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Fußnoten

1

»Dieser Versuch über Ethik enthält hoffentlich nichts grundsätzlich Neues. Wo es um Fragen des richtigen Lebens geht, könnte nur Falsches wirklich neu sein.« Mit diesen beiden Sätzen eröffnet Spaemann sein Buch Glück und Wohlwollen (1989, 9). Spaemann erneuert eine Einsicht, mit der schon Kant 1785 seine Grundlegung eröffnet hatte.

2

Luhmann, Paradigm lost, 1990, 13 ff. und 17.

3

Am nächsten kommt dieser Einsicht: Wieland, Platon und die Formen des Wissens, 1982.

4

Die durch einen Punkt getrennten Ziffern verweisen auf Kapitel (erste Ziffer) und Abschnitte (zweite Ziffer) des vorliegenden Buches.

5

Die Gemeinsamkeit mit der Kunst konnte so lange unbetont bleiben, wie die Künste selbst sich noch wesentlich als Handwerk verstanden. Seit aber die Kunst ihre produktive, kreative Eigenständigkeit akzentuiert, muss man hervorheben, dass auch die Philosophie nicht kunstlos sein kann. Keine Wissenschaft, wenn sie denn produktiv ist, kommt ohne künstlerische Elemente aus.

6

Heidegger, Einleitung in die Philosophie (1928/29), 1996, 217 ff.

7

Das ist angesichts der Tatsache, dass der Begriff des Problems (πρόβλημα) von Platon bis Popper eine durchgängige epistemische Verwendung findet, durchaus erstaunlich. Erst Cohen und Natorp haben dem Begriff selbst einige Aufmerksamkeit gewidmet; im Anschluss an sie hat Nicolai Hartmann den Begriff in differenzierter Weise zur Charakterisierung wissenschaftlicher Aufgaben und Einstellungen verwendet; seine Schüler Wein (Untersuchungen über das Problembewußtsein, 1937) und Landmann (Problematik, 1949) haben dann einen vielversprechenden Anfang zur phänomenologisch-anthropologischen Analyse gemacht. Doch die Erörterung wurde nicht fortgeführt. Seitdem gibt es m. W. nur Arbeiten, die sich auf Begriffsgeschichte und Methodenfragen beschränken.

8

Popper, Alles Leben ist Problemlösen, 1994.

9

Dazu: Henrich, Fluchtlinien, 1982, 23 und 53 ff.; ders., Grund und Gang spekulativen Denkens, 1988, 8387.

10

Bücher oder Computer haben »selbst« keine philosophischen Fragen. Wohl aber gibt es Individuen, die ihre Fragen einem Medium in der Hoffnung anvertrauen, dass es andere Individuen gibt, die sie auch (oder gerade) in dieser Vermittlung verstehen. Allein um das Verstehen zu ermöglichen, müssen die individuellen Fragen allgemein formuliert werden. Um aber selbst in ihrer Allgemeinheit wirklich verstanden zu werden, bedürfen sie der Rückbindung an den individuellen Sinn.

11

So paraphrasiert Simmel den Ansatz Kants in: Was ist uns Kant? (1896), 1992, 156.

12

Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883), GS 1, 97; ders., Das Wesen der Philosophie (1907), GS 5, 407 ff. Neben der Selbstbesinnung kommt hier auch die Selbstauslegung vor. Mit dem Selbstbegriff (8.4/5) wird versucht, die fehlende Präzision dieser Termini zu beheben.

13

Dazu: Cassirer, Axel Hägerström, 1939, 55 f.

14

Snell, Die Entdeckung des Geistes, 1986, 151 ff.

15

Assmann, Stein und Zeit, 1991, 96 ff. und 159 ff.

16

Es wäre fragwürdig, Urteile über einen Kulturzusammenhang zu fällen, in dem man selbst nicht steht. Deshalb gehen die Überlegungen dieses Buches natürlich von der alteuropäischen Überlieferung aus. Deren Bedeutung besteht freilich nicht zuletzt in ihrer Offenheit für andere Kulturen. Die Eigentümlichkeit Europas liegt ja gerade darin, nach Kräften über die Grenzen Europas hinaus gedacht (und gehandelt) zu haben. Der Vorwurf des »Eurozentrismus«, der in der Sache berechtigt ist, wo er den europäischen Imperialismus, Kolonialismus und Missionarismus meint, enthält, terminologisch betrachtet, einen Selbstwiderspruch. Doch darauf heben wir hier nicht ab. Vielmehr lässt die Exposition der Krise als der auslösenden Bedingung der moralischen Reflexion anderen Individuen in ihren jeweiligen Lagen genügend Raum, zu prüfen, ob die hier gemachten Aussagen auch auf sie selbst zutreffen. Insofern ist der Zugang über die Selbstständigkeit gegenüber Individuen aus anderen Kulturen offen.

17

»Praxis meint bei Aristoteles mehr als eine von anderen Verhaltensweisen unterschiedene Tätigkeit; sie meint das Leben des Lebendigen überhaupt, weil es sich im Tun und Wirken vollzieht und Praxis die Form seiner Bewegung ist. Praxis ist daher auch synonym mit den bestimmten Formen lebendigen Verhaltens (βίος), sodass die Verschiedenheit der Lebewesen selbst sich in der Verschiedenheit ihrer Praxis darstellt und zu Tage tritt.« (Ritter, Das bürgerliche Leben [1956], 1969, 59)

18

ἦϑος: gewohnte Sitze, Aufenthalt, Wohnort, Heimat; Herkommen, Brauch; Charakter, Sinnesart, Grundsätze, Sittlichkeit; älter: ἔϑος: Gewohnheit, Brauch, Üblichkeit, Sitte; mos, moris: guter Wille, Gehorsam; Sitte, insb. gute Sitte, Brauch; Art, Beschaffenheit.

19

Habermas vertauscht die nach Hegel übliche Gewichtung der Begriffe. Ethik gilt ihm als Lehre vom guten Leben und ist auf die individuell verantworteten Teile des menschlichen Handelns eingeschränkt; Moral wird dagegen auf die (wie Habermas fälschlich glaubt) einzig universalisierbare Lehre von der Gerechtigkeit bezogen. Siehe dazu: Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, 77 ff. und 100 ff.; zur Kritik siehe Thyen, Was bedeutet: Autonomie der Moral?, 1998 122 ff.

20

Jan Philipp Reemtsma gibt im literarischen Bericht (Im Keller, 1997) über seine Entführung eindrucksvolle Beispiele für die Sicherung individueller Selbstständigkeit des Wahrnehmens, des Handelns, ja des Fühlens selbst noch unter räuberisch-mörderischem Zwang. Sein Buch führt vor Augen, dass es für eine »postmoderne Ethik« mit Sicherheit noch etwas zu früh, für die antike Tugend der Tapferkeit aber nie zu spät ist. – In diesem Zusammenhang sei die Bemerkung erlaubt, dass die beachtenswerte Untersuchung von Zygmunt Baumann, auch wenn sie unter dem Titel Postmoderne Ethik (1995) steht, mit dem in den Achtzigerjahren herrschenden Zeitgeist nur wenig zu tun hat. Baumann betont zu Recht mit der Pluralität die Individualität und geht, in der Nachfolge von Emanuel Lévinas, von normanalogen Verpflichtungen durch die Gegenwärtigkeit des anderen aus. Ihm fehlt allerdings ein Begriff für die Verbindlichkeit moralischen Handelns. Das allein macht seine Konzeption aber noch nicht »postmodern«.

21

Ich verweise nur auf das um 2000 v. Chr. entstandene und um 1200 v. Chr. aufgezeichnete Gilgamesch-Epos, auf die ägyptischen Grabstellen (Assmann, Stein und Zeit, 1991) und auf Homer.

22

Snell, Die Entdeckung des Geistes, 1986, 220 sowie 151177.

23

Zur Übersetzung und zum Ich-Bezug dieser Frage siehe meine Ausführungen in: Der groß geschriebene Mensch, 1997, 50; und: Das individuelle Gesetz, 1997, 12 ff.

24

Die systematische Bedeutung der Selbstsorge ist in der Rezeption des antiken Denkens stets bewusst gewesen. Dass sie heute wie eine Entdeckung Foucaults behandelt wird, ist eine Kapriole des Zeitgeistes, über die man sich im Interesse der Sache nur freuen kann.

25

Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, 1966.

26

Siehe den Diskussionsband von Ebeling (Hrsg.), Subjektivität und Selbsterhaltung, 1976.

27

Dazu: Ludwig, Die Wiederentdeckung des Epikureischen Naturrechts, 1998.

28

Blumenberg, Selbsterhaltung und Beharrung, 1969, 333383.

29

Sie werden durch die Arbeit von Abel, Stoizismus und frühe Neuzeit, 1978, weitgehend bestätigt.

30

Buck, »Einleitung« in: Giannozzo Manetti, Über die Würde (De dignitate), 1990, VIII; Ritter, Landschaft, 1963. Wichtige Anregungen zur Geschichte des Begriffs der Individualität enthält: Rudolph, Odyssee des Individuums, 1992.

31

Cassirer, Individuum und Kosmos, 1927, 152; Groethuysen, Philosophische Anthropologie [1931], 1969, 99.

32

Petrarca, Semiles XV, 11; in: Opera, Basileae, 1554, 1046.

33

Vgl. dazu: Buck, »Einleitung«, in: Giannozzo Manetti, VXVII f.

34

Praestantia wiederholt eigentlich nur excellentia (Vorzüglichkeit, herausragende Höhe, Erhabenheit). Allerdings wurde excellentia auch als höfische Anrede verwendet und hatte im mittelalterlichen Kontext die Bedeutung von Vollkommenheit und himmlischer Herrlichkeit.

35

Cassirer, Individuum und Kosmos, 1927, 88 f.

36

Tugendhat, der die Sachlage bei Kant verkennt, macht erhellende Ausführungen im Anschluss an Hegel (Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, 1979, 137 ff. und 293 ff.).

37

Ich verweise nur auf die herausragenden Arbeiten von: Williams, Der Begriff der Moral, 1978; ders., Ethics and the Limits of Philosophy, 1985; Höffe, Moral als Preis der Moderne, 1993.

38

Zu Begriff und Geschichte siehe: Fellmann, Lebensphilosophie, 1996; Bollnow, Die Lebensphilosophie, 1958.

39

»Leib« ist ein alter Begriff für das Leben, der wortwörtlich dem Tode abgerungen wurde. Denn »Leib« bedeutet ursprünglich »Leichnam«, ehe sein Sinn auf die Gegenseite wechselte.

40

Neben der Medizin, dem Recht und der Geschichte steht der Problemkreis der Biologie dem Menschen wohl am nächsten. Von daher, nicht nur wegen der gegenwärtig in ihr möglichen Entdeckungen, hat sie ihre heute endlich erkannte enorme Bedeutung. Die Philosophie des Lebens muss die Erkenntnisse der Biologie aufnehmen, ist aber nicht auf sie beschränkt. Wenn sie auch nur den hier skizzierten theoretischen Zugang zu einem genaueren Verständnis des Lebens erörtern können will, muss sie von den weit gefassten Begriffen des Lebens ausgehen, die unsere alltägliche Auffassung vom Leben aufnehmen. Das ist ganz ähnlich wie beim Begriff der Natur. Deshalb habe ich im vorliegenden Abriss auch keinen Anlass gesehen, die verschiedenen Bedeutungsdimensionen des Lebensbegriffs auf eine Definition zu restringieren. Der hier gewählte Zugang vom individuellen Erleben bietet jedoch eine Chance zur Formulierung eines mit den verschiedenen Fassungen konsistenten Begriffs, der – philosophisch wie biologisch – ganz auf die selbstreferenzielle Aktivität des Organismus bezogen ist.

41

Vor allem: Die Stufen des Organischen und der Mensch [1928], 1981 (von nun an zit. als Stufen).

42

Gesammelt in: Jonas, Organismus und Freiheit, 1973.

43

Als eindrucksvollstes Beispiel nenne ich hier nur: Mayr, Eine neue Philosophie der Biologie, 1991.

44

Ebd., 51 ff.

45

Medawar, Die Einmaligkeit des Individuums, 1969, 149 ff.

46

Auf diese wichtige Strukturbestimmung des Lebens macht Kant in KdU § 64; 5, 371, aufmerksam. Sie wird heute von Mayr, Eine neue Philosophie der Biologie, 1991, 26 f., betont und dürfte vor allem für den Zugang zur Ethik von Bedeutung sein.

47

Es bedarf freilich dieser These nicht, um die Individualität der arbeitsteilig organisierten Einzeller anschaulich zu machen. Man kann auch von der heute weitgehend anerkannten These eines (friedlichen, wenn auch in höchster Not erfolgten) Zusammenschlusses ursprünglich unabhängiger Prokaryoten zu einer einzigen Zelle ausgehen, die sich mit der Zeit Spezialisten für die Sauerstoffverarbeitung (die künftigen Mitochondrien) inkorporierten. Das war nötig, um überhaupt mit dem für sie giftigen Sauerstoff, der als erster organischer Abfallstoff die Atmosphäre bildete, fertig zu werden. Die auf diesem Wege vor etwa 1,5 Milliarden Jahren entstandenen Eukaryoten hatten ihre Individualität gewissermaßen in ihrem Zellkern konzentriert, d. h. in dem von ihnen ausgebildeten Träger des genetischen Materials.

48

Es ist die große Leistung Helmuth Plessners, das Lebendige von der Grenzfunktion des Organismus her zu bestimmen. Dabei geht er natürlich von der einheitlich-durchgängigen Gültigkeit der physischen und chemischen Gesetze aus. Aber er versäumt, die Durchgängigkeit der Wirksamkeit (nach der Entsprechung von actio und reactio) hervorzuheben, die es dem einzelnen Wesen allererst erlaubt, für sich und dennoch im Zusammenhang mit allem anderen zu sein (Stufen, 1981, 128 ff und 151 ff.).

49

Diese Definition sollte in Erinnerung bleiben, wenn ich im Folgenden den Leibbegriff immer wieder verwende. Leider hängt ihm bis heute noch etwas weihevoll Verschwiemeltes an. Aber wir haben keinen besseren Begriff, um die Differenz zum physikalischen Körper kenntlich und somit deutlich zu machen, dass wir einen lebendigen Körper meinen. Doch auch das nüchterne Verständnis hat in der Sache zu beachten, was Gottfried Benn im Anschluss an Nietzsche schreibt: »Der menschliche Leib ist ein metaphysisches Massiv, aus ihm steigen die Geheimnisse, ohne ihn keiner Freiheit und kein Fluidum, ohne ihn keine Erkenntnis […].« (Vorbemerkung zu: Frühe Lyrik und Dramen [1952], in: Gesammelte Werke in vier Bänden, hrsg. von D. Wellershoff, Bd. 4, Wiesbaden 1961, 409412, 411).

50

Die Ausdrücke »innen« und »außen« sind dann nicht apostrophiert, wenn ihr räumlicher Sinn eindeutig ist. Siehe dazu die folgenden Überlegungen.

51

Um nahe liegende Missverständnisse zu vermeiden, sei hier ausdrücklich betont, dass ich einen Sprachgebrauch verständlich machen und keine Substanz einführen möchte. Im Übrigen nutze ich eine seit Platon bewährte Redeweise, in der sogar noch vom »Selbst selbst« (αὐτὸ τὸ αὐτό; Alkibiades I 130d) gesprochen werden kann. Nietzsche gibt dem in der Rede vom »Selbst« des Leibes (Z1, Von den Verächtern des Leibes; 4, 39 f.) eine besondere Pointe, die kenntlich macht, welche Schwierigkeit es bereitet, das (angenommene) Steuerungszentrum einer dem ganzen Organismus zugeschriebenen Leistung zu bezeichnen.

52

Siehe dazu vom Verf.: Die Perspektive des Menschen, 1992.

53

Gottfried Benn, Provoziertes Leben [1949], in: Gesammelte Werke, Bd. 1, 1961, 332343, 341.

54

Das kann natürlich nicht bedeuten, die objektive Aufklärung des Vorgangs auf sich beruhen zu lassen. Es müssen im Gegenteil alle Anstrengungen unternommen werden, um den Prozess der Selbstorganisation so weit wie möglich aus seinen physikalisch-chemischen Bestandteilen zu erklären. Dabei dürfte Kants Aussage über die Teile des Organismus nach wie vor hilfreich sein: Sie sollen sich, so sagt er, »dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind« (KdU § 65; 5, 373). Das kausale Beziehungsgeflecht der Einzelleistungen ist danach im Zusammenhang des ganzen Organismus zu analysieren.

55

Roth, Gehirn und Selbstorganisation, in: Krohn/Küppers (Hrsg.), Selbstorganisation, 1990, 167180.

56

Dieses Moment bleibt auch bei bewusst zurückhaltender Kennzeichnung der Selbstorganisation als »Fähigkeit spezieller Materieformen, selbstreproduktive Strukturen hervorzubringen« (Eigen/Winkler, Das Spiel, 1975, 197) erhalten. Die beobachtbaren »Wechselwirkungen« sind zwar an »Randbedingungen« gebunden, in ihrer spezifischen Form jedoch nicht erzwingbar. Anders hätte die Rede von der »Selbstreproduktion« keinen Sinn.

57

Von der »spontanen Entstehung von Ordnung« bereits durch die physikalischen Prozesse der Selbstorganisation spricht Günter Küppers, der auch daran erinnert, dass der Terminus der Selbstorganisation (»sich selbst organisierende Wesen«) erstmals von Kant (KdU § 65; 5, 372 ff.) verwendet worden ist (Selbstorganisation: Selektion durch Schließung, 1996, 125)

58

Siehe dazu Hubert Markls eindrucksvolle Schilderung der »Tatsache der Hinfälligkeit, der Empfindlichkeit, der Gefährdbarkeit dieser in ungeheurer Dynamik kreisenden Natur« (Dasein in Grenzen, 1984, 6).

59

Hier ist an Dilthey und die durch ihn bewirkte Aufmerksamkeit für die Autobiografie bei Georg Misch zu erinnern.

60

Das betont nachdrücklich: Schnädelbach, Zur Rehabilitierung des »animal rationale«, 1992, 26 ff.

61

Das ist die Befürchtung Plessners in seiner Kritik an Jakob von Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere, 1921. Plessner warnt mit Recht vor einem »zoologischen Idealismus« (Stufen, 1981, 328). Das ist mit Blick auf von Uexkülls Orientierung an Kant auch verständlich. Durch eine systematische Beachtung der unaufkündbaren Zusammengehörigen von Innen und Außen, die gerade durch Plessners Analyse der Funktion der Grenze des Organismus unabweisbar ist, lässt sich der Gefahr des Idealismus jedoch begegnen.

62

Das belegt eindrucksvoll die interdisziplinäre Sammlung von Gadamer/Vogler (Hrsg.), Neue Anthropologie, 197275.

63

Schwemmer, Die kulturelle Existenz des Menschen, 1997, 19 ff.

64

So heißt es bei Cicero, der Mensch werde »nicht wie von einer Mutter Natur, sondern wie von einer Stiefmutter ins Leben herausgegeben/geboren« (non ut mater sed ut a noverca natura editum in vitam) (De re publica III,1).

65

Damit ist die Beschreibungsleistung Arnold Gehlens, der die These in Umlauf gebracht hat, im Einzelnen nicht bestritten. Es sind vor allem die sachlichen Analysen und die innovativen Begriffe wie »Reizüberflutung«, »Antriebsüberschuss« oder »Entlastung«, die Gehlens Anthropologie so aufschlussreich machen.

66

Die Wendung »von außen gesehen« unterstellt einen rein mechanischen Beobachter bloßer Mechanik. Ich gehe hier nicht darauf ein, dass schon diese physikalistische Konstruktion eines bloß äußeren Beobachten eine Abstraktion darstellt, die wir als Menschen niemals erfüllen können. Selbst in der kältesten Sachlichkeit der bloßen Beobachtung sind wir »innerlich« beteiligt. Wir müssen zumindest die Zeigerstellung des Messinstruments verstehen. Gleichwohl ist die Konstruktion einer bloß protokollierenden Wiedergabe methodologisch von Bedeutung.

67

Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, 1979, 77 ff.

68

Plessner, Soziale Rolle und menschliche Natur (1960), 1985, 227240.

69

Außer auf Plessners Werk kann man hier nur generell auf die Arbeiten von Mead verweisen, der in ertragreichen und überaus einflussreichen Bemühungen der sozialen Konstitution des Selbst nachgegangen ist (Geist, Identität und Gesellschaft, 1973). Mead verbleibt mit seinen Überlegungen allerdings ganz im empirischen Kontext, dem das Selbstbewusstsein notwendig vorausliegt. Deshalb versuche ich weiter unten (5.9) zu zeigen, dass es einen nicht-empirischen Sinn von Gesellschaftlichkeit gibt, der bereits den Leistungen des Bewusstseins zugrunde liegt. Trifft die in der vorliegenden Arbeit skizzierte Auffassung zu, wäre die Sozialität des Selbstbewusstseins bereits eine Bedingung für den empirischen Begriff, den wir von Gesellschaft haben.

70

Die Funktion von Präsentation und Repräsentation des Individuums im gesellschaftlichen Zusammenhang wird in 8.6/7 noch einmal berührt. Weitere Erörterungen müssen einer Philosophie der Politik vorbehalten bleiben.

71

Nagel, The View from Nowhere, 1986, 60 ff.

72

Neben den für die deutsche Debatte wegweisenden Arbeiten von Henrich (1970; 1998) und Tugendhat (1979) nenne ich für die neuere Debatte nur: Kienzle/Pape (Hrsg.), Dimensionen des Selbst, 1991; Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, 1994; Düsing, Selbstbewußtseinsmodelle, 1997.

73

Oder nach Nietzsche: zumindest als Ich-»tuende« Wesen (vgl. Z 1, Von den Verächtern des Leibe; 4, 39).

74

Auf diesen wichtigen Punkt hat insbesondere Dieter Henrich immer wieder hingewiesen. Zuletzt in: Subjektivität als Prinzip, 1998.

75

Zur Leistung der Begriffe siehe: Rohs, Feld – Zeit – Ich, 1996, 53 ff.

76

Diese Einsicht verdanke ich Gerold Prauss. Siehe dazu seine Einführung in die Erkenntnistheorie, 1980, sowie die beiden ersten Teilbände von Die Welt und wir, 1990 und 1993.

77

Dies geschieht leider auch in den wegweisenden Arbeiten Dieter Henrichs. Seine Überlegungen führen geradezu auf einen Abweg, wenn er die das Selbstbewusstsein angeblich tragende Subjektivität auch noch als ein »Prinzip« darzustellen versucht. So neuerdings ausdrücklich in: Subjektivität als Prinzip, 1998. Auch Prauss hält an der seit Descartes, Hume und Kant gebräuchlichen, gleichwohl irreführenden Kennzeichnung des Selbst als »subjektiv« fest, obgleich er in der Sache längst darüber hinaus ist.

78

Wenn sie »vorzeitig« untergeht, dann natürlich so, wie sie bis zu dem Zeitpunkt geworden und gewesen ist. Weil daran das Selbstbewusstsein seinen Anteil hat, gerät es automatisch unter Verdacht. Zwar könnte man für den Fall des Untergangs mit dem gleichen Recht behaupten, die Menschheit sei an ihrer Zweibeinigkeit, an ihrem Drogenkonsum oder an ihrer freigesetzten Sexualität gescheitert. Doch die größere Plausibilität wird die Zuschreibung an das als dominant begriffene Merkmal des Selbstbewusstseins haben, zumal es immer auch den Vorwurf erlaubt, die Menschheit habe es nicht in angemessener Weise gebraucht. Bei hinreichender Aufklärung und ernsthaftem Willen hätte sich die fahrlässige (Selbst-)Tötung der Gattung verhindern lassen. Nietzsche hat bekanntlich schon 1872 unterstellt, dass am Ende auch Aufklärung und guter Wille nichts mehr helfen werden, weil es eben die Intelligenz selbst ist, an der die Menschheit zugrunde geht.

79

Das ist eine von Nietzsche stammende Charakterisierung der elementaren Leistungen des Bewusstseins (2. UB 1; 1, 25), auf die schon mehrfach Bezug genommen wurde.

80

»Das von Vorn Anfangen ist immer eine Täuschung: selbst das, was uns zu diesem angeblichen ›Anfang‹ trieb, ist Wirkung und Resultat des Vorhergenden.« (N 1875, 5 [1]; 8,41)

81

»Spätestens« spielt auf die medizinischen Hinweise an, dass die Opposition bereits vom Fötus eröffnet wird, sodass sich der austragende Leib der Mutter schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft gegen den inneren Raubbau durch das neu entstehende Leben zu wehren hat. Der Geburtsvorgang wird dann durch eine physiologische Eigeninitiative des Fötus eingeleitet. Da ihm, bei verstärktem Wachstum, die Versorgung im Mutterleib nicht mehr ausreicht, »will« er nicht mehr länger im Inneren des anderen Organismus bleiben.

82

Arendt, Das Wollen, 1979, 82.

83

Es genügt der Verweis auf eine einzige Stelle – die egomanische Passage in Senecas De vita beata XX,3, der ein Lob der Willenskraft (animus) vorausgeht: »Ich (ego) werde den Tod mit demselben Gesichtsausdruck, mit dem ich von ihm höre, ansehen. Ich (ego) werde trotz aller Mühen […] den Körper (corpus) durch den Willen (animus) lenken. Ich (ego) werde den Reichtum […] geringachten […]. Ich (ego) werde das Schicksal […] nicht zur Kenntnis nehmen. Ich (ego) werde so leben, als ob ich wüßte, daß ich für andere geboren bin (quasi sciam aliis esse me natum) …].«

84

Libet [u. a.], Time of Conscious Intention to Act, 1983, 623642.

85

Zur Aktualität des Zweckbegriffs in der Psychologie siehe: Prinz, Die Reaktion als Willenshandlung, 1998, 10 f. und 19.

86

Alles von den modernen Kritikern beklagte Unglück der allseitigen Verfügung der Menschen über ihresgleichen hat seinen Anfang bereits in der Fähigkeit des Wollens. Im Wollen disponiert der Mensch über sich, als sei er bloß eine Sache. Das muss so sein, denn anders wäre er mit seinem Wollen dem Willen anderer nicht kompatibel. Die Gefahren einer solchen Selbstdisponibilisierung allein durch den selbstbewussten Tatbestand des Wollens liegen auf der Hand – übrigens nicht erst seit heute, sondern vermutlich schon seit den Zeiten des religiösen Menschenopfers, des kultischen Kannibalismus und – dies mit Sicherheit – seit den Anfängen der Politik. Sie können uns jedoch, wie leicht zu sehen ist, nicht davon abhalten, etwas von uns aus zu wollen.

87

Die Willens-Psychologie bestätigt diesen entlastenden Effekt: Siehe dazu die Beiträge in: Heckhausen/Gollwitzer/Weinert (Hrsg.), Jenseits des Rubikon, 1987.

88

Zum Verhältnis von Handlung und Veränderung siehe: von Wright, Handlungslogik, 1977, 83 ff.

89

Arendt, Das Wollen, 1979, 18.

90

Im Anschluss an psychoanalytische Hypothesen von Sándor Ferenczi hat Gerold Prauss auf die Enttäuschung aufmerksam gemacht, die dem Kleinkind widerfährt, das nach seinesgleichen ausgreift, dann aber oft nicht auf lebendige Wesen (wie Mutter und Vater), sondern auf »tote« Dinge, also bloße »Gegenstände« stößt. Hier ist »Subjektivität« das erste, auf das durch fortgesetzte Enttäuschung die Wahrnehmung und Erkenntnis von Objekten folgt (vgl. dazu demnächst: Prauss, Die Welt und wir, Bd. 2). Für die Genese der individuellen Welterfahrung ist das eine plausible Hypothese, deren Schwierigkeit allein in der Beschreibung des mentalen Zustands eines Kleinkinds als »subjektiv« liegt. Mir scheint es angemessener, auch hier von einer vorgängigen Objektivität zu sprechen. Mit Blick auf die Geltung der begrifflichen Gehalte des Bewusstseins bleibt ohnehin nichts anderes übrig, als die These von Prauss umzukehren: Man muss von der ursprünglichen Objektivität des Selbstbewusstseins ausgehen, das erst im Fall der Enttäuschung auf seine Subjektivität zurückgeworfen wird.

91

Von der Unterscheidung zwischen »Erklären« und »Verstehen« mache ich keinen Gebrauch. Da keine Erkenntnis ohne Selbstauslegung möglich ist, lässt sich die Abgrenzung ebenso wenig halten wie die strikte Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften.

92

Auf die vielfältigen Spielarten des reduktionistischen Naturalismus kann hier aus Platzgründen noch nicht einmal hingewiesen werden. Einen knappen Überblick geben Roth/Schwegler, Das Geist-Gehirn-Problem, 1995, 69 f. Die beiden Autoren bezeichnen ihren eigenen physikalistischen Ansatz als »nicht-reduktionistisch«, was er aber nicht im Mindesten ist. Wenn sie den »Geist« als einen »physikalischen Zustand« bezeichnen, »der in großen, interagierenden Neuronenverbänden auftritt« (75), haben sie genau die Reduktion vorgenommen, in der sie sich über die Eigenart des Geistes hinwegsetzen.

93

Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979, 85 f.

94

Ohne den »theoretischen Optimisten«, für den Sokrates steht, wäre »instinctive Lust zum Leben« in »allgemeinen Vernichtungskämpfen« derart geschwächt, dass die Kultur an ihrem eigenen »Pesthauch« zugrunde gegangen wäre. (Nietzsche, GT, 15; 1, 100)

95

Sich dumm zu stellen ist sehr wohl vom philosophischen Staunen oder vom methodisch angeleiteten Zweifeln zu unterscheiden. Es zeigt sich dort, wo etwas hartnäckig in Zweifel gezogen wird, obgleich offenkundig ist, dass das Bezweifelte zu den Bedingungen des Zweifels gehört.

96

Hominis autem mens discendo alitur et cogitando (der Geist des Menschen aber wächst durch Lernen und Denken) (Cicero, De officiis I,105).

97

Ratio und intellectus wurden in der Tradition vielfältig voneinander abgegrenzt. Während der ratio mehr das rechnende, logisch erschließende Verfahren zugeschrieben wurde, das mit dem systematischen Denken verbunden ist, stand intellectus mehr für das unmittelbar einsichtige Erfassen dessen, was als wesentlich galt. Die Unterscheidung lässt sich gut nachvollziehen. Doch richtig ist auch, dass sich beide Leistungen nicht definitiv voneinander trennen lassen. Zumindest kommt die ratio ohne die abschließende Einsicht in den von ihr methodisch erschlossenen Zusammenhang nicht aus. Entsprechendes gilt für die Urteilskraft, die auch in der Lage sein muss, augenblicklich das Wesentliche einer Lage zu erfassen.

98

Animal steht im Lateinischen für alles, was den »Hauch« (gr.: anemos) der »Seele« oder des »Geistes« (beides: animus) spüren lässt. Deshalb hört man gelegentlich den gelehrt klingenden Hinweis, animal dürfe nicht mit »Tier«, sondern müsse mit »Lebewesen« übersetzt werden. Da nun aber das Tier unbestreitbar zu den Lebewesen und der Mensch nicht weniger unstrittig zu den Wirbel-, des Näheren zu den Säugetieren gehört, ist in diesem Fall »Tier« die korrekte Übersetzung, auch wenn mit dem Adjektiv rationale ein spezifisches Kriterium gesucht wird. Was immer an Besonderheit gefunden werden mag: Es trifft auf den Menschen als ein tierisches Lebewesen zu.

99

Hier ist vor allem Strawsons Untersuchung über »Einzeldinge«(Individuals, 1959) zu nennen. Über die Debatte informiert die Darstellung von Sturma, Philosophie der Person, 1997. Beachtenswerte Einblicke in historische Genese und systematische Valenz des Begriffs für die Ethik vermittelt Kobusch, Die Entdeckung der Person, 1997.

100

Birnbacher, Das Dilemma des Personenbegriffs, 1997, 925.

101

Vgl. dazu den Nachtrag zur 2. Aufl. von Kobusch, Die Entdeckung der Person, 1997, 263 ff.; außerdem Spaemann, Personen, 1996.

102

Schwartländer, Der Mensch ist Person, 1968.

103

Ich beschränke mich auf die Nennung der Namen von Husserl, Löwith, Mead, Plessner, Dahrendorf und Erikson. Diese Autoren haben mit unterschiedlichen Mitteln anschaulich gemacht, wie sehr das Selbstverständnis des einzelnen Menschen von der Wahrnehmung seiner Stellung zum anderen seiner selbst bestimmt ist. Dazu in seiner Gründlichkeit noch immer unübertroffen: Theunissen, Der Andere, 1965. Die Beziehung dieser Debatte zum Begriff der Person arbeitet Kobusch, Die Entdeckung der Person, 1997, 234 ff., heraus.

104

Entsprechend Gehlen: »Eine Persönlichkeit: das ist eine Institution in einem Fall.« (Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen, 1986, 256). Dazu sehr schön: Schnädelbach, »Nachwort«, ebd., 267 f.

105

Es gibt auch historische Anhaltspunkte dafür, dass die Vernunft sich spätestens dort zu regen beginnt, wo Eigenes mit Fremdem so verknüpft werden muss, dass es im eigenen Verhalten nebeneinander bestehen kann. Das geschieht besonders eindrucksvoll bei den Griechen des 5. Jhs. v. Chr.

106

Vgl. dazu die immer noch eindrucksvolle Arbeit von Manfred Sommer, die dem Topos der Selbsterhaltung der Vernunft bei Kant nachgeht (1977).

107

Die begründungstheoretische Leistung des »performativen« Selbstwiderspruchs, die hier in Anspruch genommen wird, hat Karl-Otto Apel mit großem Scharfsinn herausgearbeitet. Es handelt sich um eine Gedankenfigur, die schon Sokrates einsetzt, und man kann sich auf sie stützen, ohne damit zum Diskursethiker zu werden (vgl. Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2, 358 ff.).

108

Darin liegt der Anhaltspunkt für die bis heute kontroverse Unterscheidung zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit. Die hier skizzierte Überlegung erlaubt einen Vorschlag zur Beilegung des Streits – auf der Grundlage einer genetischen und systematischen Priorität der Handlungsfreiheit, die nur in Relation zum Willen anderer zu erfahren ist.

109

Dieter Sturma beschreibt diesen Sachverhalt treffend als Verknüpfung von Indexikalität und Idealität: Zum Begriff der Person gehört nicht nur ein wahrheitsrelevanter Stellenwert im empirischen Zusammenhang der Dinge, sondern immer auch ein ideales Selbstbild (Philosophie der Person, 1997, 205 ff.).

110

Außerdem gibt es einen Bereich, in dem Handlungsregeln tatsächlich verbindlich gemacht werden müssen, nämlich den des Rechts. In einem Zusammenhang, der – mit unterstellter Zustimmung eines jeden Einzelnen – durch eine gesellschaftliche Macht geordnet wird, muss es allgemein verbindliche Handlungsregeln für alle geben. Denn anders wäre die Macht, von der sich alle den Vorteil einer berechenbaren Lebenssicherung erhoffen, nicht zu sichern.

111

Zur Bedeutung von Individuation, Identität und Situation im moralischen Handeln siehe: Schwemmer, Die Philosophie und die Wissenschaften, 1990, 160 ff.

112

Das ist eine Formulierung Kants, die sich an eben der Stelle findet, an der in der Grundlegung der Ethik zum ersten Mal der Terminus Selbstbestimmung gebraucht wird. In einer Analyse dieser Passage ließe sich zeigen, dass Kant hier eine rein deskriptive Funktionsanalyse des Wollens vornimmt, die zunächst noch gar nicht auf moralische Handlungen bezogen ist. Erst indem wir uns selbst in diesem an Regeln gebundenen Zusammenhang ernst nehmen und uns als dieses so (und nicht anders) wollende Wesen auch selbst durchhalten wollen, wird daraus – angesichts einer uns selbst herausfordernden Entscheidungslage – eine ethisch-moralische Konstellation (siehe: GMS; 4, 427).

113

Der Ernst, übe den sich Oscar Wilde in The Importance of Being Earnest (1895) so ausgiebig lustig macht, ist eine elementare Bedingung der moralischen Problemerfahrung. Eine Weile sah es so aus, als würde Ernst Tugendhat darauf näher eingehen (Probleme der Ethik, 1984, 169; »Ausblick auf eine Moral der Ernsthaftigkeit«); hat er es leider nicht getan. Mir geht es hier um den Nachweis, dass der Ernst bereits mit der Problemerfahrung verknüpft ist, die ihrerseits ihre Kondition im Leben hat: »Der Ernstfall ist der Normalzustand des Lebens.« (Markl, Dasein in Grenzen, 1984, 8)

114

Die kritische Bemerkung zielt vor allem auf Ernst Tugendhat, der sich jahrelang erfolglos mit der Frage abgeplagt hat, wie man jemanden durch Argumente davon überzeugen könne, dass er »sollen« muss. Da es aber in der Tat so ist, dass man niemandem, der nicht von sich aus schon ein Bewusstsein der Verpflichtung hat, dieses Bewusstsein argumentativ beibringen kann, enden alle Versuche, hier etwas allein durch theoretische Gründe zu beweisen, zwangsläufig in einem skeptischen Vorbehalt gegenüber der »Universalität« moralischer Forderungen.

115

Dazu treffend: Williams, Der Begriff der Moral, 1978, 9 ff.

116

Darin liegt ein gravierender Unterschied zu politischen Urteilen, die – angesichts eines lebensbedrohenden Konflikts mit anderen – wesentlich auf die Konsensbildung mit seinesgleichen bezogen sind.

117

Ich erinnere nur an die zentrale Verwendung des Begriffs in der französischen Moralistik seit La Rochefoucauld. Bei Kant bezeichnet der Begriff exakt das individuelle Gesetz, das sich ein Individuum in seinen Handlungen gibt. Rüdiger Bittner, dem wir überhaupt die erste systematische Aufklärung über die Bedeutung der Maxime bei Kant verdanken, hat sie treffend als »Lebensregeln« beschrieben, die aussprechen, »was für ein Mensch ich sein will« (Maximen, 1974, 489). Vgl. dazu: Willaschek, Praktische Vernunft, 1992, 64 ff. und 149 ff.

118

Dazu sehr erhellend, wenn auch nur mit Bezug auf Kant: König, Autonomie und Autokratie, 1994, 23 ff.

119

Ich verwende die 1986 von Manfred Frank als Buchtitel gebrauchte Formel, die den Sachverhalt besser trifft als die Rede von der Subjektivität.

120

Vgl. Wuketis, Evolution, Erkenntnis, Ethik, 1984; ders., Gene, Kultur und Moral. Soziobiologie – Pro und Kontra, 1950, 51 ff.; Mayr, Eine neue Philosophie der Biologie, 1991, 98 ff. Dazu klärend: Siep, Was ist Altruismus, 1993.

121

Dazu: Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, 1983, 172 ff. und 192 ff.

122

Entsprechendes gilt für Leibniz’ Diktum von unserer Welt als der »besten aller möglichen Welten«. Streng genommen erläutert es nur die Prämisse, unter der wir uns selbst, die Welt und Gott begreifen. Diese Prämisse ist unsere eigene Vernünftigkeit, die bedeutungslos wäre, wenn sie nicht wirksam und somit wirklich wäre. In der Vernunft aber haben wir das Optimum unserer selbst, folglich – weil wir einfach nicht anders urteilen können – auch das der Welt.

123

Dazu: Gosepath, Aufgeklärtes Eigeninteresse, 1992.

124

Dazu eingehend und treffend: Hampe, Gesetz und Distanz, 1996, 53 ff.

125

Die einschlägigen Titel sind in den Literaturhinweisen zum »Nachwort« aufgeführt.

126

Dazu: Volker Gerhardt, »Kultur als Form der Natur«, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte 21 (2012) S. 91104.

127

Vgl. dazu: Volker Gerhardt, »Leben ist das größere Problem. Philosophische Annäherung an eine Naturgeschichte der Freiheit«, in: Heilinger (2007), S. 457479.

128

Ebd.

129

Dass es angesichts der Dominanz dieser These in der Selbstbestimmung zu dem Eindruck kommen konnte, ich vergäße »den Anderen«, so dass selbst noch Rezensenten der Partizipation dieses Vorurteil pflegen konnten, gehört zu den Glücksfällen im Rezensionswesen. Sie geben dem einem offensichtlich falschen Urteil ausgesetzten Autor Gelegenheit, seine Sache beim nächsten Mal mit umso größerem Nachdruck vorzutragen. So ist es dann in der Öffentlichkeit geschehen.

130

Zur Begrifflichkeit: Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 354; KSA 3, 590 ff. Zur Deutung vom Verf.: »Nietzsche und die Technik«, in: S. Bianchi (Hrsg.), Zur Geschichte des Nietzsche-Kollegs, Weimar, 2018. Ferner: »Die Kunst der Wissenschaft in Nietzsches ›Fröhlicher Wissenschaft‹«, in: Nietzsche zwischen Philosophie und Wissenschaft, hrsg. von Katharina Grätz / Sebastian Kaufmann, Heidelberg 2016, S. 153178.

131

Nietzsche, MA I, 57; KSA 2, 76.

132

Dazu demnächst mehr in Humanität (2019).

133

Zum homo necans (von lat. necare ›töten‹, ›der vornehmlich den Göttern opfernde Mensch‹) siehe: Walter Burkert, Homo Necans: Interpretationen Altgriechischer Opferriten und Mythen, Berlin 1972.

134

Max Scheler und Helmuth Plessner haben auf die menschliche Fähigkeit, nein sagen zu können, aufmerksam gemacht. Erich Fromm hat darauf seine existenzialistisch inspirierte Rede vom homo negans gegründet. Er betont, der Mensch könne sich sogar »für Wahrheit, Liebe und Integration« und damit gegen das Überleben entscheiden, siehe Erich Fromm, Revolution der Hoffnung. Für Humanisierung der Technik. München 2015. Auch dazu verweise ich auf die demnächst erscheinende in Humanität (2019).

135

Siehe S. 300 ff.

136

Vgl. dazu: Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, 44; KSA 3, 410.

137

Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, 2, 2; KSA 5, 294.

138

Siehe dazu die folgenden Literaturhinweise zum Thema. Vgl. vor allem »Individualität. Individuum / Individualisierung / Institution / Universalität«, in: Gräb/Weyel (2007), S. 6476.

139

Dazu vom Verf.: Glauben und Wissen. Ein notwendiger Zusammenhang, Stuttgart 2016, 22017.

140

Martin Seel, Sich bestimmen lassen. Studien zur theoretischen und praktischen Philosophie, Frankfurt a. M. 2002.

141

Platon, Ion, 534b–536d.

142

Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, 427. Näheres siehe S. 141 ff.

143

Recki zeigt, dass der Akt des Sich-bestimmen-Lassens schon bei Kant bis in die innere Funktionsweise der ethischen Selbstbestimmung hineinreicht. Einen schlagenden Beleg bietet ihre Ausführung zur Freiheit als »Factum der Vernunft«. In dieser vieldiskutierten Formel fasst Kant die Selbstbestimmung durch die Vernunft mit ihrer Gegebenheit, an die der Mensch als vernünftiges Wesen sich zu halten hat, zusammen. Birgit Recki, »›Ich fühle mich im Verbrecher‹. Über filmästhetische Formen prekärer Identifikation«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosoph und Ethik 37 (2015) Nr. 3, S. 1827.

144

Nietzsche, Also sprach Zarathustra, II, Von dem Erhabenen; KSA 4, 152.

[11]»Wir wissen zu sagen: ›Cicero spricht dieses oder jenes; das ist Platons Art;

dies sind die eigenen Worte des Aristoteles.‹

Aber wir, was sagen wir für uns selbst?

Wie urteilen wir? Was tun wir selbst?«

 

(Montaigne, »Du pedantisme«; Essais I,25)

 

»Nur aus dem Bewußtsein der Einzigkeit meines Lebens entspringt Religion – Wissenschaft – und Kunst.«

 

(Ludwig Wittgenstein, Tagebücher 19141916, 1. 8. 16)

 

»An sich selbst hat jeder das Maß.«

 

(Pindar, Pythische Oden II,34)

[13]Vorwort

Das Von-vorn-Anfangen ist unser Schicksal. Mit jeder eigenen Tat nehmen wir uns etwas heraus, das tatsächlich schon lange angefangen hat. Für jedes Individuum ist alles irgendwann das erste Mal: die ersten Zähne, die erste Reise, der erste Kuss. Irgendwann fängt man auch selbst zu denken an. Doch was man denkt, ist in der Regel schon milliardenfach von anderen gedacht. Und trotzdem kann man es nicht lassen. Denn der größte Reiz liegt im eigenen Anfang. Das ist nicht ohne Tragik, aber so unabänderlich wie das Schicksal.

Auch das philosophische Denken untersteht diesem Gesetz – und zwar von Anfang an. Schon die Vorsokratiker treten – vermutlich nach einer Reihe uns heute unbekannter Vorläufer – als Individuen auf, die für ihre Zeitgenossen so auffällig sind, dass man bis heute die Anekdoten überliefert, die bereits in der AntikeAntike, antik über sie im Umlauf waren. Thales hatte den Gedanken, alles stamme aus dem Wasser. Eine Generation später macht Anaximander aus dem natürlichen Ursprung ein metaphysisches Prinzip. Dessen logischer Gehalt wird schon wenige Jahrzehnte später von Parmenides und seinen Schülern verabsolutiert und scharfsinnig zum unwandelbaren Sein erklärt. Dem setzt Heraklit noch zur selben Zeit seine hoch individualisierte Einsicht in das Werden aller Dinge entgegen. Eine weitere Generation später bietet Anaxagoras eine vermittelnde Lösung an, die nunmehr den in sich beweglichen, aber mit sich einigen Geist zum Prinzip erklärt.

So geht es weiter: Die Sophisten entwerfen aus dem schnell wachsenden Fundus des Wissens eine bedeutende lebenspraktische Lehre, die jedoch einem von ihnen, Sokrates, bedenklich erscheint. Sein Schüler Platon sucht zu zeigen, warum Sokrates eben wegen dieser Bedenken kein Sophist mehr ist, und überbietet ihn durch die größte philosophische [14]Leistung, die wir kennen. Die genügt aber schon seinem Assistenten Aristoteles nicht. Denn er hat andere Gaben und bringt sie in anderen Interessen zum Ausdruck. Also geht er ungerührt über die Subtilität des Ideenbegriffs hinweg, tut so, als gäbe es den Politikos und die Nomoi nicht, und kümmert sich auch nicht um die hoch individualisierte Einheit von literarischer Kunst und philosophischer Einsicht in den Dialogen seines Lehrers. Dafür schafft er mit einzigartig erscheinender Kraft ein nach Disziplinen geordnetes Ganzes, das den bis heute gültigen Rahmen für das philosophische Denken abgibt.

Auf Aristoteles folgt die Reihe der Theorien und Schulen, in der alle Epigonen sind und dennoch, wenn sie denn der Wahrheit näherkommen wollen, originelle Denker sein müssen. In diesem individuellen Übergang von der Epigonalität zur Originalität liegt zwar nicht schon die Logik, wohl aber die Dynamik der Forschung, und einen Großteil der Anregungen zu neuen Ideen ziehen wir aus der historischen Rekonstruktion der Zusammenhänge, in der die Vorgänger stehen. Allein deshalb wäre es unsinnig, einen Gegensatz zwischen historischer und systematischer Arbeit aufzubauen. Gleichwohl hat man sich gelegentlich zu entscheiden, ob man primär historisch oder systematisch vorgehen will.

Mit Ausnahme einiger Skizzen, die nur den Zweck verfolgen, die den Ansatz tragende Überzeugung von der Problemkontinuität zwischen Antike und Moderne anschaulich zu machen, habe ich mich für eine systematische Darstellung entschieden. Anders wäre der Stoff im Rahmen eines Buches nicht zu bewältigen gewesen. Die Entscheidung schloss ein, auch auf die Auseinandersetzung mit den Theorien der jüngeren Vergangenheit zu verzichten. Denn obgleich ich aus den Debatten der letzten dreißig Jahre viel gelernt habe, gibt es keine Position, der ich mich einfach anschließen kann. Jeder Verweis hätte [15]somit eine Abgrenzung nötig gemacht. Dadurch wäre der Text gewiss um mehr als das Doppelte angeschwollen.

Vor allem aber wäre meine Absicht, eine Grundlegung der Ethik möglichst in der Sprache vorzutragen, in der wir uns alltäglich über ethische Fragen verständigen, gar nicht mehr erkennbar gewesen. Die Schwierigkeiten einer lebensnahen Darstellung sind ohnehin groß genug, weil man trotz der offenkundigen Eigenständigkeit moralischer Ansprüche nicht an der ebenso offenkundigen Tatsache vorbeisehen kann, dass der Mensch – gerade auch in seiner kulturellen Existenz – ein Naturwesen bleibt. Es war also auch der Grund für diffizile methodologische Unterscheidungen zu legen. Um also überhaupt eine lesbare Fassung zustande zu bringen, musste ich mich ganz auf die Darlegung des eigenen Gedankens beschränken. Lediglich die richtunggebenden Impulse einzelner Denker sind vermerkt. Wer meine Neigung zur Kritik, zur polemischen Klarstellung und zur Offenlegung auch der eigenen Hintergründe kennt, wird mir abnehmen, dass dies niemand mehr bedauert als ich selbst.

Einen gewissen Ersatz können die Texte bieten, die ich in den letzten zwanzig Jahren in Vorbereitung auf die vorliegende Grundlegung veröffentlicht habe. Aus meinen Schriften wird nichts wiederholt; aber sie dokumentieren ein Stück des Weges zur Philosophie der Individualität, die hier nun endlich vorliegt. Im Literaturverzeichnis sind einige der über diesen Weg Aufschluss gebenden Texte aufgeführt. Die früher publizierten Arbeiten geben auch zu erkennen, wovon in diesem Buch aus Platzgründen ebenfalls keine Rede sein kann: Das Ganze ist die Vorbereitung auf eine Philosophie der Politik, für die ich jetzt eine tragfähige, unseren gegenwärtigen Einsichten entsprechende Grundlage geschaffen zu haben glaube. Das gilt erst recht für die heute fast ausschließlich interessierenden Probleme der Angewandten Ethik, die ich aus Raumgründen [16]gar nicht erst erwähne, die aber stets im Blick sind, wann immer es um den hier erstmals normativ eingeholten Kontext des Lebens geht. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, dass wir ethische Ansprüche nur an Menschen stellen.

Vom eigenen Versuch darf ich nicht sprechen, ohne mich dankbar an meine Lehrer zu erinnern. Das sind in diesem Zusammenhang Friedrich Kaulbach, Helmuth Schelsky und Gerold Prauss. Der eine hat mich in den Perspektivismus eingeübt, der zweite hat mir das Pathos der Wirklichkeitserkenntnis vorgelebt – ein kraftvoll überspieltes Leiden, das nur durch praktische Wirksamkeit erträglich wird; der dritte hat mir die alles tragende Macht des eigenen Impulses (Prauss verwendet den heute üblichen Begriff der »Intentionalität«) vor Augen geführt. Und jeder von ihnen hat mich auf seine Weise gelehrt, dass selbst die äußerste Anstrengung der individuellen Kräfte, ohne die Wissenschaft nun einmal nicht produktiv betrieben werden kann, der Offenheit gegenüber anderen bedarf. Schelsky hat mit guten, auch persönlich bis in die letzten Lebensjahre bestätigten Gründen Wilhelm von Humboldts Formel Einsamkeit und Freiheit populär gemacht. Und dennoch hat er so gelebt, als sei die behutsam gegen Humboldt gesetzte Korrektur Schleiermachers sein eigentlicher Wahlspruch, nämlich: Mitteilung und Tätigsein.

Es ist in jeder Hinsicht ein Glück, wenn man eigene Gedanken mit anderen erörtern kann. Deshalb habe ich allen Grund, meinem Berliner Kolloquium, vor allem aber Dina Emundts, Beatrix Himmelmann, Axel Hutter, Karsten Malowitz, Matthias Schloßberger, und Hector Wittwer zu danken. Mein besonderer Dank für Kritik und Korrektur gilt Karl-Heinz Gerschmann, Franziska Henningsen, Jacqueline Karl, Reinhard Mehring, Udo Tietz, Marcus Willaschek und – nicht zuletzt – Birgit Recki.

Berlin, am 30. Oktober 1998 Volker Gerhardt

[19]Einleitung