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Inhalt

Aufs Meer hinaus

Bielefeld

Hinter die Ohren

Ein neuer Tick

Läusebus

Mikromort

Quakokikeriki

Mit Blitzen schießen

Nur Krepp

Kein Angsthase

Eine Strategie

Lieferservice

Hammer!

»Noch einen Pastis, Monsieur Lefuét?«

»Ja, bitte, Jean-Luc.«

Aufs Meer hinaus

»Genießen Sie Ihren Urlaub?«

»Ja, sehr. Es ist wunderschön hier.«

»Sie müssen im Sommer kommen, da ist es noch viel schöner. Und wärmer, vor allen Dingen. In der Hochsaison kann es richtig heiß werden.«

»Nein, danke. Hitze hatte ich genug in meinem Leben. Ich finde diese Temperaturen gerade sehr angenehm.«

»Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?«

»Von unten.«

»Australien?«

»Ganz unten.«

»Neuseeland? Da wollte ich schon immer mal hin.«

»Glauben Sie mir: dort, wo ich herkomme, will niemand freiwillig hin.«

»Ach, so schlimm wird’s schon nicht sein. Meistens lernt man seine Heimat ja erst richtig zu schätzen, wenn man sie verlassen hat. Sie werden sich bestimmt freuen, wieder nach Hause zu kommen.«

»Ganz sicher nicht.«

»So schlimm? Haben Sie keine Familie dort?«

»Doch. Das ist ja das Problem.«

»Verstehe. Familienstreitigkeiten. Na ja, Ärger gibt’s in jeder Familie, das wird sich schon wieder einrenken. Haben Sie Kinder?«

»Einen Sohn. Er ist elf.«

»Sehen Sie, ich bin mir sicher, Ihr Sohn vermisst Sie ganz schrecklich und freut sich, wenn Sie wieder nach Hause kommen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Er wohnt nicht mehr bei mir, ich habe ihn auf ein Internat geschickt. Es gefällt ihm sehr gut dort. Er hat jede Menge Spaß mit seinen neuen Freunden und denkt wahrscheinlich überhaupt nicht an mich.«

»Er ist Ihr Sohn. Ich bin mir sicher, er denkt jeden Tag an Sie und freut sich darauf, Sie bald wiederzusehen. Haben Sie denn Kontakt zu ihm? Wenn Sie möchten, können Sie ihn über Skype anrufen, mein Laptop steht da drüben, das WLAN ist sehr gut hier.«

»Skype? Was ist das? Wieder so was Modernes mit Technik? Nein, danke. Ich bin froh, wenn ich mich nicht mehr mit diesem ganzen neumodischen Kram beschäftigen muss. Sagen Sie mir lieber, wo ich einen Bootsverleih finde. Ich möchte ein bisschen aufs Meer hinaus.«

»Aufs Meer? Bei diesem Wetter? Für die nächsten Tage ist Sturm angesagt, da fährt niemand raus, das ist viel zu gefährlich.«

»Umso besser. Ich mag es stürmisch und gefährlich.«

»Aber doch nicht lebensgefährlich, oder? Der Atlantik ist die Hölle bei dieser Wetterlage. Da fahren selbst die seetüchtigsten Fischer nicht raus, weil sie befürchten, nicht lebendig zurückzukommen.«

»So, so, die Hölle also. Keine Sorge, damit kenne ich mich bestens aus. Machen Sie sich um mein Leben keine Gedanken, das ist zäh. Ein Boot bräuchte ich allerdings trotzdem.«

»Ich kann meinen Schwager fragen, der hat eine Jolle, die er nur im Sommer nutzt. Ich bezweifle aber, dass er sie Ihnen überlässt. Er wird befürchten, sie nicht zurückzukriegen, wenn Sie bei diesem Wetter tatsächlich rausfahren.«

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Ich bin mir sicher, er wird mir seine Jolle leihen. Ich kann teuflisch überzeugend sein.«

»Gut, ich rufe ihn gleich mal an.«

»Danke. Und einen Pastis noch, bitte. Der schmeckt nämlich höllisch gut.«

Bielefeld

»Guten Morgen, Jungs!«, begrüßt uns der Holzapfel fröhlich.

»Guten Morgen, Herr Holzapfel!«, grüßen wir ihn im Chor zurück.

Er setzt sich an sein Pult und zieht einen Stapel Papier aus seiner Tasche.

»Da dies die letzte Stunde vor den Ferien ist, dachte ich, das ist die perfekte Gelegenheit zu überprüfen, was ihr im letzten halben Jahr alles gelernt habt. Holt eure Stifte raus, wir schreiben einen Test.«

Wie bitte, was? Der spinnt wohl! Darauf bin ich jetzt gar nicht vorbereitet. Ich dachte, so kurz vor den Ferien passiert sowieso nichts mehr. Und alle anderen dachten das wohl auch – ein qualvolles, ungläubiges Stöhnen durchzieht den Klassenraum.

»Was denn?«, fragt der Holzapfel grinsend. »Habt ihr etwa keine Lust auf einen Test? Ich dachte, ihr freut euch! Was kann es Schöneres geben als einen Geschichtstest kurz vor Weihnachten?«

»Keinen Geschichtstest kurz vor Weihnachten?«, sagt Finn, unser Klassensprecher, und alle stimmen ihm lautstark zu.

»Wie bitte?«, erwidert der Holzapfel verwundert. »Ihr wollt keinen Geschichtstest schreiben? Na gut, kein Problem. Dann trage ich einfach für jeden eine Sechs in mein Notenbuch ein.«

»Aber das können Sie nicht machen!«, protestiert Finn.

»Und ob ich das kann«, sagt der Holzapfel und zückt sein Notenbuch. »Und du bist gleich der Erste.«

Er greift nach einem roten Stift, schreibt etwas in das Buch und streckt es Finn entgegen.

»Siehst du, da steht eine Sechs«, sagt der Holzapfel grinsend. »Jeder von euch kriegt eine Sechs – und zwar für ungenügenden Humor!«

Er schlägt sich prustend auf die Schenkel und fällt fast vom Stuhl vor Lachen.

»Eure Gesichter!«, grölt er. »Zu köstlich! Wartet, bleibt noch einen Moment so!«

Er holt sein Handy hervor und fotografiert uns.

Oh Mann. Lehrerhumor. Den werde ich wohl nie verstehen. Von daher passt das mit der Sechs schon. Aber die wird doch nicht wirklich im Zeugnis stehen, oder? Werden wir auch für unseren Humor benotet? Ich habe noch nie ein Zeugnis gekriegt, keine Ahnung, was da so alles drinsteht. Ist mir eigentlich auch egal, zumindest jetzt gerade. Es gibt Wichtigeres als Zeugnisse. Seinen verschollenen Vater zu suchen, zum Beispiel.

»Ihr habt mir nicht wirklich zugetraut, dass ich euch am letzten Schultag so etwas antun würde, oder?«, fragt der Holzapfel kichernd.

Die ganze Klasse atmet erleichtert auf.

»Natürlich schreiben wir heute keinen Test. Wir machen noch nicht mal Unterricht. Stattdessen möchte ich von euch erfahren, wie ihr Weihnachten verbringen werdet. Ich nehme an, die meisten fahren nach Hause. Aber vielleicht gibt es ja auch jemanden, der in den Ferien irgendetwas Ungewöhnliches vorhat? Gustav, zum Beispiel. Ich habe gehört, du feierst nicht zu Hause?«

»Äh … ja«, sagt Gustav und wirft mir einen kurzen Blick zu. »Ich werde die Ferien in Ungarn verbringen.«

»Bei Vitus, nicht wahr?«, ergänzt der Holzapfel und lächelt mich an.

Genau, Vitus, das bin ich. Zumindest hier in St. Fidibus. Vitus von Turbsnatas, Sohn eines reichen ungarischen Adelshauses. Dass ich in Wirklichkeit Luzifer junior heiße und der Sohn des Teufels bin, wissen hier nur exakt drei Leute – Gustav ist einer davon.

»Ja«, sagt er. »Vitus’ Vater hat mich eingeladen, Weihnachten auf seinem Schloss zu verbringen.«

Sehr gut, Gustav. Das klang überzeugend. Gustav befürchtet immer, ein schlechter Lügner zu sein, aber bisher macht er das sehr gut. Immerhin konnte er bereits seine Eltern dazu überreden, mit mir nach Ungarn fahren zu dürfen, und das auch noch an Weihnachten. Dieses Weihnachten scheint für die Menschen hier oben sehr wichtig zu sein, das war mir bis vor ein paar Tagen gar nicht klar. Gustav hat versucht, es mir zu erklären, aber so richtig verstanden habe ich das alles nicht. Da gibt es offenbar Geschenke und ganz viel zu essen und jede Menge Familienangehörige, die sich nicht leiden können, und überall läuft schrecklich kitschige Musik. Und, was ich selbst unten im Dorf beobachtet habe: Plötzlich tauchen überall alte Männer mit weißen Bärten in roten Klamotten und mit einem äußerst begrenzten Wortschatz auf – wahrscheinlich reden sie deshalb fast ausschließlich mit kleinen Kindern. Woher diese seltsamen Typen kommen und welche Funktion sie haben, ist mir noch nicht ganz klar geworden, aber es muss auch irgendwas mit Weihnachten zu tun haben. Bei uns unten gibt es zwar auch so eine Art Weihnachten, aber das ist viel unspektakulärer. Wahrscheinlich, weil Papa es hasst. Er stellt diesen Weihnachtsbaum nur auf, weil der CEO ihn erfunden und die Verwendung befohlen hat. Der CEO, unser Chronisch Einzigartiger Oberchef. Wenn es stimmt, was alle erzählen, hat er nicht nur den Weihnachtsbaum, sondern ALLES erfunden – ich habe da so meine Zweifel. Der Hammer ist ja, dass ich sogar mit ihm verwandt bin. Eigentlich müsste ich ihn Opa nennen. Ich habe nämlich vor ein paar Wochen zufällig erfahren, dass er Papas Vater ist. Trotzdem hat er seitdem nicht ein einziges Wort mit mir gewechselt. Ich meine, ich bin sein Enkel, da kann man doch mal vorbeikommen oder anrufen oder wie auch immer er vorzugsweise kommuniziert. Aber nein, nichts, das große Schweigen. Und wo mein Vater steckt, seit er aus der Hölle flüchten musste, scheint ihn ebenfalls nicht zu interessieren. Dabei heißt es immer, er sieht und weiß alles, da könnte er doch mal kurz runterkommen und Bescheid sagen, wo genau sich sein Sohn versteckt, dann müssten wir nämlich nicht extra nach Frankreich, um ihn zu suchen, und alle möglichen Leute deswegen anlügen. Ganz ehrlich: Der kann mir mal gestohlen bleiben, mein blöder Opa.

»Oh, Weihnachten in einem Schloss im Ausland«, sagt der Holzapfel. »Das klingt sehr aufregend. Was ist mit dir, Aaron? Fährst du auch mit?«

Ja, Aaron muss auch mit nach Frankreich, unbedingt. Die Frage ist nur, wie wir das hinkriegen.

»Nein«, antwortet Aaron. »Ich muss leider wie immer in den Ferien ins Krankenhaus. Mein Gehirn wird zum dreiundachtzigsten Mal untersucht, weil meine Eltern denken, dass damit etwas nicht stimmt. Nicht stimmt.«

Was absoluter Blödsinn ist. Aaron hat zwar ein paar Ticks, aber ich kenne niemanden, dessen Gehirn besser funktioniert. Das mit dem Krankenhaus ist allerdings wirklich ein Problem. Wie sollen wir ihn da bloß unauffällig rauskriegen, damit er mit uns nach Frankreich kommen kann, ohne dass es jemand bemerkt? Ich habe bereits in meinem Handbuch für junge Dämonen nach einem passenden Spruch gesucht, aber keinen gefunden. Irgendetwas muss uns noch einfallen, nur leider wird die Zeit langsam knapp – morgen früh soll es nämlich schon losgehen.

»Stimmt, das hab ich vergessen, du musst ja wieder ins Krankenhaus«, sagt der Holzapfel. »Und das auch noch an Weihnachten. Das tut mir leid für dich.«

»Nicht so schlimm«, sagt Aaron seufzend. »Das ist ja jedes Jahr so, ich bin dran gewöhnt. Gewöhnt.«

Dieses Jahr nicht. Dieses Jahr wirst du Weihnachten in Frankreich verbringen, Aaron. Irgendwie kriegen wir das schon hin. Wir müssen es hinkriegen. Ich brauche meine Freunde, wenn ich meinen Vater finden will – und zwar alle drei.

»Euch beiden wünsche ich trotzdem viel Spaß in Ungarn«, sagt der Holzapfel und wendet sich an mich. »Kommt noch jemand mit?«

»Ja«, sage ich. »Lilly.«

»Lilly Rosenberg? Die Nichte unseres Hausmeisters? Ich wusste gar nicht, dass ihr befreundet seid.«

Doch, das sind wir, uns verbindet sogar mehr als Freundschaft. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass sie wie ich über dämonische Kräfte verfügt. Woher sie kommen, konnte uns bis jetzt leider niemand erklären – ein weiterer Grund, weshalb wir meinen Vater unbedingt finden wollen. Er weiß bestimmt, was mit Lilly los ist.

»Begleitet euch Herr Rosenberg dann?«, fragt der Holzapfel.

»Nein«, antworte ich.

Auf gar keinen Fall! Dann müssten wir ihm ja verraten, dass ich der Sohn des Teufels bin und wir in Wirklichkeit gar nicht nach Ungarn fahren, das würde ihm garantiert nicht gefallen. Es war schwierig genug, ihn zu überreden, dass er Lilly über Weihnachten allein wegfahren lässt. Er ist immer sehr besorgt um sie. Als wir alle zusammen in die Hölle gegangen sind, musste ich einen Dämonenspruch anwenden, damit er nichts mitkriegt. Das hat auch wunderbar funktioniert, aber dieser Spruch hält nur ein paar Tage lang, deshalb ging das diesmal nicht und wir mussten ganz viel tricksen, bis er es erlaubt hat. Er wollte unbedingt persönlich mit meinem Vater in Ungarn sprechen, den es so natürlich überhaupt nicht gibt. Lilly hatte dann zum Glück die Idee mit Auribus und dem Skype-Anruf. Auribus ist ein Dämonenspion, der mich ursprünglich im Auftrag meines Vaters hier in St. Fidibus bespitzelt hat. Mittlerweile ist er aber ein Freund und passt auf mich auf. Er kann seine Form verändern, hier oben ist er als Krankenschwester Miriam getarnt. Für das Skype-Gespräch mit Herrn Rosenberg hat er sich in einen erwachsenen Mann verwandelt und als mein Vater ausgegeben, das hat super funktioniert. Moment mal, wäre das nicht …? Ja, das könnte klappen! Da hätte ich auch früher draufkommen können. Das muss ich gleich nachher mit den anderen besprechen.

»Okay«, sagt der Holzapfel. »Dann wünsche ich euch viel Spaß in Ungarn. Ihr könnt mir ja mal eine Karte schreiben, ich freue mich immer über Post aus dem Ausland.«

»Klar, machen wir«, sage ich.

Das ist kein Problem, daran haben wir auch schon gedacht. Die Postkarten für Lillys Onkel und Gustavs Eltern sind bereits geschrieben. Fernbus, der neue Chef-Dämon für Logistik in der Hölle, sorgt dafür, dass die Karten von einem seiner Mitarbeiter in Ungarn in einen Briefkasten geworfen werden. Da macht eine mehr für den Holzapfel keinen Unterschied.

»Sehr gut«, sagt der Holzapfel. »Gibt es denn noch jemanden, der die Ferien an einem fremden Ort verbringt und mir eine Karte schicken könnte?«

»Ja, ich«, meldet sich Yannis zu Wort. »Ich fliege mit meinen Eltern zum Golfspielen nach Mauritius. Erster Klasse, natürlich. Die Tickets kosten dreitausend Euro. Pro Person.«

Yannis, der alte Angeber. Er macht nichts, was nicht viel Geld kostet. Das ist ihm irgendwie sehr wichtig, deswegen betont er es auch ständig. Dabei ist es ja nicht mal sein eigenes Geld, sondern das seiner Eltern. Sein Vater ist Chirurg. Ich hoffe, er macht bei seiner Arbeit keine Fehler, sonst darf er nämlich später bei uns unten Golf spielen, in Abteilung 9, da sitzen die Pfuschenden Ärzte. Ja, die dürfen bei uns Golf spielen. Allerdings kriegen sie jedes Mal einen Herzinfarkt, kurz bevor der Ball im Loch verschwindet, und werden dann direkt auf dem Platz von einem Dämon mit Fäustlingen und einer rostigen Laubsäge ohne Betäubung notoperiert. Das passiert natürlich bei jedem Loch – unser Golfplatz hat 18.000 davon und ist ein Rundkurs.

»Mauritius? Das soll ja sehr schön sein«, sagt der Holzapfel. »Da würde ich mich über eine Karte natürlich auch sehr freuen. Sonst noch jemand mit exotischen Reisezielen?«

Ein Junge, dessen Namen ich mir nie merken kann, weil er so gut wie nie etwas sagt, meldet sich.

»Ja, Balthasar?«

»Ich fahre zu meiner Oma nach Bielefeld«, sagt der Junge.

»Ha, ha!«, fängt der Holzapfel an zu lachen. »Da musst du mir auf jeden Fall eine Karte schicken! Bin ich gespannt, ob sie ankommt! Bielefeld gibt’s nämlich gar nicht!«

»Wie … Wie meinen Sie das? Bielefeld gibt’s nicht?«, fragt Balthasar mit besorgter Miene. »Soll das heißen, meine Eltern haben mich angelogen und wir fahren gar nicht nach Bielefeld? Aber wo fahren wir denn sonst hin? In den Wald? Papa hat früher immer gesagt, wenn ich meinen Teller nicht aufesse, fährt er nachts mit mir in den Wald und setzt mich da aus. Buäääääääh!«

Balthasar fängt fürchterlich an zu heulen. Der Arme. Ich würde ihm gerne sagen, dass sein Vater einen Platz in der Hölle sicher hat, in Abteilung 25 bei den Angsteinflößenden Erziehungsberechtigten, aber das würde ihm wahrscheinlich noch mehr Angst machen.

Der Holzapfel steht auf und stürzt auf Balthasar zu.

»Aber … Aber … Das war doch … Das ist doch nicht ernst gemeint mit Bielefeld!«, erklärt er. »Das ist nur so ein Witz im Netz! Natürlich gibt es Bielefeld! Und ich bin mir auch ganz sicher, dass deine Eltern mit dir dort hinfahren!«

Balthasar plärrt unbeeindruckt weiter.

»Hörst du, Balthasar?«, setzt der Holzapfel nach. »Es ist alles in Ordnung! Du besuchst deine Oma in Bielefeld!«

»Aber … Aber«, schluchzt Balthasar. »Sonst ist Oma immer zu uns gekommen! Und ich hab sie auch ganz lang nicht mehr gese-he-heeen! Vielleicht hat Papa sie auch im Wald ausgesetzt!«

Dieses Geräusch erinnert mich stark an unsere Sirenen-Dämonen in der Hölle, lang halte ich das nicht mehr aus.

Holzapfel versucht weiter, Balthasar zu beruhigen, vergeblich.

»Jungs«, sagt er schließlich. »Das kann etwas länger dauern hier. Ich würde sagen, eure Ferien fangen diesmal eine halbe Stunde früher an. Schöne Weihn…«

Weiter kommt er nicht, denn die Hälfte der Klasse ist bereits aufgesprungen und auf dem Weg nach draußen.

Ich winke Gustav und Aaron schnell zu mir heran.

»Alles bereit?«, frage ich. »Habt ihr schon gepackt?«

»Ja«, sagt Gustav. »Soll ich wieder meinen Werkzeuggürtel und den Helm mitnehmen?«

»Nein, das ist wohl nicht nötig, diesmal geht es ja nicht in die Hölle«, antworte ich.

»Ich habe zwei Taschen gepackt«, sagt Aaron. »Eine für Frankreich und eine fürs Krankenhaus. Krankenhaus.«

»Ich glaube, ich habe eine Idee, wie du mit nach Frankreich kommen kannst. Wann holen dich deine Eltern fürs Krankenhaus ab?«

»Heute Abend um sechs«, sagt Aaron seufzend. »Es wäre sehr wünschenswert, wenn mir das erspart bliebe. Ich kann keine Krankenhäuser mehr sehen. Mehr sehen.«

»Wie gesagt, ich arbeite dran«, sage ich. »Wenn sie dich um sechs abholen, müssen wir uns spätestens um vier treffen, besser um drei. Also, um drei bei mir im Zimmer?«

Aaron und Gustav nicken.

»Sehr gut. Ich sage Lilly Bescheid. Habt ihr Auribus in den letzten Tagen gesehen?«

»Nein, schon länger nicht«, sagt Gustav. »Als ich gestern am Krankenzimmer vorbeigegangen bin, war die Vertretungsschwester da.«

»Er wird bestimmt noch auftauchen«, sagt Aaron. »Er hat doch die Zugfahrkarten und das alles, oder?«

Ja, Auribus hat alles besorgt, was wir für diese Reise brauchen. So ein Dämonenspion ist wirklich praktisch, er kennt sich hier oben viel besser aus als ich. Vielleicht ist er ja noch unterwegs, um die letzten Vorbereitungen zu treffen.

»Ich hoffe es«, sage ich. »Ich mache mich gleich mal auf die Suche nach ihm. Wir sehen uns dann später.«

Hinter die Ohren

»Cornibus auch Schrankreich?«

»Frankreich, Cornibus. Das heißt Frankreich. Und ja, hab ich doch schon gesagt. Du kannst mitkommen. Ich kann dich ja schlecht allein hierlassen. Wer weiß, was du alles anstellen würdest. Aber du musst extrem vorsichtig sein. Wir werden uns viel in der Öffentlichkeit bewegen, du darfst dich also nicht in deine ursprüngliche Form verwandeln. Am besten bleibst du eine Maus, dann passt du gut in meine Jackentasche.«

»Oder Qualle? Cornibus gern Qualle. Schön schleimig.«

»Nein, keine Qualle, dann hätte ich immer Angst, dich zu zerquetschen.«

»Schildkrötenqualle? Hat Panzer. Nicht verquetschen.«

»Eine Schildkrötenqualle gibt’s nicht, Cornibus.«

»Macht nix. Cornibus kann auch Tiere, die nicht gibt’s. Guck.«

Er verwandelt sich. Oh, das ist neu. Ich wusste gar nicht, dass er das kann. Hausdämonen sind wohl immer für eine Überraschung gut – vor allem mein allerliebster Hausdämon Cornibus.

»Das sieht lustig aus«, sage ich lachend. »Was soll das sein?«

»Cornibus Bärgazelle. Oder Bärzelle. Gerade verfunden.«

»Erfunden«, sage ich. »Das heißt erfunden, Cornibus. Aber so passt du nicht in meine Tasche.«

»War ja nur Freispiel«, sagt er und verwandelt sich zurück in seine ursprüngliche Form.

»Beispiel«, verbessere ich ihn. »Das heißt …«

Ein Klopfen an der Tür unterbricht mich. Dreimal kurz, dreimal lang, zweimal kurz. Ah, unser geheimes Klopfzeichen. Das haben wir uns ausgedacht, nachdem wir aus der Hölle zurückgekehrt waren. So weiß ich immer, dass niemand Fremdes draußen steht, und Cornibus muss sich nicht jedes Mal schnell verwandeln, damit ihn niemand sieht.

»Herein!«, rufe ich.

Es sind Aaron, Gustav und Lilly.

»Ahorn!«, ruft Cornibus freudig und springt sofort in seine Arme. »Cornibus Ahorn lang nicht gesehen! Ahorn Cornibus streicheln!«

Cornibus ist ganz vernarrt in Aaron – seinen Namen richtig auszusprechen, kriegt er aber nie hin.