Einige wenige Hinweise für die, die weiterlesen wollen ...

Immer zuerst zu den Quellen; genannt sind Studienausgaben, die auf weitere Texte hinweisen:

Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel revidiert 2017. Jubiläumsausgabe 500 Jahre Reformation mit Sonderseiten zu Martin Luthers Wirken als Reformator und Bibelübersetzer, Stuttgart 2016.

Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u.v.a., Neukirchen-Vluyn 1994ff. (zweisprachige Auswahl lateinischer und französischer Texte mit Übersetzungen in zehn Bänden).

Martin Luther, Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, hg. v. Wilfried Härle, Johannes Schilling und Günther Wartenberg †, Leipzig 2006–2009 (22016; zweisprachige Ausgabe in drei Bänden).

Martin Luther, Deutsch-Deutsche Studienausgabe, hg. v. Johannes Schilling mit Albrecht Beutel, Dietrich Korsch, Notger Slenczka und Hellmut Zschoch, Leipzig 2012–2016 (zweisprachige Ausgabe in drei Bänden).

Huldrych Zwingli, Schriften, im Auftrag des Zwinglivereins hg. v. Thomas Brunnschweiler u. Samuel Lutz, Zürich 1995 (bislang vier Bände).

Und dann zur Sekundärliteratur:

Christian Danz / Jan-Heiner Tück (Hgg.), Martin Luther im Widerstreit der Konfessionen. Historische und theologische Perspektiven, Freiburg u.a. 2017.

Ulrich Gäbler, Huldrych Zwingli. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, mit einem Nachwort und Literaturnachträgen von Martin Sallmann, Zürich 2004.

Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer. Geschichte und Deutung, Berlin 1988.

Berndt Hamm / Michael Welker, Die Reformation: Potentiale der Freiheit, Tübingen 2008.

Ulrich Heckel u.a. (Hgg.), Luther heute. Ausstrahlungen der Wittenberger Reformation (utb 4792), Tübingen 2017.

Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, Tübingen 62011.

Walter Kardinal Kasper, Martin Luther. Eine ökumenische Perspektive, Ostfildern 2016.

Thomas Kaufmann, Erlöste und Verdammte: Eine Geschichte der Reformation, München 42017.

ders., Luthers Juden, Stuttgart 32017.

Ulrich H.J. Körtner, Reformatorische Theologie im 21. Jahrhundert (Theologische Studien. Neue Folge Band 1), Zürich 2010.

Hartmut Lehmann, Luthergedächtnis 1817–2017 (Refo500 Academic Studies 8), Göttingen 2012.

Volker Leppin, Die Reformation (Geschichte kompakt), Darmstadt 22017.

ders., Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 22017.

Christoph Markschies, Reformationsjubiläum 2017 und der jüdisch-christliche Dialog (Studien zu Kirche und Israel. Kleine Reihe 1), Leipzig 2017.

Volker Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf, München 2009.

Joachim Ringleben, Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 57), Tübingen 2010.

Lyndal Roper, Der Mensch Martin Luther. Die Biographie, Frankfurt/Main 2016.

Heinz Schilling, Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie, München 42016.

ders., 1517: Weltgeschichte eines Jahres, München 2017.

Wolfgang Thönissen / Josef Freitag / Augustinus Sander (Hgg.), Luther: Katholizität & Reform. Wurzeln – Wege – Wirkungen, Leipzig/Paderborn 2016.

Klaus Unterburger, Unter dem Gegensatz verborgen. Tradition und Innovation in der Auseinandersetzung des jungen Martin Luther mit seinen theologischen Gegnern (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 74), Münster 2015.

Dorothea Wendebourg, So viele Luthers ... Die Reformationsjubiläen des 19. und 20. Jahrhunderts, Leipzig 2017.

Inhalt
Vorwort
Am Anfang war das Wort ... oder: Logo und Motto gesucht
Wissenschaftliche Kontroversen und ökumenische Perspektiven
Reformatorisches Christentum ist kein Oberseminar für Gebildete
Nach der Feier ist vor der Feier
Reformatorische Aufbrüche nach dem Jubiläum ... oder: Orientierung gefunden?
Nachwort
Einige wenige Hinweise für die, die weiterlesen wollen ...

Vorwort

Aufbruch oder Katerstimmung? Wenn man sich mit Menschen unterhält, die sich nur im mindesten für Reformation und das Reformationsjubiläum 2017 interessieren, hört man meist sofort eine klare Position zur Frage, was dieses Reformationsjubiläum gebracht hat. Die meisten Menschen wissen sehr genau, ob das Jubiläum, das durch eine Dekade von Themenjahren seit dem 21. September 2008 vorbereitet wurde und vom 31. Oktober 2016 bis zum 31. Oktober 2017 als fünfhundertjähriges Jubiläum des Thesenanschlags gefeiert wurde, als Erfolg oder als Flop zu werten ist. Zwischentöne sind selten zu hören. Die einen heben aus der Fülle der Veranstaltungen Gelungenes hervor und betonen den Bildungswert der vielen Aktivitäten, die anderen kritisieren Misslungenes und beklagen das viele unnötig eingesetzte Geld. Auch das mediale Echo folgt eher dem Modell klarer Wertungen: „Luther ist die Pleite des Jahres“ titelte eine Zeitung, „Luther-Jahr: Die Kunstausstellungen machen das Rennen“ eine andere. Während sich die einen über kluge Grußworte theologisch hochgebildeter evangelischer und katholischer Spitzenpolitiker (und -politikerinnen) freuen, sehen andere darin und in anderen staatlichen Beteiligungen am Jubiläum eine unzulässige Verquickung von Staat und Kirche, die sie an längst vergangene Zeiten eines hochproblematischen Bündnisses von Thron und Altar erinnert. Manche wiederum beklagen den Kommerz samt unvermeidlichen Geschmacklosigkeiten und regen sich über Lutherfiguren eines Nürnberger Spielzeugwarenherstellers auf, manche verweisen dagegen auf den Humor eben dieses Reformators und könnten sich sogar noch mehr Merchandising-Artikel als nur Lutherbier, Luthersocken und Luther-Quietscheentchen vorstellen.

© Playmobil – geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG, Zirndorf, www.tourismus.nuernberg.de/shop

Jedenfalls freuen sich längst nicht alle darüber, dass ausgerechnet eine Figur mit einer Bibel in der Hand das bislang erfolgreichste Produkt des Herstellers ist und millionenfach verkauft oder verschenkt wurde (und nicht die gleichfalls angebotenen Raubritter, Feuerwehrleute oder Indianer). Das böse Stichwort von der „Selbstbanalisierung“ der Evangelischen Kirche ist im Raum, obwohl schon im 19. Jahrhundert massenhaft verkleinerte Standbilder Luthers die Schreibtische der Pfarrer und Gelehrten zierten, beispielsweise auch den des großen Berliner Kirchenhistorikers Adolf von Harnack. Was die einen als „Selbstbanalisierung“ beklagen und als Teil von „Selbstsäkularisierung“ kritisieren, erscheint anderen als gelungene, auf bestimmte Zielgruppen hin orientierte Erzeugung von Aufmerksamkeit für ein in der bundesrepublikanischen Gesellschaft längst nicht mehr selbstverständliches Thema. Aber wie groß ist die Aufmerksamkeit, die geweckt wurde? Und wie gut wurden die Zielgruppen angesprochen? Darüber wird seit Jahren schon fröhlich gestritten.

Hinter den aufgeregten Debatten um die Bewertung von zehn Jahren Aktivitäten stehen allerdings wichtige Fragen, die auch nach dem Ende der Feierlichkeiten von Bedeutung sein werden: Wie viel Kommerz verträgt ein Jubiläum einer religiösen Aufbruchsbewegung? Wie viel staatliches Engagement ist bei einer kirchlichen Feier erlaubt? Wie weit darf eine komplexe theologische Botschaft vereinfacht werden, wenn sie öffentlichkeitstauglich kommuniziert werden soll? In welchem Umfang braucht das kulturelle Gedächtnis die subtilen Dekonstruktionen der Geschichtswissenschaft? Und vor allem: Was bleibt von allen Feierlichkeiten für die kommenden Jahre übrig?

Alle Debatten um das Reformationsjubiläum haben sich schon ganz früh in den Kontroversen um die verschiedenen Logos, mit denen das Jubiläum als Ganzes und einzelne Aktivitäten beworben wurden, angedeutet. Diese Debatten haben sich immer wieder an Streitigkeiten um Logos und einzelne Merchandising-Artikel (wie beispielsweise dem Playmobil-Luther) verdichtet. Als 2016 in einem der vielen wissenschaftlichen Beiräte des Jubiläumsjahres vor Museums- und Universitätsleuten die Werbemaßnahmen für die drei großen nationalen Sonderausstellungen in Berlin, auf der Wartburg und in Wittenberg unter dem Motto „3 x Hammer: Die volle Wucht der Reformation“ vorgestellt wurden – die Kampagne erhielt übrigens mehrere Design-Preise –, brach aus einem prominenten Reformationshistoriker die lang angestaute Enttäuschung in scharfen Worten heraus: Schon wieder die alte Leier mit dem hammerschwingenden Luther als Ikone eines nationalen Protestantismus! Man spürte unter seiner Polemik die Enttäuschung, dass alle fachhistorische Arbeit subtiler Differenzierung sich so wenig in der Hammer-Kampagne der Design-Agentur zu spiegeln schien.

© Staatliche Geschäftsstelle „Luther 2007“

Nichts war in der Graphik mit drei Hämmern – die einstige DDR-Bürgerinnen und Bürger sofort an das entsprechende Werkzeug ihres ehemaligen Staatswappens erinnern – von der historischen Erkenntnis zu sehen, dass Thesen im Spätmittelalter niemals mit Hammer und Nagel angeschlagen wurden. Dabei hatte schon 1966 der Spiegel getitelt: „Luthers Thesen – Reformator ohne Hammer.“ Nichts war zu bemerken von der schon zum Jubiläum 1967 ausführlich diskutierten historiographischen Unsicherheit, ob der Anschlag der Thesen von 1517 überhaupt so stattfand, wie er seit dem 16. Jahrhundert erinnert wurde. Kritiker des Emblems „3 x Hammer“ behaupteten in den folgenden Wochen und Monaten, dass Luther gerade in kirchlichen Kreisen immer noch als hammerschwingender Nationalheros dargestellt werde und das Jubiläum neue, der historischen Wahrheit eher entsprechende Bilder leider nicht produziert habe. Die im erwähnten Beirat bei der ersten Vorstellung des Logos anwesenden Fachleute verwiesen allerdings auf den für zeitgenössische Werbung eher typischen leicht ironischen Unterton („Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“), der auch das Logo „3 x Hammer“ prägt, und so wurde das Logo trotz des scharf artikulierten Widerspruchs fast ein ganzes Jahr lang verwendet. Vielleicht ist ja mindestens die Ahnung, dass Hammer und Nagel das reformatorische Wirken Luthers nicht wirklich zu charakterisieren vermögen, weiter verbreitet, als besorgte Kirchenhistoriker ahnen. Und vermutlich muss man nicht einmal zu den letzten Resten des klassischen Bildungsbürgertums gehören, um eine gewisse Ironie beim Betrachten der Kampagne und ihrer drei Baumarkt-Hämmer zu spüren. Für eine solche Interpretation der Kampagne spricht, wie deutlich der hammerschwingende Luther in den vergangenen Jahren zum Gegenstand von Witzen und Karikaturen geworden ist, die über die social media eine weite Verbreitung gefunden haben.

Nochmals: Wie viel Ironie erträgt der heilige Ernst in einer Kirche? Wie viel Kommerz verträgt ein Jubiläum einer religiösen Aufbruchsbewegung mit eminent wirtschaftskritischen Untertönen? Wie viel staatliches Engagement ist bei einer kirchlichen Feier zur Erinnerung an eine präzise Theorie der Unterscheidung von Kirche und Staat erlaubt? Wie weit darf eine komplexe theologische Botschaft vereinfacht werden, um öffentlichkeitstauglich kommuniziert zu werden, wenn sie einmal in Form einer theologischen Bildungsbewegung auftrat? In welchem Umfang braucht das kulturelle Gedächtnis die subtilen Dekonstruktionen der Geschichtswissenschaft, wenn ein ganzes Land sehr schlechte Erfahrungen mit Geschichtsmythen gemacht hat? Und: Was bleibt von so vielen Gottesdiensten, Papieren, Tagungen, Ausstellungen, Konzerten, Opern- und Theateraufführungen, Exkursionen und baulichen Maßnahmen für die Kirchen und die Gesellschaft nach 2017?

 

 

© Christiane Pfohlmann

 

Über solche Fragen kann man trefflich streiten. Abschließende Antworten sind allerdings gegenwärtig kaum möglich: Für eine gründliche Bilanz des Reformationsjubiläums ist es noch viel zu früh. Als dieses Buch im Sommer 2017 geschrieben wurde, fanden noch landauf landab Veranstaltungen statt und eine Weltausstellung in Wittenberg dazu. Gerade weil die Bewertungen des Jubiläums oft disparat ausfallen und auch die Kommentare in den Medien zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kamen, müsste eine einigermaßen solide Auswertung des Jubiläumsjahres 2016/2017 oder gar der ganzen Reformationsdekade 2008 bis 2017 in gewisser Distanz vorgenommen werden. Dazu müsste zunächst ein möglichst breites Bild von Aktivitäten erstellt werden und dann mit den üblichen sozialwissenschaftlichen Methoden erhoben werden, welche Wirkungen diese verschiedensten Aktivitäten gehabt haben. Entsprechende Auswertungen liegen beispielsweise für die Wissenschaftsjahre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor – und so wissen nun alle Beteiligten, dass die Wirkungen beispielsweise eines Wissenschaftsjahres der Physik sich nicht in den korrekten Antworten auf die repräsentative Umfrage nach Abschluss dieses Jahres erschöpfen, welchen präzisen Eindruck der Befragte nun von der Relativitätstheorie hat. So, wie vermutlich mehr Menschen nach den Reformationsfeierlichkeiten Ende Oktober 2017 etwas mit Luther verbinden werden, aber nicht präzise darüber Auskunft geben können, was für sie Rechtfertigung allein aus Gnaden bedeutet, wussten nach dem auf Albert Einstein enggeführten Jahr der Physik im Jahre 2005 bestimmt mehr Menschen Anekdoten über Einstein zu erzählen als präzise den Inhalt der Relativitätstheorie wiedergeben konnten.

Daher hilft an dieser Stelle ein weiterer Eindruck eines Beteiligten, gar ein energisches Votum für eine der unterschiedlichen Sichtweisen auf das Jubiläum, wenig. Allzu persönlich gefärbt wäre der Blick und vom Verdacht, gegen Kritik aus durchsichtigen Motiven zu argumentieren, schwer oder gar nicht zu befreien. Zudem schreibt hier auch kein Reformationshistoriker seine persönliche Auswertung eines Jubiläums aus fachwissenschaftlicher Perspektive, vielmehr schaut ein Theologe, dem reformatorische Theologie viel bedeutet, auf die vergangenen Jahre des Jubiläums und seiner Vorbereitung zurück und versucht, daraus Konsequenzen für die Zukunft abzuleiten. Daraus ergibt sich, dass hier keine gleichsam objektive Gesamtdarstellung vorgelegt wird: Der Autor dieses Buches hat im Rahmen des Jubiläumsjahres nicht nur an vielen Aktivitäten teilgenommen. Er hat auch in Beiräten mitgearbeitet, gemeinschaftliche Texte zur Reformation und ihrer Feier mitverfasst, Ausstellungen mitgeplant, Vorträge gehalten – und verfügt selbstverständlich weder über die Selbstironie, sein Engagement für weitgehend sinnlos zu erklären, noch über den Zynismus, Analoges über so viele andere Menschen zu schreiben. Vollständigkeit in der Übersicht über Veröffentlichungen und Veranstaltungen ist nirgendwo angestrebt. Eine um Objektivität bemühte Gesamtdarstellung ist aber für den Zweck des Buches auch gar nicht notwendig: Bald werden viele derjenigen Details der Feierlichkeiten, die Kontroversen auslösten, vergangen sein: Schon im September 2017 bot ein großes Berliner Kaufhaus in seiner Abteilung für Herrenmode die erwähnten kleinen Playmobil-Figuren des Reformators Luther im Rahmen des Sommerschlussverkaufs an, um die Lager zu räumen. Hier wird lediglich aus einem einzigen Grund Rückschau gehalten: um zu klären, was nach Ansicht des Autors aus dem Jubiläum für die nächsten Jahre zu lernen ist und welche Einsichten aus einer ganzen Dekade des Nachdenkens über identitätsbildende Grundlagen von Christentum und Kirche nicht aufgegeben werden können. Dass es vor allem um Zukunftsperspektiven geht, will die plakative Titelformulierung anzeigen: Mündet das Reformationsjubiläum in einen Aufbruch oder endet es in einer Katerstimmung?

Eine der Kontroversen aus den vergangenen Jahren ist für die Zukunft von erheblicher Bedeutung und wird deshalb auf den folgenden Seiten ausführlicher zum Thema gemacht werden: Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren seit 2008 von den einen die gegenwartsorientierende Kraft der Reformationen des 16. Jahrhunderts beschworen, während die anderen auf die Abständigkeit und Fremdheit der damaligen Einsichten und Weltwahrnehmungen hingewiesen haben. Der Göttinger Reformationshistoriker Thomas Kaufmann formulierte seine Kritik an einer vorschnellen Identifikation gegenwartsrelevanter Elemente reformatorischer Theologie pointiert:

„Luther wird von Theologen und Repräsentanten der evangelischen Kirchen immer noch völlig unhistorisch als Mensch behandelt, der für heutige Herausforderungen verbindliche theologische Lösungen anzubieten hat, der immer irgendwie schlauer ist als wir und immer das letzte Wort hat. Ich möchte mit Luthers Texten dagegen so umgehen, dass ich sie in ihrer Zeit verorte.“

Gegen Ende des Jubiläums bleibt, wenn man solche Einwände ernst nehmen will, vor allem die Frage zu beantworten: Lässt sich mit Einsichten des 16. Jahrhunderts im 21. noch christliche Kirche gestalten und wenn ja, wie? Wird man vielleicht doch klüger, wenn man sich in rechter Weise an eine theologische und kirchliche Aufbruchsbewegung der frühen Neuzeit erinnert? Bertolt Brecht war ja der Ansicht, dass gerade die Verfremdung historischer Stoffe auf einer Bühne es den Menschen im Zuschauerraum ermögliche, in kritischer Distanz etwas zu lernen und sich außerhalb des Theaters anders zu verhalten als vorher. Insofern müssen sich gründliche historische Analyse und der Versuch, Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen, ja gar nicht ausschließen.

Auf den folgenden Seiten wird daher die These vertreten, dass beide Eindrücke über die reformatorischen Bewegungen des 16. Jahrhunderts zutreffen – Luther und andere Reformatoren sind uns fern und nahe zugleich –, aber in einer ganz bestimmten, noch zu explizierenden Weise. Wenn man präzise zwischen solcher Fremdheit und Nähe differenziert bei einer Antwort auf die Frage, wie genau Einsichten des Reformationsjubiläums über die Reformation in den nächsten Jahren fruchtbar gemacht werden können, dann vermeidet man ein vorschnelles Votum entweder für einen radikalen Umbau evangelischer Kirche und Theologie oder für ein schlichtes Festhalten an dem, was sich einmal bewährt hat. Man kann auf diese Weise aber konkrete Ideen für das Handeln in den nächsten Jahren gewinnen.

Auf Fußnoten und gelehrte Nachweise wurde in diesem Essay verzichtet; im Rahmen des Jubiläums sind viele streng wissenschaftliche Veröffentlichungen erschienen, die solche Nachweise leicht auffindbar machen. Zitierte Formulierungen und Spitzensätze von Akteuren lassen sich leicht über das Internet auffinden. Dort sind auch diejenigen Vorträge und Diskussionspapiere archiviert, die der Verfasser selbst gehalten oder geschrieben hat und aus denen er für sein Buch gelegentlich zitiert oder paraphrasiert hat. Einige wenige Titel sind in einem abschließenden Literaturverzeichnis aufgeführt.

Der Verfasser dankt, bevor er die Arbeit an diesem Buch abschließt, zunächst seiner Lektorin Elke Rutzenhöfer, die das Buch angeregt und in so ansprechender Weise veröffentlicht hat. Er dankt aber dann auch den vielen Gemeinden und Gruppen, die mit ihm seine Vorträge im Rahmen der vergangenen rund zehn Jahre diskutiert haben, seine Predigten gehört und seinen Führungen durch Orte der Reformation gelauscht haben, insbesondere im Johanniter-Orden. Er nennt Kolleginnen und Kollegen an den Universitäten, von deren Sichtweise der Reformationsgeschichte und ihrer handelnden Personen er besonders profitiert hat, auch wenn diese Epoche nicht sein eigenes Spezialgebiet ist: Eberhard Jüngel, Eilert Herms, Thomas Kaufmann, Volker Leppin, Lyndal Roper, Heinz Schilling, Dorothea Wendebourg, Michael Welker, aber auch Mitglieder der Regensburger Katholisch-theologischen Fakultät, die ihn im Jubiläumsjahr zu den Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI.-Vorlesungen einluden, insbesondere Andreas Merkt, Tobias Nicklas, Harald Buchinger und Klaus Unterburger. Und er grüßt die vielen Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Jubiläumsfeierlichkeiten, die er nicht nur im Fahrstuhl des „Luther-Hotels“ in Wittenberg immer wieder einmal traf: Heinrich Bedford-Strohm, Markus Dröge, Thies Gundlach, Wolfgang Huber, Margot Käßmann, Jens-Martin Kruse, aber auch Karl Kardinal Lehmann, Walter Kardinal Kasper, Kurt Kardinal Koch, Annette Schavan und Thomas Söding. Zum guten Schluss dankt er einer Berliner Gemeindepfarrerin, die seine Rückblicke auf die vergangenen zehn Jahre ebenso wie seine Ideen für die Zukunft der Kirche aufmerksam, freundlich und kritisch mit ihm diskutiert hat: Eva Markschies.

 

Berlin, im August 2017

Christoph Markschies

Am Anfang war das Wort ... oder: Logo und Motto gesucht

Vermutlich gibt es kein gesellschaftliches und kein kirchliches Großereignis, über das nicht auch öffentlich munter gestritten wird. Ein sportliches Großereignis findet statt und sofort klagen Menschen über die Verschmutzung der Städte durch randalierende Fans, die Behinderung des öffentlichen Verkehrs durch Scharen von Reisebussen und fragen, warum die öffentliche Hand ein solches Ereignis mit Millionen subventioniert, statt dass die Eintrittspreise entsprechend angehoben werden. Bei jedem Kirchentag finden sich begeisterte Besucherinnen und Besucher ebenso wie scharfe Kritiker. Insofern überrascht es nicht, dass auch das Reformationsjubiläum 2017 begeisterte Zustimmung und schroffe Ablehnung auf sich gezogen hat. Manchmal zeigen sich bei solchen Großereignissen alle Schwierigkeiten gleich zu Beginn, manchmal wird aber auch gleich zu Beginn schon deutlich, was für Chancen in einem solchen Projekt liegen. Beides, Chancen wie Schwierigkeiten einer großen Feier anlässlich des Jahres 2017, wurden bereits bei der Suche nach einem Logo und einem Motto, das die vielfältigen geplanten Aktivitäten zusammenhalten sollte, deutlich.

Spuren solcher anfänglicher Debatten um den Inhalt der Feierlichkeiten finden sich immer noch im Netz: Wenn man die Adresse „www.luther2017.de“ im Internet eingibt, erscheint eine von der Staatlichen Geschäftsstelle Luther 2017 und der Geschäftsstelle der EKD für das Reformationsjubiläum gemeinsam verantwortete Homepage. Sie führt unter dem Leitwort „Reformationsjubiläum 2017. Staunen. Entdecken. Jubeln“ nicht nur die vielen Veranstaltungen des Jubiläums und der voraufgehenden Dekade seit 2008 auf, sondern stellt auch einen Spiegel der anfänglichen Diskussionen darüber dar, was man eigentlich feiern solle. Die Internetadresse zeigt, dass man ursprünglich ein „Luther-Jubiläum“ zur Erinnerung an den 500. Jahrestag des sogenannten Thesenanschlags am 31. Oktober 2017 feiern wollte, aber bald erkannte, dass eine rein auf die Person Luther und ein hinsichtlich seiner Historizität durchaus umstrittenes, gern heroisch verklärtes Ereignis konzentrierte Feierlichkeit zu kurz greifen würde. So sprach man auch zunächst von einer „Luther-Dekade“, die das Jubiläum ab 2008 vorbereiten sollte, später dann von einer „Reformations-Dekade“.

Schon der Blick auf die zehn Themen der Dekade macht deutlich, dass die Bezeichnung als „Reformations-Dekade“ die Inhalte weit besser traf – trotzdem heißt es beispielsweise auf einzelnen landeskirchlichen Homepages weiter unverdrossen: „Luther-Dekade“. Als inhaltlicher Focus für die vorbereitende Dekade wurden folgende Themen ausgewählt:

 

2008

Eröffnung (Erinnerung an den ersten Aufenthalt Luthers in Wittenberg im Herbst 1508)

2009

Reformation und Bekenntnis (500. Geburtstag Johannes Calvins, 75. Jahrestag der Barmer Theologischen Erklärung)

2010

Reformation und Bildung (450. Geburtstag Philipp Melanchthons)

2011

Reformation und Freiheit

2012

Reformation und Musik (800 Jahre Thomanerchor in Leipzig)

2013

Reformation und Toleranz (450 Jahre Abschluss des Konzils von Trient und 40 Jahre Leuenberger Konkordie)

2014

Reformation und Politik

2015

Reformation – Bild und Bibel (500. Geburtstag Lucas Cranachs des Jüngeren)

2016

Reformation und die Eine Welt

2017

Reformationsjubiläum

 

Die interessante Verbindung von thematischen Aspekten der Reformation und ihrer Folgewirkungen mit verschiedenen Jubiläen von Personen, Institutionen und Texten während der Dekade ist vergleichsweise einmalig in der Geschichte der Reformationsjubiläen und provozierte natürlich sofort die Frage, ob für eine so lange Vorbereitung und Vorfeier auch der lange Atem vorhanden sei. Mit Blick auf das letzte Jahr, das große Jubiläum 2016/2017, wird man diese Frage ohne langes Zögern bejahen können.

Das Programm der Dekade, die natürlich in unterschiedlicher Intensität gefeiert und mit Veranstaltungen ausgefüllt wurde – besonders reich war das kirchenmusikalische Angebot quer durch das ganze Land im Themenjahr „Reformation und Musik“ 2012, wenn der Eindruck nicht täuscht –, dokumentierte bereits, dass man beim Thema „Reformation“ nicht eine einzige Person feiern konnte. Neben Luther traten Calvin und Melanchthon, aber auch der Wittenberger Unternehmer und Malerfabrikant Lucas Cranach, und die Ausweitung machte deutlich, dass alle Anstrengungen zur Kirchenreform im 16. Jahrhundert ein Werk vieler Akteure aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen war.