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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-842-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Sklaven für
Potosi

Er hieß der „Reiche Berg“ – aber er zerbrach die Indios

Es ist kaum vorstellbar, welche Mengen Silber unter spanischer Knute aus dem Cerro Rico – dem reichen Berg – bei Potosi herausgeschlagen wurden. Kaum vorstellbar auch, wie viele Indios dabei zugrunde gingen, erschlagen von Einbrüchen der dürftig abgesicherten Stollen oder mit der Spitzhacke in der Hand zusammengebrochen, nachdem sie jahrelang geschuftet hatten, unterernährt mit nur einer Handvoll geröstetem Mais am Tag und um dem Verstand gebracht von den Kokablättern, die Hunger, Kälte und Erschöpfungsgefühle betäuben. Mit Sicherheit ist ihre Zahl fünfstellig … Währenddessen florierte die Stadt. In Pomp, Prunk und Verschwendung lebten hier die Fremden und bauten sich traumhafte Villen …

(Zitiert aus DuMont „Südamerika“, S. 233)

Die Hauptpersonen des Romans:

Luis Carrero – der Oberaufseher über die Sklaven in den Minen von Potosi liebt Bluthunde und hat das Gemüt eines Henkers.

Don Ramón de Cubillo – herrscht über Potosi als Provinzgouverneur und lebt wie die Made im Speck.

Roberto Vasquez – streicht Silbermünzen ein und hat nichts dagegen, daß aus seiner Handelsgaleone ein Sklavenschiff wird.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf erhält mit seinen Männern einen Vorgeschmack auf das, was sich in den Minen von Potosi abspielt.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Cochuba wußte, daß er sterben mußte – so oder so, auf die eine oder andere Art. Er würde sein Dorf, das hoch oben in der Cordillera de Lipez stand, nicht mehr wiedersehen. Von diesem Dorf existierten ohnehin nur noch klägliche Überreste: schwärzliche Mauerruinen einer Ansammlung von Hutten, die einst fast hundert Menschen beherbergt hatten.

Die Spanier hatten das Dorf überfallen und alles niedergebrannt. Sie hatten die Kinder und Greise getötet und die Frauen und Mädchen vergewaltigt. Die Männer hatten sie verschleppt, nach Potosi, wo sie im Cerro Rico, dem „Reichen Berg“, Fronarbeit leisten mußten.

Tausende von Indianern teilten Cochubas Schicksal. Sie waren Sklaven der Spanier. Von früh bis spät mußten sie mühselig das kostbare Silber dem Fels abgewinnen, zu essen und zu trinken gab es nur wenig – einen erbärmlichen, von Maden durchsetzten Fraß und fauliges Wasser. Die wenigen Stunden Schlaf reichten nicht aus, um neue Energien zu gewinnen. Die Peitschen der Aufseher trieben sie gnadenlos an und jagten sie wieder hoch, wenn sie einmal erschöpft zusammenbrachen.

Es war die Hölle auf Erden. Nachts wurden die Indios mit Ketten an Pflöcken festgebunden, die in den Erdboden gerammt waren. Einige schliefen in Höhlen, andere in erbärmlichen Hütten, die übrigen unter freiem Himmel. Tagsüber war es in den Stollen heiß und stickig, doch die Nacht auf dem Altiplano war kalt, auch jetzt, Anfang Oktober 1594.

Cochuba hatte viele seiner Brüder sterben sehen – unter den Peitschenhieben der Aufseher, von Hunden zerfleischt oder auf der Flucht erschossen. Viele von ihnen waren auch heftigem Fieber erlegen oder erfroren. Andere wieder waren vor Schwäche verschieden.

Cochuba wußte, daß auch er sterben würde, denn seine Kräfte schwanden immer mehr, aber er wollte nicht hier sterben, nicht in der Hölle von Potosi, sondern vielleicht ein paar hundert Schritte weit entfernt.

Und im Kampf würde er fallen, nicht wie eine Laus verenden, die von den Stiefeln der Spanier zertreten wurde.

Wochen hatte er darauf verwendet, sich heimlich ein Hartholzmesser anzufertigen. Mit primitivsten Mitteln hatte er daran gearbeitet, immer dann, wenn die Aufseher wegsahen oder gerade ihre Mahlzeiten einnahmen. Cochuba hatte ein Versteck in dem Stollen, in dem er mit seinen Leidensgenossen schuftete, und es war ihm gelungen, das Messer vor den Augen seiner Peiniger zu verbergen.

Bis heute nacht. Am Abend hatte er es sich unter den Lendenschurz gesteckt und mit zu seinem Schlafplatz genommen. Er war einer von denen, die unter dem freien Himmel übernachten mußten, und auch ihm setzte die Kälte erheblich zu.

Er fror, seine Zähne klapperten, und Eis schien ihm in die Knochen zu kriechen. Aber vielleicht war es das, was ihn am Einschlafen hinderte. Er war hundemüde, und doch gelang es ihm, die Augen offenzuhalten.

Neben ihm lagen die anderen Sklaven, die einen zusammengerollt, die anderen mit von sich gestreckten Armen und Beinen, so daß man von ihnen fast annehmen mußte, daß sie nicht mehr am Leben waren.

Cochuba wußte, daß es bei diesem oder jenem möglich sein konnte. Am Morgen stellte sich manchmal heraus, daß ein oder zwei Mann die Kälte der Nacht nicht überlebt hatten, in den letzten Tagen immer häufiger. Dann wurden die Leichen fortgeschleppt und irgendwo verscharrt oder einfach in einen nahen Bergsee geworfen.

Cochuba begann mit seiner Arbeit. Mit einem einzigen Blick hatte er sich vergewissert, daß der Aufseher, der um diese Zeit am Lager Wache hatte, weit genug von ihm entfernt war. Er stand nicht mehr als zehn Schritte jenseits des Steinhauses, in dem der Oberaufseher schlief, und unterhielt sich gedämpft mit einem anderen Posten, der in regelmäßigen Zeitabständen seine Runde um das Lager zu gehen hatte, dann aber wieder verharrte und die Gelegenheit nutzte, sich mit seinem Kameraden zu unterhalten.

Cochubas größter Haß galt nicht ihnen, sondern dem Mann, der in dem flachen, langgestreckten Bau ruhte. Carrero, dachte er mit verzerrtem Gesicht, Cochubas Leben hat ein Ende, aber auch du wirst elendig verrecken.

Luis Carrero war der Oberaufseher des Silberbergwerks – und der größte Sadist und Schinder, den es gab. Er war ein stattlicher, schöner Mann, groß, blond und blauäugig. Aber man brauchte ihm nur richtig ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, wie es in seinem Inneren aussah. Seine Seele war schwarz und unauslotbar, und in seinen Adern floß – davon war Cochuba fest überzeugt – kein Blut, sondern reines Pfeilgift.

Er hatte schon viele Indios zu Tode geprügelt. Aber schlimmer noch als die Peitsche, deren er sich bediente, waren seine Bluthunde. Seine Lieblinge, wie er sie nannte. Sein bevorzugter Rüde hieß bezeichnenderweise „Philipp“. Er gehorchte seinem Herrn aufs Wort und konnte unglaublich schnell laufen. Jeden Menschen holte er mühelos ein, auch in der unwegsamen Bergregion rund um Potosi.

Die Hunde waren auf Menschen abgerichtet. Normalerweise waren sie in einen Zwinger eingesperrt, da sie sonst ständig Sklaven angefallen hätten. Sie brauchten die Indios nur zu wittern, dann wurden sie wild und benahmen sich wie verrückt. Aus diesem Grund hielt Carrero sie eingepfercht und ließ sie nur heraus, wenn nach einem entflohenen Sklaven gesucht wurde.

Hin und wieder passierte es eben doch, daß einer der Indios heimlich das Lager verließ oder tagsüber während der Arbeit einfach fortrannte. Dann brauchte Luis Carrero in seinem Haus nur an einem dicken Strick zu ziehen, und der Zwinger öffnete sich. Der Strick war durch ein einfaches, aber gut funktionierendes System mit dem oberen Ende einer Gittertür verbunden, die nach oben oder nach unten glitt.

Cochuba hielt in seinen Bemühungen inne und lauschte. Die Hunde verhielten sich ruhig, sie schienen zu schlafen. Die Posten hatten sich von ihrem derzeitigen Standort nicht fortbewegt. Nichts rührte sich, der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können.

Schon vor ein paar Tagen hatte Cochuba festgestellt, daß sich der Ring seiner Kette, der an dem Holzpflock im Boden befestigt war, ein wenig lockern ließ. Am anderen Ende der Kette war das Halseisen, das sich um seine Kehle schloß. Er wußte, daß er nicht die geringste Chance hatte, dieses Eisen mit dem Hartholzmesser aufzubrechen, aber bei dem Ring konnte er Erfolg haben.

Vorsichtig bewegte er den Ring immer höher, aber der Pflock hatte eine Verdickung, über die er sich nicht hinausschieben ließ. Cochuba gab nicht auf. Verbissen arbeitete er weiter. Trotz der Kälte brach ihm der Schweiß aus. Du mußt es schaffen, hämmerte er sich immer wieder ein, jetzt!

Ein Sklave war einmal auf die Idee verfallen, zu versuchen, den Pflock aus dem Untergrund zu zerren. Doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Die Pflöcke waren zu fest im Boden verankert, zu tief eingerammt und zusätzlich noch durch Querpflöcke gesichert.

Der Sklave war den Aufsehern aufgefallen, und sie hatten ihn mit Peitschenhieben und Fußtritten traktiert. Am nächsten Tag hatte Carrero ein Spießrutenlaufen veranstalten lassen, und der arme Teufel war unter den Hieben tot zusammengebrochen.

Cochuba aber hatte den Erfolg, den er sich ersehnt hatte. Der Eisenring rutschte über das Hindernis, er konnte ihn von dem Pflock ziehen. Er atmete ein paarmal tief durch, dann robbte er zwischen den Gestalten der Schlafenden hindurch auf den Steinbau zu. Nach wie vor hatten die beiden Posten nichts bemerkt. Auch die Hunde schienen von der drohenden Gefahr nichts zu spüren.

Die Kette vor die Brust gepreßt, damit sie nicht rasseln konnte, das Hartholzmesser in der rechten Faust, schob sich Cochuba auf die Unterkunft des meistgehaßten Mannes von Potosi zu.

Carrero, dachte er, dein Ende ist gekommen, und Cochuba wird alle die rächen, die du auf dem Gewissen hast.

Nur nach wenige Yards trennten ihn von dem Bau. Auch diese Distanz überbrückte er, ohne entdeckt zu werden, dann richtete er sich an der Außenmauer auf und schlich auf das Fenster zu.

Die beiden Flügel waren nur angelehnt, er konnte sie mühelos nach innen aufdrücken. Sie quietschten nicht, denn ihre Eisenangeln waren gut geölt. Kein verräterisches Geräusch kündete davon, daß der Indio sich anschickte, in Carreros Behausung einzudringen.

Luis Carrero lag ausgestreckt auf seinem Bett und hatte die Arme unter dem Kopf gekreuzt. In seinen Träumen befaßte er sich mit der feurigen Andalusierin, die er zuletzt im Bordell kennengelernt hatte. Ein Rasseweib – so ganz anders als die verdammten Indianerhuren, mit denen man es in dieser gottverlassenen Ecke Welt zu tun hatte.

Er, Luis Carrero, war ein Vollblutmann, hinter dem die Frauen wie verrückt her waren. Er brauchte sich nicht die geringste Mühe zu geben, sie aufzutreiben, sie warfen sich ihm an den Hals.

Dies natürlich nur in den Häfen – in Arica beispielsweise, wohin er ab und zu einen Abstecher unternahm, wenn er ein paar Tage dienstfrei hatte. Potosi aber war das Ende der Welt, das Tor zur Hölle. Hier gab es nicht die Abwechslung, die er brauchte. Deshalb reagierte er sich auf andere Art ab.

Unterbewußt gab er den Sklaven die Schuld daran, daß er sich nicht so frei bewegen konnte, wie er es gern getan hätte. Dafür mußten sie büßen. Und überhaupt: Die Peitsche war die einzige Sprache, die sie verstanden. Begriffen sie auch die nicht mehr, mußte man drastischere Mittel anwenden.

Die Andalusierin war ein Phänomen gewesen, unersättlich und zu allem bereit. Sie hatte Temperament und Phantasie – die richtige Mischung.

Carrero war wie berauscht, und doch waren seine Sinne geschärft, er schien es von seinen Bluthunden gelernt zu haben. Auch im Schlaf nahm er jedes Geräusch und jede Regung wahr. Plötzlich war er hellwach und schlug die Augen auf. Was war geschehen?

Cochuba war wie eine Katze in den einzigen Raum des Baus geglitten und duckte sich sofort wieder. Dabei ließ sich jedoch nicht vermeiden, daß die Kette leise rasselte.

Dieser Laut schreckte Carrero auf – und er sah in dem Streifen fahlen Mondlichtes, der durch das Fenster hereinfiel, die Gestalt des Indios.

Blitzschnell rollte er sich von seinem Bett und landete auf dem Steinfußboden. Cochuba gab einen zischenden Laut von sich, richtete sich auf und schleuderte das Hartholzmesser. Es flog über das Bett hinweg auf Carrero zu, doch der überrollte sich im selben Augenblick noch einmal und entging um Haaresbreite der Waffe, die mit solcher Wucht heranraste, daß sie seine Brust mit Sicherheit durchbohrt hätte.

Cochuba sah, daß sein Anschlag mißglückt war. Er sprang auf Carrero zu und wollte sich auf ihn werfen, doch Carrero rollte sich auf den Stuhl zu, an dem seine Sachen hingen, riß ihn mit sich um und griff nach seiner Radschloßpistole.

Warum hatte er sie nicht auch an diesem Abend wie üblich unter sein Kopfkissen gelegt? Es mußte der Gedanke an die Andalusierin gewesen sein, der ihn abgelenkt hatte, vielleicht auch der Wein, den er getrunken hatte.

Carrero riß die Pistole an sich, wälzte sich zur Seite, prallte gegen die Wand, spannte den Waffenhahn und legte mit einem Fluch auf Cochuba an. Cochuba wich nach rechts aus und bückte sich nach seinem Messer, aber in diesem Augenblick drückte Carrero ab, und der Schuß brach donnernd in dem Raum.

„He!“ schrie draußen der eine Posten. „Was ist los?“

„Hölle, das war da drinnen!“ brüllte der andere.

Im selben Moment begannen auch die Hunde wie besessen zu bellen. Das ganze Lager wurde wach.

Cochuba ließ sich fallen. Die Pistolenkugel raste im Krachen der Waffe an seiner rechten Schulter vorbei und hinterließ eine heiße Spur auf der Haut, die wie Feuer brannte. Cochuba wich unwillkürlich zurück. Dann flog ihm die leergeschossene Pistole gegen die Brust, von Carrero geschleudert, der jetzt aufsprang und seinen Säbel aus dem Wehrgehänge riß. Er stieß die lästerlichsten, abscheulichsten Verwünschungen aus und stürzte sich auf seinen Gegner.

Cochuba hatte nur noch eine Wahl: Flucht. Er sprang aus dem Fenster, ehe Carrero ihn ganz erreicht hatte, und hetzte an der Außenmauer entlang.

„Alarm!“ brüllte Carrero. „Tötet diesen Hund! Er ist hier!“