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Über dieses Buch:

Diese Konditorei in Seattle ist ein kleiner Ort des Glücks: Hier kann jeder Gast beim Duft von frisch gebrühtem Kaffee und dem Genuss von Sunyas geradezu magischen Backkreationen seine Alltagssorgen vergessen. Nur sie selbst scheint nie die Ruhe und Wärme finden zu können, die sie ihren Gästen jeden Tag schenkt … zumal der kleinen Bäckerei vom einen auf den anderen Tag der finanzielle Ruin droht, als direkt in Sunyas Nachbarschaft die Filiale einer weltweit bekannten Coffee-to-go-Kette aufmacht! Doch natürlich kommt aufgeben gar nicht in Frage: Sunya krempelt die Ärmel hoch, um für ihr Glück zu kämpfen – aber hat sie jetzt überhaupt noch Zeit für den charmanten Regisseur Andrew, der die Hauptrolle in seinem Leben mit ihr besetzen möchte?

Über die Autorin:

Bharti Kirchner, geboren in Indien, war lange Zeit in der IT-Branche tätig, bevor sie sich dem Schreiben widmete. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie mehrere preisgekrönte Kochbücher und ist heute als freie Journalistin für zahlreiche bekannte Zeitschriften und Tageszeitungen tätig. Kirchner lebt mit ihrem Mann in Seattle.

Bharti Kirchner veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Gärten von Darjeeling« und »Die Sonnentänzerin«.

Die Website der Autorin: www.bhartikirchner.com

Die Autorin im Internet: www.facebook.com/Bharti-Kirchner/

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eBook-Neuausgabe Mai 2018

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2003 Bharti Kirchner

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel »Pastries« bei St. Martin's Press, New York.

Published by arangement with Bharti Kirchner

Copyright © der deutschen Ausgabe 2004 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / AL Robinson / Ratchat / redknapper / Nick_Nick / Sharon Wildie / David Ridley / ESB Professional / limilix / Nikom Maelao Production / VIS FineArt / Elena Kudryavtseva / Ga_Na / DaLin

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ml)

ISBN 978-3-96148-185-9

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Bharti Kirchner

Die kleine Bäckerei des Glücks

Roman

Aus dem Amerikanischen von Antje Althans

dotbooks.

Für die ganze Clique:

Tom, Kachi, Didi, Satyada, Rinku,
Tinni, Nivdeditamami, Dollymasi und
Apumami mit ihrer Familie

Lang dacht ich, dass Wissen allein mir genüge.

WALT WHITMAN

Im tiefen Winter lernte ich endlich,
dass in mir unbesiegbarer Sommer war.

ALBERT CAMUS

Kapitel 1

Ich, Sunya Malhotra, bin eine Frau, die lebt, um zu backen.

Heute Morgen um fünf, als die Spatzen gerade zu zwitschern beginnen, springe ich aus dem Bett und fahre bald darauf verschlafen mit dem Auto die zehn Blocks zu meiner Bäckerei.

In der luftigen Küche gehe ich geradewegs zur Theke, streiche sanft über die Marmorplatte und erfreue mich an ihrer sauberen und kühlen Oberfläche. Schon bald siebe ich mit rhythmischen Bewegungen Mehl in eine Rührschüssel und muss dabei einfach ab und zu den Finger in das sinnlich weiche Pulver stecken. Ein Blick auf die Wanduhr sagt mir, dass ich langsam einen Zahn zulegen muss. Eidotter gleiten in eine Schüssel, Eiweiße in eine andere. Der Dotter schimmert wie ein See aus eingefangenem Sonnenlicht; das Eiweiß ruht: eine klare Masse, die das Mosaikmuster auf dem Boden der Kupferschüssel vergrößert. Zum Schluss lege ich die Stückchen erstklassiger Schokolade in ein Wasserbad, wo sie zu einer bittersüß duftenden, dunklen Flüssigkeit verschmelzen. Eiweißschlagen ist schon seit langem ein Ritual für mich, und der Schneebesen in meiner Hand bewegt sich flink und gekonnt.

Im Hintergrund spielt das Radio ein Barockstück.

Ich muss an Roger denken, die Liebe meines Lebens, die ich erst vor kurzem verloren habe; er liebte diese Melodie.

Diese einsamen Morgenstunden sind immer noch das Schlimmste für mich, aber ich bin mit Leidenschaft bei der Arbeit. Ich backe meine Spezialität: Sunya Cake. In nur wenigen Stunden wird mich ein Gastronomie-Kritiker von der Zeitung zu diesem Verkaufsknüller interviewen; allein der Gedanke daran macht mich nervös.

Ich bin die alleinige Inhaberin des Pastries-Cafés, einer modernen Bäckerei in Seattle mit Platz für zwanzig Personen. In letzter Zeit hat mein Sunya Cake dank sagenhafter Kritiken und Mundpropaganda ziemliches Aufsehen erregt. Dieser Erfolg ist umso überraschender, da das Café sehr versteckt im ruhigen Wohnviertel Wallingford liegt, fünf Meilen entfernt vom glanzvollen Stadtzentrum mit seinen Boutiquen, Nachtclubs, Museen und Restaurants.

Die unterschiedlichsten Bewohner Seattles strömen in mein Geschäft, um ein Stück Sunya Cake zu probieren, und kommen wegen anderer Leckereien wieder. Eine gewichtsbewusste Verkäuferin sagt, dass sie den ganzen Morgen an einem einzigen Kreuzkümmel-Karotten-Muffin knabbert, während ein Student, der nach den gleichen Muffins »süchtig« ist, bei jedem Einkauf mehrere davon in seinen Rucksack packt. Meine Lieblingsstadträtin kommt regelmäßig vorbei und verschlingt zwei Stück Kuchen – ihre Entschädigung dafür, dass sie Tag für Tag den Bürgermeister ertragen muss, wie sie sagt. Und der Bürgermeister hat gerade drei Sunya Cakes bestellt, um damit eine Handelsdelegation aus Singapur zu bewirten. Doch trotz der großen Nachfrage nach Sunya Cake ist es schwierig, sich in einer Branche zu halten, in der sich die durchschnittliche Gewinnspanne im niedrigen einstelligen Bereich einpendelt.

Etwa vor einem Monat fragte mich eine langjährige Kundin, die matronenhafte Mrs. Cohen: »Was für ein Name ist Sunya?«

»Er ist indisch.« Mehr verriet ich nicht, obwohl ich sehr wohl merkte, dass sie brennend gern mehr darüber wissen wollte.

Mrs. Cohen rückte umständlich ihre Brille zurecht und bohrte subtil weiter: »Indisch? Wie interessant. Ich wollte schon immer mal die Gärten von Delhi sehen.«

»Ich war selbst auch noch nie in Indien.«

Mrs. Cohen begab sich zurück an ihren Tisch, doch ihr Lavendelparfüm hing noch in der Luft, während ich weiter das Gebäck in der Vitrine arrangierte. Bin ich wirklich eine Inderin? Für jemanden, der in Seattle aufgewachsen ist, eine Weile mit einem Japaner zusammengelebt hat und seinen Lebensunterhalt mit französischem und amerikanischem Gebäck verdient, existiert Indien nur in den Nachrichten, in Mutters stark gewürztem Essen, in den Alfonso-Mangos, die ich im Lebensmittelgeschäft kaufe, und vielleicht noch in den Yoga-Stunden, die ich nur selten nehme.

Ich wurde in Seattle geboren – ein Jahr nachdem meine Eltern aus Indien eingewandert waren. Mein Vater, ein Buddhist, gab mir den Namen bei meiner Geburt. Zwei Tage später verschwand er und ließ meine erwerbslose Mutter sitzen, die uns von Stund an allein durchbringen musste. Mutter hatte nur wenig Erspartes, auf das sie zurückgreifen konnte. Sie hoffte noch jahrelang, dass er zurückkommen würde.

Ich habe mich immer gefragt, aus welchem Grund er den Namen Sunya aussuchte, der in Indien nicht sehr geläufig ist. Einen Teil der Antwort bekam ich an meinem siebzehnten Geburtstag, aber nur weil ich Mutter direkt darauf ansprach. Wir saßen damals bei Vollmond auf der Veranda.

»Dein Name ist eine Kurzform des buddhistischen Worts sunyatta«, antwortete sie schließlich, und ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser. »Es bedeutet ›Leere‹.«

Warum ein Name, der so freudlos klang? Traurig über die implizite Ablehnung darin forschte ich in ihrem mondbeschienenen Gesicht nach einer Antwort. Ich sah mich selbst – eine durchschnittliche Nase, hohe Wangenknochen, wehmütige dunkle Augen, die aufgrund ihrer Intensität noch dunkler erschienen als sonst, und Haare so schwarz wie der Puget-Sund bei Nacht.

Eine leichte Brise wehte aus einem offenen Nachbarfenster ein paar Takte Musik herüber. »Was meinst du mit ›leer‹?«, fragte ich Mutter. Ich konnte einfach den Mund nicht halten.

Sie antwortete nicht. Als sie aufstand und wieder ins Haus ging, fiel mir die Traurigkeit in ihren Bewegungen auf. Gab sie mir die Schuld, dass mein Vater uns verlassen hatte? Diese Möglichkeit kam mir nicht zum ersten Mal in den Sinn. Ich schluckte.

Seither habe ich in jeder Vollmondnacht über die Bedeutung meines Namens und über den Vater nachgedacht, den ich nie kennen gelernt habe. Auf dem Foto, das auf Mutters Frisiertisch stand, sah mein Vater distinguiert aus. Er hatte eine widerspenstige Locke, die über dem rechten Auge hing, und über dem linken Auge eine halbmondförmige Narbe. Seine Haut war rötlich braun.

In den Jahren mit Roger, der in Japan geboren und aufgewachsen ist, habe ich eine Vorliebe für alles Asiatische entwickelt, obwohl ich im Grunde immer noch keine Ahnung vom Buddhismus habe. Ich seufze, heute so wie damals.

Ein beißender Geruch verpestet die Luft. Ich fahre herum und muss feststellen, dass meine teure Schokolade angebrannt ist. Wie konnte ich so nachlässig sein? Jeder Konditor lernt, dass Schokolade, die auf Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen äußerst empfindlich reagiert, von allen Zutaten am schwierigsten zu handhaben ist. Bis zu dieser Sekunde hatte ich mir eingebildet, die Sache im Griff zu haben. Dieses Versagen finde ich entsetzlich, besonders jetzt, wo ich unter Zeitdruck stehe. Gegen halb neun müssen die vorbestellten Torten zur Abholung bereit sein. Hastig kratze ich den verbrannten Brei in den Ausguss und schalte die Abzugshaube an.

Dann werfe ich einen Blick auf die altvertrauten Reservezutaten, die in Reih und Glied auf der Theke stehen: Mehl, Eier, Zucker, Treibmittel, Schokolade, Vanille und meine Geheimzutaten. Das Mehl ist aus frisch gemahlenem weichen Winterweizen, die sinnliche venezolanische Schokolade stammt von einem berühmten Händler in Salt Lake City, und die prallen, duftenden Vanilleschoten wurden extra aus Papantla in Mexiko eingeflogen. Ich verwende nur die qualitativ hochwertigsten Rohmaterialien, um garantiert das bestmögliche Produkt herzustellen.

Ich wache über dem zweiten Schokoladengemisch und atme den buttrigen Dunst ein, bis die Flüssigkeit genau die richtige Temperatur hat und geschmeidig glänzt. Schließlich vermenge ich die trockenen Zutaten mit den feuchten, wobei ich schneller arbeite als sonst, sodass um mich herum Mehlpartikel aufsteigen. Ich verteile den Teig in mehrere Kuchenformen, schiebe sie in den Ofen und knalle die Tür zu. In dieser kurzen Verschnaufpause denke ich über die Alchemie nach, die sich im Ofen abspielt, während die hohe Temperatur einige ausgesuchte Zutaten zu einer triumphalen Kreation verschmilzt: reichhaltig, köstlich, unvergesslich und unverkennbar Sunya. Während ich die Arbeitsfläche sauber wische, versichere ich mir, dass der Tag gerettet ist.

Ein unausgewogener Schokoladenduft zieht aus dem Ofen. O nein. Ich habe den Vanilleextrakt vergessen. Es sind die feinen Details – ein Hauch Grand Marnier, ein raues Stück Zitronenschale, ein Schuss bitterer Espresso und, wie im heutigen Fall, eine Spur Vanille –, die meine Backkunst auszeichnen. Mein Café könnte dichtmachen, wenn ich diese Fähigkeit verlöre. Zu spät, das Missgeschick auszubügeln. Gesprächsfetzen aus dem Café lassen erkennen, dass Scott, mein Angestellter, gerade den Laden geöffnet hat.

Knapp eine Minute später steckt Scott, blass, mit rotbraunem Haar, ein ruhiger Typ, der im Konditoreigeschäft noch viel lernen muss, den Kopf durch die Tür. »Wie läuft's?«

Wir besprechen den heutigen Dienstplan. Auf dem Weg zurück zur Ladentheke sagt er: »Ich hab gerade den Müll rausgebracht. Da lungert ein Typ auf dem Parkplatz rum. Ich glaub, den hab ich schon ein paarmal gesehen.«

»Muss von der Müllabfuhr oder von der Verkehrspolizei sein«, erwidere ich geistesabwesend, weil ich immer noch mit den fehlenden Zutaten in den Kuchen beschäftigt bin, die im Ofen backen.

»Glaub ich nicht – montags kommt weder die Müllabfuhr noch die Polizei«, sagt er im Weggehen. »Sie sollten lieber vorsichtig sein.«

Scotts Auftauchen wirft eine Frage auf, die man mir schon oft gestellt hat: Warum schufte ich in der Küche, obwohl ich drei vielseitig ausgebildete Angestellte habe, die rund um die Uhr für mich arbeiten?

Die Antwort ist einfach: Ich überlasse ihnen die anderen Torten, Kuchen, Obsttörtchen und Desserts, aber nicht den Sunya Cake. Das Geheimrezept dafür liegt in meinen Genen. Ich habe es kreiert. Allein der Gedanke daran macht mich stark. Das brauche ich heute dringend.

Kurze Zeit später schaut Scott noch einmal herein, um Gastronomie-Kritiker Donald J. Smith anzumelden. Es ist ein kritischer Moment, da ich, die ich sehr an Publicity interessiert bin, Donald eigentlich herzlich willkommen heißen sollte. Er schreibt für die angesehenste Tageszeitung der Stadt, die Seattle Daily News. Vor zwei Jahren hat Donald mich in seiner wöchentlichen Kolumne »Dinieren mit Donald« lobend erwähnt. Obwohl er mir nur einen kurzen Absatz widmete, war es ein wichtiges Ereignis, von dem die Kunden noch monatelang sprachen. Der Ausschnitt hängt am Kühlschrank; er hat inzwischen einen vergilbten Vanille-Farbton angenommen, aber die Schrift ist noch dunkel und lesbar. Donald schrieb:

Sunya Cake ist schmackhaft, schön, hypnotisierend und lyrisch. Das ist eine Leistung, an die höchstens meine Mutter herankommen könnte. Doch meine Mutter ist nicht im Besitz des Geheimrezepts. Das kennt nur Sunya Malhotra – und sie verrät es nicht.

Seitdem hat Donald ungeheure Anstrengungen unternommen, an das »Geheimrezept« heranzukommen, was ihm seiner Meinung nach bei den Lesern Ansehen verschaffen würde. Bei seinem letzten Besuch ließ ich ihn so viel von dem Kuchen kosten, wie er verdrücken konnte (was reichlich war), und erlaubte seinem Fotografen, nach Herzenslust zu knipsen (an die dreißig Aufnahmen), verweigerte ihm jedoch das Rezept. Aber Donald ist hartnäckig, und deshalb finde ich jedes Treffen mit ihm ungemein aufreibend.

Jetzt kommt Donald in die Küche gewatschelt. Er hat seine 108 Kilo in ein kariertes Sakko und eine dunkle Hose gezwängt; sein Haar hat die Farbe von Weizentoast. Wie immer hat er sich einen Schal um den Hals geschlungen. Mit seinen sechzig Jahren hat er bereits eine lange Karriere bei der News hinter sich. Er ist mit Rindfleisch, Kartoffeln und tiefgekühltem Apfelkuchen aufgewachsen und hat eine eindeutige Vorliebe für das hiesige Großkapital. Kurz gesagt, er repräsentiert das alte Seattle. Viele Leser halten seinen Rückzug aus dem Berufsleben für lange überfällig, und sein Geschmack stimmt nicht mehr mit der neuesten Vorliebe der Seattler für internationale Einflüsse überein, aber er ist stur und weigert sich, seinen Platz zu räumen.

Donalds Blick schweift durch die Küche, während er genüsslich schnuppert. »Muss himmlisch sein, hier zu arbeiten.«

»Ja.« Ich reiße mich zusammen, lächle gezwungen und ziehe zwei Stühle heran. Donald nimmt Platz und mustert kritisch die Küchentheke, die mit einem 20-Kilo-Sack Mehl, einer 12-Kilo-Packung Pekannüsse, einer riesigen Küchenmaschine, einem hitzebeständigen Teigspatel und einem Nudelholz aus massivem Buchenholz übersät ist.

»Das gehört alles zum Arsenal eines Bäckers«, sage ich, als ich ihm einen Becher Kaffee und ein Stück Kirsch-Mandel-Scone serviere. Eigentlich hatte ich ihm Sunya Cake anbieten wollen und hoffe, dass es ihm nicht auffällt.

»Genau die richtige Metapher, Sunya.« Donalds Stimme wird mit jedem Wort lauter. »Ich habe nämlich vor, über den bevorstehenden Bäckereien-Krieg zu schreiben.«

»Bäckereien-Krieg?«

Er weicht meinem Blick aus, aber ich sehe ein süffisantes Lächeln um seine Lippen spielen. »Cakes Plus eröffnet nur vier Blocks entfernt eine neue Filiale«, sagt er. »An der Ecke Meridian und Fifty-sixth, wo früher der M and R Produce Market war. Sie wird mehr als doppelt so groß sein wie Ihre Bäckerei. Die neue Unternehmensleitung ist sehr aggressiv, wie Sie sicher wissen.«

Mit den Händen im Schoß sitze ich regungslos da. Das ist das erste Mal, dass ich davon höre. Mein Café, auch wenn es kaum Gewinn abwirft, hat sich zu einem gemütlichen Treffpunkt entwickelt, zu einer Art zweitem Zuhause für die Kunden. Sie würden doch kaum ihre zweite Heimat aufgeben und zu irgendeinem Lizenzunternehmer überlaufen, oder?

»Ich glaube nicht, dass wir dieselbe Kundschaft bedienen.« Ich spiele mit meinem Kaffeebecher und täusche Sorglosigkeit vor. »Die Leute kommen wegen der hochwertigen Ware und der Atmosphäre, und weil unser Laden klein und gemütlich ist. Das gefällt ihnen, Donald.«

»Ihres wäre nicht das erste kleine Geschäft, das Cake Plus platt walzt.« Er reißt den Scone auseinander und untersucht sein fruchtgesprenkeltes Inneres. »Ganz im Vertrauen – die neuen Scones dort schmecken sehr ähnlich. Mandelteig gespickt mit süßen getrockneten Kirschstückchen. Die sind doch nicht irgendwie an Ihr Rezept gekommen?«

Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück. »Das ist höchst unwahrscheinlich.«

Er verputzt seinen Scone bis auf ein winziges Stück, das seinen gierigen Fingern entgeht. Nach mehreren Versuchen erwischt er es schließlich. »Ihres ist besser, wenn ich das so sagen darf. Aber dort machen sie wirklich tolle Hot Cross Buns. Die sind wieder im Kommen, wussten Sie das?

»Noch einen Scone?«

Er schüttelt den Kopf und wirft noch einen wehmütigen Blick auf den Teller. »Die Nutznießer des Bäckereien-Krieges werden die sein, die gern Süßes essen, Sunya. Entschuldigen Sie das Wortspiel, aber die Crème de la Crème wird sich durchsetzen.«

Inzwischen höre ich nur noch mit halbem Ohr hin, während ich versuche, die Auswirkungen dieser unangenehmen Neuigkeit einzuschätzen. Wie soll ich, Inhaberin eines kleinen Geschäfts, mit einer lang etablierten Bäckerei konkurrieren, die von der herausragendsten Brotfirma der Region finanziert wird, die genug Geld hat, um ganzseitige Anzeigen in der News zu schalten? Da wird Donald höchstwahrscheinlich nicht auf meiner Seite sein.

»Und was duftet da so wunderbar im Ofen?«

»Sunya Cake. Er ist noch nicht fertig.«

»Und das Rezept ...«

»Ist immer noch ein Geheimnis ...«

»Ich wäre bereit, dem Rezept eine halbe Seite zu widmen. Denken Sie nur, wie viele neue Kunden Ihnen das bringen würde.«

»Tut mir Leid, Donald. Verschwiegenheit ist immer noch das verführerischste Gewürz.«

Es ist erst kurz nach neun, als Donald endlich geht und mich noch verunsicherter zurücklässt, als ich es vorher schon war. Espresso-Autos und Drive-in-Cafés machen mir sowieso schon genug zu schaffen. Und jetzt noch ein neuer Konkurrent? In diesem Moment kommen die Sunya-Kuchen aus dem Ofen: Sie sind wabbeliger als normal. Meine Laune verschlechtert sich noch mehr; ich bin an Vollkommenheit gewöhnt und an das Lob, das ein perfekt hergestelltes Produkt mit sich bringt. Ich glasiere die Kuchen. Während ich noch von einem Stück Blockschokolade Kringel hobele, mit denen ich sie garnieren will, kommt Scott hereingestürzt, um die Kuchen in den Laden zu karren.

»Wir haben unseren Achtuhrdreißig-Termin nicht eingehalten«, sagt er.

Ich wende mich ab. Wie konnte das passieren? Das ist das erste Mal.

»Übrigens möchte Mrs. Hawthorn gern, dass Sie ihren Kuchen signieren, wenn es nicht zu viel Mühe macht. Er ist für ihre kleine Enkelin, die einfach alles aus unserem Laden toll findet.«

Trotz des Kompliments gerate ich derart in Panik, dass ich ein paar Minuten brauche, um das nötige Werkzeug zusammenzusuchen: einen Spritzbeutel, aus dem Schlagsahne quillt, und eine sternförmige Tülle. Bald darauf signiere ich schwungvoll den Kuchen.

Minuten später mache ich Inventur (stelle den ältesten Mehleimer von hinten nach vorn), als ich plötzlich an der Hintertür ein eindringliches Klopfen höre. Ich drehe mich um. Dort steht Roger, steif, gut angezogen im adretten, blau gestreiften Hemd und einer Hose mit Hahnentrittmuster, mit einem Pappkarton unter dem Arm. Ich wische mir die Hände an meiner Latzschürze ab – sogar jetzt noch bin ich von Roger Yahura beeindruckt – und bitte ihn herein. Wir sehen uns lange an. Ich registriere das ernste Gesicht, das entschlossene Kinn, das wie immer ordentlich gebügelte Hemd und die muskulösen Arme, die mich einst sicher in einer festen Umarmung hielten. Ein Hoffnungsschimmer flackert in mir auf, wie schon allzu oft in den vergangenen vier Wochen.

»Hoffentlich komme ich nicht ungelegen.«

»Nein, nein. Komm rein.«

Er zögert einen Moment, tritt näher und überreicht mir den Karton. »Ich hab ein paar von deinen Sachen gefunden ...«, sagt er mit freudloser Stimme.

Ich öffne den Karton: alte, schlaffe Socken, abgetragene T-Shirts, eine kaputte Armbanduhr und Surfing: A Book of Morning Poems, ein dünner Gedichtband, den er mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hat. Ich blicke hoch und spüre ein plötzliches Verlangen in mir aufsteigen: nach den Lippen, an denen ich früher geknabbert habe, nach den Haaren, die meine Finger so sanft zwirbelten, nach den Schläfen, die ich massierte, wenn er überlastet war. Mit Massage konnte ich sein Herz jederzeit erobern. Ach, Roger ... Ich fühle es, aber ich spreche es nicht aus.

Er streichelt mir mit dem Handrücken über die Wange, wie er es in der Vergangenheit so oft getan hat. Die kurze Berührung wirft mich aus der Bahn, bis ich den Ausdruck in seinen Augen sehe.

»Ich ziehe in eine größere Wohnung«, sagt er. »Ich wollte es dir sagen, bevor du es von jemand anderem erfährst ... Ich ziehe mit Kimiko zusammen.«

Bei dieser unerwarteten Neuigkeit steht die Welt still. Ich verenge die Augen und erinnere mich an mein erstes Treffen mit Kimiko Iwata, das vor einem Jahr auf der jährlichen Fuchsien-Schau im Seattle-Center stattfand. Sie – ein dünnes Geschöpf, nicht übermäßig hübsch, aber mit tofuweicher Haut – hatte sich eine seidige Haarlocke aus dem Gesicht gestrichen und mich mit intensiven Obsidian-Augen betrachtet.

»Fuchsien«, sagte sie, »erinnern mich an Tränen in raffinierten Röcken.«

Das amüsierte mich. Wir unterhielten uns eine Zeit lang und tranken grünen Tee in einem nahe gelegenen Gartencafé. In den nächsten Monaten tauschten wir uns ab und zu über unser gemeinsames Interesse aus. Deshalb erschien es mir letzten Sommer, als die beiden riesigen Fuchsienbüsche vor meinem Haus mit ihren prächtigen rot-violetten Röckchen üppig blühten, auch nur selbstverständlich, sie zu einer Party bei uns einzuladen. Ich war enttäuscht, als sie die Fuchsien nur flüchtig musterte, sich Roger zuwandte und sich den ganzen Abend in einer dunklen Wohnzimmerecke intensiv mit ihm unterhielt. Wenn ich einen Blick auf ihn erhaschte, kam es mir vor, als sei er vom Sommerblitz getroffen worden. Doch ich wollte es nicht wahrhaben und dachte mir nichts dabei. Schließlich hatte Roger in Seattle selten die Gelegenheit, japanisch zu sprechen oder das Neueste aus Tokio zu erfahren. Während sie sich in ihrer Muttersprache unterhielten, kamen sie mir frei und glücklich vor und schienen sofort miteinander vertraut zu sein.

Wie dumm von mir, ihnen zu vertrauen.

»Wie konntest du nur?«, frage ich Roger, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort hören will.

»Das solltest du selbst wissen«, erwidert er. »Du hast zu viel gearbeitet. Du hattest nur diese Bäckerei im Kopf.«

»Ich hatte keine große Wahl. Ich stecke bis zum Hals in Schulden. Die Bäckerei kann jeden Tag Pleite gehen.«

»Was hast du denn schon von all der Arbeit, von deiner Besessenheit, wenn du nicht mal die Rechnungen bezahlen kannst?«

»Und was hast du von deinen ganzen Treffen und Demonstrationen?«, schnauze ich. »Hast du etwa die Welt gerettet?«

Er ignoriert den Seitenhieb, aber wenigstens haben wir wieder ein gemeinsames Thema. Die Leidenschaft in unserer Beziehung ließ etwa vor einem Jahr nach, als Roger, von seiner Arbeit als Modeverkäufer gelangweilt, der People's Trade Campaign, einem Zusammenschluss aus Verbraucher- und Umweltschutzgruppen, beitrat. Ich erinnere mich noch, was in ihrer Broschüre stand, jedenfalls an die Kernaussage: Internationale Unternehmen – »Welteliten«, »Parasiten« oder »Mafia-Familien« – rissen die Weltmacht an sich.

Diesen Herbst planten die politischen Aktivisten eine Demonstration gegen die Dritte Welthandelskonferenz, auch bekannt als die Seattler Ministerkonferenz, die angesetzt war, um eine neue Runde weltweiter Handelsgespräche einzuleiten. Von heute auf morgen verlor der kunstsinnige Roger seinen japanischen Akzent und seine Hemmungen und hielt in Kirchenkellern und bei Nachbarschaftsrats-Treffen leidenschaftliche Reden. Mit dem Feuereifer, den Neubekehrte oft an den Tag legen, prangerte er die Übel der Globalisierung an, die angeblich für die Ausbeutung der Entwicklungsländer verantwortlich war, die Umwelt gefährdete und die Regelungen zum Verbraucher- und Arbeiterschutz unterhöhlte.

In meinen Ohren klang das alles wie das übliche radikale Geschwätz. Zu allem Übel kam Roger abends erst spät nach Hause, und wenn ich mich beklagte, stellte er Gegenfragen wie: »Machst du dir je Gedanken darüber, dass Bauern in den weniger entwickelten Ländern gezwungen sind, ihr Korn von multinationalen Unternehmen zu kaufen, weil ihnen nicht erlaubt ist, es selbst zu lagern?« Die Sache, die vielleicht eine Nummer zu groß für ihn war, saugte seine Zeit, Energie und Libido auf. Wenn wir zusammen waren, wirkte er abwesend, was ich nicht verstand. Obwohl sein Lieblingsspruch zu dem Thema »Konzentration auf das menschliche Gesicht« lautete, konzentrierte er sich kaum auf meins. Wir stritten und versöhnten uns und stritten dann erneut. Während er sich um die Sache sorgte, sorgte ich mich um seine Sicherheit. Diese Demonstrationen konnten außer Kontrolle geraten.

»Kritisierst du wieder mein soziales Engagement?«, durchbricht Rogers Stimme meine Gedanken.

Ein dumpfes Geräusch an der Haustür deutet darauf hin, dass die Zeitung ausgeliefert wird, und für einen kurzen Moment verstummen wir beide. Keiner von uns will nachgeben. Er bedeutet mir immer noch viel, auch wenn meine Stimme scharf klingt. »Pass bloß auf, dass sie dir nicht den Schädel einschlagen.«

Er zieht die dünnen Augenbrauen zusammen und wendet sich zum Gehen, und das tut weh. Er hätte nicht zurückkommen und mich daran erinnern müssen, wie es einmal zwischen uns war. Ich schiebe den Karton unter die Werkbank und sage: »Das ist alter Plunder. Die Fahrt hierher hättest du dir sparen können.«

»Scheint so.«

Die Worte, kalt und spröde, schneiden durch die Luft, als er aus der Tür hinaus ins Halbdunkel schlüpft. Ich höre rasche Schritte, dann den Motor eines Wagens, der aus der Auffahrt fährt. Die Stille und der leere Türrahmen vermitteln eine trostlose Endgültigkeit. Wie ein Mann geht, verrät viel über ihn.

Benommen lehne ich mich an die Küchentheke. Im Geiste gehe ich noch einmal die Geschichte unserer Beziehung durch – bis zurück zu meiner Lehrzeit in Paris vor fünf Jahren, als Roger mich ermutigte, meine Träume zu verwirklichen. Später, als ich versuchte, von Seattler Banken ein Start-up-Darlehen zu erhalten, und man mir ausnahmslos die Tür wies, tröstete er mich. »Lass dich nicht unterkriegen, mein Apriköschen. Das macht dich nur noch stärker ...« (Als Kind in Japan waren Aprikosen für ihn die kostbarsten Früchte.)

Dann ging ich zurück in die Küche, um neue Rezepte zu kreieren. Er schrieb Ratschläge, Kommentare, Erkenntnisse und verliebten Unsinn auf die Rückseiten meiner Rezeptkarten. Nachdem er meine Kirsch-Pflaumen-Törtchen probiert hatte, kritzelte er verzückt: »Nur Sunyas Küsse sind verlockender.« Als ich schließlich aus dem Nichts diese Bäckerei aufbaute, spielte er dabei eine wesentliche Rolle. Er kam jeden Morgen hierher. Er wusste, wo ich die Hefewürfel aufbewahrte, wie viel Pfund Zucker ich jeden Monat bestellte und nach welchen Eigenschaften ich einen Stellenbewerber aussuchte. Nach unserem Bruch fühle ich mich, als sei mein Fluss an seiner Quelle abgeschnitten.

Und das zu dem Zeitpunkt, an dem ich mit der Aussicht auf einen Bäckereien-Krieg konfrontiert werde.

Kapitel 2

Um sechs Uhr morgens kriecht das graue Morgenlicht durch mein Schlafzimmerfenster. Als ich das muntere Lied der Kohlmeisen höre, werfe ich die warme Wolldecke beiseite und stehe auf. Während ich dusche, drehen sich meine Gedanken immer noch um die gestrige Nachricht, dass Cakes Plus in die Nachbarschaft zieht. Ich schlurfe zum Wandschrank und nehme mir ein gut gebügeltes Baumwollkleid mit V-Ausschnitt heraus. Es ist blau und mit schwarzen geometrischen Figuren bedruckt – ein Schnäppchen von Nordstrom. Modisch ist es nicht; aber egal, dieses relativ lange Kleid und meine vernünftigen flachen Kalbslederschuhe werden mich bequem durch den Tag bringen, und Flecken sind darauf auch nicht zu sehen. Außerdem wird es meine Sexualität verhüllen, wie Mutter es mir beigebracht hat. Ich fasse mein schulterlanges schwarzes Haar mit einer goldenen Haarspange zusammen und werfe einen letzten Blick auf meine schlanke, gepflegte Gestalt. Man sagt mir, dass ich nett aussehe. Wie immer verschwende ich keine Zeit mit Make-up (ich trage nicht einmal Mascara) oder Kaffeekochen. Aber heute ist Dienstag, und ich muss den Recycling-Eimer rausstellen, bevor ich zur Arbeit fahre. Ich bin sehr gewissenhaft, was Recycling betrifft.

Ich rolle das riesige Ungetüm auf den Bürgersteig, und als ich mich bücke, um die Morgenzeitung aufzuheben, sehe ich einen Mann, der lässig am Laternenpfahl auf der anderen Straßenseite lehnt. Er – mittelgroß, Anfang dreißig, mit blonden Haaren, die einem windgepeitschten Weizenfeld ähneln – trägt eine dunkelbraune Ziegenlederjacke. Sein Gesicht ist meinem Haus zugewandt; seine Augen sind hinter einer violetten Sonnenbrille verborgen.

Eine Sonnenbrille so früh am Morgen?

Als ich die Zeitung aus ihrer Plastikhülle ziehe, fällt mir auf, dass jemand eine weiße Visitenkarte unter das Gummiband gesteckt hat. Zu meinem Erstaunen ist sie mit eleganten schwarzen japanischen Schriftzeichen bedruckt. Sofort kommt mir Roger in den Sinn.

Die Rückseite der Karte ist mit der Hand beschrieben, ebenfalls auf Japanisch. Ich erkenne den bogenartigen Stil der Hiragana-Schrift wieder, obwohl ich ihre Schönheit unter diesen Umständen nicht gebührend würdigen kann. Ich stecke die Karte erst einmal in meine Handtasche. Roger kann sie für mich übersetzen.

Dann fällt es mir ein: Es gibt keinen Roger mehr in meinem Leben.

Als ich in einen Steppmantel gehüllt wieder herauskomme, die Autoschlüssel in der Hand und bereit, mich allem und jedem zu stellen, ist der Mann verschwunden. Aus alter Gewohnheit nehme ich mir einen Augenblick Zeit, mich umzusehen, und fühle mich eins mit der stillen Landschaft, die ich jeden Morgen erlebe: die violetten Berberishecken, die mein Grundstück begrenzen, die Roteiche, die fest und unerschütterlich auf der anderen Straßenseite steht, die schrägen Dächer eines zweistöckigen Stuckhauses, die einen halben Block entfernt aus der noch verbliebenen Dunkelheit hervorlugen. Für eine Stadtbewohnerin wie mich ist das die Natur.

Mrs. Petrocelli, eine Frühaufsteherin, die drei Häuser weiter wohnt, nähert sich mit ihrem Pudel. Sie, unser »Blockwart« –Captain, gehört zu den Nachbarn, zu denen ich Kontakt halte. Die ehemalige Wetterfrau bei einem Kleinstadt-Fernsehsender ist Witwe und leidet am »Leeres-Nest-Syndrom«; sie ist Mitte siebzig und lebt allein. An verregneten Wochenenden, wenn sie sich nicht gern hinauswagt, bringe ich ihr ein Plundergebäck oder ein Stück Heidelbeerkuchen mit, und wir veranstalten einen Kaffeeklatsch. »Jede Frau hat ein Recht auf Süßes«, witzelt sie. Sie mag Farben, die »den Morgen gebären«, was heute an einer zinnoberroten Windjacke zu erkennen ist, und »schweren« Schmuck, der heute aus zwei handschellenartigen Silberarmbändern besteht. Wenn ich ihr morgens begegne, versäumt sie es nie, mich mit dem Wetterbericht zu beglücken. Sie zwitschert dann: »Regen, kein Rainier.« Oder: »Der Berg ist draußen.« Oder: »Eins! Vier! Sieben!« Mit ihrer melodischen Stimme vorgetragen hören sich die Tagestemperaturen an wie die Lottozahlen.

Während ich stehen bleibe, um sie zu begrüßen, ist ihr Hund damit beschäftigt, auf dem Parkstreifen an einer Löwenzahnknospe zu schnuppern, und ausnahmsweise einmal wirft sie mir keine Celsiusgrade an den Kopf. Stattdessen fragt sie: »Haben Sie den blonden Mann gesehen?«

»Ja. Er lehnte am Laternenpfahl da drüben. Ist er ein neuer Nachbar?«

»Nein, glaube ich jedenfalls nicht. Ich habe gesehen, wie er etwas vor Ihrer Tür ablegte. So wie er sich umsah, schien er furchtbar an Ihrem Haus interessiert.« Dies verkündet sie mit einer Gewissheit, die auf mich wirkt wie eine deutliche Warnung, das Letzte, was ich gebrauchen kann. Konnte der Blonde derselbe Mann sein, von dem Scott gestern gesprochen hatte? Hier in der Gegend lungern die Leute nicht so früh am Morgen auf dem Bürgersteig herum. Er muss auch die japanische Visitenkarte vor meiner Tür abgelegt haben. Mein Magen rebelliert ein wenig.

»Ist wahrscheinlich harmlos.« Ich wende mich der Garage zu.

»Er ist süß. Informieren Sie mich, wenn Sie ihn noch einmal sehen. Komm, Timbuktu.« Mrs. Petrocelli zerrt an der Leine, und der Hund, der ein rotes Nylonhalsband trägt, folgt ihr. Ich mag Timbuktu, auch wenn ich im Allgemeinen für Hunde nicht viel übrig habe.

Wieder denke ich über Cakes Plus nach. Wie kann ich, aufgezogen von einer allein erziehenden Mutter, die sich ständig Sorgen macht, solche Warnungen auf die leichte Schulter nehmen? Während ich unter dem hoffnungsvoll dämmernden Himmel durch die kirschbaumgesäumten Straßen fahre, kommen mir Ideen, Ansätze einer Lösung. Ich könnte einen Catering-Service anbieten, jeden Monat ein neues Gebäckstück einführen, Hochzeitstorten auf Wunsch liefern und in ausgewählten Zeitschriften werben. Ein anderer Teil meines Gehirns hält dagegen: Woher soll ich das Geld für die Mehrausgaben nehmen? Und wie die zusätzlich nötige Zeit und Lauferei einplanen, die für eine Werbekampagne unerlässlich sind?

Und was unternehme ich wegen des Herumtreibers?

Nun, das ist ganz einfach. Ich spreche mit Detective Colby, der regelmäßig im Café frühstückt.

Minuten später betrete ich die Bäckerei-Küche, wo ich vom rhythmischen Hämmern von Metall, das auf Holz schlägt, begrüßt werde. Ich rieche die Zutaten, noch bevor ich sie sehe. Heute ist Karamell-Apfelkuchen-Tag. Pierre, mein bester Bäcker, schneidet wie erwartet glänzend grüne Granny-Smith-Äpfel in halbmondförmige Stücke. Das Messer kerbt Rillen in das Schneidebrett. Irgendetwas stimmt nicht.

Pierre mag es nicht, wenn man ihn bei der Arbeit stört, deshalb bleibe ich unauffällig im Türrahmen stehen. Im weißen Kochkittel und mit einer Drahtbrille, durch die er konzentriert nach unten blickt, wirkt der Zweiunddreißigjährige eher wie ein Arzt als wie ein Bäcker. Als ich ihm das einmal sagte, antwortete er, er hätte in Frankreich einmal ein Medizinstudium angefangen, es aber nicht über das zweite Jahr hinaus geschafft. Das überraschte mich nicht, da Pierre eher Künstler ist als Wissenschaftler. Er reduziert instinktiv den Zucker, wenn das Obst überreif ist, lässt intuitiv den Eigelb-Überzug auf dem Teigdeckel weg oder öffnet die Ofentür, bevor der Timer piept, weil seine Nase ihm sagt, dass der Kuchen fertig ist.

Der einzige Streitpunkt mit Pierre sind seine Arbeitszeiten. Abgemacht waren vier 8-Stunden-Tage pro Woche, und in den ersten beiden Jahren lief auch alles problemlos. Doch seit letztem Monat ist er in die Gewohnheit verfallen, von Dienstag bis Donnerstag drei 10-Stunden-Tage zu arbeiten, und das ist nicht das Gleiche – ich brauche ihn hier vier volle Tage. Heute Morgen werde ich darauf bestehen.

Das heutige Rezept, mit der Hand auf eine goldumrandete Karteikarte geschrieben und signiert (wie ich es immer tue), ist mit Klebestreifen am Wandschränkchen aus dunklem Kirschholz befestigt. Pierre braucht es nicht. Er schüttet intuitiv die richtige Zuckermenge in den Topf und streut schwungvoll Zimt und Kardamom aus Gläsern hinein. Seine fertigen Kunstwerke, die wir ohne Eiskrem oder Schlagsahne servieren, werden innerhalb von zwei Stunden ausverkauft sein. Sie sind nicht nur schmackhaft und hübsch, sondern wecken auch Nostalgie. Ein Stammkunde, ein 90-Kilo-Mann, der als Kranführer im Hafen arbeitet, bekam vor Rührung feuchte Augen, als er zum ersten Mal eins frisch aus dem Ofen probierte. Man weiß nie, wer sich als Gourmet entpuppt oder eine bestimmte Vorliebe hat.

Während ich den süßen, warmen Duft einatme, beobachte ich Pierre dabei, wie er zwischen Schrank und Ofen hin und her flitzt. Einen kurzen Moment lang sehe ich uns gemeinsam auf einer Tanzfläche, meine Füße in hochhackigen Pumps, meine Beine flink um seine herumwirbelnd. Doch nein, er ist schließlich mein Angestellter und hat einen Lebensgefährten. Ich verbanne den abwegigen Gedanken und schreibe ihn meiner momentanen Einsamkeit zu.

Lässig wirft Pierre eine Hand voll uneinheitlich geformter Apfelscheiben in, den Kochtopf. Jetzt endlich bemerkt er mich. Mit von der Hitze hochroten Wangen ruft er bonjour und fügt hinzu: »Das muss mein tausendster Schwung Pies sein.«

Ich nicke unbehaglich, weil das so klingt, als würde ihn die Backerei zermürben. Pierre hat sich nicht nur als hervorragender Bäcker erwiesen, sondern auch eine unbekümmerte Atmosphäre, einen gewissen esprit, in meine Bäckerei gebracht. Seine Sätze sind mit donc, c'est vrai? oder de toute façon gespickt, gerade oft genug, um unserem Laden ein schickes europäisches Flair zu verleihen, ohne dabei die Gore-Tex-Parkaträger in diesem umweltpolitisch korrekten Seattler Stadtteil zu befremden. Jeden Morgen, wenn er die Tür zur Bäckerei öffnet, wird er mit herzlichen »bonjours« überschüttet. Einmal, als er an der Theke bediente, gab ihm eine Frau für Pfefferminztee, der nur einen lumpigen Dollar wert war, einen 100-Dollar-Schein. Jill hätte alles in Bewegung gesetzt, um Wechselgeld aufzutreiben. Pierre hingegen zog die Augenbrauen hoch, zuckte viel sagend mit den Achseln und sagte: »Aber madame ...« Die zur Einsicht gelangte Frau durchwühlte prompt ihre Handtasche und kramte mit entschuldigendem Lächeln vier 25-Cent-Stücke hervor. Ich werde nie erfahren, ob es am Achselzucken lag, am Akzent oder einfach an Pierre.

Jetzt rührt er im Topf. Durch eine eigenwillige Bewegung mit dem Spatel fallen mehrere Apfelscheiben auf die Herdplatte. Er hebt sie auf und wirft sie ins Spülbecken. »Merde«, murmelt er, als er seine verbrannten Finger unter den Wasserhahn hält. Einen Augenblick später dreht er das Wasser ab und seufzt tief.

Sorge steigt in mir auf, bis mir auffällt, dass sich auf einem Teigdeckel auf der Theke winzige Tröpfchen bilden. »Glaubst du, es ist zu warm hier, Pierre?« Der Teig muss im Kühlschrank gekühlt werden, sonst blättert er beim Backen nicht, und das sollte er wissen.

Pierre verzieht das Gesicht und schaltet die Abzugshaube über dem Herd ein. Die kühle Luft und das gleichmäßige Geräusch scheinen ihn zu beruhigen. Er lässt in jedes der zehn Kuchenförmchen aus Jenaer Glas einen Teigboden gleiten, wobei sich sein Gesicht vor Konzentration anspannt. Als er damit fertig ist, blickt er auf. »In letzter Zeit habe ich mich gefragt, was ich vom Leben will.«

Solches Philosophieren verspricht nichts Gutes. Der Mensch stellt sich die großen Fragen des Lebens nicht, wenn er vor Glück überschäumt. »Was meinst du damit?«, frage ich.

»Bedeutet Erfüllung, sich noch eine antike Vase anzuschaffen? Stephan scheint das zu glauben. Neulich ist er zu einem Nachlassverkauf gegangen und hat einen teuren Kupferkessel erstanden, den er auf unseren Kaminsims stellte. Er konnte den ganzen Abend nicht den Blick davon abwenden. Zugegeben, er hat eine schöne komplizierte Gravur, und ich musste keinen Lilienstrauß kaufen, um ihn aufzumotzen, aber mir sagte er nichts. Rien. In meinem Leben fehlt irgendwas. Irgendetwas schreit mich ab und zu an und sagt mir, ich soll endlich meinen derrière hochkriegen und etwas unternehmen.«

In der Vergangenheit hat er mir anvertraut, dass er und Stephan wie die meisten Paare schon diverse Meinungsverschiedenheiten hatten: Wo lassen wir uns nieder? Wen laden wir zum Abendessen ein? Wie geben wir unsere Prämie aus? Und, ein Klassiker, wer bringt den Müll raus? Pierre, von Natur aus umgänglich, tendiert dazu, beim geringsten Anzeichen von Konflikten in Herzensdingen überzureagieren. Ich habe das schon öfter erlebt. Trotzdem ist es einfach schön, einen Partner zu haben, selbst wenn man sich mit ihm nicht einig ist. Ich wünschte, ich könnte mich noch mit Roger streiten. Auf diese Wehmut folgt die gefürchtete, schmerzhafte Frage: Werde ich je wieder einen passenden Mann finden? Um Händchen zu halten, Tisch und Bett zu teilen und gemeinsam mit ihm zu leben und zu träumen; jemanden zu haben, dessen Welt sich mit meiner überschneidet. Mutter erinnert mich daran, dass sie mit vierundzwanzig bereits verheiratet war, ein Alter, das ich schon vor fünf Jahren überschritten habe. Es ist mir nie leicht gefallen, zum anderen Geschlecht eine Beziehung zu finden. Als Einzelkind und ohne Vater aufgewachsen, finde ich Männer gelinde gesagt verwirrend. Ihre Sprache und ihr Verhaltenskodex sind mir vollkommen fremd. So selbstsicher ich in der Bäckerei auch wirke, privat bin ich zurückhaltend, und Smalltalk fällt mir nicht leicht, zumindest nicht, bis ich einen Mann gut kenne.

»Ich habe in letzter Zeit nicht gut geschlafen«, fügt Pierre hinzu.

Seine untypische Selbstanalyse veranlasst mich, meine eigene Situation weiter zu überdenken. Ich picke am Leben wie ein Vogel an einem Baumstamm, der nie ganz zu dem Saft durchstößt, der im Innern lagert. Ich kann zwar mit einzelnen Tagen umgehen, aber nicht mit dem Leben schlechthin. Ich habe zwar eine lange Liste mit Zielen und Wünschen, aber sie ergibt sich nicht aus einer groß angelegten Strategie.

»Um ehrlich zu sein, bin ich selbst beunruhigt«, vertraue ich ihm an. »Roger und ich sind jetzt seit einem Monat getrennt. Ich dachte, wir kämen vielleicht wieder zusammen, aber gestern hab ich erfahren, dass er mit seiner neuen Freundin zusammenzieht.«

Pierre, der vor Mitgefühl feuchte Augen bekommt, wirft mir einen Blick zu. »Désolé. Aber wenn ich das so sagen darf, er war nicht gut genug für dich. Sein Ego treibt ihn. Er redet über den Welthandel, als sei er eine üble Verschwörung. Mir gefällt die Idee der Globalisierung. Macht sie die Welt nicht zu einem einzigen Markt und gibt den Entwicklungsländern dadurch eine Chance? Mais, zu allem Übel scheint er sich auch noch einzubilden, dass er die Seattler Ministerkonferenz verhindern kann. War er schon immer so arrogant?«

»Nein, glaub mir. Als ich ihn kennen lernte, war er faszinierend und süß. Nach Amerika zu kommen, um seinen Traum zu verwirklichen, und der Gedanke, dass es für ihn keine Grenzen gibt, haben ihn verändert. Er ist anmaßend geworden. Aber du hast Recht. Es ist Zeit loszulassen. An andere Dinge zu denken. Besonders jetzt, da Cakes Plus in die Nachbarschaft zieht ...«

»Du glaubst wirklich, dass Cakes Plus es hier schaffen kann?«, schnaubt Pierre verächtlich. »Wir haben gewissenhafte Kunden. Sie bringen sogar ihre eigenen Kaffeebecher und Stoffservietten mit, um die Umwelt zu schonen. Sie ziehen das Persönliche dem Kommerziellen vor. Ich bezweifle, dass sie unserem großen Konkurrenten viel Beachtung schenken werden.«

Pierre übersieht, dass Cakes Plus bis Mitternacht auf hat, in Zeitungsannoncen Two-for-One-Coupons anbietet, dienstags für Senioren Gratiskaffee ausschenkt und niedrigere Preise hat. »Ich fürchte, Pierre, letzten Endes könnten unsere Kunden sich doch für Cakes Plus entscheiden, weil es dort billiger ist.«

Wie ein liebevoller Vater, der die Kinder zur Schule schickt, tritt Pierre zurück und wirft einen letzten Blick auf seine Pies. Sein Gesicht ist vor Stolz rosa. »Warum vor der Konkurrenz zittern? Schlimmstenfalls kannst du diese Bäckerei verkaufen und dabei einen ordentlichen Profit rausschlagen. Du kriegst jederzeit einen anderen Job.«

»Es ist nicht so leicht für mich, diesen Laden aufzugeben, mon ami. Es ist sogar unmöglich. Meine Mutter würde mir nie verzeihen. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als ich ihr sagte, dass ich die Bäckerei ihr widme.

Pierre stellt die Pies in den Ofen. Seine ruhigen Hände halten die Backformen, als wollte er ein Opfer darbringen. Ich erinnere mich an die Zeit, als Mutter, eine allein erziehende Frau, sich an ihren winzigen Doughnut-Laden klammerte, um unseren Unterhalt bestreiten zu können. Als ich klein war, etwa fünf oder sechs, reichte das Geld einmal nur für Milch und nicht für Teebeutel. Deshalb braute sie sich eine dünne Mischung aus Milch und heißem Wasser und nannte es »weißen Tee«. »Wenn man nicht allzu genau darüber nachdenkt«, beharrte sie, »schmeckt es wie schwacher Tee.« Sobald ich alt genug war, jobbte ich nach der Schule, um Mutter zu unterstützen. An den Wochenenden half ich ihr im Doughnut-Laden.

Jetzt schüttle ich kaum wahrnehmbar, aber entschlossen den Kopf.

Er wäscht sich die Hände mit handgemachter französischer Seife und trocknet sie an einem Leinengeschirrtuch ab, beides persönliche Extrawünsche. »En vérité«, sagt er, »fürchte ich sehr wohl, dass Cakes Plus uns Kunden abspenstig machen wird. Weißt du was, Sunya? Gib mir am Donnerstag frei, dann statte ich ihrem Hauptgeschäft einen Besuch ab und peile die Lage.«

»Nein, Pierre, du bist zu bekannt. Ich werde Jill hinschicken.«

Pierre strahlt. »C'est possible. Gestern Abend bei der Truffaut-Retrospektive drüben im Grand Illusion hat man mich auch erkannt. In der Pause kam ein Mann zu mir und fragte: ›Sind Sie nicht Pierre vom Pastries?«‹ Nach einer kleinen Pause fragt er: »Kann ich Donnerstag frei haben?«

»Kannst du. Aber als Gegenleistung möchte ich, dass du nächste Woche zusätzlich zu deinen normalen drei Tagen am Montag arbeitest. Wir haben eine Riesenbestellung von der Women's Funding Alliance für ihr alljährliches Wohltätigkeits-Dinner.

Pierre macht ein bestürztes Gesicht. »Montag kann ich nicht. Stephan und ich haben was vor. Wir haben in der letzten Zeit nicht viel Zeit miteinander verbracht, und er hat sich beklagt –«

»Oh, bitte, Pierre, es ist nicht nur für mich. Francine Cole ist eine deiner treuesten Kundinnen. Denk daran, wie sie von deiner Mohn-Zucker-Garnierung auf der Muttertagstorte geschwärmt hat! Sie hat die Torte als Hauptattraktion verwendet!

Pierre schweigt entschlossen. Er hat eine bestimmte Art, die Lippen zusammenzupressen und den Blick zu senken, um zu zeigen, dass das Thema für ihn erledigt ist.

»Hör zu, vor ein paar Jahren konntest du nicht mal Sahne schlagen. Und jetzt kriegst du von mir die höchste Prämie und kannst dir als Erster die Ferientermine aussuchen.«

Wie anders es an dem Tag war, als er sich um die Stelle bewarb! Als ich ihm diese große Küche zeigte, in der es drei gewaltige Regale, zwei riesige Fenster und eine zentrale Insel – unsere Werkbank – gab, auf der sich ein extragroßer Ballonschneebesen, eine elektronische Waage und ein Hochleistungsmixer befanden, fiel mir die Verblüffung in seinem runden Gesicht auf. »Und wo haben Sie bisher gebacken?«, fragte ich.

Verlegen antwortete er: »Eigentlich habe ich noch nie als Bäcker gearbeitet, madame

Der Mann hatte Nerven, sich um eine Bäckerstelle zu bewerben, obwohl er null Backerfahrung hatte! Ich erinnerte ihn daran, dass aus meiner Anzeige in der Weekly eindeutig hervorging, dass ich »einen erfahrenen und fantasievollen Bäcker« suchte. Ich wollte keinen Bäckergehilfen.

Er zog seine dichten schwarzen Augenbrauen hoch, neigte den Kopf zur Seite und sagte herausfordernd: »Erfahrung, leider nein. Fantasie? Mais oui. Und Sie müssen berücksichtigen, madame, dass ich Franzose bin. Das Kochen liegt uns im Blut.«