Der Bergpfarrer – 200 – Sehnsucht nach der Heimat

Der Bergpfarrer
– 200–

Sehnsucht nach der Heimat

Maria träumt von Liebe und Geborgenheit

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-052-3

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Das Zimmer, in dem Maria Berger saß, lag im Halbdunkel. Die zerschlissene Gardine vor dem Fenster ließ kaum Helligkeit herein. Die junge Frau mit dem verhärmten Gesicht hob lauschend den Kopf, als Geräusche aus dem Treppenhaus herauf klangen. Rasch nahm sie den Brief vom Tisch und ließ ihn in der Schürzentasche verschwinden. Dann schaute sie angstvoll zur Wohnungstür, hörte auf das Geräusch des sich im Schloss drehenden Schlüssels.

Mit einem Ruck wurde die Tür aufgestoßen, und ein großgewachsener Mann trat ein. Maria duckte sich unwillkürlich unter seinem Blick. Der Mann stapfte leicht schwankend zu der Kochplatte, auf der ein Topf stand, und hob den Deckel an. Enttäuschung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

»Gibt’s nix zu essen?«, raunzte er und ließ den Deckel scheppernd wieder auf den Topf fallen.

»Essen?«, antwortete Maria mit müder Stimme, »wovon denn? Wie soll ich denn kochen, ohne Geld im Haus?«

Wilfried Holtmann grunzte etwas Unverständliches in sich hinein und griff in die Hosentasche. Er zog einen zerknitterten Geldschein hervor und warf ihn auf den Tisch.

»Da! Geh’ einkaufen!«

Die junge Frau nahm das Geld und sprang auf.

»Sofort«, nickte sie eifrig. »Was möchtest du denn essen?«

»Egal«, lautete die Antwort.

Maria wartete nicht weiter, sondern griff sich eine Jacke und verließ fluchtartig die kleine Wohnung. Der Brief in ihrer Schürzentasche brannte wie Feuer.

Auf dem Weg durch das Treppenhaus, begegnete ihr keine Menschenseele. Nur der muffige Geruch verfolgte Maria noch bis auf die Straße hinaus. Ein paar Straßen weiter war ein kleines Lebensmittelgeschäft. Maria kaufte rasch eine Dose Gulasch und ein Päckchen Nudeln. Neben der Tür hing ein gelber Postkasten. Die junge Frau steckte den Brief durch den Schlitz und atmete auf.

Endlich war getan, was sie sich schon so lange vorgenommen hatte. Jetzt musste es einfach besser werden!

Aufatmend kehrte Maria Berger in die Wohnung zurück. Wilfried lag auf dem Sofa und schlief seinen Rausch aus. Maria bereitete das Essen zu. Gulasch aus der Dose schmeckte zwar grauenhaft, aber mit ein paar Gewürzen abgerundet, war es immer noch besser, als zu hungern.

Als sie Wilfried wecken wollte, grunzte er nur unzufrieden und drehte sich auf die andere Seite. Maria ließ ihn schlafen. Sie selbst aß ein paar Bissen, dann ging sie in die kleine Schlafkammer, legte sich auf das Bett und deckte sich zu. Sie weinte nicht. Zu viele Tränen waren in den vergangenen Jahren geflossen. Jetzt setzte sie ihre ganze Hoffnung auf den Brief, der vielleicht schon unterwegs war, dorthin, wo es ein anderes Leben gab als hier, bunter, fröhlicher, schöner...

Maria schlief bis zum nächsten Morgen durch. Als sie aufstand, war Wilfried schon wieder fort gegangen. Aber das kümmerte sie nicht mehr. Sie dachte an den Brief, der seinen Empfänger heute noch erreichen würde. Die junge Frau wirbelte durch die Wohnung und machte sauber. Noch nie hatte es ihr soviel Spaß gemacht wie heute.

Dann setzte sie sich an das Fenster und blickte auf die Straße hinaus, als könne sie so ihren Retter herbeizaubern. In Gedanken ging Maria in der Vergangenheit zurück. Sie dachte an zuhause, an das kleine Dorf, in dem sie geboren und aufgewachsen war.

Es schien Ewigkeiten her, dass sie dort gewesen war. Tatsächlich hatte sie St. Johann vor mehr als sechs Jahren verlassen. Aber immer noch wusste sie ganz genau, wie es dort aussah. Maria erinnerte sich an die Kirche, das Hotel, in dem sie gearbeitet hatte, als sie Wilfried kennen lernte. Damals war ihr nicht klar gewesen, auf was sie sich einlassen würde, der Mann hatte ihr den Himmel auf Erden versprochen. Doch was sie stattdessen wirklich bekommen hatte, war die Hölle gewesen.

Die junge Frau spürte die Tränen nicht mehr, die ihr in die Augen stiegen. Aber ein wildes Schluchzen ließ ihren schlanken Körper erbeben. Nach einer Weile raffte Maria sich auf, wischte die Tränen aus dem Gesicht und verließ die Wohnung.

*

»Grüß Gott, Herr Pfarrer«, sagte Anton Wiesbacher, der Postbote. »Ich hab’ hier einen Brief für Sie. Leider fehlt die Marke darauf. Sie müssten also Nachporto bezahlen.«

Sebastian Trenker runzelte die Stirn.

»Nanu«, murmelte der gute Hirte von St. Johann. »Von wem ist er denn?«

Der Briefträger zuckte die Schultern.

»Es steht kein Absender darauf«, antwortete er.

»Na schön«, seufzte der Bergpfarrer und zückte seine Geldbörse.

Sebastian bezahlte die Gebühr und nahm den Brief in Empfang. Nachdem er Anton Wiesbacher noch einen schönen Tag gewünscht hatte drehte er sich um und ging ins Pfarrhaus zurück. Er setzte sich in seinem Arbeitszimmer an den Schreibtisch und öffnete das Kuvert. Der Brief war in München abgestempelt. Der Geistliche nahm das Schreiben heraus und faltete es auseinander.

Lieber Pfarrer Trenker, las er, sicher werden Sie sich wundern, überhaupt etwas von mir zu hören. Vielleicht haben sie mich aber auch in all den Jahren vergessen. Oder nein, ganz sicher werden sie sich an ihr einstiges Pfarrkind erinnern, so wie auch ich Sie niemals vergessen habe. Bitte, Hochwürden, ich wende mich heute in größter Not an Sie. Es war ein Fehler damals fort gegangen zu sein, ein Fehler den ich bitter bereue. Der Mann, dem ich damals folgte, versprach mir ein ganz neues Leben. Doch es sollte anders kommen. Hätte ich das alles nur vorher gewusst! Jetzt bin ich am Ende, ich habe keine Kraft mehr, mich gegen ihn aufzulehnen und darum brauche ich Ihre Hilfe. Bitte kommen Sie so schnell wie möglich, alleine schaffe ich es nicht, und vielleicht ist schon bald zu spät. Ich schreibe Ihnen meine Adresse auf und hoffe Sie schon bald zu sehen. Ihre Maria Berger’.

Sebastian schluckte betroffen. Das war ja ein echter Hilferuf! Natürlich erinnerte er sich an Maria und an das Drama, das es damals gegeben hatte, als sie mit diesem Mann fort ging, der ihr den Kopf verdreht hatte. Immer wieder hatte er sich in all den Jahren gefragt, was wohl aus Maria geworden war. Aber selbst in seinen schlimmsten Befürchtungen hätte er es sich nicht vorstellen können, es musste wirklich furchtbar für sie gewesen sein, wie dieser Brief erahnen ließ.

Der Bergpfarrer stand auf und verließ das Arbeitszimmer. In der Küche war seine Haushälterin mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt. Aber es würde noch eine Weile dauern, bis das Essen fertig war. Sebastian wartete indes ungeduldig auf seinen Bruder. Max, der als Polizist in St. Johann für Ruhe und Ordnung sorgte, kam jeden Mittag vom Revier herüber. um sich an dem köstlichen Essen von Sophie Tappert zu laben. Allerdings würde es damit auch bald ein Ende haben. Claudia, seine Frau, war guter Hoffnung, und es würde nicht mehr lange dauern, bis das Baby auf die Welt kam. Dann musste Max sich um die beiden kümmern.

Schon jetzt bedauerte er es, auf das gute Essen im Pfarrhaus verzichten zu müssen.

»Ja, das ist schon sehr seltsam«, sagte Max Trenker, als er später in der Pfarrhausküche seinem Bruder gegenüber saß von ihm die Geschichte mit dem Brief zu hören bekommen hatte. Der Polizist zuckte die Schultern.

»Ich kann mir schon denken, dass es der Maria net so gut geht. Der Kerl, mit dem sie damals auf und davon ist, hat ja niemandem so recht gefallen. Ich frag mich nur, warum sie sich erst jetzt meldet?«

Sebastian hob die Hand.

»Das wird sich alles klären, wenn ich mit ihr gesprochen habe.«

Max sah ihn konsterniert an.

»Du willst wirklich hinfahren?«, fragte er.

»Ja, was hast du denn gedacht? Ich werde doch einen armen Menschen, der mich um Hilfe bittet, net im Stich lassen!«

»Nein, natürlich nicht«, nickte Max.

Er kannte seinen Bruder gut genug, um zu wissen, dass Sebastian gar nicht anders handeln konnte.

Noch während des Essens überlegte der Bergpfarrer, wie er vorgehen wollte. Nach München zu fahren dauerte kaum mehr als zwei Stunden. Auch die angegebene Straße würde er rasch finden. Aber dann kam der schwierige Teil. Sebastian wusste nicht, wie der Mann darauf reagieren würde, wenn er vor ihm stand.

»Ich drück’ dir jedenfalls die Daumen«, sagte Max, als er sich wieder verabschiedete.

»Dank’ dir, Max «, antwortete der Geistliche.

Am frühen Nachmittag machte sich Sebastian auf den Weg in die bayerische Landeshauptstadt. Die Straße, in der Maria wohnte, lag in einem Viertel außerhalb des Zentrums. Pfarrer Trenker ließ sein Auto stehen und schritt die Straße hinauf. Die Häuser machten einen heruntergekommenen Eindruck, überhaupt wirkte das ganze Viertel trostlos im Schein der Nachmittagssonne.

Auf der Fahrt hierher hatte sich Sebastian überlegt, dass er ganz einfach an der Wohnungstür klingeln und abwarten wollte, was geschehen würde. Das Haus, in dem Maria wohnte, stand an der Ecke einer Kreuzung, vor dem Eingang spielten mehrere Kinder auf dem Straßenpflaster mit einer Blechdose Fußball. Der gute Hirte von St. Johann lächelte ihnen zu und kickte die Dose zurück, als sie vor seinen Füßen landete. Dann stand er vor der Eingangstür und schaute auf die Namensschilder.

Wilfried Holtmann und Maria Berger stand auf einem von ihnen. Sebastian drückte den Klingelknopf und wartete ab.

*

Claudia Trenker steuerte ihren Wagen vor das Garagentor und stieg langsam aus. Erleichtert stieß die Journalistin die Luft aus.

Endlich Feierabend!

In den letzten Tagen war es ihr immer schwerer gefallen, zur Arbeit zu fahren. Zwar hatte der Chefredakteur dafür gesorgt, dass sie nur leichtere Tätigkeiten verrichten musste, aber trotzdem hatte es ihr zu schaffen gemacht.

Max, der gesehen hatte, dass seine Frau vorgefahren war, kam aus dem Haus gelaufen. Die Wohnung der beiden lag praktischerweise über dem Polizeirevier.

»Hallo mein Schatz«, sagte Max und nahm Claudia in die Arme.

Er gab er ihr einen liebevollen Kuss und trug ihre Tasche ins Haus. Im Wohnzimmer setzte sich Claudia auf das Sofa und atmete tief durch.

»Wie geht es dir?«, fragte Max fürsorglich.

Er schaute seine Frau ein wenig besorgt an. Claudia schien sich nicht ganz wohl zu fühlen, dazu verzog sie immer wieder das Gesicht, so als habe sie Schmerzen.

»Ich weiß net genau«, antwortete sie. »Ich glaube fast, die Wehen setzen ein.«

Max sprang auf.

»Wart«, rief er. »Ich ruf sofort den Doktor an!«

Er eilte zum Telefon und wählte mit fliegenden Fingern die Nummer des Arztes. Toni Wiesinger nahm selber ab und versprach sofort herüberzukommen.

Claudia hatte sich unterdessen auf das Sofa gelegt. Sie atmete regelmäßig und versuchte nicht in Panik zu geraten. Es war das erste Kind, das sie erwartete, aber sie versuchte das anzuwenden, was sie im Kurs gelernt hatte. Umso aufgeregter war allerdings ihr Mann. Wie ein aufgescheuchter Stier lief Max vom Sofa zum Fenster und wieder zurück.

»Wo bleibt er denn bloß?«, rief er dabei.

Endlich klingelte es an der Wohnungstür. Der Bruder des Bergpfarrers eilte hinunter und öffnete.

»Am besten lässt’ mich ein bissel mit der Claudia allein«, bemerkte der befreundete Arzt und scheuchte Max mit einer Handbewegung aus der Stube.

Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Claudia. Dann nahm er ihre Hand und streichelte sie beruhigend.

»Nur keine Panik«, meinte er lächelnd. »Eigentlich ist es ja noch net soweit, aber manchmal können es die kleinen Racker einfach net abwarten, das Licht der Welt zu erblicken.«

Gekonnt und routiniert untersuchte er die Schwangere.

»Wie steht’s?«, fragte Claudia als er fertig war.

Toni Wiesinger lächelte.

»Es ist alles soweit in Ordnung«, erwiderte er. »Allerdings schlage ich vor, dass du ab sofort zuhause bleibst und dich schonst.«

Die Journalistin machte ein ängstliches Gesicht.

» Aber bis zum Entbindungstermin sind es doch noch mehr als vier Wochen«, sagte sie. »Wieso soll ich da zuhause bleiben?«

»Weil’s besser ist, für dich und das Kind«, antwortete der Arzt.

Mit wenigen Worten erklärte er ihr das es wirklich besser wäre, wenn Claudia jetzt doch in Mutterschutz ginge.

»Du musst dich wirklich net sorgen«, beruhigte er sie, »aber wir wollen doch kein Risiko eingehen.«

Dann rief er Max herein und teilte auch ihm das Ergebnis der Untersuchung mit. Der Polizist war genauso beunruhigt wie seine Frau. Doch es gelang Toni Wiesinger beiden etwas die Angst zu nehmen.

»Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte er. »Aber wenn es euch beruhigt, dann weise ich Claudia jetzt gleich zur Beobachtung in die Klinik ein, aber rein medizinisch gesehen, besteht dazu kein Grund.«

Claudia und Max hielten sich an der Hand. Sie lächelte ihm zuversichtlich zu.

»Ich denke, wir sollten Toni vertrauen«, sagte Claudia tapfer. »Immerhin hat er mehr Erfahrung als wir, mit dem Kinderkriegen.«

*