Über den Autor

Axel Nauert ist Organisations- und Wirtschaftspsychologe. Er betätigt sich als International Consultant, Trainer und Berater bei Dr. Rosenkranz und arbeitet als Mitglied im Bundesverband für Burnout-Prophylaxe und Prävention e. V. oder als NLP-Trainer. Der Autor war lange Zeit für verschiedene Unternehmen tätig und berät heute selbstständig in München.

Schlussbemerkung

Menschen mögen charismatische Anführer. Ihre Überzeugungskraft wirkt oft unwiderstehlich, sie inspirieren andere. Sie können eine Art Kraftschub darstellen, weil sie als heroisch oder gar als eine Art Übermensch angesehen werden. Charisma kann auf diese Weise positive Resultate mit sich bringen, es kann aber in bestimmten Konstellationen auch zerstörerisch wirken.

Nehmen wir noch einmal das bereits beschriebene Beispiel des Steve Jobs. Dessen narzisstische Persönlichkeit machte Apple groß und sie zerstörte den Konzern später fast. Der späte Steve Jobs war es dann aber wieder, dessen Charisma Apple zu neuen Höhen führte – in Bezug auf die Profite ebenso wie auf das öffentliche Ansehen. Und Apple blieb dieses Mal groß, stürzte weder unter Jobs noch nach dessen Tod noch einmal ab. Hatte sich Jobs oder das Unternehmen inzwischen verändert? Und wie können wir uns, wie können sich Unternehmen gegen die Fallen der dunklen Führerschaft wehren?

Tatsächlich scheint es so, dass das Verteidigen von Werten in Kombination mit ethischen Grundsätzen ein gutes Mittel ist, um nicht zur Beute der Dark Leader zu werden. Klare Regeln und Normen vereint mit angemessenem Verhalten sollten daher gestützt und immer wieder verstärkt werden, um entsprechenden Fehlentwicklungen entgegenwirken zu können. Gibt es aber eine Erosion dieser Werte und dazu eventuell noch nur schwer nachvollziehbare und intransparente Entscheidungen, dann ist das ein nahezu perfekter Nährboden für das Entstehen von Dark Leadership und das Hervorbrechen der dunklen Seite des Charismas. Um solche Entwicklungen zu unterbinden, ist es außerdem wichtig, Führungskräfte ethisch zu schulen. Das Entwickeln einer solchen ethischen Unternehmenskultur ist der wohl beste Weg, um eine Balance zwischen dem Einfluss von Führungspersönlichkeiten und den Interessen der Mitarbeiter herzustellen.

Anmerkungen

1 https://www.wie-reich-ist.com/logan-paul-vermoegen-verdienst-youtube/

2 https://www.youtube.com/watch?v=hXKNkdjccbY

3 https://www.youtube.com/watch?v=hnQLbXm2mGA

4 http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/oliver-samwer-absturz-des-deutschen-internet-stars-a-1144747.html

5 http://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/ipo/rocket-internet-masche-unberechenbarer-fuehrungsstil/10611654-4.html

6 https://www.tagesspiegel.de/politik/praesident-auf-lebenszeit-xi-jinping-wird-chinas-neuer-kaiser/21006338.html

7 http://www.spiegel.de/politik/ausland/viktor-orban-ungarns-ministerpraesident-will-protest-vor-villen-verbieten-a-1209570.html

8 https://www.welt.de/politik/ausland/article163750172/Was-Erdogans-Praesidialsystem-fuer-die-Tuerkei-bedeutet.html

9 https://netzpolitik.org/2015/kriminologe-pfeiffer-computerspiele-moeglicherweisefuer-pariser-attentate-verantwortlich/

10 https://www.tweaktown.com/news/59420/witcher-3s-40-second-rule-kept-players-engaged/index.html

11 https://www.forbes.com/profile/richard-branson/

12 https://books.google.de/books?id=9rCh_e8mhksC&pg=PA26&lpg=PA26&dq=richard+branson+psyche&source=bl&ots=IGDt2OBhoO&sig=J5gKmg-5tucA9oefJMJomfWVECY&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjQ2seU16rbAhVOb5oKHYXPDyUQ6AEIWDAJ#v=onepage&q=richard%20branson%20psyche&f=false

13 https://www.businessinsider.de/richard-branson-das-ist-seine-verrueckte-tagesroutine-2018-2?rand=aia8b#/#undefined

14 https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/psychologie/krankheitenstoerungen/wenn-der-mensch-zum-monster-wird-so-erkennen-sie-einen-psychopathen_id_2734734.html

15 https://www.theguardian.com/commentisfree/2014/jun/03/how-i-discovered-i-have-the-brain-of-a-psychopath

16 https://www.zeit.de/karriere/beruf/2014-05/psychopathen-interview-psychologejens-hoffmann

17 https://www.stern.de/panorama/stern-crime/peter-madsen-irgendwann-baten-die-richter-nur-noch-das-noetigste-sehen-zu-muesen-7958300.html

18 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/erpressung-quandt-erbin-tappt-in-die-honigfalle-a-587914.html

19 Das zwiespältige Individuum: Zum Person-Gesellschaft-Arrangement Der Moderne, Uwa Schimank

20 https://www.telegraph.co.uk/news/2016/09/13/1-in-5-ceos-are-psychopaths-australian-study-finds/

21 https://www.nytimes.com/2015/05/29/business/dealbook/richard-fuld-breaks-his-silence-since-lehmans-collapse.html?_r=0

22 https://www.youtube.com/watch?v=vY_LqH_pb5o

23 https://www.gerlachreport.com/news/mehmet-goekers-neue-abzockbude-simplex-optima

24 https://www.youtube.com/watch?v=vN4U5FqrOdQ

25 https://www.theguardian.com/books/2017/jun/29/the-one-device-by-brian-merchant-review-secret-history-of-the-iphone

26 https://www.cnbc.com/2017/09/12/why-steve-jobs-almost-prevented-the-apple-iphone-from-being-invented.html

27 http://www.deutschlandfunkkultur.de/held-und-mistkerl-zugleich.950.de.html?dram:article_id=140619

28 http://www.telegraph.co.uk/technology/news/8958170/Steve-Wozniak-on-Break-out-Atari-and-Steve-Jobs.html

29 https://www.focus.de/digital/computer/steve-wozniak-kritisiert-apple-kult-vieles-wasueber-steve-jobs-erzaehlt-wird-ist-falsch_id_3748431.html

30 http://www.typentest.de/blog/2013/02/die-personlichkeit-von-steve-jobs/

31 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87818605.html

32 http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/lars-windhorst-wunderkindnicht-mehr-geschaeftsfuehrer-von-sapinda-a-1166318.html

33 http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/lars-windhorst-kauft-mit-sapinda-luxus-und-dessousmarke-la-perla-a-1195530.html

34 https://www.amazon.de/Psychologische-Personalauswahl-Einf%C3%BChrung-die-Berufseignungsdiagnostik/dp/3801708659

35 https://www.amazon.de/Die-Masken-Niedertracht-Seelische-dagegen/dp/342336288X

36 http://www.milgram-experiment.com/

37 https://www.youtube.com/watch?v=doFpACkiZ2Q

38 https://www.simplypsychology.org/asch-conformity.html

39 https://wuecampus2.uni-wuerzburg.de/moodle/mod/book/view.php?id=322112&chapterid=5249

40 https://www.zeit.de/wirtschaft/2015-05/tesla-elon-musk-spacex/seite-2

41 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13525041.html

42 https://www.businessinsider.de/der-safe-quoll-ueber-vor-lauter-geld-elon-musks-vater-ueberrascht-mit-behauptungen-2018-2

43 https://www.businessinsider.de/der-safe-quoll-ueber-vor-lauter-geld-elon-musks-vater-ueberrascht-mit-behauptungen-2018-2

44 https://www.rollingstone.com/culture/features/elon-musk-inventors-plans-for-outer-space-cars-finding-love-w511747

45 http://homepage.univie.ac.at/michael.trimmel/mws00_haas.htm

46 http://lexikon.stangl.eu/4490/volition/

47 https://upstreamwm.com/approach/the-niagara-syndrome/

48 http://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/Grundddaten_Jugend_Medien.pdf

49 http://www.kas.de/upload/dokumente/2014/04/140404-BK-Diss.pdf

50 http://www.spiegel.de/spiegel/alice-weidel-die-afd-spitzenkandidatin-erstaunt-frue-here-weggefaehrten-a-1167859.html

51 https://www.nytimes.com/2005/03/06/books/review/the-sociopath-next-door-ruthless-people.html

52 https://www.shz.de/regionales/hamburg/gerrit-und-frederik-braun-ihr-grosser-traum-ganz-klein-id18187036.html

1

DER AUFSTIEG DES DUNKLEN: DAS PHÄNOMEN DARK LEADERSHIP

In meiner Arbeit und vor allem auch während meiner Seminare treffe ich immer wieder auf Menschen, die mir sagen, die von mir angesprochenen Themen seien äußerst interessant – dann aber fragen sie, ob eigentlich ihr Chef auch schon einmal in einem solchen Workshop war. Danach berichten sie dann, wie dieser Chef agiert, und dass der letztlich doch ein sehr gutes Beispiel für das Thema Dark Leadership wäre. Besonders häufig werde ich von Menschen angesprochen, die sehr erschöpft sind, die auch psychosomatische Beschwerden haben – von Kopf- oder Schulterschmerzen über Konzentrationsstörungen bis hin zu einer ausgewachsenen Depression. Es handelt sich nicht selten um Menschen, die mir sagen, sie hielten die Zustände in einem Unternehmen einfach nicht mehr aus. Der Chef agiere in einer Weise, dass sie gar nicht mehr wüssten, wer sie eigentlich seien – diese Menschen fühlen sich regelrecht destabilisiert. Dahinter verbirgt sich die unangenehme Wahrheit, dass es in den Unternehmen und vor allem bei den Führungskräften eine dunkle Seite gibt, die in den verbreiteten Trainings einfach nicht bedient oder berücksichtigt wird. Interessanterweise aber hat sich herausgestellt, dass solche Personen tatsächlich in allen Organisationen vertreten sind. Vor allem ist auch festzustellen, dass derartige Fälle deutlich zunehmen. Ich mache meine Arbeit nun seit rund 30 Jahren, und früher war es so, dass ich gelegentlich einmal mit einem solchen Fall konfrontiert wurde. Ich hatte es vielleicht alle paar Jahre einmal mit einer auffällig agierenden Führungspersönlichkeit zu tun. In den vergangenen fünf bis sieben Jahren jedoch stelle ich eine deutliche Zunahme derartiger Fälle fest. Vor allem in den letzten drei Jahren habe ich versucht, mehr zu dem Thema zu erfahren. Und ich habe auch nach systematischen Forschungen in diesem Zusammenhang gesucht. Mit dem ernüchternden Ergebnis, dass dieses Gebiet bisher offenbar nur ganz wenig erforscht wurde. Auch die Auswahl an Büchern zu diesem Thema ist sehr mager. Das wohl bekannteste Werk trägt den Titel Snakes in Suits: When Psychopaths Go to Work, und wurde im Jahr 2006 von dem kanadischen Kriminalpsychologen Robert D. Hare veröffentlicht. Danach gab es jahrelang keinerlei Veröffentlichungen mehr zu diesem Thema. Erst in jüngster Zeit erhält es wieder mehr Aufmerksamkeit, auch weil sich gewisse Phänomene inzwischen durch Fortschritte auf dem Gebiet der Neuroforschung besser erklären lassen. Noch vor wenigen Jahren wurde das, was sich hinter Dark Leadership verbirgt, allein als Persönlichkeits- oder Charakterdeformation angesehen. Und es herrschte die Meinung, so etwas müssten die Mitarbeiter eben einfach aushalten. Heute wiederum wissen wir aber, dass es tatsächlich ungünstig für das Gehirn ist, mit einer solchen Person zusammenarbeiten zu müssen. Weil sich beobachten lässt, wie diese Zusammenarbeit die Persönlichkeit einer betroffenen Person regelrecht destabilisiert. Und zwar ganz erheblich. Die Destabilisierung kann sogar so umfassend sein, dass der Betroffene Suizid begeht.

Die Frage ist nun, warum manche Menschen andere derart destabilisieren. Die Antwort darauf lautet, sie tun es, weil sie davon einen persönlichen Gewinn haben.

Nun sehe ich es in meiner Profession als meine Aufgabe an, Menschen zu stärken. Ich möchte sie davor bewahren, krank zu werden, ich möchte sie auch davor bewahren, Schlafstörungen zu bekommen oder gar in eine Depression zu fallen. Ich will sie stärken, und genau daher kümmere ich mich als Psychologe um die Menschen. Dazu muss aber auch gesagt werden: Ich bin kein Psychotherapeut. Meine Arbeit dreht sich immer darum, was Menschen – und was menschliche Gehirne – in Organisationen tun. Weil ich genau das eben bereits seit einigen Jahrzehnten mache, kann ich auch sehr sicher sagen: Da hat sich etwas verändert und es verändert sich immer noch weiter. Die Achtzigerjahre waren noch geprägt von Aufbruch und Freiheit. Genau das aber hat sich geändert, eventuell sogar umgekehrt. Was nun eben auch dazu führt, dass sich gewisse problematische Persönlichkeitstypen in Führungsrollen durchsetzen können.

Mit diesem Buch möchte ich bewirken, dass Menschen diese Veränderung und die damit verbundenen Folgen erkennen. Ich möchte außerdem erreichen, dass Menschen ein klares Bild davon bekommen, mit wem sie es bei einer Führungspersönlichkeit tatsächlich zu tun haben. Die Leser sollen dekodieren können, warum diese Person möglicherweise schädliche Auswirkungen auf sie hat; sie sollen sich außerdem erklären können, warum sie selbst auf deren Handlungen in einer bestimmten Weise reagieren. Die Menschen sollen ebenfalls erkennen können, dass sie derartigen Vorgängen nicht schutzlos ausgeliefert sind. Denn gerade dieses Gefühl des Ausgeliefert-Seins ist es, durch das jemand in eine Depression rutscht. Niemand soll mehr das Gefühl haben, keinen Ausweg zu haben, sondern jeder Mensch soll die tatsächlichen Handlungsoptionen erkennen können. Optionen, die sich nutzen lassen, um zu handeln, um zu reagieren. Denn Leiden ist kein Schicksal. Wer die wahren Hintergründe seines Leidens erkennt, erkennt auch, dass er nicht hilflos oder ausgeliefert ist. Und er gewinnt das Wissen, wie er »gesund« darauf reagieren beziehungsweise handeln kann.

Durch meine langjährige Berufserfahrung als Psychologe weiß ich zudem sehr genau, dass es für den Umgang mit unterschiedlichen problematischen Persönlichkeiten auch unterschiedliche Strategien gibt. Daher sollen in diesem Buch auch die diversen Persönlichkeiten beziehungsweise Persönlichkeitsstörungen behandelt werden. Es soll aufgezeigt werden, wie diese Menschen funktionieren, wie sich ihre Störung in problematischem Handeln äußert, und wie wir schließlich mit ihnen umgehen können, um uns selbst zu schützen und besser zu fühlen. Damit wir so handeln können, dass unser eigenes Gehirn stabil bleibt und wir stabil durch unser Leben gehen.

2

DIE KINDER VON SOCIAL MEDIA UND VIDEO-PLATTFORMEN

Reden wir von Dark Leadership und von den Schwächen der Manager unserer Zeit, dann dürfen wir nicht vergessen, wie sehr sich die Welt und damit auch die Führungspersonen in dieser Welt verändern. Die über Vierzigjährigen werden bei einem Dark Leader vermutlich an einen Vorgesetzten in einem herkömmlichen Unternehmen denken. Doch selbst bei jungen Start-ups gibt es inzwischen längst vollkommen andere Unternehmens- und Führungsstrukturen. Und was in der einen Welt ein Riesenthema ist, das wird in der anderen Welt im Grunde gar nicht mehr wahrgenommen. So beschäftigte etwa der Fall eines Logan Paul – auf den ich später noch intensiver eingehen werde – im Internet Millionen Menschen über Wochen oder gar Monate. In den traditionellen Medien dagegen, egal ob Tagesschau oder Zeitschrift, wurde all das mit kaum einem Wort erwähnt.

Was dann zu einer wesentlich weiterreichenden Frage führt: nämlich der Frage, was heute eigentlich noch einen Skandal provoziert. Früher ließ sich ein Skandal über ein Buch erzeugen, man konnte mit einer politischen Aussage empörte Aufmerksamkeit erzeugen. Dieser Skandal wurde dann auch von der gesamten Bevölkerung wahrgenommen, es war im Grunde ein Skandal, der alle betraf, oder von dem zumindest alle wussten. Heute dagegen scheint sich ein Skandal zunehmend auf eine Zielgruppe zu beschränken. Ein großer Skandal auf YouTube beschäftigt dort Millionen von Nutzern, wird außerhalb der Plattform jedoch überwiegend ignoriert. Umgekehrt sind diese Nutzer so mit dem Skandal auf ihrer Lieblingsplattform beschäftigt, dass sie sich kaum mehr etwa für einen politischen Skandal oder zweifelhafte Inhalte eines Buches interessieren.

Diese Separierung und diese Parallelwelten können künftig noch drastischere Auswirkungen haben. Wenn es etwa kein geteiltes Wissen und keine allgemein anerkannte Sicht der Dinge mehr gibt. Dann nämlich kann man die derart aufgesplitteten Communitys sehr gut und gezielt mit ausgewählten Informationen bedienen. Und das hat einschneidende Auswirkungen auf die nächste Manager-Generation. Die heute als YouTube-Kinder aufwächst, mit einem Star wie Logan Paul, und die das Geschehen auf der Video-Plattform für wichtiger hält als die reale Welt, wie sie die heutigen Erwachsenen kennen. Was wird diese Generation YouTube etwa darüber lernen, wie man Erfolge erzielt? In der Videoplattform-Welt haben diese Kinder gelernt, dass es gerade Einzelkämpfer an die Spitze bringen. Denn Erfolg auf YouTube beginnt in der Regel damit, dass sich eine Person selber filmt. Mal beim Spielen von Videospielen, mal, wie im Fall von BibisBeautyPalace, auch beim Schminken. Andere Personen spielen, wenn überhaupt, erst später eine Rolle. Wer mit seinen Videos Geld einnimmt, bezahlt damit schließlich Hilfskräfte, die gegen Bezahlung Aufgaben übernehmen, die dem YouTube-Star selbst widerstreben. Das bedeutet, dass so etwas wie ein Teamgedanke in dieser Welt so gut wie keine Rolle spielt. Die Vergangenheit jedoch hat gezeigt, dass Erfolge im Internet nur im Ausnahmefall von Dauer sind. Weil das eigene junge Publikum selber irgendwann erwachsen wird und sich in der realen Arbeitswelt behaupten muss. Oder weil einer erneut nachwachsenden Generation der einst so hippe YouTuber inzwischen zu alt erscheint und man sich lieber jüngeren Konkurrenten zuwendet. Sodass sich dann auch der einstige Online-Star in der alten, realen Welt nach Möglichkeiten umschauen muss, seine Brötchen zu verdienen. Nur ist er es eben nicht gewohnt, im Verbund mit anderen zu arbeiten, dabei womöglich Kompromisse eingehen oder sich zwischenmenschlich behaupten zu müssen.

Das Phänomen Social Media erhöht grundsätzlich das Selbstverständnis, sich als Einzelperson zunächst und vor allem um sich selbst zu kümmern, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Unterstützt werden somit vor allem egomane Tendenzen und narzisstische Eigenschaften einer Persönlichkeit. Das wiederum geht einher mit dem, was man in Organisationen einen »nicht territorialen Arbeitsplatz« nennt. Der Einzelne hat also nicht mehr den einen Platz, an dem er immer sitzt. Kommt er morgens in die Firma, setzt er sich vielmehr irgendwo hin. Oder er arbeitet virtuell, sitzt also in seinem Homeoffice irgendwo auf der Welt, aus dem er via Datenleitungen mit seinen Auftraggebern verbunden ist. Ich habe also für meine Arbeit kaum mehr als mein Notebook dabei, weil ich eben auch kaum mehr benötige. Das unterstützt wiederum die Tendenz, die sich immer mehr verbreitet: Jeder Einzelne für sich sieht zu, dass er möglichst gut überlebt. Man agiert also letztlich in seinem persönlichen kleinen Universum und der Teamgedanke wird weitgehend verdrängt. So lässt sich auch die skandalöse Handlungsweise eines Logan Paul erklären, für den andere nur Beiwerk sind, um seine Ego-Schau zu unterstützen.

Logan Paul – kindischer YouTube-König von eigenen Gnaden

Logan Paul? In Deutschland und vor allem bei Personen ab einem Alter von, sagen wir 30 Jahren, wird dieser Name vermutlich mit einem Fragezeichen am Ende ausgesprochen werden. Weil diese Menschen schlicht nicht wissen, um wen es sich handelt. Speziell für Teenager in aller Welt dagegen ist Logan Paul einer der ganz großen Stars. Ein Star aus den Sozialen Medien, die längst jene Rolle übernommen haben, die einst Popstars für Kinder und Jugendliche ausfüllten. Daneben ist der 23-jährige US-Amerikaner aber auch ein Beispiel, wie auf diesen Wegen problematische Persönlichkeiten in eine Position geraten, in der sie quasi über Nacht ein Unternehmen mit Millionenumsätzen und zahlreichen Mitarbeitern anzuführen haben.

Aber erzählen wir die Geschichte chronologisch: Logan Alexander Paul wurde am 1. April 1995 geboren. Er wuchs mit seinen inzwischen getrennt lebenden Eltern und seinem jüngeren Bruder Jake Paul – heute ebenfalls ein bekannter YouTuber – im US-Bundesstaat Ohio auf, wo er die Highschool besuchte und während seiner Schulzeit Football spielte. So weit, so unauffällig.

Der Weg zum Online-Star begann für Logan Paul im Alter von 19 Jahren: Im Jahr 2014 veröffentlichte er auf der Internet-Plattform Vine erste Videos. Bei Vine handelte es sich um ein Portal zum Austausch sehr kurzer Filmaufnahmen. Registrierte Benutzer konnten sechs Sekunden lange Videoclips hochladen und sie – im Sinne eines sozialen Netzwerkes – mit anderen teilen. Bereits im Februar 2014 hatte Paul auf verschiedenen Social-Media-Plattformen mehr als 3,1 Millionen Follower erreicht. Diese Zahlen stiegen in der Folgezeit noch deutlich weiter an: Im August 2017 hatte er auf Twitter 2,4 Millionen Follower, auf Instagram waren es 16 Millionen, hinzu kamen 15,7 Millionen Likes auf seiner Facebook-Seite und inzwischen gut 16 Millionen Abonnenten auf YouTube. Eine Zusammenstellung seiner ursprünglichen sogenannten Vines, die er auf YouTube hochlud, erreichte über vier Millionen Aufrufe in nur einer Woche. Und: Seine Sechs-Sekunden-Videos brachten ihm Hunderttausende Dollar über Werbung ein. Im Oktober 2015 hatten allein seine Videos auf Facebook mehr als 300 Millionen Aufrufe.

Logan Paul war also schnell sehr erfolgreich, doch der Weg zum ganz großen Erfolg begann erst im Jahr 2016: Am 12. September des Jahrs veröffentlichte er seinen ersten Video-Blog – kurz Vlog genannt – auf seinem nach den kommenden Inhalten einfach »Logan Paul Vlogs« betitelten YouTube-Kanal. Bald schon wurden diese Vlogs täglich veröffentlicht, während er auf seinem Hauptkanal TheOfficialLogan-Paul außerdem Kurzfilme postete.

Schon Anfang 2016 startete dann auch die Karriere als Werbeikone durch. Logan war auf dem Titelbild des amerikanischen Werbemagazins Adweek zu sehen, er war in Werbekampagnen für die Bekleidungsmarke Hanes, den Getränkeproduzenten Pepsi und den Fernsehsender HBO zu sehen. Daneben kaufte der US-amerikanische Kabelnetzbetreiber Comcast im Jahr 2018 Pauls Fernsehserie »Logan Paul VS«, in der der Jungstar sich unterschiedlichsten Herausforderungen stellte.

All das machte sich für den seinerzeit gerade Volljährigen natürlich auch finanziell bemerkbar. Bereits für das Jahr 2016 wurden seine Einkünfte auf 12,5 Millionen Dollar geschätzt.1 Und zu diesem Zeitpunkt war immer noch kein Ende des Wachstums seiner Popularität festzustellen. Denn inzwischen macht Logan Paul auch Geld mit seinem Merchandising, etwa der seit 2017 angebotenen Modekollektion »Maverick by Logan Paul«, die er seitdem in jedem seiner von Millionen Nutzern aufgerufenen Videos bewirbt.

Mit dem weiter steigenden Erfolg wuchs um Logan Paul schließlich ein Team und letztlich ein Unternehmen, das diverse Menschen ernährte.2 Alles schien wie eine unendliche Erfolgsgeschichte, in der eine Gruppe junger Männer Unsummen von Geld zur Verfügung hatte und glaubte, sich davon alles kaufen zu können. Nicht zuletzt einen ähnlich unendlich erscheinenden Spaß. Bis sich eines Tages zeigte, dass dieses Leben doch nicht immer nur aus Spaß besteht, sondern dass es auch Situationen gibt, in denen angemessenes Handeln erforderlich ist.

Am 31. Dezember 2017 veröffentlichte Logan Paul ein Video auf seinem YouTube-Kanal, das beschreibt, wie er gemeinsam mit anderen YouTubern den Aokigahara in Japan besuchte – einen Teil eines Nationalparks, der als »Selbstmord-Wald« zu zweifelhafter Berühmtheit kam. Besonders die Medien haben den Aokigahara immer wieder wegen einer erschreckend hohen Anzahl von Todesfällen thematisiert. Bei den Toten handelt es sich überwiegend um Selbstmörder, die in den Wald eingedrungen waren, um sich dort das Leben zu nehmen – überwiegend durch Erhängen oder Vergiften. Der Ruf des Aokigahara als Suizidstätte soll auf zwei Romane des japanischen Schriftstellers Matsumoto Seichō zurückgehen, in denen Selbsttötungen thematisiert wurden.

Logan Paul wollte mit seinen Begleitern 24 Stunden in dem Wald verbringen. Dabei allerdings entdeckten sie tatsächlich einen erhängten Körper. Sie ließen die Kameras laufen und zeigten Bilder des Toten später im Rahmen eines Vlogs mehr schlecht als recht unkenntlich gemacht. Schon nach kurzer Zeit war der Film mehr als sechs Millionen Mal auf YouTube aufgerufen worden. Nach dem Aufkommen heftiger Kritik löschte Logan Paul es schließlich. Trotzdem kursierte das Video weiter, da andere Nutzer es erneut hochluden.3 Logan Paul bat schließlich sein Fans in einer Videobotschaft um Entschuldigung und nahm sich eine Auszeit. Doch wer dachte, danach würde ein geläuterter Logan Paul in die Sozialen Netzwerke zurückkehren, der hatte sich geirrt. Er machte vielmehr weiter, als hätte es den Vorfall nie gegeben: Wieder schien das Motto zu lauten, witzig zu sein um jeden Preis. Auch wenn genau das alles andere als witzig war. Er bearbeitete tote Ratten mit dem Elektroschocker, verpasste Zierkarpfen Herzmassagen und so weiter und so fort.

Logan Paul ist für mich ein Beispiel für einen Menschen, der mit Narzissmus vollgepumpt ist. Auf der anderen Seite aber ist er auch eine hysterisch-histrionische Persönlichkeit. Solche Menschen zeichnen sich durch ein egozentrisch-dramatisch-theatralisches, manipulatives und auch extravertiertes Verhalten aus. Typisch sind hier extremes Streben nach Beachtung, übertriebene Emotionalität und eine Inszenierung sozialer Beziehungen. Logan Paul zählt zu den Menschen, die sich selber immens toll finden und auf der anderen Seite über sich selbst gar nicht nachdenken oder nachdenken können. Informiert man sich über das Leben des YouTube-Stars, dann erkennt man in ihm auch eine Person, die Menschen aus ihrem engeren Umfeld einfach wegwirft, wenn sie ihm nicht mehr passen – oder wenn sie ihm gar widersprechen. Zu einem realen Leben scheint Paul inzwischen kaum mehr eine Verbindung zu haben. Für ihn ist das Leben das, was sich vor der Kamera abspielt, mit der er seine sogenannten Vlogs filmt oder filmen lässt. Nur noch sein mediales Leben scheint existent, aber eben nicht mehr das reale Leben. Das ist ohnehin ein verbreitetes Problem in der Welt all jener Personen, die sich vor allem über ihren Erfolg in den Sozialen Medien definieren – dort scheint es zunehmend zu einer Distanzierung von der realen Welt zu kommen. Sollte bei einem Menschen wie Logan Paul dann irgendwann der inzwischen gewohnte Erfolg ausbleiben, die Bewunderung des Publikums schwinden, dann gibt es vermutlich nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder er hat bis zu diesem Zeitpunkt so viel Geld anhäufen können, dass er sich die Bewunderung des Publikums wieder erkaufen kann – oder er suizidiert sich.

Sieht man den Fall Logan Paul von der unternehmerischen Seite her, dann stellt sich die Frage, ob ein solcher Mensch fähig ist, sein Imperium beziehungsweise sein Team auch wie ein Unternehmer zu führen. Für mich lautet die Antwort eindeutig: Er kann es nicht. Ein Unternehmen wie das Team des Logan Paul funktioniert nur dann, wenn es erfolgreich ist. Es funktioniert, weil es Unmengen an Geld einbringt. Kommt es jedoch zu Komplikationen und besagtes Geld fließt nicht mehr, dann ist es um die Führungsperson Logan Paul geschehen.

Auf der anderen Seite würde ein solcher Mensch, nur um den früheren Erfolg nochmals zu erleben, noch größere Dummheiten als zuvor begehen. Denn dümmer geht immer. Was letztlich wohl auch das grundlegende Motto für den Weg eines Logan Paul wäre. Alles wird getan, wenn sich damit die höchstmögliche Aufmerksamkeit erzielen lässt. Das lässt sich schon in der Vergangenheit des Logan Paul erkennen. Zum Beispiel in dem immer wiederkehrenden Spielen mit Tabus. So hat er einen Kleinwüchsigen in sein Team aufgenommen, um mit diesem vermeintlichen Freund vor der Kamera seine Späße zu treiben.

Logans ähnlich erfolgreicher Bruder Jake zeigt übrigens inzwischen sehr deutlich, wie es hinter den Fassaden solch erfolgreicher Jungunternehmen aussehen kann. Der gründete mit seinen Millionen nämlich das sogenannte Team 10 – ein Kollektiv, das ein Haus in Los Angeles bezog und das neben Jake Paul aus neun weiteren YouTubern bestand. Nach außen propagierte die Gruppe den alles verbindenden Teamgedanken und dass dieses Team vor allem viel Spaß hatte. Nachdem allerdings Logan Paul in die Kritik geraten war, zeigten sich bald auch im Team 10 erste Erosionsspuren. Im Frühjahr 2018 erklärten zunächst zwei der Teammitglieder ihren Ausstieg. Bald schon wurde über die Hintergründe dieses Schrittes spekuliert. Gerade einer der Ausstiege nährte die Vermutung, das Kartenhaus stürze bald ein: War doch dieses Teammitglied nicht allein als Talent vor der Kamera zu sehen gewesen, sondern auch im Hintergrund als Chief Operating Officer (COO) tätig und somit die Nummer zwei im Team hinter Jake Paul. In Fankreisen war man sich bald sicher, dass Jakes Vater Greg Paul etwas mit dem Ausstieg zu tun hatte. Denn der ziehe zunehmend die Fäden und entlasse auch Personal, das zuvor von Teammitgliedern eingestellt wurde. Auch Beleidigungen würden innerhalb des so verschworen erscheinenden Teams inzwischen zum Alltag gehören.

Was letztlich vor allem eines deutlich macht: Auch ein höchst erfolgreiches Start-up mit überaus »hippen« Führungspersönlichkeiten wird zum Problemfall, wenn die dunkle Seite der Chefetage in den Vordergrund tritt.

Ich, ich, ich – und ich: Die Generation Influencer