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Finde tiefen Glauben in dir selbst

ZEN-Koans in heutiger Zeit

Klaus Fahrendorf

Illustrationen

von Ulrike Rögner-Fahrendorf

© 2018 Klaus Fahrendorf

Umschlagbild und Illustrationen: Ulrike Rögner-Fahrendorf

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback978-3-7469-1035-2

Hardcover978-3-7469-1036-9

e-Book978-3-7469-1037-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsübersicht

Vorwort

Kapitel 1: BEGINN

Shôyôroku Nr. 94: Tôzan ist krank

Immer ein Fragender sein

Auch jetzt: „Immer im Beginn“

Kapitel 2: TI LOU JIN FENG

Hekiganroku Nr. 7: Echô fragt nach Buddha

Hekiganroku Nr. 27: Ummons „Vollkommene Manifestation“

Die Ackerwinde

Kapitel 3: ES GIBT KEINE ZEN-LEHRER

Hekiganroku Nr. 11: Ôbakus „Tresterfresser“

Mumonkan Nr. 12: Zuigan ruft sich selbst „Meister“

Mumonkan Nr. 22: Kashyapas Fahnenstange

Kapitel 4: EIN VOGEL, JENER EINE UND DIE WAHL

Was hat ein Vogel mit dir zu tun?

Mumonkan Nr. 45: „Wer ist jener Eine?“

Hekiganroku Nr. 2: Jôshûs „Höchster Weg“

Kapitel 5: DER LEERE RAUM, SCHNEEFLOCKEN UND EINE GETRENNTE SEELE

Der leere Raum

Hekiganroku Nr. 42: Pangs „Wunderschöne Schneeflocken“

Mumonkan Nr. 35: Seijo und ihre getrennte Seele

Kapitel 6: DIE BEIDEN SÄULEN: ERBARMEN UND WEISHEIT

Hekiganroku Nr. 88: Genshas „Drei Gebrechen“

Hekiganroku Nr. 89: Ungans „Hände und Augen“

Mumonkan Nr. 31: Jôshû durchschaut eine alte Frau

Mumonkan Nr. 7: Jôshûs „Wasche deine Essschale“

Kapitel 7: NICHT WIND, NICHT FAHNE; WEDER GEIST, NOCH NICHT-GEIST – NOCH SONST ETWAS

Mumonkan Nr. 29: Nicht der Wind, nicht die Fahne

Mumonkan Nr. 30: Geist ist Buddha

Mumonkan Nr. 33: Weder Geist noch Buddha

Shôyôroku Nr. 20: Jizos „Not knowing is most Intimate”

Kapitel 8: MU

Mumonkan Nr. 1: Jôshûs Hund

Hara – unser Aufmerksamkeitsorgan

Kapitel 9: WIEVIELE MONDE?

Shôyôroku Nr. 56: Meister Mitsu und der weiße Hase

Shôyôroku Nr. 21: Ungan fegt den Boden

Shôyôroku Nr. 75: Zuigans Prinzip

Kapitel 10: WAS DANN?

Shôyôroku Nr. 57: Gonyôs „Ohne ein einziges Ding“

Shôyôroku Nr. 7: Yakusan besteigt das Podium

Zum Autor und zur Illustratorin

Vorwort

1.

„Finde tiefen Glauben in dir selbst, so lautet der Titel dieses Buches und der Untertitel verweist auf „Zen-Koans in heutiger Zeit“.

Wie passt das zusammen?

Glauben verbinden wir üblicherweise mit „an etwas glauben“.

Darum geht es im Zen und in Zen-Koans allerdings gerade nicht.

Erstaunlicherweise aber ist diese Aufforderung: „Finde tiefen Glauben in dir selbst!“ ein Zitat aus einem Vers zu einem Zen-Koan in der Koan-Sammlung Shôyôroku, Nr. 56: Meister Mitsu und der weiße Hase. Sie können es in Kapitel 9 nachlesen.

„Find deep faith in yourself“, „Finde tiefen Glauben in dir selbst!“ meint zunächst, wie es der unmittelbare Text- und Sinnzusammenhang in der fraglichen Verszeile nahelegt, sich nicht durch Gunst und Ungnade verwirren zu lassen.

Aber tiefen Glauben in sich selbst zu finden geht noch darüber hinaus. Es geht ja um finden, um tiefen Glauben und das in dir selbst!

Ich sehe darin zunächst und ganz maßgeblich die Motivation zu einer inneren Haltung, die gänzlich offen, aber nicht orientierungslos ist. Bei dem, was Zen und die Zen-Übung in der Meditation und im sonstigen Leben ausmacht, geht es nicht um Etwas-Wissen, sondern um Nicht-Wissen, um das Nicht-Wissbare. Es geht um eine immer tiefere und vertrauensvollere Ausrichtung dahin, in der endlichen Wirklichkeit in den intensivst-möglichen Kontakt mit der unendlichen Wirklichkeit zu kommen. „Not knowing is most intimate,“ sagte daher ein alter Zen-Meister (vgl. in Kapitel 7, Shôyôroku Nr. 20). Und damit löst sich das „in dir selbst“ aus einem gewöhnlichen Verständnis heraus, und es weitet sich dieses „yourself“, „dein Selbst“, in eine Dimension hinein, die wir das „wahre Selbst“ nennen, die Dimension, in der die Grenzen fallen und wir uns gleichzeitig hin zu einer immer tieferen Ausrichtung und Originalität entfalten können, in Bewusstheit und Verantwortung uns selbst, dem Nächsten und der Welt „gegenüber“.

In dir selbst“ ist also kein Ort, sondern die Lebens-Wirklichkeit!

Und „Finden“ ist nicht das Erhalten von Gewissheit, die weiteres Praktizieren überflüssig machte, sondern kontinuierliches Suchen und Erkunden.

So fällt tiefer Glaube mit tiefem Vertrauen zusammen und findet zusammen, was zusammengehört.

2.

Sie werden in diesem Buch keine systematische Darstellung über Zen erhalten. Vielmehr enthält dieses Buch eine Sammlung von mündlichen, im Rahmen von mehrtägigen Meditationskursen (sog. Sesshins) oder Meditationstagen (sog. Zazenkais) gehaltenen Zen-Vorträgen (sog. Teishos), die man am treffendsten als Motivationen beschreiben kann. Sie sollen in den Reichtum des Zen und in die „offene Weite“ seiner Praxis führen. Seine Relevanz für die Übung der Meditation und die Umsetzung in das tägliche Leben soll vermittelt und seine Wirkkräfte auch gerade für den modernen Menschen in seiner aus den speziellen Herausforderungen und Überforderungen resultierenden Not sollen nutzbar und fruchtbar gemacht werden. Meine Ausführungen in den Teishos sind geprägt von der Erlebnis- und Gedankenwelt des modernen westlichen Menschen und den Umbrüchen in unserem Zeitalter. Deshalb der Untertitel dieses Buchs: „in heutiger Zeit.“ Nur auf den ersten Blick erstaunlicherweise kann man allerdings auch feststellen, dass die tiefsten Gründe, sich der Zen-Meditation zuzuwenden, bei den modernen Menschen letztlich nicht allzu verschieden sind von denen der Menschen in den vielen Jahrhunderten vor uns.

In den scheinbar zusammengewürfelten Teishos werden die wichtigen Kernpunkte im Zen und für die Praxis des Zazen (im engen Wortsinn: Sitzmeditation, im weit verstandenen Verständnis: die gesamte Lebenspraxis des Übenden) angesprochen. Die Zusammenstellung der Teishos in 10 Kapiteln, wie sie sich aus dem Zusammenhang der einzelnen darin angesprochenen Themen ergeben haben, zeigt diese innere Ordnung auf. Insofern kann dieses Buch auch für diejenigen von Wert sein, die nicht im eigentlichen Sinne Zen in der Form einer Koan-Schulung üben.

3.

Um was für ein Zen geht es hier? Wie kann sich eine solche Frage ergeben angesichts der grundlegenden Worte des Bodhidharma, des indischen Patriarchen der buddhistischen Zen-Tradition, der im 6. Jahrhundert n. Chr. als „Barbar aus dem Westen“ nach China kam und Zen nach China „brachte“? Auf die Frage des chinesischen Kaisers, was denn der tiefste Sinn der Heiligen Wahrheit sei, soll Bodhidharma die berühmte, grundlegende Antwort gegeben haben: „Unendlich weit und leer, nichts von heilig.“ Und auf die folgende Frage des Kaisers, wer er denn sei, antwortete er: „Ich weiß es nicht.“ (vgl. Hekiganroku Nr. 1) Dennoch kann nicht verkannt werden, dass Zen sich in den verschiedenen Zeit-, Kultur- und Religionsepochen immer wieder unterschiedlich entfaltet hat. So zeigt es sich auch heutzutage nach seinem „Sprung“ von Japan und Korea nach Amerika und Europa, also vom Osten diesmal in den Westen, in teilweise verschiedenen Ausprägungen.

In den vorliegenden Teishos soll erkennbar sein, dass Zen in dem Sinne, wie wir es im „Programm Leben aus der Mitte – Zen-Kontemplation im Bistum Essen“ praktizieren, ein Zen ist, in dem die buddhistische Tradition und die christliche Tradition sich wechselseitig zu einem neuen Weg inspirieren. Es ist ein Weg offener Orientierung und Erfahrung für jeden Menschen in gerade seiner Motivation und seiner Verwurzelung in seiner Kultur und Weltsicht und/oder, sofern dafür disponiert, auch neu in seiner Religion.

Ein Weg-Angebot für jeden also! Scheint nicht der Mond auf alle Türen? Machen wir sie auf, jeder seine Tür!

Auf der Homepage der evangelischen Emmausgemeinde in Bochum, in deren Gemeindezentrum jeden Montagabend und ungefähr alle zwei Monate an einem samstäglichen Zazenkai unter meiner Leitung Zen-Meditation stattfindet, klingt das so:

„Die Zen-Meditation ermöglicht, in der Stille Kontakt zu sich selbst und seiner Mitte aufzunehmen. Sie ist ein kostbares Angebot der Spiritualität des Ostens. Sie kann eine wirksame Hilfe sein, sich selbst und das Leben vollständiger anzunehmen und in lebendiger Achtsamkeit mehr präsent und „da zu sein“. Für Christen kann sie einen neuen Zugang zu den eigenen Wurzeln bilden und zu einer neuen und tiefen Glaubenserfahrung führen.“

Und am Eingang zum Meditationsraum des Programms „Leben aus der Mitte“ im Kardinal-Hengsbach-Haus in Essen-Werden hängt, im Großformat handgeschrieben von P. Johannes Kopp S.A.C (Hôun-Ken Roshi), das Wort: „HERZLICH“. Das ist der Türöffner. Und in diesem Geiste bitte ich die Leserin und den Leser, dieses Buch „hörend“ zu lesen.

4.

Was schließlich hat es mit Zen-Koans auf sich, von denen im Untertitel die Rede ist? Koans haben sich in der Tradition des chinesischen Zen erst im Laufe der Jahrhunderte als ein Übungsmittel entwickelt und wurden sodann in verschiedenen Sammlungen festgehalten. Die im vorliegenden Buch behandelten ausgewählten Koans stammen aus den drei bekanntesten klassischen Koan-Sammlungen, dem Mumonkan, das 1228 n. Chr. verfasst wurde, dem Hekiganroku aus dem 11. und 12. Jahrhundert n. Chr. und dem Shôyôroku von 1224 n. Chr. Koans sind keine Rätsel oder Denksportaufgaben, die mit dem unterscheidenden Verstand „geknackt“ oder „gelöst“ werden können. Ihr Ziel ist es vielmehr, durch eine Vertiefung in sie den Geist zu öffnen, ohne ihn bei etwas verweilen zu lassen, so dass Impulse aus tieferen Schichten ohne die Kontrolle unseres Alltagsgeistes wirksam werden können, um das Koan und damit uns selbst zu ergründen. Koans haben keine Antworten. Es gibt keine Lösungen. Ein Teisho zu einem Koan liefert solche also ebenfalls nicht. Was tut es aber dann? Es soll den Geist öffnen helfen auf dem Weg zur jeweils eigenen, ganz persönlich zu erfahrenden Antwort auf die existentiellsten Fragen, wie sie in dem Koan verborgen sind. Und wie? Indem es in die Atmosphäre und den Geist des Koans einführt und den Blick auf die Punkte lenkt, die auf unsere besondere Aufmerksamkeit warten. Indem es uns quasi die Hand reicht, damit wir die ersten tastenden Schritte gehen können, und uns das Vertrauen vermittelt zu erfahren, wie es sich anfühlt, weiter zu gehen.

5.

Ich habe weitgehend der Versuchung widerstanden, für die Drucklegung der Teishos Ergänzungen oder Korrekturen anzubringen mit Ausnahme der unbedingt notwendigen. Der unmittelbare Charakter der Worte im Austausch mit Übenden sollte nicht verloren gehen.

6.

Ich habe zu danken!

So für alle die Impulse, die ich erhielt, um diese Texte zu veröffentlichen.

Meinen Lehrern auf dem Zen-Weg: meinem verstorbenen Meister P. Johannes Kopp S.A.C. (Hôun-Ken Roshi), Klaus Appelmann (Cloud of Golden Breeze) und meiner verstorbenen ersten Ehefrau Marlis Fahrendorf (Cloud of Infinite Beginning).

Für die Zusammenarbeit mit meiner Ehefrau Ulrike Rögner-Fahrendorf, die mit ihren Illustrationen den Herzenscharakter dieses Buches mitgeformt hat.

Und schließlich Barbara Weber und Silke Kossak, denen ich seit vielen Jahren freundschaftlich - mit Barbara auch auf dem Zen-Weg - verbunden bin, für ihre wertvolle Arbeit der Durchsicht des Manuskripts und für ihre hilfreichen kritischen Anmerkungen und Anregungen.

Klaus Fahrendorf (Cloud of Merciful Awareness)

Bochum im Januar 2018

Kapitel 1

BEGINN

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Shôyôroku Nr. 94: Tôzan ist krank

I.

Wir alle üben Zen. Jeder auf seine Weise. Ja, jeder auf seine Weise. Damit ist nicht nur die Sitzposition auf dem Meditationskissen, dem Meditationsbänkchen, Hocker oder Stuhl gemeint, sondern auch die Art und Weise der sog. inneren Haltung: Atem zählen, ihn verfolgen oder begleiten, das Sitzen mit dem Koan „Mu“, sonstige Koan-Schulung oder bloßes absichtsloses Sitzen (jap. Shikantaza).

Und mehr noch! Es gibt eine Verschiedenheit der Ziele, besser: der Zielvorstellungen und/oder der Motivationen. Und diese wiederum kann die Art des Übens beeinflussen:

Es mag sein, dass einige von euch, insbesondere die, die den Atem zählen oder diesem folgen oder ihn begleiten, Zen ohne religiöse oder philosophische Elemente üben, weil sie – auf das Gesetz von Ursache und Wirkung vertrauend – durch die Zen-Praxis auf gute Wirkungen für ihre seelische/psychische und/oder physische Gesundheit hoffen und diese für sich spüren.

Das kann und wird vielfach der Ausgangspunkt für ein darüber hinaus zielendes Zen sein, ein Zen, das auf die Lösung des Problems des Lebens an sich, auf die damit zusammenhängenden Sinnfragen, auf die wahren Dimensionen unserer Existenz und die der Welt und des Universums ausgerichtet ist.

Das ist dann Zen im eigentlichen Sinne, aus der Mahayana-Tradition des Buddhismus kommend, und - anders als das zuvor angesprochene gewöhnliche Zen, jap. Bompu-Zen genannt - auf das Erreichen von Wesensschau/Erleuchtung (jap.: Satori; Kensho) ausgerichtet, auf ein Erwachen aus dem gewöhnlichen Bewusstsein hin zu der Erfahrung des – wie wir es zu umschreiben versuchen – wahren Selbst.

Obwohl also nicht jeder von Euch, die ihr mir heute zuhört, im letzteren Sinne übt, ist jedes Teisho als Darlegung des sog. Dharma, d. h. der tiefsten Wahrheit, auf die Kernaspekte des Mahayana-Zen gerichtet. Es muss dies sein, denn sonst würde ein Zen-Lehrer seine Berufung verraten.

II.

Ich schicke dies alles voraus, weil ich kurz ein Koan behandeln will, in dem es sehr dezidiert um diesen Wesensaspekt geht. Und ich wähle dieses Koan heute aus aktuellem Anlass, dem ich vorhin schon zu Beginn diesen Zazenkai (Meditationstag) gewidmet habe: dem sich anbahnenden Dahinscheiden meines Meisters P. Johannes Kopp S.A.C., Hôun-ken-Roshi.

Das Koan (Shôyôroku Nr. 94) lautet:

„Tôzan war krank. Ein Mönch fragte ihn: „Ihr, Meister seid krank. Gibt es denn jemand, der nicht krank wird?“ Tôzan sagte: „Den gibt es.“ Der Mönch sagte: „Pflegt euch, Meister, derjenige, der nicht krank wird?“ Tôzan sagte: „Der alte Mönch pflegt den anderen wahrhaft gut.“ Der Mönch sagte: „Wie ist es, wenn ihr, Meister, den anderen pflegt?“ Tôzan sagte: „Der alte Mönch sieht keine Spur von Krankheit.“

Tôzan ist krank, krank im herkömmlichen Sinne, vielleicht – wie Meister Ba in einem anderen Fall (Hekiganroku Nr. 3) – sogar sterbenskrank. Der Mönch, der wohl sein Diener ist und ihn pflegt, stellt ihm Fragen, die man nicht als Herausforderungen des Meisters, nicht als Prüfungsfragen und wohl auch nicht, jedenfalls nicht direkt, als Fragen auffassen kann, die der Mönch für sich stellt, weil er größere, endgültige Klarheit auf dem Weg erhalten will. Der Mönch wusste von einer „anderen“ Realität des Absoluten, der Leerheit der Wesenswelt, in der es „kein Gehen und Kommen, kein Gesund und Krank“ in unterscheidender Gegensätzlichkeit gibt. Er zielte wohl darauf, den Meister so auf diese auch von jenem erfahrene Wirklichkeit zu erinnern, um ihn auf den Trost und den Frieden auszurichten, „den die Welt nicht gibt“ (Joh 14,27, Einheitsübersetzung), „den die Welt nicht geben kann“ (a.a.O, Neue Genfer Übersetzung (NGÜ)). Und so kommt die Antwort des Tôzan: „Ja, den gibt es!“, nicht überraschend.

Die nachfolgende Frage: „Pflegt euch derjenige, der nicht krank wird?“, folgt weiter einem uns aus religiösen Zusammenhängen landläufig wohlbekanntem Muster: Die geheimnisvolle Wirklichkeit des Absoluten, christlich artikuliert: Gott(-Vater), Jesus Christus, Heiliger Geist, soll im Leid den Trost bringen als etwas, das von Krankheit und Tod nicht tangiert ist. Aber das ist dann eine getrennte Welt, eine dualistisch aufgeteilte Welt von relativer (phänomenaler) und absoluter Wirklichkeit.

Tôzan hat aber als Zen-Meister schon tief erfahren, dass beide Realitäten in Wirklichkeit nur eine sind, dass die phänomenale und oft durch erbärmliche Gebrechlichkeit, Schmerz und Leid gekennzeichnete Welt und die unendliche, schmerz- und leidlose Welt nicht getrennt sind. Erfahren als unmittelbare Wirklichkeit, nicht als Denkoder Glaubensmodell.

Deswegen kann Tôzan die Sache umdrehen, und tut dies, indem er sagt: „Ich, der alte Mönch, pflege den anderen gut.“ Das klingt zunächst nur wie eine Umkehrung der Dualität, ohne diese aber zu verlassen. Es hört sich an wie etwas Heroisches: Der leidende, sterbenskranke Mensch, überwindet sich, opfert sich, indem er sich ganz auf Jenseitiges ausrichtet – und das Diesseitige außeracht lässt und vernachlässigt. Aber so ist es nicht!

So auch nicht, wenn Tôzan abschließend sagt, in der Pflege des anderen „keine Spur von Krankheit“ zu sehen.

Wie das?

Tôzan ist zwar total ausgerichtet auf die Welt des Unendlichen, aber die leidvolle Situation wird nicht kaschiert. Die Schmerzen und die eigene Sterblichkeit werden nicht verdrängt, können es letztlich auch gar nicht. Die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit ist in der Pflege des anderen aufgehoben! Der alte Meister ist in der Berührung mit der absoluten, der göttlichen Wirklichkeit mitten in der Krankheit und dem Schmerz zutiefst gesund: „Au, oh tut das weh! Au!!“

Die eigentliche Krankheit ist nicht die Krankheit als Gegensatz zur Gesundheit, sondern die Ablösung beider von, die Trennung, die Heraustrennung von Gesundheit und Krankheit aus der absoluten Wirklichkeit. Die eigentliche Krankheit ist die Trennung!

So gibt der kranke Tôzan dem scheinbar gesunden Mönch eine Unterweisung!

So auch mein Meister, der die letzten Monate einzig allein und völlig darauf ausgerichtet war und ist auf „diese Pflege des anderen“, auf diese Erfahrung, die die dualistische Trennung von Gesundheit und Krankheit, von Leben und Tod, von uns und anderen aufhebt, auf diese Erfahrung, wo von Trennendem keine Spur mehr zu sehen ist.

„Zazen zu praktizieren, bedeutet, immer mehr zu erfahren, dass Du nahtlos mit dem ganzen Universum verbunden bist.“ (Kodo Sawaki)

Helfen wir P. Johannes und helfen wir uns, dass wir uns dessen immer mehr bewusst werden und zu dieser Erfahrung vorstoßen. Denn wenn wir nicht im Einklang mit uns sind, wie sollten wir dann pflegen und helfen können?

Wir haben ein wichtiges Erbe fortzusetzen! Danke!

(Zazenkai, 18. 6. 2016 in Bochum)

Immer ein Fragender sein

„Alles, was wir erkennen und besonders große Erkenntnisse, empfangen wir als eine Frage. Es ist die Frage, ob wir selbst das verwirklichen, was wir erkennen. Und eine solche Erkenntnis ist, dass wir selbst uns empfangen haben. Doch die Frage ist, ob wir bereit sind, was wir empfangen haben in Dank und Liebe zurückzugeben. In diesem Geben verwirklichen wir unsere Freiheit. Und das ist nichts anderes, als dass wir die Situation annehmen, wie sie ist, ohne Unterscheidung, ob sie unseren Wünschen entspricht. Alles, was wir empfangen haben, haben wir empfangen zum Gebrauch unserer Freiheit. Und darin sind wir frei: dass wir geben. So sei es noch einmal gesagt: Geben heißt, die Situation annehmen – in Dank und Liebe.

Das ist unser Grundverständnis, die Erkenntnis über allen Erkenntnissen: alles ist uns gegeben im Leben. Wir sind in Zeit und Raum geformte Liebe.

Es kann … geschehen in einer Prognose, in der uns ein jahrelanger Sterbeprozess angezeigt ist. Und dann verdeutlichen sich die Zeichen. Und es verdeutlicht sich die Frage, ob wir bereit sind, in Liebe zurückzugeben, was wir in Liebe empfangen haben. Und ob wir unsere Freiheit gebrauchen im o. k. dessen, was sich immer deutlicher zeigt.

Es ist die Frage, ob wir im Gleichen bleiben. Im Gleichen zu bleiben: im Geben, was wir empfangen. Geben, was wir empfangen, das heißt: in der Wellenlänge des unendlichen Lebens zu bleiben.“

Worte von P. Johannes Kopp S.A.C., Hôun-ken-Roshi, gesprochen und aufgezeichnet am 6. 10. 2015, dem Tag, an dem er die Teilnahme am monatlichen Zazenkai im Kardinal-Hengsbach-Haus in Essen-Werden aus gesundheitlichen Gründen abbrechen musste.

Da hören wir den „Sound“, den viele von uns über viele Jahre hinweg immer wieder vernommen haben.

Ich möchte dem noch etwas hinzufügen, da er es nun selbst nicht mehr direkt ergänzen, verdeutlichen und aktualisieren kann, indem ich seine Worte kontrastiere mit einem Zen-Koan aus der Koan-Sammlung von Dôgen Zenji, dem Shinji Shobogenzo Nr. 135 (Übersetzung D. Roloff, Eine Zen-Weisheit für jeden Tag des Jahres, 1. Juli; vgl. auch Gudo Wafu Nishijima, Die Schatzkammer der wahren buddhistischen Weisheit,S. 222).

„Meister Jôshû sagte zu seinen Mönchen: „Dieser alte Mönch hier will Euch Antwort geben, falls jemand es versteht eine Frage zu stellen. Also stellt eine Frage.“ Da trat ein Mönch hervor und verbeugte sich in Verehrung.

Jôshû sagte: „Dieser Mönch hier hat einen Ziegel weggeworfen, um ein Stück Jade zu bekommen. Doch er hat nur einen ungebrannten Ziegel herausgezogen.“

Und damit stieg er von seinem Sitz herab.“

Soweit der erste Teil dieses Koans.

Warum dieses Koan? Warum an dieser Stelle?

Es geht hier genau wie bei P. Johannes um die Frage! Um die essentielle Notwendigkeit, die Frage zu stellen, die im buddhistischen Kontext in den Koans immer wieder auftaucht: „Was ist Buddha? Was ist der Sinn von Bodhidharmas Kommen aus dem Westen?“ bis hin zu der Frage: „Wer ist jener Eine, von dem selbst Shakyamuni Buddha und Maitreya Buddha nur seine Diener, seine Knechte sind?“ (Mumonkan, Nr. 45)

Wer ist jener Eine? Wie erwidere ich „Deine unendliche Liebe“?

(Vinzenz Pallotti) Wie verwirkliche ich das, was ich glaube, wie das, was mir im Kleinen wie im Großen an Einsicht, Erkenntnis und Erfahrung geschenkt wird? Wie bleibe ich „im Gleichen“?

Wie geben wir, was wir empfangen?

Indem wir immer Fragende bleiben, immer wieder die Frage nach Verwirklichung stellen. Niemals die Versuchung durchgreifen lassen, wir hätten Es erreicht. Niemals uns mit vorläufiger Ruhe begnügen – auch wenn wir dankbar dafür sein dürfen - sondern eine heilsame Unruhe zulassen im Sinne eines „Weiter“ des Großen Entschlusses, besser: der Großen Entschlossenheit, von der im Zen die Rede ist.

Der Weise, der Erfahrene ist ein Fragender. Fragen bedeutet, nicht stehen zu bleiben und zuzugestehen: „Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht. Ich bin immer auf dem Weg!“

Diese Haltung ist das, was der Mönch bei Jôshû vermissen lässt. Er imitierte. Er ging nur mit dem Kopf und mit Berechnung heran. Er wollte eine große Vollendung zeigen und den Meister durch seine Verehrung quasi irreführen. Aber Jôshû durchschaute dies. Jôshû war in seiner Fragehaltung so tief vollendet, wie es uns das berühmte Koan MU zeigt.

Diese Haltung ist die, die P. Johannes in einem Moment, in dem ihm die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers so schmerzlich demonstriert wurde, aufleuchten ließ, indem er sich „mehr denn je“ der Frage stellte, ob wir das verwirklichen, was wir erkannt haben, ob wir geben, was wir empfangen haben, und zwar in jedem Moment, - und sich so motivierte, immer weiter zu fragen.

Ich möchte uns alle ermutigen, die Fragen, wie sie uns jeweils bewegen, zuzulassen. Unsere Frage, nicht eine vorgefertigte. Dieses Fragen ist es schon! Denn nur wer fragt, bekommt Antwort, die ihn tiefer in die Frage führt, und kann die nächste Frage stellen. Und letztlich geht es dabei um die Integration all dessen, was jeden von uns als Mensch, als Person ausmacht, in authentischer und origineller Weise.

Jeder von uns ist da gefragt!

Jeder von uns ist gefragt, sich auf sich selbst einzulassen!

Danke!

(Abendmeditationen in Bochum am 4. 7. 2016, in Dortmund-Lütgendortmund am 5. 7. 2016 und in Essen-Werden am 7. 7. 2016)

Auch jetzt – Immer im Beginn

Ein Mensch im Sterben. Was kann man da tun?

Was konnten wir Mitarbeiter da tun, die wir dort waren an der Seite von P. Johannes?

Ja, was kannst du da tun, wenn du dabei bist, an der Seite des Dahin-Gehenden, des sich immer mehr diesem Prozess hingebenden, immer mehr dort hineingezogenen Sterbenden? Du kannst dich in diese Präsenz und Transparenz des Unendlichen hineinbegeben, hineinziehen lassen und sie verstärken. Zu glauben: „Ach, was soll ich da schon tun, wenn ein Mensch verstummt, in seinem Bewusstsein versinkt oder besser: dieses sich weitet, wäre hingegen eine große Versuchung.

„Alles, was wir letztlich nur geben und nur empfangen können, ist: un- ser Zustand,“ sagte P. Johannes mir einmal vor nicht allzu langer Zeit.

Ein Mensch ist gestorben. Gestern Nachmittag, P. Johannes Kopp S.A.C., Hôun-ken-Roshi.

Und wieder die Frage: „Was können wir tun? Wie damit umgehen? Wie ist das mit Leben und Tod?“

Was können wir tun? Wir können anstelle der individuellen Dokusans, die normalerweise für einige von Ihnen angestanden hätten, jeder von uns gleich in der Stille des Zazen Dokusan haben mit P. Johannes. Dokusan ist ja eine Begegnung „im Heiligen Geist“, wie es an der Eingangstür zum Dokusan-Raum erbeten wird, also eine Begegnung im Wesensraum, im Kern nicht gebunden an Zeit und Raum. Und es ist eine Begegnung von Zustand zu Zustand, von So-Sein im Da-Sein.

Meine Bitte ist für heute Abend, dass sich jeder von Ihnen gleich in dieses Dokusan einreiht, mit allen seinen Kräften, mit seinem ganzen Gemüt und mit seiner ganzen Liebe, Dankbarkeit und ja, dies auch, mit seiner Trauer. In dieser Stille, die eingetreten ist und die mich erinnert an die Stille, wie sie traditionell in der Katholischen Kirche zwischen Karfreitag, zwischen Kreuzestod und Ostern, Auferstehung, gehalten wird.

In einem Koan (Hekiganroku Nr. 55: Dôgos Kondolenzbesuch) sagt ein Zen-Meister an einem Sarg mit einem Verstorbenen: „Nicht lebendig, nicht tot.“ Und auf die Frage seines Schülers: „Warum das?“ sagte er: „Ich sage es nicht, ich sage es nicht.“ Und am Ende dieses langen Koans sagt ein anderer Zen-Meister: „Die heiligen Gebeine des verstorbenen Meisters sind noch immer da.“

Auch ich will und kann Ihnen nichts sagen. Wir müssen es selbst realisieren: Das wahre Faktum von Leben und Tod, das Nichtwissen darüber, dass auch dann, wenn der Körper nicht mehr da ist, eigentlich nichts fehlt.

In Dankbarkeit, Liebe und Zuversicht in der Trauer lasst uns Nichtwissende nun ins Dokusan gehen.

Ich habe hier das gedruckte Heft in der Hand, was ich hiermit hochhalte: „Immer im Beginn – ein Gespräch mit P. Johannes Kopp“, so lautet der Titel.

Ja, das ist gut so!

Auch jetzt: IMMER IM BEGINN!

Danke!

(Abendmeditation am 23. 6. 2016 in Essen-Werden)

Kapitel 2

TI LOU JIN FENG

Hekiganroku Nr. 7: Echô fragt nach Buddha

Engos Einführung

Das eine Wort, das der Stimme vorausgeht,

selbst tausend heilige Weise könnten es nicht übermitteln.

Seid ihr nicht persönlich damit vertraut,

bleibt ihr dreitausend Welten davon entfernt.

Doch selbst dann, wenn ihr das kennt, was der Stimme vorausgeht,

und allen Menschen unter dem Himmel

die Zunge herausgeschnitten ist,

seid ihr immer noch nicht leuchtend klar.

Darum heißt es: „Der Himmel kann es nicht bedecken,

die Erde nicht umfassen, der leere Weltraum nicht enthalten,

Sonne und Mond können es nicht erhellen.“

Könnt ihr euch auf buddhalosem Platz

als einzig Welt-Erhabener erkennen,

dann habt ihr es zum ersten Mal ein bisschen berührt.

Wer diesen Zustand noch nicht erreicht hat,

muss ihn durch eine Haarspitze von Grund auf erfahren

und in alle Richtungen ein großes Licht ausstrahlen.

Seid ihr in Bezug auf den Dharma absolut frei,

dann wird niemals etwas, was ihr anpackt, unpassend sein.

Aber sagt mir:

Was müsst ihr erlangen, um derart außergewöhnlich zu sein?

Wieder frage ich: Hat das jeder verstanden?

Niemand kennt den Schweiß der Rösser vergangener Zeiten;

der epochale Sieg muss neu erörtert werden.

Doch, dies mal beiseite gestellt,

was sagt ihr zu Setchôs Koan? Schaut, was folgt!

Der Fall

Ein Mönch namens Echô fragte Hôgen: „Echô fragt Euch, Meister, was ist Buddha?

Hôgen antwortete: „Du bist Echô.“

Setchôs Vers

Im Land des großen Jangtse-Flusses

weht kaum ein Frühlingswind.

Die Rebhühner tschilpen

Mitten unter Blumen.

Am dreistufigen Wasserfall gehen die Wellen hoch.

Karpfen werden zu Drachen und steigen zum Himmel auf.

Törichte suchen noch in der Dunkelheit

nach ihnen im Teichwasser.

Teisho

Wie ich jetzt so vor Ihnen sitze, die Erwartung spüre und ich nun etwas sagen soll, so lässt es mich zögern, damit zu beginnen. Denn alles, was wir sagen, trifft letztlich nicht das Gemeinte, bleibt immer unvollständig, ist möglicherweise missverständlich, jedenfalls dann, wenn wir es mit einem unterscheidenden Geist hören. „Zen ist der größte Betrug aller Zeiten“, sagte provokativ Kodo Sawaki.

Aber wir sind in einem Sesshin! Und in dem Programm des Sesshins steht: „10 Uhr: Motivation“. Und so seien wir motiviert, uns motivieren zu lassen!

In der heutigen Motivation, der ersten in diesem Sesshin, geht es um ein ganz kurzes Koan mit einer sehr langen Einführung. Ich habe Ihnen Einführung, Fall und Vers gerade vorgelesen, obwohl Sie den Text ausgedruckt vor sich haben, damit wir auf diese Weise ungefiltert seinen poetischen und spirituellen Gehalt auf uns wirken lassen können.

Warum habe ich dieses Koan für heute ausgewählt? Genau kann ich dies nicht beantworten. Aber es hängt zusammen mit dem Datum: 8. 12. Denn dieser Tag ist sowohl für die buddhistische wie auch für die christliche Tradition von Bedeutung.

Es ist der Tag, an dem nach der buddhistischen Überlieferung Shakyamuni Buddha in den frühen Morgenstunden beim Aufleuchten des Morgensterns seine tiefgreifende Erleuchtungserfahrung gemacht hat.

Es ist in der katholischen Kirche der Feiertag der unbefleckten Empfängnis Mariä. Unbefleckte Empfängnis hat – entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis – nichts mit der Jungfrauengeburt zu tun, wie es als katholisches Dogma gelehrt wird, sondern damit, dass Maria als Mutter Jesu frei vom Makel der Erbsünde gewesen sei.

Beide Überlieferungen bringen – obwohl nicht ohne weiteres erkennbar – in einem Punkt etwas Gemeinsames zum Ausdruck: Es gibt reines Sein. Und: Es kann zum Zuge kommen, es kann sich manifestieren – in dieser Welt. Es gibt die absolute Wirklichkeit, an der wir alle Anteil haben, ja mehr noch, die in uns ist, die wir sind:

„Alle Lebewesen haben Buddhanatur“, so lehrt es Buddha. Und Paulus sagt: „Christus ist in euch, die Hoffnung auf die Herrlichkeit“. (Kol 1, 27) Und Jesus selbst sagte: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“. (Joh 14, 6)

Und nun Echô in unserem Fall. Er ist Mönch. Er weiß ganz sicher, dass nach der Lehre Buddhas alle Lebewesen ihrer Natur nach Buddhas sind, die Buddhanatur haben. Was also soll die Frage an Hôgen, seinen Zen-Meister: „Was ist Buddha?“

Immer und immer wieder geht es in vielen Koans um diese Frage. In allen möglichen Variationen wird sie den Zen-Meistern gestellt und in vielfältigster Art und Weise „beantwortet“.

Hier nun haben wir es mit Hôgen Zenji zu tun, der im 9. Jahrhundert nach Christus in China lebte und eine der damaligen Hauptlinien des Zen begründete, eine bedeutende Zenpersönlichkeit also. Und noch einmal: Was soll diese Frage? Und was soll diese Antwort? Der Mönch ist auf der Suche nach Wahrheit, nach Erkenntnis. Und was erhält er? Eine Antwort, die nach normalem Verständnis, nach Alltagsverständnis an der Frage vorbeigeht und ratlos macht. Wir alle kennen solche an Fragen vorbeigehende Antworten. Ist dies aber hier auch so? Nein, natürlich nicht. Hôgen hatte nicht etwas Anderes, vermeintlich Wichtigeres als die Frage im Sinn. Er wollte auch nicht ausweichen. Nein, ganz im Gegenteil!

Wie fragen wir als Christen an der Stelle des Mönchs? „Was ist (mit) Gott? Was ist (mit) Christus?“ Besser noch: „Wer ist Gott, wer ist Christus? Wer bin ich?“ So müsste die Frage ja wohl lauten.

Wir alle wollen geliebt und gesehen werden. Geht es darum in der Frage dieses Koans? Geht es um die Erlangung von Hilfe, Trost und Erfülltsein im Sinne eines „heilsegoistischen“ Strebens? Ist das die Botschaft des Koans? Oder ist es etwas anderes, nämlich die Suche nach der Buddhanatur als Wahrheit an sich, christlich gesprochen, nach Gott an sich, so wie er in Jesus Christus Gestalt angenommen hat? Wir dürfen annehmen, dass es dem Mönch hierum ging, um die Realisierung einer solchen Wahrheit also in sich.

Wenn nun Hôgen ernsthaft als Meister antwortet, wie er es tat, was wollte er sagen? Was hat er gesagt? Hat er vielleicht gesagt: „Du bist Echô“ in dem Sinne. „Du bist nicht Buddha“? Dann wären wir in einem ähnlichen „Strickmuster“ wie bei Jôshûs MU, was ja eine Verneinung bedeutet, „Nein“ bzw. „Hat nicht“ heißt.

Eine derart zu verstehende Antwort wäre eine blanke Verhöhnung/Verneinung des Kerns der Buddhalehre und der Frage des Mönchs. Es ist doch gerade die Verfasstheit des Mönchs, sich getrennt zu erleben, Erleuchtung für schwer erreichbar zu halten, weil er den Gedanken hegt, der lautet: „Ich bin gewöhnlich“, und er deshalb fragt: „Was ist dann Buddha?“

„Wir sind Unendlichkeitswesen,“ hörte ich aber oftmals von P. Johannes Kopp. „Jeder ist vollkommen,“ so sagte es der japanische Zen-Meister Bassui Zenji aus dem 14. Jahrhundert (Bassui Tokushô, Den Menschen befreien, Gespräche eines Zen-Meisters, 2001, S. 19).

Hôgen hat genau zugehört. Er hat sogar so genau und auf eine Weise zugehört, dass er zu dieser Antwort kam: „Du bist Echô“. Um es in der Sprache des Zen zu erläutern: Er hat nicht nur Ohren und Zunge benutzt. Er sieht die Ernsthaftigkeit des Fragenden, die existentielle Bedrängnis, dass da jemand ist, der - wie es oft formuliert wird – die große Angelegenheit von Leben und Tod verstehen will. Er sieht Echô voll und ganz. Keine Trennung ist zwischen ihm und Echô. So schleudert Hôgen aus der zweigeteilten dualistischen Frage einen Teil „Echô fragt Euch“ dieses „Ich, Echô“ wie einen Bumerang postwendend zurück: „Ja, du bist Echô.“ Und dieser Bumerang trifft präzise. Aufgrund des Kommentars von Setchô dürfen wir davon ausgehen, dass Echô so Erleuchtung erfuhr.

Der Bumerang wird prompt und präzise geworfen, und mit der Antwort kann eigentlich nichts angefangen werden, kein weiterer Inhalt, keine Bedeutung. Aber: „PLONG!“ Was ist meine wahre Existenz, meine eigentliche Identität? „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen,“ heißt es bei Jesaja (Jes. 43, 1).

Es gibt eine ähnliche Koangeschichte über Hôgen und diese Art seines Lehrens, nämlich die Geschichte vom „Lampenträger der nach dem Feuer fragt“ (Keitoku Dentôroku). Diese Geschichte fasziniert mich immer wieder neu. Sie geht so:

„Der Lampenträger fragt nach dem Feuer!

Meister Hôgen fragte den Mönch Soku: „Warum kommst Du eigentlich niemals zu mir ins Zimmer, um nach der Buddha-Natur zu fragen?“

Soku antwortete: „Ich habe diese Frage bereits meinem ersten Lehrer ge- stellt, der mir daraufhin den Satz: „Der Lampenträger fragt nach dem Feuer!“ zur Antwort gegeben hat.“

„Eine gute Antwort“, räumte Hôgen ein, „nur glaube ich, dass Du sie nicht richtig verstanden hast. Erkläre sie mir doch einmal!“

Soku erwiderte: „Nun, der Lampenträger fragt nach etwas, das er ja schon die ganze Zeit mit sich herumträgt. Und genauso ist es mit der Buddha-Natur; auch ich trage sie schon fortwährend mit mir herum.“

„Das habe ich mir doch gleich gedacht“, hielt ihm Hôgen entgegen, „Du hast es völlig missverstanden!“

Soku ging daraufhin enttäuscht und wütend davon, fest entschlossen, dem Kloster von Hôgen für immer den Rücken zu kehren. Aber kaum war er unterwegs, wurde er nachdenklich, denn schließlich war doch Hôgen ein hochgeachteter Meister mit Hunderten von Schülern. „Vielleicht“, so dachte er sich, ist an den Worten des Meisters doch etwas Wahres dran. Beschämt kehrte er zu Hôgen zurück, entschuldigte sich und bat um Unterweisung.

Hôgen willigte ein und sagte: „Frage nur zu, ich werde Dir antworten.“

Und Soku fragte: „Was hat es mit der Buddha-Natur auf sich?“

Hôgen antwortete: „Der Lampenträger fragt nach dem Feuer!“

Bei diesen Worten erfuhr Soku ganz plötzlich große Erleuchtung.“

(Keitoku Dentôroku; vgl. auch Yamada Kôun, Hekiganroku, S. 97; Dôgen Zenji, Shobogenzo, „Bendôwa“, Bd. I, S. 42 f.; Dôgens Extensive Records, 2010, Vol. 1 Nr. 15, S. 86 ff.)

“Du hast es völlig missverstanden.” Und dann zurückgeschleudert: „Der Lampenträger fragt nach dem Feuer“ und im vorliegenden Koan: „Du bist Echô.“ Und der Mönch erfährt seine eigene wahre Natur, unmittelbar. Wie das?

Etwa, weil die Entgegnung seines Meisters ihm einen Sinn erklärt hätte? Nein, denn das wäre ja nur das gewesen, was der Mönch als Teil der buddhistischen Lehre wusste. Wenn du aber nicht an Worten und auch nicht an einem Sinn haftest, ihn suchst oder vermeintlich glaubst, erfasst zu haben, was dann?

Warum sagt Hôgen das? Und was sagt Hôgen eigentlich? Hier liegt der Knackpunkt des Koans. Hier ist der wesentliche Punkt.

„Der Weg ist keine Angelegenheit von Wissen oder Nichtwissen. Wirf einfach alles fort, kehre zu dir selbst zurück und schaue in dich hinein. Wer ist das? Verschwende keine Zeit. Die Zeit wartet auf niemand.“ So sagt es Bassui Zenji (a.a.O., S. 44).

Ähnlich klingen die folgenden Worte, die Dôgen Zenji zur Koangeschichte vom Lampenträger an seine Mönche richtete: „The fire boy comes seeking the fire. How much do the pillars and lanterns care about the brightness? The fire is covered with cold ashes and while searching we don´t see it. Lighting it and blowing it out again gives birth to practice.” (Dôgens Extensive Records, S. 88)

Ungefähre Übersetzung: „Der Lampenträger kommt und sucht das Feuer. Kümmern sich die Säulen und die Laternen etwa um die Helligkeit? Das Feuer ist von kalter Asche bedeckt, und solange/während wir es suchen, sehen wir es nicht. Es anzuzünden und es wieder auszublasen, bringt Praxis hervor.“

Dazu möchte ich auch noch auf die Einführung zum Koan und den Vers eingehen, soweit es die Zeit erlaubt.

Was ist mit dem einen Wort, das der Stimme vorausgeht und das nicht übermittelt werden kann? Können Sie es zeigen, es sagen? Und was hat das mit dem Fall zu tun?

Jedenfalls gibt die Einführung einen Hinweis: „Könnt ihr euch auf buddhalosem Platz als einzig Welt-Erhabener erkennen, dann habt ihr es zum ersten Mal ein bisschen berührt,“ so heißt es dort ja. Dort, wo es also keine Vorstellung mehr von Buddha, Gott, Christus, Wirklichkeit, Gewöhnlichkeit oder Helligkeit und einem Ich-Zentrum gibt, das dies alles entwickelt, analysiert und einteilt - dort, wo wir, wie Meister Eckhart sagte, all dessen „ledig“ werden - geschieht Wesensberührung, Wesensschau, Erfahrung des wahren Selbst.

Als der Mönch Echô seine Frage stellte, wehte noch kaum der Frühlingswind (s. den Vers), aber als Hôgen antwortete, wurde im poetischen Bild des Verses der Karpfen zu einem mächtigen Drachen. Das Fischen im trüben Teichwasser nach Sinn und Erklärung: vorbei! „Wenn dein Geist ungetrübt ist, dann bist du genauso, wie du bist, Buddha.“ (Bassui Zenji, a.a.O., S. 44)

Dahin kann uns was führen? Die Praxis des Zazen - in Erstreckung auf unser gesamtes Leben! Durch sie, in ihr kann erfahren werden, was buddhistisch gesprochen bedeutet, dass uns die Buddhanatur ursprünglich innewohnt. Ein Christ kann so zur Erfahrung gelangen, dass Christus in uns ist und dass wir – wie im Grundgebet ausgedrückt – „in unendlicher Liebe erlöst sind“.

Deswegen üben wir, wie Dôgen Zenji schon sagte (Shobogenzo, Bd. I, Kap. 1 Bendôwa, S. 42 f.) und wie ich es von P. Johannes Kopp, Hôun-ken Roshi vor gut einem Jahr in Bezug auf den Kreuzestod Jesu Christi und dessen Bedeutung für Christen auf dem Zen-Weg hörte. Wieso sonst hätten Shakyamuni Buddha und Jesus Christus das gelebt, das erlitten, das gelehrt, was und wie sie es getan haben?

Daher möchte ich Sie gerade in diesem Sesshin ganz praxisbezogen motivieren:

Was auch immer die wichtigste Frage für Ihren Weg ist, in der Praxis der Übung auf dem Kissen und in Ihrem Leben,

-nehmen Sie sie wahr,

-benennen Sie sie, geben Sie ihr Raum in Ihnen, in Ihrem Herz-Geist

-und lassen Sie geschehen, was geschieht, wenn Sie sich immer weiter dafür öffnen.

Es ist und bleibt ein wichtiger Teil unserer Arbeit, aus unserem Verfangensein in unseren emotionalen Abläufen und unseren Vorstellungen hinauszufinden, aus unseren Reaktionen auf das, was das Leben uns antut, besser: uns anzutun scheint.

Das erfordert, in Ausdauer, Treue und Vertrauen ganz simpel uns und das Leben mit unseren Reaktionen und Zielen genau zu beobachten, wirklich all das wahrzunehmen, was ist und wie es ist, und dies mit einer genauen, liebevollen Achtsamkeit unserer auch körperlich wahrnehmbaren Empfindungen zu verbinden. Wir sind nichts anderes als das, was wir im Moment sind, was wir mit unseren Gaben und Eigenschaften, Eigenarten, unseren Lebenserfahrungen, Verletzungen und unseren glücklichen, schönen Momenten geworden sind. Das ist das Material unserer Übungsarbeit, immer und immer wieder.

… Immer und immer wieder!

Und immer wieder blinkt der Morgenstern auf und es geschieht, was mir geschehe.

Danke!

(Meditationskurs in Essen-Werden am 8. 12. 2015)

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Hekiganroku Nr. 27: Ummons „Vollkommene Manifestation“

Engos Einführung

Wird eine Frage ihm gestellt, beantwortet er zehn.

Wird ein Problem genannt, klärt seine Antwort drei.

Sobald er den Hasen sieht, lässt er den Falken fliegen.

Das Feuer facht er an, wie es dem Wind entspricht.

Nicht knauserig ist er mit seinen Augenbrauen.

Doch lasst diese Angelegenheit mal beiseite:

Wie ist es, wenn man die Höhle des Tigers betritt?

Ich gebe euch ein Beispiel. Schaut!

Der Fall

Ein Mönch fragte Ummon: „´Was ist, wenn der Baum verdorrt und die Blätter fallen?“

Ummon antwortete: „Vollkommene Manifestation des goldenen Windes.“

Setchôs Vers

Die Frage enthält schon das Wesentliche.

Ebenso gehaltvoll ist die Antwort.

Drei Aussagen sollten dabei klar werden.

Durch die Leere fliegt ein einzelner Pfeil.

Eisiger Wirbelwind pfeift und heult durch die weite Ebene.

Nieselregen bedeckt den endlosen Himmel.

Seht ihr nicht den lang sitzenden Wanderer von Shôrin,

der niemals zurückkehrt?

Friedlich lagert er im Gras des Yuji-Bergs.

Teisho

I.

Von Kurt Tucholsky stammt folgendes Zitat:

„Wenn ich jetzt sterben müsste,

würde ich sagen:

„Das war alles?“

Und: „Ich habe es nicht richtig verstanden.“

Und: „Es war ein bisschen laut.“

Wie empfinden Sie diese Worte? Was sagen sie über uns aus? Irgendwie schon eine ganze Menge, oder? Haben Sie es richtig verstanden? Haben Sie nicht das Gefühl, die Vorstellung, es müsste noch was Größeres, Tolleres, Gewaltigeres, Erfüllenderes passieren in Ihrem Leben, in Ihrer Übung auf dem Weg der Zen-Kontemplation? Und laut, ja laut ist es in diesem Leben ja auch.

Schauen wir noch etwas genauer hin, so fällt auf, dass Tucholsky hier einen versteckten Dialog wiedergibt, von dem wir aber nur die Hälfte präsentiert bekommen. Auch sagt er nicht, mit wem dieser Dialog, den er fiktiv darstellt, aber in Wirklichkeit ja gerade mit sich führt, stattfindet. Aber, wie es mir gerade in der Formulierung ja schon entschlüpfte: „mit sich“. Wir können das benennen: „mit seinem wahren Selbst“.

Auf die Frage: „Das war alles?“ bekommt er nicht die Antwort: „Nein, das war noch nicht alles.“, so dass er beruhigt aufatmen könnte: „Ach ja, dann ist ja gut.“ Oder so ähnlich. Nein, er ahnt eine andere Antwort, die ihm Hoffnung abschneidet, die das unabänderlich Anstehende, das Sterben, als unbedingt feststehend bestätigt. Und so versucht er, wenn dies alles ist, es anders: „Ich habe es nicht richtig verstanden“, das Leben. Und als er wiederum damit aufläuft, dies ihm auch keinen Aufschub bringt und er auch keine Entschuldigung und keine Erklärung für seine allererste Frage erhält, kommt als Entschuldigung, als Erklärung oder gar als Einsicht vielleicht: „Es war ein bisschen laut“.

Dieses „es“, dieses „das“: unser Leben, an dem wir hängen, was wir verstehen wollen, was wir – gleichwohl – durchweg so leben, dass wir im Lärm uns nicht verstehen, die Welt nicht verstehen, die anderen Menschen oft erst recht nicht… Wir hören nicht genau hin, zu viel Lärm – nicht nur physisch, sondern auch in unserem Fühlen und Denken und Handeln. Und die nicht zu tilgende Vorstellung, man müsse etwas verstehen können, den Sinn des Lebens verstehen können. Begreifen, Ergreifen, Ergriffenwerden, Sein-Lassen, das könnte es sein!

In dem Roman von Richard Ford „Der Sportreporter“ kommt auf S. 400 von 402 Seiten der Ich-Erzähler zu folgender Erkenntnis:

„Die einzige Wahrheit, die nie eine Lüge zulässt, ist das Leben selbst – das, was geschieht.“

Wir, als Übende auf dem Weg der Zen-Kontemplation fügen hinzu: „das, was geschieht JETZT.“

Was kann man tun? Damit man in dem Moment des Sterbens nicht verständnislos fragt, ob das Bisherige schon alles gewesen sei?

Ich kannte einen Menschen, der, als es ernst wurde und der Tod – wie wir schon lange wussten – unwiederbringlich nahte, nicht gefragt hat, sondern fraglos Abschied genommen hat, mit gerade 60 Lebensjahren, auf den Tag genau, vor sieben Jahren. Es war Marlis Fahrendorf (Cloud of Infinite Beginning), mit der ich vor 26 Jahren den Zen-Weg begonnen habe, und ohne die ich heute hier nicht säße.

Am 9. 12. 2008 war –genau wie jetzt – hier Sesshin. Genau wie heute hatte P. Johannes Kopp Geburtstag. 81 Jahre alt wurde er, als ich ihn frühmorgens vor Beginn der Morgenmeditation kurz vor 6 Uhr aus dem Sterbezimmer im Hospiz St. Hildegard in Bochum, in dem ich das Sterben begleiten, mit vollziehen, mit durchsterben durfte, anrief und ihm in seinen Geburtstag hinein den Tod von Marlis um 5 Uhr mitteilte.

Ich glaube, Sie verstehen, warum es für mich eine besondere Aufgabe ist, in dem gegenwärtigen Umbruch für unser Programm „Leben aus der Mitte“ genau dieses Leben aus der Mitte, so weit und so tief es mir möglich ist, weiter zu vermitteln. Gerade dieses Sesshin mit Ihnen gemeinsam halten zu dürfen, im Beisein von P. Johannes, auch wenn er nicht körperlich hier anwesend ist, berührt mich sehr.

Meine Bitte: Lasst uns – jeder ganz in seinem Zustand, egal wie unvollkommen er ihn empfindet oder bewertet – gemeinsam das Licht aufstrahlen lassen und am Leben erhalten, welches durch die Zeugen des Weges in einem mit einem Geburtstag zusammenfallenden Tod und in einem mit dem Tod zusammenfallenden Geburtstag entzündet worden ist.

II.

„Ein Mönch fragte Ummon: „Was ist, wenn der Baum verdorrt und die Blätter fallen?“ Ummon antwortete: „Vollkommene Manifestation des goldenen Windes.“

Das ist Koan Nr. 27 aus dem Hekiganroku, dessen Text mit Einführung und Vers Ihnen vorliegt.

Auch hier fragt jemand. Diese Frage betrifft auch ersichtlich den Fragenden selbst. Genauso wie in dem handgeschriebenen Haiku von Marlis, das neben meinem Schreibtisch an der Wand hängt:

„Spät im November

Wechselt er noch sein Gewand,

Der gelbe Kirschbaum.“

Auch hier geht es – um uns selbst.

Ja, was ist, wenn der Baum verdorrt und die Blätter fallen?

Ich bin sicher, wie bei uns allen dazu unsere Gedanken kreisen, wirr und heftig. Was soll man da sagen? Welche Antwort gibt es auf diese Frage? Was bedeutet diese Frage? Und wir spüren genau diese Hilflosigkeit, die uns vielleicht auf den Übungsweg gebracht hat. Keine Antwort möglich. Das Denken schafft es nicht. Wissen darüber gibt es nicht.

Und was macht der große Zen-Meister Ummon (864 – 949 n. Chr.)? Er sagt: „Ti lou jin feng.“