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Strategieumsetzende PE und Führungskräfte-Entwicklung

Hg. Rolf Th. Stiefel

Der Autor

DR. ROLF TH. STIEFEL, Stammhauslehre bei Siemens, Dipl.-Kfm., Dipl.-Hdl., Dr. rer. comm.; mehrjährige Lehr- und Forschungstätigkeit an einer Business School in Genf und Durchführung von Forschungsprojekten mit finanzieller Unterstützung des Canada Council, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Konrad Adenauer-Stiftung an verschiedenen Universitäten in USA und Kanada. Seit 1975 selbstständiger Management-Trainer und FKE-Berater; 1986 Gründung der Dr. Rolf Th. Stiefel & Partner AG in St. Gallen, die sich mit der Entwicklung und Realisierung von strategieumsetzenden Lernsystemen spezialisiert hat. Während seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit hat der Autor verschiedene Projekte der Führungskräfte-Entwicklung für zahlreiche deutsche DAX-Unternehmen und Schweizer SMI-Unternehmen durchgeführt und auch die öffentliche Verwaltung in der Führungskräfte-Entwicklung beraten. Er ist Autor zahlreicher Aufsätze in in- und ausländischen Fachzeitschriften und von über 20 Büchern zu Themen der Management-Weiterbildung; von 1979 bis 2017 Herausgeber von MAO. Kontakt: stiefel@stiefel-rolf-th.ch

Rolf Th. Stiefel

Führungskräfte-Entwicklung –

Worüber man in der Praxis ungern spricht

Ein Insider berichtet

– EHP 2018 –

Umschlagentwurf: Uwe Giese
– unter Verwendung zweier Fotos von Beate Claus und K.T. Schwall –

Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin
Gedruckt in der EU

Alle Rechte vorbehalten

print-ISBN 978-3-89797-107-3
epub-ISBN 978-3-89797-504-0
pdf-ISBN 978-3-89797-505-7

E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de

Inhalt

Einführung

Begriffliches

Meine wissenschaftsmethodische Verortung

Akteure auf dem FKE-Spielfeld

Einige Mythen und Alternativmythen der großbetrieblichen FKE

Professionelle Kunstfehler in Unternehmen – Einige Beispiele

Tricks und Maschen der externen Partner der FKE

Unklarer Bedarfsbegriff als zentrale Ursache mannigfacher Fehlentwicklungen in der FKE

Kaleidoskop von »Schnappschüssen« aus der FKE-Wirklichkeit

Wie sich die externe Szene präsentiert

Was kann man gegen die Missstände in der FKE tun?

Statt eines Schlussworts

Anhang

Gaunerverhalten lässt sich bewerten – Ein Einschätzungsinstrument für die FKE-Praxis

Abkürzungen

Literatur

»How can we distinguish between the charlatans and the rest? There are a few initial rules-of-thumb to follow. The first is that anything that you suspect is bunk almost certainly is.«

(MICKLETWAIT/WOOLDRIDGE 1996, S. 324)

Einführung

Führungskräfte-Entwicklung (FKE) gilt gemeinhin als Königsdisziplin der Personalentwicklung (PE). Weil sich die FKE in Unternehmen und bei überbetrieblichen Einrichtungen wie Business Schools mit ihren Executive Development-Programmen und Management-Instituten mit ihren Führungsseminaren selbst so elitär begreift, war man auch davon überzeugt, dass man sich keiner Kritik stellen muss. Hätte man die FKE mit professionellen Kunstfehlern, Korruption und Gaunerverhalten bei ihren externen Partnern in Verbindung gebracht, dann wäre man als Kritiker schnell in Verruf geraten. Die ehrenwerte FKE, in die Millionen von Euro und Franken von Seiten der Unternehmen – oft ohne jegliche Evaluierung – fließen, ist gleichsam sakrosankt.

Ich möchte gegen Ende einer langen beruflichen Tätigkeit, in der ich die FKE aus Sicht eines überbetrieblichen Management-Instituts, aus der Perspektive der universitären Erwachsenenbildung und als handelnder Akteur für zahlreiche Unternehmen im gesamten deutschsprachigen Raum erlebt habe, eine eher kritische Position einnehmen und über verschiedene Aspekte einer fragwürdigen FKE-Wirklichkeit berichten. Diese Seite der FKE-Wirklichkeit wird gemeinhin ausgeblendet oder unterdrückt. Wer will denn schon den Ast absägen, auf dem er sitzt, wenn er als Insider eine besonders kritische Position einnimmt.

Es gibt in den meisten FKE-Veröffentlichungen eine Überbetonung der Darstellung der inhaltlichen Seite der FKE und eine markante Unterbelichtung der Personen und auch der Institutionen, die im gesamten Kosmos der FKE eine Rolle spielen. Ich möchte deshalb in der vorliegenden Arbeit die Akteurperspektive in den Vordergrund rücken, indem ich in Form von Geschichten, informativen Schnappschüssen und Nahaufnahmen eines Akteurs und teilnehmenden Beobachters des erlebten FKE-Kosmos über die unbekannten Seiten der FKE berichte. Das Erzählen von Geschichten und die kommentierten Szene-Schnappschüsse treffen eher den ikonischen Lernstil von Führungskräften. Dass ich neben meinem reflektierten Erfahrungswissen – als einer Form meiner Erkenntnisgewinnung – mich zudem als sehr guten Kenner der Fachliteratur sehe, kann auch in dem einen oder anderen Abschnitt zum Ausdruck kommen.

Ich werde meine kritische Betrachtung der FKE-Wirklichkeit nicht ohne Vorschläge abschließen, was man firmenseitig unternehmen kann, um nicht mehr Opfer der eigenen Mythen oder zum Ziel von Trainingsgaunern und fragwürdigen Instituten zu werden. Wenn man in Unternehmen nach der Lektüre meiner Arbeit etwas verändern möchte, ist neben der FKE-Abteilung vor allem die Geschäftsführung (GF) in der Verantwortung. Dazu gehört nicht nur die Etablierung neuer Systeme und Prozesse in der FKE, sondern vor allem eine Veränderung der eigenen Rolle – real und nachvollziehbar und nicht in der Form von neuen Fensterreden. »In order to get different results, you must do different things« – wie der bekannte Management-Guru PFEFFER (2005, S. 124) diesen Sachverhalt mit einer simplen Management-Weisheit umschrieben hat.

Begriffliches

Ich möchte einige Begriffe meiner Arbeit voranstellen, weil damit die Differenzierungsschärfe verdeutlicht werden soll, mit der ich die FKE auf den Prüfstand stelle. Zum zweiten wird der jeweilige Begriffsinhalt und -umfang präzisiert, an dem ich mich im Folgenden ausrichte.

Die FKE ist noch weit davon entfernt, Gegenstand einer bestimmten Fachdisziplin zu sein. Zu Beginn der systematischeren Weiterbildung von Führungskräften in Unternehmen waren es bei uns vor allem Volkswirte und Betriebswirte, die nach Auswertung der amerikanischen Erfahrungen auch die Notwendigkeit der Weiterbildung des Führungspersonals bei uns postulierten. Diese Vertreter traten besonders für den Aufbau externer Institute ein, z. B. mit einer Denkschrift zur Gründung des Universitätsseminars der Wirtschaft (USW), und sahen in der Führungskräfte-Weiterbildung im Wesentlichen eine inhaltliche Fragestellung, die später durch die Forderung nach speziellen Lehrmethoden ergänzt wurde. (ARNDT et al 1967)

Heute finden sich in der FKE Vertreter verschiedener Disziplinen aus den Sozialwissenschaften, die mit ihrer jeweiligen Fachterminologie in der praktischen FKE arbeiten. Der Versuch, die FKE als Identitätsobjekt einer eigenständigen Fachdisziplin zu verfolgen, hat sich nicht durchgesetzt. Die von mir geprägte Begrifflichkeit der Management-Andragogik, die sich der Besonderheit des Lernens von professionell arbeitenden und sich entwickelnden Erwachsenen mit Führungsverantwortung in Organisationen annimmt (STIEFEL 1967, S. 439 ff.), ist in ihrer Differenziertheit in der Praxis nur in Ansätzen erkennbar.

Im Folgenden nun die wesentlichen begrifflichen Werkzeuge.

Personalentwicklung (PE) – Human Resource Development (HRD) – Führungskräfte-Entwicklung (FKE) – Talent Management (TM) – Human Resources (HR)

Personal oder neudeutsch Human Resources (HR) bilden das begriffliche Dach, unter dem das Teilsystem PE – neben anderen Teilsystemen wie Rekrutierung – angesiedelt ist. PE befasst sich mit der Entwicklung aller Mitarbeiter eines Unternehmens. Für PE steht in der Praxis häufig Human Ressource Development (HRD) weil es in der Wirtschaft einen Trend zur Verwendung von Anglizismen gibt.

FKE ist ein Teil von PE, der sich nur mit der Entwicklung von Führungsverantwortlichen und zumeist Führungsnachwuchskräften befasst.

Der modische Begriff Talent Management (TM) ist kein Fachbegriff, sondern eine von der Beraterszene lancierte nebulöse Begrifflichkeit, die mannigfache Facetten enthält, wie ein Beitrag in einer anspruchsvollen Fachzeitschrift aufzeigt (DRIES 2013, S. 272 ff.). In manchen Unternehmen steht der Begriff für die gesamte FKE-Arbeit; in der Mehrzahl verfolgt man unter TM nur die Entwicklung von Potentialträgern (sogenannten »high potentials«). Daneben hat man in manchen TM-Praktiken auch die Suche und Rekrutierung von Potentialträgern als Aufgabe angesiedelt. Dieser Teil der HR-Arbeit wurde früher als Hochschulmarketing verfolgt.

Ich kann für mich erfahrungsbasiert festhalten, dass die Verwendung von modischen Anglizismen in der praktischen Entwicklungsarbeit in Unternehmen nicht unbedingt für Qualität steht, sondern eher zur »Schaufenstergestaltung« gehört – ein Merkmal, das sich auch in vielen anderen Bereichen der FKE manifestiert.

FKE als Entwicklung einzelner Führungskräfte und des gesamten Managements

Die FKE kann sich auf den einzelnen Manager ausrichten, der bereits in einer Führungsverantwortung ist oder als Nachwuchskraft auf Führungsaufgaben vorbereitet werden soll. Die FKE kann sich jedoch auch die Entwicklung des gesamten Managements vornehmen, deren Vertreter sich qua Zuschreibung mit einem bestimmten Bedarf auseinandersetzen müssen. Im ersten Fall wird auch von »Manager Development«, im zweiten Fall von »Management Development« gesprochen.

Eigentlich deckt der deutsche Begriff FKE sowohl »Manager Development« als auch »Management Development« ab, in der Praxis sucht man jedoch überzeugende Management Development-Programme häufig vergeblich.

FKE – Entwicklung ist mehr als Training

Das E in FKE umfasst alle direkten und indirekten Maßnahmen, um die Kompetenzen von Führungskräften zu entwickeln. Dazu gehören mannigfache Maßnahmen am Arbeitsplatz (workplace learning) und natürlich auch die Trainingsmaßnahmen, die innerbetrieblich und überbetrieblich (off-the-job learning) durchgeführt werden.

Während es eine große Verbreitung von Trainings für Führungskräfte in allen Unternehmen gibt, die sogar zu einem eigenen Berufsstand, dem Führungstrainer, geführt haben, wird der Einsatz von abgestimmten Entwicklungsmaßnahmen (z. B. Job Rotation etc.) weniger systematisch verfolgt.

Leadership und Leadership Development

Leadership ist ein anderer Begriff, der in der Praxis eine große Unschärfe aufweist. In manchen Unternehmen hat man den Begriff »Management« und »Manager« insgesamt durch »Leadership« und »Leader« ersetzt.

Mit Leadership wird das eingesetzte Verhalten eines Managers gegenüber seinen Mitarbeitern bezeichnet. Was dieses Verhalten im Einzelnen beinhaltet, wird durch die jeweiligen »inhaltlichen Leadership-Schulen« bestimmt. Eine der bekanntesten ist die von KOUZES / POSNER (1988), an deren »leadership practices« sich viele Unternehmen orientieren.

Wenn Manager »leadership practices« erwerben, werden sie dadurch nicht zum »leader«. Sie bleiben Manager, die bestimmte »leadership practices« einsetzen.

Um Leadership als angehender oder bereits installierter Manager zu lernen, gibt es die unterschiedlichsten Lernarchitekturen. Man kann an Outdoor-Übungen teilnehmen, die Expedition von SHACKLETON studieren, die SHAKESPEARE-Dramen nach den Rollen untersuchen oder MANDELAs Wirken in Südafrika auswerten. Es ist die hohe Kunst in der FKE, dass Unternehmen Leadership-Inhalte vermitteln und Leadership-Lernarchitekturen wählen, die zu ihrer verfolgten Strategie und ihrer Unternehmenskultur passen. Diese Übereinstimmung wird eher selten systematisch verfolgt. Stattdessen lassen sich Unternehmen von Trainergruppen eine umsatzstarke Veranstaltungsserie zur Auslastung ihrer angestellten Trainer anhängen, die für die Teilnehmer und für das Unternehmen völlig bedeutungslos ist.

Existenzgrund und Ziele der FKE

Der Existenzgrund der FKE soll die Frage beantworten, warum sich eine Organisation der Entwicklung ihrer Führungskräfte annimmt. Diese Frage kann sehr unterschiedlich beantwortet werden – angefangen damit, dass FKE als Instrument der Strategieumsetzung konzipiert wird, bis zu dem oft nicht eingestandenen Existenzgrund, dass FKE eine Art »Hygieneeinrichtung« darstellt, die man sich hält, weil sie auch in anderen Unternehmen anzutreffen ist und man als Arbeitgeber eine Attraktivität haben will.

Bei den Zielen der FKE-Arbeit unterscheidet man jene, bei denen die Verbesserung der gegenwärtigen Aufgabenerledigung verfolgt wird und jene, die Führungskräfte auf eine zukünftige Aufgabenbewältigung im Unternehmen vorbereiten. Für diese Ziele werden in Unternehmen Förderungsprogramme durchgeführt, die besonders anspruchsvoll sind, weil die später zu übernehmenden Aufgaben während der Qualifizierung noch nicht genau feststehen. Die Verbesserung der Aufgabenbewältigung ist in der Praxis wenig problematisch, wenn man geeignete Maßnahmen dafür wählt – wie etwa Coaching – und nicht ein unspezifisches Führungstraining. Dagegen ist der Bereich der Förderung, für den in der Wirtschaft erhebliche Mittel eingesetzt werden, in sehr vielen Unternehmen eine echte »Baustelle«.

Bei Existenzgrund findet man in Unternehmen zumeist sehr wolkige Statements, was dann dazu führt, dass das Thema der Bedarfsbearbeitung, das durch den Existenzgrund der FKE bestimmt wird, sehr unscharf angegangen wird.

Evaluierung oder Wirkungsforschung in der FKE-Arbeit

Mit der Evaluierung oder Wirkungsforschung will man die Effekte von eingesetzten Ressourcen in der FKE-Arbeit ermitteln. Ich sage bewusst Effekte oder Ergebnisse, weil sich neben den absichtsvoll verfolgten Zielen immer auch positive, vor allem aber auch negative Nebeneffekte ergeben können.

Systematische Evaluierung der FKE-Arbeit ist in den meisten Unternehmen ein Fremdwort. Man »produziert« Entwicklungsmaßnahmen nach dem Prinzip Hoffnung oder vielleicht noch auf der Basis von subjektiven Teilnehmerdaten. Dass es negative Effekte in der FKE-Arbeit gibt, die man auch als Kollateralschäden der FKE bezeichnen kann, ist in den meisten Unternehmen eher unbekannt.

Meine wissenschaftsmethodische Verortung

Management im Allgemeinen und FKE im Besonderen ist eine Deutungswissenschaft, die ihren Epigonen erlaubt, völlig konträre Positionen zu beziehen, ohne dass man daran Anstoß nimmt. Die Deutungswissenschaft der FKE wird eigentlich nur noch von der Lotteriewissenschaft der Finanzanalysten übertroffen, die ihre Technik des ›Kaffeesatz-Lesens‹ in verbal nicht zu überbietender Form kultiviert haben. Besonders deutlich wird dies in der Kommunikation von Wertpapierabteilungen und Broker-Häusern mit ihren Kunden, in denen oft eine Perfektion der Analyse mit anschließenden Empfehlungen zum Ausdruck kommt, deren Substanzlosigkeit ein ums andere Mal durch die Wirklichkeit konterkariert wird.

Ich sehe mich als theoriegeleiteter Praktiker, der sich der Methode der »freien teilnehmenden Beobachtung« verbunden fühlt, wie sie insbesondere von GIRTLER (2001) eingesetzt wird. Damit gehört man nicht zum »mainstream« der Disziplinen, die zur wissenschaftlichen Etablierung der FKE angetreten sind und ständig versuchen, die Praxis mit ihren Erkenntnissen weiterzuentwickeln. Es hat mir geholfen, meine eigene wissenschaftliche Position dadurch zu finden, dass ich nur wenige Jahre dem Hochschulzirkus angehörte und es dann vorgezogen habe, aus einer eher kritischen Position heraus den Prozess der universitären Wissensproduktion zu verfolgen.

Dabei haben mich diverse Positionen von Paul FEYERABEND unterstützt, den universitären Betrieb etwas unvoreingenommener zu sehen – so beispielsweise sein Beitrag »Sind die Wissenschaften Forschungsinstitutionen oder politische Parteien?« (FEYERABEND 1989, S. 381 ff.) oder auch der von ihm an vielen Stellen zitierte Standpunkt, dass die klassische quantitativ ausgerichtete empirische Sozialforschung, wie sie in Hochschulkreisen im Wesentlichen praktiziert wird, nur eine Form der Erkenntnisgewinnung ist – ähnlich der Religion, bei der sich die Katholische Kirche als fast allein seligmachende Institution aufspielt. Dass es daneben viele andere religiöse Richtungen oder Freikirchen gibt, will man mit einem katholischen Weltbild nicht wahrhaben. Genauso verhält sich der Hochschulapparat mit seinen »Priestern« und »Ministranten«, für die es keine anderen religiösen Existenzen gibt.

Die Praktikerkreise in der FKE sind zu schwach, um eine eigene autonome, von der »Katholischen Kirche« der Hochschulen unabhängige, professionelle Community zu etablieren. Wenn sich heute jemand unter Praktikern mit Wissenschaft und Erkenntnisfortschritt befassen möchte, schielt er auf eine geduldete Aufnahme an eine Hochschule als »Gral der Wissenschaft« und freut sich über einen Lehrauftrag oder später über eine Honorarprofessur.

Das bekannte »Spiel« der Anbiederung der Praxis an Professoren, um ihre Entwicklungsarbeit scheinbar aufzuwerten, kann besser verstanden werden, wenn diese zumeist professionell unmündigen Praktiker darauf hoffen, mit dem Einsatz eines »Professoren-Priesters« aus der »Katholischen Kirche« Absolution zu erfahren. Da sich um die »Katholische Kirche« in den Hochschulen ein Apparat von Verbänden, Verlagen und anderen stabilisierenden Institutionen gebildet hat, kann das kanonische Wissensgebäude der FKE ohne Beeinflussung von Abtrünnigen, Außenseitern oder Randständlern fortbestehen.

Die »Katholische Kirche« und auch ihre Gläubigen in der FKE-Praxis können die beispielhafte Kritik an der fragwürdigen Rolle der »Senftuben-Professoren«, die ihren professoralen Priesterstatus dazu missbrauchen, zu jedem ihnen passenden Thema ihren Senf als Kommentar abzugeben, als Irrungen und Wirrungen von Ketzern abtun. Genauso kann man die anthropologisch bestimmte Erkundung der freien Trainer als »Mitleben und Miterleben in der untersuchten Gemeinschaft« – wie der Anthropologe MALINOWSKI seine Methode beschrieb (GIRTLER 2001, S. 67) – in seinen gauner- und ganovenhaften Ausmaßen ablehnen, weil die Ergebnisse nicht zum Kanon der »Katholischen Kirche« passen.

GIRTLER hat eine Vielzahl von Studien über Gruppierungen in der Gesellschaft durchgeführt, die bis dahin nicht hinreichend untersucht wurden, weil die klassischen erkenntnisgewinnenden Methoden versagt haben. Man kann eben die Welt von Vagabunden, Obdachlosen (österreichisch: Sandler), Prostituierten oder Dieben nicht erschließen, wenn man nicht über die Methode der von ihm dann auch systematisierten »freien teilnehmenden Beobachtung« wie ein Anthropologe oder ein Ethnologe in die fremde Kultur der jeweils untersuchten Randgruppen eintaucht. Seine zahlreichen einzigartigen Beiträge werden in der »Katholischen Kirche der Soziologie« als eher unwissenschaftlich abgetan, weil man sie in die Nähe von gut lesbaren journalistischen Darstellungen rückt und die besondere qualitative Methodologie nicht wahrhaben will. Dagegen führt der bekannte Anthropologe GEERTZ an: »Ethnographie […] ist vor allem eine Wiedergabe des Wirklichen, eine in Worte gefasste Vitalität« (1990, S. 138). Und dazu braucht es journalistische Ausdruckskraft, die man nur dadurch gewinnt, dass man sich voll und ganz auf sein »Untersuchungsobjekt« einlässt.

Es ist erfreulich, dass GIRTLER mit seinen Methoden der Feldforschung zumindest in einigen Kreisen der qualitativen Sozialforschung eine Wertschätzung genießt, die statt der empirischen Erbsenzählerei und der Fragebogen-Methodologie – wie sie auch von dem emeritierten »PE-Leuchtturm-Professor« BECKER als Hausautor des Schäffer-Poeschel Verlags gepflegt wurde – eine andere Form der Praxiserkundung verfolgen. GIRTLER erfährt in dem Standardwerk von LAMNECK (1988) im Personenregister eine ähnlich häufige Erwähnung wie die »grounded theory«-Päpste GLASER und STRAUSS (1967).

Wenn ich beispielsweise über meine Erfahrungen mit Trainingsgaunern berichte oder über Selbstdarsteller aus der FKE schreibe, wie sie ihren betrieblichen Auftrag für ihre narzisstischen Motive missbrauchen, dann sind dies allesamt Themen, die auch nicht in das seriöse kanonische Lehrgebäude der FKE passen. Kommt dazu noch eine gewisse Dosis an journalistischer Frische, die die Vitalität des real Erlebten – wie es GEERTZ formulierte – ausdrückt und nur aus dem Eintauchen in die andere Kultur und nicht als »Veranda-Anthropologe« (VAN MAANEN 1988, S. 16) möglich ist, dann verliert man damit fast jeden wissenschaftlichen Kredit bei den etablierten Vertretern der »Katholischen Kirche« – so man ihn je gehabt hat, angesichts der Auseinandersetzung mit nicht-kanonischen Wirklichkeiten als Untersuchungsgegenständen.

Ich spüre eine methodische Nähe zu GIRTLER, obwohl ich mich nicht der stringenten Systematik seiner freien teilnehmenden Beobachtung bedient habe, sondern mich eher als Vertreter einer »reflective practice« sehe (z. B. BOLTON 2001), der seinen anthropologischen Neigungen gerne nachgibt.

Es ist mir wichtig, dass Sie hinter die Geschichten, episodischen Fälle oder exemplarischen Schnappschüsse in dieser Arbeit blicken, die nicht nur als unterhaltende Lektüre zu verstehen sind. Vielmehr verfolge ich mit den behandelten Inhalten und der erkenntnisgewinnenden Methodik ein seriöses Anliegen. Es mag sein, dass die lebendige Diktion meiner Ausführungen etwas verstellt; etwa im Fall der Wohnzimmer-, Instituts- oder der Senftuben-Professoren und ihren Senftuben mit dem abgelaufenen Verfalldatum als Umschreibung dafür, nicht mehr auf fachliterarischer Ballhöhe zu sein, oder die Darstellung mancher betrieblicher FKE-Systeme als Zirkusmanege des abgestimmten Zusammenwirkens großer und kleiner Gauner und Ganoven.

»If you want to understand what a science is you should look in the first instance not at its theories or its findings, and certainly not what its apologists say about it; you should look at what the practitioners do.« (GEERTZ ohne Angabe zitiert bei VAN MAANEN 1988, S. 73) Wenn man sich an diesem Zitat des Anthropologen GEERTZ orientiert, um über die FKE als wissenschaftliche Disziplin eine Aussage zu erhalten, dann gehört mein Ansatz mit seinen feldforschenden Bemühungen über die vielfältigen Erscheinungsformen der Praxis sogar zu den echten wissenschaftsmethodischen Vorgehensweisen in unserer Szene.

Akteure auf dem FKE-Spielfeld

Um Aussagen über den Stand der FKE zu treffen, muss man sich vor Augen führen, wer auf dem Spielfeld der FKE eine Rolle spielt. Mit dieser Akteurperspektive eröffnen sich Zugänge zur Einschätzung der Qualität der FKE-Arbeit, die mit der bloßen Auswertung der einzelnen Produkte und Programme der FKE nicht ohne weiteres möglich ist.

Akteure in Unternehmen

Der Leiter einer FKE-Abteilung, der mit seinem Sachverstand und seiner Durchsetzungskompetenz Ergebnisse bei einzelnen Führungskräften und dem gesamten Management bewirkt.

Mitarbeiter in der FKE-Abteilung, die – je nach Organisationsprinzip – für einzelne Zielgruppen arbeiten oder einzelne FKE-Projekte verantworten.

Der Vorgesetzte der FKE-Funktion, zumeist der HR-Vorstand oder ein HR-Leiter.

Die Geschäftsführung, die entsprechende Budgets für die FKE bereitstellt und bei wichtigen Entwicklungs- und Veränderungsprojekten in der FKE-Arbeit mit ihrer vorbilderzeugenden Funktion vorangeht.

Ein wichtiger, oft vergessener Akteur auf dem FKE-Spielfeld ist der einzelne Manager, der beispielsweise als Teilnehmer in Führungsseminaren qualifiziert wird oder als Klient in Fördergesprächen oder in Coaching-Sitzungen »entwickelt« wird.

Der unmittelbare Vorgesetzte der einzelnen Teilnehmer in der FKE-Arbeit.

Externe Akteure

Trainer und FKE-Berater, die als Solo1 oder in kleinen oder größeren Firmen organisiert sind und sowohl konzeptionell als auch für die Durchführung von einzelnen FKE-Maßnahmen und -Projekten eingesetzt werden.

Damit verwandt ist auch ein Typ von Akteur, den es noch nicht so lange in der Szene gibt. Es handelt sich um »Trainer-Agenturen«, die sich im Markt zwischen den Großnachfragern nach externen Trainertagen und einzelnen Solo-Trainern etabliert haben. Große Unternehmen entwickeln für die Bearbeitung bestimmter Bedarfe einer zahlenmäßig relativ großen Zielgruppe ein komplettes Manual der Bedarfsbearbeitung und brauchen für dessen Umsetzung mehrere hundert Trainertage. Statt die entsprechenden Trainer dafür selbst am Markt zu suchen, übergibt das Unternehmen den gesamten Auftrag an eine Trainer-Agentur, bei der sich Solos gelistet haben.

Management-Institute und Business Schools, die ein differenziertes Angebot von einzelnen Seminaren bis zu gesamten Lehrgängen bereithalten und für die Rekrutierung genügender Führungskräfte-Teilnehmer in ihren Veranstaltungen auch werblich aktiv sind.

Verlage, die sich mit Fachbüchern und Magazinen als Mittler zwischen den Polen der Generierung von neuem Wissen und der Verwendung von neuem Wissen in der Praxis etablieren. Dazu gehören auch die dort beschäftigten Mitarbeiter, wie beispielsweise die Programmverantwortlichen für FKE-relevante Gebiete und die Journalisten, die für die Magazine und Zeitschriften Beiträge liefern.

Verbände und professionelle Vereinigungen, die mit ihren Aktivitäten und Veröffentlichungen eine Art normierende Instanz für die FKE in ihren Mitgliedsunternehmen einnehmen.

Wenn man diese eher unauffällige Auflistung von Akteuren überfliegt, kann man sich kaum vorstellen, welchen Auswüchsen man in der FKE-Realität begegnet.

Einige Mythen und Alternativmythen der großbetrieblichen FKE

Viele Unternehmen schauen auf die großen Firmennamen in der Wirtschaft, wenn sie für ihre FKE-Arbeit etwas übernehmen wollen. Man glaubt, dass die großbetriebliche FKE auf vielen Gebieten eine Art Benchmarking-Beispiel für die eigene Arbeit abgeben kann. Dabei lässt man sich gerne von einigen »phänotypischen Merkmalen« leiten, die sich in ihrer Erscheinung von jedem kundigen Beobachter wahrnehmen lassen:

Es gibt für die FKE-Funktion mehrere Kästchen im Organigramm.

Es gibt eine größere Zahl von hauptamtlichen Mitarbeitern in der FKE.

Es gibt spezielle Räume im Unternehmen, die für das Lernen der Führungskräfte vorgesehen sind (Trainingszentren, Akademien, »Corporate Business Schools« etc.).

Es gibt spezielle, schriftlich formulierte Leitsätze, wie man FKE betreiben will.

Es gibt immer eine Reihe von beeindruckenden Anglizismen – Leadership Development oder competency models als Beispiele –, mit denen man in seiner FKE arbeitet.

Zudem gibt es die vermarkteten Slogans, wie wichtig das Lernen aller Mitarbeiter für die Zukunft des Unternehmens ist – oft in Verbindung auch mit so schönen Modebegriffen wie »employer branding« oder Arbeitgeberattraktivität.

Die Qualität der großbetrieblichen FKE ist ein so gut wie nie nachgewiesener Sachverhalt, an den man glaubt. Eine evidenzbasierte FKE, die mit einem seriösen Evaluierungskonzept unterlegt ist, habe ich nie erlebt. Es gibt zuweilen recht fragwürdige Indikatoren, die man sich als Qualitätssurrogate schafft und an die man glaubt.

Für die großbetrieblichen FKE-ler gibt es eine ganze Reihe von Mythen, die gleichsam die nicht mehr hinterfragte Realität verkörpern. Mythen bezeichnen meist hartnäckig geglaubte Ansichten über einen Sachverhalt. Der Begriff des Mythos ist den FKE-Profis aus der Beschäftigung mit Unternehmenskultur bekannt. Beispielsweise NEUBERGER / KOMPA (1987, S. 59 f.): »Unter Mythos wird eine grundsätzliche, nicht wahrheitsfähige Wirklichkeitserklärung verstanden […]. Für eine bestimmte Gruppe ist ein Mythos eine Art fraglose Selbstverständlichkeit.« Und die schwedischen Organisationspsychologen WESTERLAND / SJÖSTRAND schreiben einem Mythos in Organisationen gar erlösende Kraft zu, »[…] dank seiner ist man nicht länger unsicher, sondern man weiß.« (1975, S. 17)

Ich möchte einige der Mythen der großbetrieblichen FKE-Glaubenslehre offenlegen und mit einigen »Alternativmythen« (WESTERLUND / SJÖSTRAND) versehen, um auf eine andere FKE-Wirklichkeit hinzuweisen.

Was sind die ins Auge springenden Mythen der großbetrieblichen FKE-Arbeit?

Ein zentraler Mythos ist der demonstrierte FKE-Aufwand, den man mitunter auch werblich ins Schaufenster stellt, insbesondere seit man den zukünftigen Arbeitnehmer mit immer neuen Maßnahmen umwirbt. Hoher FKE-Aufwand soll neben dem Beeindrucken insbesondere vermitteln, dass man sehr viel in Richtung zukünftige Sicherung der Kompetenzen unternimmt und man vor allem über eine gute FKE-Arbeit verfügt.

Tatsächlich besagt der Antimythos oder Alternativmythos, dass der finanzielle Aufwand eines Unternehmens per se überhaupt nichts über die Qualität des Lernens in einem Unternehmen aussagt. Wenn sich der hohe FKE-Aufwand vor allem in intentionalem seminaristischem Lernen manifestiert, wird man dies vor dem Hintergrund des Anspruchsniveaus an wirkungsvolles Lernen auf nachgelagerten Evaluierungsebenen (Ebene des Transfererfolgs und Ebene des Organisationserfolgs) sogar als Kontra-Indikator für effektive FKE-Arbeit zu werten haben.

Ein weiterer Mythos großbetrieblicher FKE-Arbeit sind die mitunter zahlreichen hauptamtlichen FKE-ler, die man beschäftigt, und mit denen man eine attraktive FKE-Arbeit nach innen und auch nach außen demonstrieren will. Je mehr FKE-ler man vorweisen kann, desto mehr Bedeutung will man im Unternehmen der FKE-Arbeit zuschreiben.

Der Antimythos aus meiner Erfahrung vermittelt eine ganz andere Position. Die personelle Akkumulierung von tradierter fachlicher Mittelmäßigkeit – der Typ des »FKE-Unternehmers« meidet den Großbetrieb – führt dazu, dass sich die vielen arbeitsteilig eingesetzten FKE-ler durch die zahlreichen Abstimmungs- und Koordinierungsprozesse ab einer bestimmten Zahl immer mehr mit sich selbst als mit ihren Klienten beschäftigen. Dazu kommt, dass jeder der angestellten FKE-ler, die so gut wie nie über Business-Erfahrung verfügen, sondern »reinrassige FKE-ler« mit Psychologie oder ähnlichem Hintergrund sind, ihre »Wertschöpfungsnischen« für sich schaffen – als Folge ihres Verständnisses von guter FKE-Arbeit. Der »AC-Nachsorger« ist nur eines dieser zahllosen Beispiele von FKE, die für ein Unternehmen völlig bedeutungslos sind – wenn man ursprünglich eine vernünftigere FKE-Arbeit betrieben hätte.

Ein Wesensmerkmal großbetrieblicher FKE-Arbeit ist die Vielzahl der Systeme, die man im Einsatz hat, und mit denen man positive Ergebnisse beabsichtigt. Mit Leistungsbeurteilungssystemen möchte man direkt in den produktiven Abteilungen mehr Leistung erzielen, mit Potentialeinschätzungssystemen möchte man effektives internes talent scouting und talent hunting betreiben und mit flächendeckenden 360°-Feedback-Systemen will man bessere Vorgesetzte erhalten. Der Glaube an die Perfektion der Systeme verstellt den Gläubigen die Sicht auf eine andere Wirklichkeit.

Der Antimythos besagt, dass die Wirklichkeit der Konstruktion von Systemen eine geschönte Sandkasten-Wirklichkeit von FKE-lern darstellt. Alle Systeme müssen durch Führungskräfte »exekutiert« werden und jede dieser systemexekutierenden Führungskräfte hat eine spezifische Situation zu bewältigen (einschließlich der eigenen individuellen Befindlichkeit zu dem jeweils einzusetzenden System). Wenn man sich der Frage entzieht, was mit dem Handling von Systemen alles vor Ort aufgerissen wird, kann man auch weiterhin in der durch Systeme geregelten Welt der entwicklungsorientierten Führung leben. FKE-Arbeit durch Systeme verlangt eine gehörige Portion Naivität und Einfältigkeit, die auch – oder speziell – bei jenen großbetrieblichen FKE-lern vorhanden ist, die sich bereits etwas an Karriere-»Lametta« in ihren Unternehmen »ersessen« haben.

Es gibt in Großunternehmen den unerschütterlichen Glauben, dass ein langjähriger erfahrener FKE-Leiter dem Unternehmen eine hohe Qualität der Entwicklungsarbeit gleichsam garantiert, die es zur Sicherung seiner Wettbewerbsposition braucht. Langjährige Erfahrung in der Leiterposition wird mit guter FKE-Arbeit gleichgesetzt, zumal man dem langjährigen Leiter automatisch zuschreibt, dass er sich als Fachmann für FKE so auskennt, dass dem Unternehmen »state-of-the-art«-FKE geboten wird.

Der Alternativmythos meiner reflektierten Erfahrungen stützt sich zunächst auf die bekannte allgemeine Tatsache, dass eine Zunahme der Verweildauer das Innovationsverhalten des langjährigen FKE-Leiters reduziert. Ich wiederhole hier noch einmal die entsprechenden empirischen Befunde einer klassischen Studie von KATZ (1982, S. 165 f.):

Zunehmende Unbeweglichkeit des Positionsinhabers

Verpflichtung zur Einhaltung von bestehenden Vorgehensweisen

Zunehmendes Sich-Isolieren und Sperren von externen Informationen

Zunehmende Kommunikation mit eher gleichartig Denkenden

Zunehmende selektive Wahrnehmung

Zunehmendes Sich-Abstützen auf die eigene Erfahrung

Daneben gibt es noch spezielle Aspekte, die den Alternativmythos stützen, dass der langjährige FKE-Leiter ein Garant für obsolete Entwicklungsarbeit ist:

Der langjährige FKE-Leiter ist Teil des »Orchesters der gegenwärtig Mächtigen«. Bei seinen Entwicklungsentscheidungen orientiert er sich eher an den Erwartungen seiner etablierten Kollegen und kaum an der Weiterentwicklung seiner Fachdisziplin, die er ohnehin nur noch selektiv wahrnimmt.

Da es keine einheitlichen fachwissenschaftlichen Standards gibt, was beispielsweise ein gutes FKE-System auszeichnet, kann ein langjähriger FKE-Leiter immer seine Art der Entwicklungsarbeit rechtfertigen.

Die Arbeit eines langjährigen FKE-Leiters wird von den gegenwärtig Mächtigen in den oberen Führungsetagen nicht besonders hinterfragt, solange es keine außerordentlich massiven unerwünschten Vorkommnisse gibt und solange man seine eigenen Erwartungen an seine Seilschaft-Kandidaten erfüllt sieht.

Der langjährige FKE-Leiter hat sich mit diversen externen Wertschätzungs-Indikatoren (Verbände etc.) gegen Kritik immunisiert, so dass sich gut artikulierende arrivierte »FKE-Schwätzer« ohne Mühe gegenüber professioneller Obsoleszenz-Kritik zur Wehr setzen können.

Der langjährige FKE-Leiter sucht sich unter seinen externen Helfern »Stabilisatoren« und keine »Challenger«, die sein über Jahre aufgebautes FKE-Empire ins Wanken bringen könnten. Damit wird der vorhandene »FKE-Muff« immer weiter kultiviert – und die scheinbar so gute FKE-Arbeit zementiert.

Ein weiterer besonderer Mythos in der großbetrieblichen FKE ist ihre markante diagnostische Ausprägung und die damit einhergehende Assessment-Lastigkeit, die man mit progressiver FKE gleichsetzt. Dieser Mythos ist in besonderem Maße auch bei dem langjährigen FKE-Leiter anzutreffen, weil er weiß, dass mit diagnostischen Systemen im weiteren Sinne eine Machtposition etabliert wird. So kann er einen wichtigen Beitrag zur Machtstabilisierung der gegenwärtigen Positionsinhaber liefern – was ihn dann umgekehrt dagegen schützt, dass man seine FKE-Arbeit über Gebühr hinterfragt. Der Glaube, mit Manager-Audits, Potentialeinschätzungs-Systemen oder allen möglichen Formen des Verhaltens-Feedbacks besonders progressive FKE-Arbeit zu betreiben, wird durch das vorherrschende Weltbild gestützt, dass nur durch Messen oder Zählen richtiges Management betrieben werden kann.

Der Alternativmythos vermittelt bei diesem Punkt eine andere Wirklichkeit. Die starke Betonung des »Diagnostischen« geht auf Kosten der eigentlichen Entwicklungsinnovationen, die in der großbetrieblichen Förderungsarbeit eher unterentwickelt sind. Gerade zukunftssichernde Förderungssysteme im Management haben wenig im Teilsystem des Lernens und der Entwicklung zu bieten, wenn man hinter die »Etiketten« der einzelnen Maßnahmen schaut. Zudem führt der ausgeprägte Glaube an das »Diagnostische« als Merkmal dazu, dass man mit der FKE vorhandene Humanressourcen nicht entwickelt und für das Unternehmen wertvoller macht, sondern dass lediglich der Wert (oder Schein-Wert) der Humanressourcen transparent gemacht wird.

Der Mythos, dass ein ausgeprägtes diagnostisches Arbeiten in der FKE für eine besonders gute FKE steht, wird durch die in diesem Kontext gepflegte Psycho-Fachsprache unterstrichen, die sich in den Audit-Gutachten, AC- oder Feedback-Berichten in imposanten ›Beeindruckungsritualen‹ manifestiert. Zieht man den Schleier des gepflegten FKE-Mythos weg, bleibt von richtiger Entwicklungsarbeit wenig übrig – auch deshalb, weil großbetriebliche FKE-ler Psychologen und keine Andragogen sind.

Sowohl der langjährige FKE-Verantwortliche als auch der Glaube an den Mythos des Diagnostischen als Qualitätsmerkmale der großbetrieblichen FKE und FKE-Arbeit konnten die Jahre überstehen und waren nie in Gefahr, durch externe Beratergruppen »vorgeführt« zu werden. Man schätzte im »Orchester der Mächtigen« die gute und vertraute Zusammenarbeit in der FKE. Zum zweiten gehört die Konzipierung von neuen unternehmensspezifischen FKE-Systemen nicht zu den Produkten von großen Beratergruppen, weil dieses Arbeitsfeld nicht für den Einsatz von jungen Berater-»monkeys« zur Exekution ihrer Manuals taugt.

Ein weiterer Mythos, der ein bezeichnendes Bild der kultivierten FKE-Wirklichkeit vermittelt:

Als großbetrieblicher FKE-ler hat man sich »standesgemäß« vernetzt und verfolgt in der Entwicklungsarbeit die von den anderen in diesen Netzwerkstrukturen geteilten und für gut befundenen Konzepte. Der Mythos heißt beispielsweise: Wenn alle FKE-Leiter in einem standesgemäßen Erfahrungsaustauschkreis eine Company University oder Corporate Business School als innovativ erachten, dann muss man selbst auch eine derartige Einrichtung aufbauen, um eine progressive FKE-Arbeit vorzuweisen. Und wenn dann noch ein entsprechender Verband die »Erkenntnisse und Weisheiten« der sich standesgemäß Vernetzenden aufgreift und als neuen Benchmark in der FKE postuliert, macht man sich unangreifbar.

Der Alternativmythos enttarnt dieses »Sich-gegenseitig-Bestätigen« der arrivierten Mittelmäßigkeit aus großbetrieblichen FKE-Abteilungen und unterstreicht, dass die scheinbar taktgebenden Netzwerkstrukturen einem einzelnen »innovativen Geist« keine Chancen geben. Man arrangiert sich mit dem »mainstream« der veröffentlichten Meinungen und referenziert seine FKE-Arbeit später mit dem anderer bekannter Unternehmen, die in den Erfahrungsaustauschkreisen vertreten waren.

Mythos der großbetrieblichen FKEbiedere Rückversicherungsmentalität von Durchschnitts-Performern