Über Arne Blum

Arne Blum ist seit Jahren in der Verlagsbranche tätig und schreibt erfolgreiche Kriminalromane. Seine Schweinekrimireihe um die kluge Ermittlerin Kim mit der unfehlbaren Spürnase machte ihn nicht nur zu einem bekennenden Freund aller Schweine, sondern veranlasste ihn auch, ein Pseudonym für diese andere Seite in seinem kreativen Schaffen zu wählen.

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Seit Marks Mutter gestorben ist, spricht der Achtjährige kaum noch. Sein Vater Christoph, bei dem es auch beruflich gerade nicht besonders gut läuft, ist hilflos. Gemeinsam mit Mark zieht er sich in ein altes Haus der Familie mitten in der ländlichen Einöde zurück. Er hofft, den Jungen hier wieder zum Sprechen zu bringen. Als eines Morgens ein zahmes Schwein auf dem schneebedeckten Hof steht, blüht Mark förmlich auf. Er ist überzeugt, dass seine Mutter ihm das anhängliche Tier vom Himmel aus geschickt hat, und tauft es auf den Namen Rosa.

Doch dann tauchen zwei unheimliche Männer auf, und am nächsten Tag ist die Sau verschwunden. Für Mark steht fest: Rosa wurde entführt. Weihnachten steht vor der Tür, und Mark wünscht sich nichts sehnlicher, als Rosa wiederzufinden. Zusammen mit seinem Vater und Leonie, der wahren Besitzerin des Tiers, macht Mark sich auf die Suche nach dem Weihnachtsschwein. Werden Mark und seine tierische Freundin am Heiligabend wieder vereint sein?

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Arne Blum

Ein Weihnachtsschwein sieht rosa

Von einem Hausschwein, das auszog, Glück zu bringen

Roman

Inhaltsübersicht

Über Arne Blum

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Nachbemerkung

Impressum

1

Das alte Haus aus roten Backsteinen stand mitten im Wald. Es sei ideal, um dort am Wochenende auszuspannen, hatte Anna gemeint, als sie es kaufte. Auf der Wiese hinter dem Haus könne man eine Schaukel und ein Fußballtor aufstellen, dann könne Mark auch Freunde einladen, und im Schuppen ließen sich wunderbar Gartengeräte und Vorräte unterstellen.

Christoph hatte Mühe gehabt, sich von Annas Begeisterung anstecken zu lassen. Für ihn war das Haus eine Ruine gewesen. Doch sie hatte sich gleich an die Arbeit gemacht. Hatte das Dach neu decken lassen und einen Elektriker aus dem Dorf engagiert, der die Stromleitungen erneuerte, und dann hatte sie selbst einen groben Pinsel in die Hand genommen, um die Küche, das Bad mit der alten vierfüßigen Wanne und die vier Räume, die sich auf zwei Etagen verteilten, weiß zu streichen. Wenn er nun daran dachte, beschlich ihn Wehmut. Wie gesund und tatkräftig Anna ausgesehen hatte – Sommersprossen im Gesicht und das blonde Haar mit ­einem ­alten Tuch zurückgebunden.

Damals waren seine Geschäfte noch gut gelaufen – sechzehn Angestellte in einer florierenden Werbeagentur, die sich mehr und mehr auf online-Marketing konzentriert hatte. In einer Fachzeitschrift war Christoph Lepper sogar als »Werber des Jahres« bezeichnet worden.

Wie lange war das her?

Nicht mehr als achtzehn Monate.

Christoph hatte nie herausgefunden, ob Anna schon damals wusste, dass sie todkrank war. Eine besonders aggressive Form von Leukämie. Er hatte sie auch nie danach gefragt, obwohl er die Wahrheit ahnte. Das Haus sollte eine Art Vermächtnis werden – ein verwunschenes, baufälliges Haus, das sie nach ihren Vorstellungen umgestaltete und einrichtete. An dem Kamin hatte sie selbst eine Mauer eingezogen, aber da war ihr die Arbeit schon schwergefallen.

Was konnte eine fünfunddreißigjährige Frau Schöneres hinterlassen als ein altes Haus, in dem sich ihr Charakter widerspiegelte?

Er drehte sich um und blickte zum Rücksitz. War Mark eingeschlafen? Nein, er starrte traurig aus dem Fenster. Das Buch, das Christoph ihm in die Hand gedrückt hatte, lag auf seinem Schoß – offenbar hatte er es nicht angerührt. Auch seinen Gameboy beachtete er nicht.

»Wir sind gleich da«, sagte Christoph, als müsse er seinen Sohn beruhigen.

Mark blickte kurz auf, sagte aber nichts.

»Erinnerst du dich noch an die Rehe, die fast bis ans Haus gelaufen sind? Anna hat …« Christoph brach ab. Er spürte einen Kloß im Hals. Kinder überwinden ­einen Verlust eher als Erwachsene, hatte Robert, sein bester Freund und Arzt, ihm erklärt. Für Mark schien diese Aussage jedoch nicht zu gelten. Annas Beerdigung lag nun neun Wochen zurück, aber Mark hatte sich immer noch in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Er ging zwar wieder zur Schule, er machte sogar ordentlich seine Hausaufgaben, aber alles bedrückt und gedämpft, als würde er durch einen Nebel waten, den nur er sah.

Christophs Versuche, Annas Tod zu erklären, waren auch vergeblich gewesen. Solche Sätze wie: Deine Mama schaut vom Himmel herunter und passt auf dich auf, brachte er nicht über die Lippen. Außerdem hatte Anna zuletzt sehr schwach und ausgelaugt ausgesehen. Auch Mark hatte es das Herz zerrissen, seine Mutter so leidend zu erleben. Was Leiden bedeutete, konnte auch ein Achtjähriger verstehen.

Gestern hatten die Weihnachtsferien begonnen. Das Wochenende wollten sie in dem alten Haus verbringen, dann würden sie zu Annas Eltern fahren, um dort Weihnachten zu feiern.

Leichter Schneefall setzte ein, als Christoph von der Bundesstraße abbog. Nun kam nur noch ein Gehöft, dann ein langer dunkler Kilometer durch den Wald, und sie hatten das Haus erreicht.

Er blickte noch einmal zu Mark. Der Junge war seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.

»Wenn noch mehr Schnee fällt, können wir morgen vielleicht einen Schneemann bauen«, sagte Christoph und zwang sich zu einem Lächeln.

Mark zuckte mit den Achseln. »Gibt es hier Wildschweine?«, fragte er und schaute nun zum ersten Mal interessiert aus dem Fenster.

»Wahrscheinlich«, erwiderte Christoph, »aber bis zu den Häusern kommen sie nicht.« Er hatte keine Ahnung­, ob das stimmte.

Die schmale Straße war so rutschig, dass Christoph die Geschwindigkeit verringern musste. Die Fenster in dem Gehöft waren erleuchtet, bemerkte er. Windhorst hieß der Bauer. Aus irgendeinem Grund war Christoph froh, sich an den Namen erinnern zu können. Anna hatte oft mit ihm gesprochen und sich Tipps bezüglich der Handwerker geholt. Sollte er Bescheid sagen, dass jemand übers Wochenende in dem Haus sein würde? Nein, entschied Christoph, wahrscheinlich interessierte es niemanden.

Ein Hund bellte irgendwo, als er an dem Bauernhof vorbeifuhr, und dann musste er plötzlich auf die Bremse treten, weil eine schwarze Gestalt die Straße kreuzte.

»Was war das?«, fragte Mark erschreckt.

Christoph spürte, dass sich sein Herzschlag beschleunigte. »Irgendein Tier«, sagte er leise, doch es stimmte nicht. Ein Mann in einem schwarzen Regenmantel war direkt vor ihnen über die Straße gelaufen.

Fünf Minuten später bogen sie ab zu Annas Haus – ja, so hieß es in seinen Gedanken noch, Annas Haus, ihre verwunschene Sommerresidenz, die sie nie wirklich bezogen hatte.

Er stieg aus und öffnete wegen der Kindersicherung die hintere Tür an ihrem Passat. Mark blickte ihn nur an und machte keine Anstalten auszusteigen.

»Wir bleiben nicht lange«, sagte Christoph besänftigend. »Ich muss ein paar Unterlagen durcharbeiten, und wir müssen das Haus winterfest machen. Damit nichts kaputtgeht und einfriert, verstehst du?«

Mark nickte. Dann öffnete er wortlos den Sicherheitsgurt und kletterte langsam aus dem Auto.

Es hatte aufgehört zu schneien, nur das neue rote Ziegel­dach war wie mit Zuckerguss überzogen.

Als Christoph die Tür öffnete, meinte er Kratzspuren am Schloss wahrzunehmen, als habe jemand versucht, in das Haus einzudringen, aber nein, Unsinn, vermutlich war die Metallkappe schon immer so lädiert gewesen. Die Tür hatten sie schließlich nicht erneuert, sondern lediglich gestrichen. Er hatte vorher nie auf das alte Schloss geachtet.

Er musste dreimal vom Auto zum Haus gehen, um die wenigen Vorräte und seine Unterlagen hineinzutragen, während Mark reglos und noch immer im Anorak in dem Wohnraum stand, als habe ihn jemand dort abgestellt. Rotwein, er hatte eine ganze Kiste Merlot mitgenommen. Nur für den Notfall, sagte sich Christoph. Zuletzt hatte er abends recht viel getrunken.

»Zieh dich aus!«, rief er Mark zu, als er die letzten Vorräte – Milch, Brot und zwei Dosen Ravioli – in die offene Küche trug. Der Junge gehorchte mit einer freudlosen und irgendwie vorwurfsvollen Bewegung.

Christoph versuchte es zu ignorieren.

Im Innern des Hauses roch es so muffig, dass er erstmal die beiden Fenster öffnen musste.

Wie geschmackvoll Anna alles eingerichtet hatte! Die Küche bestand aus teuren weißen Möbeln; sie hatte an nichts gespart, neben dem Herd und dem Kühlschrank gab es sogar eine kleine Spülmaschine. »An unseren ­Wochenenden müssen wir uns doch erholen«, hatte sie lächelnd erklärt.

Der Wohnraum hingegen war ganz in Rot gehalten; eine rote Ledercouch, zwei rote Sessel, daneben schwarze Regale, in die nichts eingeräumt worden war, und ein Fernseher mit einem DVD-Player.

Na, zumindest würde Mark sich dann nicht lang­weilen, dachte Christoph, wenn er selbst sich damit abplagen musste, sich einen Überblick über die finanzielle Lage der Agentur zu verschaffen. Wegen Annas Krankheit war einiges schiefgelaufen; drei lukrative Aufträge waren allein im November geplatzt, und ein Verlag, der seit über acht Jahren sein Kunde war, hatte bereits im Oktober, kurz vor Annas Tod, seine Aufträge zurück­gezogen, weil Christoph sich nicht mehr selbst um alles hatte kümmern können.

In der oberen Etage gab es ein Schlafzimmer, ein Zimmer für Mark und ein Zimmer, in dem sich nur ein Bett und ein Stuhl befanden und das Anna für sich hatte einrichten wollen. Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein; kein Ungeziefer, keine Feuchtigkeit, die eingedrungen war. Anna hatte bei der Renovierung ganze Arbeit geleistet.

Während Christoph den Kamin anheizte, damit es möglichst rasch warm im Haus wurde, sah er, wie Mark über den Hof schlurfte. Den Kopf gesenkt trat er einen Stein vor sich her.

Wie würde er den Jungen wieder zum Sprechen animieren, geschweige die Freude in sein Leben zurückbringen können? Nur einmal, als sie sich im Kino einen Zeichentrickfilm angesehen hatten, hatte er mehrmals lauthals gelacht; hinterher jedoch war er in ein noch ­tieferes Schweigen versunken, als müsse er sich für sein ­Lachen schämen.

Christoph schloss die Fenster, dann ging er in die ­Küche und räumte die Vorräte ein. Am Abend würde es die Ravioli aus der Dose geben – viel mehr als Nudeln stand selten auf seinem Speisezettel, Anna war ihre Köchin gewesen –, und morgen würden sie irgendwo im Dorf essen gehen, bevor sie wieder abfuhren.

Als er den Kühlschrank schloss und sich umdrehte, blickte er in den Raum und meinte für einen Moment, gleich müsse Anna hereinkommen, abgehetzt und lächelnd, und dann würde sie ihm von ihrer nächsten tollen Idee erzählen. Ein Pferd … Sie wollte Mark das Reiten beibringen und ein Pferd bei den Windhorsts unterstellen, oder sie würde draußen am Schuppen einen Backofen bauen, um auf die ganz traditionelle Art Brot zu backen oder … oder … Sie war immer so voller Pläne gewesen.

Christoph spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte – er hatte Anna versprochen, nicht zu sehr um sie zu trauern und sich Tag und Nacht um Mark zu kümmern. Und genau das würde er auch tun.

Während er sich einen Kaffee kochte und einmal mehr bewunderte, dass Anna an jede Kleinigkeit in der Küche gedacht hatte, beschlich ihn ein anderer Gedanke. Wenn er ehrlich war, hatte dieser Gedanke sich heimlich bei ihm eingenistet und war der wahre Grund, warum er zu dieser kalten Jahreszeit hier herausgefahren war. Die Agentur war in beträchtlichen finanziellen Schwierig­keiten, das wusste er bereits, ohne einen genauen Kassensturz gemacht zu haben, aber vielleicht konnte es helfen, das Haus zu verkaufen, nicht jetzt, aber im Sommer, falls er bis dahin finanziell noch über die Runden kam.

Mark hatte ein altes Regenrohr entdeckt und beförderte nun damit Steine auf die Wiese, die hinter dem Schuppen lag.

Es begann zu dämmern. Auf Ravioli würde keiner von ihnen beiden Hunger haben, aber etwas anderes gab es heute nicht mehr.

2

Wie viel Rotwein hatte er getrunken, während er die Papiere durcharbeitete – eine oder zwei Flaschen? Sicherlich fast zwei. Irgendwann war er zu seinem Sohn ins Bett gekrochen. Mark lag auf seiner Seite, Christoph musste nach links zum Fenster, dorthin, wo Annas Platz gewesen war.

Im Schlaf hatte Mark sich an ihn geschmiegt. Warm war seine Haut, und irgendwie roch er noch ein wenig so, wie er als ganz kleines Kind gerochen hatte, ein ­süßer, beruhigender Duft.

Stockdunkel war es in dem Schlafraum und so still, dass er nur Marks Atemzüge hörte – und das Rauschen des Alkohols in seinem Körper.

Die Situation der Agentur war desaströs – es fehlten mehr als dreihunderttausend Euro. Ein Ergebnis, das er sich so niederschmetternd nicht vorgestellt hatte. Wenn er nicht bis Mitte Januar mindestens zwei neue, große Aufträge an Land gezogen hätte, wäre er pleite.

»Anna«, flüsterte er vor sich hin. »Anna, ich stecke wirklich in der Scheiße. Ohne dich ist alles Mist.«

Ein großer Vogel flog durch seinen Schlaf, und irgendwo war auch Anna, krank und ausgemergelt, doch irgendwie auch fröhlich, und sie klammerte sich an den Vogel, um mit ihm davonzufliegen. Und dann suchte er plötzlich Mark in seinem Traum. Wo war Mark? Sein Sohn durfte ihn nicht auch noch verlassen. Unruhig rannte Christoph umher, nein, er schwankte. Selbst im Traum spürte er den Alkohol noch, und dann schrie jemand. Ein schriller Schrei, der ihn hochfahren ließ.

»Papa!«

Christoph richtete sich abrupt auf. Es war hell, stellte er fest, ein graues, milchiges Licht sickerte durch das Fenster. Er tastete nach Mark. Schlief er noch? Hatte er einen Albtraum?

Wieder ein Schrei. »Papa! Komm her!«

Mark lag nicht mehr neben ihm; er hatte keinen Albtraum gehabt, sondern war hinuntergelaufen. Der Schrei kam aus dem Hof.

Ein anderes Geräusch erklang, das Christoph nicht einordnen konnte.

»Papa, hier steht ein lebendiges Schwein!«

Mit einem Satz war Christoph am Fenster. Ein höllischer Schmerz zuckte durch seinen Kopf. Dann hörte er ein lautes Grunzen und sah Mark, der in dem Trainingsanzug, den er am Abend angezogen hatte, weil es im Schlafzimmer zu kalt war, vor dem Schuppen stand und ein großes rosafarbenes Schwein streichelte, das sich unter seinen Berührungen wohlig zu räkeln schien.

Als hätte er Christophs Blick bemerkt, schaute Mark zum Fenster hinauf. »Sieh mal, das hat uns bestimmt Mama geschickt.« Dann lächelte er, und auch das Schwein zeigte krumme gelbliche Zähne und schien zu lächeln.

Waren Schweine gefährlich? Wildschweine bestimmt. Wenn sie sich angegriffen fühlten, konnten sie mit ihren­ Eckzähnen zuschlagen und Menschen übel verletzen. Aber das Schwein, das Mark streichelte, war kein Wildschwein, sondern eine fette, ausgewachsene Sau, wenn Christoph das richtig einschätzte. Sauen waren wohl nicht so gefährlich, allerdings konnten sie Krankheiten übertragen. Schweinegrippe – hatte nicht neulich wieder etwas über die Gefährlichkeit der Schweinegrippe in der Zeitung gestanden?

Christoph sprang in seine Jeans, streifte sich seinen dicken schwarzen Pullover über und rannte die Treppe hinunter. Ein schwarzer Pullover würde ein Schwein kaum reizen, dachte er und musste über diesen Gedanken lächeln.

Mark war barfuß. Er hatte ein paar Schritte in Richtung Wiese gemacht, und das Schwein – tatsächlich eine Sau – war ihm brav gefolgt.

Christoph beobachtete, wie der Junge ein Büschel Grashalme herausriss und sie dem Schwein hinhielt. Grunzend machte sich die Sau darüber her, und Mark zog seine Hand zurück und lachte.

»Kitzelt irgendwie«, stellte er fest und rupfte gleich noch ein Büschel aus.

Dann fiel Christoph ein, was der Junge eben gesagt hatte: Er glaubte tatsächlich, Anna habe ihm das Schwein geschickt.

»Du musst Schuhe anziehen!«, rief er seinem Sohn zu, »und dann müssen wir herausfinden, wem das Schwein gehört. Solche Schweine laufen nicht einfach so in der Gegend herum.«

Das Schwein grunzte und leckte Mark dann tatsächlich die Hände ab, als wäre es ein Hund. Der Junge lachte wieder.

»Das Schwein ist von Mama!«, rief er ohne jeden Zweifel in der Stimme. »Und es braucht einen Namen. Wie hätte Mama das Schwein genannt?«

Die Sau grunzte erneut, als wolle sie jedes Wort, das Mark gesagt hatte, unterstreichen.

Wie hätte Anna solch ein Schwein genannt? Christoph kam auf keine Namen, aber gewiss hätte es auch ihr gefallen, mit einem ausgewachsenen Schwein herumzuspielen.

»Rosa!«, sagte Mark dann. »Wir nennen das Schwein Rosa. Mama hat mir mal eine Geschichte erzählt – dass Schweine immer glücklich sind, weil sie die ganze Welt nur rosa sehen.« Er lachte und strich dem Schwein vorsichtig über den Rücken, worauf es den Kopf reckte und erneut laut grunzte. »Ich glaube, Rosa hat richtig Hunger.«

Dass Schweine Allesfresser waren, stellte sich wenig später heraus: die Reste Ravioli, einen Kanten Brot, drei Schokoladenkekse, einen Apfel – alles schlang Rosa in sich hinein, während Mark – nun in Schuhen und im Anorak – sie sorgfältig beobachtete und jedes zufriedene Grunzen mit ein paar gefälligen Worten kommentierte.

Christoph zog sein Mobiltelefon hervor und rief den alten Windhorst an. Seine Frau, die, wenn er sich richtig erinnerte, Hildegard hieß und auch fast siebzig war, ging an den Apparat.

»Dachte schon, dass ich gestern Abend Ihren Wagen gesehen habe«, sagte sie. Beklommenheit schwang in ihrer Stimme. »Tut uns leid, was mit Ihrer Frau … Und wir wären auch zu der Beerdigung gekommen, wenn wir ­gewusst hätten …«

»Ja, vielen Dank«, unterbrach Christoph sie, während er beobachtete, wie Mark dem Schwein einen Plastikeimer mit Wasser hinstellte, in das Rosa sogleich ­ihren Rüssel tauchte. »Aber ich habe eine Frage: Ist bei Ihnen vielleicht ein Schwein ausgerissen? Eine Sau, richtig groß?«

»Eine Sau?« Hildegard Windhorst lachte. »Nein, Schweine haben wir schon seit langem nicht mehr. Die hat Eberhard damals abgeschafft.«

»Hat sonst jemand Schweine in der Gegend?« Rosa hatte den Eimer umgeworfen und schlabberte nun mit der Zunge das versickernde Wasser auf, was Mark aufmerksam in der Hocke verfolgte.

»Hier hat nur der Metzger im Dorf Schweine – aber die hängen im Schaufenster und sind tot«, erwiderte Frau Windhorst und lachte über ihren eigenen Scherz.

Christoph verabschiedete sich rasch, nicht ohne versprochen zu haben, auf einen Sprung vorbeizukommen, bevor er zurückfuhr.

Rosa und Mark jagten sich gegenseitig über die Wiese, während er bei der Polizei anrief.

Nein, ein Schwein sei nicht als vermisst gemeldet worden, erklärte ein gelangweilt klingender Polizist und riet, beim Tierheim anzurufen. Die würden dann jemanden vorbeischicken. Aber unter der Nummer, die Christoph von ihm erhielt, meldete sich niemand. Nicht einmal ein Anrufbeantworter sprang an. Vielleicht weilte man dort schon in den Weihnachtsferien.

Er stöhnte. Sie waren auf ein Schwein gekommen, und irgendwie ahnte er, dass es Mark schwerfallen würde, das Tier in einem Heim abzugeben.

Aber was, großer Gott, sollte er mit einem Schwein anfangen, eine knappe Woche vor Weihnachten?

Mark war schier aus dem Häuschen. Rosa hat noch mehr Hunger. Rosa hat auch Durst, Rosa braucht einen Platz zum Schlafen.

»Kann Rosa mit mir zur Schule gehen? Guck mal, wie Rosa grunzt und was sie für schöne Knopfaugen hat! Ich glaube, Rosa kann man ganz viele Kunststücke beibringen. Mama würde Rosa auch ganz doll mögen.«

Als Mark und er in der Küche frühstückten, postierte sich Rosa vor der Tür und schnüffelte an der Türritze, als würde die Sau ganz genau mitbekommen, was sie da, unerreichbar für sie, für Köstlichkeiten verzehrten.

Christophs leise Hoffnung, dass Rosa sich wieder in den Wald verziehen würde, während sie aßen und er Mark zwang, sich ausgiebig zu waschen, erfüllte sich leider nicht. Fast als sei sie ein Wachhund, lag die Sau vor der Tür, grunzte ab und an und starrte zu ihnen herüber.

Auch beim zweiten Versuch meldete sich niemand im Tierheim, und die Feuerwehr hatte einen Einsatz an der Autobahn und erklärte sich für nicht zuständig.

»Schweinebraten schmeckt doch gut am Fest«, erklärte die jugendliche Stimme des Notrufs, bevor sie auflegte.

Was für ein großartiger Rat!, dachte Christoph, dann stellte er sich für einen Moment vor, was wäre, wenn Anna ihn so sehen könnte. Noch ungewaschen und ungekämmt sah er seinem Sohn zu, wie der ausgelassen mit einem Schwein spielte, und wusste nicht mehr weiter­.

Anna – sie hätte Mark die Freude gelassen und hätte das Schwein erst einmal behalten, bis sich der wahre Besitzer meldete.

Also gut.

Christoph legte das Handy beiseite. Er zog die alten Lederhandschuhe an, die Anna gehört hatten und an denen noch Farbreste klebten, dann lief er in den Hof. Mark und das Schwein empfingen ihn einhellig grunzend.

»Ich habe einen Plan!«, sagte Christoph und sah, wie Mark ihn erwartungsvoll anblickte. »Wir bauen Rosa im Schuppen einen kleinen Stall, damit sie sich irgendwo ausruhen kann.«

»Au ja!«, rief Mark, und auch Rosa wackelte so heftig mit dem Kopf, dass ihre langen Ohren flogen.

Irgendwann legte sich Rosa, von Nudeln, Brot und Keksen offensichtlich gesättigt, schlafen, doch Mark und er schufteten, als hätte jemand eine Prämie dafür ausgesetzt, wer am schnellsten einen Schweinestall bauen konnte. In dem Schuppen hatten sie alles untergestellt, was ihnen im Weg gewesen war und dem Vorbesitzer gehört hatte: ein alter, vollkommen verdreckter Hand­rasenmäher, diverse Gartengeräte wie Harke, Spaten, Rechen, zwei alte Zinkwannen, zerbeulte Farbeimer, zwei Leitern, die über und über mit Farbe besprenkelt waren, ein Gartenschlauch, der verdächtig undicht aussah, sogar drei Fahrräder, die so rostig und verbeult waren, als wären sie ein halbes Jahrhundert alt, sowie jede Menge Bretter, leere Jutesäcke, die nach Kohlen rochen, und leere Apfelsinenkisten. Auch eine alte Schreibmaschine, ein Telefon mit Wählscheibe und ein Schlauchboot, in dem einiges an Luft fehlte, entdeckten sie. Und unter all den Sachen fand Christoph auch ein Gemälde vom Haus, das Anna einmal angefangen, aber dann nicht weitergemalt hatte. Ehe Mark es bemerkte, schaffte er das Bild beiseite und stellte es in Annas Arbeitszimmer hinter die Tür.

Mark war mit dem größten Eifer bei der Sache.

Nachdem sie alles ausgeräumt hatten, entschlossen sie sich, Rosa ein Areal von fünf mal fünf Schritten zuzubilligen, das sie mit den Brettern und den Leitern abgrenzen wollten. In die Mitte stellten sie die Zinkwanne, die nicht ganz so verbogen war wie die andere, und die hinterste Ecke legte Mark mit den Jutesäcken aus.

»Damit Rosa es schön warm hat, wenn sie schläft«, sagte er. Beinahe jeden Schritt, den er machte, kommentierte er, und zwischendurch musste er immer wieder nachschauen, ob das Schwein noch schlief.

Die Sau hatte einen gesegneten Schlaf; sie ließ sich erst nach drei Stunden wieder blicken, stand neugierig und grunzend in der Tür und schaute sich das Kunstwerk an, das man für sie erschaffen hatte.

Nun, ein richtiger Pferch war es nicht geworden, was sie da mit den Leitern und den Brettern eingegrenzt hatten, aber zumindest als provisorische Bleibe mochte es dienen.

Mark lockte das Schwein auch gleich mit ein paar Keksen in die neue Unterkunft. Grunzend folgte es ihm und legte sich auf die Jutesäcke, als wisse es genau, zu welchem Zweck die da drapiert waren.

Mark klatschte begeistert in die Hände und lobte das Schwein. »Sieh doch, wie klug Rosa ist!«, rief er Christoph begeistert zu.