Cover

Über dieses Buch

Pogo hat es nicht leicht. Seine Eltern sind Punks und nehmen ihr Punk-Sein sehr ernst: Pogo bekommt Ärger, wenn er gute Noten hat, sein Zimmer aufräumt oder zu leise Musik hört! Eines Tages zieht Vanessa in die Nachbarschaft. Sie ist überkorrekt, meckert ständig herum und schreibt selbst gemalte Strafzettel. Vanessas Vater ist Polizist – der natürliche Feind eines jeden guten Punks! Damit sind Nachbarschaftsstreitigkeiten vorprogrammiert …

Der Autor

Jochen Till wurde 1966 in Frankfurt am Main geboren. In der Schule war er nicht besonders fleißig und träumte von einer Karriere als Rockstar, bis ihn irgendwann eine Muse küsste, die ihn zum Schreiben inspirierte.

Der Illustrator

Raimund Frey, geboren 1982 in Isny im Allgäu, studierte Kommunikationsdesign an der FH Mainz und arbeitet seit 2008 als freischaffender Illustrator für Unternehmen, Agenturen, Buch- und Spieleverlage.

Inhalt

§ 1 – Lärmbelästigung

§ 2 – Verunreinigung öffentlicher Gehwege

§ 3 – Hausfriedensbruch

§ 4 – Geruchsbelästigung

§ 5 – Besitz von Diebesgut

§ 6 – Umweltverschmutzung

§ 7 – Wildpinkeln

§ 8 – Versprechenbrechen

§ 9 – Polizeibehinderung

§ 10 – Vorsätzliche Langeweile

Impressum

§ 1 – Lärmbelästigung

Ich könnte heulen. Mach ich aber nicht. Wenn ich jetzt heule, werde ich nur vom Rest der Klasse ausgelacht. Aber das ist so ungerecht. Es ruiniert mein komplettes Zeugnis. Und alles nur, weil der Kloppstock keine Dinosaurier mag. Und das als Erdkundelehrer! Ich meine, das muss ihn doch interessieren. Vor allem, wenn er die gesamte Geschichte der Dinosaurier in einem fünfundzwanzigseitigen Aufsatz ohne einen einzigen Fehler präsentiert bekommt. Mit selbst gemalten, maßstabsgetreuen Bildern! Alleine daran habe ich volle zwei Tage gearbeitet. Aber das wäre reine Effekthascherei, hat der Kloppstock gesagt. Und außerdem hätte ich das vorgegebene Thema verfehlt. Was natürlich nicht stimmt. Das Thema lautete: Bodenschätze in Deutschland. Und in Deutschland wurden bereits 1834 die ersten Dinosaurierknochen in der Nähe von Nürnberg entdeckt. Im Boden. Wenn das für die Wissenschaft kein phänomenaler Schatz ist, weiß ich auch nicht, was sonst ein Schatz sein soll. Ich hätte irgendwas über Braunkohle oder Steinkohle schreiben sollen, hat der Kloppstock gesagt. So wie alle anderen. Wie langweilig ist das denn? Wenn ich Lehrer wäre, würde ich lieber etwas über Dinosaurier lesen, das ist doch viel spannender. Und wenn ich Lehrer wäre, hätte ich mir selbstverständlich eine Eins für den Aufsatz gegeben. Und im Endzeugnis auch. Aber da steht leider keine Eins. Wobei das noch nicht das Schlimmste am heutigen Tag ist.

Das Schlimmste kommt erst. Ich muss das Zeugnis meinen Eltern zeigen. Mein Vater wird ausrasten. So wie bei jedem Zeugnis. Was die Schule betrifft, bin ich eine große Enttäuschung für ihn. Weil ich zu gut bin. Ich weiß, das klingt seltsam. Ist es auch. Das liegt daran, dass meine Eltern Punker sind. Das sind diese Leute mit den bunt abstehenden Haaren, die man oft in Fußgängerzonen sieht. Punker hören Punkrock, trinken gern Bier, provozieren am liebsten Spießer und verkloppen Nazis. Sie tun nur das, was ihnen Spaß macht, und lehnen alles ab, was normal ist. Die meisten Punker werden irgendwann erwachsen und selbst normal. Dann gehen sie arbeiten, heiraten und kriegen Kinder, wie andere normale Leute auch. Bei meinen Eltern hat das aber leider nicht funktioniert mit dem Erwachsenwerden. Sie sind immer noch so drauf wie mit sechzehn, als sie sich bei einer Anti-Nazi-Demo kennengelernt haben. Vor allem mein Vater, da hat sich seitdem überhaupt nichts geändert. Er ist immer noch durch und durch ein Punker. Und von mir erwartet er dasselbe – ich soll ein guter Punker werden. Deswegen habe ich auch diese seltsame Frisur. Die ist schon okay. Und ich mag sogar Punkrock. Aber noch mehr mag ich es, in die Schule zu gehen und gute Noten zu kriegen. Sehr gute Noten, wenn möglich. Und genau das stört meinen Vater. Ein Punker muss schlecht in der Schule sein und möglichst oft sitzen bleiben. Bei mir besteht eher die Gefahr, dass ich eine Klasse überspringe, was der absolute Albtraum für meinen Vater wäre. Wobei mein aktuelles Zeugnis sicher schon reicht, um ihm schlaflose Nächte zu bereiten. Lustig wird das nicht, wenn ich gleich nach Hause komme. Aber es hilft ja nichts, da muss ich durch.

Als ich eine Viertelstunde später unsere Haustür öffne, strömt mir sofort ein bekannter Duft in die Nase. Sehr gut, heute gibt es das Lieblingsessen meines Vaters, dann hat er wenigstens gute Laune. Ich flitze an der Küche vorbei in mein Zimmer und stelle meinen Rucksack ab.

»Pogo, bist du das?«, ruft meine Mutter.

Ja, das bin ich. Und so heiße ich wirklich. Pogo. Das ist nicht etwa ein witzig gemeinter Punker-Spitzname, den mir meine Eltern verpasst haben. Das steht tatsächlich in meiner Geburtsurkunde. Pogo. Der bescheuertste Name der Welt. Wobei, nein, das stimmt nicht ganz. Mein Zweitname ist noch viel bescheuerter. Unter allen bescheuerten Namen der Weltgeschichte ist mein Zweitname der Tyrannosaurus Rex. Deswegen verrate ich ihn auch niemandem. Der Einzige, der diesen Namen jemals erfahren wird, ist der Beamte, bei dem ich eine Namensänderung beantragen werde. Und dann wird Pogo gleich mit geändert, so viel steht fest. In Markus oder Thomas oder Stefan, egal, irgendwas Stinknormales auf jeden Fall.

»Pogo? Es gibt Dosenravioli!«, ruft meine Mutter.

»Ich weiß!«, rufe ich zurück.

»Beeil dich, die werden sonst warm!«

Oh, stimmt. Dann muss ich mich wirklich beeilen. Mein Vater hasst warme Ravioli. Davon kriegt er sehr schlechte Laune. Und das kann ich jetzt absolut nicht gebrauchen, wenn ich ihm mein Zeugnis zeige.

Ich ziehe das Zeugnis aus meinem Rucksack und trample ein bisschen mit meinen schmutzigen Schuhen darauf herum. Das wird meinem Vater gefallen. Er sagt immer, dass man möglichst respektlos mit offiziellen Dokumenten umgehen muss. Deswegen klebt in seinem Personalausweis auch ein Foto von Donald Duck.

Als ich die Küche betrete, stopfe ich das Zeugnis hinter meinem Rücken in die Hose und setze mich schnell auf meinen Bierkasten am Esstisch. Meine Mutter schnappt sich das Megafon, öffnet das Küchenfenster und brüllt nach draußen.

»SPRITTI! ESSEN IST FERTIG!«

»KOMME!«, brüllt mein Vater zurück.

Ich sehe, wie mein Vater die Scheune verlässt, die er Werkstatt nennt. Er sieht gut gelaunt aus. Wahrscheinlich hat er wieder eins seiner Bilder aus Kronkorken fertig. Oder eine neue Schrott-Skulptur. Mein Vater macht nämlich aus Müll Kunst. Er nennt das Punk-Kunst. Und es gibt tatsächlich Leute, die dafür etwas bezahlen. Allerdings kein Geld. Das liegt aber an meinem Vater. Er lehnt Geld grundsätzlich ab. Geld ist ihm zu spießig. Deswegen lässt er sich in Sachen bezahlen. Und wenn er die Sachen nicht gebrauchen kann, tauscht er sie gegen etwas anderes ein. Gegen dreiundzwanzig Raviolidosen, zum Beispiel. Die hat er für einen Motorradhelm bekommen, den er von einem Rockerklub gekriegt hat. Dafür hängt bei denen über dem Vereinsheim jetzt ein riesiges Wappen aus Kronkorken. Und wir sind für die nächsten dreiundzwanzig Wochen mit Ravioli versorgt. Die gibt es nämlich nur einmal pro Woche. Zum Glück.

Mein Vater kommt herein und klopft mir auf die Schulter.

»Na, Keule«, sagt er. »Alles paletti?«

»Äh … ja«, antworte ich. »Alles bestens.«

Mein Vater setzt sich auf seinen Bierkasten und öffnet eine Dose Bier. Meine Mutter stellt drei Raviolidosen auf den Tisch. Wir fangen an zu löffeln.

»Ich bin mit dem Bild für das Kino fertig«, sagt mein Vater schmatzend. »Ab morgen gibt’s hier Popcorn bis zum Abwinken.«

»Oh super«, freut sich meine Mutter. »Dann kann ich endlich mal wieder Suppe kochen.«

»Ich weiß«, sagt mein Vater grinsend. »Da freue ich mich jetzt schon drauf. Du machst nämlich die beste Popcorn-Suppe der Welt, Kröte!«

»Aber nur für dich, Spritti!«, sagt meine Mutter verzückt.

Oh nein. Jetzt geht das wieder los. Die beiden fangen an, sich abzuschlabbern. Aber richtig. Mit Zunge. Kein schöner Anblick. Ich meine, ich finde es ja toll, dass sie sich so lieb haben. Das ist schließlich nicht bei allen Eltern so. In meiner Klasse ist mindestens jeder Zweite ein Scheidungskind, da möchte ich nicht tauschen. Aber regelmäßig mit ansehen zu müssen, dass deine Eltern rumknutschen wie frisch verliebte Teenager, ist auch nicht gerade ein Fest für die Sinne.

»Ach, Spritti«, seufzt meine Mutter selig.

»Meine Kröte«, säuselt mein Vater in ihr Ohr.

Natürlich heißen sie nicht wirklich so. Spritti und Kröte sind ihre Punker-Namen. In Wirklichkeit heißen sie Michael und Susanne. So nennt sie aber eigentlich niemand. Außer Oma und Opa. Aber die kommen nicht gerne zu uns. Weil sie keine Punker sind und auch keine Punker-Namen haben. Einen Punker-Namen kriegt man verpasst, wenn man als Punker zum ersten Mal andere Punker trifft. Dann gucken einen die anderen an und sagen: »Ey, du hast ja voll die Krätze im Gesicht!« Und dann heißt man für immer Krätze, so wie der beste Kumpel meines Vaters. Oder Affenkopf. Oder Sangria. Oder Pickel-Paul. Oder irgendwie anders eben. Auf jeden Fall irgendwas Bescheuertes. So wie mein Name.

»Pogo, iss nicht so ordentlich«, sagt meine Mutter. »Leg die Füße auf den Tisch, wie ich es dir beigebracht habe.«

»Ach, jetzt sei doch nicht so streng mit ihm«, springt mein Vater mir bei. »Hauptsache, er rülpst nachher schön laut.«

Ich lasse einen krachenden Rülpser los, mein Vater lacht.

»Sehr gut, Sohnemann«, sagt er und klopft mir anerkennend auf die Schulter. »So was lernst du nicht in der Schule. Apropos: Wie war’s denn in der Zwangserziehungsanstalt? Haben sie euch wieder lauter unnütze Sachen beigebracht?«

»Nein«, antworte ich. »War doch letzter Schultag heute, da passiert nie viel.«

»Ach, stimmt ja«, sagt meine Mutter. »Es sind Ferien. Dann gab’s doch auch Zeugnisse, oder?«

»Ja«, seufze ich und ziehe das Zeugnis hinten aus meiner Hose.

Ich lege es vor meinem Vater auf den Tisch.

»Das sieht auf jeden Fall schon mal besser aus als das letzte«, sagt er. »Da war ja nicht mal ein Knick drin.« Er nimmt es, wischt sich mit der Rückseite über den Mund und sieht es sich dann an. Seine Miene wird immer finsterer. »Das sind ja wieder nur Einser«, sagt er entsetzt.

»Stimmt nicht«, verteidige ich mich knurrend. »In Erdkunde habe ich eine Eins minus.«

Dieser blöde Kloppstock. Ein Minus. Auf meinem Zeugnis. Das gab es noch nie.

»Ach, und darauf bist du jetzt auch noch stolz, oder was?«, erwidert mein Vater. »Da steht immer noch eine Eins vor dem Minus! Das macht es nicht besser! Ich dachte, wir waren uns einig. Weißt du noch, was du mir nach dem letzten Zeugnis versprochen hast?«

»Dass ich mir weniger Mühe gebe«, antworte ich zerknirscht.

»Genau«, sagt mein Vater. »Und? Hast du dir weniger Mühe gegeben?«

»Ja«, sage ich. »Ich habe mich viel seltener gemeldet.«

Das stimmt auch. Letztes Jahr habe ich mich durchschnittlich 15,8 Mal pro Unterrichtsstunde gemeldet, dieses Jahr nur noch 12,3 Mal. Steht alles in meiner Statistik, kann ich ihm zeigen.

»Weniger melden ist aber offenbar nicht genug«, sagt mein Vater. »Das muss man dann auch mit ein bisschen Aktionismus versuchen. Hast du deinem Mathelehrer mal kräftig ans Schienbein getreten, wie ich es gesagt habe?«

Ich schüttle den Kopf. Ich will Herrn Schröder nicht ans Schienbein treten. Er ist immer so freundlich zu mir.

»Du bist jetzt in der sechsten Klasse, Pogo!«, sagt mein Vater. »Es wird langsam Zeit, dass du weniger Verantwortung für dein Leben übernimmst! Sonst wird aus dir nie ein echter Punker! Ich bin dreimal sitzen geblieben! Dreimal! Dafür muss man dann auch mal so einem Möchtegern-Pädagogen ans Schienbein treten!«

»Er tritt eben nicht so gern«, kommt mir meine Mutter zu Hilfe. »Vielleicht würde es ja reichen, wenn er mehr schwänzt.«

»Mehr?«, erwidert mein Vater. »Was heißt denn hier mehr? Er hat nicht eine unentschuldigte Fehlstunde! Er war immer in der Schule! Ich kapier das nicht! Wieso machst du so was?« Er sieht mich fassungslos an.

»Ich gehe eben gern in die Schule«, sage ich leise.

»Du gehst gern in die Schule?«, wiederholt mein Vater entsetzt. »Das glaub ich ja wohl nicht! Du bist mein Sohn! Du kannst nicht gern in die Schule gehen! Die Schule ist der Feind! Das habe ich dir doch schon tausendmal erklärt! Diese Spießer wollen dich zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft erziehen! Die belügen und verbiegen dich, bis du einer von ihnen bist! Willst du das etwa? Willst du ein angepasster, langweiliger Spießer werden?«

Ja. Eigentlich will ich das. Zumindest würde es mein Vater so sehen. Ich will Wissenschaftler werden. Am liebsten Archäologe. Dann dürfte ich Dinosaurier ausgraben und die Funde erforschen. Aber das geht eben nur, wenn man gut in der Schule ist. Und das bin ich. Ich bin sogar der Beste bei uns in der Klasse. Eigentlich ist die Schule zu schlecht für mich. Das sagt sogar Frau Niedermayer, meine Klassenlehrerin. Ich müsste auf ein Internat für Hochbegabte, meint sie. Es gibt sogar eins hier in der Nähe. Aber das würde mein Vater nie erlauben. Ganz davon abgesehen, dass die sich garantiert nicht mit Kronkorken-Bildern bezahlen lassen.

»Das will er ganz bestimmt nicht«, sagt meine Mutter. »Das ist nur so eine Phase. Wenn er erst mal in die Pubertät kommt, wird er ganz viel schwänzen und randalieren und ein richtiger Punker werden. So wie wir damals.«

»Werde ich nicht«, sage ich trotzig. »Ich will kein Punker werden. Ich will studieren.«

Mein Vater schnappt nach Luft und legt eine Hand auf sein Herz.

»Das … Das … wirst du nicht«, stammelt er empört.

»Doch!«, erwidere ich. »Und danach werde ich arbeiten gehen und Geld verdienen! So wie jeder andere normale Mensch auch! Und dann kaufe ich mir ein Auto! Einen Mercedes! Und den wasche ich dann jeden Samstag! Vor meinem Reihenhaus!«