Über Gregor Gysi

Gregor Gysi, geboren 1948, Rechtsanwalt und Politiker. Sohn des DDR-Kulturministers Klaus Gysi und Neffe der Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing. 1967 Eintritt in die SED. Vertrat als Rechtsanwalt u. a. Robert Havemann, Rudolf Bahro und andere Regimekritiker. 1989–1993 Parteivorsitzender der PDS. 1990–2002 und 2005–2016 MdB und Fraktionsvorsitzender der PDS und der Partei Die Linke. Seit Dezember 2016 ist er Präsident der Europäischen Linken. Zahlreiche Publikationen. Bei Aufbau erschienen zuletzt: »Was bleiben wird. Ein Gespräch über Herkunft und Zukunft« (zusammen mit Friedrich Schorlemmer) sowie die Autobiographie »Ein Leben ist zu wenig«.

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Was hat uns Karl Marx heute zu sagen?

Ist der Kapitalismus noch zu retten? Oder brauchen wir eine neue Gesellschaftsidee? Gregor Gysi untersucht kritisch, unterhaltsam und pointiert die Bedeutung des Marx’schen Denkens und seiner Rezeption, die von akademischer Erbauungsliteratur bis zum Popart-Design reicht. Seine These: Die Menschheit braucht eine neue Utopie.

»Karl Marx war einer der größten Historiker und Ökonomen nicht nur unseres Landes, sondern der Geschichte.« Gregor Gysi

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Gregor Gysi

Marx und wir

Warum wir eine neue Gesellschaftsidee brauchen

Ich habe mein Leben lang das getan, wozu ich gemacht war, nämlich zweite Violine spielen, und glaube auch, meine Sache ganz passabel gemacht zu haben. Und ich war froh, so eine famose erste Violine zu haben wie Marx.

FRIEDRICH ENGELS

Inhaltsübersicht

Über Gregor Gysi

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Menschen passen in kein Modell

Eine Wandzeitung mit langem Bart – Die Klassiker in den Trümmern der DDR – »Das Kapital« im Einkaufswagen – Autorität allzu leichtgenommen: Zitate statt wirklicher Argumente – Der Irrtum von Norbert Blüm – Scheinbar aussichtslose Ziele sind oft der beste Antrieb

Kein Pfifferling für Popularität

Ein fiktives Interview über: Verbrüderung des Unmöglichen – Die Macht eingebildeter Götter – Politik gemeinsam mit dem Teufel – Tränenbäche, nächtelang – Aktienschwindel und Goldregen – Kapital als verstorbene Arbeit

Riskiere den Pfennig, der kein Pfennig ist

Über Gerechtigkeit – Das Große und das Kleine –Veränderung als Millimeterarbeit – Grundgesetz und Emanzipationsschranken – Mona Lisa gegen Sixtinische Madonna? – Ausbeutung als Vertragsverhältnis – Der Blick in den Weinkeller – Freiheit wovon und wofür?

Karl Marx: Gut gesagt

Am reißenden Fluss

Wozu eigentlich Sozialismus? – Wo ist die Hauptstraße der Weltgeschichte? – Verstaatlichung der Banken – Wirtschaftsmacht ist undemokratisch – »Dann gehe ich sofort in die Schweiz« – Paris, Prag, Santiago – Die Gefahr hinter Google Earth – Klassenkampf ohne Revolution?

Karl Marx: Gut gesagt

Falsche Sätze, plötzlich richtig

Taugt Marx für Hitparaden? – Wenn er Franzose wäre … – Linker Geist und teure Restaurants – Londons Highgate und Moskaus Kremlmauer – Auch in Parteiprogrammen wildert der Druckfehlerteufel – Eine Renaissance, der Lügen und Rufmord vorausgingen

Karl Marx: Gut gesagt

»Und die Tat, sie blieb uns doch«

Karl Marx: Stationen seines Lebens – Staatsgefährder und Langzeitverlobter – Mehrings Bewunderung – Drei Leseempfehlungen: »Mein Herzliebchen«, eine Abschweifung und der poetische Rat »Nimmer rasten, nimmer ruhn!«

Verwendete Literatur

Bildnachweis

Impressum

Menschen passen in kein Modell

Eine Wandzeitung mit langem Bart – Die Klassiker in den Trümmern der DDR – »Das Kapital« im Einkaufswagen – Autorität allzu leichtgenommen: Zitate statt wirklicher Argumente – Der Irrtum von Norbert Blüm – Scheinbar aussichtslose Ziele sind oft der beste Antrieb

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Das Marx-Engels-Denkmal auf dem Berliner Marx-Engels-Forum. Warum sitzt Marx?

Einer bundesdeutschen Zeitschrift beantwortete ich einen Fragebogen, der auch wissen wollte, wie ich einem Blinden mein Äußeres beschriebe. Ich gab an: »Groß, kräftig, dichte blonde Locken.« Worauf die Redaktion einige Leserbriefe erhielt, von denen einer auch veröffentlicht wurde: »Von einem Linken hätten wir natürlich erwartet, dass sich seine Phantasie in dieser Frage an Karl Marx orientiert: dichter langer Bart und wallendes dunkler Haar.« Stimmt. Ist mir aber damals nicht eingefallen.

Allerdings kann ich sagen, dass ich mit der Frisur von Marx (und Engels) durchaus sehr reale politische Erfahrungen machte, und das sehr früh. In den sechziger Jahren in der DDR begannen junge Leute lange Haare zu tragen. Es war die Zeit der unaufhaltsam einsetzenden »Beatlemania«, deren Ausdrucksformen über die Grenze drangen. Der älteren Generation missfiel dies, dem Staat noch mehr, und wie immer verfiel man in der Administrative in den fundamentalen, ja geradezu lächerlichen Irrglauben, der Jugend Kleidung, Aussehen, Musik oder Geschmack vorschreiben zu können. In der DDR ging das so weit, dass die Volkspolizei oder Vorgesetzte in den Betrieben junge Leute zwangen, zum Frisör zu gehen. Mitunter griff man schon vorher zum erzieherischen Strafinstrument: zur Schere. Die Zeitung »Neues Deutschland« veröffentlichte agitatorische, gleichsam abmahnende Fotos, wie sogenannte Gammler gewaltsam barbiert wurden.

Ich besuchte damals die Erweiterte Oberschule »Heinrich Hertz« in Berlin-Adlershof. Zwei Mädchen meiner Klasse gestalteten eine Wandzeitung. Darauf waren zwei sehr attraktive Bilder zu sehen, eines von Karl Marx und das andere von Friedrich Engels. Beide trugen die bekannten langen Haare. Meine Mitschülerinnen fragten in ihrem Textbeitrag, wie die beiden wohl von der Volkspolizei der DDR behandelt würden. Wenn man um die damaligen Verhältnisse im Staat weiß, kann man sich sehr gut vorstellen, wie aufgebracht und nervös der Direktor in unsere Klasse kam. Er fragte barsch nach dem Funktionär, der in der FDJ-Leitung der Klasse verantwortlich für »politisch-ideologische Fragen« sei. Typisch für das Prinzip der Kader-Hierarchie: Man erkundigt sich nicht nach den unmittelbar Verantwortlichen, also nach den beiden Mitschülerinnen, sondern nach den »Übergeordneten«.

Die Sache geschah im Monat März. Die Wahl der FDJ-Leitung hatte im September des Vorjahres stattgefunden. Ich selber war an jenem Wahltag krank und hatte also an der betreffenden Versammlung nicht teilgenommen. Also ging mich jetzt dieses Erkundigen und Nachfragen nichts an. Aber plötzlich beugte sich die FDJ-Sekretärin zu mir vor und flüsterte, man habe mich »damals«, in meiner Abwesenheit, zum Verantwortlichen für politisch-ideologische Fragen bestimmt.

Nunmehr, wie gesagt, stand der Kalender auf März. Bis dahin hatte die FDJ-Leitung nicht ein einziges Mal getagt, so dass ich von der »Ehre« dieser Wahl nichts erfuhr. Nun meldete ich mich selbstverständlich, ich wollte die seltsame Situation nicht denunzieren. Der Direktor bat mich, mit in sein Zimmer zu kommen. Er forderte mich auf, für Ordnung zu sorgen, was bedeutete: Die Wandzeitung sollte unverzüglich abgehängt werden.

Ich hörte mir das an und gab zu bedenken, dass diese Idee nicht besonders klug sei. Das Erstaunen des Pädagogen kann man sich vorstellen. Auf erneute Nachfrage erklärte ich, eine abrupte Entfernung der Wandzeitung würde aus einer doch recht harmlosen Angelegenheit ein auffälliges, Widerspruch auslösendes Politikum machen. Klüger wäre, nicht zu reagieren, die Sache also so beiläufig wie möglich zu behandeln. So hielte sich alle Aufregung gewiss in Grenzen – und am Ende der Woche würde ich dafür sorgen, dass das corpus delicti von der Wand genommen wird. Der Direktor dachte kurz nach und ließ sich auf meinen Vorschlag ein.

In jener Zeit also begegneten mir Karl Marx und Friedrich Engels, wenn auch vorwiegend wegen ihrer Haartracht. Bald darauf trug ich selber auch längere Haare. Ich weiß: sich das vorzustellen, fordert Leuten, die mich erst sehr viel später kennenlernten, eine gewisse Phantasie ab. Mir selber inzwischen auch. Und mit einem ironischen Lächeln zitiere ich Marx: »Das Leiden gehört zum Selbstgenuss des Menschen.«

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Karl Marx war in der DDR außerordentlich präsent, seine Werke wurden zitiert, sein Leben und seine Persönlichkeit waren Gegenstand von Büchern und Filmen. Dabei ist es einerseits bemerkenswert, welche Werke von ihm hervorgehoben, welche Seiten seines Lebens stärker und welche schwächer dargestellt wurden. Um es deutlich zu sagen: Es fand eine gewisse Verklärung statt. Das wäre kulturell nicht so schlimm gewesen, wenn Zitate von Karl Marx (auch von Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin) in den Geisteswissenschaften der DDR nicht dazu benutzt worden wären, Beweisführungen zu ersetzen. Ein Zitat von einem dieser drei genügte als Beleg. Das nahm den Betreibern der Geisteswissenschaften, um es milde auszudrücken, etwas den Schneid: Man verlernt schnell, seine Thesen plausibel zu untermauern.

Andererseits muss man sagen, dass diejenigen in der DDR, die sich ernsthaft mit dem Werk von Karl Marx beschäftigten, durchaus mit Widerständen zu ringen hatten. Denn es sollte in der Forschung stets ein Ergebnis präsentiert werden, das die DDR bestätigte. Das freilich gaben die Werke von Karl Marx nicht so ohne weiteres her. Zu den herausragenden, kritischen Marx-Kennern gehörten der Philosoph und Logiker Georg Klaus, der Philosophiehistoriker Helmut Seidel, der Historiker Ernst Engelberg, der Ökonom Jürgen Kuczynski. Die Liste ist bei weitem nicht vollständig.

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Nachdem ich Bürger der Bundesrepublik Deutschland geworden war, begegnete mir dort ein gänzlich anderes Bild von Karl Marx. Verantwortliche Politiker gingen grundsätzlich davon aus, dass Marx im Wesentlichen unrecht hatte. Sie wussten, dass er nicht dumm war, aber auch Intelligenz schließt ja bekanntlich Irrtümer nicht aus. Das Verhältnis zu Marx war in der Bundesrepublik schon deshalb gestört, weil man ihn in der DDR und in anderen staatssozialistischen Ländern so außerordentlich hervorgehoben hatte. Interessant ist, dass es diese Vorurteile, diese abschätzige Distanz auch in der westdeutschen Wissenschaft gab, wo man ja grundsätzlich eine andere, gründliche, souverän unideologische Betrachtungsweise erwartet.

Natürlich gab es herausragende Wissenschaftler, die sich sehr ernsthaft und weiterführend mit den Werken von Marx auseinandersetzten. Dazu zähle ich zum Beispiel Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas, Wolfgang Fritz Haug. Doch das änderte an der grundlegenden Skepsis in Politik, Wissenschaft und Kultur wenig. Einzig zu bestimmten Jahrestagen oder im Rahmen der außerparlamentarischen Opposition spielten die Werke von Marx und Engels, der sogenannten Klassiker, auch in der alten Bundesrepublik eine größere Rolle. Das hatte auch Auswirkung auf die Wissenschaft, vor allem in den siebziger Jahren.

Nach Herstellung der deutschen Einheit schien es zunächst völlig müßig, den Versuch zu unternehmen, in der gesamten Bundesrepublik ein differenziertes Bild von Marx zu zeichnen. Die Bürger der untergegangenen DDR waren zu einem großen Teil mit ihm fertig. Irgendwie gingen sie davon aus, dass die DDR sein Werk war – das nun in Trümmern lag.

Trotzdem saß der Wunsch in mir tief, einen Beitrag für eine andere politische Kultur zu leisten – und dazu gehört auch ein anderer Umgang mit und eine andere Sicht auf Karl Marx. Und scheinbar aussichtslose Ziele können mich gelegentlich faszinieren.

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Während meines Jurastudiums war ich verpflichtet, viele Werke von Marx, Engels und Lenin zu lesen. Dabei stellte ich fest, dass ich Engels besonders gern las. Für mich strahlte er nicht nur Intelligenz, sondern vor allem Wärme aus. Er hatte einen durchaus pädagogischen Stil, der aber auf ebenso seltsame wie seltene Weise etwas Einnehmendes hatte. Engels verfügte über einen einfacheren Stil als Marx, war also auch leichter zu lesen, aber selber nicht sehr tief ins Wissenschaftliche eingedrungen.

Beim »Kapital« las ich Band 1 und räume freimütig ein, dass mich das ziemlich anstrengte. Im Vorwort zur ersten Auflage hatte Karl Marx behauptet, er habe im Unterschied zur »Kritik der politischen Ökonomie« seine Aussagen popularisiert. So? Darüber hätte ich gern mit ihm gestritten.

Gern wird zwischen dem Früh- und dem Spätwerk von Marx unterschieden. Das geschieht wohl bei jedem Geistesschaffenden, bei jedem bedeutenden Denker. Leben ist keine Einbahnstraße, kein glatter Pfad. Wenn man die Werke von Marx aus jeweils unterschiedlichen Zeiten liest, gewinnt man also unterschiedliche Erkenntnisse, ergeben sich Unterschiede im aufgegriffenen Themenfeld, widerspricht sich einiges. Seine Quellen waren die großen Philosophen, die bedeutenden Wirtschaftswissenschaftler und die utopischen Kommunisten. Er versucht, den Idealismus zu überwinden; er erklärt, dass es die materiellen Dinge und Verhältnisse sind, die letztlich über unser Denken und Fühlen entscheiden; er untersucht die Logik des Produktionsprozesses, erklärt beeindruckend, weshalb bestimmte Dinge passieren und andere eben nicht. Schließlich prognostiziert er eine kommunistische Gesellschaft. Und in all dem ist er ein begnadeter Schreiber, glüht in poetischen Bildern und trefflichen Metaphern.

Es darf nicht vergessen werden, dass er auch an den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit teilnahm. Sein Auftreten führte dazu, dass er in Deutschland verfolgt wurde, so dass er in die Emigration ging. Sein dauerhafter Wohnort wurde so London. Deutschland hatte nicht die Kraft, ihn auszuhalten, England schon. Unter aktuellen Gesichtspunkten darf man explizit darauf hinweisen, dass Karl Marx ein Flüchtling war, außerdem noch ein politischer und staatenlos. Die deutsche Staatsbürgerschaft verlor er, die englische erhielt er nicht.

Schon zu seinen Lebzeiten kam der Begriff des Marxisten auf. Wahrscheinlich erkannte Karl Marx schon damals die Gefahr: dass unter einer solch strengen Festlegung des Begriffs eine Theorie zum Dogma verkommen könne. In einem Brief berichtet Friedrich Engels: Als Karl Marx hörte, es gebe Marxisten, hat er kategorisch betont, er selber sei keiner.

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Man kann ohne Übertreibung sagen, dass das »Kapital« von Karl Marx nicht nur zu den bedeutendsten Werken dieses Autors zählt, sondern zu den wichtigsten Texten des 19. Jahrhunderts überhaupt. Es ist von heute aus gesehen natürlich leicht, mögliche Schwächen auszumachen, Irrtümer, Fehleinschätzungen, auch zeitbedingte Grenzen.

Die ökonomischen Vorstellungen und Theorien des Aufklärungsliberalismus vor dem 19. Jahrhundert, von John Locke bis Adam Smith, unterstellten immer eine Verträglichkeit der kapitalistischen Praxis mit den Prinzipien des Naturrechts und gingen somit davon aus, dass der Kapitalismus naturgewollt war. Natürlich war das pure Ideologie. Marx hielt dem ein Projekt der Wissenschaft entgegen: Es gehe nicht darum, Theorien so zu formulieren, dass sie auf irgendwelche ideologischen Annahmen passten, sondern darum, die ökonomischen Praxisformen auf den Begriff zu bringen. Was sich moralisch, politisch oder in anderer Hinsicht daraus ergeben könnte, sei eine andere Sache. Auch die Marktfixierung der Neoliberalen basiert auf einem reinen Dogma, einer ideologischen Idealvorstellung und theoretischen Fiktion: der puren Marktökonomie. Die gibt es nicht, die kann es auch nicht geben, schon weil es noch die Menschen gibt – die mehr sind als nur Elemente in einem theoretischen Modell.

Marx hat unter anderem gesehen, dass der kapitalistischen Konkurrenz ein Ziel innewohnt, das zum Monopol führt. Das Monopol stellt Abhängigkeiten zu anderen Marktteilnehmern, wie etwa Zulieferern, her, und es kann Monopolpreise bestimmen. Nicht umsonst gibt es in entwickelten kapitalistischen Ländern Kartellämter, die das verhüten sollen. Just das offenbart aber, dass nicht der Markt selbst, sondern allenfalls die Politik etwas gegen die Monopolisierungstendenzen unternehmen kann. Wer Kapitalismus und freie Märkte miteinander identifiziert, der übersieht fahrlässig oder absichtsvoll diese Tendenz zur Monopolisierung. Schon deshalb ist es kein Wunder, dass Karl Marx für die eher orthodoxen Ökonomen ein Störenfried war und ist.

Das Monopol bezeichnete Marx als Fessel der Produktivkräfte. Wenn man schaut, wie die Energiekonzerne die Energiewende verschlafen haben, wenn man daran denkt, wie die deutschen Autokonzerne die Perspektiven ökologischer Mobilität verspielten und diese durch Softwaremanipulation nur vorgaukeln, anstatt die Intelligenz ihrer Ingenieure für ein Zukunftsauto zu nutzen, und wenn man sich schließlich vor Augen führt, dass Konzerne wie die großen Banken sich lieber vom Staat, das heißt von dessen Bürgerinnen und Bürgern, die auch dafür Steuern zahlen müssen, retten lassen, als pleitezugehen – dann sieht man, dass allzu große Kapitalkonzentrationen ein Entwicklungshemmnis für unsere Gesellschaften sind. Naheliegend wären Maßnahmen, die von der Entflechtung bis hin zur Sozialisierung reichen können.

Aus solchen Zuspitzungen hat Marx das relativ schnelle Herannahen der Revolution gefolgert. Und damit weit gefehlt. Auch ein Genius bleibt gebunden ans Grunderleben jedes großen Abenteuers: Versuch und Irrtum.

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