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Rhenna Morgan

Haven Brotherhood 1: Rough and Tumble

Erotischer Roman

 

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Nina Bellem

 

© 2017 bei Rhenna Morgan

© 2018 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

info@plaisirdamourbooks.com

© Covergestaltung: Mia Schulte

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-348-4

ISBN eBook: 978-3-86495-349-1

 

Dieses Werk wurde im Auftrag von Harlequin Books S.A. vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

 

Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Widmung

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Epilog

Autorin

 

 

 

 

 

Widmung

 

Für meine Leser – die Fans von Und-sie-lebten-glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage-Geschichten und Rittern in schmutzigen Rüstungen. Die Welt braucht mehr Romantiker wie uns.

 

 

Kapitel Eins

 

Es ging doch nichts über eine „Die betrunkene kleine Schwester an Silvester suchen und retten“-Aktion nach einem chaotischen Zwölfstundentag. Vivienne drehte die Lautstärke des dröhnenden Autoradios so weit herunter, bis sie das neue Album von Shinedown kaum noch hören konnte, und fuhr ihren Honda-Hybrid in ein stundenweise zu zahlendes Parkhaus mitten in Dallas’ Stadtteil Deep Ellum. Fünf verdammte Wochenenden hintereinander hatte Callie diesen Mist abgezogen, mit zu vielen willkürlichen SOS-Anrufen davor.

Wenigstens war das hier ein vernünftiges Viertel. Auf der anderen Seite der Straße drängten sich Männer und Frauen vor einer altmodisch gestylten Bar mit dem Namen The Den, deren Gäste hauptsächlich in ausgeblichene Jeans und T-Shirts oder lederne Motorradkluft samt Stiefel gekleidet waren. Keiner von ihnen wirkte so, als würde er bald nach Hause gehen.

Viv verstaute ihre Handtasche unter dem Sitz, steckte ihren Schlüsselanhänger in ihre Hosentasche und trat hinaus in die feuchte Januarnacht. Ihre falschen Jimmy Choos klickten auf dem bejahrten Asphalt und kühler Nebel befeuchtete ihre Wangen.

Von der Seite ertönte ein anerkennendes Pfeifen zwischen leisen Männerstimmen.

Sie behielt den Kopf unten, huschte durch eine dunkle Doppeltür mitten hinein in ein Foyer mit schwarzen Wänden. Ein wahnsinnig großer Rausschmeißer mit mokkafarbener Haut und Dreadlocks lehnte gegen den Türpfosten zwischen ihr und der Bar. Seine Aufmerksamkeit galt einer umwerfenden Brünetten in Stilettos, Jeans und einem rosafarbenen Feinripptop.

Hinter ihr schwang die Tür wieder zu. Während der Türsteher sich zu voller Größe aufrichtete, musterte er Viv von Kopf bis Fuß. Daraus konnte sie ihm keinen Vorwurf machen. Außer Gesundheitsinspektoren und Schanklizenzkontrolleuren bekam man hier drin eher selten einen Anzugträger zu sehen. Und sie ging jede Wette ein, dass von denen keiner eine Seidenbluse trug.

„Ausweis“, sagte er.

„Ich will nicht bleiben. Ich suche bloß jemanden.“

Er verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln und verschränkte die Arme. „Die Regeln gelten für alle, Schwester. Kein Ausweis, keine Party.“

„Ich will keine Party, ich will meine Schwester abholen und dann bin ich auch schon wieder weg. Sie sagte, sie sei vorn. Etwa meine Größe, hellbraune Locken und ziemlich betrunken?“

„Du meinst bestimmt Callie“, warf die Brünette ein. „Sie war vor ungefähr einer Stunde hier und murmelte etwas über Schisserin, darum denke ich mal, dass du das bist.“ Sie lehnte sich gegen die breite Brust des beängstigenden Türstehers, grinste ihn von unten an und streichelte seinen Bizeps mit geistesabwesender Bewunderung. „Kannst sie genauso gut reinlassen. Falls nicht, muss sich Trev nach Ladenschluss wieder das Gezicke seiner Bedienungen anhören, weil sie Kotze aufwischen müssen.“

Zu dumm, dass Viv niemanden hatte, bei dem sie über Kotz-Details rummeckern konnte. Callie hörte verdammt noch mal nie zu.

Der Türsteher starrte Viv an und schob seine mammutgroße Hand so weit gen Süden, bis sie auf dem Hintern der Brünetten landete. Sein Kopf zuckte in Richtung des Raums hinter dem Durchgang. „Beeil dich. Du bist vielleicht alt genug, aber die Cops waren heute Nacht schon dreimal hier und haben versucht, uns mit jedem noch so kleinen Scheiß in die Eier zu treten.“

Endlich etwas in dieser Nacht, das keine zusätzliche Zeit beanspruchte oder Ärger verursachte. Wenn sie allerdings klug gewesen wäre, hätte sie ihren Ausweis eingesteckt, bevor sie hierhergekommen war.

„Cleverer Schachzug, Häuptling.“ Die Frau markierte ihn mit einem schnellen, aber nicht zu unschuldig wirkenden Kuss, zwinkerte Viv zu und bedeutete ihr, ihr zu folgen. „Komm mit, ich zeige dir, wo sie ist.“

Noch besser. Die letzte Such- und Rettungsmission hatte sie über dreißig Minuten in einer Technokneipe gekostet. Schließlich hatte sie Callie volltrunken unter einer Treppe in der Nähe der Lautsprecher gefunden. Tagelang hatte sie ein Klingeln in den Ohren gehabt. Dieses Mal hatte sie wenigstens einen Fremdenführer und ein zusätzliches Paar Hände.

Im Inneren herrschte ein ebensolcher Stilmix wie vor dem Club. Rockmusik- und Film-Sammlerstücke hingen an Ziegelsteinwänden und verliehen dem Ort den Anschein, als gäbe es ihn schon ewig, obwohl er geradezu „neu“ stank. Jeder Tisch war voll besetzt. Bedienungen balancierten volle Tabletts zwischen den lebhaften Gästen hindurch, und Five Finger Death Punch dröhnte so laut, dass eine Unterhaltung zur Herausforderung wurde.

Die Brünette lächelte und rief halblaut über die Schulter, wobei sie niemals ihren Hüftschwung vernachlässigte: „Nicht schlecht für eine Eröffnungswoche, oder?“

Nun, das erklärte den Neuwagengeruch. „Ich meide Menschenmengen.“ Zumindest welche wie diese. Nachdem sie nach einer Kneipenschlägerei den Verzicht auf Wiederbelebungsmaßnahmen bei ihrem eigenen Vater hatte unterschreiben müssen, war sie von Dunkel, Verrucht und Wild geheilt. „Scheint aber ein toller Laden zu sein.“

Die Frau legte an der Stelle, wo die Bar sich in einen anderen Bereich öffnete, eine Pause ein und musterte Vivs Outfit. „So wie du aussiehst, könntest du ein Bad in der Menge gebrauchen, um ein bisschen locker zu werden.“ Sie zuckte mit den Achseln und deutete zum entgegengesetzten Ende des Raums. „Ecktisch. Das letzte Mal habe ich die Kleine dort zwischen zwei Hohlbirnen gesehen, die fast genauso besoffen waren wie sie. Und mach dir keinen Kopf wegen Ivan. Die Cops kleben nur am Besitzer, nicht an den Kunden. Falls du was brauchst, ich bin Lily.“ Und dann war sie verschwunden, schlenderte zu einer Gruppe Frauen, die am gegenüberliegenden Ende des Clubs tanzten.

So viel zu dem Extrapaar Hände. Wenigstens war dieser Teil der Bar weniger überfüllt, verstreute Sitzgelegenheiten, bestehend aus jeder erdenklichen Art von nicht zusammenpassenden Stühlen und Sofas, machten diesen Bereich übersichtlicher.

Sie bahnte sich ihren Weg über den fleckigen schwarzen Betonboden in Richtung der wahllos dekorierten Sitzecken gegenüber. An der Decke angebrachte teuer wirkende Diskokugeln tauchten den Raum in einen gedämpften sexy Schimmer. Super fürs Ambiente, aber beschissen, um eine betrunkene Schwester in der Menge zu finden. Dennoch gefiel Viv der Look. Sie hätte ihn bei sich zu Hause nachgestellt, wenn er nicht den geschmackvollen Uptown-Vibe in ihrem neuen Stadthaus ruiniert hätte. Flippig und hip war schön und gut, aber Gift für den Wiederverkaufswert.

Gelächter und eine stickige Rauchwolke strömten pilzartig aus der Ecksitzgruppe. Die Gespräche verstummten in dem Moment, als Viv den Tisch erreichte. Drei Kerle, zwei junge Frauen und der Gestank von Acapulco Red – allerdings keine Schwester. „Habt ihr Callie gesehen?“

Ein schlaksiger Mann mit wilden blonden Locken betrachtete sie unter seinen schweren Augenlidern hervor und grinste breit, nicht einmal darum bemüht, den noch glimmenden Joint zu verbergen. „Was geht?“

Die Rothaarige, die sich an ihn schmiegte, gab ihm einen Klaps auf die Schulter und grummelte: „Sie sucht nach Callie, Mac. Und nicht nach einem nächtlichen Gespräch.“ Sie reichte Viv eine unbezahlte Rechnung über den Tisch. „Vor ungefähr zehn Minuten ist sie auf die Toilette gegangen, aber vergiss das hier nicht. Das letzte Mal hat sie mich auf der Rechnung sitzen lassen.“

Achtundsiebzig Dollar. Für Silvester keine große Summe, was verdammt gut war, wenn man Vivs Kontostand bedachte. Sie steckte die Rechnung in ihre Tasche. „Wo geht’s zu den Toiletten?“

Die Frau deutete zu einem dunklen Flur. „Am Ende des Ganges auf der linken Seite.“

Viv marschierte in die Richtung, ohne sich um weitere Höflichkeiten zu kümmern. Die Chancen standen gut, dass sie sie bis zum nächsten Morgen wieder vergessen hätten, wenn nicht gar schon in fünf Minuten.

In dem Korridor verhallte das ständige Dröhnen und Gelächter zu einem leisen Hintergrundgeräusch. Zwei finster dreinblickende Damen stolzierten Richtung Bar an ihr vorbei. Eine warf Viv einen Blick über die Schulter zu und schüttelte den Kopf. „Kannst lieber gleich auf die Toilette vorn gehen. Die hier ist besetzt, und es klingt nicht so, als würde sie so bald wieder frei werden.“

Scheiße. Das konnte ja was werden. Sie rüttelte am Türknauf. „Callie?“

Bei Gott, sie hoffte, dass ihre Schwester da drin war. Bei ihrem Glück platzte sie sonst direkt in einen Silvester-Quickie hinein. Obwohl, falls es so wäre, machten sie definitiv was verkehrt, denn es war viel zu still. Sie drehte erneut am Türknauf und klopfte an die Tür. „Callie, hier ist Viv. Mach auf.“

Noch immer keine Antwort.

Zur Hölle. Sie hämmerte gegen die Tür und entließ einen guten alten Angepisste-Schwester-Schrei. „Callie, verdammt noch mal, öffne die beschissene Tür! Ich will nach Hause.“

Ein wenig vielversprechendes Grunzen ertönte aus dem Inneren, eine Sekunde bevor sich die Tür mit der Aufschrift „Büro“ zu ihrer Rechten weit öffnete. Ein großer Adonis in Jeans und einem T-Shirt, auf dem das trendige Logo von The Den prangte, blockierte die Tür. Er hatte himmelblaue Augen, deren Blick so klar war, wie es nach ein Uhr in der Früh eigentlich nicht mehr möglich sein durfte.

Zwei weitere Männer füllten den Raum hinter ihm, einer mit freiem Oberkörper, der beide Arme auf einen Tisch gestützt hatte, und ein anderer, der sich zu ihm hinunterbeugte und seine Schulter inspizierte. Halt, er inspizierte sie nicht, er nähte sie, was auch das stark blutbefleckte Shirt auf dem Boden erklärte.

„Vorn sind noch mehr Toiletten. Kein Grund, die verdammte Tür einzutreten.“ Der Adonis-Mann bewegte sich auf sie zu, wobei sein Fokus immer wieder zwischen ihr und der Tür hin und her sprang. „Gibt’s ein Problem?“

Großer Gott, jetzt, da der Adonis beiseitegetreten war, war der halb nackte Kerl in seiner ganzen appetitanregenden Pracht zu sehen, und er war Bilderbuchfreund und jede unanständige Fantasie in einem. Der Körper eines Wrestlers, nicht zu breit und nicht zu schlank, aber hundert Prozent hart. Ein großes Tattoo bedeckte seinen Rücken, es zeigte einen knorrigen alten Baum mit einem in das Design eingearbeiteten Kompass. Und sein Hintern … oh verdammt, dieser Hintern war jede Stunde Folter, die ihr heute Nacht bevorstand, wert. Das Einzige, was noch besser wäre, als ihn in dieser stark ausgebleichten Jeans zu sehen, wäre, ihn nackt betrachten zu können.

„Hey“, sagte Adonis. „Willst du meinen Bruder die ganze Nacht begaffen, oder verrätst du mir, warum du eine meiner Türen einschlagen willst?“

Sie waren Brüder? Niemals. Adonis war ganz … nun, Adonis. Der andere Kerl war groß, dunkel und ein bisschen schmutzig.

Traummann warf einen Blick über seine verletzte Schulter. Ein durchdringender, beinahe wütender Blick heftete sich auf sie, etwa so düster wie sein fast schwarzes Haar. Einige seiner dunklen Locken waren seinem Pferdeschwanz entkommen und hingen ihm in die Stirn. Sein kurz geschorener Bart verlieh ihm ein durchtriebenes, nahezu tödliches Aussehen, das vermutlich die meisten Leute auf Abstand hielt, aber seine Lippen könnten die Hälfte der Frauen in Texas in die Hölle locken, wenn sie dafür eine Kostprobe von ihnen bekämen.

 Viv schüttelte den Kopf und räusperte sich, während sie ihren Verstand wieder aus Schmutzhausen zerrte. „Ähm …“ Ihr Herz hämmerte so wild, dass sie dachte, ihr Kopf würde von den Schultern abheben, und ihre Zunge war so trocken, dass sie nicht richtig funktionierte. „Ich glaube, meine Schwester ist da drin ohnmächtig geworden. Ich will sie nur da rausholen.“

Adonis klopfte an die Tür und rüttelte deutlich stärker an dem Türknauf als Viv zuvor. „Zeke, wirf mir die Schlüssel von meinem Tisch zu.“

Ehe sich auch nur einer der Männer rühren konnte, wurde die Tür aufgeschlossen und wenige Zentimeter weit geöffnet.

„Vivie?“ Callies mascaraverschmiertes Gesicht tauchte eine Sekunde lang auf, bevor die Tür wieder geschlossen wurde.

Monate der Übung machten sich bemerkbar: Viv schnellte nach vorn, öffnete die Tür einen Spalt und schlüpfte hindurch. „Von jetzt an komme ich klar. Gib mir eine Minute, um sie sauber zu machen und ihre Sachen zusammenzupacken.“

Adonis blockierte die Tür mit einem Fuß. Seine schwarzen edlen Cowboystiefel kosteten vermutlich mehr als eine ihrer Hypothekenraten, was unanständig wirkte, wenn man bedachte, dass sie ihre nächste Rate kaum würde zahlen können.

„Brauchst du sicher keine Hilfe?“

„Nö.“ Sie nahm ein paar Papierhandtücher aus dem Spender und befeuchtete sie, während sie Callie im Auge behielt, die gegen die Wand gelehnt wegdämmerte. „Wir machen das nicht zum ersten Mal. Ich benötige nur ein paar Minuten und einen freien Weg.“

„Na schön. Ich bin Trevor, falls du mich brauchst. Du weißt ja, wo du uns findest, wenn du deine Meinung änderst.“ Er zog seinen Stiefel zurück und schüttelte grinsend den Kopf.

„Oh!“ Viv fing die Tür gerade noch ab, bevor sie ins Schloss fiel, und fischte die Rechnung aus ihrer Tasche. „Meine Schwester muss noch bezahlen. Kannst du dies für mich abrechnen lassen und ich bezahle die Rechnung, nachdem ich sie ins Auto geschafft habe? Ich muss erst meine Handtasche holen.“

Er drehte sich um, taxierte Callie und zerknüllte den Beleg. „Ich denke, du hast für heute schon genug bezahlt.“ Er wandte sich wieder dem Büro zu. „Lassen wir es gut sein.“

Traummann verharrte noch immer an Ort und Stelle und starrte über die Schulter. Sein Blick war so kraftvoll wie das Knistern und Summen nach einem Blitzeinschlag in der Nähe.

Sie stolperte in den Waschraum zurück und verschloss die Tür, wobei ihr Herz sofort wieder so zu rasen begann wie in dem Moment, als er sie das erste Mal angesehen hatte. Sie musste wirklich ihren Männergeschmack in den Griff bekommen. Gebildete Männer im Anzug waren eine viel bessere Wahl. Mit Manieren und tief greifenden Gesprächen. Keine blutigen T-Shirts, keine verrauchten Kneipen und kein Höschen-verbrennendes Lächeln.

Als sie Callies Handtasche von dem Waschtisch nahm, stieß sie einen abgehackten Atemzug aus. Sie wrang das nasse Handtuch aus und wischte ihrer Schwester die schwarzen Striemen von der Wange. Ein Mann wie er wäre an ihr ohnehin nicht interessiert. Zumindest nicht an ihrem neuen und verbesserten Typ. Und die Chancen, dass sie sich in einer Stadt wie Dallas erneut über den Weg laufen würden, waren mehr als gering, also konnte sie ihre schmutzigen Gedanken auch vergessen und loslassen.

Auf der Habenseite stand, dass sie sich keine Sorgen um die Rechnung machen musste. Und sie hatte einen neuen Star für ihre Fantasie und das nächste nächtliche Rendezvous mit BOB, ihrem batteriebetriebenen Orgasmus-Boyfriend.

 

Wenn das nicht mal die problematischste Neujahrsnacht in der Geschichte gewesen war. Es war nicht Jace’ erste Stichverletzung, aber dass er sie sich beim Versuch, zwei hitzköpfige, zugedröhnte Drogendealer voneinander zu trennen, eingefangen hatte, versprach weitere Probleme, die er nicht gebrauchen konnte. Addierte man die beiden Kunden, die in seinem eigenen Club, dem Crossroads, innerhalb von drei Tagen verhaftet worden waren, und die Dauerbesuche der Cops im Den, kam heraus, dass das neue Jahr nicht gerade spitze anfing.

Gott sei Dank hatte sein Bruder Zeke heute keinen Notdienst, sonst hätte Trev Jace zusammenflicken müssen. Der Wichser hätte sein Tattoo völlig versaut.

„Hast du’s bald?“, fragte Jace.

Zeke platzierte einen letzten Streifen Tape und warf die Rolle auf den Tisch. „Jetzt ja.“

„Hat ja lange genug gedauert.“ Jace erhob sich, steckte den Zahnstocher, den er zwischen den Fingern gehalten hatte, wieder in den Mund und rollte die Schulter. Die Wunde spannte und pochte höllisch, aber es war nicht schlimm genug, um ihn bei seiner alltäglichen Scheiße zu behindern – vorausgesetzt, er hatte keine weiteren Begegnungen mit Drogendealern.

„Ich weiß nicht. Unsere spießige Partymaus schien nichts dagegen zu haben, dass ich mir Zeit lasse.“ Zeke packte seine Sachen in einen verschließbaren Schrank. Es war das gleiche Erste-Hilfe-Set, das sie in all ihren Geschäften aufbewahrten. Es war vielleicht zu gut ausgestattet, aber das war allemal besser als die Notaufnahme oder dämliche Unterhaltungen mit der Polizei. „Für eine Minute habe ich schon befürchtet, das süße kleine Ding könnte explodieren.“

„Süßes Ding? Von wegen.“ Trevor ließ sich in seinen Bürostuhl fallen, legte die Füße samt Stiefeln auf eine Ecke des Schreibtischs und griff nach der Äquivalent Fernbedienung für die Sicherheitskameras an den Wänden. „Ich wette meine neue G6, dass die Frau ein Rückgrat aus Titan besitzt, einen messerscharfen Verstand und dazu Eier in der Hose hat.“

Jace nahm sich ein frisches weißes Club-T-Shirt aus Trevs Eröffnungsinventar und zog es sich über den Kopf, wobei die Wunde an seiner Schulter die ganze Zeit protestierte. „Was bringt dich zu der Ansicht? Ihre Gerichtsaufmachung oder die strenge Frisur?“

„Als würde ich Leute nach ihren Klamotten beurteilen. Du solltest mich besser kennen.“ Trev drückte ein paar Knöpfe, hielt lange genug inne, um den neuen Barkeeper zu beobachten, der gerade eine Bestellung in die Kasse tippte, und legte die Fernbedienung dann auf den Tisch. „Was fragst du mich, du urteilst hier doch. Wer im Glashaus sitzt, sollte lieber nicht mit Steinen werfen.“

Die Bemerkung traf ins Schwarze, ließ das Gewicht der Haven-Anhänger ein wenig schwerer werden, eine Erinnerung an ihre Bruderschaft und den Kodex, nach dem sie lebten.

Es zählt nicht, woher ein Mann kommt oder was er trägt. Was zählt, ist, was er aus seinem Leben macht.

Siebenundzwanzig Jahre hatten Axel und er nach diesem Mantra gelebt und sich selbst aus der Wohnwagensiedlung und in eine Bruderschaft hinein gezogen, die nur der Tod brechen konnte.

„Er hat recht“, sagte Zeke. „Du lässt zu, dass Pauls Kampagne dir auf den Magen schlägt und dich vom Kurs abbringt.“

Verdammt, er hasste es, wenn man ihm seine eigenen Mantras unter die Nase rieb. Und noch mehr, wenn er es verdiente. Er stieß ein erschöpftes Schnaufen aus und sank auf die Ledercouch, betrachtete die Bildschirmreihe. „Spiel es noch mal ab.“

Trevor schüttelte den Kopf, navigierte aber dennoch durch das Menü auf dem Bildschirm.

„Keine Ahnung, warum du dir das antust, Kumpel.“ Zeke holte drei Flaschen mexikanisches Bier aus dem Edelstahl-Minikühlschrank unter der Bar und öffnete sie schneller als jeder Barkeeper. Er hatte damit während seines Medizinstudiums weiß Gott genug Erfahrung gesammelt. „Paul ist ein schmollender Politiker, sonst nichts. Das noch mal anzusehen, schadet dir nur selbst. Konzentriere dich auf das wirkliche Problem.“

Jace nahm das Bier, das Zeke ihm anbot, als die Story der Zehn-Uhr-Nachrichten über den Bildschirm flackerte. Die drittklassige Reporterin mit viel zu breitem Lächeln und viel zu billiger Frisur schrie förmlich: Frau ohne jegliche Erfahrung, aber mit dem Willen, sich einen Platz als Hauptsprecherin zu ergattern.

„Dallas’ angesagter Club, das Crossroads, ist wieder einmal in den Schlagzeilen, da am heutigen Silvesterabend zwei weitere Stammgäste unter Verdacht auf Drogenbesitz und Drogenhandel verhaftet wurden. Die verdeckten Ermittler der Polizei geben noch keine Namen preis, aber es wird vermutet, dass beide zu einem Drogenring gehören, der von Hugo Moreno geleitet wird, einem in vielen nordöstlichen texanischen Landstrichen berüchtigten Dealer, der einige der gefährlichsten Substanzen auf der Straße vertreibt.“

„Damit hat sie nicht unrecht.“ Zeke ließ sich am anderen Ende der Couch nieder und deutete mit seiner Bierflasche in Richtung Bildschirm. „Die Zahl der Überdosen zwischen Baylor und Methodist sind in den letzten sechs Monaten durch die Decke gegangen. Die Leute vom Dallas Police Department sind sich sicher, dass die meisten durch eine Designerdroge aus Morenos Labors verursacht worden sind.“

Trevor lehnte sich zu ihnen rüber und pflanzte seine Ellbogen auf die Tischplatte, während er Jace ansah. „Glaubst du, Otter hält lange genug durch, um Moreno aufzulauern?“

Wenn Jace das wüsste, wäre er weniger nervös und hätte einen Schnitt weniger in der Schulter. Ein pharmazeutisches Genie mithilfe eines anderen aus dem Club zu drängen, war bestenfalls ein riskantes Manöver, aber es war verdammt noch mal besser, als Moreno auf eigene Faust zu vertreiben. „Otter ist ein guter Mann mit kühlem Kopf und einem starken Team. Wenn er sagt, dass er bloß Gras im Club zulässt und Hugo in Schach hält, bekommt er von mir all die Unterstützung, die er braucht. Die Bullen werden sicher nicht hilfreich sein. Jedenfalls nicht die, die Paul in der Tasche hat.“

„Paul hat niemanden in der Tasche“, erwiderte Trev. „Nur sein Vater.“

Wie aufs Stichwort wechselte das Bild zu einem Interview mit Paul Renner. Die Reporter hatten ihn abgepasst, als er gerade eine Wahlkampf-Spendengala verließ.

„Stadtrat Renner, bei Ihren Wahlkampfauftritten für den Kongress betonen Sie immer wieder, dass Sie die Bemühungen des DPD im Kampf gegen die Drogenkriminalität unterstützen, und haben entsprechende Clubs, wie das Crossroads in der Innenstadt, öffentlich angeprangert. Haben Sie von den weiteren Verhaftungen dort im Zusammenhang mit Drogen heute Abend gehört und was ist Ihr Kommentar?“

Renner blickte betroffen zu Boden, das perfekte Abbild von Besorgnis und Enttäuschung. Als hätte der Wichser nicht schon versucht, Leute zu bescheißen, seit er zum ersten Mal aus der Kinderkrippe gekrabbelt war.

„Meine Besorgnis über solche Clubs, wie sie von Jace Kennedy und Konsorten geführt werden, wächst“, sagte Renner. „Es scheint, als würden diese Leute andauernd der Gerechtigkeit entgehen und ihre verruchten Läden behalten. Am Ende zahlen unschuldige Bürger den Preis, die umgarnt werden von niederträchtigen Individuen, die gefährliche Substanzen und amoralisches Verhalten verbreiten. Sollte ich gewählt werden, wäre es mein oberstes Ziel, eine Gesetzgebung zu verabschieden, die es für Männer wie Mr. Kennedy und Mr. Moreno schwierig macht, sich der Gerechtigkeit zu entziehen.“

Der Zahnstocher zwischen Jace’ Zähnen brach in zwei Hälften. Er warf ihn auf den Couchtisch und zog einen weiteren aus der Jackentasche.

„Jetzt ist es offiziell.“ Trevor hob sein Bier zum Gruß und tippte sich an den Kopf. „Du bist ein unmoralischer Bastard, der unschuldige Bürger in den Ruin treibt.“

Auf einem der kleineren Überwachungsbildschirme flackerte eine Bewegung auf. Die Toilettentür vor Trevors Büro öffnete sich weit genug, um die kleine Miss und ihre ziemlich betrunkene Schwester in den Gang zu entlassen, den sie in bester Pingpong-Manier entlangtorkelten. Die beiden waren gleich groß, aber man hätte sie nicht unterschiedlicher anziehen können. Die Schwester der kleinen Miss war bestens für eine Bikerkneipe zurechtgemacht – ganz Titten, Arsch und wackelige Stöckelschuhe. Sie sah nicht schlecht aus. Ihr fehlte nur die natürliche, gesetzte Anmut der Nüchternen.

Verdammt, er musste sich zurückhalten. Oder flachgelegt werden. Allein der Blick auf den Arsch der kleinen Miss in der engen Hose brachte ihn dazu, wie ein Verrückter an Sex zu denken. Dabei berücksichtigte er noch nicht einmal das Rätsel, das sie bot. Trev hatte recht – sie hatte jede Menge Rückgrat, man konnte es in ihren Rehaugen lodern sehen. Die Kombination passte nicht zu ihrem Bild. Nichts brachte ihn so gut in Stimmung wie ein Widerspruch.

„Scheint, als hätten wir einen Weg gefunden, ihn von Renner abzulenken.“ Zeke schüttete einen weiteren Schluck Bier hinunter.

„Was?“ Er warf seinen beiden Brüdern abwechselnd Blicke zu.

Trevor kicherte leise und änderte die Darstellung der Videos so, dass die Wanderung der kleinen Miss zur Bar in Großaufnahme gezeigt wurde. „Zeke sagte, das einzig Unmoralische, was du je gemacht hast, war die Freakshow, die du mit Kat und Darcy beim Barbecue im letzten Monat abgezogen hast.“

„Fick dich, Trev.“

„Fick sie, meinst du wohl“, erwiderte Trev. „Ist keine Schande, Bruder. Du hast sie nicht einmal aus der Nähe betrachtet. Hättest du das, würdest du sicher nicht hier rumsitzen und dir Interviewfetzen von diesem Arschloch Renner anhören.“

„Auf keinen Fall“, meinte Jace. „Eine so verklemmte Frau ist das Letzte, was ich brauche. Oder hast du nicht bemerkt, wie sie Zeke gemustert hat, während er meine Schulter zusammengeflickt hat, und das blutige Shirt am Boden? Du kannst von Glück reden, wenn die Bullen nicht einen anonymen Tipp bekommen und hier antanzen.“

Die kleine Miss und ihre Schwester stolperten in den vorderen Bereich der Bar. Die Schwester hatte den Arm auf eine Weise um den Nacken der kleinen Miss gelegt, dass man sicher davon ausgehen konnte, dass es noch am nächsten Tag schmerzen würde.

Nein. Süße Hüften, feuriger Blick und eine gute Dosis Geheimnis oder nicht, sie war das Letzte, was er gerade brauchte.

Zwei Männer stellten sich der kleinen Miss in den Weg. Die Frauen hielten an und die betrunkene Schwester schwankte so stark, es war ein Wunder, dass sie nicht auf den Tisch neben sich stürzte. Einer der Männer legte eine Hand in den Nacken der kleinen Miss und sie schrak zurück.

Jace sprang auf die Füße, nahm seine Lederjacke vom Tisch. „Ich fahre nach Haven. Falls ihr mehr von Axel im Crossroads hört oder euch die Bullen weiter Ärger machen, sagt Bescheid.“

Beide Männer lachten laut auf und winkten ihm zum Abschied.

„Zwanzig Dollar, dass unser hochgeschlossener Gast ein wenig Hilfe auf ihrem Weg zur Tür bekommt“, sagte Trev.

Zeke stimmte hinter ihm mit ein. „Ja, lass uns wissen, ob der Knackarsch so gut schmeckt, wie er aussieht.“

Bastarde. Traurigerweise würde Trev einen Zwanziger von Zeke bekommen, denn Jace war zwar nicht gewillt, mit der kleinen Miss rumzumachen, aber er würde nicht zulassen, dass andere Männer sie betatschten.

 

Kapitel Zwei

 

Viv umfasste Callies Taille fester und schüttelte den nicht ganz so scheuen Griff des Mannes von ihrem Nacken ab. Seine Größe allein hätte schon ausgereicht, um ihn höchst einschüchternd wirken zu lassen, doch zusammen mit seinem rasierten Kopf und den Lederklamotten wirkte er noch einmal doppelt so furchteinflößend. „Ich weiß das Angebot zu schätzen, aber wir brauchen nichts.“

„Ah, komm schon, Schätzchen.“ Er kam näher und warf seinem Begleiter ein schnelles verschwörerisches Grinsen zu. Sein Partner war ein sehr viel kleinerer Mann, der offensichtlich das struppige Haar wiedergefunden hatte, das Bowlingkugel-Kopf vor ihr verloren hatte. „Wir versuchen nur, zu helfen. Man kann so ein hübsches Ding wie dich doch um diese Zeit nicht mehr allein auf der Straße herumlaufen lassen.“

Dumme, dickköpfige Männer. Eine Sache an Typen, die einen harten Lebensstil pflegten, war, dass für sie das Wort Nein immer nur ein schüchternes Vielleicht bedeutete. Sie täuschte, so gut sie konnte, ein unschuldiges Lächeln vor, während Callie drohte, sie zu erwürgen. „Na ja, bevor ich auf dieses Angebot eingehe, sollte ich dich warnen, dass Callie in fünf Minuten wahrscheinlich alles und jeden in einem Umkreis von einem halben Meter vollkotzen wird. Und da ich direkt neben ihr stehe, bedeutet das wohl, ich bin alles und jeder. Willst du mir immer noch helfen?“

Dieser Stimmungskiller funktionierte besser, als sie erwartet hatte. Das geile Funkeln in den Augen der Männer verschwand schneller, als die Menschen an dem Tisch hinter ihnen ihre Shots herunterstürzen konnten. Der große Typ trat einen Schritt zurück und winkte sie ohne ein weiteres Wort durch.

Halb lachend, halb schnaubend, beugte Viv sich für die nächsten Schritte vor, um ein wenig mehr Schwung zu bekommen.

Callie stolperte näher und kuschelte sich an Viv. Ihre Worte waren nur noch ein betrunkenes, verschlafenes Lallen. „Danke, dass du mich holen kommst, Vivie.“ Der Geruch von Tequila und anderen Dingen, über die sie nicht weiter nachdenken wollte, schoss Viv in die Nase und ließ auch den letzten Rest des Snacks, den sie auf der Silvesterparty gemopst hatte, verschwinden. „Du bist eine gute Schwester. Ich kann immer auf dich zählen.“

Ein unangenehmer Stich fuhr durch sie hindurch, und die Erinnerungen an eine leere Wohnung, in der eigentlich Mom und Dad hätten sein sollen, schlugen plötzlich über ihr zusammen. In einer Familie sollte man füreinander da sein. Man sollte sich gegenseitig lieben und sich den Rücken freihalten und einander nicht verlassen, sodass jeder sich allein durchs Leben schlagen muss. „Ja, Callie. Ich bin da. Immer.“

Der Türsteher, der sie hereingelassen hatte, warf einen Blick auf ihre Schwester und trat aus der Gefahrenzone für den Fall, dass sie sich übergäbe. „Wie ich sehe, hast du dein Mädchen gefunden.“

„Das habe ich, danke.“ Sie drückte die Eingangstür mit der Schulter auf und stützte Callie, als die mit einem wackligen Schritt auf den Gehweg trat. Noch ein wenig weiter und sie könnte endlich wieder heim oder zumindest irgendwo sein, wo sie den Rest der Nacht barfuß und in einer bequemen Jogginghose verbringen konnte.

Hinter ihr wurde die Tür der Bar aufgerissen. Ein paar Gäste, die sich davor gedrängt hatten, riefen dem Neuankömmling Gute Nacht zu und wünschten ihm ein frohes neues Jahr.

Viv betrat die Elm Street, Callie noch immer an ihre Hüfte gedrückt.

Plötzlich torkelte Callie und winkte jemandem auf der anderen Seite der Straße zu. „Stephanie!“

Dieser unerwartete Freudentanz brachte sie beide aus dem Gleichgewicht. Callie packte Vivs Haar in dem Versuch, nicht umzukippen, aber bevor sie zur Seite auswich, riss sie noch an Vivs Hals. Viv stolperte, ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt und mit den Armen suchte sie nach Halt.

Callie schlug mit dem Kopf auf dem Bordstein auf.

Viv machte sich auf ihren eigenen Sturz gefasst, doch starke Arme fingen sie auf und ihr Rücken wurde an eine warme, harte Brust gepresst und landete nicht auf schmerzhafte Weise auf dem Asphalt, wie sie es eigentlich erwartet hatte.

Hinter ihr ertönte eine tiefe, grollende Stimme. „Hol Zeke und Trevor. Und sieh nach, ob Danny auch noch da ist.“

Sie klammerte sich an die mit Leder bedeckten Arme um ihre Taille und kämpfte darum, wieder zu Atem zu kommen.

Der Türsteher rannte auf die Straße und kniete sich neben Callie. Sanft hob er ihren Kopf an und bettete ihn auf seinem Schoß.

Diese verdammte Nacht. Diese furchtbare, peinliche, verdammte Nacht. Hinter ihr war Gemurmel und Kichern von Schaulustigen zu hören, das mit jeder Sekunde lauter wurde. Ihr Kopf drängte sie, wieder aufzustehen, sich um Callie zu kümmern und nach Hause zu fahren, wo es sicher war, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr; die Demütigung und der Schwall von Adrenalin hielten sie an Ort und Stelle.

Die Umarmung des Mannes hinter ihr wurde fester, als hätte er ihre Unsicherheit gespürt. „Wir haben das im Griff, Süße.“ Eine winzige Bewegung ließ seine Lederjacke knarzen. Sein Duft, eine Kombination aus Meer und Sonne, die sie an mediterrane Inseln und faule Tage am Strand denken ließ, drang durch den Nebel, der sie umgab. Ein Duft, den sie nicht an einem Mann erwartet hätte, der gerade aus einer Bar wie der hinter ihr gekommen war. Er fuhr mit den Fingern durch ihr Haar, das sich aus der Frisur gelöst hatte, schob es auf die Seite ihres Halses, und eine lose Haarklammer fiel klappernd auf den Asphalt. „Geht es deinem Hals gut? Deine Schwester hat ganz schön daran herumgezerrt.“

Diese Stimme. Jedes Wort durchdrang sie, rau und tief, wie der brummende Bass einer Stereoanlage, die man zu laut aufgedreht hatte.

Er streichelte über ihren Nacken; seine Berührung war selbstbewusst und absolut nicht platonisch.

Ihre Sinne erwachten, lechzten nach mehr von diesem köstlichen Hautkontakt. Sie konnte kaum das Stöhnen unterdrücken, das tief in ihrer Kehle lauerte. Sie schluckte und atmete stattdessen langsam aus. „Ja, es geht mir gut.“

Er half ihr dabei, aufzustehen, wobei sich die Muskeln in seinen Armen und seiner Brust anspannten und das, was von ihrer Vernunft noch übrig war, zu einem hoffnungslosen Knoten degradierte.

Ein Mann kam angelaufen, kniete neben ihrer Schwester nieder und öffnete eine Ledertasche. Es war nicht irgendein Mann, sondern der, der den heißen Typ im Büro zusammengeflickt hatte.

Sie drängte vor, um ihn aufzuhalten, aber eine feste Hand packte ihre Schultern und hielt sie zurück. „Gib Zeke eine Minute, damit er sie untersuchen kann.“

Viv wand sich, bereit, denjenigen anzuschnauzen, der sie da festhielt - und erstarrte. Ihr Atem wurde aus ihrem Körper gepresst, als wäre sie doch auf dem Asphalt aufgeschlagen.

Traummann grinste auf sie herab; ein Zahnstocher klemmte in seinem Mundwinkel. Seine gebräunte Haut ließ darauf schließen, dass er sehr viel mehr Stunden in der Sonne verbrachte als der Arzt es empfahl, und in seinen fast schwarzen Augen brannte ein verruchtes Funkeln, das jede Menge Probleme versprach. Nicht die gute Art von Problemen, betrachtete man die verwegene Narbe an einem seiner Augenwinkel.

„Zeke ist Unfallchirurg“, sagte er. „Wenn sich irgendjemand auch bloß den Zeh anstößt, wird er gleich hellhörig wie ein Bluthund.“

Callie stöhnte, und Viv wirbelte wieder herum, nur um zu sehen, wie der Arzt gegen den Nacken ihrer Schwester stupste.

„Ich weiß, das tut weh“, sagte Zeke. „Kannst du mir sagen, wie du heißt?“

„Ich fühle mich nicht besonders gut“, erwiderte Callie.

Vorsichtig bewegte Zeke Callies Kopf vor und zurück und von einer Seite zur anderen. „Das kann ich mir vorstellen. Aber ich möchte immer noch deinen Namen erfahren.“

„Callie.“

„Das ist ein schöner Name.“ Zeke kramte in seiner Tasche herum und zog eine Stiftleuchte hervor. „Weißt du, was heute für ein Tag ist, Callie?“

Callie hielt die Augen geschlossen, aber sie grinste wie ein Kind an Weihnachten und warf die Arme in die Luft, wobei sie fast Trevor erwischte, der neben ihr auf dem Asphalt saß. „Frohes neues Jahr!“

Trevor lachte leise und zog Callie fort von dem Türsteher, sodass sie gegen seine Brust lehnte. „Ich habe sie, Ivan. Sieh zu, dass du etwas anderes für die Gaffer findest, was sie anstarren können.“

„Weißt du, wo du bist, Callie?“ Zeke prüfte, ob ihre Pupillen reagierten.

Sobald er die Stiftleuchte wieder weggenommen hatte, blinzelte sie und konzentrierte sich auf Viv. „Ich bin mit Vivie da.“

Traummanns Stimme ertönte neben Vivs Ohr, und sie war tief genug, dass sie von ihrem Hals bis zu ihrem Steiß vibrierte. „Vivie, mhm?“

Ein Schauder überlief sie, und sie verschränkte die Arme, um gegen die Gänsehaut anzukämpfen, die sich unter ihrem Blazer abzeichnete.

Sein Arm löste sich von ihrer Taille und er zog Viv an seine Brust, wobei seine Hitze bis unter ihre Haut drang. „Geht es dir gut?“

Zur Hölle, nein, es ging ihr nicht gut. Ihre Schwester war verletzt, und auf beiden Seiten der Straße standen Gaffer, die sehen wollten, was als Nächstes passierte. Aber alles, woran Viv denken konnte, war, wie seine Stimme wohl nah bei ihr und in der Dunkelheit klingen würde. Bevorzugt zwischen schweren Atemstößen, und eine Menge Haut sollte auch noch im Spiel sein. Eigentlich wollte sie es auf die Erschöpfung schieben, aber der wahre Grund war wahrscheinlich ihr nicht existentes Liebesleben.

„Es geht mir gut. Ich bin nur müde.“ Sie zwang sich dazu, von ihm wegzutreten und ihn anzusehen, wobei sie ihre Hand ausgestreckt vor sich hielt. „Und ich heiße Vivienne. Vivienne Moore. Oder Viv. Callie ist die Einzige, die mich Vivie nennt.“

Er musterte ihre ausgestreckte Hand, begutachtete sie träge, umfasste sie dann mit seiner und spießte Viv anschließend regelrecht mit einem Blick auf, dessen Wirkung sie direkt zwischen ihren Beinen spüren konnte. „Jace Kennedy.“

Natürlich hatte Traummann auch einen Traumnamen, der zu ihm passte. Er klang vertraut, aber dank der ganzen Pheromone, die gerade durch ihren Körper rasten, konnte sie nicht genau einordnen, wo sie ihn schon einmal gehört hatte. Möglicherweise war es nur Wunschdenken oder sie hatte zu viele Liebesromane gelesen. Sie zog ihre Hand zurück und stopfte ihre Faust in ihre Hosentasche. „Danke, dass du verhindert hast, dass ich mich hier vor aller Augen blamiere.“

Er nahm die gleiche Pose ein wie sie und schob den Zahnstocher mit der Zunge von einem Mundwinkel in den anderen. „Ich bin mir sicher, ich bin dabei gut weggekommen.“

Hinter ihnen ertönte Zekes Stimme. „Ich denke, es geht ihr gut. Sie hatte nur zu viel getrunken und wird eine fiese Beule davontragen.“

Viv drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie zwei Männer Callie auf die Füße halfen. Sie schwankte ein wenig und sah aus, als würde sie jede Sekunde einschlafen, aber der Schmerz schien zumindest einen Teil von ihrer Trunkenheit aufgelöst zu haben. Ihr geblümtes Hippie-Oberteil war zerknittert und hing schief an ihrem kurvigen Körper. Ihr goldbraunes Haar war zerzaust, als hätte sie gerade wilden Sex gehabt. Doch ansonsten passte sie sehr viel besser zu der Menschenmenge als Viv.

Jace durchbohrte Zeke mit seinem Blick und legte seine Hand um Vivs Nacken. „Sieh dir auch einmal die kleine Miss an. Hat mir gar nicht gefallen, wie ihr Hals verdreht wurde, als das andere Mädchen zu Boden ging.“

Er konzentrierte sich wieder auf Viv und hielt ihr seine Hand hin, die Handfläche nach oben. „Schlüssel.“

„Was?“

„Schlüssel“, sagte er. „Gib sie mir und dann holen wir dein Auto.“

„Du musst das nicht tun.“ Sie deutete auf den Parkplatz am anderen Ende der Straße. „Ich stehe gleich dort drüben, und Callie sieht so aus, als …“

„Es ist fast zwei Uhr morgens, deine Schwester ist sternhagelvoll und ihr seid gerade beide gestürzt. Gib mir deine Schlüssel, wir holen dein Auto, fahren es her und sammeln deine Schwester ein.“

Vier unnachgiebige Augenpaare richteten sich auf sie - sie gehörten Zeke, Trevor und Jace, plus einem neuen Typen mit schwarzem Haar und einem Pferdeschwanz, der ihm fast bis zum Hintern reichte. Die Art, wie der dazugekommene Mann sein Kinnbärtchen trug, ließ ihn aussehen wie Ming, der Gnadenlose. Sie sollte keinen dieser Männer zu nah kommen lassen, geschweige denn, einem von ihnen die Schlüssel zu ihrem Wagen geben. „Ich denke, es ist besser, wenn Callie und ich uns um uns selbst kümmern.“

Die Muskeln am hinteren Ende von Jace’ Kiefer zuckten und sein Blick wurde dunkler.

„Ich wollte nicht undankbar klingen“, fügte Viv hinzu. „Ich bin jedem von euch für die Hilfe dankbar. Ihr habt viel mehr gemacht, als nötig gewesen wäre. Es ist nur so, dass ich euch nicht kenne. Habt ihr in letzter Zeit mal die Nachrichten gesehen?“

„Das ist nachvollziehbar.“ Trevors Fokus hatte auf Jace gelegen, während er gesprochen hatte, doch jetzt wanderte sein Blick zu Viv. „Aber das ist meine Bar, und deine Schwester hat zu viel getrunken, als sie sich dort aufgehalten hat, und auf dem Weg hinaus hat sie sich auch noch verletzt. Es liegt in meinem eigenen Interesse, dass ihr beide sicher nach Hause kommt. Wenn euch auf dem Weg dorthin irgendetwas zustößt, könnte das mir und meinem neuen Geschäft eine Menge Kummer bereiten, den ich nicht gebrauchen kann, okay?“

Trevor hatte recht.

„Gib mir die Schlüssel, Süße.“ Jace krümmte die Finger seiner ausgestreckten Hand. „Du hast heute Nacht schon genug allein machen müssen.“

Sie reichte ihm die Schlüssel und Zeke trat näher und drückte sacht auf die Muskeln in ihrem Nacken. „Tut das weh?“

Viv schüttelte den Kopf, so gut es eben ging, während Zekes riesige Hand um ihre Kehle lag.

Hinter Zeke gab Jace die Schlüssel an Ivan weiter. Eine Sekunde später konnte man das Geräusch von schnell laufenden Stiefelsohlen auf dem Asphalt hören, gefolgt von dem Piepsen einer Autoalarmanlage, die ausgestellt wurde.

Zeke testete, ob Viv sich bewegen konnte, drehte ihren Kopf von einer Seite zur anderen, drückte ihn vor und zurück, wie er es zuvor bei Callie getan hatte, und prüfte dann ihre Pupillen. „Ich bezweifle, dass du morgen noch irgendetwas davon spüren wirst. Aber es könnte wahrscheinlich nicht schaden, wenn du vor dem Zubettgehen ein paar Ibuprofen nimmst.“ Er deutete mit einem Nicken auf Callie, die immer noch schwankend neben Trevor stand. „Das Gleiche gilt auch für sie. So viel, wie sie getrunken hat, wirst du alle Hände voll damit zu tun haben, sie wach zu halten und zu verhindern, dass sie kotzt. Falls sie anfängt, sich verwirrt zu benehmen, Erinnerungslücken hat oder über Klingeln in ihren Ohren klagt, bring sie gleich in die Notaufnahme.“

„Gibt es irgendjemanden, der dir heute Nacht helfen kann?“, fragte Jace.

Trevor meldete sich zu Wort: „Ich kann eines der Mädchen fragen, ob sie bei euch bleibt, wenn du willst.“

„Nein, ich komme schon zurecht.“

Zeke warf ihr noch einen wissenden Blick zu, zog eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie ihr. „Ruf mich an, wenn du Hilfe brauchst. Wir bringen sie dann dorthin, wo sie hingehört.“

Meinte er damit die Notaufnahme oder einen Ort, an dem man mindestens dreißig Tage bleiben musste? Gott wusste, dass sie ihre Schwester bereits angefleht hatte, es mit einem Treffen der Anonymen Alkoholiker zu versuchen, aber Callie und ihr Dad hatten alle Gene für Dickköpfigkeit in der Familie für sich gepachtet.

Vivs Hybridwagen kam summend neben ihnen zu stehen und Zeke trat beiseite. „Leg sie auf den Rücksitz, Trev.“

Der Türsteher sprang vom Fahrersitz und öffnete die hintere Wagentür für Trevor, der es aufgegeben hatte zu versuchen, Callie zu führen, und sie stattdessen lieber gleich zum Wagen trug.

Jace kam näher und senkte seine Stimme. „Benimmt sie sich oft so?“

Die Männer schnallten ihre Schwester auf dem Rücksitz an.

„Ja.“ Gott, sie war es so leid. Sie würde gerade alles dafür geben, einfach zu kapitulieren, sich zu einem kleinen Ball zusammenzurollen und mal jemand anderem einen oder zwei Tage die Verantwortung für Callies Mätzchen zu überlassen.

Jace legte seine Hand auf ihr Kreuz und drängte sie vorwärts, als ein gefährlich aussehendes Motorrad mit noch gefährlicher klingendem Motor hinter ihrem Wagen stehen blieb. „Danny folgt euch beiden nach Hause und hilft dir dann, Dornröschen für die Nacht bereit zu machen.“

„Ich denke nicht, dass …“

„Kannst du deine Schwester allein ins Haus tragen, falls sie ohnmächtig werden sollte?“

„Nein.“

„Dann hör auf zu denken und lass uns das machen“, sagte Jace. „Sollte Danny dich auch nur schräg ansehen, rufst du die Nummer auf Zekes Karte an und wir kümmern uns darum.“

Schon wieder ein gutes Argument. Nach allem, was sie heute Nacht für sie getan hatten, standen die Chancen gleich null, dass sie böse Absichten hatten. Und ihr Hund würde selbst einen so großen Typen wie Danny zu einem Häufchen Hackfleisch verarbeiten, wenn Viv mit den Fingern schnippte.

Jace öffnete die Wagentür und sie glitt hinter das Lenkrad und schnallte sich wie in Trance an. „Danke. Für alles.“

„Wir machen nur, was jeder normale Mensch tun würde.“ Er wollte die Tür schon zuwerfen, hielt dann aber inne, beugte sich ein wenig näher zu ihr und schien auf etwas zu lauschen. Er blickte auf ihr Autoradio und zog sich wieder zurück. Er musterte ihren Wagen, danach Callie, die auf dem Rücksitz zusammengerollt war, und schließlich Viv. Sein Blick blieb an ihrem Haar hängen und er fuhr mit ein paar Fingern durch die lockigen Strähnen. „Gefällt mir besser so. Sieht richtig wild aus.“

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, und das letzte bisschen Logik verschwand einfach aus ihrem Gehirn. Sie klammerte sich an das Lenkrad und schluckte, froh darum, dass ihr Mund nicht sperrangelweit offen stand.

Er zwinkerte und trat zurück. „Pass auf dich auf, Süße.“

Die Wagentür schlug zu und schnitt alle Geräusche ab. Zu hören war jetzt nur noch die gedämpfte Musik von Shinedown und Callies leises Schnarchen.

Sie startete den Wagen und zwang sich, stur geradeaus zu blicken. Sie würde nicht zurückschauen. Mochte sein, dass er ihren schon lange im Koma liegenden Sextrieb wieder geweckt hatte, aber er bedeutete Schwierigkeiten. Alles an ihm schrie Gefahr und er war eindeutig ein starkes Alphamännchen. Sie hatte sich geschworen, dass sie so ein Leben nicht führen würde. Ein Blick auf den Rücksitz zeigte ihr, wo sie mit so einem Mann landen würde.

Aber dennoch musste sie, als sie auf dem Weg zu ihrem Haus im eleganteren Teil der Stadt rechts auf den Highway 75 abbog, gegen die Versuchung ankämpfen, noch eine Runde um den Block zu drehen.

 

Kapitel Drei

 

Allein in der Gemeinschaftsküche drückte Jace auf den Knopf, um eine zweite Kanne Kaffee zu kochen, schnappte sich seine Tasse von der Arbeitsfläche aus Granit und starrte durch die massive Fensterscheibe auf den Pool. Der Morgen begann gerade erst zu grauen, nur ein rosafarbener Streifen war am Himmel zu sehen. Wenn Jace gestern Nacht seinen verdammten Kopf benutzt hätte, wäre er jetzt oben in seinem Bett, würde tief schlafen und Kraft sammeln für einen weiteren vollgepackten Tag. Stattdessen musste er das Beste aus diesem zwei Stunden alten Kaffee herausholen, warten, bis er den Fehltritt von letzter Nacht mit gutem Gewissen aus dem Bett werfen konnte, und dann konnte er endlich den lange überfälligen Anruf tätigen.

Mann, es war ein großer Fehler gewesen, Lily Montrose gestern Nacht mit nach Hause zu bringen. Okay, er hatte es geschafft, seinen Kopf rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen, bevor er etwas so Dummes tun konnte wie sie zu vögeln, aber er hatte das ungute Gefühl, eine Tür aufgestoßen zu haben, die besser verschlossen geblieben wäre. Lily war ein zielstrebiger Mensch. Sie verbrachte zu viel Zeit im Den, um nicht zu wissen, dass Haven damit in Verbindung stand, und es stand ganz oben auf ihrer Wunschliste, einen Sugar Daddy zu finden. Am liebsten einen, der der Bruderschaft angehörte.

Sein Handy, das in der Essecke lag, leuchtete auf und begann zu brummen.

Mit weniger als drei Schritten war Jace dort, schnappte es sich und hielt kaum lang genug inne, um Dannys Namen und die Uhrzeit - Viertel nach sieben - auf dem Display zu lesen, ehe er auf „Annehmen“ tippte. Er drückte sich das Handy ans Ohr. „Wurde ja auch Zeit. Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass du dich melden sollst, sobald du fertig bist.“

„Das habe ich, Boss. Lily ist ans Telefon gegangen. Sagte, du hättest Kopfschmerzen und sie würde dir ausrichten, dass alles in Ordnung ist.“

„Wenn ich dir sage, dass du dich bei mir melden sollst, um zu berichten, wie es gelaufen ist, dann meine ich bei mir. Im schlimmsten Fall redest du mit einem anderen Bruder, aber nicht mit einem Häschen. Verstanden?“

„Warum zur Hölle, glaubst du, rufe ich noch mal an?“

Und das war der Grund, warum er glaubte, dass Danny gar nicht so weit davon entfernt war, Teil ihrer verschworenen Gruppe zu werden. Dieser Bastard mochte früher zwar mit den falschen Leuten herumgehangen haben und hatte in den letzten Jahren mit einigen schlechten Angewohnheiten zu kämpfen gehabt, aber jetzt, wo er wieder auf die Beine gekommen war und etwas gefunden hatte, bei dem er mit Leidenschaft dabei war, packte er das Leben bei den Eiern und wich nicht mehr zurück - nicht einmal vor Havens Anführer.

Jace trottete zu der großen Treppe und nahm das Geräusch seiner nackten Füße auf den handgehobelten Holzdielen kaum wahr. „Na gut, du hast mich jetzt am Apparat. Was ist passiert?“

„Habe sie problemlos abgesetzt. Die Schwester war schon eingeschlafen, wie Trev vorausgesagt hatte, also habe ich sie nach oben getragen und sie dann mit Viv allein gelassen.“

„Wo wohnt sie?“

„Bloß ein paar Meilen entfernt. Im Reichenviertel an der Clark Street, in einer dreigeschossigen Eigentumswohnung. Ich glaube, mein Motor hat ein paar der Schickimicki-Typen aufgeweckt.

Damit löste sich seine Theorie, dass Viv nur für den Job so schick zurechtgemacht gewesen war, in Luft auf. Da Callie eher auf Rock zu stehen schien und in Vivs Auto Shinedown gelaufen war, hatte er gehofft, dass Trevor recht hatte und mehr an ihr dran war, als man auf den ersten Blick sehen konnte.

„Mann, aber ich muss dir sagen …“ Danny machte eine Pause, um sich einen Kaffee zu bestellen, und im Hintergrund konnte man Stimmengewirr und das Klirren von Geschirr hören. „Sorry. Wo war ich?“