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1. Auflage Januar 2013

© 2013 Nicole Rose

Titelfoto: Claudia Kempf

Autorenfotos: Sonja Mense

Printed in Germany ISBN 978-3-9815313-1-2

eISBN 978-3-9815313-6-7

www.nicolerose.de

Zuvor erschienen im Juni 2012: „Das Liebesversprechen.”

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

„Geh nicht nur die glatten Straßen, gehe Wege,
die noch niemand ging,
damit Du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub.“

Antoine de Saint-Exupéry (1900-1944)

Buch 2

Die Liebesverführung

Der Herzensweg

Lost in Dubai

Welcome Home

Das Schwefelmahl

Fußfallen & dunkle Wolken

Das dekadente Dinner

Die Schneekönige

Der Schrank des Anstoßes

Der große Schuss

Die Diktatur der Schönheit

Der süße Sohn

Porsche auf drei Beinen

New York, New York

Rasante Versuchung

Das innere Gewissen

Schein oder Sein?

Nipple Gate

Fatale Attraktion

Im Antlitz des Todes

Miami first

Rocking the Paradise

Night of the Promis

Höhenflug und tiefer Sturz

Die Liebesverführung

Der Herzensweg

Es gibt Momente im Leben, die fordern unsere Entscheidung. Wir stehen vor einer Kreuzung. Vor der Wahl zwischen dem bekannten, vorhersehbaren Weg der Vernunft und dem Highway des Herzens, der unser Leben in eine Achterbahn der Gefühle katapultiert, bei der wir selbst nicht mehr der Steuermann sind. Was ist richtig, was ist falsch? Müssen wir uns in der Sicherheit ausgetretener Lebenswege damit anfreunden, ein Leben als Bleistiftskizze zu begehen? Oder sollen wir uns mutig und tollkühn in die Farbenpracht des Abenteuers stürzen, Spuren hinterlassend, wo noch kein anderer welche hinterließ?

Welcher Weg ist der bessere? Der Sturz ins Abenteuer und vielleicht in den Abgrund oder das langsame Dahinwelken in der Diaspora der Dienstbarkeit? Gefahr oder Gefangenschaft, was ist das kleinere Übel? Wer Berge erklimmt, der kann auch fallen. Burn-out oder Bore-out? Was ist das Geheimrezept für ein erfülltes Dasein?

Die Qual der Wahl: Wählen wir den Weg der Vernunft, begeben wir uns in die Sicherheit, ein unausgefülltes Leben zu leben. Wie ein Behältnis, das nie die köstliche Fülle des Reichtums dieser Welt gekostet hat. Wählen wir den Weg, den uns unser Herz weist, begeben wir uns in die Gefahr, alles zu gewinnen oder zu verlieren. Unser Behältnis kann Reichtum bis zum Rand erleben, es kann aber auch zerbrechen am Übermaß des Erlebens.

Leichtsinn oder Langeweile, Risiko oder Resignation, Amor oder Ambivalenz? Das sind die Gretchenfragen, die uns angesichts der Wegkreuzungen in unserem Leben gestellt werden.

Und könnten wir ein Leben erleben, das uns die ganze Welt zu Füßen legt, jedoch zu schlimmsten Schäden an unserer Seele führt, sollten wir es wagen?

Lost in Dubai

Der Apfel ist die Frucht der Versuchung. Das formvollendete Hinterteil der Rose glich mit seiner festen und doch weiblichen Rundung der süßen Frucht. Doch was war das? Zarte Brandflecken brandmarkten die straffe Haut. Die Rose konnte sich nicht geschwind genug aus dem Bett hieven und gen Badezimmer schweben. Woolf, dessen Fingersuchend nach den Zigaretten angelten, erblickte erbarmungslos die Makel am Rosenpopo. Erzürnt wanderte sein Blick zu der Matratze. Ein gigantisches Brandloch prangte dort, wo zuvor sein Kräbbchen geruht hatte. Die Reste der Zigarre entlarvten den Attentäter auf ihren Astralkörper. Zorn und Rauch entwichen Woolfs Mundstrich, dem Schornstein Schwabings. „DU ARSCHLOCH! LASS MEIN KRÄBBCHEN IN RUHE!“, schrie er mit fuchtelnden Wütericharmen in den Himmel. Der Rose schwante Schlimmes. Seelen-Schonprogramm in der Kaiserwanne tat not. Es wirkte wie immer Wunder. Wenngleich das Werk des Wunders heute ganze vier Stunden Zeit brauchte, bis die Stilikone stolz und schön aus dem Bad schwebte. Im obligatorischen kleinen Schwarzen und auf hohen Hacken stolzierte sie aus ihrem persönlichen Schönheitssalon. Woolf und die Aura der Asche vermeidend schlich sie die steile Wendeltreppe hinunter in ihr ehemaliges Ankleidezimmer. Dort packte die Rose eilig ihren roten Reisekoffer. Kleine Kleidchen in schwarz, schwarz-weiß und weiß landeten im Koffer ihres Herzens. Nebst diverser Sandaletten und Pumps. Kein Paar unter 15 Zentimeter Absatz. Nikkis Herz strahlte. Es war erfüllt von Abenteuerlust. Die Reise ihres Lebens rief sie nach Dubai. Das Luxusland verlangte nach der Mode von Armada und sie hatte die Mission, den Distributoren aus „Tausendundeiner Nacht“ Stil und Luxusmarketing zu predigen. Woolf erbot sich als Chauffeur. Auf dem Weg zum Märchenland ging die Reise nach Aschhausen. Ein Ausflug zum Fashion Outlet Mustermacho tat not. Der Rosenkönig brauchte neue Kleider. Den abgetragenen Doppelreiher von anno dazumal konnte Nikki nicht mehr sehen! Ihr Göttergatte brauchte eine schnittigere Verpackung, um an ihrer Seite zu glänzen! „Vernaschmich“ und „Achmanni“ waren die Designer seiner Wahl. Ein schlanker schwarzer Gehrock mit schmaler Hose und ein angeberisch wirkender grau-schwarzer Nadelstreifenanzug, verwandelten den Woolf in einen Mafiaboss. Kleider machen bekanntlich Leute! Diverse geschmackvolle Hemden in Rosé, Hellblau, Weiß, Schwarz und Grau, verliehen seinem fahlen Gesicht Farbe. Beim Bezahlen jaulte Nikkis Kreditkarte jämmerlich. Doch ihr magischer Musiker erstrahlte in nie gesehenem Glanz. „Kräbbchen. Du gibst mir mein Leben zurück!“ Mit dem glücklichen Gefühl der Gebenden beantwortete sie sein rührendes Statement damit, ihm das größte Geschenk zu kredenzen. Mit strahlendem Lächeln zog sie einen schweren Schlüssel aus der zartledrigen Armada-Tasche. „Voilà, mon amour. Hiermit hast du den Schlüssel zu meinem Herzen.“ Als sei das nicht genug, schließlich brauchte er ja Geld für Essen und Trinken, schnippte sie ihm mit generöser Geste ihre EC-Karte hinterher. Woolf antwortete schweigend. Mit einem bohrenden Blick, der Dank und Undank gleichzeitig suggerierte. Schmerz und Schönheit lagen nah beieinander. War nicht ER der Star, dem die Welt und all ihr Reichtum zu Füßen lagen? Seine Augen wanderten zur Rose. Beschämt erblasste sein fahles Gesicht.„Kräbbchen, das mache ich wieder gut!“, krächzte er mit verlegenem Blick in Richtung seiner ausgelaufenen Schuhe. Hier bestand noch Handlungsbedarf. „Gern geschehen“! Sie schenkte ihm ein scheues und schönes Lächeln. Das Leben war schließlich ein Bumerang. Gutes kam zu Gutem zurück. Ihre Investition in den Herrn ihres Herzens würde sich auszahlen. Nun wurde es Zeit, flugs zum Flughafen zu fahren. Nach einem allzu adrenalingesteuerten Höllenritt zum Sound von Train – „Drops of Jupiter“ – standen sie am Scheideweg zwischen München und Märchenparadies. Ihre Abenteuerlust amortisierte den Trennungsschmerz. Allzu aufregend war die Vorstellung von reichen Scheichs und deren Sinnessklavinnen, Luxus, Dekadenz und Millionen. Woolf wiederum blickte wie ein angeschossenes Reh.

Bambi könnte nach dem Verlust seiner Mutter nicht trauriger aussehen. „Kräbbchen, ich vermisse dich bereits jetzt und fühle mich furchtbar flau.“ Nikki blickte zwiegespalten auf die Mega-O. Sie hatte eine wertvolle Stunde Gnadenzeit eingerechnet um allein, bei einem Glas Sauvignon Blanc, die Seele segeln zu lassen. Der Schmerz in seinen Augen zerschmolz ihr Herz. Woolf war in ihr Leben eingefallen. Sie hatte ihn eingelassen. Er durfte den schönen, tiefen Brunnen ihrer sauberen Seele in einen Sturzbach verwandeln. War das nicht der Gutschein, den ein liebendes Herz verschenkte? Seufzend gab sie ihrem Mitgefühl nach und führte den maladen Woolf in das Ristorante „Take off“. An Mittagspausen nicht gewöhnt – schließlich machten die nur faul und fett und hielten von der Arbeit ab – pickte sie manierlich in einer mittelmäßig gelungenen Mozzarella Caprese, während Woolf ein zartes Kalbsfilet verspeiste. Das Fleisch sah so fahl aus wie das Gesicht seines Genießers. Arrogante Verachtung spiegelte sich in seinem fahlen Antlitz wider. Mit spitzen Fingern, manierierter Gabelhaltung und einem angewiderten Gesichtsausdruck führte Woolf gezierte Bissen in den schmallippigen Mund. Ein Magermodel, gefesselt zum Verzehr von Fast Food gezwungen, konnte nicht weniger Begeisterung zeigen. „Komisch. Seit ich zum Essen einlade, isst der Woolf nur Kalb und Krabben“, schoss es ihr durch den Kopf. Eine merkwürdige Diät, deren Wirkung von seinem asketischen Astralkörper bezeugt wurde. Befremdet beobachtete sie, wie ihr Galant, das Kalb verspeiste und dazu mehrere Gläser teuren Rotwein schluckte. Gluck, gluck, gluck, gluck, gluck. Seine Kehle schien konkrete Verdurstungsgefahr zu erleiden. Keith Richards höchstpersönlich hätte sich nicht rockstarhafter aufführen können. Woolf rülpste mit dreckigem Grinsen und schob den Teller weg. Die halb aufgegessenen Reste des kleinen Kalbs sahen traurig aus. Er zündete sich drei Zigaretten gleichzeitig an. „Kräbbchen, das war vielleicht ein mieser Fraß“, beschwerte er sich statt eines Danks bei seiner Gönnerin. Er schaute so abfällig wie Rockefeller, dem eine Almose gereicht wurde. Nun fühlte sich Nikki flau. Das Mittagsmahl war merkwürdig. Die Großkotzigkeit ihres Geliebten war nicht mehr zu ertragen. Ihr flirrender Blick flüchtete gen Mega-O. „Time to fly“, befand sie und orderte die Rechnung. Den Scheich sollte man nicht warten lassen …

Sie befand sich gedanklich bereits in der Luft. Die amourösen Avancen, die Woolf ihr machte, indem seine nikotingelben Finger unter ihr Plisseekleid kletterten, brachten ihr heißes Herz zum Hüpfen. Aber das Zepter der Zeit erlaubte keine Liebe. Schnell sprang sie auf und schüttelte die Lust und seine auf ihr brennende Hand ab. Wie einen aufdringlichen Schmetterling. Allzu oft musste der Mensch seine Lust der Pflicht des Lebens unterwerfen.

Entschlossen schritt sie grazilen Ganges gen Gate, der Runway des Flughafens war ihre liebste Location. Sie ließ Woolf gleichermaßen schweren und leichten Herzens zurück. Sie liebte ihn voller Leidenschaft und blühte vor Hingabe, aber völliger Selbstverlust wurde vom alamierenden Schrei ihres Verstands verboten. Er besaß nach kürzester Zeit bereits verdächtig viel von ihr: Wohnung, EC-Karte, Firmenwagen und ihr Herz. Aber besitzen wir wirklich jemals etwas oder jemanden? Genießen wir nicht vielmehr Leihgaben des Universums? War es richtig, diesem magischen Musiker so schnell das Steuerrad ihres Herzens zu schenken? Der Kampf zwischen Herz und Verstand knirschte mit ihren Zähnen um die Wette. Monsieur Sauvignon Blanc und ihre Seele alleine kannten die Antwort. In Gedanken versunken lief sie los.

Nikkis Philosophenseele segelte nach zwei Sauvignon Blancs in poetischen Höhen. Schnell gelangte sie durch den Check-in und in die Musterungszentrale der Security. Angesichts der vielen Haarnadeln und der hohen Hacken musste sie sich wie stets einer gestrengen Leibesvisitation hingeben. Leider nicht durch Pierce Brosnan. Die trübe Trulla müffelte mies und blickte voll Verdruss. Genervt führte sie ihr piependes Kontrollgerät an Nikkis kunstvolles Haar-Happening. Als vermute sie darin kleine Molotowcocktails. Nun musste sie auch noch die komplizierten Schnallen ihrer Manolo-bestraf-mich-Sandaletten lösen. Auch darin könnte ja eine mittelgroße Uzi versteckt sein. Endlich erlöst von der pietätlosen Prozedur kletterte sie auf den Hocker an der Bar des Abfluggates. Sie war als ungefährlich deklariert worden. Schnell noch einen nervenberuhigenden Sauvignon Blanc und eine warnende SMS an Ewald, bevor sie in die Luft abhob. Ihre Perle von Putzmann hatte sich seit dem kriechenden Krebsverfall ihres Gatten unersetzlich gemacht. „Nikki Rose, du kannst es wirklich nicht lassen!“, flüsterte die Stimme ihres Gewissens hämisch. Sie hatte ein ganz und gar ungutes Gefühl, ihm von dem neuen, wie der Blitz in ihrem Leben eingeschlagenen Mann zu berichten. Mit bebendem Herzen und rasenden Fingern tippte sie in ihr Blackberry: „Lieber Ewald. Es gibt einen neuen Mann in meinem Leben und in unserer Wohnung. Er hat die Lizenz, ALLES ZU VERÄNDERN!“ Ewald würde sicherlich ausrasten angesichts der Asche in seinem Putzreich. Morgen traf sie ihn, ausgerechnet in Dubai, und konnte persönlich von die so sonderbare wie fundamentale Entwicklung ihres Liebeslebens beichten. Sie waren verabredet auf einen Drink in der Hotelbar. Er machte mit seinem Lover gerade Urlaub im Mittleren Osten. Die Rose zahlte gut und großzügig! Das sollte ihm den Wind aus den Segeln der Putzseele nehmen. Doch sie wusste: Der würde stark wie ein Tsunami sein …

Der Aufruf zum Boarding unterbrach den Fluss ihrer Gedanken. Der Flieger war fies voll. Zum Glück hatte sie, wie immer, einen Gangplatz möglichst weit vorn verlangt. Das Klientel der Emirates Airline bestand aus Übermaß. Die dicken, ölhäutigen Zeltfrauen nahmen über Gebühr viel Raum ein. Die zierliche Rose wurde fast erdrückt. Die flegelhaften Früchtchen der Zeltfrauen flitzten durch das Flugzeug wie fette Fußbälle. Der Gang zwischen den Sitzreihen war ihr Fußballstadion. Ihr gewaltiges Gewicht ließ den Runway der Saftschubsen böse erbeben. Zu fett und faul, um die Anwandlung von Fitness lange durchzuhalten, begaben sich die dunkelhäutigen Sumoringer endlich auf ihre Plätze. Die Zelte der Mütter verwandelten sich in Futtertröge. Gierig verschlangen die kleinen Vielfraße alles, was sich in den mütterlichen Kängurutaschen befand und ihnen in den Schlund gesteckt wurde. Zu Nikkis immensem Ekel sogar fettig glasierte Dunkin’ Donuts, das verwerflichste Fast Food auf ihrer langen Liste der verbotenen Genussmittel. In gestrenger Verzweiflung blickte die Rose gen Himmel. Der Nerv ihres Ischias zuckte vor Ekel und der lauwarme Weißwein half wenig, die Reisestimmung aufzuheitern.

Das Spiegelbild ist das Abbild der Seele! Dessen war sie gewiss. „Manche Menschen müssen monströse Seelen haben“, befand die Rose mit ungläubigem Blick auf die Mehlteigfiguren neben sich. Sie war im falschen Film gelandet. Die Gleise ihres Lebens schienen in seltsame Gefilde zu führen. Sie fühlte sich isoliert. Die Einsamkeit der Exotin im Exil war schmerzlich. Nicht einmal die magische Musik ihres iPools vermochte sie zu trösten. Müde stolperte sie schließlich aus dem Flugzeug. Das Paradies war definitiv nicht in Dubai! Die schwüle, 50 Grad heiße Luft des Luxusparadieses erstickte sie wie ein Zelt aus Zucker. Im Taxi traute sie angesichts des Gigantismus dieses überdimensionierten Disneylands ihren den Augen nicht. Die üblichen Verdächtigen der amerikanischen Fast-Food-Fettikonen regierten das Märchenland. Das gelbe M, das orange Königsburger-Zeichen und sogar das allerschlimmste Dunkin’ Donuts Logo ragten in den heißen Himmel. War das zu fassen? Die frevelhaften Fresstempel Amerikas im Land von Tausendundeiner Nacht, von Scheichen, Prinzen, Harems und Zauber? Sie war entsetzt. Nicht im Märchenparadies, nein, in der Fast-Food-Hölle war sie gelandet! Und im Abgrund der Frauen sowieso. Die Männer blickten allesamt wie geile Gockel auf ihre in dieser Region noch außergewöhnlichere Erscheinung. Selbst die Knülche an der Hotelrezeption gafften gierig. Sie fühlte sich wie ein Sterne-Menü in der Diaspora der drögen Seelen. Ein eisgekühlter Sauvignon Blanc tat not. Seelenheilung für die Stilikone im Exil. Es war gerade mal 21 Uhr und die Bar des Luxushotels war feindlich leer. Die zugigen Attacken der eisigkalten Aircondition waren ebenfalls frauenfeindlich und richteten sich definitiv gegen ausgeschnittene Cocktailkleider. Schwarze Zeltkleidung, Gesichtsverdeckung und Schutzschichten aus Speck hatten offensichtlich ihren Zweck. Kein Wunder, dass die Frauen sich hier in Wale verwandeln mussten. Und sie kam als Botschafterin der Cocktail-Couture. Die Rose seufzte schwer. Die Einsamkeit konnte heute nicht mal Monsieur Sauvignon Blanc vertreiben. Nicht ein einziger attraktiver Mann in Sicht. Wo blieb ihr Scheich oder wenigstens Pierce Brosnan? Das Abenteuer Leben schien hier und heute traurig und fad. Das Märchenland war zum klimatisierten Knast verkommen. Die verheißungsvolle Versprechung von Tausendundeiner Nacht würde nicht eingelöst werden. Jetzt schwante ihr, warum die Männer hier so reich waren. Sie brauchten ihre Millionen, um sich die Frauen zu kaufen. Bestimmt warf sie den betollten Kopf nach hinten. Keine Milliarde könnte sie dazu verführen, sich dem Schein der Scheiche zu unterwerfen! Sie trank ihren Sauvignon Blanc aus und beschloss, sich dem Trost der Kehlenfreude hinzugeben. Das Leben war schließlich zu kurz, um es nicht zu zelebrieren. Zum Trotz der stumpfen Seelen ließ sie die ihre strahlen. Zumindest eine gute Flasche Wein würde heute ihr getreuer Begleiter sein!

Sie gönnte sich ein leichtes Fisch-und-Salat-Menü und ihren Lieblings-Sancerre-Rosé-Wein und genoss es gründlich, endlich wieder bei sich selbst zu sein. Die wild-wahnsinnigen Seelenstürme der letzten Woche hallten in ihrem Herzen nach. Es war intensiv und irritierend zugleich, sie aus der Distanz zu fühlen. Ein flaues Gefühl im Sit-up gestählten Bauch machte sich nachhaltig bemerkbar. Konnte es sein, dass mit ihrem magischen Musiker etwas faul war? Warum aber jubilierte dann ihr Herz und strahlte ihre Seele? Nachdenklich, mit kleinen, genießerischen Bissen, genoss sie den zarten Thunfisch, der à point kurz gegrillt und rosig-zart war. Irgendwie fühlten sich ihr Leben und die neue Liebe gleichzeitig furchtbar falsch und wunderbar richtig an.

Nach dem deliziösen Mahl und der köstlichen Flasche Sancerre trugen ihre Stilettos eine leicht berauschte Rose in ein anonymes Hotelzimmer. Der Raum strahlte so wenig Zuhause aus, dass der Rose Angst und Bange ward. Es war alles da, was nötig war, aber das Zimmer hatte die Ausstrahlung eines Grabes. Es war ebenso wie die Bar und das ganze Dubai ein klimatisierter Knast! Schlagartig meldete sich der Schmerz der Sehnsucht in ihr. Ihr Herz hatte kein Zuhause mehr seit der Tod ihr die Liebe geraubt hatte. Der Riss im Herzen der Rose war tief. Durch ihn empfand sie Schönes und Schlimmes mit einzigartiger Intensität, war aber isoliert im supersensiblen Empfinden ihrer Emotionen. Sie erblickte ihr trauriges Gesicht im Spiegel. Der Schmerz, den sie seit dem Tod ihrer Liebe empfand, zeigte sich in den vor Tränen triefenden Augen. Die schwarzen Schatten der Erinnerung holten sie ein. Der schwarze Marmor des Bades verwandelte sich in die Luxusurne, in der die Asche ihrer Liebe begraben war. Ein See aus Selbstmitleid lief in Sturzbächen aus ihrer Seele. Tock, tock, tock ertönte es da an der Tür zum Hotelzimmer. Rasch raffte sich die Rose auf und schluckte den See aus Tränen hinunter. Ein befrackter, öläugiger Kellner glupschte ihr geil ins Gesicht. „Sauvignon Blanc!“ mit diesen Worten kredenzte er die fast vergessene Bestellung weiteren Seelentrostes. Neugierig starrte der Kehlenknecht auf Nikkis hohe Tolle. „Amy Weinhouse!“, grinste er breit. Die Rose wurde rot. Es war ihr ausgesprochen peinlich, auf die Ähnlichkeit der Haartracht angesprochen zu werden. Schließlich hatte sie den Beehive-Stil bereits viel früher für sich erfunden. Doch der Kellner war so aufdringlich wie unsensibel. Aufreizend langsam öffnete er die Weißweinflasche. Die eigene in der Hose verriet Erregung. Zu gerne hätte er die Rose aufs Bett gezogen und sie sich unterworfen. Doch die Rose war den Reizen des Orients gewachsen. Schnell steckte sie dem Kellner ein Bündel Geldscheine in die Hand. Geldgier löste die Geilheit in seinen Ölaugen ab. Geschwind, als befürchte er die Gunst des Goldes könnte ihm wieder weggenommen werden, verbeugte er sich und machte den Abgang. Nikki sank in die kühlen Kissen. Monsieur Sauvignon Blanc säuselte sie süß in den Schlaf.

Mitten in der Nacht erwachte sie vom Summen der Klimaanlage und bemerkte das blutrote Blinken ihres Blackberry. Drei neue Nachrichten. Von Woolf Barzokka. Um 22 Uhr: „Kräbbchen, ich vermisse dich.“ Um 23 Uhr: „Kräbbchen, wo bist du und was machst du?“ Um 24 Uhr: „DU MIESES STÜCK, RUF MICH AN!!!!!!!!!!!!!!!!“ Woolfs Seelenheil ließ offensichtlich Stabilität vermissen. Was sollte dieser Telefonterror? Widerwillig und mit müden Fingern wählte sie die leicht von Haarspray verklebten Tasten, die eigene Rufnummer mühsam memorierend. Es war seltsam, dass ein fremder Herr in ihrem Heim hauste, während sie sich in der Fremde verloren fühlte!

Nach nur einmaligem Läuten krächzte seine kalte Stimme in ihr schlaftrunkenes Ohr. „Krrrrräbbchen!, was treibst du? Warum antwortest du nicht auf meine Mails?“, kämpfte er sich vorwurfsvoll durch die Ascheberge in seiner Kehle. Sie fühlte die Meilen, die sich ihre Gefühle seit gestern von ihrem Geliebten entfernt hatten. Er tönte falsch und fremd. Nun begann er in ausführlicher Langeweile, die Details seines heutigen Tuns herunterzubeten. Allmählich steigerte sich die Lethargie in Leidenschaft.

„Kräbbchen, der Gläserschrank!“ „Ich habe mir den Arsch aufgerissen für dich!“ Seine Stimme wurde schrill. Sie schwieg fragend. „Ich habe dieses Ungetüm ganz allein in die Küche geschleppt!“ Nikki traute ihren Ohren nicht. „WARUM? Er war doch PERFEKT im Flur“, wagte sie kritisch zu hinterfragen. Die Lizenz ihrer Liebe schloss die Zerstörung ihrer ästhetisch anspruchsvollen Wohnungsgestaltung aus. Und: Hatte er etwa die Gläser im Schrank gelassen? Das Klirren von Rosenglanz schellte ihr in den Ohren, schrill wie seine Stimme. Woolf ward wütend. „In den Flur gehört Hochliteratur, kein Dekoscheiß“, urteilte er hämisch, den Wert des Art-déco-Möbels ignorierend. „Zeige mir deinen Flur und ich sage dir, wessen Geistes Kind du bist“, warf er ihr vor. Sie hielt die entsprechende Antwort zurück. „Zeige mir dein Badezimmer und ich sage dir, was für ein Schwein du bist“, dachte sie. Rebellisch gestimmt durch Weißwein, Schlafentzug und die Respektlosigkeit ihres Rockrüpels. Der trampelte weiter auf ihrem Herzen herum. „Dann hab ich mir das STYX-Video angesehen, um zu sehen, was du an denen so toll findest? Untalentierte Ami-Arschlöcher! Die dürften bei mir nicht mal im Chor singen!“, verurteilte er die musikalischen Helden der Rose. Wilde Wut entbrannte in ihr. Doch sie war zu müde, um zu debattieren. „Liebling, Zeit zum Schlafen“, flüsterte sie sanft. „Mein Wecker geht in vier Stunden.“ Manchmal war es besser, Dissonanzen nicht zu diskutieren.

Ungnädig befehligte das Blackberry die Rose allzu kurze Zeit später in die Realität. Das dunkle Hotelzimmer mit der zugigen Klimaanlage hatte zumindest eine Kaiserwanne im Bad. Die Rose ließ sich in einen meterhohen Schaumberg sinken. Sie fand Schutz in der emaillierten Stahlbadewanne und ordnete beim sorgfältigen Shampoonieren der Tolle die im Kopf umherwirbelnden Gedanken. Nass und neu stieg sie schließlich aus dem heißen Bad. Wie Venus, die Schaumgeborene. Dann begann der lange Schaffensprozess der Nikki Rose. 500 Sit-ups, diverse Pilates-Übungen, eine Stunde Haarstyling, 15 Minuten Make-up und 15 Minuten Dress-to-Impress später schwebte ihre auffällige Erscheinung durch den Betonbau des Meriot. Schnell stöckelte sie in Richtung des Konferenzraums von „Armada“. Das Frühstück wurde wie stets dem Schönheitsritual geopfert. Fröstelnd betrat sie den noch kälter klimatisierten Raum. Eine schlanke, fast hager wirkende, attraktive Dunkelblondine begrüßte sie mit einer warmherzigen Umarmung. Sabine Biene, Leiterin der Retail-Akademie und eine noch etwas fremde Freundin, ließ ihren Aufenthalt in Dunkin Dubai erstmals in einem heimischen Licht der Sympathie erstrahlen. Wenn wir bei Freunden sind, ist überall Zuhause.