Andreas Tjernshaugen

Das verborgene Leben der Meisen

Aus dem Norwegischen von Paul Berf

Mit vielen Abbildungen

Insel Verlag

Vorwort

Es fing damit an, dass mein Vater anrief. Wir wechselten wie üblich ein paar Worte über uns und den Rest der Familie und erzählten einander anschließend, welche Vögel wir in letzter Zeit gesehen hatten. Diesmal hatte Vater allerdings noch etwas anderes auf dem Herzen. Er war kürzlich in Rente gegangen und hatte seither Zeit, sich im örtlichen Vogelverein zu engagieren. Nun wollte er wissen, ob ich Lust hätte, ihn zu einer ihrer Veranstaltungen zu begleiten. Der Biologe Bo Terning Hansen war mit der Fähre aus Oslo nach Nesodden gekommen, um einen Vortrag mit dem Titel So geboren oder so geworden? Zur Bedeutung von Vererbung und Umwelt bei Meisen zu halten. Das hörte sich so originell an, dass ich beschloss hinzugehen.

Etwa fünfundzwanzig Zuhörer hatten sich in einem Klassenzimmer eingefunden. Bo Terning Hansen spielte uns den Gesang einer Kohlmeise vor, die dachte, sie wäre eine Blaumeise, oder die zumindest wie eine sang, weil die Forscher sie in einem Blaumeisennest aufwachsen ließen. Während ich ihm lauschte, dämmerte mir, wie viele bemerkenswerte Dinge man gerade über diese so alltäglichen Vögel herausgefunden hatte, ohne dass ich oder andere grundsätzlich an Vögeln interessierte Menschen etwas davon mitbekamen. Hansen zeigte auch Filmausschnitte von Meisen, die eine Art von Intelligenztests absolvierten. Letztlich entschied ich mich wohl schon an Ort und Stelle. Ich wollte den Geheimnissen der Meisen auf den Grund gehen. Und ich wollte über sie schreiben.

Nach dem Vortrag radelte ich schnurstracks nach Hause und begann nach Artikeln und Büchern zu suchen, die mir mehr über das unbekannte Leben dieser so vertrauten Vögel verrieten. Bald darauf las ich von Kohlmeisen, die Fledermäuse und andere Kleinvögel tothacken, um ihre Gehirne zu fressen, von Vaterschaftstests, die eine weit verbreitete Untreue unter Meisen enthüllen, und von Verhaltensstudien, die zeigen, dass die Persönlichkeit von Vogel zu Vogel variiert, so dass Vögel derselben Art sich in der gleichen Situation häufig völlig unterschiedlich verhalten. Je mehr ich las, desto sicherer war ich mir, dass die Meisen ein Buch verdienten, das allen, die es lesen wollten, die eigentümlichen Geschichten der Vogelforscher über das Leben von Kohl- und Blaumeisen erzählte.

In den folgenden Monaten lud ich Hunderte Forschungsartikel herunter und spürte alte und neue Fachbücher auf. Da ich nie Biologie studiert hatte, benötigte ich neben der Literatur über Meisen zahlreiche Bücher über Vögel und Tiere im Allgemeinen. Natürlich musste ich auch Forscher, die sich mit Meisen beschäftigen, um Rat fragen. Darüber hinaus wollte ich meine eigenen Erfahrungen machen, ich musste mir also sowohl Kohl- als auch Blaumeisen genauer anschauen, als ich es je zuvor getan hatte.

Letzteres war allerdings nicht weiter schwierig, denn die Meisen sind da, vor dem Fenster, bei mir daheim genauso wie an den meisten anderen Orten in Norwegen und Europa, überall dort, wo Menschen leben.

Nesodden, 2. April 2015

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Großvater und die undankbare Meise

Mit dem Auto erreicht man die Halbinsel Nesodden am Oslofjord aus südöstlicher Richtung, da sie dort mit dem Festland verbunden ist. Nimmt man die Landstraße 156, die Hauptverkehrsader, die an der Ostseite der Landzunge entlangführt, weichen die Fichten bald Weizenfeldern, Reiterhöfen und, je nach Jahreszeit, Erdbeer- oder Brennholzverkaufsständen. Eichenwäldchen findet man auch. Am ersten Kreisverkehr steht eine kleine und hübsche mittelalterliche Kirche mit einem Friedhof, auf dem meine Großeltern und Urgroßeltern väterlicherseits begraben liegen.

An der schroffen Westseite fährt man dagegen viele Kilometer, ohne Felder oder grasendes Vieh zu sehen. Hier windet sich die schmale Landstraße 157 an Tümpeln und kleinen Seen, steilen Hängen und Felsklippen sowie Wald aus Fichten, Birken und Espen vorbei. Auf dieser Seite sind die Feldstücke so kärglich und liegen so verstreut, dass sich Landwirtschaft nicht lohnt. Selbst in früheren Zeiten, als viele Zipfel Land noch bepflanzt wurden, benötigten die Menschen eine weitere Einnahmequelle. Ungefähr auf halber Strecke nordwärts, nach einem langen, steilen Anstieg mit absurd scharfen Kurven, gefolgt von einer etwas sanfteren Abfahrt, gelangt man zu einer Talsenke mit einem Waldsee, einem Tjern, zur Rechten. Auf der anderen Seite des Gewässers, unter einem bewaldeten Hügel, liegt die frühere Häuslerkate, die meine Urgroßeltern besaßen und von der sie ihren Familiennamen ableiteten. Tjernshaugen.

Auf der anderen Seite der Straße, zur Linken, führt eine kiesbedeckte Auffahrt zu einem Hügel mit Aussicht auf den See hinauf. In dem Haus auf der Kuppe, das Großvater kurz nach dem Krieg erbaute, wuchs mein Vater mit vier Geschwistern auf. Das Grundstück war so groß, dass Großmutter und Großvater dort Obst, Beeren, Gemüse und Kartoffeln anbauen konnten. Vater wurde losgeschickt, um die Erdbeeren den Sommergästen aus Oslo zu verkaufen, die sich in ihren Sommerhäusern an dem Hang aufhielten, der sich zum Oslofjord hinabsenkte. So kam zusätzlich ein wenig Geld herein. Großvater war Arbeiter und später Vorarbeiter im Shell-Tanklager, das nur einen kurzen Fußweg entfernt am Fjord lag, von wo das Öl mit Schiffen aus dem Ausland ankam und von Tanklastern abgeholt wurde.

Wie zahlreiche andere Gebäude in Norwegen wurde auch Vaters weißgestrichenes Elternhaus regelmäßig von kleinen gefiederten Saboteuren angegriffen. Kohlmeisen fraßen den Kitt rund um die Fensterscheiben, der damals aus Kreidepulver und essbarem Leinöl hergestellt wurde. Trotz dieser Unart waren die Meisen herzlich willkommen. Sie erhielten Kost und Logis.

Großvater schreinerte Nistkästen, die er zusammen mit seinen Kindern aufhängte, damit die Meisen im Frühjahr einen Ort zum Nisten hatten. Und im Winter fütterte die Familie die Kleinvögel – mit Brotkrumen, Haferflocken und Sonnenblumenkernen, manchmal auch mit einem Stück Speckschwarte von dem Schwein, das sie großzogen und vor Weihnachten schlachteten. Gartenbesitzer wurden angehalten, Meisen auf ihr Grundstück einzuladen, zum einen war es ein hübscher Anblick auf dem Hof, zum anderen waren die Meisen eine große Hilfe bei der Bekämpfung von Schadinsekten, von denen die Ernte zernagt wurde. Meisen galten als gute Nachbarn. Sie spielten in einer ganz anderen Liga als Beerendiebe wie Drosseln und Stare, ganz zu schweigen von Krähen und Elstern.

Von Kindesbeinen an gefiel es meinem Vater, Kohlmeisen und andere Gäste im Futterhaus zu beobachten. Die Blaumeise war damals noch ziemlich selten, erzählt Vater, der das Vogelleben auf Nesodden seit nunmehr gut sechzig Jahren im Auge behält.

Großvater starb früh, ich war noch keine fünf Jahr alt. In meiner klarsten Erinnerung an ihn holen wir Honigwaben aus den Bienenstöcken. Das muss 1976, in seinem letzten Sommer, gewesen sein. Großvater war mit einem Schutzanzug, einem Netz auf dem Kopf und einer betäubenden Imkerpfeife ausgerüstet. Ich stand in sicherer Entfernung, hatte aber trotzdem Angst, gestochen zu werden. Hinterher gingen wir in den Keller, wo die Schleuder stand, in der die Waben so schnell gedreht wurden, dass sich der süße, goldene Honig aus ihnen löste und in große Gläser floss, die ich nach Hause mitnehmen durfte. Wir wohnten nur einen Kilometer entfernt.

Einmal wurde Großvaters Geduld mit den Meisen auf eine harte Probe gestellt, es ging um die Bienenzucht. In einem Frühjahr in den sechziger Jahren kam eine Kohlmeise, die, wie gesagt, mit Kost und Logis versorgt wurde, auf die Idee, seine Bienen anzugreifen. Die Reihe der Bienenstöcke stand so weit wie möglich vom Haus entfernt, am hinteren Ende des Gemüsegartens, und die Familie hatte gelernt, die reizbaren Insekten mit Respekt zu behandeln. Doch zu Beginn des Frühjahrs, als die Bienen nach der Winterruhe noch schlaftrunken waren, setzte sich diese raffinierte Meise auf das Flugbrettchen unter der Öffnung zum Stock. Wenn sie ein wenig gegen das Flugbrettchen pickte, hatte sie herausgefunden, kamen kalte und müde Bienen herausgekrochen, um nachzusehen, was da draußen eigentlich vorging. Die Meise schnappte sich daraufhin eine Biene, pflückte säuberlich ihre Flügel ab und verspeiste den Rest des kleinen Honigproduzenten. Wie zahlreiche Imker vor und nach ihm war Großvater verzweifelt. Er klagte seinem vogelbegeisterten Sohn sein Leid, der inzwischen in der Hauptstadt ins Gymnasium ging und sich bereits ein Fernglas angeschafft hatte.

Wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, war Vater geradezu besessen von Vögeln. Das hieß zwar nicht, dass er zu langen Expeditionen verschwand oder viel Geld für sein Hobby ausgab, seine weitesten Vogelausflüge führten ihn nach Østfold hinunter und er war nicht oft unterwegs. Aber das Fernglas und sein gelbes Notizbuch hatte er wirklich überall und immer dabei, am Küchentisch, auf der Veranda, auf Spaziergängen in der näheren Umgebung und oben im Wald, auf den täglichen Pendelfahrten mit der Fähre nach Oslo und selbstverständlich auch bei allen Urlaubsreisen. Er protokollierte seine Beobachtungen genau und zeichnete seine Zeitreihen als Kurven mit rotem oder blauem Kugelschreiber auf Millimeterpapier.

Daheim half ich ihm, aus leeren Milchkartons Futterstationen zuzuschneiden, an denen sich Meisen und andere Kleinvögel bedienten. Es könnte um 1980 gewesen sein und den Tipp fanden wir, wenn ich mich nicht irre, auf einem der Milchkartons. Wir hängten sie mit Bindfäden in die Birke vor dem Wohnzimmerfenster, und ich hege den Verdacht, dass den Vögeln bei Wind ganz schön schwindlig wurde. Nistkästen mit Meisenfamilien hatten wir auch.

Was die Vögel anging, konnte ich mich jedoch nicht einmal ansatzweise mit Vaters Ausdauer messen. Es war spannend, geweckt zu werden, um nach der Eule zu suchen, die in der Nähe schuhute, oder ihn in den Wald zu begleiten, wenn die Birkhähne im Morgengrauen balzten. Es machte Spaß, die Enten in dem Tümpel in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zu füttern. Auch die Aufregung, wenn ein seltener Raubvogel vorbeischwebte, war natürlich ansteckend. Ich mochte es, wenn Vater mir Vögel zeigte, aber das Beobachten der Tiere entwickelte sich bei mir nie zu einem Hobby. Vielleicht lag es daran, dass es schon einen Vogelbeobachter im Haus gab. Dadurch konnte es niemals ganz meine Sache werden, wie es das für Vater geworden war, als er aufwuchs und begann, das Leben der Vögel in einem immer größeren Radius um sein Elternhaus herum zu erforschen. Stattdessen interessierte ich mich in beinahe jeder anderen Weise für die Natur. Ich fing Insekten, Spinnen und viele andere Tiere und versuchte, sie in Gefangenschaft zu halten. Mein Kinderzimmer füllte sich mit immer neuen Aquarien, tropischen Orchideen und vielen verschiedenen Pflanzen. Ich schnorchelte, fischte und brach mit einem Freund zu langen Wanderungen im Wald auf. Später wurde uns erlaubt, im Wald auf Nesodden zu übernachten, am liebsten taten wir das unter freiem Himmel, und als wir alt genug waren, führten unsere Ausflüge uns in die Berge. Ein Fernglas besaßen wir nicht, aber wenn wir einen Steinadler sahen, war das schon ein Erlebnis.

Die Meisen und die anderen Vögel, in deren Nähe ich aufgewachsen war, bemerkte ich im Grunde erst, sobald sie nicht mehr da waren. Als meine eigenen Kinder klein waren, verbrachten wir ein knappes Jahr an der Westküste der USA, an der Bucht von San Francisco im nördlichen Kalifornien, wo sengende Sonne und Meernebelschwaden sich einen ewigen Kampf um die Vorherrschaft liefern. Dort gab es weder Kohl- noch Blaumeisen, ebenso wenig Elstern, Rotkehlchen und Amseln. Stattdessen waren die Gärten und Parks voller unbekannter Vögel, voller Junkos und Kolibris und Wanderdrosseln und blauschwarzer Diademhäher mit Federhaube auf dem Kopf, und auf Wanderungen begegnete man Truthahngeiern, Kaninchenkäuzen und Rotschulterstärlingen. Dort begann ich, mit einem Fernglas herumzulaufen. Anfangs lockte mich die Möglichkeit, exotische Arten zu sehen, aber als ich mich mit dem Vogelleben in unserer kalifornischen Umgebung vertraut machte, geschah mit der Zeit noch etwas anderes. Die Landschaft an der Küste des Stillen Ozeans erschien mir nicht mehr ganz so fremd. Ich fing an, mich dort heimisch zu fühlen.

Wieder in Norwegen, sah ich die Vögel mit ganz neuen Augen. Wir hatten uns auf Nesodden niedergelassen, nahe der Nordspitze und des Anlegers, an dem die Fähren uns Pendler einsammeln und in die Hauptstadt bringen, und fortan durfte mich das Fernglas immer öfter begleiten. In den Jahren nach meiner Rückkehr auf unsere Halbinsel im Oslofjord habe ich gelernt, wo die Baumpieper im Frühlingswald singen, und ich habe gelernt, auf das klingelnde Geräusch zu achten, das einen Schwarm Seidenschwänze ankündigt, der im Winter auf der Suche nach gefrorenen Vogelbeeren aus dem Norden hierher zieht. Noch wichtiger erscheint mir, dass ich gelernt habe, so unspektakuläre Vögel wie die Kohl- und die Blaumeise nicht zu verachten. Man bildet sich leicht ein, sie zu kennen. Aber sie haben mehr Geheimnisse, als man glaubt.

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Im neuen Jahr

Jeden Winter wird in unserem Land eine Gartenvogelzählung durchgeführt. Tausende Norweger folgen dem Aufruf und teilen mit, welche Vögel zum Monatswechsel von Januar zu Februar bei ihnen zu sehen sind. Die Norwegische Ornithologische Gesellschaft addiert die Zahlen und veröffentlicht Listen über die meist beobachteten Arten. Die Gewinner sind jedes Jahr die gleichen: Kohlmeise und Blaumeise.

Sie sind nicht die am häufigsten anzutreffenden Vögel Norwegens. Das ist nämlich der Fitis, ein kleiner, olivgrüner Vogel, der im Frühjahr aus Afrika zu uns zieht und uns im Herbst wieder verlässt. Die Kohl- und Blaumeisen sehen die Leute am meisten, denn sie gehören zu den Arten, die ganzjährig hier sind und sich gern in der Nähe von Menschen aufhalten. Außerdem sind sie bunt und leicht zu erkennen.

In diesem Jahr beäuge ich die Meisen, die in unserem verschneiten Garten Sonnenblumenkerne fressen, ein wenig argwöhnisch. Ich habe mir etwas gekauft, wogegen ich mich lange gesträubt habe: einen Nistkasten mit eingebauter Kamera. Die Meisen stehen für Kindheit, vergangene Zeiten und Natur, und es kommt mir irgendwie falsch vor, die Idylle mit Leitungen und Elektronik zu zerstören. Trotzdem hat meine Neugier über die Nostalgie gesiegt. So läuft es ja meistens.

Nun liegen Gebrauchsanweisung, Holzkasten, Kamera und sämtliche Leitungen ausgebreitet auf meinem Schreibtisch. Ich betrachte sie nach wie vor mit gemischten Gefühlen, während ich meinem jüngeren Sohn Petter erkläre, was ich da zusammenbaue. »EIN SPIONAGENISTKASTEN«, sagt der Siebenjährige in einem Tonfall, der sonst für Worte wie Süßigkeiten und Legoland reserviert ist. »Cool!«, kommentiert der zehnjährige Jo, als er nach Hause kommt nur wenig blasierter. Sieh einer an. Die Neuerwerbung erscheint mir allmählich wie ein Fortschritt.

Etwas später steige ich konzentriert die Aluminiumleiter hinauf, die halbwegs stabil an die Hauswand gelehnt steht. Der alte Nistkasten, den ich auswechseln möchte, hängt hoch. Die Wand zeigt nach Westen und hat Abendsonne, was sicher nicht die perfekte Position für einen Nistkasten ist, aber es sind darin trotzdem Vögel aus den Meisenjungen geworden. Seit ich den rot lackierten Kasten an die gleichfarbige Wand hängte, hat dort Jahr für Jahr eine Blaumeisenfamilie gewohnt. Und so entferne ich den rotlackierten Nistkasten und befestige den neuen Kasten mit Kamera an derselben Stelle. Während der alte rau und voller Splitter war, ist der neue holzfarbige Kasten glattgehobelt. An den Seiten hat er Plastikfenster, die zwar lichtdurchlässig, aber nicht durchsichtig sind. Die Kamera ist innen an die Decke montiert und aus der Rückwand führt ein langes, schwarzes Kabel heraus, das ich durch eine Lüftungsklappe am Giebel der menschlichen Behausung stecke, die so hoch ist, dass ich die Leiter loslassen und mich schwindelnd zu ihr hinstrecken muss, um die Leitung durch die Öffnung schieben zu können.

Angeblich soll es kinderleicht sein, die Kameraleitung an den Computer anzuschließen und die Software so zu installieren, dass sie reibungslos funktioniert. Es ist nicht kinderleicht. Nach einigem Herumprobieren können wir am Ende aber doch ein klares und gutes Bild aus dem Inneren eines vollkommen leeren Nistkastens bewundern. Bei Tageslicht ist es in Farbe. Wenn es dunkel wird, sieht man ein Schwarzweißbild des leeren Raums, aufgenommen von einer Spezialkamera, die Infrarotlicht registriert, also Licht mit einer so langen Wellenlänge, dass weder Vogelaugen noch das menschliche Auge es sehen können. Es gibt sogar ein Mikrofon, das fürs Erste jedoch nur das Geräusch des Windes einfängt, der vor dem Nistkasten rauscht.

Ich zeige meinem älteren Sohn, wie er die Liveübertragung aus der Überwachungskamera als kleines Fenster auf dem Computerbildschirm öffnen kann. Ich bitte ihn, mir im Frühjahr bei der Beobachtung zu helfen. Vielleicht übernachtet eine der Meisen in dem Kasten, bevor sie endgültig einziehen. Das tun sie oft.

Eine Bleibe

Meisen leben bevorzugt in Höhlen. Viele andere Kleinvögel bauen ihre Nester offen auf dem Erdboden oder in Bäumen und setzen darauf, dass Tarnung und diskretes Verhalten der Eltern am Nest ihre Eier und Jungen davor bewahrt, gefressen zu werden. Die Meisen verschanzen sich dagegen, wenn irgend möglich, hinter soliden Wänden. Sie bevorzugen Öffnungen, die gerade so breit sind, dass sie selbst hindurchschlüpfen können.

Es gibt zwar mehr Meisenarten, aber in Wohnsiedlungen und Städten begegnet man vor allem den beiden Sorten mit gelber Brust, der Kohlmeise und der Blaumeise. Die beiden Arten sind recht eng verwandt. Sie ähneln einander und haben eine ähnliche Lebensweise. Einer der Gründe dafür, dass sie sich in der Nähe von Menschen wohl fühlen, ist ihre Flexibilität bei der Wahl einer Behausung.

Im Wald entscheiden sie sich am liebsten für Hohlräume und Spalten in alten Bäumen. Ansonsten finden sie sich dort zurecht, wo es gerade passt: unter Baumwurzeln, zwischen Steinen und sogar in alten Ratten- und Mäuselöchern. Darüber hinaus benutzen Kohl- und Blaumeisen häufig von Menschenhand erschaffene Verstecke. Meisennester hat man in Briefkästen, Rohröffnungen, Schornsteinen, Straßenlaternen, Benzinkanistern, Flaschen, Stiefeln, Bienenstöcken und Hohlräumen in Gebäuden gefunden. Unter anderem. Eine wohl nur halbwegs glaubhafte Geschichte aus England berichtet, ein Blaumeisenpaar habe einst zwischen den Zähnen im Schädel eines erhängten Mörders genistet.

Heute beginnen sehr viele Kohl- und Blaumeisen ihr Leben in eigens dafür gebauten Nistkästen. Den Brauch, solche Vogelbehausungen aufzuhängen, kennt man in anderen europäischen Ländern schon seit dem Mittelalter. Damals steckte die Absicht dahinter, die Bewohner zu verspeisen. Allerdings waren es keine Meisen, die sich zum Einzug verleiten ließen, sondern Spatzen und Stare.

Im 19. Jahrhundert begannen Naturinteressierte, Nistkästen aufzuhängen, um die Vögel zu studieren. Sie bemerkten, dass die Meisen viele Insekten fraßen, und schon bald plädierten Vogelfreunde dafür, die Meisen einzuladen, sich praktisch überall niederzulassen, um den Menschen im Kampf gegen Schadinsekten zu helfen. »Als Insektenzerstörer sind sie zweifellos die nützlichsten aller Vögel, die unsere Wälder und Gärten bewohnen«, schrieb beispielsweise August Emil Holmgren bereits 1871 in seinem Buch Die Vögel Skandinaviens über die Meisen. Holmgren war Lehrer am Schwedischen Waldinstitut und meinte, jeder fleißige Bauer und Gärtner solle den Meisen helfen, indem er Nistkästen aufhängte. Wer das tue, könne sich über schöne und lebhafte Kleinvögel um sich herum sowie über Obstbäume und Beerensträucher freuen, die fast ohne Schadtiere seien, erklärte der Schwede. Er gab zu, dass die Kohlmeise zuweilen auf die Idee verfiel, Bienen zu jagen, behauptete aber, ohne dies jedoch näher zu erläutern, alle, die »ihre Bienen auf rationale Art hegen und pflegen«, hätten von den Meisen nichts zu befürchten.

Schließlich versuchten auch die Waldbesitzer, Meisen zu rekrutieren, um den Wald davor zu bewahren, kaputtgenagt zu werden. In Deutschland soll ein Baron von Berlepsch 1905 etwa zweitausenddreihundert Nistkästen auf seinen Gütern installiert haben.

»Wenn sich die Blaumeise an Obst vergreift, zum Beispiel an Pflaumen, ist es völlig offensichtlich, dass die Frucht wurmstichig ist. Es ist also nicht die Frucht, sondern die Raupe in dieser, an die der Vogel herankommen möchte«, versichert Herman L. Løvenskiold in seinem Handbuch über die Vögel Norwegens von 1947. Systematische Versuche auf niederländischen Apfelplantagen in neuerer Zeit deuten darauf hin, dass die Obstbauern tatsächlich ihre Ernteerträge verbessern konnten, wenn sie sich um Meisen bemühten. Wo Nistkästen zwischen den Obstbäumen hingen, gab es weniger wurmstichige Äpfel.

Die meisten, die heute Nistkästen aufhängen, tun dies sicher, weil sie Singvogelfamilien in ihrer Nähe haben wollen, aber die Hoffnung, lästige Insektenlarven loszuwerden, trug mit dazu bei, dass es zu einer weitverbreiteten Sitte wurde. Unabhängig vom wirtschaftlichen Nutzen sind die Nistkästen für Kohl- und Blaumeise von großem Vorteil. Sie werden nicht nur gebaut und montiert, um ihren Bewohnern einen bestmöglichen Schutz zu bieten, ihren Besitzern wird sogar geraten, die Kästen alljährlich zu leeren und zu säubern. Das macht den blutsaugenden Flöhen den Garaus, die man sonst so häufig in alten Nestern findet.

Der Klang des Frühlings

An einem Sonntag Anfang Februar hören wir durch die geschlossenen Wohnzimmerfenster Vogelrufe. Es ist ein Meisentrupp, der endlich die Körner entdeckt hat, mit denen ich am Freitagnachmittag den Futterspender gefüllt hatte. Einige Vögel kommen mit einem hellen »pink!«. Andere zwitschern schnarrend, vielleicht sehen sie uns hinter dem Fenster und warnen einander. Ab und zu hört man außerdem eine Kohlmeise, die ihren Frühlingsgesang erprobt, zwei einfache Töne: tsi-da tsi-da tsi-da.

»Oh, dieser Klang erinnert einen an den Frühling«, sagt Katrine, die meines Wissens noch nie einen Kleinvogel anhand seines Gesangs bestimmt hat. Die Meisenrufe lassen sie nun an eine Tasse Kaffee vor einer sonnenbeschienenen Wand, an Krokus und schneefreie Stellen denken. Der Garten vor unserem Fenster ist vorerst noch schneebedeckt, aber leichter Regen liegt in der Luft und ein Kohlmeisenpaar inspiziert einen Nistkasten in der Kiefer südlich des Hauses. Das Weibchen verschwindet im Inneren und kommt wieder heraus, untersucht den Kasten sorgfältig von innen und außen. Das Männchen sitzt in der nackten Eberesche nebenan und beobachtet alles. Es hüpft herum, wirkt erregt. Ab und an singt es eine Strophe.

Der Kasten aus Kiefernholz ist traditioneller Art, unlackiert und aus rohen, ungeschliffenen Bretterstücken zusammengenagelt. Lars Petter und Mariane haben ihn mir zu meinem vierzigsten Geburtstag geschenkt. Sie arbeitet als Leiterin von Remontér AS, einer Werkstatt für behinderte Menschen, deren Träger die Kommune Nesodden ist und in der neben vielem anderen auch solche Nistkästen geschreinert werden. Das Logo ist ins Holz eingebrannt. Besorgt frage ich mich, ob die Meisen diesen guten, altmodischen Kasten aus Kiefernholz dem neumodischen Kamerakasten an der Hauswand vorziehen werden, so dass wir alles verpassen, was im Inneren geschieht. Oder bekommen wir dieses Jahr zwei Meisenfamilien? Aus diesem Grund habe ich den Kiefernholzkasten jedenfalls hängen gelassen.

In dieser Phase des Jahres bahnt sich im Leben der Meisen eine gewaltige Veränderung an. Man hört es: Zusätzlich zu den unterschiedlichen Rufen, mit denen die Vögel untereinander Kontakt halten und sich gegenseitig vor Gefahren warnen, beginnen die Männchen zu singen. Der Gesang des Meisenmännchens ist melodischer und ausdauernder als die anderen Meisenrufe und spielt eine ganz eigene Rolle. Mit seinem Gesang verkündet das Männchen, dass es das Gebiet, in dem es singt, in Besitz nimmt, es ist eine Herausforderung an andere Männchen, die sich möglicherweise für dasselbe Gebiet interessieren, und darüber hinaus eine Einladung an das Weibchen. Im Herbst und Winter geben viele Kohl- und Blaumeisen ihr Revier auf und streifen auf der Suche nach Futter frei umher. Wer bleibt, versucht nicht länger, andere davon abzuhalten, sich in seinem Territorium aufzuhalten. Im Winter ist es einfach wichtiger, satt zu werden. Wenn der Frühling naht, haben Grenzpatrouillen – und der Gesang – jedoch wieder oberste Priorität.

Im Inneren der Meise geschehen andere große Veränderungen, die für uns unsichtbar bleiben. Sie kommen kurz gesagt Jahr für Jahr in die Pubertät. In ihren kleinen Körpern, die bis dahin ganz darauf eingestellt waren, zu fressen und Gefahren aus dem Weg zu gehen, wüten die Hormone. Die Geschlechtsorgane, die im Körper verborgen liegen, sind im Laufe von Sommer und Herbst stark geschrumpft. Im Frühling wachsen sie dann wieder. Ei- und Samenzellen reifen heran. Auch das Gehirn verändert sich, so wachsen unter anderem jene Teile im Gehirn des Männchens, die den Gesang steuern. Wahrscheinlich wird bei vielen Vögeln das Gehör geschärft, damit beide Geschlechter den Gesang des Männchens besser wahrnehmen und bewerten können.

Das Startsignal für die alljährliche Pubertät der Meisen geben die stetig länger werdenden Tage im Frühjahr. Das Tageslicht löst eine Kettenreaktion von Hormonen aus, die im Gehirn beginnt, aber schon bald den ganzen Körper erfasst. Viele dieser Hormone tragen vertraute Namen wie Melatonin, Östrogen, Testosteron und Thyroxin. Auch wenn sie chemisch nicht mit unseren Hormonen identisch sind, so sind sie doch eng mit ihnen verwandt. Das Hormonsystem ist ein Teil des gemeinsamen Erbes, das Menschen, Meisen und andere Wirbeltiere (Tiere mit Wirbelsäule und Schädel) von den gemeinsamen Vorfahren übernommen haben. Dieses chemische Signalsystem funktioniert so gut und flexibel, dass die Evolution es über Millionen von Jahren hinweg bewahrt hat, aber welche Signale wann ausgesandt werden, hängt selbstverständlich ganz davon ab, an welche Lebensweise der einzelne Organismus sich angepasst hat.

Man sollte annehmen, die Augen gäben Bescheid, wenn die dunkle Jahreszeit vorüber ist, aber ganz so einfach ist es nicht. Vögel verfügen nämlich zusätzlich über spezielle lichtempfindliche Zellen tief im Gehirn, die zwar nicht zum Sehen benutzt werden können, aber die minimalen Mengen von Licht registrieren, die bis zu ihnen vordringen. Deshalb bekommen selbst blinde Vögel angesichts länger werdender Tage Frühlingsgefühle.

Jemand, der zu mir passt

Meisen schließen sich zu Paaren zusammen, die sich im Frühjahr gemeinsam um die Jungen kümmern. So ist es zwar bei den meisten, aber längst nicht bei allen Vögeln. Man nehme nur die Stockenten, die in sämtlichen Seen auf Nesodden schwimmen. Die farbenprächtigen Erpel (die Väter) sammeln sich in eigenen Sommerschwärmen, die für sich bleiben, während die braungefleckten alleinerziehenden Mütter die Eier ausbrüten und anschließend ihren jeweiligen Konvoi aus Daunenknäueln durch Schilf und Wasserlilien lotsen. Oder eine andere Entenart, die Eiderenten, die unten im Fjord nach Krabben und Garnelen tauchen: Auch bei ihnen machen sich die farbenfrohen Väter aus dem Staub, aber die Eiderentenmütter arbeiten bei der Aufzucht der Kinder zusammen und versammeln ihre Jungen zu einer Art schwimmendem Familienkindergarten.

Die Meisenmutter braucht dagegen einen Mann, der sie unterstützt. Ohne seine Mithilfe schafft sie es nicht, die Jungen durchzufüttern.

Wie und wann die Meisen einen Partner oder eine Partnerin finden, ist ein wenig rätselhaft. Vielleicht geschieht es ja ähnlich variabel und unvorhersehbar wie beim Menschen. So kann das Zusammenleben damit beginnen, dass ein Meisenweibchen heranfliegt und beschließt, sich bei einem einzelnen Männchen niederzulassen, das in seinem Revier sitzt und lockt und singt. Manche Meisen kommen im Frühjahr aber auch als etablierte Paare geflogen und suchen sich gemeinsam ein Revier. Manche Paare nisten Jahr für Jahr zusammen. Wenn die Brutzeit bei Kohlmeisen erfolglos verläuft, scheint es vor der nächsten Saison häufig zur Scheidung zu kommen, aber die Partner können sich auch aus anderen Gründen trennen. Vielleicht verlieren sie sich bei Ausflügen zur Futtersuche im Laufe des Winterhalbjahrs, oder einer der Partner fühlt sich zu einer anderen Meise hingezogen.

Die Partnerwahl ist für die Meisen jedenfalls von entscheidender Bedeutung. Ihnen bleiben nur wenige Brutzeiten, um sich fortzupflanzen, so dass es darauf ankommt, dies mit jemandem zu tun, der dazu taugt. Gerade die Weibchen haben besonders gute Gründe, wählerisch zu sein. Die einzige Möglichkeit, Nachwuchs durchzubringen, besteht für sie darin, dass bei den Jungen, die das Paar gemeinsam aufzieht, alles gelingt. Die Männchen können dagegen auch die biologischen Väter von Jungen werden, die in den Nestern anderer Paare groß werden.

Das Weibchen sucht also nach einem zuverlässigen Männchen, das sich seinem Teil der Aufgabe bei der Aufzucht der Brut gewachsen zeigt und darüber hinaus über gute Gene verfügt, die an die gemeinsamen Sprösslinge weitergegeben werden. Das bedeutet nicht unbedingt, dass es an Eier und Junge denkt, wenn es sich nach einem männlichen Partner umschaut. Vielleicht tut es das, vielleicht auch nicht. Wir Menschen denken häufig ganz anders, wenn wir zusammenfinden, wir fühlen uns einfach zu jemandem hingezogen, sind bezaubert und verlieben uns in den anderen, und wenn wir nicht in einem Alter sind, in dem es allmählich Zeit wird, eine Familie zu gründen, dauert es manchmal eine ganze Weile, bis sich Gedanken dieser Art einstellen. Allerdings ist auch unsere Fähigkeit, uns gegenseitig anzuziehen und ineinander zu verlieben, auf natürliche Weise entstanden, weil sie die Frage der Nachfahren sicherstellt.

Das Meisenweibchen interessiert sich offenbar für das Aussehen des Männchens. Wie für den Menschen sind auch für Vögel Sehvermögen und Gehör die wichtigsten Sinne. Obwohl Sie und ich Säugetiere sind, benutzen wir unsere Sinne in einer Weise, die eher an Vögel als an die meisten pelzigen säugenden Lebewesen erinnert, die häufig wesentlich weiter entwickelte Geruchsorgane besitzen als wir. So leben Hunde in einer Welt aus Düften, während Menschen und Meisen die wichtigsten Eindrücke mit Augen und Ohren wahrnehmen.

Aber wie sieht ein attraktives Meisenmännchen aus? Es hat auf jeden Fall schöne Farben. Kohlmeisenweibchen liegt viel an dem breiten schwarzen Brustband des Männchens. Sie bevorzugen Exemplare mit breiter und ausgeprägter Krawatte. Eine kräftige gelbe Farbe auf der Brust dürften beide Geschlechter attraktiv finden, die Blaumeisen genauso wie die Kohlmeisen. Eine intensive gelbe Farbe deutet nämlich darauf hin, dass der Vogel sich gut ernährt hat, da die gelbe Farbe eine direkte Folge der Kost, vor allem der grünen Spannerraupen ist, von denen die Meisen im Vorsommer viele verspeisen. Die Raupen beziehen die gelben Farbstoffe, Carotine genannt, aus den Blättern, die sie fressen. Diese Farbstoffe befinden sich den ganzen Sommer in den Blättern, werden aber erst als gelbe Herbstfarben sichtbar, wenn die Bäume das grüne Chlorophyll aus den Blättern herausziehen, um es bis zum nächsten Frühjahr zu speichern.

Vermutlich haben Kohl- und Blaumeisen ein so farbenprächtiges Federkleid erhalten, weil farbenprächtige Individuen am begehrtesten sind und somit die meisten Kinder bekommen. Die kräftigen Farben sind der sichtbare Beweis dafür, dass die Vögel gesund und wohlgenährt sind. Ist das der Fall, stehen die Chancen besser, dass sie der harten Arbeit gewachsen sein werden, die sie leisten müssen, um ihre Jungen aufzuziehen. Die Farbpracht kann außerdem darauf hindeuten, dass der Vogel gute Gene an die nächste Generation weitergeben wird, was die Chancen der Jungen verbessert, zu überleben und sich schließlich selbst fortzupflanzen. Außerdem deuten schöne Farben an, dass der Vogel nicht von übermäßig vielen Flöhen, Läusen oder Bakterien befallen ist, die ihn schwächen. Eine Meise, die sich mit einem farbenprächtigen Partner paart, verringert auf diese Weise das Risiko, sich mit etwas anzustecken. Aber wie gesagt, wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vögel so denken. Vielleicht halten sie nur nach bestimmten Mustern Ausschau, die sie als schön empfinden. Vielleicht fühlen sie sich von Vögeln mit einem bestimmten Aussehen unwiderstehlich angezogen. Die natürliche Selektion favorisiert eine zweckmäßige Partnerwahl mit dem Ziel, möglichst viele Nachkommen zu erhalten, unabhängig davon, welche Gedanken, Gefühle oder Impulse die Wahl beflügeln.

Der Steckbrief

Wegen ihrer klaren Farbgebung sind die Meisen auch für Menschen leicht zu erkennen.

Für die Kohlmeise gilt folgender Steckbrief: Pechschwarzer Kopf mit großen weißen Feldern auf der Wange. Gelbe Brust mit einem schwarzen, senkrechten Band in der Mitte. Kein anderer norwegischer Vogel weist diese Kombination auf.

Auch das restliche Federkleid der Kohlmeise ist hübsch – der Rücken ist grünlich, während die Flügel und der Schwanz blaugrau sind. Die Flügel ziert ein schmaler, heller Querstreifen.

Die Blaumeise unterscheidet sich durch das Muster auf ihrem Kopf von allen anderen norwegischen Vögeln. Die Oberseite des Kopfs ist blau. Ansonsten ist er größtenteils weiß, zeigt aber einen schmalen, dunklen Streifen vom Nacken zum Auge und weiter bis zum Schnabel.

Der restliche Körper ist dem der Kohlmeise sehr ähnlich, aber die Blaumeise wird ihrem Namen mit etwas mehr Blau im Federkleid gerecht. Sieht man die beiden Arten zusammen, erkennt man, dass sie deutlich kleiner ist als die Kohlmeise. Sie ist leicht genug, um selbst auf den äußersten Zweigen nach Futter zu suchen und hängt dabei gern kopfüber von ihnen herab.

Pfaue und Meisen

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Wie sich inzwischen herausgestellt hat, sind die Blaumeisen ultraviolette Meisen. Kurz vor der Jahrtausendwende entdeckten Wissenschaftler, dass das Federkleid von Männchen und Weibchen im ultravioletten Bereich einen markant unterschiedlichen Farbton aufweist und es zudem bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen gibt. Die Forscher, die dies ermittelten, fanden außerdem Belege dafür, dass Meisenweibchen Männchen mit besonders klarer und schöner ultravioletter Farbe auf dem Scheitel des Kopfs – also bei den Federn, die der Mensch als blau wahrnimmt – bevorzugten. Dies erregte so viel Aufmerksamkeit, dass sich eine ganze Reihe weiterführender Studien anschloss. Die Ergebnisse sind in der Frage, welche Bedeutung die für uns unsichtbaren Farbunterschiede für die Meisen haben, ein wenig widersprüchlich. Sicher aber ist, dass sie einander in einem anderen Licht sehen.

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