Buchcover

Leo Frank-Maier

Operation Johannesburg

SAGA Egmont

Neulich traf ich einen sehr alten Mann beim Taubenfüttern im Stadtpark. Er erzählte mir, er habe vierzig Jahre lang als Aufseher in einer Anstalt für Geisteskranke gearbeitet. Seither erkenne er jeden Idioten auf eine Entfernung von fünfzig Metern.

Ich kann den Alten gut verstehen. Ich habe zwanzig Jahre im »Geheimen Nachrichtendienst« gearbeitet. Seither erkenne ich jeden Geheimdienstler aus ebensolcher Distanz.

Leo Frank

Neunzehn Jahre war Oberpolizeirat Dr. Hammerlang jetzt Chef der Wiener Staatspolizei. Seitdem er wußte, daß seine Sekretärin und ehemalige Geliebte für den sowjetischen KGB arbeitete, freute ihn sein Job nicht mehr. Und er wußte es schon seit mehr als vier Jahren.

Sicherlich hätte er schon lange etwas dagegen tun können. Ein Gerichtsverfahren kam nicht in Frage, einen Skandal konnte er nicht brauchen. Aber eine diskrete Versetzung der Frau Fachoberinspektor Margarete Scherbier in eine unwichtige Abteilung wäre machbar gewesen. Und wahrscheinlich hätte er das auch schon lange tun sollen. Doch da war Mr. Cooper vom CIA, der sehr dagegen war. Und von Mr. Cooper hatte er damals ja auch die Information von der Doppelrolle seiner Gretl erfahren. Auch die Beweise gesehen.

Die Frau Fachoberinspektor verwendete bei allem, was er ihr diktierte, frisches Durchschlagpapier. Das fiel niemandem auf, denn er diktierte ins Stenogramm. Und an der Schreibmaschine war sie allein. Das frische Karbonpapier faltete sie dann zusammen und verstaute das Zeug in ihrer Handtasche. An einem der nächsten Tage wechselte dann dieses Karbonpapier von Gretls Handtasche in die Rocktasche ihres Verbindungsmannes zum KGB. Mit Hilfe eines Spiegels kann man Maschinenschrift auf Pauspapier unschwer lesen, auch Ablichtungen oder Fotografien davon sind technisch kein Problem. So einfach gehen die Dinge manchmal im Leben – sogar in den sogenannten »Geheimen Nachrichtendiensten«.


Dem Oberpolizeirat Dr. Hammerlang war es am liebsten, wenn er allein in seinem Büro war. Die Polstertür geschlossen, das Telefon und die Sprechanlage auf sein Vorzimmer umgeschaltet. Dann hörte er nur gedämpft den Verkehrslärm der Ringstraße und allenfalls noch das Gesumme einer verirrten Stubenfliege. Geräusche, die für seine zerrütteten Nerven gerade noch erträglich waren. Dabei wirkte der Oberpolizeirat auf seine Umgebung als gelassener, ausgeglichener Chef, den nach fünfundzwanzig Dienstjahren im sogenannten »Geheimen Nachrichtendienst« nichts aus der Ruhe bringen konnte.

Von seinem depressiven nervlichen Zustand wußten eigentlich nur zwei Menschen – seine Frau war nicht darunter. Das waren Mr. Cooper vom amerikanischen CIA und die Kellnerin Rosa Kupetzky vom »Kaffee Wimmer« im 3. Wiener Gemeindebezirk. An diesem schwülen Junitag des Jahres 1980 hatte es der Oberpolizeirat wieder einmal geschafft. Er habe eine wichtige Arbeit und wolle nicht gestört werden, hatte er im Vorzimmer in aller Deutlichkeit erklärt. Jetzt zog er erleichtert seufzend seine Jacke aus, besah traurig die vielen Schuppen und weißen Haare am Kragen, machte aber keinen Versuch, das Zeug wegzubürsten. Er hängte die Jacke über einen Bürosessel. Dann nahm er seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und ging zu einem gepanzerten Wandtresor. Dieses feuerfeste und absolut einbruchsichere Safe, von dem auch seine engsten Mitarbeiter vermuteten, daß darin die allergeheimsten Schriftstücke der Abteilung aufbewahrt würden.

Dem aber war nicht so.

Dr. Hammerlang mußte noch ein Ziffernschloß drehen, dann öffnete sich die Stahltüre. Sie quietschte leise. Er nahm eine Flasche aus dem Safe, eine Flasche Cognac, Remy Martin, Jahrgang 1960. Er machte einen herzhaften Schluck, Glas brauchte er keines.

Hammerlang war jetzt fünfundfünfzig und sah auch so aus. Seine ehemals schlanke, sportliche Erscheinung hatte sich im Laufe eines Beamtenlebens zu einer hageren, leicht gebeugten Gestalt gewandelt. Ständiger privater und dienstlicher Ärger prägten in seinem ursprünglich fröhlichen, intelligenten Gesicht die harten Linien jahrelanger Verdrossenheit, und nur wenn er lachte, blitzte so etwas wie ein Anflug längst vergangener Sorglosigkeit auf.

Er lachte selten. Zumeist sah er drein wie jemand, der an Magengeschwüren leidet, aber sein Magen war ganz in Ordnung.

Nicht in Ordnung war der Magen seiner Frau Elise, oder zumindest bildete sie sich das ein. Sie verbrachte seit Jahren viel Zeit in den Warteräumen von Fachärzten, und wann immer sie die Möglichkeit hatte, bezichtigte sie ihren Gatten der Schuld an ihrem Leiden. Weil er sich zu wenig um sie und seine Familie kümmere. Damit hatte sie nicht unrecht, denn Hammerlang war nur selten zu Hause. Elise war jetzt im Klimakterium, seine beiden Töchter pubertierten – mit anderen Worten: Er war daheim ständig von hysterischen Weibern umgeben.

Da saß er lieber im Kaffee Wimmer im 3. Bezirk und plauderte mit Rosi über Weinbergschnecken.

Eine Weile überlegte Dr. Hammerlang, ob er den Tresor schon wieder abschließen sollte. Was er vorhin im Vorzimmer gesagt hatte, war nicht gelogen. Er hatte tatsächlich noch etwas Wichtiges zu erledigen. Dann zuckte er mit den Schultern, holte die Flasche wieder heraus und nahm noch einmal einen kräftigen Schluck. Es war ohnehin schon 16 Uhr, in einer halben Stunde war Dienstschluß. Hammerlang ging zum Fenster und sah auf die Ringstraße hinunter. Er dachte nach. An Mister Cooper vom CIA mußte er denken und daran, was der ihm heute vormittag erzählt hatte.

Nichts Erfreuliches.

Der Österreicher Wilhelm Weiss war also nicht tot, wie seit vier Jahren in den Polizeiakten zu lesen war. Sein Selbstmord damals in der Gartenhütte des alten Rossmaneck war ein gelungenes Täuschungsmanöver gewesen.

Hammerlang erinnerte sich: Die Holzhütte war bis zum Erdboden niedergebrannt. Die verkohlte Männerleiche unkenntlich. Der Abschiedsbrief und das Testament im Handschuhfach des Autos klärte dann alles scheinbar auf. Man vergrub den verschmorten Kadaver und die Akte Weiss, Wilhelm alias Bill White wurde geschlossen. Mit Erleichterung geschlossen. Denn das Geheimarchiv des Ministerialrates Rossmaneck aus der alliierten Besatzungszeit war nach menschlichem Ermessen mit verbrannt. Rossmaneck war der Amtsvorgänger Hammerlangs gewesen und schon lange tot.

Das alles hatte ihm Mr. Cooper nicht aus Freundschaft erzählt, denn das hätte er schon vor vier Jahren tun können. Cooper wollte diesen »absolut sicheren Kanal zum KGB«, wie er es nannte, benützen und diese Informationen samt ein paar Kleinigkeiten den Sowjets zuspielen. Warum wußte der Teufel. Und der »absolut sichere Kanal« saß in Hammerlangs Vorzimmer, und wenn er jetzt daran dachte, daß er mit dieser Frau jahrelang intim war, kamen ihm die Tränen. Nicht, weil sie eine Agentin war. Aber sie hatte seit damals an die zwanzig Kilo zugenommen und mit jedem Kilo war sie auch bösartiger geworden.

Der Hofrat verschloß die Kognakflasche wieder in den Wandtresor. Es gab einige Gründe, warum er Mr. Cooper seinen Wunsch nicht abschlagen konnte.

»Komm zum Diktat, Gretl«, murrte Dr. Hammerlang verdrossen in die Sprechanlage. Dann sah er ihr zu, wie sie ihren fetten Körper durch die Polstertüre schob, den Stenogrammblock in der Hand. »Heiß ist es heute«, sagte sie und ließ sich in einen Sessel fallen. Er sah die dunklen Flecke unter ihren Achseln, die kleinen Tröpfchen an der Oberlippe. »Streng vertraulich, pro domo«, begann er zu diktieren. »Betrifft, Doppelpunkt, Wilhelm Weiss, österreichischer Staatsbürger, Beistrich, ehemaliger CIA-Agent. Derzeitiger Aufenthalt –«

Er beobachtete ihren Gesichtsausdruck. Sie sah nicht anders drein, als ob er sie gebeten hätte, eine Tasse Kaffee herzurichten. Er diktierte weiter und ihr Bleistift flog über das liniierte Papier.

»Wie von einem befreundeten Dienst in Erfahrung gebracht werden konnte«, begann er seinen Bericht. Dann kam die ganze Geschichte von Wilhelm Weiss, so wie es Mr. Copper haben wollte. Daß dieser Wilhelm Weiss derzeit unter dem Namen William Vreugdenhil in Johannesburg, Südafrika, lebte, daß er vor vier Jahren das Archiv des Ministerialrates Rossmanek an die Amerikaner verkauft hatte und daß in diesen alten Aufzeichnungen alle Details über die Beziehungen sowjetischer Besatzungsoffiziere zu ihren amerikanischen Kollegen enthalten waren.

»Nur einen Durchschlag, Gretl«, sagte Dr. Hammerlang, als er mit dem Bericht fertig war. Die Frau Fachoberinspektor nickte.

»Verdammt heiß ist es heute«, sagte sie, als sie das Büro wieder verließ.

Man nannte sie »die Dicke im Vorzimmer«. Margarete Scherbler wußte das, aber es störte sie schon lange nicht mehr.

Sie hatte es aufgegeben, weniger zu essen und keinen Alkohol zu trinken. Sie hatte die morgendlichen Turnübungen aufgegeben und diesen lächerlichen Gymnastikkurs zweimal die Woche. Als zu Beginn der 80er Jahre das »Jogging« modern wurde, hatte sie sich einen Trainingsanzug gekauft und war nach den Anleitungen einer Tageszeitung ein paar Wochen lang täglich eine halbe Stunde durch die Gegend gelaufen. Das machte keine Umstände, denn sie wohnte im 21. Wiener Gemeindebezirk in einer Stadtrandsiedlung, und dort gab es Wege genug, wo man ungestört laufen konnte. Sie hatte auch das Joggen wieder aufgegeben.

Sie war jetzt dreiundvierzig. Ein hübsches, molliges Mädchen war sie einmal gewesen, das gerne lachte und mit dem typischen Charme einer Wienerin gesegnet war. Mit zunehmenden Jahren und zunehmendem Körpergewicht aber schwanden auch Heiterkeit und Frohsinn. Die Frau Fachoberinspektor erster Klasse Margarete Scherbler, Sekretärin und Vorzimmerdame des Leiters der Wiener Staatspolizei, Oberpolizeirat Hammerlang, galt in Kollegenkreisen schon lange als bösartige Intrigantin, die über jeden im Hause was zu tratschen wußte, nur nichts Gutes. Gesellige Zusammenkünfte mit Kollegen gab es deshalb seit langem nicht mehr. Auch hatte sie aufgehört, sich schicke Kleidung zu kaufen und zur Kosmetikerin zu gehen. Alles das hatte Margarete Scherbler im Laufe der Jahre aufgegeben. Ganz zuletzt sich selbst.


Der »Führungsoffizier« der KGB-Agentin mit dem Decknamen »Taiga«, war Leutnant Leonid Kucharsky. Der Leutnant bewohnte im 2. Wiener Gemeindebezirk eine Garconniere und am Türschild stand der Name Leopold Kucera. Offiziell war er bei einer Mineralölfirma »Lobatex« als Chemiker angestellt.

Von all diesen Dingen aber wußte Margarete Scherbler nichts. Weder, daß sie in den Geheimakten der Sowjetischen Botschaft als »Taiga« geführt wurde, noch, daß der kleine dicke Leopold ein Leutnant und Führungsoffizier war. Diese Dinge hätten sie auch nicht interessiert. Tatsache war, daß Leopold Kucera ein weit weniger aufregender Liebhaber war als sein Vorgänger Miroslaw Slobodim. Manchmal hatte Margarete Scherbler den Eindruck, daß ihre Liebesstunden mit Leo ein Teil ihrer Entlohnung waren und daß sich der kleine Dicke im Bett zwar ordentlich abmühte, für ihn die ganze Sache aber so eine Art Dienst am Vaterland war. Am Anfang war sie versucht, mit ihm darüber zu reden und ihm zu sagen, er möge sich seine patriotischen Turnübungen an den Hut stecken, wenn es ihm keinen Spaß machte. Dann aber unterließ sie es. Ihr Leben war ohnehin langweilig genug; und besser ab und zu ein nächtlicher Besuch vom Dicken, als allein in der Wohnung nur mit einer Weinflasche herumzusitzen. Auch störte es sie, daß ihr Leo fast nichts trinken wollte und sie ständig ermahnte, sie möge das Saufen einschränken. Aber auch daran hatte sie sich schon gewöhnt.

Gleich geblieben war seit den aufregenden Zeiten mit Miroslaw Slobodim nur die Art der Verbindung, dieser blödsinnige und überflüssige Geheimdienst-Schnick-Schnack.

In einer bestimmten Telefonzelle mußte Margarete Scherbler im Telefonbuch auf einer bestimmten Seite ein Kreuz mit Kugelschreiber machen. Sie wußte dann, daß am nächsten Tag um Punkt 22 Uhr bei ihr das Telefon läutete und ihr Leo mit einer Klappe 17 verbunden werden wollte. Sie hatte »Sie haben falsch gewählt« zu sagen. Zehn Minuten später klingelte es an ihrer Wohnungstür, und der Dicke stand draußen. Mit diesem angespannten Gesichtsausdruck, als ob eine Verschwörung im Gange sei.

Es war wirklich unangenehm heiß gewesen an diesem Tag und die Frau Fachoberinspektor schleppte sich nach Dienstschluß träge dem Ausgang zu, erwiderte faul die Grüße ihrer Bürokollegen. Sie ging die Ringstraße hinunter Richtung Votivkirche wie nach jedem Arbeitstag. Bei der Telefonzelle zögerte sie eine Sekunde, ging dann aber weiter. Sie hatte die Regel und so leicht wollte sie es ihrem Leo nicht machen. Sie würde in zwei Tagen das Telefonbuch ankreuzen. Der Dicke würde das Datum auf dem Blaupapier lesen und nach dem Grund der Verzögerung fragen. Eine Ausrede würde ihr noch einfallen.

Als bei ihr drei Tage später gegen 22 Uhr zuerst das Telefon und dann die Türklingel läutete und Leopold Kucera scheu um sich blickend eintrat, erzählte sie ihm, wie sie in den letzten beiden Tagen auf dem Heimweg ständig von Kollegen begleitet worden war und sie deswegen das verabredete Zeichen nicht früher geben konnte.

Der Dicke war zufrieden und drehte wie immer eine Nachttischlampe an, zog einen Taschenspiegel heraus und begann das Blaupapier zu lesen. Margarete Scherbler briet indessen in der Küche zwei gewaltige Scheiben Leberkäse in der Pfanne, denn Appetit hatte der Dicke immer. Sie war noch nicht fertig, und es bruzzelte noch ordentlich am Herd, als der Kucera in die Küche kam, bleich im Gesicht und mit allen Anzeichen von Nervosität. Er müsse die Blaupause sofort weiterleiten, erklärte er hastig, er könne sich keine Viertelstunde mehr länger aufhalten, keine weitere Verzögerung verantworten. Sie müsse das verstehen. Er war so schnell bei der Tür draußen, daß die Frau Fachoberinspektor nicht einmal Zeit gefunden hatte zu protestieren. Margarete Scherbler öffnete eine Weinflasche, trank ein Glas in einem Zuge leer. Dann sah sie eine Weile auf den gebratenen Leberkäse und verfluchte den gesamten sowjetischen Geheimdienst und die Stunde, in der sie sich vor zehn Jahren mit diesem angeblichen Studenten Miroslaw Slobodim eingelassen hatte.

Den ganzen Tag hatte Teddy Cooper in seinem Büro in der US-Botschaft in Wien vertrödelt und auf den Anruf des Hofrates Dr. Hammerlang gewartet. Das Telefonat kam am späten Nachmittag.

»Die Sache geht in Ordnung«, hatte Dr. Hammerlang nur unwillig gegrunzt und dann aufgelegt. Ted Cooper wußte, daß der Hofrat keine Freude an der ganzen Geschichte hatte. Aber es war für ihn der sicherste Weg, dem KGB diese Information zuzuspielen, von der er sich so viel erwartete. Er mußte sich irgendeinen Anlaß ausdenken und dem Hofrat wieder einmal eine Kiste Cognac schicken. Kleine Geschenke erhalten schließlich die Freundschaft.


Cooper zündete sich eine Zigarre an und überlegte, ob er an diese dicke Scherbler jetzt seine Observationsgruppe ansetzen sollte. Ob er sie die nächsten Tage rund um die Uhr beobachten lassen sollte, um ganz sicher zu sein, daß sie das Durchschlagpapier des Hammerlang-Diktates ihrem Kontaktmann übergab. Schließlich entschloß er sich, es nicht zu tun. Bei einer Observation kann immer eine Panne passieren, und die Sache war ihm zu wichtig. Er wollte nichts riskieren.

Er rechnete, wie lange es wohl dauern könnte, bis im Hauptquartier des KGB in Moskau die Alarmglocken schrillen würden. Zwei bis drei Tage könnte die Scherbler das Karbonpapier in ihrer Handtasche herumschleppen, das war bei ihr so üblich. Wenn sie dann ihren Treff gehabt und das Zeug übergeben hatte, dauerte es sicherlich keine 24 Stunden mehr. Die Erwähnung des Namens Sergej Andropow in dem Hammerlang-Bericht und die angedeutete Beziehung des ehemaligen Obersten Andropow zum CIA während der Besatzungszeit in Wien mußte im Kreml wie eine Bombe einschlagen. Denn Sergej Andropow war erster Anwärter auf den Posten des Innenministers und somit des Chefs des KGB. Das wußte man in Washington. Jeder andere Kandidat wäre dem Pentagon lieber gewesen, und es war die Aufgabe Ted Coopers, die Karriere des Andropow nach Möglichkeit zu verhindern.

Ted Cooper war ein ausgezeichneter Schachspieler und betrachtete seinen Beruf als eine Art Realisierung dieses königlichen Spieles. In dieser Partie hieß sein Bauernopfer Wilhelm Weiss alias William Vreugdenhil und lebte in Johannesburg. Für den KGB war dieser Mann der einzige noch lebende Mensch, der Aufschluß über die tatsächliche Rolle des Andropow im Wien der fünfziger Jahre geben konnte. Für Cooper stand fest, daß man nun diesen Vreugdenhil auf irgendeine Art kontaktieren werde. Die Frage war nur, auf welche Art.

Ted Cooper sog an seiner zweiten Zigarre und versuchte zu erraten, welchen Zug die Gegenseite jetzt wohl machen werde.

Das Schlimmste, was ihm passieren konnte, war, wenn sich die Russen zu einem Kidnapping entschlossen. Aber ein Menschenraub in diesem riesigen Land Südafrika war keine einfache Sache. Cooper konnte sich nicht vorstellen, wie die Roten den Mann aus dem Land herausbringen sollten. Und einen gesicherten Stützpunkt in Südafrika hatten sie nicht – so hoffte er wenigstens. Und außerdem wollte er nicht glauben, daß man gleich mit allerschwerstem Geschütz auffahren werde. Nach menschlichem Ermessen würden sie irgendeinen tüchtigen Mann mit dem Auftrag nach Johannesburg schicken, den Wilhelm Weiss zu einer verbindlichen Aussage über Andropows Wiener Vergangenheit zu bringen. Man konnte ihm Geld dafür bieten und auch mit Drohungen wegen seines falschen Namens ein wenig nachhelfen. So jedenfalls würde Cooper in dieser Situation reagieren, und warum sollte es bei den Russen anders sein.

Wohl zum hundertsten Male in den letzten Wochen überlegte Cooper, ob er nicht doch noch rasch nach Johannesburg fliegen und vor den Russen mit Willi Weiss reden sollte. Schließlich waren sie einmal fast Freunde gewesen. Damals, vor mehr als zwanzig Jahren. Und schließlich verdankte Wilhelm Weiss den Amerikanern seinen jetzigen Schlupfwinkel und seine finanzielle Unabhängigkeit. Sicherlich, er hatte nichts geschenkt bekommen, sich alles redlich verdient. Der CIA ist ja auch kein Unterstützungsverein.

Aber dann erinnerte er sich wieder an ihr letztes Treffen vor fünf Jahren auf dem Flugplatz in Kairo. »Ich will von euch nichts mehr hören und sehen«, hatte Weiss beim Abschied ernst erklärt. »Von euch nicht und von allen Nachrichtendiensten dieser Welt auch nicht.«

Cooper kannte diesen Wilhelm Weiss. Die Wahrscheinlichkeit, daß er ihn bei einem Besuch gar nicht anhörte und einfach zur Tür hinauswarf, war ziemlich groß. Und das würde die Operation nur verkomplizieren. Denn mit Sicherheit würde es dem sowjetischen Emissär ebenso ergehen. Und das war ein wesentlicher Bestandteil seiner Spekulation: Die Behauptungen über Andropow sollten von Wilhelm Weiss weder bestätigt noch entkräftet werden. Das mußte genügen, dann hatte Cooper diese Schachpartie gewonnen.

Es war schon fast 21 Uhr, als er den Telefonhörer abhob und von der Zentrale ein Ferngespräch nach London verlangte.