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ZUSKA KEPPLOVÁ

57 Kilometer von Tashkent

Aus dem Slowakischen übersetzt von Veronika Szeherova

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Titel der Originalausgabe: Kronika pozabljana

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DRAVA VERLAG • ZALOŽBA DRAVA GMBH
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Copyright © dieser Aussgabe 2017 bei Drava Verlag
Klagenfurt/Celovec
Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten

ISBN 978-3-85435-841-1

Zwei Novellen über Menschen, die außerhalb ihrer Heimat leben, jedoch die Chance haben, zu planen, wie die Welt von morgen aussehen wird.

Inhalt

FREIH_IT

57 KILOMETER VON TASHKENT

Das Leben ist eine Torte

Das Leben ist keine Torte

Danksagung

Anmerkung

FREIH_IT

Maja (zu Vera)

„Keine Angst, tut‘s einfach! Wisst ihr, was für ein geiles Gefühl das ist?“ Mick stieg auf die Schulbank und zeigte auf mich. „Du, du da mit der roten Bluse! Wie heißt du? Maja! Maja, komm hoch zu mir. Alle, ihr alle, ich will, dass ihr auf die Bänke steigt!“ Er hatte kräftige weiße Zähne, Fältchen auf den Wangen und wenn er lächelte, begannen die Tanten im Sekretariat, sich besser zu kleiden, sie erröteten und sagten ein rundliches, leises {hɘlo}.

Er lehrte uns Englisch und wedelte dabei mit den Armen, rotierte durch den Raum, staubte mit der Kreide, rief uns beim Vornamen und wollte nach der Stunde Bier mit uns trinken. „Zähn Biers!“, er drückte sich an den Tresen in der Kneipe gegenüber der Schule, rief seine Bestellung und zeigte diese großen weißen Zähne. Wir setzten uns auf die Eckbank und drängten uns dicht aneinander – selbstverständlich hatten wir furchtbare Angst vor ihm und zugleich zog er uns an. Mick hatte so ein ungleichmäßiges Gesicht, fremdartig, wir wurden uns nicht einig, ob er schön oder hässlich ist. Aber wir waren verzaubert und verliebt. Wir alle. Bis dahin hatten wir niemand Großartigeren kennengelernt. Er sprang auf die Bank, wenn er das Gefühl hatte, dass in der Klasse nichts los ist. „Leute, pennt ihr? Aufwachen!“

In der Kneipe nippte er an seinem Glas und legte seinen schneebedeckten Schuh auf den Tisch. Kein anderer Lehrer jemals zuvor hat Sportschuhe oder Mokassins ohne Socken getragen! „Leute, es schneit, es schneit!“ Und als wir ihm beibrachten, einen Engel zu machen, warf er sich vor dem Eingang zur Schule auf den Rücken, hob die Arme über den Kopf, scharrte mit den Beinen und fletschte die Zähne. Er liebte den Schnee und als dieser auftaute, war auch Mick plötzlich weg.

Einige Zeit danach klemmte die Tante aus dem Sekretariat eine Postkarte aus Indien mit einer großbrüstigen steinernen Göttin an die Pinnwand. Mick hatte den Everest bestiegen. Oder beinahe. Wir haben nichts mehr von ihm gehört. Angeblich geleitet er Touristen über die Gipfel und andere wiederum sagten, er sei nie vom Everest zurückgekehrt, sitze im Schnee am Dach der Welt, fletsche die Zähne und der Wind pfeife ihm durch die Rippen. „Leute, wollt ihr James Brown hören? Volle Lautstärke! I feeeel good! Wenn die von nebenan nicht kommen, um sich zu beschweren, weil ihnen das Porträt des Präsidenten von der Wand gefallen ist, dann machen wir was falsch.“

Damals hingen in den Geschäften in Wien Zettel, auf denen Slowaken, nicht stehlen! stand. Mick stahl einen und befestigte ihn an der Pinnwand im Sekretariat. Ich habe den Zettel immer noch. Nachdem er gegangen war, nahm ich ihn mit und legte ihn in das Kästchen mit dem Schlüssel, in dem ich spezielle Dinge aufbewahre. Willst du’s sehen?

Henryk (zu Vera)

Im Flugzeug trinke ich gern. Ich sagte damals zu dir, das ist vielleicht die letzte Chance, einen guten Wein zu bekommen. Wir wussten nicht, worauf wir uns einlassen. Aber wir hatten keine Angst. Hattest du Angst? Wir stürzten uns einfach in etwas völlig Neues. Alles passte in… wir hatten zehn Koffer! Durch das Flugzeugfenster beobachtete ich die Infrastruktur, die sagt viel aus. Schon als ich die Straßen erblickte, den zerbröckelten Asphalt, manchmal verschwand die Mittellinie… Dafür war die Flughafenfläche glatt und gepflegt. Dieses Paradoxon verrät ein paranoides Regime, sagte ich zu dir, trank das Fläschchen mit österreichischem Rotwein leer und wir stiegen in die frostige Witterung hinaus.

So etwa hatten wir uns das vorgestellt: Schnee, Eis, zugewehte Straßen, das ständige Problem mit der Versorgung. Wodka. Menschen mit schlechten Zähnen. Wir freuten uns auf das Elend, wir fantasierten davon, du nanntest es Abenteuer. Als wir aus dem Flugzeug stiegen, nahmst du meine Hand und drücktest die Finger so fest, dass wir beide zu lachen begannen. Der Wind wehte, erfasste dein Haar und warf es dir ins Gesicht. So schriest du gegen den Wind an, dass wir uns ein Sommerhaus kaufen müssen. Eine Datsche. Etwas aus Brettern am Wasser.

Im Frühling kauften wir ein Häuschen am Wasser. Als wir dorthin kamen, war die Tür zur Hütte verschlossen und das verwehte Laub der vorletzten Saison häufte sich davor. Ich rüttelte an der Türklinke, ich konnte es nicht fassen, vertraute diesen Leuten immer noch, nein, tat ich nicht, ich ließ mich nur immer und immer wieder enttäuschen, betrügen, bestehlen. Du lehntest dich gegen die Scheibe und sahst hinein: Eine Liege mit Füßen, ein Regal mit Keramik, mit Brettern beschlagene Wände. Es gefiel dir, du nanntest dieses alte Gerümpel sozialistisches Design. Du konntest es nicht erwarten, den Moder einzuatmen. Wir fuhren zur örtlichen Kneipe und fragten nach den Eigentümern. Hochzeit. Im nahegelegenen Wirtshaus, dorthin schickte man uns. Der Mann, der zur vereinbarten Uhrzeit vor der Hütte mit dem Schlüssel auf uns warten sollte, wirbelte gerade die Braut umher.

Du wolltest, dass wir tanzen. Du suchtest nach irgendwelchen Musikanten, einer Zigeunerkapelle, doch es stand nur ein DJ dort und legte CDs auf. By the Rivers of Babylon, rief der Typ mit der Weste ins Mikro, gleichzeitig bediente er bunte Lichter. Du benutztest die Worte „hybridisch“ und „authentisch“. Du wolltest tanzen, dir die Schuhe ausziehen und dich unter die Menge mischen. Du nahmst dir ein Stück Kuchen, Mohnkörner blieben zwischen deinen Zähnen hängen. Ich sagte zu dir, du sollst das nicht essen, du seist dann auf Drogen. Nicht einmal küssen wollte ich dich dann. Ich verstand nicht, wie man Mohn in Kuchen stopfen kann. Obendrein schmeckt er ekelhaft.

In einem Korb mit alten Klamotten, von den Eigentümern in der Hütte zurückgelassen, fandest du Badesachen. Einen Bikini aus Synthetikstoff mit großen Blumen. Du ranntest damit zum See, während ich langsam hinter dir herging, in der Hand eine Flasche Wein vom Besitzer der Datsche, auf der Wange Lippenstift von der Braut. Ich nippte daran und folgte dir, bis mir das Wasser an die Knie reichte. Wir schliefen in schweren Bettdecken, die alt und muffelig rochen, unter der Lampe Insekten bizarrer Formen, es erinnerte dich ans Haus deiner Großeltern an den Großen Seen. Als du aus dem Wasser stiegst, hing der alte Bikini komisch von dir herab und die Blumen strahlten.

„Gib mir noch eine Chance!“ Du erzähltest mir die Geschichte von den Großen Seen. Dein Bruder warf dich ins Wasser. Er hielt dir seine Hände hin, du bestiegst die Räuberleiter und er ließ dich so emporschnellen, dass du einen Salto machtest und mit ausgestreckten Armen in den Grund stachst. Ihr wolltet eine vollkommene Nummer einstudieren, und so versuchtet ihr es wieder und wieder, bis es ihm keinen Spaß mehr machte. Deine Lippen waren blau vor Kälte, aber du warst immer noch nicht müde, wolltest weiter springen. Als du auftauchtest, hattest du verklebte Augen, schwammst ein paar Züge und bemerktest seinen Rükken, wie er sich entfernte und zum Ufer schwamm. Du sprangst von hinten heftig auf ihn, hieltest ihn fest und riefst: „Gib mir noch eine Chance! Bitte, zum letzten Mal, wir versuchen es noch einmal!“ Als er sich umdrehte, schauten dich fremde Augen an. Der Kerl sah deinem Bruder gar nicht ähnlich, aber in dem Moment hattest du ihn verwechselt, er merkte es dir an und begann zu lachen. Du bekamst einen Schreck und schwammst weg.

Die Datsche haben wir sehr liebgewonnen. Du liefst mit diesem schrecklichen Bikini durch die Gegend und wenn du in die Kneipe gingst, warfst du dir so ein Dreiviertel-Kleid über, das man vorne mit Knöpfen zumacht, und du sagtest, genau so eins hat auch die Wirtin. Das waren bestimmt unsere goldenen Zeiten. Wir tranken Bier, Wein, Wacholderbrand, Enzian, Becherovka, Cognac… den schlechtesten Cognac! Unsere absolute Konjunktur.

Vera (zum Meister)

Meinen Mann lernte ich von hinten kennen. Den ganzen zweiten Streckenabschnitt betrachtete ich seinen Rücken, er hatte ein ähnliches Tempo, eine ähnliche Schrittlänge wie ich, so hängte ich mich an ihn dran, damit er mich wie ein Metronom führte. Das war eine gute Strategie, es genügte, seine Bewegungen zu kopieren, und am Ende blieb mir so noch genug Kraft, ihn zu überholen.

Im Ziel sah ich mich um und suchte den Rücken, hinter dem ich die letzten 20 Kilometer hergelaufen war. Plötzlich schien es mir, als irrte ich ohne ihn nur so umher, ohne Ziel und außer Rhythmus. Ich fand ihn mit einigen Leuten im Gespräch und in meinem Endorphinschwall war es für mich gar kein Problem, zu ihm zu gehen, ihn mitten im Satz zu unterbrechen und zu sagen: „Danke! Den ganzen zweiten Streckenabschnitt lief ich mit Blick auf Ihren Rücken.“ Er antwortete lächelnd: „Hätte ich gewusst, dass Sie hinter mir sind, wäre ich rückwärts gelaufen.“ Er hatte einen deutlichen deutschen Akzent, einen polnischen Namen und wie ich arbeitete er in Manhattan. Ich folgte ihm in eine der Kneipen, die die Strecke säumten und nach dem Marathon voll mit Läufern und ihren Angehörigen waren. Er fragte mich, ob ich gern Serotonin mit Alkohol mische. Ich sagte nur: „I do“.

Wir baten darum, das Kleid so zu nähen, dass man darin laufen kann. Auf halber Strecke des Bostoner Marathons tauschten wir die Ringe, küssten uns und liefen weiter. Henryks Familie flog aus Deutschland ein und trank mit uns nach dem Lauf Happy Hour-Drinks in dem Irish Pub, in dem wir ein Jahr zuvor zusammengekommen waren. Wir waren verschwitzt und verklebt, Henryk trug ein Frack-Oberteil, eine Blume am Revers und Leggins an den Beinen. Mir lugten die Laufschuhe unter dem Brautkleid hervor.

Wir schockierten unsere Familien außerdem mit der Nachricht, dass wir nach Osteuropa auswandern. Henryks Vater drückte seine Sorge bezüglich der Stabilität der Region aus und meiner fragte mich diskret, wo sich der Ort befinde, an den es uns verschlägt. Die Erwähnung, dass es unweit von Wien sei, beruhigte ihn – oh, Vienna! – aber trotzdem bezeichnete er uns als Abenteurer. Das gefiel uns, wir wollten, dass unsere Bekannten von uns als dem verrückten Paar sprachen, das beim Bostoner Marathon geheiratet, die Flitterwochen im kürzlich erst wiedervereinigten Berlin verbracht hat und dann in eines dieser Länder zog, über welche die Zeitungen erneut anfingen zu berichten. Vater erklärte, dass wir fortgingen, um Demokratie aufzubauen, die Fackel der Freiheit tragend.

Henryk hüstelte, diese Formulierungen behagten ihm nicht. Er sagte, er folge einfach seiner Arbeit, er sei ausgerechnet dorthin versetzt worden und habe beschlossen, es zu respektieren. Es fehlte nicht viel, und er hätte gesagt, er sei abkommandiert worden. Mein Vater aber behauptete, unsere Reise habe einen tieferen Sinn, er sei stolz auf uns und wir seien Träger des amerikanischen Gedankenguts. Die Schwiegermutter konnte kein Englisch, blickte deshalb während des Gesprächs irgendwo in die Ferne. Henryk flüsterte mir zu, sie verfolge ein Rugby-Spiel auf einem der Bildschirme an den Kneipenwänden.

Meine Mutter versuchte ein paar Mal, sie laut und deutlich anzusprechen, doch als sie merkte, wie nervös sie sie damit machte, widmete sie sich lieber Bestellungen von der Speisekarte. Sie ließ jedem Burger bringen, womit sie die Erwartungen der Schwiegermutter erfüllte. Sie sagte zu Henryk: „Der Hochzeitsburger?“ und schaute das Spiel weiter. Ihr Sohn hatte gerade eine dieser verrückten Amerikanerinnen geheiratet, die ihn mit ihren Exzessen erschöpfen und ihn dann wegen irgendeines osteuropäischen Malers verlassen würde. Ich konnte sie nicht überraschen, weil sie damals schon, mit ihrem Blick am grünen Rasen der Spielfläche haftend und mit Besteck den dicken Burger schneidend, die Katastrophe voraussah. „Ich verstehe es nicht“, sagte sie zu meiner Mutter und schaufelte sich einen Bissen in den Mund.

Maja (zu Vera)

Ich stand in der Tür des Sekretariats und sah zu, wie Mick, die Füße auf der Fensterbank, Zeitung las. Nachrichten aus der Welt: Während sich in den Staaten zwei junge Leute beim Boston Marathon das Ja-Wort gaben, begann man in Kuba mit dem Bau unterirdischer Verstecke, was einen akuten Mangel an Zement und Treibstoff auf der ganzen Insel zur Folge hatte.

Die Tante aus dem Sekretariat fuhr mich an, ich solle draußen warten, also machte ich einen Schritt zurück in den Flur. Durch die offene Tür sah ich, wie sie zu Mick ging, sich über seine Schulter beugte und ihre mächtigen Brüste seinen Rücken berührten. Sie half ihm bei den Vokabeln in den Artikeln. Innerhalb kurzer Zeit hatte Mick recht ordentlich die Grundlagen des Slowakischen gelernt. Angeblich deshalb, um Zeitung lesen und sich mit den Leuten in der Kneipe über Politik unterhalten zu können.

„Schau hier“, er zeigte auf den nächsten Artikel. „Wie Sie sagen? Ich nicht glaube, was ich sehe!“ Die Tante lachte. „Ich traue den eigenen Augen nicht, sagt man!“ Mir gefiel es, wenn er laut aus der Zeitung vorlas. Auch der Tante aus dem Sekretariat gefiel es. Nie zuvor hatten wir unsere Muttersprache mit einem fremden Akzent gehört. Er las:

Für McDonald´s den ganzen Weg aus der Südslowakei

Der Öffentlichkeit werden täglich mehrere Arten von Schnellgerichten zur Verfügung gestellt in Form von Hamburgern, Salaten, Pommes frites, mehreren Desserts, warmen und kalten Getränken – und Achtung, Bier aus Pilsen (eine Ausnahme, die das Unternehmen McDonald´s angeblich innerhalb seiner 11.804 Betriebe nur in Prag genehmigt hat). Selbstverständlich unterliegt alles unablässigen, strengen Kontrollen von Hygiene sowie der Qualität von Lebensmitteln und Bedienung.

An dieser Stelle hob er bedeutungsvoll die Augenbrauen und rief dann: „So ein Artikel hat in den Inlandsnachrichten nichts verloren. Das ist ein PR-Artikel, Werbung!“ Er fuhr mit dem letzten Satz fort:

Die landwirtschaftliche Genossenschaft Majcichov wird den Prager Betrieb mit frischer Milch zur Zubereitung spezialisierter Produkte beliefern – für Milchshakes und das Eisdessert Sundance.

Die Tante sagte nur, dass sie noch nie Hamburger gegessen habe. Beim nächsten Prag-Besuch werde sie bestimmt in das Restaurant gehen. „Warst du schon in Prag?“ In dem Augenblick merkte Mick, dass ich hinter der Tür stand. „Come in“, rief er.

„An der Tür zu lauschen ist unhöflich, hat dir das keiner beigebracht?“, warf mir die Tante vor. Er ergänzte, dass man anklopfen und entschieden reinkommen solle, dass wir aufhören sollten so eingeschüchtert zu sein. Er ging ins Englische über und hob die Stimme. In der zweiten Person war nicht klar, ob er nur zu mir sprach oder ob ich alles vertrat, was ihn an diesem Land ankotzte. Genauso, wie McDonald’s vertrat, was er an Amerika nicht mochte.

Er schloss mit der Frage, ob ich Zeitung lese und als ich den Kopf schüttelte, schlug er damit gegen den Tisch und drehte sich auf dem Stuhl. Er machte ein paar Gesten und bedankte sich bei mir dafür, weil er eine Idee bekommen habe. Er bat die Tante, den Artikel zu kopieren und zu vervielfältigen. Mick teilte die Blätter in der Klasse aus und schrieb einige Fragen an die Tafel. In der Klasse blieb es ruhig, keiner wusste, wie er diese Fragen mit dem Ereignis der Restauranteröffnung in Prag in Verbindung bringen sollte. Das Gespräch entwickelte sich sehr langsam, niemand wusste, wie er Micks Diskussionseifer entgegentreten sollte. „Warum, warum denkst du, dass McDonald’s hier gefehlt hat? Warum?“, rief er demjenigen zu, der sich getraut hatte.

Mick gestikulierte mächtig, fasste sich an den Kopf und zog Grimassen. Vielleicht hätten sie ihn rauswerfen sollen, weil wir am Jahresende keine Grammatik beherrschten und er häufig zu spät zum Unterricht kam oder ihn in die Kneipe gegenüber der Schule verlegte. Aber niemand wusste damals, wie native speakers unterrichten, und dass es womöglich genau so aussehen sollte.

Vera (zum Meister)

In Bratislava fehlte mir der ganze Dienstleistungssektor von Express-Maniküre/Pediküre über chinesische Imbisse bis hin zum Psychoanalytiker. All die kleinen Leute, die kleinen Gespräche und die Unmengen bezahlter Liebe, die sie mir gaben, all das fehlte mir dort.

In New York habe ich eine Beziehung zu einer Fußpflegerin aufgebaut. Stellen Sie sich vor, sie verbrachte ihre Adoleszenz mit dem Anblick verhornter Fußsohlen. Wir hörten in ihrem Alter Rock in voller Lautstärke und lehnten uns gegen Arbeit auf, sie schielte aus den Augenwinkeln auf die chinesischen Untertitel des Films und kraulte und streichelte meine Füße mit automatisierten Bewegungen. „Massage?“, fragte sie und fuhr mit den Fingern meine Wade entlang, mit meinem großen Zeh streifte ich ihre Brustwarze unter dem Hello Kitty T-Shirt. Ich glaube, ich habe auch mal von ihr geträumt. Sie küsste meine Fußgelenke, die ich mir in meinem Laufschuh beim Joggen auf dem Laufband wundgescheuert hatte, und linste dabei unentwegt mit einem Auge auf den Fernseher.

Und dann das Mädel vom Imbiss. Sie verwechselte mich mit irgendeiner Schauspielerin. Sie starrte mich an, während sie mir das panierte Sesamhuhn auf den Teller lud – meine kleine Leidenschaft, eine frittierte Sünde, die ich in der Ecke unter dem Bild mit dem Wasserfall verzehrte, völlig verborgen vor der Welt der gesunden Ernährung. Auf der Straße drehten sie gerade einen Film und das Mädel war überzeugt, dass irgendeine Diva zu ihnen zum Sesamhuhn essen gekommen war. Ich lachte, ihr Interesse schmeichelte mir, also sagte ich zu ihr, dass ich vom Catering sei und ließ eine Portion angeblich für Woody Allen einpacken.

Beim nächsten Mal sagte ich erneut, er schicke mich wegen des fabelhaften Huhns. Ich dachte mir seltsame Anekdoten über ihn aus, fasste seine Perversionen und Manien immer in ein, zwei Sätzen zusammen. Ich sagte, Woody esse nur Rohkost, lauter Sprossen, aber dann verschließe er sich auf einmal im Catering-Hänger, niemand dürfe ihn sehen, und dort esse er eine Portion Hühnchen eingepackt in Sesampanade und frittiert in einem Topf voll Öl! Woody unterwerfe sich gern Verboten, aber von Zeit zu Zeit sei er ungehorsam, um sich ein Gefühl der Schuld zu bewahren, das man mit Fleiß unterdrücken müsse. Ich bewundere es an Henryk, wie er es schafft diszipliniert zu sein, ohne dass es an irgendeiner Stelle aus ihm ausbrechen würde. An Ihnen, Meister, gefällt mir, wie Sie es schaffen undiszipliniert zu sein und sich das in keiner Weise vorzuwerfen.