hatten jede Menge Pläne, doch keiner davon endete damit, dass Jyn schließlich allein war. Sie wollten sich verstecken, fliehen, überleben – gemeinsam. Mama hatte niemals daran gedacht, was wäre, wenn sie stirbt und Jyn durch den Hyperraum von Zuhause fliehen muss.

Doch als Jyn jetzt Saw ansah, erkannte sie, dass das nicht stimmte. Er war der Notfallplan ihrer Eltern, falls das Schlimmste eintrat. Nur wollten sie ihr das nicht sagen. Sie wollten nicht, dass sie sich Gedanken darüber machte, wie übel die Lage werden konnte, doch Jyn wusste, dass es so war. Saw war ihre letzte Hoffnung.

Seine Augen waren rot geädert und er seufzte schwer, als er sich mit einer Hand über den kahlen Schädel fuhr. Als könne er ihre Blicke auf sich spüren, schaute er zu Jyn hinab und versuchte, ihr ein beruhigendes Lächeln zu schenken. Dann jedoch sagte er: „Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich mit dir machen soll, Kleine.“ Und ihre plötzliche Zuversicht löste sich so schlagartig wieder in Wohlgefallen auf, wie sie gekommen war.

Je weiter sie sich von Lah’mu entfernten, desto unwirklicher kam Jyn die Reise vor. Halb rechnete sie damit, dass dies alles irgendein Irrtum war und sie sich zu Hause wiederfinden würde, wenn sie schließlich ihr Ziel erreichten, wo alles genauso wie früher war. Als sie den Hyperraum jedoch einige Stunden später verließen, wartete nicht die wunderschöne, blau-grüne Kugel von Lah’mu auf sie, sondern ein Asteroidengürtel.

Saw setzte sich aufrechter hin und Jyn verfolgte, wie sich seine gesamte Aufmerksamkeit auf das Sichtfenster konzentrierte. „Wir nähern uns der Schmugglerflucht“, sagte er. „Schnall dich an!“

Zuerst waren da bloß ein paar verstreute Asteroiden, doch es dauerte nicht lange und sie steckten mittendrin. Das Shuttle hüpfte ruckartig nach unten und nach oben, nach links und nach rechts, während Saw das Schiff fachmännisch durch das Bombardement der Gesteinsbrocken steuerte.

„Ich mag Wrea“, erklärte Saw. „Der Asteroidengürtel hält die Leute fern. Dort ist es ruhig.“

Wrea. Der Planet, zu dem sie flogen. Jyns Körper wurde gegen das Sicherheitsgeschirr geworfen, als Saw einem weiteren Asteroiden auswich. Es passte zu ihm, dass er auf einem Planeten lebte, den man nur schwer erreichte.

Als sie die Asteroiden schließlich hinter sich gelassen hatten, sah Jyn Wrea vor sich. Die Welt war kleiner als Lah’mu – und blauer. Wasser, dachte sie. Überschaubare Landmassen in Grün, Weiß und Braun sprenkelten die Oberfläche, während sich große, lange Inseln wie Finger in den Ozean krallten.

Saw lenkte das Shuttle geradewegs nach unten und landete auf einer kleinen, von zerklüfteten Felsen umringten Lichtung. Auf Wrea war es kalt und die Luft roch nach Salz, obwohl Jyn das Meer von hier aus nicht sehen konnte. Da waren bloß Felsbrocken und miteinander verwachsene Büsche und Sträucher. Doch als sie sich einem defekten Kom-Turm näherten, erkannte Jyn, dass es hier mehr gab, als auf den ersten Blick ersichtlich war. Eine Tür war in den Fels eingelassen, eine schwere Panzertür mit einem biometrischen Schloss, die Saw entriegelte. Das Metall quietschte, als die Tür aufglitt. Lichter erhellten einen langen Gang, der geradewegs ins Gestein gebohrt worden war.

Jyn blieb auf der Schwelle stehen und ließ ihren Blick über die kleine, felsige Insel schweifen, auf der sie sich befanden. Auf der Spitze eines Hügels, der wirkte, als bestehe er aus einem einzigen riesigen Felsen, ragte der Kom-Turm auf – oder jedenfalls ein Teil davon. Die andere Hälfte lag zertrümmert und rostend zu Füßen des Metallkonstrukts.

„Diese Anlage wird schon seit den Klonkriegen nicht mehr benutzt“, erklärte Saw, während er an Jyn vorbeiging und den Außenposten betrat. „Die einheimischen Wesen stehen uns zwar nicht unbedingt freundlich gegenüber, halten sich aber von dieser Insel fern.“

„Was sind das für Wesen?“, fragte Jyn, die im Laufschritt gehen musste, um mit ihm mitzuhalten. Die Tür glitt hinter ihnen zu und sperrte sie in dem feuchten Steinkorridor ein.

„Wreaner“, sagte Saw mit einem Augenzwinkern. Als Jyn darauf nichts erwiderte, schaute er sie an und bemerkte ihre Nervosität. „Das sind Wassergeschöpfe, die in den Tiefen der Meere leben. Hier bist du sicher.“

Jyn musste schwer schlucken und nickte, auch wenn sie ihm keinen Glauben schenkte. Sie glaubte nicht, dass es irgendeinen Ort in der Galaxis gab, an dem sie „sicher“ war.

3. KAPITEL

Der Außenposten war größer, als es von draußen den Anschein hatte. Direkt in das Felsgestein gehauen wurde der Hauptkorridor auf jeder Seite von drei Türen gesäumt, um schließlich in einem Kom-Raum zu enden, der größer war als Saws ganzes Shuttle. Er verharrte einen Moment lang draußen im Gang, als würde er seine Optionen abwägen, ehe er die Tür unmittelbar zu seiner Rechten öffnete, die in ein altes Büro führte, das nun offenbar als Lagerraum diente.

„Ist das okay?“, fragte er.

Jyn wusste nicht recht, was er damit meinte, also nickte sie bloß. Als sie den Korridor entlanggingen, musterte Jyn neugierig die anderen geschlossenen Türen, doch Saw blieb nicht stehen. Der große Kommunikationsraum schien zur Hälfte eine Höhle zu sein mit einer nach oben gewölbten Steindecke. Jyn gefiel es hier ganz und gar nicht. Es erinnerte sie zu sehr an die Höhle, in der sie sich vor dem Imperium versteckt gehalten hatte.

In der Mitte des Raums stand ein langer Tisch, während sich an der Wand Schränke aneinanderreihten. Saw wies Jyn an, am Tisch Platz zu nehmen, und machte eine Dose Nährmilch für sie auf. Von ihrem Stuhl aus verfolgte sie, wie er durch den Gang in den ersten Raum zurückkehrte und anfing, Sachen wegzuräumen. Er arbeitete rasch. Seine kräftigen Arme strafften sich, als er erst einen Tisch und dann mehrere Kisten in den Korridor hinauswuchtete.

„Für so was solltest du dir einen Droiden besorgen“, rief Jyn ihm zu, als Saw innehielt, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Damals, auf Coruscant, hatte Jyn einen MV-Droiden, der sich manchmal um sie kümmerte und das Apartment in Ordnung hielt. Papa maulte gern darüber, dass er sich nutzlos fühlen würde, weil er selbst nicht halb so effizient wie Mac-Vee wäre, doch das tat er bloß, damit Mama ihm beim Abwasch half.

„Ich mag Droiden nicht“, erwiderte Saw mit tiefer Stimme, bevor er sich umdrehte und den Korridor englangstapfte.

Jyn eilte Saw nach. Sie folgte ihm in den ersten Raum zur Rechten. Darin standen ein halbes Dutzend Betten, jedes mit einer dünnen Matratze und einer blauen Decke. Als Saw ihr eine Decke und ein Kopfkissen von einem der Betten reichte, dachte Jyn, dass sie hier schlafen würde, doch stattdessen hob Saw die Matratze aus dem Bettrahmen und trug sie den Gang hinunter zu dem kleinen Büro neben der Vordertür. Er warf sie dort auf den Boden, und als Jyn einfach bloß untätig stehen blieb, nahm er ihr die Decke und das Kissen aus den Armen und legte beides auf die Matratze.

Saw hatte die meisten übrigen Möbelstücke und Kisten, die sich zuvor in der kleinen Kammer drängten, nach draußen geräumt, doch einen kleinen Tisch und ein altes Datapad hatte er drinnen gelassen. Während er die Matratze auf dem Boden zurechtrückte und die Decke über einem Ende drapierte, dämmerte Jyn schließlich, dass dies ab sofort ihr Zimmer sein würde. Ein staubiger, winziger Raum mit einer Matratze auf dem Fußboden. Offenbar war sie es nicht einmal wert, in dem größeren Raum weiter den Gang runter zu schlafen, in dem die Betten bereits gemacht waren. Nein, dies hier war ihr Zimmer.

Jyn fühlte sich so bemitleidenswert, dass sie am liebsten geweint hätte. Das hier ähnelte so gar nicht ihrem Zimmer auf Coruscant. Das war hübsch und gepflegt gewesen und voll von den neuesten technischen Spielereien, die es nur gab. Ja, es war nicht einmal wie ihr Zimmer auf Lah’mu, beengt, aber heimelig und vollgestopft mit den kleinen Puppen, die Mama für sie gemacht hatte. Gleichwohl, als Jyn sich umdrehte, um Saw ins Gesicht zu sehen, schluckte sie ihr Missfallen hinunter. Er wirkte so … so begierig auf ihre Zustimmung, dass sie nichts weiter tun konnte, als ihm mit flüsternder Stimme zu danken.

Als Jyn am nächsten Morgen erwachte, wirkte alles um sie herum viel zu dunkel. Es gab keine Fenster. Die Luft roch seltsam – muffig, nicht frisch. Ihr Herz pochte wild, als sie die Desorientierung in den Griff zu bekommen versuchte, die es mit sich brachte, an einem anderen Ort aufzuwachen als Zuhause.

Jyn rieb sich die Augen. Sie waren trocken und kratzig und dann fiel ihr wieder ein, dass sie geweint hatte. Sie erinnerte sich auch wieder daran, warum. Ihr Magen rebellierte – Galle stieg in ihrer Kehle auf. Sie konnte die Erinnerungen an den gestrigen Tag einfach nicht verdrängen. An das Geräusch, mit dem der Leib ihrer Mutter leblos zu Boden fiel. An das ewige Warten darauf, dass jemand sie retten kam, während sie sich in der Höhle versteckte.

Nein, das stimmte nicht. Sie hatte nicht darauf gewartet, dass jemand sie rettete. Sie hatte auf ihren Papa gewartet. Er war derjenige gewesen, der sie retten sollte, nicht Saw. Wut loderte in ihr auf, überraschend in ihrer Heftigkeit. Einen solchen Zorn hatte sie noch nie zuvor verspürt. Und obwohl sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass es nicht fair war, Papa dafür die Schuld zu geben, dass es ihm nicht möglich gewesen war, sie zu retten, klammerte sie sich an diesem Gefühl fest, weil es allemal besser war als der Kummer, der sie zu ersticken drohte.

Als sie ihre Zimmertür öffnete und in den Gang hinausblickte, war von Saw keine Spur zu sehen. Ihr Magen schmerzte vor Hunger. Sie fragte sich, ob sie an die geschlossenen Türen klopfen sollte, um Saw zu suchen, aber stattdessen schlug sie den Weg zum Kom-Raum ein und holte sich eine weitere Dose Nutrimilch aus demselben Schrank, aus dem Saw zuvor die andere zutage gefördert hatte. Sie nippte an der Milch, während sie allein am Tisch saß.

Müßig ließ sie ihren Blick über die paar Dinge schweifen, die Saw hier zurückgelassen hatte. Er war ein wenig schlampig – die leere Nutrimilchdose, die sie gestern Abend getrunken hatte, stand zusammen mit anderem Müll noch immer auf dem Tisch. Die andere Seite des Tisches war Saws Arbeit vorbehalten und erinnerte sie an die Art und Weise, wie ihr Vater arbeitete – er nannte das immer „organisiertes Chaos“. Da lagen transparente Sternkarten und Baupläne von imperialen Schiffen, alles wild durcheinander. Allerdings schien es, als habe Saw das meiste davon beiseitegefegt. Im aufgeräumtesten Bereich war ein Datapad und Jyn bemerkte einige Notizen, die Saw sich über Kristalle gemacht hatte. Er hatte bestimmte Planeten gekennzeichnet, von denen Jyn wusste, dass ihr Vater darüber ebenfalls Nachforschungen angestellt hatte. Jyn berührte einen Holowürfel auf dem Tisch, woraufhin das Gesicht ihres Vaters erschien und vor ihr in der Luft schwebte.

Jyn schaute sich schuldbewusst um. Sie wollte nicht, dass Saw sie für eine Schnüfflerin hielt – doch Saw war nirgends zu sehen. Er ist in einem der anderen Räume, dachte sie und musterte das halbe Dutzend geschlossener Türen. Oder vielleicht auch draußen. Sie schlürfte die Milch auf dem Boden der Dose. Er hat mich nicht hier zurückgelassen. Sie stellte die leere Dose auf den Tisch. Ich bin nicht allein. Nein, bin ich nicht.

Es war sehr, sehr still. „Saw?“, rief sie mit leiser Stimme. Falls er schlief, wollte sie ihn nicht aufwecken. „Saw?“, wiederholte sie, lauter diesmal, doch keine Tür ging auf. Sie schob ihren Stuhl vom Tisch zurück – Metall kratzte über Stein. War es möglich, dass er sein Shuttle genommen und fortgeflogen war, um sie hier mit nichts als ein paar Rationswürfeln und diesen Wreanern zurückzulassen, was auch immer das für Wesen sein mochten?

Jyns Herz raste. Sie eilte von einer Tür zur anderen, den gesamten Flur entlang, ohne sich weiter darum zu scheren, ob sie Saw störte oder nicht. Ein wütender Saw war allemal besser als gar kein Saw. Die meisten der Türen waren verriegelt und die paar, die sich öffnen ließen, führten in Räume mit nichts als Spinnweben und kaputten Möbeln, die offensichtlich hier deponiert worden waren, als Saw in dem Außenposten klar Schiff gemacht hatte, um ihn für seine eigenen Zwecke herzurichten. Allmählich bekam Jyn richtige Panik, und als sie schließlich die Tür erreichte, die nach draußen führte, zitterte sie regelrecht. Die Tür glitt zischend auf, und obwohl sie Saw nicht sehen konnte, hörte sie ihn.

Jyn schlich um den Felsen herum, neben dem der Kom-Turm auf der Seite lag. Überall an den rostigen Streben hatte Saw verschiedene Droiden am Hals aufgehängt – ein Wirrwarr großer, glänzender metallischer Körper –, die er nun abwechselnd mit seinem Blaster und mit den bloßen Händen angriff. Saw war kräftig, alt und vernarbt, aber wenn er kämpfte, erwachte er auf eine Weise zum Leben, die Jyn niemals für möglich gehalten hätte.

Saw stürzte sich auf einen der Droiden und stieß so hart dagegen, dass der Körper an den Metallaufbauten erzitterte. Dann holte er rasch aus, zielte auf einen Droiden, der ein bisschen weiter unten hing, und feuerte mit seinem Blaster. Ohne abzuwarten, ob der Schuss sein Ziel auch traf – was er tat –, duckte er sich und rollte sich zur Seite weg, um bei einigen Felsbrocken wieder hochzukommen, die er als Deckung nutzte, während er drei weiteren Droiden drei weitere Blastersalven verpasste. Ihre Körper schlugen klappernd gegen den Metallturm und die leeren Außenhüllen tanzten unter der Wucht der Einschüsse.

„Saw?“, fragte Jyn.

Saw richtete sich auf. Schweiß benetzte seinen kahlen Schädel und lief an der wulstigen Narbe auf dem Gesicht hinab. Er stand da und wartete darauf, dass sie etwas sagte.

Erst in diesem Augenblick wurde Jyn klar, warum ihre Mutter ausgerechnet Saw kontaktiert hatte, als die imperialen Truppen anrückten. Sie hatte sich nicht an ihn gewandt, weil er ihr Freund war – obwohl auch das zweifellos ein Grund dafür gewesen sein mochte. Nein, sie hatte es vor allem wegen dem hier getan. „Kannst du mir beibringen, so zu kämpfen?“, fragte Jyn.

„Liebes“, sagte er grinsend, „genau das ist der Plan.“

Offenkundig gab es auf Wrea jede Menge defekte Droiden. „Die Klonkriege“, sagte Saw, als sei das Erklärung genug dafür, doch Jyn wusste, dass mehr dahintersteckte. Zwar wurden die Kampfdroiden und die Kommandodroiden der BX-Serie tatsächlich damals im Krieg eingesetzt, doch sie stießen auch auf einige neuere Modelle – auf den Prototyp eines nachtschwarzen Vollstreckerdroiden, auf einen schimmernden C-B3, der flüchtig modifiziert worden war, und sogar auf einen IG-RM-Kriegsdroiden, der irritierend neu aussah. Alle waren defekt, ihre kybernetischen Bauteile durchgebrannt oder komplett entfernt. Die Droiden waren nichts weiter als leere Hüllen, aber Saw hatte Notizen in jeden der Metallkörper gekratzt, rasche kleine Kommentare über die Schwachpunkte oder die Funktion der jeweiligen Droiden, über die Umgebungen, in denen sie versagten oder besonders effizient waren. Und sie waren Zielscheiben – Saw hatte den Leib jedes Droiden mit grellem Orange bepinselt, um die Stellen zu markieren, wo sie am anfälligsten für Schläge oder Schüsse waren.

Zuerst band Saw die Droiden einfach bloß an der Innenseite des umgestürzten Kom-Turms fest. Dann schickte er Jyn durch diesen sonderbaren Hindernisparcours und ließ sie so viele Droiden wie möglich angreifen. Kurz darauf begann er, die Übung aufwendiger zu gestalten, indem er Seile benutzte, um die Droiden hin und her schwingen zu lassen, und mit Steinen und Stöcken nach ihr warf, um feindliche Angriffe zu simulieren. Manchmal streifte er einen hohlen Droidenkopf wie einen Helm über und ging persönlich auf sie los.

„Sagtest du nicht, das Imperium würde heutzutage nicht mehr so viele Droiden wie früher einsetzen?“, fragte Jyn eines Abends, während sie Nutrimilch trank. Sie nahm die Dose von den Lippen und starrte sie an. Gern hätte sie ihnen etwas Schmackhafteres zubereitet, aber Saw scheute die Mühen, die das Kochen mit sich brachte.

Saw schnaubte. „In einem Krieg gegen Droiden hat das Imperium gelernt zu kämpfen“, erklärte er. „Gegen Droiden und Klone. Das half ihnen dabei zu vergessen, dass es im Krieg um die Leute geht.“

Jyn stellte ihre Dose auf den Tisch. Sie war immer noch hungrig – sie war hungrig seit dem Tag, an dem ihre Mutter gestorben war, und Nutrimilch machte sie nie so satt, wie es richtiges Essen getan hätte. Die Leere in ihrem Bauch ließ sich allein mit Graswurzeleintopf, geröstetem Himmelsmais, warmem Krustenbrot und Nerfmilchkäse füllen, doch nichts davon würde sie in absehbarer Zeit bekommen – wenn überhaupt jemals wieder.

„Manchmal sind Droiden schwerer zu bekämpfen als Personen“, fuhr Saw mit nachdenklicher Stimme fort. „Droiden können wie ein Insektenschwarm sein: Sie teilen denselben Verstand, dieselben Anweisungen und sind imstande, sowohl individuell als auch als Einheit zu funktionieren. Man darf sich nicht allein darauf konzentrieren, einen von ihnen auszuschalten, man muss auch daran denken, sie als Gesamtheit unschädlich zu machen.“ Er beugte sich zu Jyn vor und stieß einen Finger in ihre Richtung, wobei sein Stuhl protestierend ächzte. „Entweder das oder du erledigst den Droiden, der die Befehle gibt. Töte sie alle oder töte ihren Anführer.“ Er zuckte die Schultern. „Am Ende läuft beides auf dasselbe hinaus.“

Jyn spielte mit ihrer leeren Milchdose herum. Sie verbrachte die Tage gern damit, kämpfen zu lernen. Wenn sie trainierte, hatte sie keine Zeit, darüber nachzudenken, wie sehr sie ihr altes Leben vermisste. Trotzdem machte sie sich Sorgen, denn sie wusste, dass sie nicht den Rest ihres Lebens an Saws Seite verbringen würde. „Ich sollte lernen“, sagte sie leise.

Saw schaute verwirrt drein. „Lernen? Unterweise ich dich denn nicht?“

„Ich meine damit nicht Mathe, Geschichte oder Physik“, erklärte Jyn. „Ich sollte …“ Ihre Stimme wurde brüchig. „Mama hat mich vieles gelehrt.“ Sie dachte an die Lektionen, die sie ihrer Mutter verdankte, an die Art, wie Lyra das gemeinsame Backen in eine Chemiestunde verwandelt hatte, oder an die Weise, wie Galen ihr etwas über Kristallspektrometer beibrachte.

Ein Gefühl, das Jyn nicht erkannte, spiegelte sich geisterhaft in Saws Miene, doch bevor das Mädchen sich danach erkundigen konnte, was los war, stand er ruckartig vom Tisch auf und ging den Korridor entlang zu ihrem Zimmer. Einen Moment später kehrte er mit dem alten Datapad zurück.

In all den Tagen, die sie nun schon bei Saw war, hatte Jyn sich kein einziges Mal die Mühe gemacht, es einzuschalten. Er hingegen berührte es jetzt an der Seite, und als er ihr das Gerät reichte, leuchtete der Bildschirm auf. Sie drehte das Datapad in ihren Händen und schaute sich seine Ausstattung an. Der Apparat verfügte über einen Holoprojektor und eine Netzwerkkarte, mit der sie sich mit dem HoloNet verbinden konnte.

„Ich lehre dich alles, was ich weiß“, sagte Saw. „Alles, was du sonst noch wissen willst, musst du dir selbst beibringen.“

Jyns Blick schweifte von dem Datapad in ihren Händen zu Saws vernarbten, groben Fingerknöcheln. „Okay“, sagte sie. „Darf ich jetzt in mein Zimmer gehen?“

Saw blinzelte überrascht. „Natürlich. Du kannst gehen, wohin immer du willst. Dies ist jetzt dein Zuhause.“

Jyn vergewisserte sich, dass ihre Zimmertür geschlossen war, ehe sie sich am Boden auf der Matratze zusammenrollte. In der Kammer war es so still und dunkel. Bevor ihre Mutter sie in die Höhle geschickt hatte, um auf Saw zu warten, hatte Lyra ihrer Tochter die Kyberkristallkette gegeben und zu ihr gesagt: „Vertraue der Macht.“ Dann hatte sie gesagt: „Ich werde da sein.“ Bislang hatte Jyn dieses Versprechen so verstanden, dass ihre Mutter sie aus der Höhle holen würde, doch einen Moment lang fragte sich Jyn, ob diese Worte möglicherweise etwas vollkommen anderes bedeuteten – ob ihre Mutter damit vielleicht in Wirklichkeit sagen wollte, dass sie in der Macht sein würde.

Jyn saß mit übereinandergeschlagenen Beinen und geschlossenen Augen in der Mitte ihres Bettes und konzentrierte sich auf die Stille in ihrem Zimmer. Sie zwang sich, die Macht zu fühlen. Wenn es überhaupt jemanden gab, der ihr nun helfen konnte, der ihr dabei helfen konnte, Kontakt zu ihrem Vater herzustellen, dann war es Mama. Sie wartete darauf, dass die Macht ihr bewies, dass sie tatsächlich existierte – doch das tat sie nicht.

Jyn zog sich die Decke über den Kopf und griff dann nach dem Datapad. Sie rief die Übertragung des Imperialen HoloNets auf. Das mattblaue Licht erhellte ihre kleine Kammer, und da sie sich sicher war, dass es Saw nicht gefallen würde, wenn sie dem „Feind“ zuhörte, stellte sie die Lautstärke leiser. Bei jedem neuen Bericht, der kam, fragte Jyn sich, ob sie womöglich etwas über ihren Vater bringen würden. Gewiss war die Ergreifung von Galen Erso doch nachrichtenwürdig, oder? Was Jyn betraf, so wollte sie einfach bloß ihren Papa wiedersehen – doch im HoloNet kam nichts über ihn.