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1. Auflage Juni 2014

c 2014 Nicole Rose

Titelfoto: Claudia Kempf

Autorenfotos: Tim Korbmacher

Printed in Germany ISBN (978-3-9815313-5-0)

eISBN (978-3-9818807-6-2)

www.nicolerose.de

Zuvor erschienen im Juni 2012: „Das Liebesversprechen“

Im Januar 2013: „Die Liebesverführung“

Im September 2013: „Die Liebesverblendung“

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Es kommt für jeden der Augenblick der Wahl und der
Entscheidung: Ob er sein eigenes Leben führen will, ein höchst
persönliches Leben in tiefster Fülle, oder ob er sich zu jenem
falschen, seichten, erniedrigenden Dasein entschließen soll,
das die Heuchelei der Welt von ihm begehrt
.

Oscar Wilde (1854 - 1900), eigentlich Oscar Fingal O‘Flahertie Wills,
irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor

Buch 4

Die Liebesverheirat

Vogelfrei

Willkommen im Wegelagerer-Land

Gentleman & Gossenjunge

Shortlist zum Success

Ein Haus von der Hure

Weisse Waden und warnende Worte

Die Chancen des Lebens

Das Glück im Ozean

Ein ehrenwerter Antrag

Das Heim fürs Herz

Eine folgenschwere Unterschrift

Schnipsel im Wind

Nägel mit Köpfen

Paradise City & permanenter Urlaub

E-Gitarre auf Rädern

Der Deal des Tages

Koks & Krebs

Einzug im Hexenhaus

Ran an die Bank

Die Mutti kommt

Das Licht der Liebe

Der Schlüssel zum Glück

Die Ringe der Rose

Die Schwefelhochzeit

Eine Nacht für die Götter

Die Regie des Lebens

Eine Bombe von Bild

Vollmond-Völlerei

Schlüpferstürmer

Menschliche Zeitbomben

Trottel und Schabracken

Eine prüde alte Frau

Stone Crabs & böse Biker

Fünfzig Jahre Frust

Ende & Anfang

„Liebe, die nicht Wahnsinn ist, ist keine Liebe …”

Pedro Calderón de la Barca (1600–1681)

Vogelfrei

Was geschehen soll, wird geschehen. Was nicht …, wird verhindert! Die Flamme, die den rechten Flügel des Flugzeugs attackierte, verschlang ihre Beute wie eine hungrige Bestie ein Festmahl nach wochenlanger Fastenkur. Doch sie kämpfte gegen kräftigen Gegenwind. Tosende Regenstürme tobten erbittert gegen das gefräßige Feuer. Das wehrte sich erzürnt. Jedoch vergeblich. Nach mehrmaligem Aufbäumen versiegte die Flamme. Erbärmlich und endgültig. Poseidons Puste raubte ihr das Feuer. Als sei es eine Kerze auf einem Geburtstagskuchen, dem das Leben das Licht ausblies. Woolf triumphierte über ihr Versiegen. Das war SEIN SIEG! Er hatte die ganze Kraft seiner Gedanken dafür aufgebracht, die Vision des verbrennenden Fliegers zu vernichten. Seine teerverklebte Lunge blies sich frei. Erschöpft und erleichtert hob er das Kinn seines Kräbbchens an. Deren wohlfrisierter Kopf lag dösend auf seiner Brust. „Kräbbchen! Wach auf! Willkommen in der Freiheit!“ Nikki Rose erwachte aus tiefem Schlaf. Sie öffnete die Augen und sah Woolfs strahlendes Gesicht. Er drückte seinen Mund hart auf ihre Rosenlippen. Sie blickte fragend in seine Augen. „Ich habe geträumt, unser Flieger brennt und wir stürzen ab.“ Er umarmte sie beschützend. „Kräbbchen. Dann wären wir zumindest zusammen. Im Tod wie im Leben! Doch fürchte dich nicht. An meiner Seite bist du für immer sicher!“ Sie erblühte im Wissen: Alles war gut und würde noch viel besser! Woolf war nicht mehr grau. Eine rosige Frische hatte sich auf seine schmalen Wangen geschlichen. Die Haut, sonst tief gefurcht, wirkte wie nach einer Botox-Spritze. Straff und starr. Die Flucht in ihr neues Leben wirkte Wunder. Nikki lächelte romantisiert. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten durch einen Himmel aus rosa Wolken. Nie hatte sie sich so sicher und wohlbehütet gefühlt. Und: frei wie ein Vogel. Sie hatten die Fesseln der Konvention gesprengt und waren der Tristesse entflohen. Die Enge Europas lag hinter ihnen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten vor ihren Augen. Der glitzernde Ozean war ihre Bühne. Die Reflektionen des Lichts funkelten wie unzählige Sterne zu ihren Füßen. Sie verhießen Ruhm und Reichtum. Der Himmel war kein Limit. Mit funkelnden Augen lächelten sich die Geliebten an. Die Koffer voller Trauer und Sorgen sowie sämtliche bürgerliche Bedenken gingen über Bord.

„Steward! Champagner!“ Diese Flucht in die Freiheit MUSSTE zelebriert werden! Woolf schnippte den süßen Saftschubser mit dem verführerischen Hüftschwung heran. „Den gibt es nur in der ersten Klasse. Ich kann Ihnen einen ausgezeichneten Prosecco kredenzen!“ Der schöne Steward lächelte entschuldigend. Woolf plusterte sich auf. Ein Donnergrollen entwich seinem Mundschlitz. „Siehst du denn nicht, mit wem du es zu tun hast? Ich bin der King of Rock. Und ich habe gerade dein fucking Flugzeug vorm Verbrennen gerettet. Das sollte eine Flasche Ruinhart Rosé wert sein!“ Das irrsinnige Funkeln in den eisgrauen Augen und die großspurige Aussage des Fluggastes implizierten Gefahr. Die Ausstrahlung der Aggression hatte allerdings durchaus Sex-Appeal. Der schnuckelige Kellner der Lüfte zuckte mit den Schultern und lächelte hingebungsvoll. „Wenn das so ist … Lassen Sie mich sehen, was ich für Sie tun kann!“

Mit erotisiertem Hüftschwung lief er die Gangway hinunter in die erste Klasse. Minuten später kam er mit Eiskühler und Monsieur Ruinhart Rosé zurück. „Thanks! Man! That’s how I like life!” Woolf strahlte wie ein Hundertkaräter. Nikki lächelte schelmisch und dezent verstrahlt. Der Kellner der Lüfte verbeugte sich zutiefst. Er rechnete mit einem riesigen Trinkgeld. Von dem wollte er sich selbst eine Bouteille Champagner gönnen. Doch sobald der Champagner im Glas prickelte, war er abgemeldet. Woolf winkte ihn weg wie eine lästige Fruchtfliege. Die Liebesvögel stießen auf ihre frisch erlangte Freiheit an. „Auf unser neues Leben! Auf Miami! Auf uns!“ Mit dem Treibstoff des Champagners verflog die Zeit im Sauseschritt. Wenige Stunden später ertönte die Ankündigung der Ankunft. „Ladies und Gentlemen, wir haben die Flughöhe verlassen und nehmen Anflug auf Miami!“ Doch zuvor musste der Woolf austreten. „Für kleine Königstiger!“, prahlte er und stieg über den Sitz auf die Gangway. RITSCH-RATSCH! Mit unangenehmem Geräusch zerriss die Hose seines Vernaschmich-Anzugs und hinterließ einen riesigen Schlitz. Mitten im Schritt. Woolf torkelte tobend Richtung Toilette. Dahinter konnte nur der zürnende Geist von Nikkis verrecktem Ex stecken! Er gönnte ihm und seinem Kräbbchen ihre Liebe nicht! Dabei hatte er doch alles dafür getan, dessen Energie auszumerzen. Sogar den Feuerteufel hatte er bezwungen. Die Hexenkünste von Hedda Hässlich hatten keine Chance gegen ihn, den magischen Meister! Doch Uwes Geist war zäh. Und die Toten sind solange nicht tot, wie sie in unseren Gedanken existieren. Schlagartig schwante dem Woolf, dass der Kampf noch nicht zu Ende war. Gierig inhalierte er eine verbotene Zigarette und versenkte die Kippe im Klo. In dem Moment schien die gleißende orangefarbene Sonne wie ein brennender Ball ins Fenster des kleinen Sanitärraums. Er steckte dem Fenster und allen Unholden des Universums den Stinkefinger entgegen. Er und sein Kräbbchen würden sich vom Glück nicht fernhalten lassen. Sie würden Miami rocken und die Welt erobern! Er und die Rose waren frei wie die Vögel! Pfeifend, die entblößte Leibesmitte ignorierend, schwankte Woolf den Gang zurück. Er war ein Rockstar. Hey! Er durfte alles! Nikki starrte schelmisch auf das Loch und das dahinter nicht mehr verborgene Juwel ihres Herzmanns. „Na, wenn das keine grandiosen Aussichten sind.“ Neckisch fuhren ihre zärtlichen Finger wie zufällig über besagte Stelle. „Hmpm!“ Neidvoll blickte der Steward auf das Objekt seiner Begierde. „Bitte schnallen Sie sich an! Wir landen!“

Der Woolf hielt die Hand der Rose an seinem schwellenden Schwengel. Er würde Miami im formvollendeten Stil des Rockstars willkommen heißen. Der Kopf seiner Rose glühte, als er ihre Hand beharrlich auf und ab bewegte. Rumms! Holperig landete der Flieger auf dem Rollfeld. Und Woolf im Himmel der Lust. Der Steward warf ihm verschwörerischen Blickes eine Packung Tempi zu. „Auf die Liebe und die Lust!“, murmelte er und zwinkerte dem Paar schelmisch zu. Schnell machte er ein Paparazzo-Foto mit seinem Mobiltelefon. Mit dieser Story würde er zum König des Tratschs! Leider war der Rocker ihm nicht bekannt. Er ähnelte Keith Richards. War aber weniger abgefuckt. Und seine lovely Lady? Die Frisur war eindeutig Amy Weinhaus. Doch sie war rosig und gepflegt. Eine Aura der Selbstzerstörung umgab sie nicht. Schade! Sonst hätte er die Story für gute Dollars an die Presse verkaufen können … Seinem Schicksal als Saftschubser war damit nicht zu entkommen. Resigniert steckte er das Telefon ein und hielt Ausschau nach wichtigeren VIPs in der ersten Klasse. Doch so glamourös wie das Rockstar-Paar war kein weiterer Passagier. Auch nicht in der ersten Klasse … „Thanks, man!“ Woolf streifte im Hinausgehen seinen Schritt und steckte ihm ein Bündel Dollar in die Hosentasche. Das Leben war ein Bumerang. Zeit für Schampus!

Triumphierend schnappte Woolf sich Gitarre und Rose und zog ein in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Nikki an seiner Seite strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Sie hatten dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen! „Welcome home!“ Zärtlich summte Woolf der Rose sein Liebeslied in die Ohren. Sie waren in der Freiheit angekommen. Ihre Liebe war nicht aufzuhalten! Das Kreischen der Möwen empfing sie lautstark. Mit einer etwas anderen Melodie! „Ah-ah-ah-ah.“ In Nikkis sensiblen Ohren tönte das seltsam schrill und spöttisch. Doch dem Woolf waren die Ohren verschlossen. Der Hörsturz hatte ihn taub gemacht für Misstöne und die feinen Nuancen, die Schön von Schlecht unterschieden. Unwillkürlich erklang der neue Song von The Verve im Paradies. „Cause love is pain. Love is noise. Love is the blues and I sing it again …“

Willkommen im Wegelagerer-Land

Nikki und Woolf stiegen torkelnd, bei der einen Flasche Champagner war es nicht geblieben, die Stufen aus dem Flieger hinab. Er breitbeinig, die schwere Holzgitarre wie eine Waffe vor seinem Astralkörper schwenkend. Sie hinterher. Mit zierlichen Schritten. Die feinen Absätze vorm Steckenbleiben im Treppengitter retten wollend. Doch alle Vorsicht war vergebens! Sie rutschte aus und ratterte holterdiepolter, die Stufen hinunter. Woolf lief weiter. Vor ihm lag die strahlende Zukunft. Das strauchelnde Kräbbchen zog er mit, ohne sich umzublicken. Die Zeit der Rücksicht war vorbei! Jetzt würde er das Paradies rocken!

Er trat in die tropische Luft Miamis, die vor Feuchtigkeit und der Opulenz überreifer Früchte triefte. Sofort zündete er sich mit triumphierenden Gesichtszügen eine Mannboro an. Er war am Ort seiner Bestimmung angekommen! Hier würde er als DER Rockstar landen, als der er sich schon immer sah! „Welcome the King of Rock!“, flüsterte er beschwörend. Gierig inhalierte er den Rauch. Der stundenlange zigarettenlose Flug hatte an seiner süchtigen Seele gezerrt. Nikki Rose raffte sich hinter ihm in drolliger „Eilwürde“ auf. Bloß keine Schwäche zeigen. Der trübe Tropenhimmel war schwer und schwül. Und windig. Eine Sturmbö attackierte ihre Tolle. Das Klima war der Frisur Feind, nicht Freund. „Hilfe! Meine Haare!“ Besorgt schützte sie ihr Haarwerk mit ihrer Handtasche. „Kräbbchen! Stell dich nicht so an! Das bisschen Brise kann gegen deine Tonnen von Beton Hair doch nichts ausrichten!“ Mit verächtlichem Blick auf das Rosenhaupt trat Woolf seine Kippe gefährlich nahe an einer Benzinspur aus. Nach ihm die Sintflut. Nikki schlich gedemütigt hinter ihrem plötzlich so ungalanten Geliebten her. Das Ticken ihrer MegaO wurde lauter und lauter. „TicktackTicktackTicktack!“ Die treue Gefährtin am Handgelenk warnte sie. Doch sie konnte nicht anders, als den großspurigen Schritten des Woolfs nachzugehen. Der breitete die Arme aus. Die Welt war sein!

Sie folgte Woolf in den Flughafen. Drinnen blies nicht der Wind, sondern die Aircondition gegen ihre nur noch halbwegs stabile Frisur. München–London–Miami. Ihr Drei-Wetter-Turm war angeschlagen. Die Rose auch! Der Fall von der Flugzeugtreppe hatte blutige Schürfwunden an den Handflächen hinterlassen. Die Knie waren aufgeschlagen. Die teuren Wohlfind-Strümpfe zerrissen. Und jetzt machte ihr die garstige Klimaanlage den Garaus. Die Rose hüstelte. Und ward sekündlich krank. Die Schlange vor der Passkontrolle war endlos. Woolf tigerte auf der Suche nach einem Raucherraum durch die eisgekühlte Halle. Nikki durfte anstehen. Nach langem Warten in der stinkigen Schlange standen sie endlich vor einem kubanischen Beamten mit Boxergesicht. „Where you from? What you want in Miami?“ Offensichtlich war er nicht in der Lage, die entsprechenden Informationen aus Reisepass und Einreiseantrag zu erlesen. „Munich. Miami: Sunshine! Vacation!“, strahlte Nikki den tumben Toren an. Lächelnd. Auch im Angesicht der völligen Verzweiflung. „No visa!“, monierte der Stoffel und fletschte die Zähne. „We only stay two weeks!“ Nikki zeigte ihm die Reservierungsbestätigung des Raylight Hotel und legte ihr Rückflugticket vor. Keine Reaktion. Da trat Woolf vor und stopfte dem kubanischen Vollpfosten ein fettes Bündel US-Dollars durch den Schlitz. Das verschwand so schnell wie der Wind. Nun verzog sich das vormals fiese, feiste Gesicht zu einem gaunerhaften Grinsen. „Welcome to Miami!“ „Dusch! Dusch!“ Endlich sauste der Stempel über ihre Reisedokumente. „Freigabe erteilt!“ Woolf zog durch die Pforte ins Paradies. Nikki folgte stolpernd. Ihre Schritte auf den hohen Absätzen so unsicher wie nie zuvor. In zittrigen Fingern hielt sie das Rückflugticket. Die letzte Brücke zurück in die scheinbare Sicherheit des vergangenen Lebens. Sofort wurde es nass vor Angstschweiß. Schnell steckte sie es weg, in die Armada-Tasche. Tippeltippeltippel. Sie versuchte bemüht, nicht den Anschluss an ihren rasenden Rocker zu verlieren.

Brr! Trotz des Stiletto-Stakkatos zitterte sie erbärmlich in ihrem kleinen Kleidchen. Erst das tonnenschwere Tropenklima. Dann die Eisattacke der Klimaanlage! Das sollte das Paradies sein? Sie fühlte sich so einsam wie Eva, die ihren Adam an die Versuchung verloren hatte. Woolf war seit der Landung in Miami absent. Berauscht vom Duft der Freiheit, kümmerte er sich nicht mehr um sein Kräbbchen. Er steuerte weg von ihr, auf die Gepäckwagen zu. Vergeblich versuchte er, eine der Stahlkarossen aus der Schlange zu befreien. Sie waren an einer Kette aufgereiht. Wie Gefangene in Fußketten. Und ohne Cash nicht freizubekommen. Schon erschien ein kleines Kuba-Männchen mit offener Hand. Woolf steckte ihm ein Bündel Dollars in die feuchte, schwitzende Handfläche. Schwupps, war es weg. Dafür hatte er einen Gepäckwagen mit Kubaner an der Backe, der den Wagen mit unterwürfiger Geste zum Gepäckband fuhr. Auch dort angelangt, machte er keine Anstalten, zu gehen. Das glamouröse Paar hatte sicher noch jede Menge Zaster und war offensichtlich eine leichte Beute. Doch die Rose war gewiefter als erwartet. Unter der Amy Weinhaus-Tolle waltete ein kluger Kopf. „Thank you! That’s all!“, wedelte sie den dienernden Kofferkuli hinfort. Ein deutliches Unwohlsein machte sich in ihr breit. Das perfekte Paradies zeigte bereits bei der Ankunft deutliche Risse zwischen Sein und Schein. Ohne Schotter lief nichts im Schlaraffenland! Bereits der Flughafen wimmelte von Wegelagerern, die wie Fruchtfliegen um Geld und Gunst der Passagiere buhlten. Bereits jetzt vermisste sie die deutsche Disziplin. Den Anstand der Germanen! An der Seite ihres Woolf Barzokka schien sie im Reich der Abzocke gelandet. An seiner Seite? Er war schon wieder weg. Verloren stand sie vor dem Gepäckband. Woolf war beim weiteren Rendezvous mit Mannboro.

Die Rose blickte sich Hilfe suchend um. Kein Amerikaner weit und breit. Freundliche Gesichter? Fehlanzeige. Dafür kreischten Horden von Hispanos durch die kalte Halle. Waren sie vielleicht versehentlich in Kuba gelandet? Permanent dröhnten spanischsprachige Nachrichten durch die Halle. Das Englisch der Ansagen war zum Wegrennen. Nikki verstand: NADA. Vom Gepäck keine Spur. Sie ließ den Kopf hängen. Ungute Vorahnungen erfüllten ihre Gedanken und sendeten Armeen von Wespen in ihr Herz, das mehr und mehr brannte vor Verzweiflung! „Wo bin ich? Was will ich hier? Und wer ist der Mann, der nicht an meiner Seite steht?“ Am liebsten wäre sie auf der Stelle umgedreht und zurückgeflogen in ihr heiles Zuhause. Doch das gab es nicht mehr, seit die Liebe aus ihrem Leben gerissen worden war. Eine einsame Träne hinterließ salzige Spuren auf der gepuderten Rosenhaut. Sie fühlte sich verraten und verkauft. Da kam der Trost! Ihr roter Samson Light-Koffer rollte auf das Gepäckband. Die Reste ihrer Heimat beinhaltend. Getröstet beim Gedanken an ihre kleinen Kleidchen, hübschen High Heels, geistreichen Bücher, den I-Pool voller Soundperlen und pflegende Schätze an Kosmetika, erstrahlte die Rose. Doch dann befiel sie erneut die Panik. Kein Woolf weit und breit. Er hatte die perfekte Antenne, im Moment des Bedarfs mit Abwesenheit zu glänzen. Wie bloß sollte sie die Koffer vom Band bekommen? Hätte sie den kubanischen Kofferkuli bloß nicht fortgeschickt. Doch Jammern half nicht! Beherzt ging sie auf den Koffer zu, der so schwer schien wie ein Sack voller Steine. Mühsam hievte sie den Koloss vom Band. Und taumelte zu Boden. Erneut. Blutrot vor Anstrengung rappelte sie sich auf. Es folgten Woolfs ferrarirote E-Gitarre und sein schäbiger Stoffkoffer, der aus allen Nähten zu platzen drohte. Sie hob auch sein Gepäck auf den Wagen und sank in einem Schwächeanfall auf das rostige Gefährt. Endlich erschien Woolf. Die Aura kalter Asche umgab ihn wie der Gestank des Todes. „Kräbbchen. Das wäre doch nicht nötig gewesen. Warum hast du nicht auf mich gewartet?“, heuchelte er Besorgnis. Sie schwieg säuerlich. Woolf war ein Macker, der die Frauen machen ließ …

In einem seltenen Moment vollkommener Klarsicht sah sie ihn so, wie er wirklich war. Ohne das Podest der Bewunderung, auf den ihr verliebtes Herz ihn erhob. Ein alter, aschgrauer Angeber in Nadelstreifen, der in seinem Leben nur Spuren aus Asche hinterließ! Ein Trittbrettfahrer des Todes. Ein Rockstar ohne Ruhm, der ihr Geld verschwendete und ihre Liebe verbrauchte wie die Zigaretten, die er in sich einsog. Am liebsten hätte sie sich umgehend aus seiner Gegenwart geflüchtet. Doch: Der Punkt der „Nicht-mehr-Wiederkehr“ schien erreicht. Wohin sollte sie gehen? Allein auf fremdem Grund? Und: wohin mit ihm? Ach, könnte man die Geister, die man rief, doch auch wieder wegschicken. Bei Nichtgefallen: return to sender. Dahin, wo der Pfeffer wuchs. Doch die Welt war nicht Zahlando. Es gab auch keinen Resend-Knopf! Nun merkte gar der selbstverliebte Woolf, dass etwas nicht stimmte. Anstelle von klackklackklack machten ihre Schritte tipptipptipp. Er drehte sich genervt um. „Kräbbchen, komm schon!“ Er grabschte sich ihre Hand und zog sie mit sich. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen … Seufzend folgte sie ihrem rücksichtslosen Rocker und dem voll gepackten Gepäckwagen. Schweigend und schmollend. Sorgfältig darauf konzentriert, nicht zu fallen. Stunden nach der Landung und am Rande der Erschöpfung gelangten sie endlich zum Ausgang. Erleichtert trat sie durch die Tür in die Tropenluft. Und befreite sich aus der Eisenhand des Woolfs. Die Schlange vor den Taxen war endlos. Die Luft war so schwer, dass man sie fast trinken konnte! Leider bestand sie nicht aus Sauvignon Blanc, sondern aus Salzwasser. Nikkis Seele dürstete nach Trost. Da kam ein klappriges Uraltauto auf sie zugerumpelt. Es wirkte alles andere als vertrauenerweckend. Aber: Einem geschenkten Gaul … schaute sie bekanntlich nicht allzu kritisch in den Schlund und auf den Grund.

Woolf stoppte das verdächtige Gefährt. „Taxi?“ Ein fußballrunder Kopf mit schmierigem Schwarzhaar, in Zickzack-Bemühungen um den halbkahlen, ölhäutigen Schädel gelegt, kroch durchs Fenster. Blutunterlaufene Augen starrten sie stoisch an. Woolf, des Wartens müde, öffnete den verbeulten Kofferraum. Der Gestank der Hölle schwappte ihm entgegen. Er ignorierte den Kadaver einer verreckten Katze und hievte die Koffer in den stinkenden Fond des versifften Oldsmobile. Nikki sank mit letzter Kraft und quälenden Halsschmerzen auf den Rücksitz. Bemüht, ihr in den halterlosen Wohlfind-Strümpfen freiliegendes Gesäß von dem ranzigen Fell fernzuhalten, mit dem der Taxifahrer die Rückbank dekoriert hatte. Es stank nach Urin. Und Unheil. „Welcome home“, flüsterte sie düster in den dunklen Nachthimmel. Nie war sie sich einsamer und heimatloser vorgekommen als in diesem Moment!

Woolf, seinen ehemaligen Berufsgenossen besonders zugeneigt, setzte sich vertrauensselig neben den Fahrer. Umgehend zündete er sich eine Zigarette an. „Eh Buddy. Care for a smoke?“ „Thanks, man!“ Schon war die Freundschaft besiegelt. Gierig rauchten der Taxifahrer, sein gönnerhafter Passagier und die Mannboros um die Wette. Klappernd und kläglich kämpfte sich das Gefährt durch die Nacht. Der Himmel war so trüb wie eine verschmierte Kohlezeichnung. Kein Stern erleuchtete das Dunkel. Doch plötzlich explodierte die Skyline von Miami am Firnament. Ein Feuerwerk der Götter. „WOW! That’s fucking beautiful!“ Woolfs zerfurchtes Gesicht erstrahlte. „Hier bin ich Mensch! Hier darf ich sein!“ Der Rausch der Euphorie erfüllte ihn, als hätte er einen Highway Schnee durch die Nase gezogen. Die Rose beobachtete ihn befremdet. Miami war nicht nur ein Tropen- sondern auch ein Drogenparadies. Und beautiful babes gab es hier sicher auch wie Sand am Meer. Ihr Rocker war in keinerlei Hinsicht Kostverächter. Wenn das mal gut ging …

Nach kurzer Fahrt und einer halben Schachtel Mannboro erreichten sie ihr temporäres Zuhause. Das ganz und gar nicht standesgemäße Gefährt fuhr auf die Collins Avenue. Mit quietschenden Reifen und qualmendem Kühler hielt es vor einem schnieken Art Deco-Haus mit palmengesäumter Einfahrt. Die Klapperkiste stand im krassen Gegensatz zur glamourösen Kulisse. „Fifty bucks!“, verlangte der Taxifahrer Für eine Fahrt von einer Viertelstunde ein horrender Preis. Woolf war gänzlich sorgenfrei. Generös warf er dem Fahrer einen Hunderter in die aufgehaltene Hand. Nikki runzelte die Stirn. „Welcome to Miami …“ Willkommen im Wegelagerer-Land! Nun kam der Nächste. Ein livrierter, allerdings nicht gänzlich unattraktiver Portier mit olivfarbener Haut und straff gegelter Gigolo-Frisur hielt mit angewiderter Miene die Tür des Klappergefährts auf. Erfreut erblickte er die netzbestrumpften Beine und den Rest der Rose. Mitgenommen von der Reise, aber nach wie vor elegant, kletterte Nikki erschöpft in die Freiheit. Galant, mit anerkennendem Blick auf ihre zerzauste Amy Weinhaus-Frisur und das kecke Dekolleté, reichte der Portier ihr die Hand. „Lovely lady! Welcome to the Raylight Hotel!“ Woolf betrat mit Zigarette im Mundwinkel die moderne Rezeption. Das Raylight war ein „hip place“! Ein Ort zum Sehen und Gesehenwerden! Woolf bekam sogleich Gegenwind. In den USA war Rauchen in der Öffentlichkeit absolut verpönt! „Excuse me, sir! Can you smoke outside, please!“ Der glutäugige Page verscheuchte Woolf und seine Rauchschwaden aus der Lobby! Lüstern bleckten seine schneeweißen Zähne sich der Rose entgegen. Jetzt hatte er sie für sich. „How can I help you?“ „Check in, please!“ Wieder übernahm die Rose die Zahlung der Zeche. Ihre Kreditkarte jaulte so herzzerreißend wie selten zuvor. Prompt trat Woolf an den Tresen, der gleichzeitig als Rezeption diente. „Ey man! Can you bring us a bottle of champagne to the room!“, verlangte er lässig. Der arrogante Rezeptionist hob die fein geformten Augenbrauen über den schwarzen Augen. Schweigend präsentierte er der Rose, den Woolf nahm er gar nicht ernst, eine Getränkekarte. Der günstigste Champagner, ein Verve Glückgott, nicht rosé, kostete 120 US-Dollar. Doch Woolfs Zunge war an rosa Prickeln gewöhnt. „Diesen hier!“ Die Rose deutete auf die unverschämt teure Variante der pastellfarbigen Dekadenz. „Welcome to Miami!“ Es war bereits ein Uhr nachts Ortszeit. Sie wollte dringlich ins Bett. Obwohl, ein leichtes Dinner wäre nicht schlecht. Die Pampe im Flieger hatte sie selbstverständlich ignoriert. Und somit seit 24 Stunden nichts mehr zu sich genommen. Außer Champagner … Das Prickeln im Magen hatte sich in ein scharfes Brennen verwandelt. Eine Grundlage tat not. „Gerne auch das Food menue!“, bat sie und orderte in Windeseile. Einen Caesar Salat mit Garnelen und viiiiel Tomaten. Und ein Steak mit French fries für den Geliebten, der jetzt doch wieder grau und ungesund aussah. Die Frischebehandlung durch Flug und Asche-Absenz hielt nicht lange vor. Ein wenig Frischfleisch konnte da sicher nicht schaden!

Sie enterten den kleinen Aufzug und landeten in einer winzigen, als Designzimmer getarnten Touristenfalle. Am schlimmsten: das Badezimmer! Ein Loch von maximal zwei Quadratmetern „Größe“, mit durchgefliester Dusche und einem Mini-Waschbecken. Es war die hässlichste Nasszelle, die Nikki je erblickt hatte. Na ja. Nach dem Katastrophen-Koks-Kerker von Woolfs ehemaligem Zuhause. Keine Kaiserwanne. Keine Growth-Armaturen. Nicht einmal eine Ablagefläche für die Vielzahl delikater Kosmetika. Ein Graus! Erschöpft sank die Rose auf die Couch. Woolf lag in voller Montur mit Schuhen und geöffnetem Hosenschlitz auf dem Doppelbett. Da klopfte es „klackklackklack“ an die Tür. „Your order, madam!“ Der Kellner ignorierte den Woolf und stellte in sorgfältiger Umständlichkeit den Kühler mit dem Champagner, die beiden Gerichte mit altmodisch versilberten Cloches, Gläser und Bestecke auf den klapprigen Couchtisch. Der wackelte. Aber zerbarst nicht. Dann hielt er ihr die Rechnung entgegen. 300 US-Dollar!!! Für eine Flasche Prickelwasser und zwei durchschnittliche Tellergerichte. „Welcome to Miami!“ Nikki rauschte das Köpfchen. Doch was tun? Sie unterschrieb die Rechnung aufs Zimmer und legte 30 Dollar als Tipp dazu. Die Zehn-Prozent-Regel war ein Minimum für das kaum bezahlte Servicepersonal. Begierig steckte sich der Kellner die Kohle in die Hosentasche. „Enjoy!“ Zufrieden verließ er das klitzekleine Schlafgemach. Die Rose erhob sich und streichelte ihrem Woolf zärtlich über die blutleere Wange. „Zeit für Stärkung!“ Er erhob sich und torkelte zur Couch. „Was ist denn das für ein Gesöff? Haben die etwa keinen Ruinhart Rosé-Champagner? Kein Kalbfleisch?“ Verächtlich kippte er ein komplettes Glas Champagner in sich hinein und fiel über das blutende Fleisch her. Die Rose pickte derweil diszipliniert in ihrem Caesar Salat. Allzu wenige Tomaten und viel zu viele Knoblauchcroutons störten den Geschmack. Sie spülte es mit dem Champagner herunter. Bitter beobachtete sie Woolf, der, nachdem er sein Filet mit Pommes vertilgt hatte, ein lautes Rülpsen von sich gab.

So also sollte der erste Abend ihres neuen Lebens gestaltet sein? Das musste doch eine Nacht werden, die ewig in Erinnerung blieb! Beherzt warf die Rose ihre Bedenken über Bord. Sie sollte sich nicht sorgen. Sondern leben! Und lieben … „Woolf. Wir haben es geschafft. Lass uns küssen und die Nacht und unsere Liebe unvergesslich machen!“ „Let’s make a night to remember. All life long!” Brian Adam’s Reibeisenröhre aus dem I-Pool begleitete den perfekten Moment! Zärtlich krabbelte sie zu der rauchenden Gestalt des Woolfs und nahm ihm spielerisch die Zigarette aus dem Mundschlitz. Dieser Moment verlangte nach einem Hollywood-Kuss. Doch der Woolf drehte seinen Kopf weg. Ihm die Zigarette zu rauben, ging gar nicht! Was bildete sich diese aufgebrezelte Tussi ein? Sein Herz war frostig wie ein Eiswürfel. Jetzt, wo er am Ziel seiner Träume angelangt war, brach die Kälte seiner Seele aus ihrer Tarnung. Sie hatte allzu viele Schneestürme erlebt. Solche Sünden hinterließen Spuren. Die Rose auf seinem Schoß ließ ihn kalt. Sie schien ihm fremd und fordernd. Eine dekadente Trägheit überkam seinen blutleeren Body. Venus persönlich hätte sich auf seinen Bauch fesseln können. Jegliche Regung blieb aus. Die Demütigung der Ablehnung schmerzte scharf. Nikki lächelte traurig. „Smile. Even when your heart is filled with sadness!” Zum zweiten Mal seit ihrer Ankunft in Miami überkam sie eine grausame Gewissheit. Es gibt sie, diese Momente, in denen wir die Zukunft sehen. Durch die rosa Wolken vermeinte sie einen schwarzen Abgrund am tropenschwarzen Himmelszelt zu erkennen. Beschämt und blutrot kletterte sie vom Schoß des Woolfs. Ihr rosenfarbener Lippenstift hinterließ eine Spur der Verletzung auf seiner hohlen Wange. Angriff ist Verteidigung! Woolf flüchtete sich in träger Stumpfheit über sein männliches Unvermögen in hässlichen Hohn. „Du mit deinen unkonkreten Berührungen!“, äußerte er sich abfällig. „Meinst du etwa, es macht Spaß, deinen mit Tonnen von Lippenstift bemalten Mund zu knutschen? Dein Witwentröster und Liebesknecht zu sein?“ Höhnisch zündete er sich eine neue Zigarette an. Der Frosch verweigerte den Kuss und wurde statt zum Prinzen zum Proleten.

Nikki floh ernüchtert in die Nasszelle. In diesem Moment schwante ihr die schwere Erkenntnis, dass aus Wunsch nicht unbedingt Wirklichkeit wird. Das Schicksal hatte oft anderes im Sinn. Hellwach und nüchtern wie nie zuvor starrte sie in den Spiegel. Das todtraurige Gesicht mit der hängenden Tolle und den fiebrig entzündeten Augen war ihr fremd und vertraut zugleich. Die Hoffnungslosigkeit überrollte sie sanft und sentimental. Gleich den milden Wellen des atlantischen Ozeans, die vom Strand Miamis in ihre Seele schwappten. Ihr wurde schwindelig. Sie sank auf die so kargen wie kalten Fliesen. Nicht einmal in eine Kaiserwanne konnte sie sich betten. Sie fiel in einen erschöpften Schlaf. Der Schmerz im Nacken weckte sie kurze Zeit später. Durchgeflieste Badböden waren kein geeignetes Bett. Halbblind blickte sie sich im Dunkeln des Raumes um. Vorsichtig ertastete sie das Waschbecken und schließlich die Tür. Mit verräterischem Quietschen öffnete sie sich zu ihrem neuen Zuhause. Einem Raum, der nur aus dem Doppelbett, einer kleinen Couch und einem Tisch bestand, auf dem die Reste des Nachtmahls von Fruchtfliegen verschlungen wurden. Sie schwankte aufs Bett zu und schmiegte sich an Woolf. Ihre Sehnsucht nach dem Trost der Zärtlichkeit war in der Fremde umso größer. Doch er drehte sich brummend weg. Er war müde. Seine Seele stumpf. Sein Herz gefroren. Die Kälte der Klimaanlage entsprach seinen Gefühlen. Die Rose wickelte sich in eine Umarmung mit sich selbst, wie ein Embryo. Seitlich, so nahe am Rande des Betts und so weit weg von Woolf wie möglich. Ihre Hände ineinander verschlungen wie bei frisch Verliebten. Selbstgespendeter Trost war manchmal der beste!

Gentleman & Gossenjunge

„Willkommen in Miami. Willkommen zuhause!“ Woolf erwachte voll Glücksgefühl! Er hatte sich im Traum auf einer riesigen Bühne gesehen. In der Royal Albert Hall! Zu Füßen kreischende Babes und ein begeistertes Publikum. Armeen von Höschen landeten auf seinem Schoß. Bereits bei der Zugabe stapelten sich seine fanatischen Frauenfans um seinen athletischen Astralkörper. Doch dann kam sein Kräbbchen auf die Bühne geschwebt, schmiegte sich in seine Arme und verführte ihn mit ihrer Liebe weg von den wilden Weibchen. Polarisierende Gefühle von Entzug und Erleichterung erweckten den Rocker. Sein erster Handgriff des Tages war wie stets der nach seiner Schachtel Mannboro. Rauchend blickte er neben sich. Die Rose schlief tief. Sie sah nicht mehr glamourös, sondern sehr verletzlich aus. Ihre Augen waren verkrustet und der Lippenstift blätterte von den Lippen. Die Kälte, die gestern noch sein Herz auf Eis gebettet hatte, verflog angesichts ihres unschuldigen Antlitzes. Ein Anflug von Zärtlichkeit überkam seine Seele on the rocks. Die Zerbrechlichkeit des Mädchens mit dem zarten Gesicht rührte den Herzmann in ihm. Er wurde zum Gentleman. Ultimative Liebesschwüre enterten seine Gedanken! Für immer würde er ihr Beschützer sein. Ihr Bodyguard durch gute und schlechte Zeiten. Gerührt betrachtete er die schlafende Rose. Seine vernichtende Boshaftigkeit war verschollen. Romantik brachte das kälteste Herz zum Schmelzen. „Wach auf, mein Röschen!“ Zärtlich strich er ihr über die vom Schlaf geröteten Backen.

„Wo bin ich, wer seid ihr“? Die Rose erwachte aus dem Tiefschlaf und blickte blind blinzelnd auf ihre MegaO. Sie zeigte fünf Uhr früh. Die Zärtlichkeit, mit der Woolf sie betrachtete, berührte ihr Herz. „Warum bist du so früh so wach?“ Sie blinzelte besänftigt in sein liebevolles Antlitz. Die Befremdung der Nacht zuvor schlich aus ihrem Herzen. „Kräbbchen. Komm. Wir müssen zum Sonnenaufgang an den Strand!“ Nikki blickte mühsam aus den verkrusteten Augen. Mister Sandman hatte es allzu gut gemeint. Sie hatte den Sandstrand von Miami in den Augen. Misstrauisch blickte sie auf Woolfs asketische Gestalt, die nackt neben ihr lag. Das Gemächt geschwollen. Seine Launen waren so sprunghaft wie seine Seele, die ständig Salto sprang. Entweder sprudelnd vor Euphorie oder taumelnd vor Traurigkeit. „Either sadness or euphoria!“ Heute war er war bestens gelaunt und strahlte wie die Sonne, die er beim Aufgehen bewundern wollte. Seufzend ließ sie sich aus dem Bett ziehen und schwankte verschlafen ins Bad. Einen sehnsüchtigen Blick auf seinen Schoß konnte sie sich nicht verkneifen. Doch: Die aufgehende Sonne rief! Sie schloss die Tür der schwülen Badzelle. Furchtsam blickte sie in den Spiegel. Heute war er NICHT ihr Freund. Ihre Tolle war dank der tropisch feuchten Luft zusammengefallen wie ein Baiser im Regensturm und rettungslos verklebt zu einer unlösbaren Masse feiner Flusen. Klebreis auf dem Kopf. Operation Renovation aussichtslos. Sie krallte sich verzweifelt ein paar Haarklammern und sprühte Salven von „Beton Hair“ auf die kärglichen Reste ihrer Frisur. Auf Lippenstift verzichtete sie wohlweislich. Dann schlüpfte sie in das schwarze Plisseekleid. Doch was war das? Durch die Luftfeuchtigkeit schien sie über Nacht aufgedunsen. Als sei sie in wenigen Stunden fünf Kilo schwerer geworden. Der Reißverschluss klemmte. Ihr Armada-Kleid verweigerte sich dem Dienst der Rose. Sie zog und zog, bis sie Blasen an den Händen hatte. Rot wie die Not wand Nikki sich wie ein Wurm, der in sein Gewand wollte. Stöhnend, „ziiiiip“, gehorchte der Reißverschluss schließlich. Die plötzliche Enge des Kleiderkorsetts raubte ihr die Luft. Doch der Blick in den Spiegel verriet endlich Entwarnung! Die Rose war wieder einigermaßen repräsentierfähig und schlich aus dem Bad. Mit einem Lächeln, das mehr Selbstvertrauen versprach, als es hielt. Woolf hatte einen Rest in der Champagnerflasche entdeckt und hielt ihr die Pulle hin. „Auf unsere Liebe. Auf unser neues Leben!“, prostete er ihr zu. Sie trank das schwülwarme, nicht mehr prickelnde Pfützchen aus. Die Landung im Land der Wegelagerer war durchwachsen und entmutigend gewesen. Doch ihr Woolf war vom Oberarschloch wieder zum Rosenkavalier gewandelt. Jeder erwachende Tag kann den Beginn eines neuen Lebens bedeuten. Sie lächelte hoffnungsvoll.

Der Tag begann zu erwachen. Die Vögel zwitscherten wie Blumen, die erblühen. Woolf nahm Nikki an die Hand. Sie waren Gefährten auf dem Weg in ein neues Leben. Sie waren ein außergewöhnliches Paar. Nikki im schwarzen Kleidchen. Er im weißen Bademantel. In dem Gewand sah er aus wie ein Yogi. Der Mantel war für üppig proportionierte Amerikaner geschnitten. Um ihn flatterte er wie ein Heiligengewand. Seine Gitarrendrahtlocken waren dank der Luftfeuchtigkeit kraus gelockt. Sein nicht mehr ganz so graues Gesicht wirkte wieder jungenhaft. Aus der Minibar entführten sie eine Flasche Chablis und – die Minibar enthielt erstaunliche Überraschungen – ein Paar Badeschlappen wie perfekt gemacht für Woolf. Monsieur Sauvignon Blanc war noch nicht in Miami angekommen … Woolf führte sein Kräbbchen stolz in den Garten des Raylight Hotel. Vorbei an dem unverschämt großen, nierenförmigen Pool, durch das Tor zum Strand. Dort sanken sie in den Sand. Er umarmte sie fest. ER WAR DER KÖNIG VON MIAMI. Und sie seine Königin. Die strahlenden, rosafarbenen Schlieren der aufgehenden Sonne vertrieben das Dunkel der Nacht. Dann stieg sie empor. Wie ein gleißender Feuerball. Der Mond, voll und rund, blickte blass auf das Schauspiel. Er würde die Nacht erhellen. Wo Dunkel war, gab es immer auch Licht … Woolf nahm das Gesicht der Rose in seine starken, nach Asche riechenden Männerhände. Dann senkte er seinen schmalen Mund auf die ungeschminkten Lippen. Sie küssten. Und küssten. Und küssten … Dann zog er sie auf sich und liebte sie sanft und sinnlich. Langsam und ohne das erblühende Rosengesicht mit den sehnsüchtigen grünen Augen aus dem Blick zu lassen. Die Welt stand still, als sie in Lust erbebten. Ein Blitz am Himmel machte ein Foto für die Ewigkeit. Das war ein Moment, der für immer währte!

Doch dann löste sich Woolf von der Rose. Und zündete sich eine Mannboro an. „Zeit für Mister Chardonnay!“ Er schenkte ihnen die Plastikbecher voll des fruchtigen Weins. Sie saßen und tranken und hießen den Tag willkommen. Erste Jogger stählten ihre Astralkörper mit einem Morgenlauf. Das Liebespaar sank in einen süßen Schlaf. Sie erwachten, Stunden später, von der Sonne gepiesackt. Auf dem Rosengesicht erblühten Hunderte von winzigen Brandbläschen. Die Visage von Woolf war indianerbraun und wie gegerbt. „Kräbbchen. Komm! Lass uns Miami rocken!“ Er war abenteuerlustig. Sie belullt. Die Erkältung durch die Klimaanlage raubte ihr die Stimme. Sie nickte stumm und ließ sich führen. Es ging auf die Lincoln Road. Kurz vor zehn machten gerade die ersten Geschäfte auf. Ein Jeansladen war zuerst offen. Woolf wollte die geschlitzte Hose loswerden! Eine schwarze Leeweiss war das Beinkleid seiner Wahl. Die Jeans war weder modisch gebleicht, noch hatte sie Löcher an falschen oder richtigen Stellen. Trotzdem sah sie am Woolf aus, als hätten sie gemeinsam hundert Jahre überstanden. Sein knackiger Hintern wirkte unwiderstehlich sexy, als er aus der Kabine kam. Allerdings bekam seine gesamte Erscheinung etwas Primitiv-Proletarisches. Nikki blickte bestätigt! Kleider machten Leute. Aus dem eleganten Gentleman im Vernaschmich-Anzug war ein schnittiger amerikanischer Gossenjunge geworden. Ein weißer Cowboyhut und ein hautenges schwarzgraues T-Shirt vervollständigten den Räuberlook. Lediglich die Füße in den Raylight-Schlappen passten nicht perfekt zum Rockstar Look. Nikki zuckte mit den Schultern. Das Leben war zu kurz, sich über Petitessen zu ärgern. Wahre Liebe störte sich nicht an Äußerlichkeiten. Innere Werte zählten! Seufzend folgte sie Woolfs Knackarsch und begab sich mit der Kreditkarte zur Kasse. Der arrogante, schwule Verkäufer hatte nur Augen für Woolfs Hinterteil in der Leeweiss. „Hmpm. Can I pay, please!“ Die Rose zahlte wie stets die Zeche. Seufzend wandte der Jeans-Beau den Blick von Woolf. Er blickte despektierlich auf die zierliche schwarze Gestalt mit der zusammengefallenen Tolle und den blasen Lippen. Mehrfach zog er die Karte durch das Lesegerät. Das empfing kein Signal. „Zahlung verneint“ erschien auf dem Schirm. Die Rose wurde doppelt rot. „Try again! It really works!“ Woolf tat so, als kenne er die Rose nicht. Endlich, mehrere Versuche des Durchziehens und zwei alternative Kreditkarten später, wurde die Karte akzeptiert. Nun nahm Woolf seine Rose wieder in den Arm. Er führte sie aus dem eisgekühlten Laden in die tropische Schwüle. Sie schwankte schwächelnd.

Der Stress, die Grippe und der Jetlag forderten ihr Tribut. Sie fanden ein Café und sanken in die Sonne. Ihr Gesicht kribbelte, als hätten Hunderte von Ameisen ihre Spuren darauf gelassen. Sie hatte versucht, die Bläschen mit der Nähnadel im Necessity-Kit aufzustechen. Ein vergebliches Unterfangen! Woolf hingegen genoss das Sehen und Gesehenwerden! Auf der Lincon Road erwachte der Trubel. Allerlei verfettete Amerikaner schlurften in Schlappen über den Runway. Touristen, die die Paradiesvögel begafften, die sich hier zur Show stellten. Ein als Frau verkleideter Bodybuilder mit weißblondem Rapunzelhaar und tätowierten Muskelbergen fuhr auf einem Skateboard an ihnen vorbei. Personifizierte Bulldozer führten ihre Kampfhunde vor. Menschen und Tierchen, gefunden in ihren Pläsierchen. In Miami gab es nichts und niemanden, der wegen seiner Andersartigkeit gemobbt wurde. „Kräbbchen! Hier kriegst du mich nicht mehr weg!“ Woolf war entschlossen, dieses Paradies zu seinem zu machen. Nikki blickte besorgt. Was war mit ihrer Marketingkarriere? Ihrer Familie? Ihren Freunden? Wovon sollten sie das Leben in diesem Wegelagerer-Land zahlen? „Mensch, Kräbbchen. Jetzt guck nicht so bedröppelt! Du hast den besten Mann der Welt. Ich werde uns reich machen!“ Woolf strahlte vor Selbstglorifizierung in seinem neuen Gossenjungen-Rockstar-Outfit. „Waiter. Wine, please!“ Er wusste, wie man die besorgte Seele der Rose beruhigte. Er orderte eine Flasche Weißwein. Das war SEIN Moment im Leben! Er hatte gefühlte Millionen Jahre lang darauf gewartet! Nikki musste überzeugt werden, zu bleiben. Hier und jetzt! Müde, aber durch die Hitze und den Weißwein milde gestimmt, lauschte die Rose den aggressiven Argumenten ihres Geliebten. Er meinte es ernst. Keine Frage. Schon wurde er fordernd! „Was ist mit dem Arsch von André de Plaisir? Das ist doch angeblich dein Freund. Der soll uns hier ein Entry verschaffen! Pronto!“ Diensteifrig rasten ihre flinken Finger über die Tasten ihres Blackberry. „Lieber André, wir sind in Miami angekommen. Dinner heute Abend? Nikki“. Keine fünf Minuten später kam die Antwort. „Bling!“ Die eingehende Nachricht wurde im roten Signalton angezeigt. „Willkommen! Bin am Shooten. Short dinner um 9 pm, Collins Avenue 22?“ „OK! Wir freuen uns!“ Woolf lehnte sich entspannt zurück. Sein Reich war gefunden! Sein Kräbbchen würde es für ihn erobern.

Shortlist zum Success

André de Plaisir saß bei seinem Lieblingsitaliener. Ein Glas Chiantiglück vor sich. Da sah er sie sich nähern. Ein Paar wie aus einem Film! Nikki Rose, elegant und irgendwie unwirklich wirkend, wurde geführt von Woolf. Der strotzte vor Männlichkeit und Arroganz. Im Gossenjungen-Outfit. Mit gekräuselten Gitarrendrahtlocken. Eine Aura von Glamour umgab das Paar. Naserümpfend führte Woolf die Rose in das wenig repräsentative Ristorante. „In was für einen Schuppen hast du uns denn hier geführt?“, blaffte er André zur Begrüßung an. Der umarmte erst einmal die Rose. Sie wirkte zart, zerbrechlich und schutzbedürftig. Vor allem vor dem rasanten Rocker, der sich selbstgefällig auf den Sessel schwenkte. „Also, Alter! Jetzt sind wir hier! Mach mich berühmt und reich!“ Woolf kam sogleich zur Sache. Was geht, geht gleich! Wusste er. Dieser eingebildete Knipser hielt sich für Hemut Newtown. Doch bestimmt war er nur scharf auf sein Kräbbchen. Argwöhnisch beobachtete er, wie André fürsorglich sein Jackett um die schutzlosen Schultern der Rose legte. Auch in diesem Etablissement war die Klimaanlage auf Eiszeit eingestellt. „Erst einmal: Welcome to Miami!“, begrüßte André das Paar, das sich gleichermaßen vertraut, aber auch vollkommen fremd gegeneinander verhielt. Woolf strotzte vor Aggression. Die Rose wirkte schwermütig und sentimental. Er führte das Wort. Sie relativierte gequält. In unbeobachtet geglaubten Momenten die Augen zum Himmel verziehend. „Wie sind denn eure Pläne?“ „Pah! Ich rocke Miami und mache hier als Künstler Karriere! Mein Kräbbchen macht das Marketing und meinen Manager!“ André beobachtete, wie die Rose zusammenzuckte. Woolfs überoptimistische Vorstellungen waren nicht mit ihrem Realitätssinn vereinbar. Die Wirklichkeit sah oft anders aus als ein Wunschkonzert. Auch und ganz besonders in Florida! Der Fotograf, der sich hier seit Jahren hocharbeitete, wusste das allzu genau.

„Naaa jaaa …? Ordern wir erst einmal was zu essen!“ André dehnte die Worte wie Bandwürmer. Mitleidig erkannte er die Besorgnis im Blick der Rose. Mit tapferem Lächeln raffte sie sich auf. „Cheers! Es wird schon werden!“

Mit einem unsäglich schweren Chianti stieß sie mit ihren Begleitern an. André übernahm die Gesprächsführung. Er redete der Rose aus der Seele. „Mensch. Du hast doch einen Mörderjob bei Armada. Den kannst du doch nicht einfach sausen lassen!“ Der Fotograf hatte natürlich auch seine eigenen Interessen im Sinn. Ein Shooting für Armada zum Honorar von Stevie Meise wäre eine willkommene Rettung, um seine völlig verschuldete Situation in den Griff zu bekommen! Sein Apartment im Tower, direkt am South Point, war millionenschwer. Und die Kunden kürzten permanent sein Honorar. Was war der Welt die Kunst noch wert heutzutage??? Ein schwarzer Schatten bewölkte das Gesicht der Rose. Ihre Enttäuschung über die fatale Entwicklung entwich ihren heute herrlich himbeerfarbenen Lippen. „Nun ja. Meine Situation bei Armada ist mittlerweile völlig verfahren. Das neue Management hat umstrukturiert. Meine Blütezeit dort ist vorbei! Ich muss sehen, wie ich da jetzt am besten rauskomme.“ Woolf fiel ihr wütend ins Wort. „Diese miese Metzgerbande hat dich doch gar nicht verdient! Du bist doch Perlen vor Säue! Besser machst du MICH berühmt. Ich habe das Zeug, zum King of Rock zu werden! Vergiss die Armleuchter. Die zocken wir noch ab und dann ADIEU!“

André nickte mitleidig. Er erkannte die Situation auf der Stelle! Der Plan des Woolfs war größenwahnsinnig. Er hatte NICHTS außer einem großen Mundwerk und einer unglaublich aggressiven Ausstrahlung. Sie war erfolgreich, aber dabei, alles für den Woolf aufzugeben, was sie sich im Leben erkämpft hatte. Die Ressourcen mussten limitiert sein. Der Verstand der Rose war liebesverblendet. Die Schleier der Trauer in ihren außergewöhnlich schönen Augen verrieten: Sie war über den Verlust ihrer VIEL GLÜCK!!!