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„Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?“

Matthäus 16:26

1. Auflage September 2016

Zuvor erschienen:

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

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DAS LIEBESVERBRECHEN

von Nicole Rose

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„Die Liebe ist eine berauschende Droge,
die dich auf Flügeln durchs Leben trägt.
Doch wie viele Bewährungsproben kann sie ertragen?
Wann ist die Sollbruchstelle erreicht?
Wann ist es richtig zu bleiben? Wann ist es notwendig zu gehen?“

Nicole Rose

DAS LIEBESVERBRECHEN

TEIL 6: DAS FAMOSE FINALE!

DIE WELT ZU FÜSSEN?

EIFERSÜCHTIG AUF EINE ZIGARETTE

TEUFELS SPAGHETTI

HITLERS HOROSKOP

DIE NACHT DER DUNKLEN SEELE

FALSCHER FRIEDE

DER WAHNSINNSRITT

UNIVERSUM, HILF!

RAN AN DIE MILLIONÄRE

THANKS FOR GIVING

DIE BLUTROTE KONTOKARTE

VERFÜHRUNG DER SINNE

LUST ODER LIEBE?

RAUSVERHAU DER SEELE

DIE LETZTE RETTUNG?

MAN SOLLTE DAHIN GEHEN, WO ES WAS ZU HOLEN GIBT

AUDITION BEIM MÜLL-MILLIARDÄR

AUSVERKAUF IM PARADIES

THE UNINVITED GUEST

FLUCHT NACH VORNE

ENDE ODER ANFANG?

BRUCH & BEGINNING

MIRACLE! NOW!

CAUGHT IN A TRAP

DER ROSENKRIEG

APFEL DER VERFÜHRUNG

GRÄFIN GESUCHT

HITLER, HILF!

NEUER APFEL – NEUER LOOK!

ORGIE AM OZEAN

ATTACKE DER HEELS ANGELS

HETZJAGD ZUR HÖLLE

DER TEUFEL IST TOT. ES LEBE DER TEUFEL?

DAS GUTE, DAS BÖSE & DIE GRAUZONE

DIE WELT ZU FÜSSEN?

Der Ozean glitzerte so verführerisch wie ein Meer aus Rohdiamanten. Er versprach Ruhm und Reichtum. Die Welt lag ihnen zu Füßen. Der Himmel war so grenzenlos wie ihre Möglichkeiten, in dieser Wahnsinnsliebe und dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten das ganz große Glück zu finden. Gleich groß war allerdings die Gefahr, dass sie geradewegs auf ein Desaster zusteuerten. Die Flügel des Fliegers senkten sich. Der Pilot nahm Anflug auf den Flughafen von Miami …

Erfolg oder Misserfolg? Glück oder Unglück? Aufstieg oder Absturz? Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Wüssten wir es, würden Wege nicht beschritten, Geschichten nicht geschrieben und Träume nicht zu Wirklichkeit werden … Das Lied, das wir für unser Leben komponieren, stimmt nicht immer mit der Melodie des Schicksals überein. Zwischen Tragödie und Komödie liegt oft nur ein schmaler Grat. Sind wir wirklich unseres Glückes Schmied? Oder überschätzen wir unsere Macht? Woher können wir tatsächlich wissen, welcher Schritt in höchste Höhen und welcher Tritt in ein tiefes Tal der Tränen führen wird? Man kann eine Entscheidung nicht verifizieren oder falsifizieren. Die unterschiedlichen Entwicklungen sind weder vorhersehbar noch vergleichbar. „Was wäre wenn?“ ist eine Frage ohne Antwort! Und manchmal sind es gerade die steinigen Wege, die zu uns selbst führen!

Nikki kuschelte sich Trost suchend in die Arme des Woolfs. Vorsichtig. Damit die Drei-Wetter-Taft-Turm-Frisur nicht ruiniert wurde. Sie suchte Schutz. Ausgerechnet bei Mister Desaster persönlich. Ein naives Lächeln voll Liebe und Zutrauen erstrahlte auf ihren heute himbeerfarbenen Rosenlippen. An der Seite ihres Geliebten fühlte sie sich unbesiegbar. Ganz anders stand es um die Gefühlswelt ihres Gemahls. Woolf starrte sinnierend aus dem Fenster. Er hatte sich in düstersten Fantasien verloren. Die Inventur seines Daseins ergab keinen Sieg. Sie zeigte eine GRANDE CATASTROPHE! Die Schmähungen des Aufenthalts in Deutschland setzten ihm derb zu. Das Leben hatte ihm die Rechnung serviert. Sie war blutrot. Seine Söhne hatten ihn verraten. Sein Ex-Weib wollte ihn im Knast sehen. Er war ein abhängiger Appendix seiner Rose. Ein Gefangener in den Fallstricken der Ehe. Gebändigt und gezähmt wie ein Säbelzahntiger im Zoo. Ein Rochen mit giftigem Stachel im Aquarium. Mit nur einem Opfer, das er stechen konnte … Aggressiv blickte er auf das Rosenköpfchen hinab. Das Böse in uns trifft stets unsere Liebsten! Das Gift in Woolfs Blut pochte in seinen Adern. Seine gewalttätigen Gedanken rauschten wie ein ICE auf Speed durch die Gleise seines Gehirns. Begleitet vom spöttischen Gesang der Pleitegeier! Er hörte sie laut und hämisch singen. „Hahahaha!“ Die Melodie des Spottes klang schäbig. Woolf war euphorisch in seiner Wut. Er hatte die Arschkarte des Universums gezogen! Sein Schicksal war die reinste Schikane! Er hatte keine Mittel mehr, sich zu wehren. Er war fünfzig und so grau wie ein Grab. Fazit seines Lebens: komplettes Versagen! Er war ein Wrack von einem Mann. Innerlich und zunehmend auch äußerlich! Der Blick in den Spiegel der kleinen Klokabine zeigte einen müden, ausgelaugten Schatten von Mann, zunehmend eine Karikatur seiner selbst. Die Spurrinnen in seinem vormals jungenhaften Gesicht wurden zu tiefen Gräben. Sein Mundschlitz war so schmal und blutleer wie ein Bleistiftstrich. Woolfs Selbstbild als King of Rock & Schmied seines Lebensglücks hatte noch nie so wenig Bezug zur Realität gehabt! Optisch wäre er als eine Keith-Richards-Parodie für Arme durchgegangen! Qua Falten und Furchen und grauen Gitarrendrahtlocken konnte er ihm durchaus Konkurrenz machen. Bezüglich der harten Währung von Ruhm und Reichtum jedoch? Erfolg und Anerkennung? Fehlanzeige! Sein Versagen war nicht mehr zu verdecken! Vor nichts und niemandem! Das war unerträglich! Warum hatte Keith Richards in der Lotterie des Lebens den Sechser gezogen? Und er wieder und wieder und wieder die Niete? Seine Bestandsaufnahme war erniedrigend. Sein Lebenskonto war in allen Belangen überzogen. In ihm brodelte der pure Hass! Whisky und Koks steigerten dieses Gefühl ins Unerträgliche.

Der Flug war lange und nervenzehrend. Die Zeit zog sich wie nasser Zement. Seine Leber schrie nach Alkohol. Seine Lunge gierte nach Nikotin. Sogar sein teerreicher Treibstoff wurde rar. Zigaretten musste er wohl bald wieder rationieren. Drogen schon seit Langem. Rock ’n’ Roll Lifestyle? Fehlanzeige. Und das im Leben des KING OF ROCK!?! Was war mit Sex? Den Groupies? Erotischer Ekstase? Seit er Nikki kannte, war er monogam und beschränkte sich auf „Blümchensex“. Ausschließlich mit der EIGENEN EHEFRAU. Er blickte zornig auf das naive, rosige Geschöpf, das unter dem beschützenden Schild der Drei-Wetter-Taft-Frisur vertrauensvoll in seinen Armen schlummerte. Ihre Unschuld stachelte seinen Zorn an. Doch sogar Woolf war noch nicht vollständig zum Eisklotz mutiert. Ihr verletzlicher und rührender Anblick stach ihm trotz allem Zorn ins Herz. Auch sein Gewissen war noch nicht gänzlich betäubt. Vorwürfe, schwer wie Steine, belasteten ihn. Selbsterkenntnis blitzte durch den Nebel der reichlich konsumierten Betäubungsmittel. Er war dabei, es wieder einmal zu versauen. Das Leben hatte ihm eine dritte Chance und Ehefrau geschenkt. Doch auch diese wahre Liebe hatte tiefe Risse bekommen. Er ahnte: Er würde sein Kräbbchen nicht halten können. Er würde sie, wie alle anderen zuvor, verlieren! In seiner Vorstellung sah er das Zerwürfnis voraus. Sah seine Rose auf High Heels mit gepacktem Koffer aus seinem Leben spazieren … Das durfte nicht geschehen! Er ballte die Faust und fluchte zum Himmel. Der Cocktail seiner Gefühle war gemeingefährlich und ließ keine klaren Gedanken mehr zu! Nur noch einen Vorsatz! ER WÜRDE SEINEN HIGHWAY TO HELL IN EINE STAIRWAY TO HEAVEN VERWANDELN!

In Woolfs Kopf kribbelte es, als feierte ein Dutzend Wespen darin eine exzessive Party! Selbstverständlich all inclusive: Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll! Seine Gitarrendrahtlocken standen elektrisiert zu Berge. Er war auf Krawall gebürstet. Er hob den Mittelfinger obszön in die Luft. Ja! Er würde dem Schicksal den Stinkefinger zeigen! Er starrte seine Rose an. Stupste sie unzart. Wollte sie wecken. Sie musste ihren Deal mit ihm, dem Devil, erneuern. Doch seine hingebungsvoll an ihn gekuschelte Rose war verloren im Nirwana eines rauschhaften Schlafs. Sie war deutlich angeschlagen. Ihr Erbe war so gut wie verjubelt. Die berufliche Karriere war durch die Metzgermeister von Armada und sein kriminelles Zutun gefährdet. Ihre Existenz in Miami stand auf dem Spiel. Da half nur noch eines: Betäubung der Betrübnis! Ihr zierlicher Körper war durch die großen Sorgen und den reichlich genossenen Weißwein auf der Reservebank zwischengelagert. Sie schwelgte in den rosigen Wolken eines zuckersüßen Liebestraums. Atmete leise und lächelte schwärmerisch. „Ich bin ein Arschloch!“, gestand Woolf sich in einem sehr seltenen Moment der schonungslosen Einsicht. Trotzdem hielt sie zu ihm. Voll Hingabe und Opferbereitschaft. Die Sonne schien durch das Fenster des Flugzeugs und zauberte eine Art Heiligenschein um die betonsichere Turmfrisur. Woolf knabberte, schwindelig vor Nikotinentzug, an seinen nach Asche schmeckenden Fingern. Er fühlte sich wie ein Foodie auf Nulldiät. Seine Beine fingen an zu zittern. Seine Kehle begann zu rasseln.

Die ungemütliche Geräuschkulisse weckte die Rose aus dem Tiefschlaf. Sie sah verträumt auf und blickte ihn verliebt an. Sobald sie sein vertrautes Profil erkannte, setzte der Weichzeichner der Gefühlsverblendung ein. Sie sah das Gute in ihm. Aber sie fühlte auch den lauernden Abgrund. Sie wusste, wie schmal der Grat dazwischen war. Die nächsten Wochen würden entscheiden, ob ihre Liebesgeschichte ein Happy End feiern durfte. Oder ob sie gnadenlos scheiterte. Sie seufzte. Das durfte sie nicht zulassen! Nach wie vor war die willensstarke Rose felsenfest entschlossen, alles Menschenmögliche zu tun, um ihr Liebesglück zu retten. Ihre Gefühle zu Woolf waren so tief wie ein Fluss. Einmal darin versunken, war das Wiederauftauchen eine schier übermenschliche Kraftanstrengung für Körper und Seele. Eine Zerreißprobe des Herzens! „Woolf, ich liebe dich!“, hauchte sie in Richtung seiner grauen Schläfen! Sie verliehen selbst dem rüden Rocker eine vornehme Aura und würdevolle Ausstrahlung. Er musste doch halten, was sein Aussehen und seine Ansagen versprachen?! Ihr unverwüstlicher Glaube an das Gute gewann. „Piece of mind“, Zuversicht und Müdigkeit überfielen sie erneut. „Es wird schon alles gut gehen!“, murmelte sie ihr Lebenscredo. Dann kuschelte sie sich zärtlich an ihn und schlummerte erneut ein.

Woolf hingegen bebte vor Aggression. Das Liebesgeständnis der Rose verstärkte seine Verzweiflung. Die Liebe der Rose, die stets so leicht, lieblich und komfortabel gewesen war, fing an, schwer auf ihm zu lasten. Er sah keinen Ausweg mehr aus dem Labyrinth, in das ihn seine Lebenslügen verstrickt hatten. Es wurde eng! Von Luft und Liebe alleine konnten sie nicht leben. Seine Unfähigkeit, qua Disziplin, Anstrengung und dem gewissen Quentchen Glück mit seinem musikalischen Talent seine grandiosen Lebensvorstellungen zu finanzieren, war sein Lebensfluch! Immer und immer wieder hielt ihm sein Schicksal die Rose vor die Nase. Und zog sie ihm wieder weg. Er stieß die Personifizierung seines Lebensfluchs entschieden von sich und rappelte sich zum Sitzriesen auf. Er war der Meister der Illusion. Auch körperlich! Sein Oberkörper war zu Ungunsten seiner Beine deutlich überproportioniert. Er machte mehr her als er war. Das musste er endlich umkehren! Sein Leben musste sich ändern, und zwar jetzt sofort. Er legte seine Schuldgefühle ad acta und ließ den Hass auf sein Leben gedanklich an der Rose aus. Sie war als Schuldenbock bestens geeignet! War SIE nicht seine MANAGERIN? Keinen Cent hatte sie ihm bislang eingebracht!!! Er spuckte auf sie hinunter. Alles musste man selbst machen! Es war Zeit, zum Angriff überzugehen! Er brauchte einen Schlachtplan! ACTION!

Woolf steigerte sich in Rage! HELLO!!! Er war ein Rocker. Kein Liebeskasper! „Money for nothing and the chicks for free!“ DAS war seine Religion! Er brauchte Alkohol. Weiber. Drogen! Er sah sich suchend um. Und fand zumindest einen Dienstboten für seine durstige Kehle! „Du schwule Saftschubse. Her mit dem Whisky!“, rief er lauthals grölend den schnuckeligen Steward herbei! Der seufzte schwärmerisch. Dieser Typ war in seiner aggressiven Männlichkeit so was von sexy. Er kredenzte ihm einen doppelten Johnny Walkman und blieb mit dem Nachschub in der Nähe. Woolf legte nach. Seine Kehle war ein Fass ohne Boden. Er kippte den Whisky. Auf Ex. Noch einen. Und noch einen. Starr blickte er, vom scharfen Alkohol süß benebelt, um sich. Nichts als Fettsäcke im Flieger! Alle verfressen und verweichlicht! Angewidert beobachtete er, wie sich die Meute das gerade servierte Frühstück in die Bäuche stopfte. Er war auf Flüssignahrungsdiät! Er gönnte sich einen weiteren Whisky. Der wärmte die Kehle und befeuerte seine Gedanken. Er schloss die Augen und sank in einen Wachtraum. Der katapultierte ihn dahin, wo er hingehörte. Auf die Bühne. In die Royal Albert Hall. Wohin sonst?

Er stand breitbeinig vor einem Millionenpublikum und entlockte seiner blutroten Ferrari-Gitarre orgiastische Töne. Er war begeistert von sich. Optisch. Olfaktorisch. Ohrenbetäubend. Er sah aus wie Alice Cooper im legendären „Poison“-Video. Schwarze Lederhosen mit mächtiger, nietengeschmückter Ausbuchtung vor der Leibesmitte. Sein schnittiger Schwengel stand schon wieder sexbereit senkrecht in die Höhe. Seine Pistole war schussfertig wie stets! Sein offenes Flatterhemd offenbarte die haarlose Brust geölt und geschwellt. Lange, engelsweiche blonde Locken rieselten an seinem langen Gesicht hinab. Die grauen Gitarrendrahtlocken waren von gestern. Dafür krönte ein fescher weißer Cowboyhut sein Haupt. Er verlieh seinem spitzen Gesicht etwas von einer Eidechse. Sein Look wurde vervollständigt durch die ultimativ coole, verspiegelte Sonnenbrille, hinter der er seine eisgrauen Augen versteckte. Die Fenster zu seiner Seele waren verschlossen. An den Füßen wurde sein King-of-Rock-Look perfektioniert durch zur Ferrari-Gitarre passende, blutrote Schlangenlederstiefel. Im Mundwinkel durfte die unvermeidliche Zigarette natürlich nicht fehlen! Er roch nach Opium für den Ochsen, Zigaretten und Whisky. Woolf war bei sich angekommen! Er entsprach einer explosiven Mischung aus Keith Richards, Richie Schwarzmoor und Udo Lindenstange. Der King of Rock war gelandet! Er hieb in die Saiten seiner Gitarre. Torkelte grölend über die Bühne. Gequältes Gejammer überflutete die ehrenwerte Konzerthalle. Jetzt fühlte Woolf sich unbesiegbar. Frenetischer Beifall begleitete den OHRENKREBS, den die malträtierte Gitarre verursachte. Kreischende Groupies warfen ihm ihre Höschen zu. Die Meute vergötterte ihn! Er war im ultimativen Rockstar-Himmel angekommen.

Woolf ergötzte sich an seinem Wunschtraum. Er grinste mit geblecktem Iggy-Pop-Gebiss angewidert auf seine Fans hinunter und hielt dem Volk seinen Stinkefinger entgegen. Absurderweise schmeckte die Befriedigung schnell schal. Wie ein Orgasmus, dessen Wirkung allzu schnell verpufft. Wie eine Mahlzeit, die man ersehnt und hinuntergeschlungen hat. Um sie dann wieder auszukotzen. Er brauchte nachhaltigere Genugtuung. Er gierte nach Rache! Dieses Publikum war peinlich! Alles Arschlöcher! Erst hatten sie ihn ignoriert, dann belacht, dann bekämpft. Jetzt krochen sie ihm in den Allerwertesten! Er würde ihnen ALLES heimzahlen. Die lebenslangen Enttäuschungen und Entsagungen, die er fünf Jahrzehnte lang hatte ertragen müssen, schmeckten bitterer als Galle. Er brauchte größeres Kino! Gewalt war seine Rache! Zerstörung sein Ziel! Mit geblecktem Gebiss grinste er ins Publikum. In der Sonnenbrille spiegelte sich die frenetische Fangemeinde. Na wartet! Denen würde er zeigen, wie wenig sie ihm wert waren. Woolf entzündete ein zehn Zentimeter langes Zigarren-Zündholz. Hielt es an seine Gitarre und wartete, dass sie entflammte. Doch die Gitarre war zäh. Er brauchte Verstärkung! Der hochprozentige Whisky aus seinem Flachmann war der perfekte Kraftstoff für seinen Fidibus. Fender und Feuer vereinigten sich explosiv. Seine Gitarre stand blitzschnell in Flammen. Er fuchtelte panisch mit den Armen. Bloß nicht persönlich Feuer fangen … Dann schleuderte er das brennende Instrument ins Publikum. Er lächelte sardonisch. Richie Schwarzmoor hätte es seinen Fans nicht teuflischer besorgen können. Er traf mehrere Häupter an vorderster Front. Deren im Stil der 80er Jahre gestylte Vornekurzhintenlang-Frisuren voller Haarspray brannten bereitwillig. Die Flammen vermehrten und verbreiteten sich sekundenschnell in der eng gefüllten Konzerthalle. Panik verbreitete sich beim Mob. Verzweifelte Fluchtversuche scheiterten. Die schweren Tore der Konzerthalle waren verschlossen. Zusätzlich versperrten gigantische Muskelberge von Türstehern den Weg. Die Situation eskalierte. Woolf, ganz Zeremonienmeister der Zerstörung, genoss das Schauspiel von der Bühne aus. „HARHARHARHARHAR! Jetzt wisst ihr, mit wem ihr es zu tun habt! Darf ich vorstellen: Woolf Barzokka. Der Teufel persönlich! Mich vergesst ihr nie mehr!“ Er verbeugte sich zutiefst. Wankte von der Bühne. Jetzt war klar, wer der Herrscher war! Und wer die Untertanen … Die Ausübung seiner Macht belohnte ihn mit einer rauschhaften Ausschüttung an Endorphinen, einem vulkanischen Orgasmus.

Woolf erwachte und fand sich im unkomfortablen Economy-Sitz des Fliegers wieder. Ein See aus Sperma breitete sich unter seinem Gesäß aus. Er hatte einen kolossalen Brand. Die phantasievolle Anstrengung seines musikalischen Rachefeldzugs hatte ihn durstig gemacht. Die Flammen in seiner Seele mussten gelöscht werden. Er rief den Steward herbei. Der war in der Nähe geblieben und schenkte dem sexy Rockstar großzügig Nachschub ein. Was ein Mann! Sehnsüchtig starrte der schwule Steward auf den halb geöffneten Hosenschlitz mit den ungebremsten Spuren der Leidenschaft. Er schluckte sehnsüchtig. „Gluckgluckgluck“. Woolf genoss die Wärme des Feuerwassers, das durch die Kehle in seinen Magen schoss. Kaum hatte er das Glas geleert, leuchteten die Anschnallzeichen auf. Der Steward verabschiedete sich seufzend und schubste sein Wägelchen gen Küche. Schon setzte der Flieger zur Landung an. RUMS! Das Flugzeug sprang amateurhaft auf die Landebahn. Peinlicherweise outete sich das klatschende Publikum auch noch als ein Haufen Flugamateure. Das ging ja gar nicht! Woolf zog die Sonnenbrille von Vernaschmich aus der Tasche seines Designer-Sakkos und schirmte sich vor den blendenden Sonnenstrahlen ab, mit denen Miami ihn zurückempfing. Endlich mit Visum. Finally Free. Es gab kein Stoppzeichen mehr auf seinem Schicksals-Highway!

EIFERSÜCHTIG AUF EINE ZIGARETTE

Auch die Rose erwachte „geschüttelt, nicht gerührt“ aus dem Dämmerzustand des Wunschträumens. Gerade noch hatte sie sich ausgemalt, wie sie und Woolf gemeinsam glücklich und erfolgreich ihr Musik-Millionärsleben in Miami zelebrierten. Sie liefen Händchen haltend in den Sonnenuntergang. Unter einem farbenprächtigen Regenbogen hindurch, der wie eine Himmelsbrücke ins Glück funkelte. Aus ihrem Wunsch war Wirklichkeit geworden! Nikki reckte den betörten Kopf in die Luft. Sie würde ALLES dafür tun und geben, ihren Liebestraum wahrzumachen! Sehnsüchtig wanderte ihr Blick zum vergötterten Gemahl. Sie hatten es geschafft! Sie waren zurück in Miami. Mit einem Fünf-Jahres-Business-Visum in der Tasche. Nichts mehr konnte ihnen passieren! Sie hatten das Schicksal im Sack! Spielerisch wanderten ihre Finger über sein Gesicht, seinen langen Oberkörper in Richtung seiner verführerischen Leibesmitte. Wenn die Rose liebte, dann liebte sie. Abenteuerlustig. Bedingungslos. Mit ganzem Einsatz von Herz, Körper und Geist. Voll Zärtlichkeit, Hingabe und Leidenschaft. Ein strahlendes Lächeln zog ihre rosigen Lippen von einem Ohr zum anderen. Ihre hellgrünen Augen funkelten frech. Das Lächeln, mit dem sie Tote zum Leben erwecken konnte, erhellte ihr sinnliches Gesicht. Apropos Tote zum Leben erwecken … Da war doch noch was?! Die Rose wurde sinnlich. Die gierigen Blicke der Passagiere, die bereits ungeduldig aufgesprungen waren, ignorierte sie. Sehnsüchtig krabbelten ihre Finger über den halb geöffneten Reißverschluss seiner Vernaschmich-Anzughose und streichelten neckend die Spitze seines fleischlichen Zepters. Liebevoll und mit sinnlicher Konzentration. Doch Woolf war weder nach Zärtlichkeit noch Sex. Sondern nach Nikotin! Er schnippte ihre zärtlichen Finger fort und nestelte seine verschrumpelte Mannboro-Packung aus der Hosentasche. Mit sichtbarer Gier stopfte er sich eine Zigarette in die vertrockneten Mundwinkel. Nikotin war ihm wichtiger als die Berührung seiner Rose. Die zuckte zusammen. Ein scharfer Stich fuhr durch ihr liebestolles Herz. Wie konnte Woolf bloß so lieblos sein? Warum drifteten ihr Wunschgemahl und der Wirklichkeitsmann so weit auseinander? Das war kein schmaler Grat mehr. Das war ein breiter Graben, der sich zwischen ihnen auftat. Sie wurde blass wie Schneewittchen und biss sich auf die Lippen, um nicht in Ohnmacht zu fallen.

Gleichzeitig klammerte sich die strauchelnde Rose Halt suchend an Woolfs Arm. Doch der war fiebrig damit beschäftigt, Feuer zu finden in den Untiefen seiner Taschen. Er schubste Nikki weg wie ein unliebsames Püppchen. Ihr Köpfchen fiel auf den schneeweißen Kragen ihres Armada-Kleides und besudelte ihn mit Lippenstift. Der himbeerrote Schandfleck war nicht zu übersehen! Ihre Landung im Paradies war nicht so perfekt wie ersehnt. Auf dem normalerweise türkisblauen Himmel über Miami drängten sich dunkle Wolken aneinander. Ein Gewitter braute sich zusammen. Auch das noch. Sie hatte keinen Schirm dabei und sorgte sich um den perfekten Halt ihrer Drei-Wetter-Taft-Frisur. Was würde ihr die Zukunft in diesem sich noch immer fremd anfühlenden Land mit diesem ihr immer fremder werdenden, geliebten Gatten wohl bringen??? Ihr wurde schwindelig und sie stolperte auf ihren Stilettos. Ein Stich in der Achillesferse ließ sie zu Boden gehen. Schnell rappelte sie sich auf, als sei nichts passiert. Woolf hatte nichts bemerkt. Mit einem tumben Gefühl im Herzen taumelte sie die Gangway zum Ausgang entlang hinter dem trabenden Gatten her, der es vor Gier auf seine Zigarette eiliger als sonst hatte. Eine selten empfundene Mutlosigkeit erfüllte ihr eigentlich optimistisches, siegeswilliges Herz. Etwas fühlte sich ganz und gar nicht richtig an! Die Rücksichtslosigkeit ihres vorauseilenden Gemahls empfand sie, als zöge er sie in einen Strudel, aus dem es kein Entkommen gäbe. Kaum berührten die dünnen Fußsohlen ihrer Strassovski-Sandaletten die Flugzeugtreppe, als dicke Wasserfontänen vom Himmel schossen. Auch aus ihren Augen strömten ganze Ozeane von Tränen. Sturmböen bliesen Nikkis Haarturm gefährlich zur Seite. Nicht nur ihre Frisur schien sich aufzulösen. Auch ihre Gefühlswelt neigte sich von höchsten Höhen in eine erschreckende Schieflage! Die Welt, die sie erwartete, wirkte unfreundlich. Die Menschen feindlich. Was war los? Es fühlte sich an, als seien sie auf dem Kometen DESTROYER gelandet statt auf PLANET PIECE!

Woolf wiederum hätte den letzten Whisky besser lassen sollen. In der Dringlichkeit seiner Nikotingier verloren, verpasste er die unterste Stufe der Treppe und polterte unbeholfen auf das Rollfeld, wo er, belämmert und besudelt, auf dem Boden lag. Die Rose seufzte und versuchte, ihm aufzuhelfen. Doch er war schwer wie ein Sack voller Steine. Die Meute, die sich auf der verregneten Flugzeugtreppe staute, schimpfte bösartig. Hilfe von denen war nicht zu erwarten. Die Rose mühte sich minutenlang damit ab, ihrem besoffenen Woolf aufzuhelfen. Ihr Gesicht war blutrot. Die Haartolle löste sich auf und schmiegte sich an ihr intensiv gefärbtes Köpfchen wie das nasse Fell eines Tieres. Ihr vormals luftiges Armada-Kleidchen klebte klatschnass und verräterisch am Körper. Tränen liefen über ihr Gesicht. Doch sie blieb tapfer und schaffte es schließlich, den torkelnden Woolf aufzurichten und im Arm zu halten. Halbwegs aufrecht zog sie ihn mühsam über das Rollfeld in die Ankunftshalle. Eine in Wasser gebadete Whiskyleiche.

„Welcome to Miami! You look … like Venus!“ Bewundernd begrüßte ein vom Anblick ihrer andersartigen Erscheinung übermannter Sicherheitsbeamter die Rose und ihr schweres, schwankendes Begleitgepäck. Dieses Wesen von einem anderen Stern sah aus wie eine Außerirdische mit aschfarbigem Anhang. Ein grauer Sack von einem Mann, der wirkte wie die durchnässte Zigarette in seinem Mundwinkel, klammerte sich kraft- und haltlos an ihre rettende Umarmung! Ihre nassen Haare klebten reizvoll am schön geformten Kopf. Das sinnliche Gesicht war entschlossen und kämpferisch. Das klatschnasse Kleidchen zeichnete den gleichermaßen zierlichen wie krafttrainierten Körper verführerisch ab. Nikki Rose sah aus wie Phoenix aus der Asche! Sie grinste wild und abenteuerlustig. Göttlich und gefährlich. Tatsächlich fühlte sie sich fatalistisch und frei! Was konnte nach solch einer Pleite-Landung schon noch schiefgehen in ihrem Leben? Sie hielt Woolf mühsam aufrecht und zog ihm die durchnässte Zigarette aus dem schlaffen Mundwinkel. Er röchelte protestierend. Heute ein Hund, der nur knurrt, nicht bellt noch beißt. Sie ignorierte ihn intensiv. Setzte ihr lieblichstes Lächeln auf und schwebte an den Immigration-Schalter. Mit tapferer Miene präsentierte sie ihre Reisepässe mit dem druckfrischen Fünf-Jahres-E2-Investoren-Visum. „We are here to make big business and loads of money!“, verkündete sie selbstsicherer, als sie war. Die kubanische Bodenbeamtin musterte die ramponierte Rose skeptisch. Dann blickte sie anerkennend auf den Eintrag im Reisepass! Ausnahmsweise stimmte einmal alles! Das Dokument und der Stempel des Visums waren picobello und tintenfrisch. Sogar das Passfoto war ansprechend und aktuell! Schwupps. Schon fuhr der Stempel aufs Dokument.

Doch welch ungute Begleitung hatte die liebliche Rose denn da in ihrem Schlepptau? Den halb zugedeckt neben ihr stehenden, wie auf hohem Seegang schwankenden Woolf musterte die Beamtin weit weniger wohlwollend. Seine Whiskyfahne war nicht zu überriechen. Doch auch er hatte das Visum im Reisepass und war offenkundig mit der lieblichen, wenngleich durchnässten Rose verheiratet. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Der Stempel fuhr auch auf sein Reisedokument nieder wie des Henkers Fallbeil auf den Kopf von Marie Antoinette. „Freigabe erteilt!“ Nikki lächelte jubilierend und küsste ihren schwankenden Seemann zärtlich auf die leblosen Lippen. „Woolf. Wir haben es geschafft! Willkommen zu Hause!“ Doch der Woolf reagierte nicht. Er war im Nikotin-Nirwana! Nikkis rosiges Gesicht verdunkelte sich vor Enttäuschung. Sie schalt sich für ihr romantisches Herz, warf den Kopf stolz in den Nacken und zog ihren fast ohnmächtigen Gemahl hinter sich her zum Gepäckband. Der Koffergott war gnädig und warf ihnen die getreuen Reisebegleiter umgehend entgegen. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen! Der Tross aus Rose, wankendem Woolf und Koffern kämpfte sich mit letzter Kraft durch den Ausgang. Endlich außerhalb der Sicherheitszone, zurück im Raucher- und Rockerparadies Miami, zündete Woolf sich mit zittrigen Fingern seine erste Zigarette seit einer gefühlten Ewigkeit an. Er atmete tief ein. Sein Antlitz war erfüllt von tiefstem Glück. Seine Lunge jubelte vor Freude. Kein Orgasmus seines fünfzigjährigen Lebens hatte ihm jemals solche Erleichterung verschafft! Endlich konnte er wieder atmen! Freude und Friede zogen in seiner Seele ein.

Nikki lächelte süß-sauer wie ein Hühnchen im chinesischen Restaurant. Wie gerne hätte SIE solche tiefen Gefühle in Woolf geweckt. Das kam ihr nun selbst krank vor. „Nikki Rose. Wie abgeschmackt ist das denn?“, schalt sie sich in Gedanken. „Bist du etwa auf Woolfs Zigarette eifersüchtig?“ Peinlich. Aber wahr … Angesichts der Begeisterung, mit der Woolf sich seine schlanke Geliebte in den Mundschlitz steckte und ihre Asche einatmete, musste sie es sich eingestehen: JA! Sie war auf seine Zigarette eifersüchtig! Würde er ihr gegenüber doch nur annähernd die Leidenschaft entwickeln, die er gegenüber seiner Kippe empfand! Nikki seufzte und versuchte, sich die klatschnassen Haare zurück zur Tolle zu modellieren. Vergeblich. Eine begossene Rose mit zerstörter Frisur, und ein besoffener Gatte, der Liebe mit seiner Zigarette machte?! Zynischer hätte die Landung im vermeintlichen Paradies kaum ausfallen können … Die Rauchzeichen aus Woolfs Mundschlot waren Warnzeichen! Friedenspfeife: Fehlanzeige!

TEUFELS SPAGHETTI

Eine halbe Stunde später fuhren sie mit einem klapprigen Taxi in Kokosnuss Groove, Bayview Road 3619, vor. Die Nachbarn lugten lauernd aus den Fenstern. Sie lästerten lauthals! Wo waren denn die teuren Sportwagen und luxuriösen Limousinen abgeblieben? Auch das rostrote Haus wirkte heruntergekommen. Wenn diese Steine sprechen könnten, würde man ihre Worte nicht hören wollen. Apropos Steine: Eine Vielzahl bunter und wertloser Glassteine lag vor dem Hauseingang herum. Diamanten für Arme. Steine für Schwächlinge. Was für ein enttäuschender Empfang! Nach der Höchstleistung des Visumerhalts und immensen Investitionen hatte die Rose sich insgeheim ausgemalt, wie Woolf sie mit einem Diamantring im Hafen der Heimat willkommen heißen würde. Stattdessen empfing er sie mit Strass-Steinen! Nikki runzelte das wohlgeformte Näschen. Das roch nicht gut und fühlte sich schlecht an! Waren das Vorboten ihres Scheiterns? Woolf, gerade mal sensibler als sein Ruf, spürte die Unzufriedenheit, die im Herzen seiner Rose glomm. Er knurrte. Diesmal laut. Das waren doch die Scharlatan-Steine, mit denen seine Ex-Frau als Hilfsheilerin ihre Brötchen zu verdienen versuchte?! Was hatten die bitteschön hier, vor der Pforte seines Paradieses, verloren? Konnte es sein, dass der Fluch seiner Vergangenheit ihm die Zukunft verhagelte?

Mit grimmigem Iggy-Pop-Grinsen zog er die Rose ins Hexenhaus. Das atmete eine üble Atmosphäre und eine stinkende Aura von Schwefel aus. Im versiegten Brunnen des Atriums waren sämtliche Goldfische tot. Sogar Wanda, der Liebling der Rose, trieb starren Blicks mit dem weißen Bauch nach oben. Tod und Verwesung lagen in der Luft. Der Geruch nach Schimmel war durch die ausgeschaltete Klimaanlage penetrant. Auf dem Teppich waren Hunderte von Kakerlaken krepiert. Dabei waren sie doch bloß eine Woche weg gewesen??? Woolf zerrte Nikki durch die Küche in den Tropengarten. Der Pool schimmerte mangels Pflege und unter permanenter Chemikalienzugabe mittlerweile olivgrün und undurchsichtig wie Schlamm. Ein vollgefressener Pelikan, Woolf taufte ihn Heinz, stakste auf hohen Beinen um das trübe Gewässer und verspeiste seine Gourmetmahlzeit: die vielen Frösche, die in diesem Tümpel ihren Nachwuchs ausbrüteten. Er fischte sie mit seinem langen Schnabel genüsslich aus dem schlammigen Wasser. Dann tunkte er sie nochmals hinein, als dippe er sie in Soße. Schließlich verschlang er die Frösche im Ganzen. Man sah sie förmlich den dürren Hals hinunterwandern. Das Gleitmittel funktionierte. Nach einer viertelstündigen Bearbeitung des Pools, die Woolf und Nikki fasziniert beobachteten, hatte Heinz ein gutes Dutzend Froschschenkel samt Anhang in seinem Ranzen. Sein Dickbauch war wie ein überdimensionierter Rucksack gefüllt. Heinz öffnete den Schnabel und entließ lautstarke Rülps-Geräusche. Die Schwerkraft der verschlungenen Frösche zog ihn hinunter. Er hockte bewegungslos auf der Stelle und verdaute das Mahl, das so schwer wog wie ein Kilo Steine.

Der Anblick des vom Tafeln erschöpften Tieres brachte absurderweise Woolfs Magen zum Knurren. Den Fraß im Flieger hatte er wie stets ignoriert. Nikki natürlich sowieso. Zugunsten ihres Schönheitsschlafs. Woolf aus Vorliebe für den Whisky. Das rächte sich nun! Eine massive Hungerattacke forderte Befriedigung nach dem Saufgelage im Flieger. Jetzt, wo die wichtigste Sucht – die nach Zigaretten – gestillt war, stiegen die niederen Gelüste an die Oberfläche seiner Bedürfnispyramide. Woolf war so hungrig wie sein Namensvetter. Ob es wohl noch Vorräte gab, die seine Rose in ein köstliches kleines Dinner verwandeln konnte? „Kräbbchen! Komm! Kohldampf!“ Woolf schob die Rose entschieden in die Küche. Sie gehörte ins Heim. An den Herd! Nikki folgte gehorsam. Der Instinkt des umsorgenden Weibchens ist keiner Frau fremd. Ihr als Vollblutfrau erst recht nicht! Sie blickte suchend auf die spärlichen Reserven im Kühlschrank. Da ging noch was! Ihre Augen leuchteten. Hell wie von einer Taschenlampe angestrahlt inmitten der Nacht. Nach der trüben Ankunft sah sie endlich wieder Licht am Ende des Tunnels und freute sich auf die Funken Romantik eines Dinner for Two als Rettung ihrer bislang wenig erfreulichen Liebeslandung. Doch Woolf hielt sie von der weiteren Fressalien-Recherche und Menüplanung ab. Heinz rockte den Pool …

„Kräbbchen. Komm! Das Schauspiel darfst du dir nicht entgehen lassen!“ Was war denn jetzt schon wieder? Die Rose sperrte sich innerlich und ließ sich wie ein Fahrrad mit Sicherheitsschloss äußerst enerviert zurück an den Pool ziehen. Lieber hätte sie sich gleich ans Werk gemacht. Wie konnte Woolf sie nur so herumschubsen? Sie war seine FRAU! Nicht seine Sklavin! Wenig begeistert beobachtete sie Heinz’ Flugversuche. Der nahm beherzt Anlauf zum Abflug. Er torkelte auf seinen staksigen Beinchen durch den Tropengarten. Seine vollgefressene Front zog ihn unbarmherzig zu Boden. Die Erdanziehung rächte seine Schlemmermahlzeit. Er seufzte schwerfällig. Wedelte heftig mit den Flügeln. Umrundete wie ein zu schweres Propellerflugzeug den schlamm-schwarzen Pool. Schließlich hob er wie in Zeitlupe vom Boden ab. Ein paar Mal sackte er in unsichtbare Luftlöcher ein und kam dem Boden wieder gefährlich nahe. Doch dann rettete er sich in Flughöhe. Die nach dem jähen Gewitter wieder laue Luft Miamis entließ ihn trotz seiner Leibesschwere milde in den Nachthimmel. Heinz’ Schatten fiel auf den trüben Tümpel des Pools und verschwand dann endgültig. Kaum war Heinz nicht mehr in Sichtweite, verließ die Rose ihren Beobachtungsposten. „Prost Mahlzeit! Ich koche jetzt!“ Sie eilte zurück in die Küche und wandte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Kühlschrank zu! Froschschenkel standen heute sicherlich nicht auf der Speisekarte …

Wahre Kochkunst manifestiert sich darin, auch aus scheinbar unpassenden und spärlichen Zutaten ein Gourmetmahl zaubern zu können!„Liebling. Time for Love and Dinner!“ESSENZum Teufel. Liebe geht durch den Magen!