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Utta Keppler

Franziska von Hohenheim - Die tapfere Frau an der Seite Carl Eugens

Saga Egmont

Frühling 1765

Das Tal lag im Glanz des Frühlingstages. Vor dem farblosen Himmel spann sich das Gewirr fiedriger Äste, an denen das neue Blattwerk funkelte. Vorjähriges Laub deckte den Hang und wirbelte in feinen Schauern unter dem schwachen Wind zu Tal. Drunten leuchteten die Wiesen – feuchtes flirrendes Grün, vollgesogen mit der ersten Sonne, blaßlila schieierndes Schaumkraut, Schlüsselblumen und blaue Inseln von Vergißmeinnicht am überwucherten Bach. Das geschwungene Tal mündete an einem vergrasten See.

Auf dem Weg, den Licht und Schatten fleckten, rasselte die Karosse heran; steif saß der Freiherr von Bernerdin im Fond, hinter und neben ihm drei Töchter und auf dem Bock beim Kutscher der Hauslehrer Weber im braunen Schoßrock, über dem der Zopf tanzte. Die Mädchen hielten sich an den runden Kinderhänden: Johanne Eberhardine und Juliane, elf- und fünfjährig, schauten großäugig über die schimmernden Wiesen. Franziska lehnte schüchtern neben dem ernsten Vater, den Spitzenschirm gegen die Sonne gehalten.

Bernerdin saß hager und sorgenvoll da, die Knie angezogen, und überdachte den Ertrag des kleinen Gutes im Ellwangischen, das er mit seiner rührigen Frau schlecht und recht umtrieb. Franziska lachte vor sich hin und spielte mit dem Schirm. Der junge Hauslehrer drehte sich um und wurde rot dabei. Während die Pferde gleichmäßig forttrabten, tauchten hinter den Feldern die Parkbäume auf und zwischen ihnen das schmale Dach des Hauses. Es war still im Wagen, während die Kutsche in den engen Schloßhof von Adelmannsfelden einbog.

Die schweren Gäule hielten. Bernerdins Gesicht verschloß sich vollends, als die Freifrau unter der Haustür erschien, unruhig nickend, unter dem weißen Häubchen sehr blaß. Hinter ihr schielte die Tochter Louise durch den Türspalt und winkte den Schwestern. Flüchtig begrüßte Frau von Bernerdin die Heimgekommenen, fegte die Mädchen mit einem Wink in ihre Kammern und machte ihrem Mann ein Zeichen. Er warf ihr einen mißvergnügten Blick zu – er hatte sich auf Ruhe gefreut, aber hier mußte etwas Wichtiges im Gang sein, wenn Charlotte Dorothea so aussah.

Sie zog ihn am Rockärmel in das winzige Kabinett neben dem Eßzimmer, wo ein paar von ihren Vohensteinschen Ahnen pastellblaß aus den geschwungenen Rahmen herunterstarrten.

„Bernerdin!“

„Was gibt’s denn?“

„Bernerdin!“

„Sprich schon, ich weiß nachgerade, wie ich heiße!“

„Spotte nicht, Bernerdin! Ein Reitender hat einen Brief vom Leininger gebracht: Der Leutrum, schreibt er, hält durch ihn um eine unserer Töchter an, für seinen Sohn.“

„Der Ritterschaftsrat? Weiß Gott, ihm verdank’ ich etliche hundert Gulden …“, sagte der Freiherr erschrocken.

„Tausend, Mann, und der Alte wär’ schon richtig Sie setzte sich ächzend, aber er ließ sie nicht weitersprechen.

„Frau, können wir denn mehr verlangen, als daß der für seinen Reinhard nach unserer Louise fragt? Er ist immerhin Karlsruher Oberhofmeister und Baden-Durlachscher Geheimderat! Und sie ist schon einundzwanzig! Was soll da das Gejammer? Bist doch sonst so genau mit unserer Rechnung, und jetzt kommt das Geld ins Haus, noch dazu vom Gläubiger selber – wer kann da nein sagen? Wohin will sonst ein Vater mit vier unversorgten Töchtern?“

„Die Marie ist aus dem Haus“, flüsterte die Mutter und wischte die Augen, „die haben wir doch an einen ehrenwerten Mann von gutem Namen gebracht.“

„Aber da sind immer noch vier, die Louise, die Franzel, die Eberhardine, die Julie – uns ist ja kein Sohn geblieben, der das Gut herauswirtschaften könnte …“, er sah sie vorwurfsvoll an.

„Zehn kleine Särge sind auf dem Friedhof, Mann, und alle zehn hab ich so willig empfangen und getragen und geboren wie die fünf Töchter, die uns geblieben sind.“

„Deshalb dürfen wir sie aber nicht festhalten, auch wenn Du’s meinst – es ist Zeit für Louise; und es wird ihr bestes sein.“

„Hat er denn Louise gemeint?“ fragte Frau von Bernerdin und stand auf. „Irgendeine, so hieß es, eine von unseren Mädchen …“ Irgendeine? dachte Bernerdin aufgestört. „Franziska ist zu jung, die nicht. Es wird sicher Louise treffen.“

Bernerdin ging eine Weile schweigend hin und her. Dann blieb er stehen. „Wir können dem nicht zuwider sein, Charlotte“, redete er ernst, „es ist der gewiesene Weg.“

Frau von Bernerdin hatte sich schon in die Lage gefunden; sie rechnete heimlich. „Und wann sollen wir den jungen Leutrum einladen?“ fragte sie.

„Je eher, desto besser, eh er sich’s anders überlegt.“ „Am Sonntag?“ schlug sie vor; „wir können ja dann immer noch mit ihm verhandeln. Ich kenn ihn doch gar nicht und … du willst unseren künftigen Eidam – will’s Gott, er ist respektabel – auch vorher noch prüfen. Und die Mädchen werde ich vorbereiten müssen.“

Bernerdin erhob sich.

„Wir wollen ihnen noch nichts sagen, das hat Zeit, wenn er da ist.“

Das gemeinsame Abendessen verlief still; die Kinder spürten, daß etwas in der Luft lag. Louise, die während der Ausfahrt bei der Mutter geblieben war, schaute heimlich den Vater an, dessen starkbrauiges dunkles Gesicht sie geerbt hatte. Aber beide Eltern schwiegen so nachdrücklich, daß keine der Töchter wagte, zu fragen. Endlich setzte man sich zum Äpfelschälen zusammen – das Winterobst faule im Keller und müsse verbraucht werden, hatte Frau von Bernerdin wortkarg festgestellt. Franziska ging rasch und geschickt mit ihrem Messer um, während sie an dem herumrätselte, was noch ungreifbar in der Luft lag.

Für den Mai war dieser Sonntag zu warm; eine brütende Dämmerung lag seit dem Morgen über den Wäldern. Kein Wind rührte sich, der den fahlen Himmel bewegt hätte.

Üppiger als sonst hatte Frau von Bernerdin schon seit Tagen gebacken und gebraten, die Mägde gehetzt und die Knechte herumgejagt. Der Feiertag begann mit dem Auswählen des Putzes für die heiratsfähigen Töchter, solange sie alle noch schliefen. Einmal schlich die Mutter an die Kammertür, hinter der die beiden Älteren lagen, und horchte auf ihr kaum merkliches Atmen. Dann riß sie sich los, stand gleich darauf wieder in der Küche und befahl, den Braten aufzusetzen, die Rüben zu putzen, die Hühnersuppe am Kochen zu halten.

Bernerdin saß schon früh auf dem Pferd. Er wollte dem Umtrieb im Haus entgehen und seiner eigenen Ruhelosigkeit Herr werden. Er ritt durch den Buchenwald, wo das Vogelgezwitscher seltsam gedämpft klang in dem diesigen Licht des durchsonnten Nebels. Noch einmal überlegte er, was man ihm berichtet hatte: Der junge Leutrum war durch seinen Vater, den Ritterschaftsrat, an den Hof gekommen, er war in Bayreuth Kammerjunker gewesen und galt als Mann von gutem Benehmen und kavaliersmäßigen Sitten; zwar spielte und trank er gern und hatte einige auffällige Affären hinter sich. Aber kein Zug in diesem Bild stach vom Üblichen ab, wenn es auch Bernerdins puritanischen Grundsätzen nicht ganz entsprach. Offenbar sah man dem jungen Menschen vieles nach. Es klang manchmal geringschätzig oder doch mitleidig, wenn von ihm geredet wurde, und es machte dem Freiherrn ein wenig Sorge, daß er so klein sein sollte, so „mäßig von Wuchs“, wie es der Leininger ausdrückte. Nun – man mußte abwarten, und die Mädchen sollten nicht schon erschreckt werden, noch ehe der Freier selbst auftauchte.

Die Töchter tuschelten untereinander. Sie fürchteten und hofften allerlei – wenigstens eine Abwechslung in ihrem wohlgeregelten Tageslauf. Sie errieten auch ungefähr das Richtige, denn was konnte ihr Putz und die festliche Aufregung im Hause sonst bedeuten? Endlich gab die Mutter eine halbe Erklärung: Ein wichtiger Gast werde erwartet, ein Mann von Stand und Ruf, und man müsse es sich zur Ehre anrechnen, daß er sich herbemühe.

Es war gegen elf Uhr am Vormittag. Über den mißfarbenen Himmel zogen vereinzelt grelle Sonnenstreifen. Das junge Laub im Garten glänzte schweflig wie vor einem Unwetter. Bernerdin war heimgekommen und zog sich, als der Knecht das Pferd versorgt hatte, hastig in sein Kabinett zurück. Da kam der Mann gelaufen, den er als Posten im Straßengebüsch aufgestellt hatte: die hochherrschaftliche Kutsche sei im Anrollen.

Frau von Bernerdin ließ die Mägde anrichten. Mit dem Auftragen sollte jedoch gewartet werden; man rufe dann …

Bernerdin erschien im grünen Samtrock, gepudert und frisiert, ein vergilbtes Spitzenjabot unter dem bläulichen Kinn. Die vier Töchter saßen unbehaglich und bedrückt herum und flüsterten miteinander. Frau von Bernerdin hatte ausnahmsweise verboten, daß sie irgend etwas halfen. Weber war nirgends zu sehen.

Der Hund schlug an – man hatte ihn vorsorglich festgebunden. Das Prachtgefährt rollte langsam ins Tor. Ein Lakai mit weißen Handschuhen sprang ab und öffnete den Wagenschlag im gleichen Augenblick, als die Bernerdins aus der Haustür traten. Oben am Fenster drängten sich die Mädchen hinter den Gardinen.

Sie sahen nicht viel: Bernerdins hohe Gestalt verdeckte den Aussteigenden, die Freifrau versank mit gespreizten Röcken in einen Hofknicks und nahm ihnen die Sicht. Der Lakai hielt den Dreispitz des Besuchers, auch der Kutscher war vom Bock geklettert und stellte sich dienstbereit neben seinen Herrn. Dann verschwanden alle im Haus.

Es dauerte nicht lange, bis Louise und Franziska gerufen wurden. Sie folgten neugierig. Im kleinen Salon saßen Eltern und Gast auf den Brokatstühlen mit den geschwungenen Beinen. Errötend schoben sich die Mädchen hintereinander in den Raum, beide verlegen, geschmeichelt und scheu zugleich. Die Vorhänge waren zugezogen, eine braungraue Dämmerung hielt das stumpfe Tageslicht ab. Stühle wurden gerückt. Die Herren standen auf.

Als Franziska, die neben Louise trat, über die rundlichen Schultern ihrer Mutter spähen konnte, entdeckte sie etwas Grünes, gurkengrüne Seide, Spitzengeriesel, Goldknöpfe über den Frackflügeln und, fast versteckt in dem aufgebauschten Rüschenwerk, eine hochtoupierte Frisur, weiße Tollen und Locken – noch kein Gesicht. Jetzt drehte sich der Kopf: Gelbliche Wangen unter eingesunkenen Augen, ein breiter Mund, kein Kinn, kein Hals, ein gebuckelter Rücken. Unter hängenden Lidern funkelte es die Schwestern an; die Pupillen glitzerten schwarz.

Die Mädchen hielten sich an der Hand. Zitternd sanken sie – fast so tief wie vorher die Mutter – in ihren weiten Röcken zusammen. Sie beugten die Köpfe und erhoben sich langsam. Dann rief der Freiherr sie zu sich und stellte sie vor: „Louise, besonnen und häuslich, einundzwanzig Jahre alt, und Franziska“ – seine Stimme schwankte – „siebzehn und noch unerfahren im Hauswesen, noch recht jung …“

Sie reichten dem Gast nacheinander die Hand zum Kuß. Leutrum lachte. Seine gepreßte Stimme klang wie die eines alten Menschen, als er sagte: „Louise und Franziska, Louise und – Franziska!“

Er ließ aus halbverdeckten Augen einen Blick über die beiden gehen, legte die Hand auf das Ordensband an seiner Hüfte und drehte sich zu den Eltern um, die gespannt zugesehen hatten.

„Ihr habt zwei schüchterne Töchter, Herr von Bernerdin“, meinte der Grüne spaßend, „und eine so hübsch wie die andere …“ Er wandte sich an die Mutter, als mache er einen Witz.

Die Mädchen waren blaß geworden; ihre Mienen verschlossen sich. Franziska wandte hilfesuchend das Gesicht zu ihrer Mutter. Nur Louise lächelte gefaßt. Leutrum wiegte ein paarmal den Kopf.

Da machte Frau von Bernerdin der Szene ein Ende und bat zu Tisch. Der Hausherr ließ dem Freier den Vortritt. Franziska hielt sich hinter dem Vater. Erstaunt starrte sie auf Leutrums lange baumelnde Arme, die mageren Hände unter den Spitzenmanschetten, die fast in Kniehöhe hingen – geäderte Hände von beinahe transparenter Zartheit, leidende Hände. Sie nahm sich vor, während der Mahlzeit nur seine Hände anzusehen, nicht die Augen.

Man setzte sich. Bernerdin trank dem Bewerber zu „auf eine innige Verbindung der beiden alten Geschlechter“; Leutrum hob sein Glas. An seinem Zeigefinger blitzte ein großer Solitär, ein Diamant von reinstem Feuer. Louise hielt den Kopf gesenkt, sie merkte blad, daß Leutrums Blicke immer wieder zu Franziska zurückkehrten. Mitleid regte sich in ihr. Sie war derber und nüchterner als die zarte Schwester und hätte eher standgehalten in der Ehe mit dem Verwachsenen.

Leutrum griff nach seinem Kelch und grüßte zu Franziska hinüber, die funkelnden Augen auf sie gerichtet. Franziska wurde rot und schloß krampfhaft die Hand um ihr Glas, das ihre Mutter mit gewässertem Wein gefüllt hatte. Es war sonderbar still an der Tafel.

Bernerdin versuchte mühsam, ein Gespräch in Gang zu bringen. Vom Hof war die Rede, von den Jagden, von den Klagen der Bauern. Ach, sie murrten wohl über die Sauhatz, die ihre Felder verwüste? sagte der Gast, und über die Wildmast auf ihren Äckern? Aber für so ein Fest wie das am Bärensee letzten Herbst brauche man an die dreihundert gut gefütterte Hirsche und Rehböcke und für ein Sautreiben an die zwanzig Eber, denn die Geladenen hätten fast alle selber Waldbesitz und seien verwöhnte Kenner.

„Es ist aber doch bitter für die Landleute“, meinte Bernerdin, „wenn sie ihren Zins an Feldfrüchten und Korn abliefern sollen und so klägliche Ernten haben! Was bleibt ihnen dann übrig? Ich teile den Meinen immer das Mögliche zu, damit sie leben können.“

Für die Herrschaft dürfe es ja ein wenig mehr sein, da sie eben die Herrschaft sei, warf Frau von Bernerdin schnell ein, als sie Leutrums spöttisches Lächeln sah.

Leutrum fuhr mit der Hand durch die Luft.

Bernerdin solle sich doch vorstellen, was so eine prachtvolle Frau wie die Maitresse en titre an Schmuck brauche, von den übrigen Tänzerinnen und Sängerinnen zu schweigen … und ob Carl Eugen vielleicht den endlich erreichten Ruhm fahrenlassen solle, den glanzvollsten Hof Europas zu haben?

„Das hat der Casanova gesagt“, bemerkte Bernerdin ärgerlich, „ein Abenteurer und Scharlatan, überall gefüttert und gefürchtet an den Höfen, und ein Frauenjäger trotz seiner vierzig Jahre, wie ihn nur Venedig hervorbringen kann!“

Frau von Bernerdin blickte bedrückt nach den Mädchen hinüber, die unbehaglich auf den Rändern ihrer Stühle hockten.

„Casanova?“ Leutrum lachte. „Ein amüsanter Mann und sehr gebildet, in der hohen Mathematik wie in der Magie der Kabbala bewandert, dem jedermann schön tut, damit er gut von ihm redet, denn er ist ja überall zu Hause! Haben Sie nicht das Histörchen gehört, wie er der Rosette Dugazon, weiland Favoritin Serenissimi, aus der Verlegenheit half? Die große Mimin hat bekanntermaßen eine taube Zunge – das R fällt ihr schwer … Da hat der Teufelskerl es fertiggebracht, in einer Nacht ihre Rolle so umzuschreiben, daß kein einziges Wort mit R mehr drinstand – um den Preis eines Kusses, sagt er …“ Der Freiherr schaute auf seinen Teller.

„Ich kenne Ihre strengen Sitten und gut protestantischen Prinzipien, Bernerdin“, Leutrum zog einen Mundwinkel hoch. „Wir sind übrigens gleichfalls Protestanten, wenn auch nicht gerade Glaubensflüchtlinge wie Ihr Ahn Andreas aus Tirol.“

Er trank. „Die Zeiten sind anders jetzt: Wer keinen Sinn hat für das Schöne, wie man’s am Hof versteht, der wird übersehen. Und Serenissimus ist doch das Maß aller Dinge …“

Er drehte sein Gesicht wieder den Mädchen zu. Auch die Jüngsten waren jetzt hereingebracht worden; in steifen langen Kleidchen standen sie an der Wand und machten große Augen. Leutrum warf ihnen eine Handvoll Konfekt zu, als beschenke er gaffendes Straßenvolk. Frau von Bernerdin befahl ärgerlich, Hocker zu bringen, und schob die Kinder zwischen sich und den Vater.

Leutrum beobachtete jetzt Franziska, die mit gebeugtem Nacken vor sich hinsah. Ihre kleinen Ohren schimmerten rot unter den geringelten Haaren, die auf den zartfarbigen Hals fielen. Die schönen Hände lagen neben dem Gedeck. Es müßte ein imposantes Bild sein, dachte Leutrum, neben der hellhäutigen Blondine in einen erleuchteten Ballsaal zu treten und alle Blicke auf sich zu ziehen, auch die von Leuten, die sich sonst abwenden, wenn ich hereinkomme; schön müßte es sein, sich mit einem so köstlichen Besitz zu schmücken wie mit einem seltenen Juwel!

Bernerdin saß mit kaum beherrschtem Mißmut an der Tafel. Serenissimus ist das Maß aller Dinge, wiederholte er sich, „und das Mädchen stiert er an wie ein Aufkäufer!

Leutrum spürte die Veränderung. Er sagte mit einem boshaften Lächeln: „Ihr habt Schwierigkeiten bei der Erbteilung Eures Besitzes gehabt? Die Herren von Junkhenn und Gültlingen waren keine bequemen Partner dabei, nehme ich an?“

Bernerdin verschluckte den Ärger über das ungehörige „Ihr“.

„Die Verhältnisse sind verwickelt“, antwortete er kurz, „die Eidame der Tanten haben sich nicht immer benommen wie Edelleute.“

„Mein Vater scheint aber Wege gefunden zu haben, sie zufriedenzustellen? Es kam mir so vor – nach seinen Andeutungen …“

Bernerdin sah seine Frau an. Sie schloß die Lippen in einer mahnenden Grimasse: Man soll einen mächtigen Gläubiger nicht reizen … Bernerdin runzelte die Stirn und blickte bedeutsam auf Franziska und Louise, die eben hinausgingen, um dem ungeschickten Diener beim Servieren zu helfen.

Leutrum verstand den Wink: Auch Bernerdin bot etwas von Wert, das die Vorschüsse des Ritterschaftsrats wohl aufwiegen konnte.

Franziska spürte, welcher Art die Gedanken waren, die wie Ströme hin- und hergingen. Sie preßte den Mund zusammen und sah zu den Männern hinüber, die jetzt am Tisch standen, die Hände aufgestützt. Sie schaute die Mutter an: Sie und der Vater gaben ihre Tochter preis. An dieses dunkle krumme Wesen.

Leutrum hatte Franziskas Blick erfaßt. Ich kaufe sie gegen ihren Willen, dachte er und schämte sich plötzlich. Aber – ich bin doch nicht schuld an meiner Ungestalt. Ich habe keinen Grund zur Dankbarkeit und keinen zur Güte. Ich werde sie alle zwingen, zu tun, was ich will.

Er beugte sich vor. „Darf ich die Herrschaften zu einer Wagenfahrt einladen, am kommenden Sonntag? Ich würde eine kleinere ‚Wurst‘ mieten, denn meine Fahrzeuge könnten doch die ganze liebe Familie nicht fassen!“

Jetzt fingen die beiden kleinen Mädchen zu lachen an. Frau von Bernerdin rief sie zur Ordnung. Die „Wurst“ sei ein offenes Fuhrwerk, erklärte sie, das bis zu zwölf Leute aufnehmen könne.

„Der Hof benutzt es bei gutem Wetter zu seinen Touren“, ergänzte Leutrum gewandt, „es hat kommode Polster und Lehnen. Ich möchte mit der verehrten Sippschaft auf den Neresheimer Klosterberg fahren, von da aus ist das Land schön zu überblicken, und die Benediktiner schenken einen guten Wein aus.“

Frau von Bernerdin verbeugte sich im Sitzen und flüsterte mit halbem Lächeln etwas von Ehre und delikatem Vergnügen; sie sagte im Namen aller zu, auch, fügte sie hinzu, auch der Töchter …