Arkanum - Das siebte Tor #2: Im Dschungel der Zeiten

Ansgar Back

Published by BEKKERpublishing, 2017.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Arkanum – Das siebte Tor

Copyright

Prolog

ERSTES BUCH

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

ZWEITES BUCH

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

DRITTES BUCH

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

Epilog

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About the Publisher

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Arkanum – Das siebte Tor

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Band 2: Im Dschungel der Zeiten

von Ansgar Back

Der Umfang dieses Buchs entspricht 151 Taschenbuchseiten.

Die doxanischen Magier-Rebellen befinden sich auf der Flucht vor ihren Verfolgern. Doch ohne ihr wichtigstes Hilfsmittel, einen Stringformer, können sie kein weiteres Hypertor erschaffen. Die Einzelteile ihres Stringformers sind als kleine Röhrchen durch Raum und Zeit geschleudert worden. Auf der Suche nach den Röhrchen müssen die Magier vom Mittelalter über das London des 19. Jahrhhunderts bis ins Jahr 2015 springen, und kein Zeitalter ist ungefährlich. Aber die Doxaner schlafen nicht und sind in der Verfolgung der Rebellen nicht zimperlich den Menschen gegenüber.

Cover: René Weyer

Serienkonzept: Jo Zybell

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Prolog

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London

Sommer 1838, Ankerraumzeit

Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.

Elias wusste nicht mehr, wo er die Worte dieses Niedermenschlichen namens Epikur aufgeschnappt hatte. Mit ihnen anfreunden konnte er sich jedenfalls nicht.

Nicht bei diesem Anblick.

Ein Kloß schwoll in seinem Hals. Louise und Frederick drängten sich neben ihn. Sie spürten seine Aufregung, seinen Zorn und seine Trauer über den Verlust seines Gefährten. Doch sie hielten sich zurück, warfen ihm verstohlene Blicke zu.

Starrten auf dieses Ding, das einmal ein Magier gewesen war.

Sie waren in das Labor von Sir Abraham Fox eingedrungen. Eine Stätte tödlicher Kämpfe inzwischen. Wie viele Leichen hatte er gezählt auf dem Weg hier herunter in den Gewölbekeller? Irgendwann hatte Elias aufgehört zu zählen. Ihm war übel.

Durch das vergitterte Fenster sickerte diesiges Tageslicht, die Luft roch nach verbranntem Laub und verkohltem Fleisch. Direkt vor ihren Augen stand ein Kupfergebilde, groß wie ein Schrank, glänzend, und von ovalem Grundriss. Die Tür dieses Behälters stand offen, und ein Netz aus Tentakeln spannte sich darin aus. Schwarzen, verschimmelten Tauen gleich bildeten sie einen Kokon, in dessen Innern etwas eingewoben war, das wie ein gigantisches Insekt anmutete.

Tenjas.

Einer seiner Gefährten.

Anhand der Überreste des Symbionten hatte Elias ihn einwandfrei identifiziert. Tenjas war einem magischen Brand zum Opfer gefallen, als er das Tor hatte durchschreiten wollen. Es gab keinen Zweifel. Und Zarah?

Frederick, der junge Taschendieb, groß, blond und dünn, trat neben den Kupferschrank. „Das soll ein magisches Tor sein?“, fragte er, immer noch tief erschrocken über den Anblick von Tenjas’ sterblichen Überresten. Und wirklich: Wie eine verrottete Spinne in ihrem verrußten Netz sahen sie aus. Fredericks Wolfsartiger schnupperte daran, zog den Schwanz ein und winselte ängstlich.

Elias hatte Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken. „Es ist Tenjas.“

Louise schien sein Zustand inzwischen zu gefallen, wie er bemerkte. In ihren Augen lag ein Glanz, der spöttisch und gereizt zugleich war. „Du hast von einem Raumzeitbeben gesprochen“, sagte sie. „Davon, dass dieses Beben den Stringformer und eine Gruppe von Flüchtlingen auseinandergerissen hat.“

„In alle Winde verstreut“, korrigierte Elias. „Das trifft es besser. In alle Zeiten zerstreut.“

„Wie auch immer. Du sagtest, ihr sucht nach Teilen dieses bescheuerten Stringformers und nach den verschollenen Gefährten. Und dann hast du noch etwas gesagt ...“

„Du sprachst von den anderen“, unterbrach Frederick und nickte zaghaft. „Ja, und du sagtest ...“

„Sie sind hier.“ Elias räusperte sich. „Ich sagte, sie sind hier.“

„Was, zur Hölle, hat das zu bedeuten?“, brauste Louise auf. „Rede endlich, verdammt nochmal! Sag uns die Wahrheit! Warum sind sie hier? Und warum sind wir hier, zum Teufel?!“

„Und wer sind sie überhaupt?“, schob Frederick mit ängstlicher Stimme hinterher.

Elias’ Zorn schwand. Die Wahrheit lag auf der Hand: Tenjas war tot und Zarah verschwunden. Lord Fox ebenfalls. Die Kampfspuren oben im Erdgeschoss sprachen dafür, dass die Doxaner ihn als Geisel gefangen genommen hatten.

Resignation machte sich in ihm breit. „Ich spreche von Magiern. Genau wie ich stammen sie aus Doxa“, sagte er. „Sie jagen mich und meinesgleichen.“

„Warum?“ Frederick stand eindeutig unter Schock.

„Weil sie uns vernichten wollen.“

„Warum? Warum? Warum?“

„Weil wir nicht mehr dulden, dass sie andere Welten und andere Wesen zu Spielbällen ihrer Wettleidenschaft und ihrer Lust an Gewalt und Zerstörung machen.“ Elias presste die Fäuste gegen die Schläfen. „Wahrscheinlich konnten sie das Siebte Tor erneuern.“

Louise durchbohrte ihn mit einem finsteren Blick. „Das hast du schon angedeutet“, sagte sie spitz. „Aber was be-deu-tet das, verflucht noch eins?“

„Es bedeutet, dass sie uns uns alle vernichten wollen. Hört ihr nicht zu? Ihr Ziel ist es, Arkanum Sieben auf Erden zu errichten.“

„Arkanum Sieben?“ Frederick konnte nur noch flüstern.

„Die siebte Welt in diesem Universum, die sie umpflügen und mit Brandrodung in eine Kampfarena verwandeln wollen. Um ihrem grausamen Spiel- und Wetttrieb zu frönen.“

„Du sprichst vom Untergang der Menschheit?“, wisperte Frederick.

„Schwachsinn.“ Louise wich die Farbe aus dem Gesicht. „Was redest du da für eine gequirlte Scheiße?! So etwas gibt es doch gar nicht!“

Elias, der es besser wusste, senkte den Kopf und schwieg.

Louise ballte die Fäuste. „Was redest du da für einen Schwachsinn, sag mal? Los, sprich! Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird!“

Elias blickte wieder auf. „Das ist kein Spiel, Louise“, sagte er. „Es ist bitterer Ernst.“

„Was ist bitterer Ernst? Was ist das für eine Welt, dieses Doxa?“ Eine Frage nach der anderen schoss Louise auf ihn ab. „Wieso Arena? Wieso Spieltrieb? Wieso sind wir hier? Rede endlich!“

„Es ist schwer zu fassen für euch.“ Elias hatte seine Gedanken längst auf die Reise geschickt. „Aber gut.“ Entschlossen straffte er seine Schultern. „Ich erzähle euch, was vorgefallen ist. Hört gut zu. Wir, die Rebellen von Doxa, und einige Angehörige eurer Rasse sind in Doxa in ein Hypertor getreten, um hierher in eure Welt zu springen und das Hypertor zugleich zu zerstören. Kein doxanischer Magier sollte nach uns jemals wieder eure Erde betreten. Doch der Sprung ist uns nicht geglückt ...“

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ERSTES BUCH

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Hexenjagd

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1.

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Wittenberg

Spätherbst 1517

Zarah erwachte mit einem klebrigen Geschmack im Mund. Ihr Kopf dröhnte, ihre Ohren klingelten. „Bei allen Göttern“, stöhnte sie. Der Geruch von Schimmel drang in ihre Nase. Sie wälzte sich herum, hörte das Rascheln von Stroh.

Ihr Blick fiel auf ein Kerkergitter. Sie befand sich in einer Zelle, gebaut aus Quadersteinen, mit niedriger Decke, einem vergitterten Fenster und einer Tür aus Eisenstäben. Die Pritsche, auf der sie lag, bestand aus hartem Holz, die Stoffdecke unter ihr war zerschlissen und vermodert. Ein leises Gluckern drang an ihr Ohr, irgendwo tropfte Wasser.

Zarahs Handgelenk fühlte sich kühl an. Sie sah an sich hinab und gewahrte einen Eisenring und eine rostige Kette, die in einer Wandhalterung endete.

Gefangen!

Hinter der Tür verlief ein breiter Gang. Zarah erkannte weitere Zellen. Zwei Männer wandten ihr die Rücken zu. Der eine war offenbar der Kerkermeister, der andere trug eine Uniform, ein Schwert, und auf dem Kopf einen zerbeulten Helm mit einer roten Feder, sichtlich ein Soldat. Sie unterhielten sich über eine Gefangene, die gleich abgeführt werden sollte. Zarah rieb sich die Schläfen, lugte an dem Soldat vorbei und erkannte einen der Niedermenschlichen, der mit ihnen den Sprung durch das Hypertor geschafft hatte.

Die Rothaarige.

Ihr blaues Kleid sah ziemlich mitgenommen aus. Allerdings brachte der zerlumpte Fetzen die Schönheit dieser Frau nur noch mehr zur Geltung. Ihre Augen waren hell und klar, die Nase fein geschwungen, ihre Lippen leicht asymmetrisch. Sie hatte lange, wohlgeformte Beine, ihr Dekolletee enthüllte den Ansatz milchig-weißer Brüste.

Zarah stutzte. Diese Frau war mit ihnen durch das Tor gegangen.

Aber wo sind wir gelandet?, durchfuhr es sie siedend heiß. Und wo sind die andern? Fast wäre sie aufgesprungen, aber sie zwang sich zur Ruhe. Noch wollte sie die Aufmerksamkeit der beiden Männer nicht auf sich ziehen.

Ihre Gedanken arbeiteten blitzschnell. Wo befanden sie sich? Und seit wann? Der zerrissenen Kleidung und dem Schmutz auf der nackten Haut der Rothaarigen nach waren sie schon eine ganze Weile an diesem Ort.

Zarahs Magen knurrte. Sie fühlte sich schwach, brauchte dringend hochkalorische Nahrung und einen kräftigen Schluck klares Wasser. Ihre Zunge war wie angeleimt, ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie Sand geschluckt.

Im Vergleich mit einem Niedermenschlichen lief der Stoffwechsel eines Magiers von Doxa meistens auf Hochtouren: Zarahs Körpertemperatur betrug im Schnitt 37,8 Grad Celsius. Vor allem der Symbiont verbrauchte viel Energie. Ihre Kette rasselte, als sie nach der warmen weichen Wölbung in der Kuhle hinter dem rechten Ohr tastete. Dort schlief er, ihr Symbiont. Ihr engster Verbündeter, ihre magische Rüstung, ihr zweites Gehirn.

Der Soldat riss sie aus ihren Gedanken. „Die ist erheblich schöner als der weißhaarige Knochen in der anderen Zelle“, sagte er und rieb sich den Schritt. „Ich hätt’ nicht übel Lust, ihr die Pflaume zu pudern.“

Weißhaariger Knochen?, durchfuhr es Zarah, die unzweifelhaft mit diesen Worten gemeint war. Du elender Lindwurm!

Der Kerkermeister rieb sich den Nacken. Ihm war sichtlich unwohl. „Veyd mag es nicht, wenn man seine Gefangenen schändet.“

„Ja, ich weiß, das ist ja der Jammer. Er verbrennt sie lieber.“

„Außerdem wird sie gleich abgeführt.“

„Wie schade. Wenn ich dieses Weibsstück nur ansehe, fühle ich mich wie Adam im Paradies. Leider sehe ich weit und breit keinen Apfel, ich würd nur zu gern hineinbeißen.“

„Du solltest vorsichtig sein, Wendel“, mahnte der Kerkermeister. „Wenn Veyd dich so reden hört, landest du ebenfalls auf dem Scheiterhaufen.“

Der Soldat klatschte dem Kerkermeister auf die Schulter. „Du wirst ihm ja nichts verraten, nicht wahr, mein lieber Alberich?“

„Nein.“

„Wärst nicht der erste, der den Stahl meiner Klinge spürt.“

„Nein. Wär’ ich nicht.“ Alberich nickte verhalten.

„Alsdann.“ Der Soldat namens Wendel schickte sich an zu gehen, als das Rasseln von Schlüsseln erklang. Holz knarrte, dann fiel ein Lichtstreifen in den Gang. Kurz darauf polterten Stiefelschritte von mindestens vier Männern durch das Verlies. Alberich zog die Schultern ein, Wendel nahm Habachtstellung an.

Ein Trupp Soldaten betrat den Gang. Der vorderste, ein hochgewachsener Kerl mit vollem blondem Bart, hob die Hand. „Sei gegrüßt, Wendel. Auch du, Alberich.“

„Ihr kommt sie zeitig holen, Hauptmann Heinrich“, sagte Wendel. Man hörte seinen Unfrieden aus jeder Silbe tropfen.

„Wohl an“, erwiderte der Hauptmann. „Der Rat trug uns auf, die Sache schnell zu beenden.“

„Aber heute schon? Und ohne Prozess? Verzeih, das muss doch einen Grund haben.“

„Selbstredend. Der Rat hat genug mit dem Inquisitor und seinen Leuten zu tun. Da fällt eine Menge Arbeit an. Außerdem macht dieser verdammte Luther wieder Ärger.“

„Ich dachte, er steht auf Seiten des Inquisitors?“

„Tut er auch. Wenn’s nach Luther geht, können Hexen nicht schnell genug brennen. Aber er stiftet Unruhe wegen dem Ablass.“

„Ach?“

„Ja, ja. Man munkelt, er habe deshalb sogar Schriften verfasst. Dieser elende Unruhestifter! Der kommt am Ende noch auf die Idee zu behaupten, die Erde sei rund.“

Alle lachten, auch der Kerkermeister. Wendel beruhigte sich als erster. „Wie lange will der Hexenjäger Veyd unser Wittenberg noch beehren?“, fragte er.

Zarah spürte, wie sich Missstimmung unter den Soldaten ausbreitete.

Hauptmann Heinrich schabte sich über den Bart. „Schwer zu sagen. Als Inquisitor ist er verpflichtet, der kirchlichen Obrigkeit regelmäßig Meldung zu erstatten. Seine Schergen fegen über das Land wie die Heuschrecken. Alles, was auch nur im Entferntesten nach Schwarzer Magie riecht, wird gefangengenommen, gefoltert und getötet.“

Zarah verhielt sich ruhig, hörte aber gebannt zu. Es war offensichtlich, dass die Anwesenden den Inquisitor nicht mochten – und dass sie ein vertrauliches Verhältnis zueinander pflegten; sonst hätten sie nicht so offen miteinander gesprochen.

Alles, was nach Schwarzer Magie riecht ...

Magie.

Das Wort allein und die aktuelle Bedrohung reichten, um Zarah zu elektrisieren. Sie musste aus diesem Kerker entfliehen, so schnell wie möglich!

„Mach Platz, Wendel“, hörte sie den Hauptmann sagen.

„Muss das wirklich sein?“

Zarah hörte Bedauern in Wendels Worten, aber die entsprangen eher aus Lüsternheit, denn aus Mitleid. Für ihn war das Verbrennen einer schönen Frau reine Verschwendung, Erbarmen rangierte bei ihm auf den hinteren Plätzen.

Schlüssel klirrten, das Metall der Zellentür quietschte in den Angeln. Die rothaarige Schönheit lag auf ihrer Pritsche. Ihr Blick war scheu, ängstlich zog sie die Beine an. Die Männer blickten schweigend in die Zelle, einer mitleidig, ein anderer leckte sich die Lippen.

Zarah überlegte erst, sich schlafend zu stellen, dann setzte sie sich auf und sah die Kerle unverhohlen an.

„Wer ist der Mann?“, fragte Heinrich.

„Äh ... das ist kein Mann“, antwortete Wendel.

„Was?“

„Das ist eine Frau. Wir fanden sie bewusstlos vor dem Stadttor. Ich habe mir erlaubt nachzusehen, ob ... Veyd war daraufhin sofort klar, dass es sich nur um eine Hexe handeln kann.“

Du hast nachgesehen, ob ich eine Frau bin?, durchzuckte es Zarah. Du dreckige Made, dafür wirst du büßen! Ich werde dich in Stücke reißen, ich werde die Gräber deiner Ahnen ausheben und ihnen ins Gesicht furzen, du elender Misthaufen!

„Diese Megäre da ist kein Mann?“

„Nein, Heinrich.“

„Also so was. Pfui Deibel. Mich schaudert bei ihrem Anblick. Vielleicht sollte man die zuerst verbrennen.“

„Nur zu, ich hab nichts dagegen. Dann kann man der anderen noch ein oder zwei Tage Aufschub ...“

„Nichts da, als Waffenknecht des Bischofs habe ich meine Order. Zuerst sollen der Feuerschopf und die alte Elsbeth dran glauben.“

„Die alte Elsbeth?“, fragte Wendel ungläubig. „Was hat sie denn getan?“

„Wir mussten sie verhaften. Ein Nachbar hat gesehen, wie sie aus Kräutern einen heißen Sud braute und sich mit dem Gebräu ihr Fieber weg hexte. Der Bader war außer sich vor Zorn. Er hat den Sud gleich nach Elsbeths Verhaftung beschlagnahmt. Damit niemand zu Schaden kommt, wie er sagte.“

Sie lösten der Rothaarigen die Ketten und führten sie ab. Zarah sah ihnen reglos zu. Als Sekundarmagisterin musste sie Kräfte sparen und sich auf ihre Fähigkeiten konzentrieren, wenn sie dieser stinkenden Zelle entkommen wollte.

Zufrieden registrierte sie, dass nur der Kerkermeister zurückblieb. An der Tür sah er den Soldaten hinterher. Zarah erhob sich und stellte sich auf die Pritsche. Die Kette spannte sich, der Eisenring fraß sich in ihr Handgelenk.

Sie blickte durch das Gitterfenster. Ein Marktplatz lag vor ihr, eingesäumt von Häusern aus Ried und Lehm. An den Balken einiger Verkaufsstände baumelten Schweinehälften, Dörrobst und Pfefferschoten, in der kühlen Luft hing der Geruch von Gewürzen.

In der Mitte des Platzes hatte man Scheiterhaufen errichtet. Mächtige Eichenpfähle ragten daraus hervor. Ein hochgewachsener schlanker Mann gab Anweisungen. Er hatte einen gezwirbelten schwarzen Schnauzer, unter seinem federbesetzten Hut lugte ölig glänzendes Haar hervor. Sein Gesichtsausdruck wirkte mürrisch, sein Oberhemd war mit allerlei kirchlichen Abzeichen versehen. Seine Männer trugen Harnische, über denen weiße Schärpen hingen. Blutrote Kreuze prangten darauf. Allesamt waren sie schwerbewaffnet. Zarah zählte unzählige Schwerter und Lanzen, dazu Lang- und Kurzbögen samt der dazugehörigen Köcher auf den Rücken der Männer.

Ein Karren rumpelte am Kerkerfenster vorbei. Auf der Ladefläche saßen zwei zerlumpte Kinder inmitten von Fellen und verschüttetem Salz. Der Junge streckte Zarah die Zunge heraus.

Die Sekundarmagisterin hörte ein Zwitschern und Gurren in der Luft. Sie sah ... Vögel.

Ein bestimmter Gedanke durchzuckte ihren Kopf. Dann stahl sich ein bitteres Grinsen auf ihre Lippen.

„He! Du! Komm da runter!“

Zarah fühlte, wie sich ihr Gesicht verhärtete. Langsam drehte sie sich um. „Was hast du gesagt?“

Der Kerkermeister zuckte unmerklich zusammen. „Du sollst da runterkommen. Es ist den Gefangenen nicht erlaubt ... Ich meine ...“

Zarah trat von der Pritsche. Kurz vor der Gittertür hielt die Kette sie zurück.

Zum ersten Mal sah sie den Kerkermeister aus der Nähe. Er trug ein gelb-rotes Wams, war muskelbepackt und gedrungen. Er hatte drahtige, buschige Brauen, die Haut in seinem breiten Gesicht war überraschend glatt.

Sie weckte ihren Symbionten, ließ ihn aber noch in der Kuhle hinter ihrem rechten Ohr. „Wer bist du?“, fragte sie.

„Wer ich bin?“ Er verzog die Lippen. Seine Zähne hatten die Farbe von Hornhaut. „Ich bin Alberich Gruber, der Kerkermeister. Ihr wollt mich wohl verhexen, was? Aber das gelingt Euch nicht, lasst Euch das gesagt sein, Scheusal! Die Grubers haben schon manchen Sturm überstanden!“

Zarah spürte überdeutlich seine Schwäche. Dieser Mann war aus einer Familientradition heraus Kerkermeister geworden. Aber er war sensibel, empathisch und voller Zweifel. Er gehörte nicht hierher.

Er hat definitiv den falschen Beruf.

Sie jagte ihre Gedankenströme in sein Hirn, und seine Synapsen saugten ihre Attacke auf wie Schwämme! Alberichs Augen weiteten sich, er zitterte am ganzen Leib. Zarah machte unbeirrt weiter, ein mentales Raubtier, ein Gedanken-Prädator, der Alberichs freien Willen in die Knie zwang.

„Warum hat man uns verhaftet?“, fragte sie.

„Es ... ist mir nicht gestattet, Fragen zu beantworten.“

„Warum hat man uns verhaftet?“

„Ich darf nicht ...“

„Los, rede!“

Schweißperlen traten auf seine Stirn. Ein grauer Schleier legte sich über Alberichs Pupillen, dann drehten sich die Augäpfel, sodass nur noch das Weiße zu sehen war. „Ihr seid der Hexerei überführt!“, sagte er. „Ihr seid vor den Toren Wittenbergs gelandet, als hätte die Hölle euch ausgespuckt! Die Torwachen haben die Venatoren gerufen!“

„Die Venatoren?“

„Ein Verbund, der Hexen und Magiern nachspürt! Veyd Echtholtz, der Verfechter des Hexenhammers, jagt Euch, wo es nur geht! Er ist hergekommen, um der Hinrichtung von Euch vieren beizuwohnen!“

Zarahs fühlte einen Stich im Innern. „Uns vieren? Wen meinst du damit?“

„Außer dem Feuerschopf und Euch haben wir noch zwei weitere Satans-Schergen erwischt! Dämonische, genau wie Ihr! Sie liegen in Eurer unmittelbaren Nachbarschaft, eingekerkert in diesen heiligen Gewölben!“

Zarahs Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand. Wer mochte wohl mit ihr und dem rothaarigen Niederwesen den Sprung durch das Hypertor geschafft haben? Nur zwei weitere? Sie war davon ausgegangen, dass es allen gelungen war.

Aber was, wenn nicht? Was, wenn wir auf der ganzen Welt verstreut wurden?

Womöglich noch in verschiedenen Zeiten?

Sie wagte nicht, daran zu denken und löste Alberichs geistige Fessel. Sie hatte vorerst genug gehört und musste mit den Kräften haushalten. Der Sprung hatte sie enorm geschwächt.

Der Schleier über Alberichs Augen verflüchtigte sich. Der Kerkermeister wankte, dann umklammerte er mit den Fäusten die Gitterstäbe.

„Hexe!“, spie er hervor. „Du wirst brennen, das schwöre ich dir! Und ich werde dabei zusehen und auf deinem Grab tanzen!“

Zarah setzte sich auf die Pritsche und ignorierte ihn. Sie musste unbedingt etwas unternehmen.

Aber was?

Sie schloss die Augen und atmete durch. Kräfte sammeln. Das war in diesem Augenblick das Wichtigste. Sie hörte, wie der Kerkermeister ausspuckte und sich entfernte. Er hatte wohl bemerkt, dass er sie mit seinen Verwünschungen nicht beeindruckte.

Sie ließ ein wenig Zeit verstreichen. Eine Idee reifte in ihr heran. Allerdings musste sie sofort in die Tat umgesetzt werden, ihr blieb nicht viel Zeit.

Sie stellte sich wieder auf die Pritsche und lugte durch das Gitter. Gegenüber stand eine palastartige Kirche, vor der Bettler ihre furchigen Hände ausstreckten. Zwei Männer in Kutten schlugen und traten nach ihnen. Irgendwo schrie ein kleines Niedermenschliches, als hätte man es von der Mutterbrust gerissen.

Zarah sah einen Mann auf das Kirchenportal zuschreiten. Er wirkte kräftig, trug eine dunkle Kutte, und ein dichter Haarkranz rahmte seinen ansonsten rasierten Schädel ein. In den Händen hielt er einen Hammer und Papyri. Die Sekundarmagisterin sah zu, wie der Mann sich furchtlos an den anderen Kuttenträgern vorbeischob, vor der Kirchentür den Hammerstil in den Mund nahm, in seine Tasche griff und Nägel hervorholte. Kurz darauf nagelte er unter lautem Hämmern die Papyri an die Tür. Tauben flogen auf.

Die waren Zarah schon vorhin aufgefallen. Dazu kamen Krähen und Singvögel, die sich auf den Dächern und Mauern tummelten. Kein Wunder – auf einem Marktplatz hielten sich gewöhnlich Menschen auf. Wo Menschen waren, wurde gegessen. Und wo man aß, fielen Krümel ab, die Vögel, Hunde und streunende Katzen anlockten.

Zarah lächelte. Dann legte sie ihre Fingerspitzen an die Schläfen und konzentrierte sich. Ihr Symbiont kroch aus seiner Kuhle und breitete sich über ihrem Scheitel aus.

Eine halbe Minute später brach draußen die Hölle los!

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2.

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Elias’ Schädel dröhnte wie eine Glocke. Hinter seiner Stirn verspürte er Schmerzen wie Stiche von unzähligen Nadeln.

Vor seinem geistigen Auge erschien ein brennender Birkenwald. Magister und Magisterinnen, die ihm zu Feinden geworden waren. Die Greifenechse, die Torkuppel und Isabelle. Elias sah Zarah und Bathseba, er sah die Portalflügel, Hioban und die verletzte Salome.

Lundis ...

Wo bist du?

Er versuchte sich zu bewegen, doch er war wie gelähmt. Das Hypertor nach Arkanum Sieben war erwacht. Aus dem Nichts war es aufgeklafft. Elias hatte in das Mundstück des Stringformers geblasen und mit einem anschwellenden Crescendo aus Klängen und Farben waren sie in einem gewaltigen Lichtgewebe versunken. Er und mit ihm alle anderen, die für die Magister nun Ausgestoßene waren: Rebellen von Doxa und Niederwesen, auch die Menschlichen genannt.

Aber wo sind wir gelandet?

Er nahm den Gestank von ranzigem Fett wahr. Aufdringlich, fast penetrant, schob sich der ekelhafte Geruch wie mit Nebelfingern in seine Nase. Elias musste niesen, er wand sich, blinzelte – und öffnete seine Augen.