LEONIE MARCH

MANDELAS
TRAUM

MEINE REISE
DURCH SÜDAFRIKA

1. Auflage 2018

© 2018 DuMont Reiseverlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Herburg Weiland, München

Umschlagfotos: Bo Lelewel, Frankfurt a.M.

Karten im Umschlag: Gerald Konopik, DuMont Reisekartografie

Fotos und Karten im Innenteil: Leonie March

Illustrationen: Jane Appleby, Kapstadt

eISBN 978-3-6164-9155-4

www.dumontreise.de

Karten

Für Brett

INHALT

Vorwort

Karten

Kapitel 1    KwaZulu-Natal

Von Straßenhändlern, Pilgern und dem Geheimnis der San

Kapitel 2    Eastern Cape

Von Freiheitskämpfern, Erben und Jockeys

Kapitel 3    Western Cape

Von Entwurzelung, Nachbarschaftshilfe und Humor

Kapitel 4    Northern Cape

Von Einsamkeit, Pioniergeist und Poesie

Kapitel 5    Johannesburg

Vom Fluch des Goldes, Erinnerungskultur und Pantsulas

Kapitel 6    Limpopo

Von der Regenkönigin, »Halbmenschen« und uralten Zivilisationen

Danksagung

Über die Autorin

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Vorwort

»Eine Spende für unseren Präsidenten!«, höre ich eine Stimme rufen. Verwundert schaue ich mich auf der Pier um, von der aus ich gerade die Aussicht auf den Hafen und die Strandpromenade von Durban genossen habe. Ich kann mich nur verhört haben. Wer sammelt schon Geld für Südafrikas korrupten Präsidenten Jacob Zuma, der es nur zu gut versteht, sich selbst zu bereichern? »Hier unten bin ich. Wie wäre es mit einer Spende für den Präsidenten?«, beharrt die Stimme. Ich blicke nach unten. Von dort feixt ein junger Mann zu mir hoch, barfuß steht er neben seiner prächtigen Sandskulptur, die Zumas berüchtigte Privatresidenz in Nkandla darstellt. In die sind Millionen Steuergelder geflossen, von denen er dank der mutigen Ombudsfrau einen Teil zurückzahlen musste. Grinsend klaube ich ein 5-Rand-Stück aus meiner Hosentasche. »Hier in den ›Löschteich‹ musst du treffen«, sagt der Strandkünstler. Dieser sogenannte Löschteich, der eigentlich ein luxuriöser Pool ist, ist ein running gag in Südafrika. Ein haarsträubendes Symbol dafür, dass eine ganze Nation für dumm verkauft werden soll. Ich ziele und treffe. »Glückwunsch, du hast dem Präsidenten sehr geholfen. Er wird sich zu gegebener Zeit bestimmt erkenntlich zeigen«, verspricht der junge Mann mit einem breiten Lächeln. Natürlich wandert die Münze daraufhin in die Tasche seiner Shorts, wo sie auch viel besser aufgehoben ist als auf Zumas Konto. Lächelnd ziehe ich weiter. Ich liebe diesen Galgenhumor, der viele Südafrikaner auszeichnet: Sie lassen sich einfach nicht unterkriegen, auch in diesen schweren Krisenzeiten nicht. Ich bewundere das Land für seine Stärke und leide mit ihm unter dieser fatalen Regierung, unter der gerade das hart erkämpfte demokratische Fundament bröckelt.

Südafrika ist mehr als nur mein Berichtsgebiet, in dem ich seit 2009 als freie Journalistin und Korrespondentin lebe und arbeite, es ist meine Wahlheimat. 1990, dem Jahr, in dem Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen wurde, einem Jahr der großen Hoffnungen, war ich zum ersten Mal hier, damals als noch recht naive sechzehnjährige Austauschschülerin. Doch Südafrika packte mich schon damals, es faszinierte und schockierte mich, ich liebte und hasste es, es machte mich glücklich und wütend. Nach vielen Reisen in andere Teile der Welt kehrte ich 2002 als Journalistin zurück und fand ein gewandeltes Land vor: das ›neue‹ Südafrika, das immer noch mit den alten Problemen kämpfte und auf seinem langen Weg zur Freiheit trotzdem schon so weit gekommen war. Bei der Rückkehr nach Deutschland buchte ich sofort das nächste Flugticket und reiste von da an jedes Jahr zwei Monate als Reporterin durch dieses gleichsam wunderbare und schwierige Land. Auf einer dieser Reisen traf ich meinen Mann, Brett, es war Liebe auf den ersten Blick. Er zog zu mir nach Berlin und irgendwann beschlossen wir, gemeinsam in seine Heimat umzusiedeln. Wir leben im Süden von Durban, dort wo die Stadt langsam aufhört und die Provinz beginnt. Brett arbeitet hier mit Kleinbauern, die an ökologischem Landbau interessiert sind, buchstäblich tief verwurzelt mit seinem Land. Für mich ist unser Leben an der Küste des Indischen Ozeans inmitten prächtiger subtropischer Natur ein Ruhepol, an dem ich zwischen meinen Recherchereisen auftanken und schreiben kann.

Immer wieder werde ich von Kollegen in Johannesburg oder Kapstadt gefragt, warum wir uns gerade Durban ausgesucht haben. »Seht euch doch nur um«, sage ich dann und meine nicht die rund 300 Sonnentage im Jahr. Frühmorgens, wenn die Sonne über dem Indischen Ozean aufgeht, warten die ersten Surfer schon auf die perfekte Welle, Jogger trainieren auf der Strandpromenade, Fischer stehen mit ihren Angeln auf der Pier; nur ein paar Meter weiter taufen Priester in langen weißen Gewändern die neuen Gemeindemitglieder im Meer, traditionelle Heiler füllen das Salzwasser in große Plastikkanister, Hindus zünden Räucherstäbchen rund um ihre Opfergaben an, die langsam auf den Wellen davongleiten. Am späten Nachmittag und an den Wochenenden plantschen dunkelhäutige Kinder vergnügt in der Brandung, ihre Eltern picknicken auf dem Strand, der früher der weißen Minderheit vorbehalten war. Auf der Promenade flanieren Zulu-Frauen auf hohen Hacken an vollverschleierten Musliminnen und singenden Krishna-Jüngern vorbei, als wäre es das Normalste der Welt. Wenn ich mit Freunden hierherkomme, die zum ersten Mal in Südafrika sind, beweist mir ihr ungläubiges Staunen einmal mehr, dass diese Normalität etwas Besonderes ist. Mandelas Regenbogennation, hier schillert sie in ihren buntesten Farben. Jedenfalls auf den ersten Blick, denn natürlich sieht der Alltag oft anders aus.

Durch die jahrzehntelange künstliche Trennung der Bevölkerungsgruppen während der Apartheid sind die eigenen Landsleute zu Fremden geworden. Die Wunden, die die rassistische Vergangenheit gerissen hat, vernarben nur langsam und brechen immer wieder auf. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das friedliche Miteinander häufig als Nebeneinanderher oder sogar als zähneknirschende Duldung. Es sei naiv gewesen, anzunehmen, dass sich alle Südafrikaner nach der demokratischen Wende sofort wunderbar verstehen würden, dass es keine rassistischen Vorurteile und keine Unterdrückung mehr gäbe, sagte mir die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer, als ich sie vor ihrem 90. Geburtstag in ihrem Haus in Johannesburg traf. Auch sie habe unterschätzt, wie schwer es sein würde, die Vision der Regenbogennation umzusetzen. Der Wille jedoch ist weiterhin sehr lebendig, das klingt in den Gesprächen immer wieder an, die ich in den letzten Jahren mit Südafrikanern aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen geführt habe. Diese Gespräche möchte ich auf meiner Reise vertiefen und fortsetzen. Ich möchte herausfinden, was das Land, das gerade in der wohl schwersten Krise seiner vergleichsweise jungen Demokratie steckt, trotz aller Kontraste und Konflikte im Innersten zusammenhält.

Es hat Tradition, sich von schwierigen oder sogar scheinbar ausweglosen Situationen nicht einschüchtern zu lassen. Gegen Ende der Apartheid stand Südafrika am Rande eines Bürgerkrieges, ein friedlicher Übergang zur Demokratie schien unmöglich und doch gelang dieses ›Wunder‹. 2010 sagten Afro-Pessimisten Chaos und Gewalt bei der Fußball-WM voraus; stattdessen wurde sie zu einem Wintermärchen, dass das Land weltweit in ein neues Licht rückte. Auch als Nelson Mandela 2013 starb, war sie wieder da, die Angst im Ausland, Südafrika würde ohne seinen geliebten Landesvater ins Verderben steuern; die Südafrikaner jedoch hielten würdevoll inne, sie nutzten die Tage zur Selbstreflexion und für kleine Gesten der Versöhnung, die mich damals tief berührt haben. Seit Jacob Zuma regiert, nehmen die Warnungen wieder zu, Südafrika werde ebenso in Autokratie und Chaos enden wie das Nachbarland Simbabwe. Ich denke jedoch nicht, dass es so weit kommen wird. Sicherlich, Südafrika steht wieder einmal auf der Kippe, zwischen Absturz und Aufbruchsstimmung. Doch die Gefahr, die von Zumas Sonnenkönig-gleichem Regierungsstil ausgeht, hat Justiz, Zivilgesellschaft und Medien wachgerüttelt. Selbstbewusst und mit zunehmender Stärke verteidigen sie die Errungenschaften ihrer jungen Demokratie. Nicht immer machen sie dabei große Schlagzeilen. Oft sind es die stillen Helden des Alltags, nach denen ich auf meiner Reise Ausschau halten werde.

Jemand hat mir einmal gesagt, dass Veränderungen in der Peripherie beginnen und nicht in den Zentren der Macht. An diesen klugen Satz musste ich denken, als ich meine Reiseroute geplant habe. Sie wird mich in das Südafrika jenseits der touristischen Trampelpfade und jenseits der schlagzeilenträchtigen Skandale führen, in die Grenzregionen des Landes, an die Bruchstellen und Ränder der Gesellschaft, zu ganz normalen Bürgern statt zu berühmten Persönlichkeiten, zu Menschen, die Südafrika im Kleinen prägen, aber große Veränderungen im Blick haben. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn dieses komplexe Land und seine vielschichtige Gesellschaft, die sich zudem ständig verändern, zwischen zwei Buchdeckeln komplett darzustellen ist wohl unmöglich. Es können also nur Momentaufnahmen sein, die sich in der Gesamtheit aber wie das Bild eines Kaleidoskops zusammensetzen und meiner Wahlheimat hoffentlich gerecht werden.

Leonie March, Durban im November 2017

Kapitel 1