Dr. Laurin – 173 – Schön, reich und doch hoffnungslos

Dr. Laurin
– 173–

Schön, reich und doch hoffnungslos

Geld kann Nicole nicht retten! – Und Dr. Laurin?

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-057-8

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Im Haus Laurin herrschte Aufregung und Bestürzung, denn Professor Joachim Kayser war von der grassierenden Grippe erwischt worden, und bei ihm machten sich Anzeichen einer Lungenentzündung bemerkbar.

Seine Frau Teresa gab sich zuversichtlich, aber ihre Ruhe war nur geheuchelt. Die Kinder sorgten sich ebenso um ihren geliebten Opi wie die Erwachsenen. Dr. Eckart Sternberg war an das Krankenbett geeilt. Er erklärte, dass man den Patienten in die Klinik bringen solle, aber da erwachte Professor Kayser aus seiner Lethargie.

»Das fehlte noch, dass ich als Patient in meiner Klinik lande«, polterte er. »Macht mich nicht kränker als ich bin!« Er wollte nicht krank sein, aber er widersprach Dr. Sternberg nicht, als dieser energisch sagte, dass er eine Kur in einem milden Klima antreten müsse.

»Dann gehen wir zu Franzl Kestner, wenn es schon sein muss«, sagte er seufzend zu Teresa, als sie das Thema Kur anschnitt. Und damit war Teresa sofort einverstanden, denn Dr. Franz Kestner war nicht nur ein guter Freund ihres Mannes, sondern auch ein ausgezeichneter Arzt. Er besaß ein Sanatorium, in dem auch sie sich einen längeren Aufenthalt bedenkenlos vorstellen konnte.

Dr. Franz Kestner war ganz aus dem Häuschen, als Leon Laurin ihn anrief und anfragte, wann sein Schwiegervater zu einem längeren Kuraufenthalt kommen könne.

Im Alter lag er zwischen Professor Kayser und Dr. Laurin, und einst war er einer der eifrigsten Studenten Professor Kaysers gewesen, den er Doktorvater nennen durfte, und er war halt für diesen der Franzl gewesen.

Gut hatte er sich gehalten, obwohl sein Haar grau war. Aber das war schon früh grau geworden, denn so manche Sorge hatte auch ihn gedrückt.

»Was freust du dich denn so, Paps?«, fragte Michael Kestner seinen Vater.

»Professor Joachim Kayser kommt für ein paar Wochen mit seiner Frau, mein Doktorvater.« Es klang fast schwärmerisch.

In Michaels Augen blitzte es spöttisch auf.

»Na, dann wirst du ja von der Millionärin abgelenkt, die nun auch bald eintrudeln muss«, sagte er. »Lieber Himmel, was für ein Theater! Wie man sieht, schützt auch massenhaft Geld vor Krankheit nicht.«

Es wäre gut, wenn er ein bisschen mehr Gefühl hätte, dachte Dr. Kestner sorgenvoll, obwohl er sonst nicht viel an seinem Sohn auszusetzen hatte, der sein Medizinstudium auch glänzend absolviert und summa cum laude bestanden hatte.

»Wohin willst du?«, fragte er, als Michael auf seinen Wagen zusteuerte.

»Nach München, Babsi abholen. Ich habe es dir doch gesagt«, erwiderte der junge Mann.

»Du sagst alles immer so nebenbei, da bleibt es nicht hängen.«

»Weil du immer nur an deine Patienten denkst. Eines Tages wird es dir leidtun, dass du dir nicht mehr Freuden gönnst, Papa.«

Dr. Franz Kestner hatte nur den einen Sohn, und er hing an ihm, aber manchmal machte er sich doch Sorgen, dass Michael sich ganz anders entwickeln könnte, als er gehofft hatte. Und diese Sorgen vertieften sich, nachdem er sagte: »Ich habe gehofft, du würdest zugegen sein, wenn Mademoiselle Beauvais kommt.«

»Französisch kannst du doch besser als ich, Papa«, erwiderte Michael. »Du wirst sie gebührend begrüßen. Das Personal wird antreten und Diener und Knickschen machen, und den kleinen Assistenzarzt würde sie sowieso nicht zur Kenntnis nehmen. Die Dame ist andere Dimensionen gewöhnt. Aber Babsi würde es mir verdammt übel nehmen, wenn ich sie nicht abholen würde, und die Tochter von Kurt Bartels ist auch nicht zu verachten. Eine gute Partie ist sie allemal, und das könnte uns nicht schaden.«

Er sagte das alles leichthin, aber seinem Vater gab es einen Stich.

»Wenn du die Mitgift einkalkulierst, würde es mir leidtun«, meinte er unwillig. »Sie ist ein sehr nettes Mädchen.«

»Was ich keineswegs bestreite, lieber Papa. Ein nettes, hübsches Mädchen mit einer ansehnlichen Mitgift sollte dir auch willkommen sein.«

Wenn er doch nur mal eins aufs Dach bekommen würde, dachte Dr. Kestner. Aber bei ihm geht ja alles reibungslos.

Betty Werner kam heran, als Michael in seinem Sportwagen davonfuhr. Betty war Mädchen für alles im Sanatorium. Jedenfalls bezeichnete sie sich selbst so. Für Dr. Kestner war sie seine rechte Hand, dazu aber auch sein guter Geist und seine beste Freundin – abgesehen davon, dass sie auch seine Schwester war.

»Man kommt gegen Michael nicht an«, sagte sie mit einem wissenden Lächeln. »Er hat einen umwerfenden Charme, aber er ist auch dein Sohn, Franzl. Das sollte dich beruhigen. Wenn es einmal darauf ankommt, wird er es beweisen.«

»Wissenschaft ist nur eine Hälfte, Betty, Glauben ist die andere«, meinte Dr. Kestner tiefsinnig. »Wenn er es mit Babsi wirklich ernst meint, wäre es nicht übel, aber es gibt leider auch eine Evi, eine Carin, eine Ruth und eine Sandra.«

»Die vier sind doch schon vergessen«, meinte Betty lächelnd. »Und was Babsi betrifft – der Bartels sitzt doch viel zu sehr auf seinem Geld, als dass er seine Tochter mit Michael verheiraten würde. Er hat doch den jungen Bechstein im Visier.«

»Reden wir von was anderem, Betty. Joachim Kayser wird bald mit seiner Frau kommen. Wir brauchen für sie ein großes Appartement. Ich habe mir überlegt, dass wir Nicole Beauvais im Anbau unterbringen.«

»Der zu deinem privaten Bereich gehört. Ich weiß nicht, Franzl …«

»Dann habe ich sie ständig unter Aufsicht. Außerdem bringt sie ja ihre Tante mit.«

»Wie mögen sie nur ausgerechnet auf dich gekommen sein, Franzl?«, fragte die noch immer sehr hübsche Frau.

»Das werden wir schon erfahren, wenn sie hier sind. Jedenfalls tut es uns gut, für drei Monate ausgebucht zu sein. Der Umbau hat verflixt viel Geld gekostet.«

Betty wusste um die Sorgen des Bruders. Sie hätte gern etwas zugesteuert, aber das hätte Franz niemals angenommen. Sie hatten oft darüber diskutiert. Betty war verwitwet, sie hatte auch einen Sohn. Ulrich war verheiratet. Er hätte es gern gesehen, dass seine Mutter zu ihnen gezogen wäre, aber Betty hatte gemeint, dass dies doch eines Tages zu Spannungen führen würde. Außerdem wollte sie noch produktiv sein und nicht nur Kinder hüten. Sie war kontaktfreudig, und sie hing außerdem sehr an ihrem Bruder.

Durch die Umbauten, die unbedingt vorgenommen werden mussten, die aber länger dauerten, als vorgesehen war, hatten sie manchen Verdienst eingebüßt. Wenn Betty nicht gewesen wäre, hätte Dr. Kestner schon manchmal den Mut verloren, aber ihr Optimismus war ansteckend.

»Jetzt haben wir die Durststrecke überwunden, Franzl«, sagte sie. »Schön wär’s ja, wenn der kleinen Beauvais geholfen werden könnte, dann würde ihr Vater schon was springen lassen.«

»Jetzt denkst du auch materiell, Betty«, sagte er kopfschüttelnd.

»Das muss halt sein«, meinte sie lächelnd. »Aber vielleicht kommen auch durch Professor Kayser ein paar finanzkräftige Patienten.«

*

Dr. Michael Kestner wurde von Babsi Bartels bereits mit Ungeduld erwartet. Das junge Mädchen bewohnte in Schwabing ein modernes Appartement mit allem Komfort, wie es sich für die Tochter eines reichen Fabrikanten geziemte. Sie war der Meinung, dass ihr das auch zustünde.

Sie war ein sehr hübsches Mädchen, stets nach der neuesten Mode gekleidet, superschlank und sehr selbstbewusst. Dunkles Haar mit einem satten Rotschimmer umgab in flotter Frisur ihr herzförmiges Gesicht, das von grüngrauen Augen beherrscht wurde. Mehr grau waren sie, wenn Babsi sanft war, grün, wenn sie gereizt war. Jetzt waren sie grün.

»Du hättest ruhig ein bisschen früher kommen können, Michael«, sagte sie wütend. »Meine Party fängt in zwei Stunden an, und es ist noch nichts vorbereitet.«

»Von einer Party war nicht die Rede«, sagte er. »Ich sollte dich abholen.«

»Aber nach einem bestandenen Examen muss es doch eine Party geben. Das hättest du dir denken können. Wo bleibt der Glückwunsch?«

»Ich hatte noch keine Zeit dafür«, erwiderte er leicht schockiert. »Also dann, herzlichen Glückwunsch, Babsi. Wie viele Leute erwartest du denn?«

»So zwei Dutzend werden es wohl«, sagte sie lässig. »Los, pack an, wir müssen aufräumen.«

Vom Aufräumen hielt sie nicht viel, er allerdings auch nicht. Er hatte sich den Abend etwas anders vorgestellt, obwohl er sonst durchaus kein Partymuffel war. Auch die Begrüßung hatte er sich anders vorgestellt, da sie recht verführerisch aussah in dem Bikini, der ihm verriet, dass sie bis jetzt auf dem Balkon in der Sonne gelegen hatte.

Babsis Benehmen missfiel ihm plötzlich. Er war nicht der Typ, der sich für andere einspannen ließ.

»Einen Dümmeren hast du wohl nicht gefunden, um dieses Chaos zu beseitigen?«, fragte er anzüglich.

»Wenn es dir nicht passt, finde ich gleich einen«, erwiderte sie schnippisch. »Aber nun mach kein Gesicht. Gib mir endlich einen Kuss.«

Auch dazu fehlte ihm die Lust. »Wie viele Männer gehen hier eigentlich ein und aus?«, fragte er.

»Nun mach aber einen Punkt! Willst du mir Moral predigen? Fang doch erst mal bei dir an, Michael.«

»Gesetzt den Fall, ich hätte den Wunsch, dich zu heiraten, würde es mir nicht passen«, sagte er.

»Was?«, fragte sie.

»Dass sich andere Männer hier breit machen.«

Ihre Augen verengten sich. »Gesetzt den Fall, ich hätte den Wunsch, dich zu heiraten, würde ich mir dennoch keine Vorschriften machen lassen, mein lieber Michael. Ich bin eine emanzipierte Frau. Gleiches Recht den verschiedenen Geschlechtern. Über mein Leben bestimme ich allein. Und du hast allerhand Konkurrenz. Es sind welche dabei, die mir mehr zu bieten haben.«

»Und ich bin dazu da, deinen Dreck wegzuräumen? Nein, danke, das besorge mal lieber allein. Viel Spaß heute Abend.«

Und ehe sie es sich versah, war er wieder draußen. Sprachlos stand sie da und raufte sich nun die Haare.

»Na, warte, das werde ich dir heimzahlen«, zischte sie. Es ergibt sich schon mal die Gelegenheit. Jetzt war sie vor allem deshalb wütend, weil sie allein Ordnung schaffen musste, denn niemand schien jetzt Zeit, weniger aber noch Lust dazu zu haben. Ja, zum Feiern kamen sie alle, aber Babsi war mieser Stimmung, weil natürlich auch jeder nach Michael fragte.

Der war inzwischen wieder auf dem Heimweg. Er überlegte, was ihm an Babsi eigentlich gefallen hätte. Natürlich war sie hübsch und auch intelligent, aber im Grunde doch auch nicht eine Spur anders als seine früheren Freundinnen. Komisch, dass er immer wieder auf den gleichen Typ geflogen war. Oberflächlich und genusssüchtig waren sie alle gewesen.

Und er? Verschwendete denn er Gefühle? Plötzlich begann Michael über sich nachzudenken. Und als er heimkam, sah Betty ihn überrascht an.

»Du bist aber schnell zurück«, sagte sie erstaunt.

»Babs gibt noch eine Party, und dazu hatte ich wahrhaftig keine Lust«, erwiderte er. »Kann ich dir was helfen, Betty?«

»Das wäre nicht übel«, erwiderte sie. »Da Professor Kayser kommt, haben wir beschlossen, die kleine Beauvais im Anbau unterzubringen.«

»Warum denn nicht die Kaysers?«, fragte Michael irritiert.

»Nicole Beauvais bleibt länger, und ihr Vater zahlt auch mehr. Außerdem ist der Bungalow ebenerdig, und man kann den Rollstuhl leichter rein- und rausfahren.«

»Oh, ich wusste nicht, dass sie sogar an den Rollstuhl gebunden ist«, sagte Michael bestürzt.

»Du solltest dich eben mit Franzl mal mehr über die Patienten unterhalten, Michael«, meinte Betty nachsichtig.

»Bisher hatte ich ja immer noch im Krankenhaus genug damit zu tun«, erwiderte er. »Und du weißt, dass es mir nicht leichtfällt, mich auf den Sanatoriumsbetrieb einzustellen.«

»Vielleicht lernst du hier mehr tragische Fälle kennen als im Krankenhaus«, erwiderte die Tante. »Menschen, die leben möchten, die ganz gesund werden wollen. Und nicht allen kann man helfen.«

»Wie ist es mit der kleinen Beauvais?«, fragte er.

»Das wissen wir noch nicht. Wir kennen die Diagnose nicht. Dein Vater soll sich erst selbst ein Bild machen, bevor wir die Anamnese erfahren.«

»Das ist doch alles ein bisschen merkwürdig. Man schickt einen Patienten in ein Sanatorium zu einem Arzt, der ja nicht gerade weltberühmt ist, und anscheinend haben in diesem Fall andere Ärzte schon versagt. Nun erwartet man von Paps, dass er ein Wunder vollbringt.«

»Nein, das erwartet man nicht, aber jemand muss Franzl sehr empfohlen haben, und ich meine, mit Recht. Er ist ein sehr guter Arzt, ein ausgezeichneter Psychologe und ein einfühlsamer Mensch. Dies zusammen macht ja auch seine Erfolge aus.«

»Wann kommen sie?«, lenkte Michael ab, denn er rang sich ungern zu der Erkenntnis durch, dass ihm noch sehr viel fehlte, um seinem Vater das Wasser reichen zu können.

»Im Laufe des Tages«, erwiderte Betty. »So genau kann man das ja nicht sagen.«

»Ich muss morgen noch mal ins Krankenhaus, meine Sachen holen, aber dann werde ich mein Möglichstes tun, um Paps zu unterstützen.«

Freuen würde es mich, und den Franzl auch, dachte Betty. Aber ob Michael wirklich schon den nötigen Ernst und das notwendige Verantwortungsgefühl aufbringen würde, bezweifelte sie im Geheimen.

*

Im Haus Laurin wurde schon überlegt, welcher Tag am günstigsten sei, um Joachim und Teresa Kayser zum Kestner-Sanatorium zu bringen, denn Antonia und Leon wollten es sich nicht nehmen lassen, sie dorthin zu begleiten.

Wenn Professor Kayser nicht bei Dr. Kestner angemeldet gewesen wäre, hätte er schon wieder einen Rückzieher gemacht. Es ging ihm besser, und eigentlich, so meinte er, hätte er sich auch in seinem Ferienhaus erholen können. Diesmal aber blieb Teresa energisch, und außerdem konnte man Dr. Kestner nicht kränken.

So entschied man sich schließlich, am Samstag zu fahren.

»Wir brauchen ja nicht die Autobahn zu fahren und können dem Hauptverkehr ausweichen. Gar zu früh kommen wir eh nicht aus dem Haus, wie ich unsere Damen kenne«, meinte Leon Laurin.

»Dann werde ich anrufen und Bescheid sagen«, meinte Teresa.