image
Image

Katharina Füllenbach

KRIM

NOTIZEN ZU EINER REISE IM

HERBST 2017

REISEPOSTILLEN Band 5

Image

© 2017 Katharina Füllenbach

Technische Unterstützung: Johannes Lamberts

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg

ISBN

Paperback:978-3-7439-7674-0
Hardcover:978-3-7439-7675-7
e-Book:978-3-7439-7676-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort

Im März 2014 löste sich die Krim aus ihrer seit 1954 geltenden territorialen Zugehörigkeit zur Ukraine und schloß sich der russischen Föderation an. Dies war der Moment, in welchem die seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht sonderlich beachtete Halbinsel in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit rückte und seitdem einen festen Krisenbestandteil in der täglichen Nachrichtenflut bildet.

Was aber ist die Krim eigentlich? Wer lebt dort? Und wie lebt man dort? Fand dort 2014 eine Annexion statt, wie im Westen behauptet? Oder war es eine selbstbestimmte Entscheidung der Bevölkerung, wie von Seiten Rußlands immer wieder betont wird? Beim zweiten Hinschauen ergeben sich vielfältigste Unklarheiten und letztlich keine genaue Vorstellung über die derzeitigen Verhältnisse.

Die offenen Fragen veranlassten mich von einigen Monaten, das unterschwellige Drohgemurmel einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes und die gerne betonten möglichen drakonischen Bestrafungen der Ukraine wegen eines illegalen Grenzübertritts zu ignorieren und mit einem russischen Visum auf die Krim zu reisen, um mir selbst ein Bild von den dortigen Verhältnissen zu machen.

Was ich fand, war nicht nur eine erstaunlich andere Realität, als die in den westlichen Medien vermittelte, sondern auch eine Konfrontation mit der eigenen deutschen Vergangenheit, die bei uns in dieser Form schon lange nicht mehr gegenwärtig ist. Und schließlich waren all diese Beobachtungen und Erfahrungen eingebettet in einen historischen russischen Kulturraum, wie man ihn in seiner Vorstellungswelt gedanklich nie mit einer vermeintlichen Krisenregion in Verbindung bringen würde.

Diese vielfältigen Eindrücke zu sammeln und zu formulieren, versucht das hier nun vorliegende Büchlein. Im Ergebnis steht es mir – vor allem rechtlich – natürlich nicht zu, dem Leser eine Reiseempfehlung zu geben. Aber ein Wort der wunderbaren Marie Curie sei ihm für eine mögliche zukünftige Urlaubsplanung anheimgegeben, das da lautet:

Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“

KF im Dezember 2017

Krim 1. November 2017

Die Anreise auf die Krim ist seit ihrem Wiederanschluß an Rußland einigermaßen kompliziert. Zwar beansprucht die Ukraine nach wie vor einen Alleinvertretungsanspruch, exekutiert aber zugleich eine vollständige Visa-Verweigerung für Touristen. Vielleicht gibt es Gründe, sich so zu verhalten, wie Kiew es tut. Aber ist es deswegen nötig, Besucher, die aufgrund dieser Umstände über Rußland einreisen, wegen Verletzung territorialer Integrität und Grenzen gleich mit einer langjährigen Haftstrafe in einem finsteren ukrainischen Verlies bei Wasser und Brot zu bedrohen? Ich weiß es ja nicht.

Wie auch immer. Weil alles so ist wie es ist, bleibt dem neugierigen westlichen Reisenden nur der Weg über Moskau und die Hoffnung, deswegen später von Deutschland nicht ausgeliefert zu werden.

Bei einem Abflug von Hamburg wäre im Ticket ein kostenloser Aufenthalt über Nacht auf dem Moskauer Flughafen inbegriffen gewesen. Im Transitbereich und in einen Sessel geknüllt. Mäßig verlockend diese Aussicht und so wurde eine Anreise auf der traditionellen Achse Ostberlin - Moskau gewählt, denn von dort fliegt man bei Tageslicht ab und kommt am gleichen Tag abends in Simferpol an. Das ist zivil.

Den Flughafen Schönefeld kenne ich bisher nur dem Namen nach und von daher birgt diese Reiseroute vom ersten Moment an neue Erfahrungen. Kaum vorstellbar, daß sich seit der Wiedervereinigung jemand ernsthaft damit beschäftigt hat, dem Flughafen, über das Allernötigste hinaus, eine gegenwärtige oder gar zukunftsfähige Anmutung zu geben. Auf dem Weg zwischen S-Bahnhaltestelle und Hauptgebäude steht rechts eine hölzerne Gastronomiebaracke, die nur aus DDR übriggeblieben sein kann. Ein Blick auf die Holzpaneele und das Gehirn holt sofort die Erinnerung hoch an Geruch und Geschmack einer ostdeutschen Geflügelschnitte auf der Transitstrecke, genossen zu seligen Honeckerzeiten.

Beeindruckend auch die Sicherheitskontrollen aus dem vorterroristischen Internationalismus. Um meinen Hals baumelt seit dem letzten Geburtstag eine kleine eiserne Katzenglocke (englisch, spätes 18tes Jahrhundert. Nicht besonders schön, aber so eigenwillig, daß ich sie gerne als bisher nicht vermissten Glücksbringer umgehängt habe). Auf diesem Flughafen piept deswegen nix. Es interessiert sich auch niemand für diverse Brillen auf dem Kopf des Reisenden oder klobige Wanderschuhe an den Füßen oder gar einen nicht abgelegten Brustbeutel.

Der Flug mit Aeroflot ist vielleicht zu einem Viertel gebucht. Bei der letzten Passkontrolle steht eine junge Frau hinter mir, einen offenen Jägermeisterflachmann in der Hand. Flachmänner haben ja immer eine besondere Signalwirkung und lassen den Beobachter schnell Rückschlüsse ziehen auf die Befindlichkeit des Besitzers. Und morgens um 9.00h trinkt keiner aus Vergnügen, sondern bringt damit ausschließlich eine große Malaise zum Ausdruck. Immer wenn sie (die Frau) sich unbeobachtet fühlt, nimmt sie einen schnellen Schluck. Hochprozentiger Kräuterschnaps am hellerlichten Tag in einer Flughafenwarteschlange plus ein deutliches Peinlichkeitsempfinden ist an persönlicher Not kaum noch zu überbieten.

Umstieg in Moskau. Für den neuerlichen Security check organisiert man sich die Kisten für den Kleinkram selbst, aber leider stehen sie nur, unordentlich gestapelt, am Ende des Rollbandes. Ab und zu erbarmt sich eine der zahlreichen Ortskräfte und schiebt einen Stapel hinüber zu den wartenden Menschen auf der anderen Seite der Sicherheitseinrichtungen und von einer Sekunde zur nächsten entsteht dann auf dem Flughafen dichteste Schlußverkaufsatmosphäre.

Wieder interessiert sich niemand für meine um den Hals hängende Eisenkugel oder sonstige metallene Hosentaschenkleinigkeiten. Schade, daß ich vor der Kontrolle das mitgebrachte Wasser ausgeschüttet habe. Gut möglich, daß auch das niemanden aufgefallen wäre.

Der A320 nach Simferopol ist gesteckt voll mit Menschen und man fragt sich zwangsläufig, wer sind diese Leute und warum wollen sie auf die Krim? Was machen die da? Kehren sie nach Hause zurück? Besuchen sie Verwandte? Der Flug ist insgesamt eine nationale Angelegenheit und ohne ein Vorurteil schüren zu wollen: Es war nicht zu ignorieren, daß schon im Wartebereich des Flughafens eine olfaktorische Alkoholwolke über den Wartenden schwebte. Sie ist die Gangway mit hinaufgestiegen und liegt bis zum Schluß in der Kabine deutlich wahrnehmbar über den Köpfen der Reisenden.

Beim Öffnen des Koffers nach Ankunft in der kleinen, für die ersten Tage gebuchten privaten Unterkunft, eine große Überraschung: Die deutschen Sicherheitskräfte in Berlin waren sehr wohl tätig. Sie haben meinen Koffer durchsucht, darüber ein zweifach unterschriebenes Protokoll angefertigt und dieses in den Koffer gelegt. Gesucht, gefunden und vernichtet wurde ein Einwegfeuerzeug, das seit Jahren in einem Schreibetui liegend, mit mir durch die Gegend flog und schon in allen Herren Länder mit dabei war. Jetzt nicht mehr. Heute ist es der deutschen Gründlichkeit ins Netz gegangen, wurde in seiner ganzen Gemeingefährlichkeit erkannt und für immer aus dem Verkehr gezogen. Der Glauben an in die deutsche Zuverlässigkeit in Fragen der Sicherheit ist damit vollständig wiederhergestellt. ■

Simferopol 2. November 2017

Die im Internet gefundene und gebuchte Unterkunft ist aus der jüngeren Eigeninitiative eines Ehepaares entstanden, das das Prinzip „home stay“ zum drei-Zimmer-Hotel weiterentwickelt hat. Dafür wurde die eigentliche Wohnung umgebaut, besagte drei Zimmer mit jeweils eigenem Bad versehen und die ursprünglichen Bewohner sind mit ihrem kompletten Leben in den Keller gezogen. Das Etablissement war gestern Nacht schwer zu finden und der am Flughafen engagierte Taxifahrer (auch eine selfmade Unternehmerexistenz) tat sich bei der Anfahrt - trotz Smartphonenavigation - schwer, die versteckt liegende Herberge in einem Gewirr von schlechten oder gänzlich unbefestigten Straßen zu finden. Geklappt hat es schließlich doch und ich konnte mich aus der Obhut eines schlechtgelaunten Fahrers in die Obhut eines schlecht gelaunten Herbergsvaters begeben.

Auch der heutige Tag hat bei fast allen sozialen Kontakten eine allseits spürbare Freudlosigkeit unterstrichen, die hier (wie ja vorher schon in einigen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken beobachtet) zum allgemeinen Lebensgefühl zu gehören scheint. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser erste Eindruck in den nächsten Wochen weiter bestätigt.

Stundenlanges Umherlaufen in der Stadt hat heute einen ersten gemischten Eindruck ergeben. Sicher festzuhalten ist, daß sie einen der schönsten Bahnhöfe hat, den ich je betreten habe. Damit war ich allerdings ziemlich allein, denn ausser einem guten Dutzend Angestellten war das Gebäude gänzlich unbelebt. Nur im allgemeinen Wartebereich schlief eine Obdachlose auf ihren Tüten, saß eine geistig verwirrte Frau, sich rhythmisch auf den eigenen Kopf schlagend und hielt sich ein junger Mann auf, dem es ganz offensichtlich unangenehm war, in dieser Umgebung beobachtet zu werden.

Ein weiterer Wartesaal von der gefühlten Größe eines halben Fußballfeldes, dekoriert mit Ölgemälden und wunderschönen gerafften Stores über den fünf Meter hohen Fenstern wurde einzig von einem einsamen Wachmann belebt, der sich die leere Arbeitszeit mit dem Anschauen von Opernvideos vertrieb.

Image

Wartesaal im Bahnhof Simferopol

Image

Wartesaal im Bahnhof Simferopol

Alles in allem eine leise gespenstische Gesamtsituation, aber für einen Besuch dieser herrlichen Architektur aus irgendwann Anfang des letzten Jahrhunderts hat sich der Fußweg ein Stück aus dem Zentrum heraus auf jeden Fall gelohnt.

Die geringen Reiseaktivitäten auf dem Bahnhof sind den geschlossenen Grenzen zur Ukraine geschuldet. Die kurzen Reisestrecken innerhalb der Krim können gut mit Bussen und Marschrutkas bewältigt werden und alle weiteren Verbindungen führen geographisch zwangsläufig über das Territorium der Ukraine. Oder eben nicht. Und dann steht so ein Bahnhof auf einmal nahezu unbenutzt in der Stadt herum.

Hinsichtlich des ursprünglichen Anlasses zum Bahnhof zu laufen galt es nichtsdestotrotz, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen: In ganz Simferopol ist bisher kein Stadtplan aufzutreiben. In meiner Unterkunft fand man gestern die Frage danach vollkommen abwegig und auch bei der heutigen Suche in verschiedenen Geschäften schien dieses Begehren gänzlich absurd zu wirken. Ist es ja vielleicht im Zeitalter von gps im Telefon auch, aber manche Menschen sind bei der Orientierung eben old school. ■

Image

Wartesaal im Bahnhof Simferopol

Simferopol 3. November 2017

Die ersten gesammelten Museumserfahrungen sind gemischt, denn bisher ist es nicht gelungen, eine Ausstellung unbegleitet anzuschauen. Der gestrige Besuch im Geburtshaus von Ilya Selvinsky mußte nach einer guten Stunde abgebrochen werden, weil drei Begleitschatten durcheinanderredeten, die mit jeweils unterschiedlichen, aber wesentlichen Detailinformationen die durch und durch beeindruckende Dichterexistenz zu erklären suchten, den angestrengten Besucherkopf damit aber völlig überforderten.