Über das Buch

Der nach Stephen Hawking prominenteste Astrophysiker des Planeten hat das ultimative Kompendium über den Kosmos verfasst. In Neil deGrasse Tysons Nr. 1-New York Times-Bestseller ist alles versammelt, was wir über das Universum wissen: über Exoplaneten und Dunkle Energie, über Zwerggalaxien und den Urknall. Wie kein Zweiter begeistert der Nachfolger von Carl Sagan mit funkelndem Witz für die Wunder des Weltalls. Zugleich regt deGrasse Tyson zum Nachdenken über unseren Platz im Universum an, zu Demut angesichts kosmischer Skalen. Sein Universum für Eilige ist das perfekte Buch für alle, die auf nur 200 Seiten die Geschichte unseres Universums verstehen – und sich dabei auf hohem Niveau unterhalten lassen möchten.

Neil deGrasse Tyson

Das Universum für Eilige

Aus dem Englischen von Hans-Peter Remmler

Carl Hanser Verlag

Für alle, die für dicke Wälzer keine Zeit,

aber trotzdem Interesse daran haben,

was außerhalb unserer Erde so alles los ist

Inhalt

Vorwort

1. Die größte Geschichte aller Zeiten

2. Wie im Himmel, so auf Erden

3. Es werde Licht

4. Zwischen den Galaxien

5. Dunkle Materie

6. Dunkle Energie

7. Der Kosmos im Periodensystem

8. Alles, was rund ist

9. Unsichtbares Licht

10. Zwischen den Planeten

11. Exoplanet Erde

12. Gedanken zur kosmischen Perspektive

Dank

Anmerkungen

Register

Vorwort

Seit einigen Jahren vergeht kaum eine Woche ohne eine Entdeckung kosmischen Ausmaßes, die es in die Schlagzeilen schafft – zuletzt, im Oktober 2017, das Echo einer gigantischen Explosion zweier 130 Millionen Lichtjahre entfernter Sterne. Die wachsende mediale Präsenz liegt daran, dass die Öffentlichkeit einfach immer mehr über Naturwissenschaften erfahren will. Dafür spricht eine ganze Menge: Fernsehshows mit naturwissenschaftlichem Bezug, Science-Fiction-­Filme mit berühmten Schauspielern und namhaften Produzenten und Regisseuren sind Kassenschlager im Kino, Filmbiografien bedeutender Wissenschaftler haben sich fast schon zu einem eigenständigen Genre entwickelt. Auch Wissenschaftsfestivals, Science-Fiction-Kongresse und wissenschaftliche Dokumentationen im Fernsehen erfreuen sich weltweit großen Interesses. Und: Der erfolgreichste Film aller Zeiten spielt auf einem Planeten, der einen fernen Stern umkreist. In der Hauptrolle: eine Astrobiologin.

Die meisten Zweige der Wissenschaft haben sich in unserer Ära weiterentwickelt, keine jedoch so stark wie die Astrophysik. Und ich glaube, ich weiß, warum. Irgendwann im Leben hat jeder von uns einmal den Blick zum Nachthimmel gerichtet und sich gefragt: Was hat das alles zu bedeuten? Wie funktioniert das alles? Und wo ist eigentlich mein Platz im Universum?

Wenn Sie zu beschäftigt sind, um sich mit Fachliteratur, Dokumentarfilmen oder der Volkshochschule dem Kosmos anzunähern, aber trotzdem gerne eine kurze, aussagekräftige Einführung in das Thema hätten, wäre hier mein Angebot: Das Universum für Eilige. In diesem kleinen Bändchen erfahren Sie alles, was Sie über die wichtigsten Ideen und Entdeckungen wissen müssen, die unser heutiges Verständnis des Universums ausmachen. Wenn alles gut geht, werden Sie auf meinem Fachgebiet jederzeit mitreden können, und vielleicht bekommen Sie sogar Appetit auf mehr.

Das Universum steht nicht in der Pflicht,

für uns irgendeinen Sinn zu ergeben.

–NDT

1. Die größte Geschichte aller Zeiten

Die Welt besteht schon gar viele Jahre,

von Urkräften ehedem füglich in ihren

Lauf gesetzt. Aus diesen Kräften

geht alles andere hervor.

Lukrez, ca. 50 v. Chr.

Am Anfang, vor fast 14 Milliarden Jahren, nahmen der gesamte Raum, die gesamte Materie und die gesamte Energie des bekannten Universums weniger als ein Billionstel der Größe des Punkts ein, der am Ende dieses Satzes steht.

Es herrschte eine solche Hitze, dass die Grundkräfte der Natur, die in ihrer Gesamtheit das Universum beschreiben, zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen waren. Noch wissen wir nicht, wie dieser unvorstellbar winzige Kosmos entstanden ist, klar ist jedoch: Er konnte nur expandieren – und zwar schnell. Diese Expansion kennen wir heute als Urknall.

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie aus dem Jahr 1916 begründet unser modernes Verständnis der Gravita­tion, wonach das Vorhandensein von Materie und Energie eine Krümmung des Raum-Zeit-Gefüges bewirkt. In den 1920er-Jahren wurde die Quantenmechanik entdeckt, die unsere moderne Vorstellung von allem prägt, was extrem klein ist: Moleküle, Atome, subatomare Partikel. Diese beiden Vorstellungen von der Natur sind formal allerdings nicht kompatibel. Und so begann ein Wettlauf der Physiker, wie die Theorie des Kleinen mit der Theorie des Großen zu einer einzigen kohärenten Theorie der Quantengravitation zusammenzuführen sei. Wir sind noch nicht über die Ziel­linie, wissen aber immerhin, wo die Knackpunkte sind. Einer davon liegt in der »Planck-Ära« des frühen Universums. Dabei geht es um das Zeitintervall von t = 0 bis t = 10–43 Sekunden (ein Zehnseptillionstel einer Sekunde oder: 0,00000000000000000000000000000000000000000001 Sekunden) nach dem Anfang, und bevor das Universum auf einen Durchmesser von 10–35 Meter (ein Hundertquintilliardstel eines Meters oder: 0,000000000000000000000000000000000001 Meter) angewachsen war. Der deutsche Physiker Max Planck, nach dem diese unvorstellbar winzigen Größen benannt sind, führte im Jahr 1900 die Idee der quantisierten Energie ein und gilt allgemein als Vater der Quantenmechanik.

Der Widerstreit zwischen Gravitation und Quantenmechanik stellt für das Universum unserer Tage kein praktisches Problem dar. Astrophysiker wenden die Methoden und Werkzeuge der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik auf höchst unterschiedliche Problemfelder an. Aber am Anfang, in der Planck-Ära, war das Große noch klein, und wir haben den Verdacht, dass zwischen den beiden eine Art Zwangsehe geschlossen wurde. Allein, die bei dieser Zeremonie ausgetauschten Gelübde blieben uns bisher verborgen, deshalb gibt es keine (bekannten) Gesetze der Physik, die halbwegs verlässlich beschreiben könnten, was genau im Universum während dieses Zeitraums vorging.

Dennoch gehen wir davon aus, dass sich zum Ende der Planck-Ära die Gravitation von den anderen, nach wie vor vereinten Kräften der Natur zu lösen vermochte und eine eigenständige Identität erlangte, wie sie unsere gegenwärtigen Theorien trefflich beschreiben. Im Verlauf seiner »Alterung« bis 10–35 Sekunden dehnte sich das Universum weiter aus und schwächte dabei alle Energiekonzentrationen ab. Was von den vereinten Urkräften übrig war, teilte sich in die »elektroschwache Kraft« und die »starke Kernkraft« auf. Noch etwas später spaltete sich die elektroschwache Kraft in die elektromagnetische Kraft und die »schwache Kernkraft« auf. Und damit haben wir die vier kosmischen Grundkräfte, die wir alle kennen und schätzen: Die schwache Kernkraft steuert den radioaktiven Zerfall, die starke Kernkraft bindet den Atomkern, die elektromagnetische Kraft bindet die Moleküle, und die Schwerkraft bindet feste Materie.

Seit dem Anfang ist eine billionstel Sekunde vergangen.

Die Wechselwirkung zwischen Materie, in Form subatomarer Teilchen, und Energie, in Form von Photonen (masselose Teilchen, die die Energie des Lichts transportieren und gleichermaßen als Welle und als Partikel betrachtet werden können), ging derweil unablässig weiter. Das Universum war so heiß, dass die Photonen ihre Energie spontan in Materie-Antimaterie-Partikelpaare umwandeln konnten. Die löschten sich sofort wieder gegenseitig aus und wandelten sich in Energie in Form neuer Photonen um. Ja, Antimaterie gibt es wirklich. Und wir haben sie entdeckt, nicht Science-Fiction-­Autoren. Einstein beschreibt diese wundersamen Wandlungen umfassend in seiner berühmtesten Gleichung: E = mc2. Sie sagt uns auf ganz einfache Weise, wie viel Materie unsere Energie und wie viel Energie unsere Materie wert ist. Das c2 ist die Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat – eine gewaltige Zahl, die uns, wenn man sie mit der Masse multipliziert, vor Augen führt, wie viel Energie bei der Übung am Ende herauskommt.

Kurz vor, während und nach der Trennung der starken von der elektroschwachen Kraft war das Universum eine brodelnde Brühe aus Quarks, Leptonen und deren Geschwistern im Reich der Antimaterie. Dazu kamen noch Bosonen, jene Teilchen, die die Interaktionen der anderen erst ermöglichen. Von keiner dieser Teilchenfamilien nimmt man an, dass sie in etwas noch Kleineres oder Elementareres aufgeteilt werden könnte. Trotzdem tritt jede davon in mehreren Varietäten auf. Das handelsübliche Photon gehört zur Fa­milie der Bosonen. Die für Nichtphysiker am ehesten vertrauten Leptonen sind das Elektron und vielleicht noch das Neutrino; und die geläufigsten Quarks … gut, zugegeben, wirklich geläufige Quarks gibt es nicht. Jeder ihrer sechs Unterarten verpasste man einen abstrakten Namen, der keinerlei philologischen, philosophischen oder pädagogischen Zweck erfüllt, außer eben dem, sie von den jeweils anderen Unterarten zu unterscheiden: So gibt es Up- und Down-Quarks, Strange- und Charm-Quarks und Top- und Bottom-­Quarks.

Bosonen sind, nebenbei bemerkt, nach dem indischen Wissenschaftler Satyendra Nath Bose benannt. Der Begriff »Lepton« leitet sich vom griechischen Wort leptos ab, das »leicht« oder »klein« bedeutet. »Quark« hingegen besitzt einen literarischen und weitaus fantasiereicheren Ursprung. Der Physiker Murray Gell-Mann, der im Jahr 1964 die Existenz von Quarks als interne Bestandteile von Neutronen und Protonen in den Raum stellte und der zu jener Zeit annahm, dass die Familie der Quarks aus nur drei Mitgliedern bestünde, entlieh den Namen einer ebenso typischen wie mysteriösen Textstelle in James Joyce’ Finnegans Wake: »Drei Quarks für Muster Mark!« Eines immerhin darf man den Quarks zugutehalten: Alle ihre Bezeichnungen sind wirklich simpel – Chemiker, Biologen und vor allem Geologen kriegen eine derart einfache Nomenklatur nicht auf die Reihe.

Quarks sind seltsame Gesellen. Anders als Protonen, die eine elektrische Ladung von +1 haben, und Elektronen (elektrische Ladung: –1), haben Quarks Drittelbrüche als Ladungswerte. Vor allem aber wird es niemandem gelingen, ein Quark ganz alleine zu erwischen; es krallt sich immer an anderen Quarks in seiner Nähe fest. Die Kraft, die zwei (oder mehr) Quarks zusammenhält, nimmt sogar zu, je mehr man versucht, sie voneinander zu trennen – ganz so, als wären sie durch eine Art subnukleares Gummiband verbunden. Bringt man aber die Quarks weit genug auseinander, reißt das Gummiband, die gespeicherte Energie lässt unter Berufung auf E = mc2 an jedem Ende ein neues Quark entstehen – und Sie sind wieder da, wo Sie angefangen haben.

In der Quark-Lepton-Ära war das Universum so dicht ge­packt, dass der durchschnittliche Abstand zwischen nicht verbundenen Quarks vom Abstand zwischen verbundenen Quarks kaum zu unterscheiden war. Unter diesen Bedingungen war die Zusammengehörigkeit benachbarter Quarks nicht eindeutig auszumachen. Die Quarks bewegten sich frei untereinander, auch wenn sie kollektiv aneinander gebunden waren. Die Entdeckung dieses Materiezustands, einer Art Kessel voller Quarks, wurde erstmals im Jahr 2002 von einem Physikerteam der Brookhaven National Laboratories von Long Island, New York, gemeldet.

Theoretisch spricht viel dafür, dass ein Ereignis im ganz frühen Universum, vielleicht während einer der Aufspaltungen der Urkräfte, zu einer bemerkenswerten Asymmetrie führte. Danach waren die Materiepartikel den Antimateriepartikeln zahlenmäßig nur ganz knapp voraus, und zwar im Verhältnis von 1.000.000.000.001 zu 1.000.000.000.000. Inmitten der kontinuierlichen Zyklen von Erzeugung, Vernichtung und Neuerzeugung von Quarks und Antiquarks, Elektronen und Antielektronen (besser bekannt als Positronen), Neutrinos und Antineutrinos fiel dieser winzige Unterschied gewiss niemandem auf. Der überzählige Kollege hatte Gelegenheiten zuhauf, einen Partner für die Paarvernichtung zu finden, und so machten es auch alle anderen.

Aber allzu lange ging das nicht so weiter. Der Kosmos dehnte sich weiter aus – wurde größer als unser Sonnensystem – und kühlte sich zügig ab – auf unter eine Milliarde Kelvin.

Seit dem Anfang ist eine millionstel Sekunde vergangen.

Dieses laue Universum war inzwischen weder heiß noch dicht genug, um Quarks zu kochen. Deshalb schnappte sich jedes davon einen Tanzpartner und erzeugte auf diese Weise eine permanente neue Familie schwerer Partikel mit Na­men »Hadronen« (vom griechischen hadros, »dick«). Dieser Übergang vom Quark zum Hadron führte schon bald zur Entstehung von Protonen und Neutronen sowie weiterer, weniger bekannter schwerer Partikel, die sich sämtlich aus verschiedenen Kombinationen von Quark-Spezies zusammensetzen. In der Schweiz (wir sind wieder zurück auf der Erde) nutzt die Europäische Organisation für Kernforschung1 einen riesigen Teilchenbeschleuniger, um Hadronenstrahlen kollidieren zu lassen – damit sollen ebendie­se beschriebenen Bedingungen nachgestellt werden. Diese größte Maschine der Welt heißt passenderweise »Large Hadron Collider« (LHC).

Die geringfügige Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie, die in der Quark-Lepton-Brühe herrschte, ging nun auf die Hadronen über, allerdings mit erstaunlichen Folgen.

Mit der weiteren Abkühlung des Universums nahm die Energiemenge ab, die für die spontane Erzeugung von Elementarteilchen zur Verfügung stand. Während der Hadronen-Ära konnten sich die Photonen in der Umgebung nicht mehr auf E = mc2 stützen, um Quark-Antiquark-Paare zu produzieren. Und nicht nur das: Die Photonen, die aus all den verbliebenen Paarvernichtungen hervorgegangen waren, gaben ihre Energie an das sich immer weiter ausdehnende Universum ab. So fiel die Energie irgendwann unter die Schwelle, die notwendig wäre, um Hadron-Antihadron-­Paare zu erzeugen. Pro einer Milliarde Vernichtungen – die eine Milliarde Photonen zurückließ – überlebte ein einziges Hadron. Und diese Einzelkämpfer sollten am Ende den ganzen Spaß haben: Sie dienten als ultimative Materiequelle für die Erzeugung von Galaxien, Sternen, Planeten und Petunien. Ohne dieses winzige Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie – eine Milliarde und eins zu einer Milliarde – hätte sich die gesamte Masse im Universum selbst ausgelöscht. Zurückgeblieben wäre ein Kosmos aus Photonen und nichts sonst – das ultimative »Es werde Licht«-Szenario.

Inzwischen ist eine Sekunde vergangen.

Das Universum ist auf einen Durchmesser von einigen Lichtjahren angewachsen.2 Das ist in etwa die Entfernung von der Sonne bis zu ihren nächstgelegenen Nachbarsternen. Mit einer Milliarde Kelvin ist das Universum immer noch ganz schön heiß – und ebenfalls noch in der Lage, Elektronen zu kochen, die zusammen mit ihren Gegenstücken, den Positronen, weiterhin entstehen und wieder vergehen. Im sich immer weiter ausdehnenden und abkühlenden Universum sind ihre Tage (eigentlich: Sekunden) jedoch gezählt. Was für die Quarks und für die Hadronen galt, traf nun auch auf die Elektronen zu: Am Ende überlebt nur eines von einer Milliarde. Der Rest löscht sich paarweise mit Positronen, ihren Kumpels aus der Antimaterie, in einem Meer von Photonen aus.

Inzwischen hat sich ein Elektron für jedes Proton so weit stabilisiert, dass es nicht wieder verschwindet. Mit der weiteren Abkühlung des Kosmos – wir sind inzwischen unter hundert Millionen Kelvin angelangt – verbinden sich Protonen mit anderen Protonen sowie mit Neutronen und bilden dadurch Atomkerne. So entwickelt sich ein Universum, in dem 90 Prozent dieser Kerne Wasserstoff und zehn Prozent Helium sind. Dazu kommen noch winzige Spuren von Deuterium (»schwerer« Wasserstoff), Tritium (noch schwererer Wasserstoff) und Lithium.

Seit dem Anfang sind zwei Minuten vergangen.

Die nächsten 380.000 Jahre tut sich nicht allzu viel in unserer Teilchenbrühe. In all diesen Jahrtausenden bleibt es heiß genug, damit sich Elektronen frei unter den Photonen bewegen und diese ordentlich durchschütteln, während sie mit ihnen interagieren.

Mit dieser Freiheit ist es allerdings abrupt vorbei, sobald die Temperatur des Universums unter 3000 Kelvin fällt (das ist etwa halb so heiß wie die Oberfläche der Sonne). Dann tun sich nämlich alle freien Elektronen mit Atomkernen zusammen. Diese Hochzeit hinterlässt ein allgegenwärtiges Bad aus sichtbarem Licht, das am Himmel auf ewig einen Beleg dafür hinterlässt, wo sich im betreffenden Moment sämtliche Materie befand. Außerdem kommt dadurch die Bildung von Teilchen und Atomen im Ur-Universum zum Abschluss.

Die Ausdehnung und Abkühlung des Universums ging in der ersten Milliarde Jahre unablässig weiter. Die dabei entstandene Materie sortierte sich per Gravitation zu jenen massiven Konzentrationen, die wir Galaxien nennen. Fast hundert Milliarden dieser Galaxien bildeten sich, jede davon mit Hunderten von Milliarden Sternen, in deren Kernen eine thermonukleare Fusion abläuft. Diese Sterne, deren Masse das Zehnfache der Sonnenmasse überstieg, erreichten genügend Druck und Temperatur im Kern, um Dutzende Elemente zu erzeugen, die schwerer sind als Wasserstoff. Auch jene, aus denen sich Planeten bildeten – und was auch immer auf diesen Planeten an Leben entstand.

Diese Elemente wären erstaunlich nutzlos, wenn sie einfach nur dort blieben, wo sie sich gebildet haben. Hier und da explodieren aber massereiche Sterne und verteilen dadurch ihr chemisch angereichertes Innenleben in der ganzen Galaxie. Nach neun Milliarden Jahren dieser Anreicherung wird in einem unscheinbaren Teil des Universums (in den Außen­bezirken des Supergalaxienhaufens »Virgo«) in einer unscheinbaren Galaxie (der Milchstraße) in einer unscheinbaren Region (dem Orion-Arm) ein unscheinbarer Stern (die Sonne) geboren.

Die Gaswolke, aus der sich die Sonne bildete, enthielt schwere Elemente in ausreichender Menge, um eine Ansammlung komplexer sie umkreisender Objekte entstehen zu lassen. Darunter mehrere Gesteins- und Gasplaneten, Hunderttausende Asteroiden und Milliarden von Kometen. Während der ersten paar Hundert Millionen Jahre lagerten sich große Mengen versprengter Trümmer mit eigenwilligen Umlaufbahnen an größeren Körpern an. Dies geschah in Form von Einschlägen mit hoher Geschwindigkeit und Energie, die die Oberfläche der Gesteinsplaneten zum Schmelzen brachten, was wiederum die Bildung komplexer Moleküle verhinderte.

Da mit der Zeit immer weniger dieser anlagerbaren Materie im Sonnensystem verblieb, kühlten die Planetenoberflächen allmählich ab. Der Planet, den wir Erde nennen, bildete sich in einer habitablen Zone um die Sonne, in der Ozeane weitgehend in flüssiger Form erhalten bleiben. Hätte sich die Erde deutlich näher an der Sonne befunden, wären die Meere verdampft. Wäre die Erde deutlich weiter von der Sonne entfernt gewesen, wären die Meere gefroren. In beiden Fällen hätte sich das Leben, wie wir es kennen, nicht entwickeln können.

In den flüssigen Ozeanen gingen organische Moleküle in den Status reproduktiven Lebens über. Welcher Mechanismus dies möglich machte, harrt noch der Entdeckung. Die vorherrschende Zutat in dieser »Ursuppe« waren einfache anaerobe Bakterien – Leben, das in sauerstofffreien Umgebungen gedeiht, als eines seiner Nebenprodukte jedoch chemisch potenten Sauerstoff ausscheidet. Diese frühen einzelligen Organismen verwandelten die kohlendioxidreiche Atmosphäre der Erde unwissentlich in eine mit ausreichend Sauerstoff, sodass aerobe Organismen entstehen und die Herrschaft über Meere und Landmasse übernehmen konnten. Die gleichen Sauerstoffatome, die normalerweise paarweise auftreten (O2), verbanden sich auch zu Dreierkombinationen und bildeten damit Ozon (O3) in der oberen Atmosphäre. Dieses schirmte somit die Oberfläche der Erde wie ein Schutzschild vor einem Großteil der von der Sonne abgestrahlten, molekülfeindlichen UV-Strahlung ab.

Die erstaunliche Diversität des Lebens auf der Erde und – so nehmen wir jedenfalls an – auch anderswo im Universum verdanken wir dem kosmischen Überfluss an Kohlenstoff und der Vielzahl einfacher und komplexer Moleküle, die Kohlenstoff enthalten. Sicher ist jedenfalls: Es gibt mehr ­Varietäten kohlenstoffbasierter Moleküle als alle anderen Arten von Molekülen zusammengenommen.

Aber das Leben ist eine fragile Sache. Gelegentliche Begegnungen der Erde mit großen, unberechenbaren Kometen und Asteroiden, die früher recht häufig vorkamen, können unser Ökosystem immer einmal wieder verwüsten. Erst vor 65 Millionen Jahren (das sind weniger als zwei Prozent der Erdgeschichte!) schlug ein zehn Billionen Tonnen schwerer Asteroid genau dort ein, wo heute die mexikanische Halb­insel Yucatán liegt, und vernichtete über 70 Prozent der Flora und Fauna auf der Erde – einschließlich der berühmten, überdimensionalen Dinosaurier. Ausgelöscht, einfach so. Diese ökologische Katastrophe versetzte unsere Säugetiervorfahren, die bis dahin allenfalls als Vorspeise für T. rex gedient hatten, überhaupt erst in die Lage, die frei gewordenen Nischen zu besetzen. Aus einem mit einem großen Gehirn ausgestatteten Zweig dieser Säugetiere, den wir unter der Bezeichnung »Primaten« kennen, entwickelte sich eine Gattung und Spezies (der Homo sapiens) mit genug Intelligenz, um wissenschaftliche Methoden und Werkzeuge hervorzubringen – und Rückschlüsse auf Ursprung und Evolution des Universums zu ziehen.

Aber was geschah vor alledem? Was passierte vor dem Anfang?

Die Astrophysiker haben keine Vorstellung. Oder besser gesagt: Unsere kreativsten Vorstellungen sind wenig bis gar nicht durch die experimentelle Wissenschaft gestützt. Als Antwort machen religiöse Menschen mit einem Hauch von Rechtfertigung geltend, irgendetwas müsse doch das alles in Gang gesetzt haben: eine Macht, größer als alle anderen Mächte, eine Quelle, aus der alles entspringt. Eine treibende Kraft. In der Vorstellungswelt dieser Menschen ist dieses Irgendetwas selbstverständlich Gott.

Aber was ist, wenn das Universum immer schon da war, in einem Status oder Zustand, den wir erst noch bestimmen müssen – ein Multiversum etwa, das kontinuierlich Universen gebiert? Oder was ist, wenn das Universum einfach – Schwupp! – aus dem Nichts entstanden ist? Oder was, wenn alles, was wir kennen und lieben, nichts weiter ist als eine Computersimulation, die sich eine superintelligente Spezi­es von Außerirdischen zum Spaß hat einfallen lassen? Die­se Gedankenspiele stellen natürlich niemanden zufrieden. Aber sie erinnern uns daran, dass Unwissenheit der natürliche Zustand eines jeden Wissenschaftlers ist. Menschen, die glauben, es gebe nichts, worüber sie nichts wüssten, haben noch nie nach der Grenze zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten im Universum gesucht, geschweige denn, dass sie an diese Grenze gestoßen wären.

Immerhin können wir mit Gewissheit sagen, dass das Universum einen Ausgangspunkt, einen Anfang hatte. Das Universum entwickelt sich kontinuierlich weiter. Und ja, ­jedes einzelne Atom unseres Körpers lässt sich auf den Urknall, den »Big Bang«, zurückführen, und auf die thermonuklearen Schmelzöfen innerhalb massereicher Sterne, die vor über fünf Milliarden Jahren explodierten.

Wir sind lebendig gewordener Sternenstaub und wurden vom Kosmos mit der Fähigkeit ausgestattet, uns selbst – und das Universum – zu ergründen. Und wir haben damit gerade erst begonnen.

2. Wie im Himmel, so auf Erden

Bis Sir Isaac Newton sein universelles Gravitationsgesetz niederschrieb, hatte niemand Grund zu der Annahme, die Gesetze der Physik wären zu Hause die gleichen wie im Rest des Universums. Auf der Erde galten die irdischen Regeln, im Himmel die himmlischen. Gemäß der christlichen Lehre jener Zeit hatte im Himmel Gott das Sagen, folglich musste das Geschehen dort unserem schwachen, sterblichen Verstand verborgen bleiben. Als Newton diese philosophische Grenze durchbrach, indem er alle Bewegung verstehbar und vorhersagbar machte, kritisierten ihn manche Theologen – schließlich blieb in diesem Modell für den Schöpfer nichts mehr zu tun. Newton hatte herausgefunden, dass die Kraft der Gravitation, die reife Äpfel vom Baum fallen lässt, die gleiche ist, die auch diverse Wurfobjekte auf ihren gekrümmten Flugbahnen und den Mond auf seiner Umlaufbahn um die Erde lenkt. Das newtonsche Gravitationsgesetz bestimmt die Bahn von Planeten, Asteroiden und Kometen um die Sonne und hält Hunderte Milliarden Sterne innerhalb unserer Galaxie in ihren Bahnen.

Diese Universalität physikalischer Gesetze ist mehr als alles andere die Grundlage wissenschaftlicher Entdeckung. Und die Schwerkraft war erst der Anfang. Stellen Sie sich die Begeisterung der Astronomen des 19. Jahrhunderts vor, als sie ihre Laborprismen