Über Emilie und Theodor Fontane

Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 im märkischen Neuruppin geboren. Er erlernte den Apothekerberuf, den er 1849 aufgab, um sich als Journalist und freier Schriftsteller zu etablieren. Ein Jahr später heiratete er Emilie Rouanet-Kummer. Nach seiner Rückkehr von einem mehrjährigen England-Aufenthalt galt sein Hauptinteresse den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«. Neben der umfangreichen Tätigkeit als Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller und Theaterkritiker schuf er seine berühmt gewordenen Romane und Erzählungen sowie die beiden Erinnerungsbücher »Meine Kinderjahre« und »Von Zwanzig bis Dreißig«. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.

Emilie Fontane geb. Rouanet wurde 1824 als uneheliches Kind in Dresden geboren und mit zwei Jahren von dem Berliner Globushersteller Wilhelm Kummer adoptiert. 1850 heiratete sie Theodor Fontane. Aus dieser Ehe stammten drei Söhne und eine Tochter. Sie starb 1902 in Berlin.Dieser Briefwechsel beginnt mit dem 1. erhaltenen Gruß Theodor Fontanes von 1844 an »Fräulein Emilie Kummer« und endet mit dem letzten, an seinem Todestag an seine »liebe Frau« geschriebenen Brief vom 20.9.1898. Vor allem Emilie Fontanes Bild gewinnt hier Gestalt wie nie zuvor. Von den 180 ermittelten Briefen, die sie in den Zeiten der Trennung an ihren »Herzensmann« schreibt, werden hier 150 erstmals veröffentlicht. Emilie erweist sich hier als fast ebenbürtige Partnerin Fontanes, die witzig und lebendig die aktuellen Lebensumstände schildert, souverän an seiner Arbeit Anteil, die vor allem aber zauberhafte Liebesbriefe schreibt. Zum Missfallen der Brautfamilie hatte der Habenichts Theodor Fontane 1850 Emilie Kummer geheiratet und sie in eine »talerabhängige Existenz« geführt. In der fast 50 Jahre währenden Ehe spielen Briefe eine bedeutende Rolle. Die 570 Briefe des Schriftstellers und die 180 seiner Frau, zugleich seine Sekretärin und Kritikerin, sind Mittel der Kommunikation während der oft langen Zeit des Getrenntseins, z.b. während der Zeit, als Theodor sich in England eine journalistische Existenz aufbaut. Daß er einige wichtige berufliche Entscheidungen trifft, ohne sie einzubeziehen, moniert sie zu Recht. Auch ihre Sehnsucht nach Geborgenheit bleibt ein ständiges Dilemma dieser Ehe. Mit vier Kindern, die sie häufig alleine aufzuziehen hat, und drei weiteren Söhnen, die zwischen 1852 und 1855 im Säuglingsalter sterben, ist dieser Wunsch nach sozialer Absicherung nur verständlich. Viele der Briefe sind Liebesbriefe, voller Zärtlichkeit und Sinnlichkeit. Eine Ehe in Briefen, die es an Spannung mit Fontanes Romanen durchaus aufnehmen kann.

Gotthard Erler, geb. 1933 in Meerane/Sachsen, seit 1964 eng mit dem Aufbau-Verlag verbunden, dessen Geschäftsführer er von 1990 bis 1998 war. Seine jahrzehntelangen Forschungen und vielseitigen Editionen haben an der Verbreitung des Fontane’schen Werks einen hervorragenden Anteil. 2014 erhielt Gotthard Erler das Bundesverdienstkreuz.

Informationen zum Buch

Eine außergewöhnliche Künstlerehe

Die Briefe, die Theodor Fontane und seine Frau Emilie wechselten, erzählen eine Liebesgeschichte voll emotionaler Spannung und existenzieller Dramatik. Was ihre Ehe ein halbes Jahrhundert lang über alle Krisen und Kräche hinweg zusammenhält, ist diese geheimnisvolle, tief verwurzelte Zuneigung, die sich dem Leser der Korrespondenz auf einzigartige Weise mitteilt.

Mit bislang verschollenen Originalbriefen

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Emilie und Theodor Fontane

Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles

Eine Ehe in Briefen

Herausgegeben von Gotthard Erler

Inhaltsübersicht

Über Emilie und Theodor Fontane

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Kapitel I: Endlich verheiratet, aber schon wieder getrennt: ein Sommer in London und Liegnitz (1852)

Kapitel II: Der »kleine Engländer«: Fontane als Hobby-Gynäkolog (1856)

Kapitel III: Familienzusammenführung und vergleichsweise friedliche Tage in Camden Town, St Augustine Road (1857)

Kapitel IV: Das Psychogramm einer Ehe in einem heiteren Sommerbriefwechsel (1862)

Kapitel V: »Unterwegs und wieder daheim«: Reisen in Mitteleuropa (1863–1869)

Kapitel VI: Ein Jahr und zwei Katastrophen: Ehekrach und Kriegserfahrung (1870)

Kapitel VII: »Es wird uns eine Sehnsucht im Herzen bleiben«: Reisen nach Italien (1874/75)

Kapitel VIII: »Mir ist die Freiheit Nachtigall, den andern Leuten das Gehalt«: Start der Erzähler-Karriere (1876–1878)

Kapitel IX: Der »kleine Romanschriftsteller-Laden« in der Potsdamer Straße: Von »Vor dem Sturm« bis zum »Stechlin« (1879–1889)

Kapitel X: Resignation und die Gewissheit: »Um neun ist alles aus« (1891–1898)

Anhang

Kommentiertes Verzeichnis häufig erwähnter Personen

Zu dieser Ausgabe

Bildnachweis

Impressum

I
Endlich verheiratet, aber schon wieder getrennt: ein Sommer in London und Liegnitz
(1852)

»[…] wie wohl thut mir Deine wiedergewonnene, geistige Elasticität, ach, mein Herzensmann, ich will Alles, Alles ohne Murren tragen, sehe ich doch jetzt schon, welche Erndte Dein Geist sammelt u. wie reich Du zurückkehren mußt

Emilie an Theodor Fontane, 10. April 1852

9783841214874-012.tif

Emilie Rouanet-Kummer als Braut, Pastellbild von Th. Hillwig, 1848

Am 16. Oktober 1850 stehen der einunddreißigjährige Apotheker Theodor Fontane und die sechs Jahre jüngere Emilie Rouanet-Müller-Kummer in der Kirche der Berliner Klosterstraße vor dem Traualtar, und als der Pfarrer die Zeremonie abschließt, findet endlich die quälend lange Verlobungszeit ihr glückliches Ende. Mit der Kutsche fährt man quer durchs alte Berlin in die Bellevuestraße am Tiergarten, wo das gemütliche Lokal von »Georges« die kleine Gesellschaft erwartet. Die Türen des Gartensaals stehen weit offen, und draußen strahlt die Herbstsonne. Er habe viele hübsche Hochzeiten mitgemacht, aber keine hübschere als seine eigene, wird der Bräutigam später einmal bekennen. Und er kann ja tatsächlich zufrieden sein, denn seine temperamentvolle Emilie ist eine attraktive schwarzhaarige junge Frau, und sein Hochzeitsanzug ist vom Honorar für seinen ersten Gedichtband sogar schon bezahlt.

Was dem aufmerksamen heutigen Leser eventuell auffallen könnte, ist der vielteilige Name der Braut, der auf deren wahrlich »romanhafte Lebensgeschichte« hindeutet. Emilie ist nämlich als Tochter der Pfarrerswitwe Thérèse Müller, geborene Rouanet, zur Welt gekommen, und zwar 1824 in Dresden, »heimlich, zu keines Menschen Freude«. Die weitverzweigte Familie Rouanet – das Oberhaupt ist angesehener Stadtkämmerer in Beeskow – transferiert das unerwünschte Baby von einer Station zur nächsten, bis die Dreijährige über eine Anzeige in der »Vossischen Zeitung« von dem Berliner Globen- und Reliefkarten-Hersteller Karl Wilhelm Kummer adoptiert wird.

Kummer wohnt in der Burgstraße, an der Spree und neben dem Schloss. Und dort wächst die Kleine, von Kummers Dienstmädchen eher vernachlässigt als erzogen, ziemlich verwahrlost auf. Sie besucht zwar eine gute Schule, wirkt aber wie eine schmuddelige »Ziegenhirtin aus den Abruzzen«. Diesen Eindruck zumindest macht sie auf ihren Spielkameraden, den halbwüchsigen Apothekersohn Theodor Fontane aus Swinemünde, der seit 1833 im Haus nebenan bei seinem Onkel August lebt und in der Wallstraße in eine Gewerbeschule geht. Doch da führt eines guten Tages Philippine Fontane, Onkel Augusts Frau, eine ehemalige Schauspielerin, die Nachbarskinder zusammen und weckt deren Begeisterung für das Theater, das sie gemeinsam besuchen und zu Hause nachspielen. Diese Leidenschaft scheint die Kinder eng aneinander gebunden und für später geprägt zu haben: Fontane wird lange Zeit als prominenter Theaterkritiker arbeiten, und die vielgelobte Vorleserin Emilie blieb zeitlebens eine passionierte Theater- und Operngängerin.

Aber noch sind unsere Helden im Jugendalter und auf ganz anderen Pfaden. Fontane beginnt 1836 in der Apotheke »Zum Weißen Schwan« in der Spandauer Straße eine pharmazeutische Ausbildung und trifft seine Kinderfreundin wohl nur gelegentlich. 1839 wird sie konfirmiert und erfährt bei dieser Gelegenheit schmerzlich, dass sie gar nicht die leibhaftige Tochter des geliebten Vaters Kummer ist. Im Herbst dieses Jahres heiratet Rat Kummer zum dritten Mal, und das Ereignis soll für die kommende Partnerschaft von Emilie und Theodor von Bedeutung werden, denn Fontane schreibt für seine Freundin ein Huldigungsgedicht auf die neue Frau Kummer, und Emilie trägt es zum Polterabend in Dresden vor – ein erstes bescheidenes Vorspiel für die spätere künstlerisch-handwerkliche Kooperation.

Emilie hält sich in jenen Jahren meist bei Verwandten in Ludwigslust und Schwedt und vor allem bei ihrer mit dem Oberförster Triepcke verheirateten Mutter Thérèse in Liegnitz auf. Parallel dazu setzt Fontane seine Ausbildung unter anderem in Leipzig und Dresden fort, bevor er 1844 wieder in Berlin eintrifft, um seinen Militärdienst als »Einjährig-Freiwilliger« zu absolvieren. Der Kontakt zwischen den beiden scheint nie länger unterbrochen gewesen zu sein, und als Emilie auch wieder in Berlin auftaucht, konnte man, wie sich Fontane erinnert, »den alten Ton gleich wieder aufnehmen«. Dieser »Ton« scheint in ausgiebigen Briefen herzberührend und herzbewegend angeklungen zu sein, und die Buddelkasten-Beziehung wandelt sich in eine erotische Verbindung. Als Fontane am 2. September 1844 eine kurze Nachricht an Emilie formuliert, bemerkt er in einem PS über dieses »Normal Billet«: »endlich ’mal fünf Zeilen statt fünf Seiten. Ich nehme Gratulationen darauf an.« Erhalten ist freilich nichts davon.

Emilie hatte sich inzwischen sehr »verhübscht«, war eine begehrenswerte Zwanzigjährige geworden, die auch die Versproduktion ihres Freundes gern akzeptiert. Kurzum: man war sich einig, und am 8. Dezember 1845 verloben sich die beiden auf der Weidendammer Brücke in Berlin. Man kann den Weg des Paares an jenem Abend noch heute nachgehen: Emilie holt Theodor gegen 10 Uhr an der Polnischen Apotheke in der Friedrichstraße (wo er damals angestellt war) ab, sie überqueren die in idyllischer Ruhe dahinfließende Spree und biegen dann – nun verlobt – in die Oranienburger Straße ein, wo Emilie wohnt.

Nach dem Schock über den Vater, der nicht ihr Vater ist, nach der Heimatlosigkeit mit ständig wechselnden Aufenthaltsorten scheint sich nun an der Seite des jungen Apothekers ein sicherer Platz abzuzeichnen. Doch da der geliebte Theodor über keine eigene Offizin verfügt – Vater Fontane hat das bescheidene Vermögen der Familie mit Spiel und anderen Machenschaften längst durchgebracht – und da der Pharmazeut ohne eigenes Apothekengeschäft in der Werteordnung der Zeit nur als »Giftmischer« gilt, ist diese Hoffnung auf Sand gebaut, und Fontane verbringt die kommenden Jahre auf der Suche nach einer passenden Anstellung, die die Gründung einer Familie ermöglicht. Die Wartezeit wird sich über fünf Jahre hinziehen, schließt die Aufregungen der Revolutionszeit von 1848 ein, und Emilie befindet sich mehr als einmal am Rande der Verzweiflung.

Wir wissen nicht viel über das tatsächliche Verhältnis der Verlobten zueinander. Aber es gibt Hinweise, dass sie zeitweise in beträchtlicher Spannung gelebt, sich heftige Szenen geliefert und sich mit Eifersucht gequält haben. Ob Emilie von den Eskapaden Theodors in Dresden erfahren hat – er bekennt sich selber als Erzeuger zweier Kinder mit einer Unbekannten –, weiß man nicht; aber dass Emilie nach Fontanes Tod den gesamten Briefwechsel aus der Brautzeit – es muss ein höchst umfangreiches Konvolut gewesen sein – verbrannt hat, spricht dafür, dass sie um diese voreheliche Vaterschaft wusste und dafür gesorgt hat, dass die Affäre zum bestgehüteten Geheimnis der Fontane-Familie wurde.

Diese Dinge werden wohl auch künftig im Dunklen bleiben; die Version von Günter Grass in »Ein weites Feld« hat einiges für sich, ist aber erzählerische Fiktion. Immerhin haben wir die Briefe Emiliens an ihre Stiefmutter Bertha Kummer, in denen Emilie immer wieder ihre unverbrüchliche Liebe zu ihrem Theo bekundet.

Und endlich, man schreibt das Jahr 1850, kommt die Wende. Fontane wird, mit einem mickrigen Gehalt, im »Literarischen Cabinet« der preußischen Regierung angestellt, und es kann geheiratet werden. 1851 kommt das erste Kind zur Welt. Aber gleichzeitig wird freilich auch das »Cabinet« aufgelöst, und die junge Familie steht erst einmal mittellos da. Da kommt ein Auftrag der »Centralstelle für Preßangelegenheiten« zu rechter Zeit: Fontane soll nach London gehen und dort aktuelle Berichte für die »Preußische (Adler-)Zeitung« schreiben. Er nimmt das Angebot an, das freilich Trennung von Frau und Kind auf unbestimmte Zeit bedeutet, und reist im April 1852 über Köln, Aachen und Brüssel in die britische Hauptstadt. Was er dort für das Berliner Blatt schreibt, wird er 1854 in dem Band »Ein Sommer in London« zusammenfassen.

Emilie indessen, die unmittelbar nach der Abreise ihres Mannes von Hebamme Jung eine erneute Schwangerschaft bestätigt bekommt, empfindet die Trennung von ihrem »Herzens-Theo« als besonders schmerzlich. Um sich abzulenken und um aus den beengten Wohnverhältnissen in Berlin herauszukommen, reist sie mit dem kleinen George nach Liegnitz, wo sie sich im Hause ihrer leiblichen Mutter und deren Mann aufhält. Ende Juni ist sie wieder in Berlin und wird von den Briefen Fontanes, der ständig neue Pläne für die Zukunft präsentiert, in ein strapaziöses Wechselbad der Gefühle gestürzt. Am 2. September 1852 wird, in Abwesenheit des Vaters, Sohn Rudolph geboren, der jedoch am 15. September stirbt.

Als Fontanes Mutter (wohl 1846) ihre künftige Schwiegertochter kennengelernt hatte, sagte sie dem Sohn: »Du hast Glück gehabt; sie hat genau die Eigenschaften, die für dich passen.« Die kluge Frau wird sogleich Emiliens kommunikative Fähigkeiten registriert haben, das Talent, auf andere zuzugehen und mit ihnen in Kontakt und Gespräch zu kommen. Und so wurden Theodor und Emilie (nach einer Formulierung in »Grete Minde«) ein »plaudrig Ehepaar«, das alle Aktualitäten in Familie und Freundeskreis, in Kunst und Gesellschaft gründlich durchzuhecheln pflegte. Diese Gewohnheit war der abendlichen »Papel-Stunde« vorbehalten oder – bei Abwesenheit eines Partners – der Korrespondenz.

Der alte Fontane, wie ihn die zeitgenössischen Porträts von Carl Breitbach, Hanns Fechner und Max Liebermann oder die Fotos aus den Studios von Loescher & Petsch oder E. Bieber zeigen: der weise, gütige, sympathische alte Herr, präsentiert sich in den Briefen an seine Frau auch als der ständig gestresste, auf den Gelderwerb verpflichtete Autor, der sich in seinen Nöten oft ruppig und rechthaberisch-doktrinär geriert und nur selten den liebevollen Ehemann gibt, der von sich bekannt hat: »Egoistisch bin ich, aber nicht lieblos. Das ist ein großer, großer Unterschied.«

Die eigentliche Überraschung indes sind die Briefe von Emilie Fontane, die sich als starke Persönlichkeit, als die »passende« Frau an seiner Seite ein halbes Jahrhundert lang bewährt hatte. In den ausgiebigen Briefdebatten zwischen ihr und ihrem Mann, im freundlichen Gedankenaustausch, in der schroffen Auseinandersetzung, ja auch im heftigen Streit und der zärtlichen Versöhnung begegnet der heutige Leser der klugen, liebe- und verständnisvollen »Dichtersgattin«, die ihm den Alltag organisierte, die Arbeitsbedingungen sicherte und obendrein als kritische Lektorin und zuverlässige Abschreiberin in seinem »kleinen Romanschriftsteller-Laden« in der Potsdamer Straße unentbehrlich war.

THEODOR AN EMILIE FONTANE

Aachen d. 6ten April 52.

Dinstag.

Meine liebe Frau.

Ich schreibe einen Tag früher als verabredet, was Du mir wohl nicht übel nehmen wirst. Seit gestern Mittag 2 Uhr bin ich hier und habe einen Empfang gefunden, der an Herzlichkeit noch Eure Erwartungen, geschweige die meinigen übersteigt.

Doch laß mich hübsch nach Ordnung und Reihenfolge berichten. Die Reise bis Cöln ist eigentlich langweilig, oder richtiger die Art des Reisens ist es. Um sich darüber hinwegzusetzen, daß man an einer Fülle von interessanten Dingen vorbeifliegt, oder um lediglich die Schnelligkeit des Fortkommens zu preisen, dazu geht es doch noch nicht schnell genug. Man hat das Gefühl: nichts gesehn und sich strapazirt zu haben, wogegen man früher von seinen Reisestrapatzen wenigstens eine Ausbeute hatte und in kommenden Zeiten nothwendig dahin kommen muß, wenn auch nichts zu sehn so doch wenigstens auch – nicht gequält zu werden.

Meine Reisegesellschaft war außergewöhnlich gut: 3 Leute mit denen sich reden ließ, dennoch macht’ ich von diesem ihren Talent wenig Gebrauch, weil ich immer mehr dahinter komme, daß der bloße »gebildete Mensch« wenn er sonst nichts hat, eigentlich zu den ledernsten Geschöpfen Gottes zählt; – an jeder alten Bauerfrau, deren Friesrock 120 Falten schlägt, und deren Plattdeutsch man ebenso wenig versteht wie den Baustyl ihres Kopfputzes hat unsereins mehr Ausbeute, – mehr »Stoff« würde Lepel sagen. Das einzige gescheidte Wort was ich auf der ganzen Reise hörte, floß von den Lippen eines Berliners, der die Klagen eines Militair-Waisenhaus-Zöglings über die ewige Suppen-Esserei im Waisenhause mit der gewichtigen Bemerkung abschloß: »na, des weeß ich wol, wer de ollen Supfen erfunden hat, des is keen Bratenfreind nich jewesen!« Man kann nicht leugnen, daß diese Anschauung viel für sich hat.

Interessant sind einzelne Bahnhöfe: der Braunschweigische, der Hannöversche und der Düsseldorfer, besonders der erstre, obwohl er nicht ganz 3 mal so groß ist wie unser Hamburger in Berlin, was Witte zu behaupten für gut befand. Besonders aber erquickte mich die Fahrt durch Westphalen. Es war Sonntag, schönes klares Wetter, geputzte rothbäckige Menschen am Wege und auf den Bahnhöfen, der Himmel lachte und die Menschen auch, – es war sehr reizend und ich dachte mir, mit welcher Herzensfreude muß der König durch solche gesegneten Lande fahren, wo selbst das Leblose tausend Geschichten von Glück und Zufriedenheit erzählt und die ganze Landschaft zu Einem aufschaut wie ein Auge voll Liebe. Solch Anblick geht viel über Ehrenpforten und weißgekleidete Jungfraun.

Um 9 Uhr Abends war ich in Köln. Die Stadt ist scheußlich, der Dom das herrlichste, großartigste was ich überhaupt je gesehn. Wenn man den Kölner Dom sieht und noch in Zweifel ist ob dem griechischen oder gothischen Baustyl der Vorzug gebührt, so kann man meinetwegen ein guter Mann und sogar ein doctrinairer Kunstverständiger sein, aber ein Herz im Leibe hat man nicht: das weiß auf der Stelle wohin es sich zu wenden hat. »Schönheit« mag dort wie hier sein, aber solch Dom ist mehr als schön; ganz andre Kräfte die das Menschenherz bewegen, finden darin ihren Ausdruck. Es ist der Zug nach dem Höchsten, die Sehnsucht die über das Irdische hinausgeht, was diese »himmel anstrebenden« Dome schuf.

Begeb’ ich mich vom Dome in’s Hôtel. Es ist so, wie hundert andre. Beefsteaks, Kellner, abgerissene Klingel – alles wie bei uns zu Lande; nur von dem Bett muß ich Dir eine Beschreibung machen. Das Gestell groß, hoch und von einer Solidität der Bauart als sollten 6 Brautpaare wie König Gunther und Brunhilde ihr Beilager darin halten; dazu ein Deckbett von der Größe eines mäßigen Oreiller’s, so daß ich mich gezwungen sah Schlafrock und Mantel als Hülfstruppen heranzuziehn. Half aber doch nichts, ich fror jämmerlich und laborire seitdem an Zahnweh, das ich auch hier nicht los werden dürfte, da mein Schlafzimmer kalt und ein Erscheinen in Filzschuhen, Shawl und andren Zierrathen meiner Gesundheitsnecessaires leider unangebracht ist. – Das Interessanteste in meinem Cölner Hôtel war das Water-Closet: es ist sehr eng darin und die Wand vor Einem befindet sich so nahe, daß man sie mit der Nasenspitze berühren kann. Diese zudringliche Nähe war von talentvollen jungen Malern, die sonst wohl die Mauern und Wände der Häuser mit gewissen mehr riesigen als naturgetreuen Abbildungen auszustaffiren pflegen, zu ähnlichen Kunstleistungen benutzt worden, die theils aus Bleistiftzeichnungen, theils aus dauerhaften tiefen Gravirungen bestanden. Mitten unter diesen lautren Schöpfungen der Phantasie und Laune befand sich, wie ein Professor im Bordell, die bekannte Figur des pythagoräischen Lehrsatzes, die mich vor Zeiten auf der Quartaner-Bank immer sehr traurig gestimmt, heute aber mein hellstes Lachen zur Folge hatte. […]

Nun noch ein Paar Worte mit und zu Dir, mein liebes süßes Herz. Wenn dieser Brief keine Liebes- und Sehnsuchtsversicherungen enthält, so suche die Gründe nicht anders als wo sie liegen. Ich darf ehrlich behaupten, daß ich vielfach in Worten und immer in Gedanken um Dich und unsren lieben kleinen Jungen bin. Des Morgens beim Baden bin ich immer bei Euch und selbst Nachts wenn ich aufwache, seh’ ich Minen in bekannter Attitude an dem Drei-Handtücherplatz wie sie sich quält den schlafenden kleinen Fontane zu einer muntern Fontaine zu machen. Küsse mir das Kind und die gute Alte recht herzlich, Du aber schreibe bald (nach hier, der Brief wird mir nöthigenfalls nachgeschickt) Deinem

Theodor.

EMILIE AN THEODOR FONTANE

Berlin d 7.4.52.

Mein Herzens-Mann!

Es war 6 Uhr; sehnsüchtig erwartete ich Minen, die seit gestern vom Scheuerdeibel besessen, womöglich Kind u. mich bei Muttern wohnen ließ, da erschien sie Deinen Brief in der Hand. Das söhnte mich mit ihrem Zustand aus, ich konnte nun gleich unserer guten Alten Deinen lieben, lieben Brief mittheilen, der uns unendlich erfreute; habe tausend Dank mein Herz, er ist so ausführlich u. von so erfreulichen Stoff wie wir nur wünschen können u. die Hauptsache: zwei Tage früher in meinen Händen als ich rechnete. Deine Innigkeit am Schluß that mir wohl u. weh u. namentlich beim nochmaligen lesen hier zu Haus’ that mir das Herz ein wenig weh.

Nun laß Dir erzählen mein Herz, meine kleinen Erlebniße. Ich bin so daran gewöhnt Dir jede Kleinigkeit mitzutheilen, daß ich Dir wo möglich schreiben möchte, der Zucker ist einen Sechser billiger u. der Glaser hat mir 4 Scheiben aus dem alten Glase über den alten Fritz, gemacht. Doch nun. Max brachte mich mit freundlichen Worten zu Hause, ich küßte unser Kind, schlief bald ein, träumte tolles Zeug u. um 6 Uhr weckte mich unser freundlicher George. Wenn er lacht verscheucht er meinen Kummer u. an dem Morgen war ich so gefaßt u. die Worte: »traun, wer nicht will von dannen gehen, der bringt sich selbst um’s Wiedersehn, all Leid hat seine Freude« klangen mir tröstend in’s Ohr, waren sie doch auch von meinem süßen Mann. Dann kam Mama, blieb bis gegen Mittag u. wir freuten uns noch der uns unverhofft geschenkten, angenehmen Stunden. Dann verzehrte ich meinen Eierkuchen u. als ich eben an Herrmann schrieb, erschien Lepel mit großer Liebenswürdigkeit auf ein Stündchen, dann Max, später die Müller, außergewöhnlich herzlich, so daß ich bis gegen 6 Uhr Besuch hatte. Da legte ich mich vorn auf’s Sopha u. schlief wohl ein halbes Stündchen, aber als ich erwachte, da mußte ich trotz allen Zusammennehmens doch den eigentlichen Abschiedsschmerz durchmachen. Ich war so kreuzunglücklich, so riesenhaft lange kam mir die Trennungszeit vor, ich mir so erbärmlich u. verlassen, daß ich es nicht fassen konnte, wie ich in Etwas so Ungeheures willigen können. Endlich als ich nach 8 Uhr, erschöpft, ermüdet u. eiskalt zur Besinnung kam, beruhigte ich mich in dem Gedanken: Du könntest ihn ja für immer verloren haben u. auch das müßtest Du tragen u. ich bat Gott flehentlich »bewahre mich vor dieser Prüfung, u. ruhig ohne Murren, will ich die Trennung sie sei noch so lange, ertragen aber ein Wiedersehn!![«]

Montag, Waschtag, Mutterchen kam schon früh. Nachmittag Besorgungen gemacht, mich abonnirt u. Fanny Lewald’s Buch über England, gehohlt. Sehr weitschweifig, sehr merklich daß es von Frauenhand geschrieben, aber doch höchst interreßant für mich, da sie viel mehr lobt wie tadelt u. Vieles so beschreibt, wie, findest Du es eben so, Dir angenehm sein wird. – Während meiner Abwesenheit war der Commerzienrath bei uns gewesen u. ließ mir durch Witten mittheilen, Vater hätte wegen 200 9783841214874-010.tif an ihn geschrieben, die er ihm auch geben würde, aber die 60 9783841214874-010.tif für Dich, möchte er nicht gern außer Händen geben u. mich daher fragen, wohin sie Dir schicken – Ich werde nun Morgen hingehen u. danken, ihn um Rath fragen, wegen eines Banquiers u. namentlich erfahren, auf welche Weise Papa den Borg noch möglich gemacht u ob Sommerfeld dennoch unterschrieben – Da mir es gestern u. heut unmöglich war hinzugehen, so war Max gestern da, ob er ihn getroffen, weiß ich nicht, da er heut früh nach Letschin abgereist ist. – Dann ist noch ein Brief vom Dr Jung aus Königsberg an Dich gelangt, nebst Einlage an Dunker u. Varnhagen; ein so liebenswürdiger aber auch so trostloser Brief an Dich, daß ich weinen mußte; er dankt für Deine Bemühungen u. bittet Dich flehentlich damit fortzufahren; mit Tag u. Nacht steigender Unruhe erwartet er das Honorar, seine Frau ist krank, Unglücksfälle aller Art überschütteten ihn u. er schließ[t] damit: es sei etwas unglückseliges ein deutscher Schriftsteller zu sein. Wie groß muß das Elend dieses Mannes sein, daß er so einem Fremden schreibt! Ach Theo, erst beim Unglück Anderer, sehe ich immer dankend gen Himmel. – Ich werde nun antworten, denn auch Dunker schickte heut eine abschlägige Antwort, werde durch Witten noch Bath die Sache anbieten u. dann mit ausgesuchter Herzlichkeit u. Theilnahme ihm schreiben u. Deine Abreise mittheilen – Mehr können wir Arme ja nicht für unsere Mitleidenden thun. – Gestern u. heut von früh an bei Mutterchen; der Kleine sehr, sehr liebenswürdig, der Husten nur noch unbedeutend. Diese Zeilen habe ich an seiner Wiege, beim Schein der Küchenlampe geschrieben. Eben schlägt es 9 Uhr, vielleicht geht mein Brief noch mit. Den lieben Aachnern tausend Grüße, sage ihnen, die Dir wiederfahrene, freundliche Aufnahme von ihnen sehe ich für eine gute Vorbedeutung Deiner Reise an. Die Alte küßt Dich herzlich. George sieht ganz ernst aus, wenn ich frage: wo ist Papa? Witte grüßt, den Stoß vom Eisenbahnhof habe ich ihm noch nicht beigebracht. Lebewohl mein einziges, mein bestes Herz, meine treusten Wünsche geleiten Dich unabläßig.

Deine Emilie.

EMILIE AN THEODOR FONTANE

[Berlin,] d 10.4.52.

Geliebter Mann.

Mir ist heut so entsetzlich bange, daß ich, obgleich ich nicht eimal weiß wo meine Gedanken Dich suchen sollen, doch einige Worte an Dich richten muß. Seit gestern weiß ich durch die Jung mein Schicksal u. da ich Dir Nichts vor lamentiren will, so will ich Dir nicht beschreiben, wie mir seit dem zu Muthe ist. Aber ich bin trostlos! Mutter F. war Gott sei Dank mit mir u. hörte die Entdekkung mit an u. konnte mich in eine Droschke packen, wo ich denn im Fieber zu Hause kam. Ach zu Hause, ich habe nicht mehr zu Hause, denn Du mein Leben fehlst ja. Doch still, vernünftig, ich habe gelobt ruhig u. ergeben Alles zu ertragen, vielleicht endet dann die Prüfungszeit. Ich wollte Dir erst nichts schreiben, aber das hätte ich doch nicht über’s Herz gebracht. Ich verspreche Dir, in meiner übergroßen Liebe zu Dir, daß ich Alles hier ohne Dich durch machen will u. daß Du meinetwegen nicht zurückkommen sollst, wenn Du irgendwie ein bischen Glück zu erfassen meinst, aber mein süßes Herz, gieb auch mir nun das Recht, mich ohne sündhaft zu sein, unglücklich zu nennen. Ich habe noch nicht Glauben u. Ergebung genug, um still zu dulden. Doch nun »Gute Nacht« ich lamentire doch. Unser Junge schläft süß, ach, könnte ich es auch.

[…] Nun genug mein Herzensmann, der Brief soll noch rechtzeitig zur Post. Bekümmere Dich nicht zu sehr meinetwegen, ich werde schon nach u. nach wieder in Schick kommen, nur das würde mir am schwersten zu tragen sein, wenn ich erfahren müßte, Dir ginge es schlecht. Mit dem herzinnigsten Kuß wie immer

Deine Emilie.

THEODOR AN EMILIE FONTANE

Brüssel. d. 17ten April 52.

Sonnabend.

Meine liebe, arme Herzens-Frau.

Vorgestern früh verließ ich Aachen; Jung-Heinrich (von dem Schwester Benedicta sagt: »der Heinrich, nit wahr, der ist was Gutes«) in meiner Gesellschaft. Das Erste was wir im Coupé hörten waren französische Worte: »pas pleurer!« rief ein blaukittliger Wallone, der mit seinen rußigen Eisenarbeiterhänden unaufhörlich bemüht war sein blasses weinendes Kind zu beschwichtigen. – Wir kamen nach Verviers; Douaniers durchwühlten meinen Koffer, 5 Minuten lang war ich in scheußlicher Gefahr meine eignen, neu-gebundnen Werke hoch versteuern zu müssen, mein Französisch litt Schiffbruch, dumm und verlegen stand ich da, – endlich klang eine leidliche Grobheit von den beschnauzbarteten Lippen und ich war blamirt aber – gerettet. »Pas pleurer![«] dacht’ ich und weiter ging es nach Lüttich. – Lüttich – wenn es noch keinen Beinamen hat – würd’ ich die Leierkastenstadt nennen, überall Lahme und Blinde, und rechts und links flötentönige Sehnsuchtswalzer. Es war sehr heimathlich, und mit dem Gedanken an die Heimath kam ein flüchtiges Heimweh, mais »pas pleurer« dacht’ ich, und weiter ging es nach Löwen. Im Hôtel de la Cour du Mons ist gutes Nachtquartier; erquickt stand ich auf und sah durchs offne Fenster zum blauen lachenden Himmel hinauf und dann hinab in den grünen lachenden Garten. Eine junge Frau in niederländischer Tracht, ihr Morgenhäubchen coquett auf dem Kopf balancirend, stand unter einem blühenden Aprikosenbaum und lachte ihren bärtigen, rothbackigen Hausherrn an, der ihr mit der Hand, streichelnd und schmeichelnd, über den krausen Scheitel fuhr. Ich sah’s, – mais »pas pleurer!« und weiter ging es nach Brüssel. – Das Coupé war ein Nationen-Congreß: deutsch, niederländisch, französisch, englisch klang es mal hier mal dort aber ich hatte wenig Ohr dafür, ich sah ein freundliches, unsrem kleinen George in Wahrheit ähnliches Kind an, das auf dem Schooß der Bonne schlief, – ich dachte dies und das, mais »pas pleurer!«. – Heute früh erhielt ich Deinen lieben Brief (für den ich Dir danke soviel Schweres er auch enthielt) und setzte mich, nachdem ich mit einem Armsündergesicht 2 Stunden lang an Heinrichs Seite umhergewankt war, auf eine sonnenbeschienene Bank des Parks um Deine lieben, traurigen Zeilen noch einmal durchzulesen. Ich las und weinte; mais »pas pleurer!« klang mir’s wieder im Ohr und ich athmete auf und schritt weiter. –

Mein liebes armes Herz was soll ich Dir für Trost sagen! ich habe selber nicht viel, und Du weißt ich kann nichts sprechen und schreiben was mir nicht von Herzen geht. Ich kann Dir nur zurufen, was ich Dir schon so oft zugerufen habe: »laß uns mit Ergebung tragen, was der Himmel über uns verhängt.« Wir sind beide nicht vom christlichen Märtyrergeschlecht und werden es schwerlich zur Freudigkeit des Leidens bringen, aber laß uns wenigstens Fassung darin finden, daß wir nichts andres tragen als was uns bestimmt ist und von Anfang an bestimmt war. Uebrigens sollst Du nicht alles ohne mich durchmachen: entweder – und das gebe Gott – hab’ ich die große Freude Dich schon im Sommer zu mir zu rufen, oder ich verlasse London zu Ende August und steh’ Dir in der schweren Zeit, so gut ich’s kann, zur Seite. Vorläufig ist mir Deine Reise nach Liegnitz ein großer Trost; Du wirst da manches thun und hören müssen was Dir nicht gefällt, im großen Ganzen aber wird man Dir mit wahrer herzlicher Liebe begegnen und das bleibt auf die Dauer doch das Beste. –

Ich wende mich jetzt zu Einzelnheiten Deines Briefes. Daß Du mal wieder mit der Menschheit zürnst und mir schreibst: »keine Katze habe sich um Dich gekümmert« scheint mir ungerecht zu sein. Ich glaube wir haben beide den Fehler: von den Menschen mehr zu verlangen als wir verlangen dürfen und namentlich mehr, als wir ihnen bieten. Wir haben diesen Fehler nicht von Natur, aber durch die Umstände und Verhältnisse, die uns gereizt und als Folge davon ungerecht gemacht haben. Lepel ist 2 mal bei Dir gewesen, Frau Müller hat Dich besucht, über die Liebenswürdigkeit Günther’s und der Frau Dr Hahn schreibst Du mir ein Längres, Mutter Fontane ist Dein täglicher Schutz, sobald Du ihn beanspruchst und doch »keine Katze …!« Das Einzige was mich wundert, ist das Ausbleiben der Frau v. Merckel; von andrer Seite her konntest Du wohl kaum eine wahre Theilnahme erwarten. Heyse’s und Kugler’s haben mit sich selbst zu thun: die einen sind verstimmt und krank, die andern hundertfach in Anspruch genommen, da bleibt keine Muße zu einer Pilgerfahrt in die Luisenstraße. Und noch eins! Dir wird die Zeit jetzt lang: als Du schriebst waren erst 11 Tage vergangen, und wie oft haben wir wochenlang allein gesessen! wer hat mich besucht als ich Ende vorigen Jahrs krank und niedergeschlagen die Tage abwickelte?! Die Menschen lieben nur das Glück, den Glanz und die lachenden Gesichter, und zuletzt – wer will es ihnen verargen?! –

Was Du mir über unser Kind schreibst, ist mir allemal eine große, große Freude. Fahre ja damit fort, und gebe Gott, daß es immer so Frohes ist wie bisher. Küsse mir den kleinen Kerl recht recht herzlich und erzähl ihm viel von mir, damit er mich nicht vergißt. –

Laß uns nicht klagen! Denke an den armen Alex: Jung von dem Du mir in Deinem ersten Briefe, – und an Rudolph Scherz, von dem Du mir gestern schriebst. Das Bild der jungen Frau, die so frische rothe Backen hatte, steht mir seitdem immer vor der Seele; ach, wir müssen alle harte Nüsse knacken, der eine heut, der andre morgen, das ist der ganze Unterschied. –

Ueber meine Reiseerlebnisse und das Hundertfache, was ich in Lüttich, Löwen und Brüssel gesehn und bewundert habe, kann ich mich heut nicht auslassen, mein Brief würde sonst endlos werden, man reist ohnehin um zu sehn und nicht um zu schreiben. Zwei Briefe kosten einen Tag und ein Tag kostet viel Geld. Nur mit einzelnen Bemerkungen, die sich mir aufgedrängt haben, will ich nicht zurückhalten. Es ist mindestens ein Fingerzeig, daß die mittelalterliche Kunst und Cultur nirgends herrlicher geblüht hat, als in den Bürgerrepubliken der lombardischen und flandrischen Städte, die trotz kaiserlicher Oberhoheit ächte Republiken waren und selbst den Arm und die Macht eines Barbarossa oder fünften Karl nicht scheuten, wenn es galt für ihr Recht und ihre Freiheit einzustehn. Wie sind wir zurückgekommen! Das waren die noblen Tage der Selbst-Regierung, wonach wir jetzt schrein und wozu wir nicht mehr und nicht weniger mit bringen als – nichts. Die Bürger von damals dachten und thaten alles selbst, für unsre feisten Bourgeois’ muß gedacht und gethan werden: der Götze der Bequemlichkeit hat den Gott der Freiheit in den Staub getreten. – Das Mittelalter! man nennt es eine dunkle Zeit, man spricht von Beschränktheit, und der liebe Pharisäer »Gegenwart« schlägt an seine Brust und spricht: »ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie jene Zeit des Aberglaubens und der Intoleranz.« Mag sein! aber das Zeitalter der Hexenprozesse hatte viel Licht neben seinem Schatten und mit der rohen Ueberkraft ist uns die Kraft überhaupt verloren gegangen. Mit den Flammen des Scheiterhaufens sind große Tugenden erloschen, und es drängt sich mir auf, als bedürfe die Menschennatur der Beschränkung um das Vollmaaß ihrer Kraft zur Erscheinung zu bringen und als wäre Erweitrung des Gesichtskreises gleichbedeutend mit Schwächung und aller Misère die sich daran knüpft. Wir bedürfen eines kleinen Kreises um groß zu sein, und sind klein wenn wir die Welt umfassen wollen; unser Geist der Sonnenbahnen berechnet, reicht doch wiederum nicht weiter wie unsre Arme und wer es leugnet überschätzt sich, und wer sich überschätzt ist – klein. – Den höchsten Anlauf (um auf etwas andres überzugehn) nahm die Menschennatur als sie einen gothischen Dom in seiner Vollendung dachte; aber er ist ein Ideal geblieben und mit Recht, denn das Vollendete muß unvollendet bleiben. Die fertigen gothischen Dome sind nicht vollendet, und die vollendeten sind nicht fertig. – […]

Nun leb mir wohl, küsse den Kleinen u. die Mama, grüße Max u. die Freunde, besonders den guten Lepel und schreibe bald (poste restante nach Gent) Deinem

Theodor.

Den einliegenden Brief an Quehl steck’ in ein Frei-Couvert und gieb ihn zur Post. – Nochmals, leb recht recht wohl! Dein

Theodor.

EMILIE AN THEODOR FONTANE

Liegnitz d 4.5.52.

Mein Herzens-Mann,

So eben erhielt ich durch Mutterchen Deinen lieben Brief u. da Mutter zum Kaffee u. Großpapa spatzieren gegangen ist, so habe ich nichts eiligeres zu thun, als endlich eimal wieder mit Dir zu plaudern, Du mein Herzens-Leben! Vor allen wünsche ich sehnlichst andere Nachrichten von Dir zu erhalten, Dein heutiger Brief hat mich ganz aus meiner mühsam errungenen Fassung gebracht, pflege Dich nur u. denke 50 9783841214874-010.tif mehr oder weniger verbraucht, macht Nichts aus, u. erhalte uns Deine so kostbare Gesundheit, bedenke daß schon wieder ein Wesen mehr auf Dich Anspruch zu machen hat. Ich hoffe auch daß es Dir mit der Zeit besser behagen wird, so wie damals konnte es jetzt nicht sein, da warst Du frei wie der Vogel u. jetzt, wenn Dich auch die Liebe fesselt, so bist Du eben gefesselt. Unter den Empfehlungen die Du hast, werden schon einige angenehme Bekanntschaften sein u. solltest [!] es Dir garnicht behaglich werden, so wirst Du später um so mehr die Heimath mit ihren Schwächen schätzen u. Du hast den Gewinn: geprüft zu haben u. das Beste erwählen zu können. Vor allen Dingen mein Herz iß ordentlich, Du glaubst nicht wie unbehaglich mir Deine geschilderte Lebensweise vorkommt. Ach, mit welcher Herzensfreude will ich wieder für Dich sorgen, kochen u. plätten u. baden, selbst wenn das zweite Würmchen da ist. Unser Georg, könnte ich ihn Dir nur eimal zeigen, ist seit der Reise wie umgewandelt, zu jedem alten, schmutzigen Weibe geht er, lacht u. schäckert immer u. bekommt ordentlich rothe Backen; er schläft gut u. ist ganz reinlich; auf seiner Peitsche pfeift er wie ein Großer u. allgemein ist man hier erstaunt über ein solches Päpelkind. Fels, der mit Frau u. Kinder am 29ten (Großpapa’s Geburtstag) hier war, fand ihn sehr weit für sein Alter u. Alle hatten sich ein kleines, mickriges Dingelchen vorgestellt, Marie sagt selbst, ihre Kinder wären kaum mit anderthalb Jahren so weit gewesen. Dein Bild küßt er früh u. Abends, Du kannst denken wie rührend mir das ist; frage ich »wo ist der liebe Papa?« so klatscht er in die Hände, zeigt nach dem Bilde u. sagt: ta, ta! Johanna ist glückselig über ihren Patchen, strickt u. arbeitet für ihn, ach, hätte ich diese Freundin in Berlin. Karoline ist die alte, treue Seele, voller Liebe zu mir, sie spielt in der Lotterie, daß sie Dir von dem Gewinnst eine Apotheke kaufen kann. Uebrigens kennt sie durch Mutter das wahre Verhältniß, in welchem wir stehen, was mir sehr lieb ist. Mir könnte es hier sehr gut gehen, denn die Eltern sind liebevoller denn je, Großvater kriegt mit Georg in der Stube umher, möchte mich womöglich mit Wein baden u. Mutter u. Karoline sinnen nur immer was ich gern esse, aber leider bin ich so lange ich hier bin krank, muß viel liegen, habe einen greulichen Husten u. fast immer Fieber, es wird wohl die Grippe sein. Bei diesem körperlichen Uebelbefinden leidet wie Du weißt, mein Gemüth stets mit; die Anspannung die die Reise mit ihren Vorbereitungen mir gab, hat nachgelassen u. wenn ich nicht zum Glück der Großeltern wegen mich zusammen nehmen müßte würde ich wieder mal mein trübstes Gesicht zeigen. Ich gehe schon immer vor 9 Uhr zu Bett, länger kann ich nicht aushalten, dann, beim ausziehen, beim Schein der Nachtlampe schnürt oft die Sehnsucht nach Dir meine Brust zusammen u. ich könnte laut aufschreien. Dann kniee ich an Georg’s Wiege nieder u. wenn ich das liebe Gesichtchen sehe, rosig vom Schlaf u. friedlich wie nur ein Kind athmen kann, dann bitte ich wohl jedesmal Gott mit Thränen »führe uns wieder glücklich zusammen« aber ich fühle auch daß Du mein Leben noch mehr entbehrst denn ich, die ich mich an unserem Kinde erfreuen kann; hier findet man zu meiner Freude allgemein daß er Aehnlichkeit mit Dir hat, nun Dein heitres, liebes Gemüth besitzt er gewiß.

[…] Nun muß ich schließen, da ich noch einige Zeilen an Max schreiben will, u. es ist bereits 6 Uhr. Gott schütze Dich, meine Lebens-Freude, gieb bald erfreuliche Nachricht. Alles grüßt u. ich küsse Dich mit größter Zärtlichkeit

Deine treue Frau Emilie.

THEODOR AN EMILIE FONTANE

[London]

1. Tavistock Square

Montag d. 6ten Septemb. 52.

Meine liebe süße gute Mila.

Also mit Gott No 2, und wieder ein Junge! Wäre der Witz nicht zu alt, so würd ich von dem 7ten sprechen, zu dem wir auf gut-preußisch den König zu Gevatter bitten wollen. Aber auf meine Prophetengabe thu ich mir nun wieder was zu gute und die gedruckte Scharte wegen Louis Napoleon (»er ist es nicht«) ist einigermaßen ausgewetzt.

Daß Du vor- und nachher wie mir die Mama schreibt wieder hast wacker aushalten müssen, erfüllt mich mit aufrichtiger Betrübniß; ich dachte eigentlich Du hättest Dein Schmerzens-Pensum das vorige Mal abgearbeitet und erwartete mit ziemlicher Bestimmtheit: es würde diesmal Kinderspiel sein.

Daß der »Wurm« mir ähnlich sein soll, ist wohl nur so, zur Erhöhung der Vaterfreuden, auf gut Glück mit in die Wagschale geschmissen. Ist’s aber wirklich so, so wirst Du schließlich eifersüchtig werden, daß die Natur mehr mit meinem Bilde als mit dem Deinigen zu stempeln scheint. Vielleicht wächst er sich in das Rouanet’sche Gesicht hinein, wie George – der anfänglich Dir täuschend ähnlich sah – in das Fontane’sche.

Laß Dir nur bei Deiner Pflege nichts abgehn und nehmt, wenn’s noth thut, eine Wartefrau. Sage nicht: »der hat immer gut reden; – wo es her nehmen u.s.w.« ist so viel Geld in die Fichten gegangen, kann es wahrhaftig auf 5 gepumpte Thaler mehr oder weniger nicht ankommen. Für gute Suppen hoff’ ich wird man vor dem Potsdamer Thore und unten in der Wilhelmsstraße Sorge tragen. Um die Theilnehmerschaft daran komm ich nun diesmal.

Wenn Dich diese Zeilen erreichen wird gerade der 9te Tag sein; gebe der Himmel, daß Du diese Krisis wie jede andre glücklich hinter Dich bringst. Sobald es der Dr erlaubt – aber auch sicherlich nicht eher –, erwart’ ich ein Paar Zeilen von Dir, worauf ich, wie Du Dir denken magst, nicht wenig begierig bin. Wirst Du diesmal nähren? Die Mama schreibt nichts darüber. Angegriffen wie Du bist, wird Dir’s am Ende auch diesmal untersagt werden. Nur, wenn ich bitten darf, keine schlimmen Brüste wieder.

Lebwohl, mein gutes altes Thier, küsse den Großen (der hoffentlich wieder auf den Beinen ist) und den Kleinen und versprich jedem eine Zuckerdüte im Namen Deines etwas auf Kohlen sitzenden

Theodor.

THEODOR AN EMILIE FONTANE

Brighton 16ten Septemb. 52.

(12. Charlotte Street)

Donnerstag.

(Dieser Brief ist zunächst nur von Emilien selbst oder sonst gar nicht zu lesen.)

Meine liebe, gute Herzens-Mila.

Von englischem Boden aus vermuthlich die letzten Zeilen! Möchten die freundlichen Umgebungen unter denen ich sie schreibe eine gute Vorbedeutung sein und möchte Deine Seele – das ist der mir zunächst liegende Wunsch – in diesem Augenblick wenigstens so harmonisch gestimmt sein wie die meinige. Leider darf ich mich dieser Hoffnung nicht unbedingt in die Arme werfen: Du leidest wieder, siehst Dich abermals um einen Deiner innigsten und natürlichsten Wünsche gebracht, siehst den Jüngsten nicht recht vorwärts und den Aeltesten sogar rückwärts kommen – wo soll die Seele da Harmonie und Genüge finden!

Zunächst indeß zu Deinem Briefe. Vorerst laß Dir sagen, daß ich eine herzinnige Freude hatte, als ich Deine Handschrift auf dem Couvert erkannte; leider wurde sie durch viele Einzelnheiten Deines Briefes wieder gedämpft, so daß vom Guten fast nichts übrig blieb als Wilms, die Freundlichkeit einzelner lieber Leute (die die Lieblosigkeit Andrer mehr lächerlich als ärgerlich erscheinen lassen) und vor allem die gute Nachricht über Jenny. Ich bin sicher, Du wirst sie nach dem, was das arme Wurm das vorige Mal durchzumachen hatte, diesmal um ihr bessres Glück nicht beneiden.

Du wirfst mir vor, mein erster Brief nach Deiner Entbindung sei nüchtern gewesen, und – während ich diese Zeilen schreibe – verurtheilst Du gewiß den zweiten noch mehr. Ich muß mir das nicht nur gefallen lassen, ich muß sogar zugeben Du hast Recht und ich fühlte selbst so was. Aber ich bitte Dich inständigst das nicht meinem Herzen und meiner vielverschrienen Liebe-Unfähigkeit in Rechnung zu stellen. Ich habe mich genau nach der Ursach gefragt und ich kann lächerlicherweise keine andre finden als – Mutter Kummer. Wenn ich in spätestens 14 Tagen zurück bin und Du den Brief der guten Frau liest, sollst Du selbst urtheilen, ob ich recht habe oder nicht. Du kennst den Ausspruch, daß ein witziger Mensch einem Langweiligen gegenüber selbst geistlos oder im besten Falle stumm wird; dasselbe gilt vom Gefühl: auch das leichtbeweglichste Herz kommt nicht aus seinem gewöhnlichen Pendelschlag, wenn man ihm eine Schreckensgeschichte unter Gähnen und mit den Zeichen äußerster Gleichgültigkeit erzählt. Der Brief der Mama ist so geschrieben, als wenn sie mir mitzutheilen gehabt hätte, daß das Feuerwerk in Treptow wegen heftigen Regens unterbleiben mußte und jedenfalls lag ihr die Kiste von Tootal & Browne mehr am Herzen, wie der ebengeborne kleine Fontane. Daß ich nicht übertreibe sollst Du später selbst sehn; auch wirst Du’s ohnehin glauben, denn ich habe schon tollere Scenen mit der Frau durchgemacht, wo ihr meine knirschende Verzweiflung gleichgültiger war als eine Pfeife Toback des alten Kummer. Doch genug davon; wir haben heut mehr und bessres zu thun, als alte Geschichten aufzuwärmen. Nur das noch, daß sie mir in dem letzten Briefe ganz ruhig schreibt Emilie hat in Folge dessen »die Linke zu packen müssen«; Nächsten Dinstag ist unsrer guten Mama Geburtstag: gratulir ihr in meinem Namen und in den herzlichsten Worten die Du hast. Das einzige Geschenk was wir ihr machen können ist das sichre Versprechen unausgesetzter Kindermuhmenschaft bei allem was noch kommen mag.

Th.F.

Der Sicherheit wegen hab’ ich Dir oben meine Wohnung angegeben; natürlich erwart’ ich außer am Montag (über Schweitzers Adresse) weiter keinen Brief hier.

EMILIE AN THEODOR FONTANE

Berlin d 16 Sept. 52.

Mein Herzensmann.

Daß ich Dir heute schreiben muß, anstatt zu Dir reden zu können, wird mir auch schwer, aber der liebe Gott prüft mich sehr mein Theo, u. oft habe ich in diesen Schmerzenstagen jammernd meine Hände nach Dir ausgestreckt u. nur in ruhigen Augenblicken Gott gedankt, daß ich Alles für Dich mit habe tragen können. Ja, mein einziger Herzensmann ich leide viel; gestern Abend um 7 Uhr hat der liebe Gott unseren kleinen Neugebornen wieder zu sich genommen!

Mein lieber, lieber Mann, es thut sehr weh u. gewiß ist das Kind ein Stück vom Herzen der Mutter, denn das wehrt u. sträubt sich sehr, ehe es den kleinen Liebling hergiebt. Gestern Nachmittag erhielt der Kleine die Nothtaufe, Fournier war sehr liebevoll, sprach schön u. betete auch für den fernen Vater; wir haben ihn Rudolph taufen lassen. Was dem kleinen Wurm gefehlt hat, werVersehentlich für: