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Brigitte Teufl-Heimhilcher

Millionärin wider Willen - Elenas Geheimnis





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel-Seite

Brigitte Teufl-Heimhilcher

Millionärin wider Willen

Elenas Geheimnis

Guide to Contents

Die Originalausgabe erschien 2016

bei Brigitte Teufl-Heimhilcher

www.teufl-heimhilcher.at

1. E-Book-Auflage 2016

© 2016 Brigitte Teufl-Heimhilcher

Publishing Rights © 2016 Brigitte Teufl-Heimhilcher

Cover-Gestaltung: Xenia Gesthüsen

E-Book-Erstellung: mach-mir-ein-ebook.de

ISBN-13: 978-3-9504042-2-7

Alle Rechte vorbehalten.

Schriften: „Gentium“ von SIL International und „Yeseva One“ von Jovanny Lemonad, diese Schriftarten sind unter der Open Font License verfügbar.

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Freundinnen und Freunde des heiteren Gesellschaftsromans,

mit dem vorliegenden Roman möchte ich euch in ein unbekanntes Land entführen. Es liegt irgendwo zwischen Bayern und Österreich, dennoch werdet ihr es auf keiner Landkarte finden – auch Google Earth wird keine Hilfe sein – obwohl euch Charaktere wie Situationen durchaus bekannt vorkommen könnten.

Ich hoffe, ihr mögt Land und Leute, und wünsche viel Freude beim Lesen!

Elena – Immer diese Radfahrer

Elena
Immer diese Radfahrer

Seit wenigen Tagen war Elena im sogenannten Ruhestand. Was für ein dummes Wort, sie hatte sich selten unruhiger gefühlt.

Wehmütig schlenderte sie durch ihre ehemaligen Praxisräume. Achtundzwanzig Jahre hatte sie hier als Allgemeinmedizinerin gearbeitet, es war ihr zweites Zuhause gewesen. Bald würde ein anderer Arzt hier praktizieren, während sie ihre Pension genießen sollte. Was für ein seltsames Gefühl. Es war wie damals, in ihrer Kindheit, wenn sich zu Beginn der großen Ferien alle wie verrückt über die schulfreie Zeit gefreut hatten – nur sie hatte nicht recht gewusst, was sie damit anfangen sollte.

Sie war gern zur Schule gegangen, hatte voller Eifer studiert und später viel und gern gearbeitet. Zu viel, wie ihre Kinder nun sagten.

Ihr Sohn Axel meinte, sie hätte es versäumt, zu leben. Blödsinn. Die Medizin, ihre Patienten, die Praxis, das war ihr Leben.

Wie hatte sie sich nur dazu überreden lassen können, ihre Praxis dicht zu machen? Gut, sie hatte gesundheitliche Probleme gehabt, aber jetzt war sie doch wieder fit.

Kerstin, ihre Tochter, hatte vorgeschlagen, sie solle verreisen. Mitkommen wollte sie allerdings nicht. Das wäre im Augenblick ganz unmöglich, wo sie doch so knapp davorstand, endlich als Partnerin in die Anwaltskanzlei einsteigen zu können, für die sie seit Jahren tätig war. Darauf wartete sie ungeduldig, dafür arbeitete sie Tag und Nacht.

Im Grunde waren sie einander ziemlich ähnlich – deshalb hatte es zwischen ihnen auch nie so besonders gut geklappt.

Verreisen?

Blöde Idee. Sie war noch nie gern gereist, schon gar nicht allein. Bestenfalls würde sie ein paar Tage in ein Thermenhotel fahren. Ein wenig Wellness und etwas Bewegung in frischer Luft konnten schließlich nicht schaden – das hatte sie ihren Patienten auch immer gesagt. Aber selbst dafür hätte sie lieber Begleitung gehabt. Mal sehen, was sich so ergab. Es hatte ja keine Eile.

Sie kontrollierte noch einmal ihre Schreibtischladen und sämtliche Schränke. Alles leer. Ihre Praxishilfe und ihre Schwiegertochter Maren hatten ganze Arbeit geleistet, während sie sich im Kurheim wie verrückt abgestrampelt hatte, um ihr Herz wieder in Schwung zu bringen.

Als sie endlich zurück war, hatte sie gerade noch verhindern können, dass die beiden ihrem Nachfolger auch noch die Küche leer geräumt hatten. Also wirklich. Die paar Kaffeetassen und Wassergläser wollte sie ihm doch gern überlassen, wo er so ein sympathischer junger Mann war. Außerdem war sie heilfroh, überhaupt einen Nachfolger gefunden zu haben. Das war in letzter Zeit nicht selbstverständlich, speziell hier, am Stadtrand. Wirklich schade, dass er so jung war; dieser schwarzhaarige Klaus Fritsch wäre genau ihr Typ. Engagiert, kompetent, freundlich, sehr männlich - und eine Spur geheimnisvoll.

Sie hatte ihm angeboten, ihn in den ersten Tagen zu unterstützen. Es war schließlich nicht ganz einfach, eine eingeführte Praxis, die seit Jahrzehnten gut lief, zu übernehmen.

Er hatte das dankbar angenommen. Wer weiß, wenn sie sich gut verstanden, konnte sie vielleicht die eine oder andere Urlaubsvertretung übernehmen. Sie hatte sich jedenfalls vorgenommen, sich vornehm zurückzuhalten, auch wenn das nicht einfach werden würde – schließlich war es jetzt seine Praxis.

Bis zur Eröffnung würde es allerdings noch einige Wochen dauern, morgen sollten erst einmal die Handwerker kommen, um die Praxisräume etwas zu modernisieren.

Das hatte sie damals doch auch gemacht, als sie die Praxis von ihrem Vater übernommen hatte und noch jung und voller Pläne war. Manches hatte sie umsetzen können, manches auch nicht, wie das Leben eben so war.

Sie überzeugte sich noch einmal davon, dass absolut nichts mehr zu tun war, schloss die Fenster und warf gewohnheitsmäßig einen Blick in den Spiegel. Sie musste dringend zum Friseur. Das sonst so glänzend brünette Haar zeigte eine traurige Tendenz in Richtung Mausgrau. Sie zog den Lippenstift nach, fuhr mit der Bürste durchs Haar und verließ die Praxis mit einem tiefen Seufzer.

Was jetzt?

Sie hatte nur eine sehr vage Vorstellung davon, was sie tun sollte – heute, morgen und an allen anderen Tagen, die ihr noch zur Verfügung standen. Zwanzig, dreißig Jahre könnten es schon noch werden, hatte ihr Kardiologe gemeint, vorausgesetzt, dass sie vernünftig war und auf sich aufpasste.

Aber was hieß schon vernünftig sein?

„Sie dürfen sich nicht gleich wieder überfordern“, hatte der Kollege aus dem Kurheim gesagt. Schon klar. Aber nichts zu tun war auch keine Lösung. Was um Himmels Willen sollte sie mit all der Zeit nur anfangen?

Sie straffte die Schultern.

Das würde sich finden. Sie sollte wirklich froh sein, dass sie wieder so fit war.

Fürs Erste wäre Einkaufen keine schlechte Idee. Kochen wäre auch eine Möglichkeit. Seit sie allein lebte, hatte sie nur selten gekocht, sich meist mit Kleinigkeiten begnügt: Würstel, Eier, ein Käsebrot, dazu etwas Obst und ein wenig Gemüse. Insgesamt nicht ganz das, was sie ihren Patienten empfohlen hatte.

Früher, als sie noch eine Familie waren, hatte sie gern gekocht, besonders an den Wochenenden, wenn alle um den großen Esstisch saßen. Das war zwar schon länger her, aber Kochen verlernt man nicht.

Sie startete ihren Mercedes und wollte sich in den Verkehr einordnen, als ein Radfahrer an ihr vorbeiflitzte. Nur um Haaresbreite konnte sie einen Zusammenstoß verhindern. „Ja, spinnt denn der? So etwas Rücksichtsloses! Nur weil er sich auf einem Radweg befand, hieß das noch lang nicht, dass er sich um nichts mehr scheren musste.“ Der Radfahrer fuhr weiter, als ob nichts gewesen wäre. Elena atmete erst ein paarmal tief durch, ehe sie weiterfuhr.

Ihr Sohn Axel war neuerdings auch einer dieser Stadtradler. Sie vermutete, das gehörte zu seinem Image als grüner Bezirksrat, und hoffte inständig, dass er mehr Vorsicht walten ließ. Allerdings hatte sie da ihre Zweifel, auch wenn der Bub mit seinen 36 Jahren wirklich alt genug war, um auf sich aufzupassen.

Im nahe gelegenen Supermarkt kaufte sie planlos alles Mögliche und fuhr nach Hause. Genau genommen hatte sie nicht den blassesten Schimmer, was sie mit all dem Zeug anfangen wollte. Dafür hatte sie die Milch vergessen – und das Einzige, worauf sie wirklich Appetit hatte, war dieser köstlich duftende Vanillekrapfen und ein Cappuccino. Mit der gesunden Ernährung würde sie dann morgen beginnen.

Also machte sie sich auf den Weg zu dem kleinen Kiosk an der Bushaltestelle, der seit Kurzem wieder geöffnet hatte, um Milch zu kaufen. Weil der neue Eigentümer, ein pensionierter Buchhalter, dem daheim die Decke auf den Kopf gefallen war, wie er bereitwillig erzählte, gar so nett mit ihr plauderte, nahm sie auch noch eine Tafel Schokolade, eine Kochzeitschrift und einen Lottoschein mit.

Der Mann schien ihr ein angenehmer Gesprächspartner; vielleicht sollte sie in Zukunft öfter hier einkaufen.

Axel – Bezirksräte und andere Unannehmlichkeiten

Axel
Bezirksräte und andere Unannehmlichkeiten

Seit Axel Bezirksrat der Grünen war, musste er nicht nur an Bauverhandlungen teilnehmen, die ihn nicht die Bohne interessierten, sondern auch an den monatlichen Sitzungen der Bezirksvertretung. Ganz so lähmend hatte er sich das nicht vorgestellt.

An diesem Abend diskutierten sie zum dritten Mal über eine Änderung der Flächenwidmung. Nahe der U-Bahn-Station sollte anstelle einer ehemaligen Gärtnerei ein Hochhaus entstehen. War das ein Theater! Axel gähnte. Es stand völlig außer Zweifel, dass die Stadt mehr Wohnraum brauchte. Aber kaum

sollte ein Grundstück in einen Baugrund umgewidmet werden, begann das Desaster. Wenn es dann auch noch, wie in diesem Fall, ein Hochhaus werden sollte, war überhaupt der Teufel los. Egal, wo man das Haus hinstellte, irgendwo hätte irgendwer weniger Licht, weniger Fernblick und vielleicht auch weniger Parkmöglichkeiten. Unangenehm, aber nicht zu ändern. Ausgerechnet der Sektionsleiter der Sozialdemokraten brachte eine Unzahl von Bedenken vor. Axel wusste auch warum, denn er kannte dessen Terrassenwohnung mit dem wirklich hübschen Blick auf den Stadtwald, der dann Geschichte wäre. Schade für den Mann, aber nicht zu ändern, denn die Stadtregierung würde den Bau ohnehin durchziehen, egal, was die Bezirksvertretung einwendete. Himmelherrgott, sie lebten schließlich in einer Stadt!

Von ihm, dem Abgeordneten der Grünen, erwarteten sicher alle, dass er gegen das Projekt war. Die würden staunen. Für ihn war schon lang klar, dass er der Umwidmung einfach zustimmen musste. Natürlich war dafür jede Menge Kritik aus der eigenen Partei zu erwarten, aber das war ihm egal. Das Projekt war sinnvoll und er hatte von Anfang an klargestellt, dass er einer von den Realos war. Außerdem war er nicht in die Partei eingetreten, um Erwartungshaltungen zu erfüllen und alten Machtstrukturen nachzugeben. Ganz im Gegenteil, er stand für eine Politik der Erneuerung.

Mehr als das Gezeter einzelner Bezirksräte interessierte ihn ohnehin die neue Kollegin. Sie war zwar Christdemokratin, aber das war seine Mutter Elena auch. Mit ihr verstand er sich doch auch ganz gut – zumindest, solang sie nicht über Politik sprachen.

Die Neue war nicht mehr ganz jung, aber sie sah verteufelt gut aus und hat offenbar Temperament. Zumindest hatte sie dem Chef der Sozialdemokraten schon ganz schön die Meinung gegeigt. Außerdem war Axel zu Ohren gekommen, dass sie vor Kurzem ein Buch herausgebracht hatte. Er gab ihren Namen in sein Smartphone ein – Pia Moser, Journalistin und Autorin von gesellschaftskritischen Unterhaltungsromanen. Gesellschaftskritisch und unterhaltsam? Interessant. Seine eigenen Romane waren Gesellschaftskritik pur – vielleicht wollte sie deshalb kein Verlag haben.

Ihr neuestes Buch hieß „Das Landhaus“. Er würde es sich gleich herunterladen, möglicherweise machte es die Sitzung erträglicher.

Zwei Stunden später, als das Vorhaben endlich mit knapper Mehrheit abgesegnet worden war, hatte er schon einiges gelesen. Guter Stil, wenn auch etwas oberflächlich für seinen Geschmack. Nicht ganz das, was er vorhatte. Er wollte ein Buch schreiben, dass so grundlegend anders und tiefschürfend sein sollte, dass das Feuilleton ihn einfach in den höchsten Tönen loben musste. Sein Erstling, eine Dystopie, lag fertig in seiner digitalen Schreibtischlade. Bisher hatte noch kein Verlag zugegriffen. Zugegeben, der Stoff war möglicherweise etwas schwer verdaulich. Jetzt arbeitete er an einem Politthriller, etwas leichter zu lesen, aber immer noch weit davon entfernt, angenehme Unterhaltung sein zu wollen. Er wollte die Leser nicht unterhalten, er wollte sie aufrütteln.

Nach der Sitzung ging der harte Kern immer noch ins Brauhaus. Zu seiner Freude hatte Pia Moser sich ihnen angeschlossen. Leider hatte er das zu spät bemerkt, nun saß die arme Frau eingekeilt zwischen dem Bezirksvorsteher und dessen Stellvertreter. Gleich zwei Langweiler. Der eine sprach vermutlich pausenlos über seine Partei, der andere über seine Kaninchenzucht.

Als sie etwa eine Stunde später aufbrach, nahm auch er den letzten Schluck aus seinem Bierglas, wünschte dem Rest der Truppe noch einen schönen Abend und folgte ihr ins Freie.

„Tschüss, Frau Moser“, rief er ihr nach. „Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Abend.“

Sie blieb stehen.

„Sie kennen die Herren wohl nicht genauer?“

„Doch, schon.“

„Ein Scherz also. Sie verzeihen, dass ich heute Abend nicht mehr lache.“

Die Frau gefiel ihm.

„Sehen Sie es doch positiv. Wenn die Herren schon nicht amüsant waren, könnten sie vielleicht als Vorlage für einen der nächsten Antihelden herhalten.“

„Dazu waren sie zu uninteressant. Sie wissen, dass ich schreibe?“

„Klar. Wir beide sind doch Kollegen.“

„Unter welchem Namen kenne ich Sie?“

„Ich fürchte, Sie kennen mich gar nicht, würde das aber gern ändern. Was halten Sie davon?“

Sie sah auf die Uhr. „Ein rascher Prosecco wär‘ noch drin. Gleich um die Ecke ist ein netter Italiener.“

*

Als Axel endlich nach Hause gekommen war, war Mitternacht längst vorbei gewesen. Demgemäß war er kaum ansprechbar, als seine Frau Maren ihn am nächsten Morgen weckte, um ihn an ihr abendliches Geburtstagsfest zu erinnern.

Diese gebügelte Leistungsbereitschaft, die Maren schon am Morgen ausstrahlte, war ihm immer suspekt gewesen.

Ja, er würde pünktlich sein, und nein, er würde versuchen, mit seinem Schwiegervater nicht über Politik reden. Worüber sonst? Egal.

Als Maren gegangen war, drehte er sich noch einmal um, doch er konnte nicht mehr einschlafen, denn er hatte grässliche Kopfschmerzen.

Er stand auf, widerstand der Versuchung, das Aspirin auf nüchternen Magen einzunehmen, machte sich eine Tasse Tee, aß einige Haferkekse dazu, nahm dann die Tablette und ging unter die Dusche.

Heute war also wieder einmal Familienabend, das fehlte noch. Er verstand sich mit seinem Schwiegervater nicht besonders, aber Maren bestand auf derartigen Zusammenkünften, was sollte man da machen?

Davor würde er noch einmal Pia treffen, schließlich hatten sie gestern zwar viel über die Bezirksvertreter, aber nur wenig über Bücher geredet. Das wollten sie heute nachholen. Er erwartete sich eine ganze Menge von diesem Gespräch. Eine kluge Person. Außerdem sah sie toll aus, hatte eine spitze Zunge, und Prosecco trank sie scheinbar wie Wasser.

Maren – Schwarzer Freitag

Maren
Schwarzer Freitag

Beim Betreten ihres kleinen, aber feinen Immobilienbüros stach Maren ein seltsamer Geruch in die Nase.

„Was ist denn hier passiert?“ fragte sie ihren Geschäftspartner Achim.

„Lisa wollte heiße Schokolade machen.“

„Der Versuch ist wohl misslungen. Wo ist sie jetzt?“

„Frische Milch holen“.

„Mit der werden wir bestimmt noch viel Freude haben“, bemerkte Maren und warf ihm einen genervten Blick zu, ehe sie die Fenster öffnete, um frische Luft hereinzulassen.

Lisa war erst seit einigen Wochen bei ihnen. Was Maren bisher von ihr gesehen hatte, hätte ihr genügt. Wäre sie alleinige Inhaberin, sie hätte sie längst wieder an die Luft gesetzt. Leider war Achim dagegen. Was er an Lisa schätzte, schien allerdings eher optischer Natur zu sein, also sollte auch er sich mit ihr plagen.

Maren wandte sich dringenderen Angelegenheiten zu. Der Kunde von gestern Abend wollte den Energieausweis einsehen, ein anderer hatte noch Fragen zum Mietvertrag. Maren erledigte die Dinge routiniert. Als sie später die Post durchsah, wurde sie blass.

Das konnte doch nicht wahr sein! Hunderttausend Euro Steuernachzahlung, das machte fünfzigtausend für jeden von ihnen.

„So viel haben wir ja nicht einmal verdient“, murmelte sie. Auf ihrem Konto waren gerade einmal fünfzehntausend Euro. Sie scannte den Bescheid ein und mailte ihn mit den hoffnungsvollen Worten “Das kann doch nur ein Irrtum sein“ an ihren Steuerberater. Dann versuchte sie, den Bescheid zu vergessen, und sah auf die Uhr. Zeit für das Freitags-Meeting.

Auch dessen Ergebnis war deprimierend. Die billigen Mietobjekte brachten kaum etwas ein, für die gehobenen blieb mehr und mehr die Kundschaft aus, und im Luxussegment hatten sie kaum etwas anzubieten.

Während sie ihren Schreibtisch aufräumte und später im dichten Freitagnachmittagsverkehr dahinzuckelte, überlegte sie zum x-ten Mal, wie sie das Geschäft ankurbeln konnten, vertagte diese Überlegungen jedoch auf Montag und wählte Axels Nummer. Da er sich nicht meldete, hoffte sie, dass er bereits nach Hause radelte.

Sie fuhr einkaufen, fand, wie immer, wenn sie viel zu tragen hatte, keinen Parkplatz, und stellte ihren Wagen schließlich drei Gassen weiter ab.

Die Luft war für einen Märztag angenehm mild, und als sie am Park vorbeiging, duftete es nach Frühling.

Im Stiegenhaus hingegen roch es nach gekochtem Hammel. Wie sie diesen Geruch hasste. Sie schleppte ihre Einkaufstaschen in den dritten Stock und ärgerte sich wieder einmal, dass das Haus immer noch keinen Lift hatte, obwohl ihr das schon vor Jahren versprochen worden war.

Sie wollte schon lang ausziehen, aber wenn Axel nicht bald einen einträglichen Auftrag bekam, würde das wohl nichts werden.

Nach längerem Suchen fand sich der Wohnungsschlüssel in der Seitentasche. Sie öffnete mit dem notwendigen Ruck die Tür und stieß dabei an die Einkaufstasche. Schon kullerten Zitronen, Äpfel, Karotten und eine Gurke die Treppen hinunter. Genau das hatte ihr heute noch gefehlt.

Ihre Tochter Yvonne sollte eigentlich längst zu Hause sein.

Sie checkte ihr Handy, fand eine SMS:

„Bin bei Biggy, komme rechtzeitig!“

Maren verdrehte die Augen. Was hieß schon rechtzeitig?

Mit raschen Schritten eilte sie durch die Wohnung, räumte da ein Shirt weg, dort eine Hose, deckte den Tisch und spürte langsam Wut in sich aufsteigen.

Warum konnten die beiden ihr nicht einmal helfen? Nicht einmal, wenn es darum ging, ihren Geburtstag zu feiern.

Okay, der war am Dienstag gewesen, aber da hatten sie es auch nicht der Mühe wert gefunden, etwas anderes zu tun, als ihr am Morgen ein verschlafenes „Happy Birthday“ ins Ohr zu singen.

Da sie sich für Fondue entschieden hatte, hielten sich die Vorbereitungen zum Glück in Grenzen. Sie rührte rasch eine Mayonnaise, vermischte sie mit Joghurt zu einer Grundmasse und bereitete daraus vier verschiedene Soßen, die sie in acht Schüsselchen verteilte. Dann wusch sie den Salat und stellte ihn zum Abtropfen zur Seite. Als Yvonne die Tür aufschloss, war sie gerade dabei, das Weißbrot aufzuschneiden.

„Hallo, Mama. Alles paletti?“

„Fast“, antwortete Maren kurz. „Dein Vater ist noch nicht daheim, der Tisch ist noch nicht gedeckt, ich bin noch nicht geduscht und in einer halben Stunde kommen die Gäste. Sonst ist alles prima.“

„Mach doch keinen Stress! Es kommen eh nur die Oldies.“

Mit diesen tröstenden Worten verschwand Yvonne im Bad – das konnte dauern.

Es stimmte ja, aber gerade weil ihre Eltern und ihre Schwiegermutter kamen, wollte sie alles perfekt haben. Es war ihr wichtig, allen zu beweisen, wie glücklich sie war, und dass sie Beruf, Haushalt und Familie ganz locker unter einen Hut brachte. Etwas, das ihre Mutter für ein Ding der Unmöglichkeit hielt.

Als es zehn Minuten vor sieben läutete, war Yvonne gerade dabei, sich die Haare zu föhnen. Das arme Kind hatte leider das blonde, feine Haar ihres Vaters geerbt. Marens dunkles Haar war hingegen problemlos, nicht nur, weil es kurz geschnitten war. Zum Glück. Für stundenlanges Föhnen hatte sie ohnehin keine Zeit.

Von Axel immer noch keine Spur. Sie zischte Yvonne zu: „Ruf deinen Vater an“, ehe sie lächelnd ihre Eltern in Empfang nahm.

Pünktlich um sieben erschien ihre Schwiegermutter Elena. Maren servierte den Aperitif. Wo zum Teufel war Axel?

In der Zwischenzeit war sie nicht nur wütend, sondern auch besorgt. Eine Besorgnis, die ihr Vater nicht teilte.

„Bisher ist er immer noch gekommen“, meinte er nur.

Elena sah das erst ähnlich: „Ich habe mich ehrlich bemüht, meinen Kindern Pünktlichkeit beizubringen. Bei Axel bin ich leider gescheitert!“ Doch etwas später fragte sie: „Ist er mit dem Rad unterwegs? Diese Radfahrer sind ja manchmal etwas sorglos. Ich hätte neulich beinah einen Zusammenstoß gehabt.“

Marens Vater teilte Elenas Ansicht, mit Radlern hatte auch er keine guten Erfahrungen gemacht. Seine Erzählungen machten Maren nicht gerade ruhiger, aber das schien ihm nicht aufzufallen.

Axel kam kurz vor acht. Sie hatten mit dem Fondue bereits begonnen.

*

Solange die Gäste da waren, hatte Maren gelächelt, sich von Axel küssen lassen, das alljährliche Parfüm huldvoll entgegen genommen und dem mickrigen Blumensträußchen eine prachtvolle Vase angedeihen lassen, in der es allerdings noch ein wenig ärmlicher aussah.

Kaum waren die drei gegangen, stellte Maren das Lächeln ein und ging wortlos ins Bad.

Axel folgte ihr: „Was hältst du von einem Schlummertrunk?“

„Nichts, ich gehe jetzt schlafen.“

„Ich trink noch einen.“

„Mach doch, was du willst!“

„Was hast du denn plötzlich?“

Maren stemmte die Arme in die Hüften. „Plötzlich? Ich ärgere mich seit Stunden, ich hatte nur genügend Selbstbeherrschung, es vor unseren Gästen nicht zu zeigen.“

„Was heißt schon Gäste. Deine Eltern und meine Mutter.“

„Erstens hätte ich gern deine Schwester eingeladen, habe aber dir zuliebe darauf verzichtet. Zweitens ist das kein Grund, zu spät zu kommen, ohne Bescheid zu sagen.“

„Mein Akku war leer, sagte ich doch schon, und ich war mitten in einem sehr wichtigen Gespräch.“

„Ach ja?“, schnappte Maren. „Du weißt, wie wichtig mir gutes Einvernehmen innerhalb der Familie ist.“

„Ach Schatz, unsere Mütter mögen mich, wie ich bin, und dein Vater kann mich so und so nicht leiden. Oder glaubst du, daran hätte sich etwas geändert, wenn ich eine halbe Stunde früher gekommen wäre?“

Vermutlich nicht. Ihr Vater war ziemlich konservativ. Ein wenig beschäftigter Politologe, noch dazu ein Grüner, war definitiv nicht seine Wunschvorstellung eines Schwiegersohns. Trotzdem antwortete sie: „Mein Vater schätzt eben Verlässlichkeit – ich übrigens auch.“

Axel folgte ihr ins Schlafzimmer und versuchte, sie in den Arm zu nehmen, doch sie schüttelte ihn ab und ging wortlos zu Bett.

*

Am nächsten Morgen hatte Maren ihren Ärger wieder vergessen. Sie stand leise auf, machte sich nur kurz zurecht und lief hinunter, um für das Frühstück einzukaufen. Wenn der gestrige Abend schon ein Desaster gewesen war, wollte sie wenigstens das Wochenende angenehm beginnen. Frisches Gebäck und ein paar Croissants konnten dabei nicht schaden. Dann lief sie die drei Stockwerke wieder hoch. Im Stiegenhaus roch es nach Kohl, doch als sie die Wohnungstür aufsperrte, duftete es nach frischem Kaffee. Axel war also schon auf und hatte Kopfschmerzen, denn sonst trank er am Morgen lieber Tee.

Der gestrige Abend wurde mit keinem Wort erwähnt. Er küsste sie auf die Stirn, schenkte sich Kaffee ein, schnappte sich die mitgebrachte Tageszeitung und ließ sich ein Croissant schmecken. Sie hätte sich gefreut, wenn er auch an ihren Tee gedacht hätte. Sie stellte Wasser auf, machte sich eine Schinkensemmel zurecht, goss den Tee auf und setzte sich an den Frühstückstisch.

„Mit wem hast du dich gestern so lang besprochen?“ Sie versuchte, ihrer Stimme einen neutralen Klang zu geben.

„Mit einer Autorenkollegin“, antwortete Axel, ohne von seiner Zeitung aufzusehen. „Die sitzt neuerdings in der Bezirksvertretung und ist als Selfpublisherin ziemlich erfolgreich.“

„Sag jetzt nicht, du willst deinen Roman im Eigenverlag herausbringen.“

„Wahrscheinlich schon, habe ich doch gesagt. Nennt man heute übrigens Selfpublishing.“

Gesagt hatte er es allerdings, und wie man das nannte, war ihr egal.

„Axel, bitte, wir haben dazu im Moment kein Geld. Gestern kam übrigens mein Einkommenssteuerbescheid.“

Da er darauf nicht reagierte, schien es ihn nicht zu interessieren. Auch das war nichts Neues. Axel interessierte sich weder für ihr Geschäft, noch für Geld und schon gar nicht für die Frage, wie sie ihr gemeinsames Leben finanzierte. Aber darüber wollte sie im Moment nicht debattieren. Stattdessen fragte sie: „Ist sie hübsch?“

„Wer?“

„Die Autorenkollegin.“

„Mittelalter, mollig und verheiratet.“

Das hörte Maren gern. Danach verlief das Wochenende ganz entspannt.