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THILO SARRAZIN FEINDLICHE ÜBERNAHME

Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht

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Redaktion: Dr. Annalisa Viviani

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-162-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-296-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-295-7

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Inhalt

Einleitung

Kapitel 1
Die Religion des Islam

Der Inhalt der koranischen Offenbarung

Hadithe und Scharia

Islamische Glaubensrichtungen

Der Islam und die weltliche Herrschaft

Islamismus und Terrorismus

Ein europäischer Islam?

Die islamische Prägung: Mentalitätsaspekte der koranischen Offenbarung

Kapitel 2
Die islamische Staatenwelt von Arabien bis Indonesien

Eine kurze Geschichte der islamischen Welt

Die Position der islamischen Staaten in der modernen Welt

Demografisches Gewicht

Wirtschaftliches Gewicht

Stellung in Wissenschaft und Technik

Stabilität, Demokratie, Krieg und Frieden

Der regionale Blick

Arabische Länder

Subsahara-Afrika

Türkei

Iran

Zentralasien

Der indische Subkontinent

Südasien

Zwischenresümee

Kapitel 3
Problemzonen islamischer Gesellschaften

Religion und Kultur

Kognitive Kompetenzen

Das Verhältnis der Geschlechter und die Rolle der Frau

Das Zerwürfnis mit der Moderne und der Vormarsch des konservativen Islam

Der heilige Text als Gefängnis des Denkens

Religion vor Demokratie und Menschenrechten

Religiöser Fundamentalismus und Terror

Kapitel 4
Die Muslime in den Gesellschaften des Abendlandes

Demografische Fakten und Perspektiven

Die Zahl der Muslime in Deutschland und Europa

Das Zusammenwirken von Einwanderung, Altersaufbau, Familiennachzug und Kinderzahl

Die andere Gesellschaft

Zur sozioökonomischen Situation der Muslime in Deutschland und Europa

Kognitive Kompetenzen

Arbeitsmarktbeteiligung und Transferabhängigkeit

Kriminalität

Mentale Aspekte und ihre Folgen

Parallelgesellschaften

Die Rolle der Verbände und Moscheegemeinden in Deutschland

Radikalisierung und Terrorismus

Zwischenresümee

Die Stellung der Frau und der muslimische Kinderreichtum

Die Interpretation der Kopftuchfrage

Heiratsverhalten und Geburtenhäufigkeit

Schleichende Islamisierung durch Einwanderung und Geburtenzahl

Kapitel 5
Was man tun muss

Ehrfurcht vor der Religion darf den Islam nicht vor Kritik schützen

Geistige Engführungen dürfen nicht unser Denken behindern

Befreiung der Einwanderungspolitik von Ideologie und Wunschdenken

Eine der islamischen Welt zugewandte und ernsthafte Außen- und Entwicklungspolitik

Robuste und realistische nationale Islampolitik

Schlussbemerkung

Dank

ANHANG

Anmerkungen

Tabelle 1: Demografische Eckdaten 1950-2100

Tabelle 2: BIP in Kaufkraftparitäten 2016

Tabelle 3: Indikatoren für Demokratie, Pressefreiheit, Korruption

Einleitung

In den letzten zehn Jahren hat es sich ergeben, dass ich immer mehr Artikel und Bücher las, die in irgendeiner Form die Religion des Islam berühren. Die christliche Kultur, in der ich aufgewachsen bin, ist mir kulturelle, aber nicht religiöse Heimat. Ich bin eher Agnostiker als religiös und habe Vorbehalte gegen Utopien jeder Art: Mit Unverständnis sah ich Ende der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, dass viele Altersgenossen linke Gedanken so trugen wie eine modische Haartracht – als Bestätigung für sie und als Zeichen an die Umwelt, dass sie zu den Guten, den Modernen und Fortschrittlichen gehörten. Für mich war es recht geistlos, aber auch ein Irrweg, sich um so fragwürdige Feldzeichen wie Bilder von Mao oder Che Guevara zu scharen.

Als die Mauer fiel und der Ostblock zusammenbrach, war ich erleichtert, weil eine große Bedrohung verschwunden schien. Die Hoffnung von Francis Fukuyama, nun sei Das Ende der Geschichte1 erreicht, fand ich zwar voreilig, denn menschliche Irrtümer, Bosheit und Unvernunft kommen niemals an ihr Ende, ebenso wenig wie der technische Fortschritt und die natürliche Evolution. Aber nach dem Zusammenbruch des Kommunismus glaubte ich an das allmähliche Ende eines unaufgeklärten religiösen Glaubens und war der festen Überzeugung, dass alle großen Religionen irgendwann den Weg gehen, der für das Christentum durch die Reformation vorgezeichnet wurde: nämlich das Sichbeugen vor den Gesetzen der Logik und des wissenschaftlichen Denkens – mit der Folge, dass Religion immer abstrakter, immer entfernter und folglich auch immer gleichgültiger wird.

Da hatte ich mich offenbar gründlich getäuscht. Das merkte ich auch im Lauf der Neunzigerjahre, aber ich blieb grundsätzlich unbesorgt: Ich fühlte mich nicht betroffen, wenn Kreationisten im amerikanischen Mittelwesten Darwins Evolutionstheorie ablehnten, wenn indische Hindus Sikh-Tempel stürmten oder die Mullahs im Iran die persischen Frauen unter das Kopftuch zwangen und Homosexuelle verfolgten. Das schien doch ziemlich weit weg. Samuel Huntingtons Buch Kampf der Kulturen2 blätterte ich 1997 eher lustlos durch. Ich empfand es als alarmistisch und in einem zu großen Rahmen angelegt. Da konnte ich ja gleich Der Untergang des Abendlandes von Oswald Spengler lesen.

Natürlich bekam ich mit, dass es an deutschen Schulen mit türkischen und arabischen Schülern öfter (und andere) Probleme gab als mit Italienern, Russen oder Polen. Aber das war, so glaubte ich, nur eine Frage der Zeit. Nach dem Flugzeugattentat auf das World Trade Center stieß ich auf das Buch von V. S. Naipaul: Among the Believers. An Islamic Journey3 aus dem Jahr 1981. Naipaul hatte 1979 und 1980 den Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien bereist. Eindrucksvoll beschreibt er in seinen persönlichen Begegnungen und Erlebnissen das Erstarken des islamischen Fundamentalismus vom Nahen Osten bis Ostasien und die dahinterstehende Gedankenwelt. Dieses 37 Jahre alte Buch ist aus heutiger Sicht geradezu seherisch. Nach seiner Lektüre beschlich mich in Bezug auf den Islam erstmals ein Gefühl der Sorge oder des Alarms.

2006 begegnete mir das Buch Die fremde Braut4 von Necla Kelek: Am Beispiel türkischer Einwanderer nach Deutschland zeigt es, dass diese größtenteils nicht etwa unsere Kultur annehmen, sondern ihre Kultur quasi in einer virtuellen Blase zu uns tragen und Assimilation verweigern. Diese Lektüre traf mittlerweile bei mir auf ein geschärftes Sensorium: Als Berliner Finanzsenator wurde ich auf vielfältige Weise mit den besonderen Integrationsschwierigkeiten bei vielen Türken und Arabern konfrontiert. Die soziale Problematik dieser Stadt war offenbar nicht zu trennen von der Problematik der muslimischen Minderheit.

Im August 2010 erschien Deutschland schafft sich ab. Es war konzipiert als Buch über die Risiken und Mängel des deutschen Sozialstaats. Aber es befasste sich in diesem Zusammenhang auch mit Bildung, Einwanderung, Integration und Demografie. Die dort enthaltenen – aus heutiger Sicht eher vorsichtigen – kritischen Anmerkungen zum Integrationsverhalten vieler Muslime und zur Religion des Islam führten quasi zu einer Zwangsverheiratung meines Namens mit der grassierenden Islamkritik. So wurde ich in wenigen Tagen in die erste Reihe der deutschen Islamdebatte katapultiert. Diese Debatte erfuhr einige Wochen nach dem Erscheinen meines Buches ihre vorläufige Krönung durch die Äußerung von Bundespräsident Christian Wulff: »Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.«

Anfang 2011 veröffentlichte Patrick Bahners Die Panikmacher,5 eine Fundamentalkritik an den deutschen Islamkritikern, zu denen er insbesondere Necla Kelek, Henryk M. Broder, Ralph Giordano und mich zählte. Für ihn ist der Islam nichts anderes als Religion, seine Glaubenssätze rechtfertigen sich jenseits unserer säkularen Staatlichkeit und sind insoweit einer säkularen Kritik definitorisch enthoben. Der Titel des Buches ist zwar aus heutiger Sicht angesichts der islamistischen Bedrohung in der Welt spektakulär missglückt. Der Standpunkt von Bahners ist aber rein logisch nicht widerlegbar. Er ist allerdings irreführend, denn er klammert das Gefährdungspotenzial, über das diskutiert werden könnte und müsste, bereits definitorisch aus.

In der unvermuteten Rolle eines prominenten Islamkritikers fühlte ich mich nicht wohl. So hielt ich mich in dieser Hinsicht zurück. Zwar wurde nichts von dem, was ich zum Islam in Deutschland schafft sich ab geschrieben oder vermutet hatte, seitdem wirklich widerlegt, aber publizistisch verfolgte ich in den Folgejahren andere Projekte.

Die Fragen, die mich damals bedrängten, haben sich seitdem nicht in Luft aufgelöst. Eine vielfältige Krise rund um die islamische Welt einschließlich der Muslime in Europa wird auch von vielen Muslimen selbst nicht mehr geleugnet. Gleichzeitig wird »Islamkritik« in vielen deutschen Medien und auch von Wissenschaftlern gerne immer dann delegitimiert, wenn sie ins Grundsätzliche geht. Der Islamwissenschaftler Mathias Rohe bezeichnet »Thilo Sarrazin, Hamed Abdel-Samad und Necla Kelek« als »prominente Vertreter« einer Desintegrationsindustrie, die »statt faktenorientierter Benennung von konkreten Problemen (…) weitgehend essentialistische Ansichten« verbreiten, »die den Islam als strukturell andersartig und inkompatibel mit europäischen Rechts- und Gesellschaftsordnungen abstempeln wollen«.6 Mathias Rohe wird es aushalten müssen, dass man Fakten anders bewerten kann, als er es tut.

Der von ihm erwähnte, in Ägypten geborene deutsche Politologe Hamed Abdel-Samad hatte sich in seinem Heimatland zunächst den Muslimbrüdern zugewandt. In Mein Abschied vom Himmel7 zeichnete er 2009 seine allmähliche Abwendung vom fundamentalistischen Islam nach. In den Folgejahren wurde er zu einem der bekanntesten deutschen Islamkritiker und hat dazu mittlerweile sechs Bücher veröffentlicht.8 Im Dezember 2016 beklagte er, dass die gesellschaftliche Stimmung die »Einschüchterung von und den Rufmord an Islamkritikern« begünstige. Kritik am Islam sei »in Europa tatsächlich unerwünscht«. Die Politik fürchte, Islamkritik könne zum einen »ihre Geschäfte mit islamischen Ländern, zum anderen ihre Migrations- und Flüchtlingspolitik stören«. Viele Muslime interpretierten Islamkritik »meist sofort als Angriff auf das Existenzrecht aller Muslime«. Für Journalisten und Intellektuelle aus dem linksliberalen Lager sei Islamkritik quasi automatisch fremdenfeindlich, rassistisch oder rechtspopulistisch.9 Der Politologe Bassam Tibi, Student bei Theodor Adorno, in Syrien aufgewachsen und seit 40 Jahren deutscher Staatsbürger, fühlt sich in Deutschland mit seiner kritischen Haltung zum politischen Islam seit vielen Jahren nicht willkommen: »Es gibt kritische Meinungen, die in diesem Land nicht gefragt sind. Für sie gibt es einen Maulkorb.« Deshalb sei er von den Medien ausgeblendet worden und erst 2016 nach den Ereignissen auf der Kölner Domplatte wieder in die Medien zurückgekehrt. »Ich hätte hier viel zu sagen, aber meine Meinung will man nicht hören.«10

Solche Diagnosen decken sich mit meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Typisch ist die Einstellung von Michael Thumann. In seinem 2011 erschienenen Buch Der Islam-Irrtum. Europas Angst vor der muslimischen Welt kritisierte er die europäische »Islam-Besessenheit« und erwartete, dass die damals erst wenige Monate alte »Arabellion« dem Nahen Osten Demokratie und Fortschritt bringt. Alle Probleme, die Islamkritiker dem Einfluss des Islam zurechnen, sind für ihn entweder eingebildet oder Ausdruck eines Modernisierungsrückstands, der mit dem Islam gar nichts zu tun hat. Dabei schließt er die im Namen des Islam ausgeübte Gewalt und den Terror von Al Kaida (der IS war damals noch unbekannt) ausdrücklich ein. Für Thumann steht fest: »Wenn man genau hinsieht, geht es diesen Gruppen in der Regel nicht um den Islam selbst. Die Religion ist Mittel zum Zweck. Sie wird zum Vehikel der Eiferer. Sie macht in vielen Fällen nicht das Wesen der Konflikte, Streitthemen und Hoffnungen aus. Die Religion prägt bisweilen die Oberflächen der Politik, aber nicht den Kern.«11

Die gläubigen Marxisten in Westeuropa wollten in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts den Kommunismus (also ihre Religion) nicht mit dem Blutgeruch des Stalin-Terrors oder dem Unterdrückungsapparat des Mauerbaus in Verbindung sehen. Sie leugneten den Zusammenhang. So verfahren auch viele gläubige Muslime, die Terror und Unterdrückung im Namen des Islam ablehnen. Der islamische Theologe Ahmad Nofal ist deshalb zwar ein Gegner der Salafisten. Er propagiert gleichwohl: »Es gibt nur einen Islam. Die Menschen und die Kulturen sind jedoch verschieden, daher gibt es Unterschiede in der Auslegung.« Seine Auslegung, den »Wasatiyya-Islam«, der für eine Koexistenz der Menschen eintritt, hält Nofal für den Mainstream. »Dieser Islam hat viel mit Jesu Botschaft gemeinsam, der ja auch nicht Hass und Feindschaft gepredigt hat. Es kann doch nicht sein, dass ein Mensch einen anderen hasst.«12 Als Norm ist das ehrenwert, doch spiegelt es die ganze Wirklichkeit und Breite der islamischen Glaubensrichtungen?

Der algerische Schriftsteller Yasmina Khadra hatte als Offizier der algerischen Armee über viele Jahre gegen islamistische Terroristen gekämpft. Für ihn steht fest: »Mit der Religion haben die Attentate nichts zu tun. Man kann sie nur aus dem Geisteszustand des Terroristen erklären, mit seinem Glauben haben sie nichts zu tun. (…) Es ist falsch, eine Verbindung zwischen der Herkunft eines Mörders und seiner Tat herzustellen. Kein Muslim muss sich wegen der Terroristen schuldig fühlen. (…) Man kann diese Seuche nur bekämpfen, indem man sie isoliert und eben nicht mit einer Gemeinschaft in Verbindung bringt, die zu verteidigen die Terroristen vorgeben.«13 Das ist eine starke Proklamation. Aber kann man Stalins Untaten begreifen und den Sowjetkommunismus dabei ausklammern? Den Umfragen zufolge glaubte ein großer Teil der Deutschen noch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, dass der Nationalsozialismus im Prinzip eine gute Sache war, nur die Ausführung sei schlecht gewesen. Diese Analogie mag polemisch wirken, aber nachdenklich stimmen sollte sie schon.

In den letzten Jahren sind alle mit dem Islam verbundenen Fragen an uns herangerückt. Das gilt sowohl für die Ideenwelt dieser Religion als auch für die Muslime selbst. Ich frage mich: Inwieweit bildet der Islam (in seinem ganzen Schillern von Religion bis politischer Ideologie) und inwieweit bildet die Einwanderung von Muslimen nach Europa eine Gefahr für die Zukunft der westlichen Gesellschaft und für unser Lebensmodell? Sind die unguten Gefühle, die ich offenbar mit vielen anderen teile, Ausdruck unbegründeter Ängste und möglicherweise unbewusster Vorurteile, oder haben sie einen rationalen Kern? Und wenn ja, worin besteht dieser, und was ist seine praktische Bedeutung? Dabei möchte ich das empirisch verfügbare Material und seine Deutungen vernünftig und belastbar interpretieren und darum vom bloßen Meinen, Glauben und Fürchten absehen. Ich hoffe, dass die Antworten mehr Klarheit für meine Sorgen und die Besorgnisse anderer bringen, indem sie die Sachverhalte präzisieren und so die Ängste kanalisieren oder relativieren.

Der Kern meiner Sorgen liegt in Folgendem: Die Europäer haben durch die Kombination von Wissenschaft und Technik, Herrschaft des Gesetzes und Demokratie ein bestimmtes Zivilisationsmodell geschaffen, dessen Freiheit und Wohlstand sehr attraktiv sind. Dieses Modell funktioniert aber nur, wenn es von den Menschen auch gelebt und verinnerlicht wird.

Viele Problemstaaten in Afrika und Asien eint das starke Wachstum ihrer Bevölkerung und der Umstand, dass die dort lebenden Menschen überwiegend muslimischen Glaubens sind. Der fehlende demografische Übergang dieser Länder in die Moderne zeigt, dass die aus dem Westen importierte Modernisierung von Medizin und Landwirtschaftstechnik die Mentalitäten der Menschen noch nicht ausreichend verändert hat. Für die unumgängliche Modernisierung im Sinne der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens ergeben sich möglicherweise Schranken aus der islamischen Tradition heraus.

An dieser Stelle kommt meine subjektive Sicht als Mitteleuropäer ins Spiel: Ich mag die menschliche Vielfalt und meine, dass jeder nach seiner Fasson selig werden sollte, solange er die Gesetze respektiert. Es liegt mir fern, mich in religiöse Überzeugungen oder in die Lebensziele und Lebensweisen anderer einmischen zu wollen. Und doch fühle ich mich wohler in einer Gesellschaft, in der die Unterschiede nicht übermäßig sind und die gemeinsamen Grundlagen fühlbar bleiben.

Natürlich sollen sich die Menschen mischen. Darum habe ich auch nichts gegen Einwanderung, sei es in Deutschland oder Europa. Aber die, die einwandern, müssen sich auch tatsächlich mischen. Es ist nicht gut und führt langfristig zu Unfrieden, wenn sich in der Gesellschaft Gruppen bilden, die ethnisch, religiös oder wirtschaftlich dauerhaft abgesondert sind und fast nur untereinander heiraten. Das führt zu Spannungen und mehrt nicht das gesellschaftliche Glück. Die durch Schichtung bewirkte Ungleichheit ist in jeder Gesellschaft Anlass für Spannungen, wenn sie ein gewisses Maß überschreitet. Diese Spannungen werden noch verstärkt und können eine gefährliche Sprengkraft annehmen, wenn Unterschiede im wirtschaftlichen Erfolg oder in der gesellschaftlichen Stellung für alle sichtbar mit Unterschieden in der ethnischen Herkunft oder der ausgeübten Religion einhergehen. Einwanderer sollten integrationswillig sein. Ihre Zahl sollte so bemessen und ihre Zusammensetzung so gemischt sein, dass sich in Europa keine verfestigten ethnischen Untergruppen bilden.

Der in Europa lange Zeit weitverbreitete Antisemitismus erklärte sich nicht nur aus der religiösen Sonderrolle der Juden, sondern auch aus ihren besonders großen Erfolgen in Wirtschaft und Wissenschaft. Das führte zu Neidreaktionen, die sich teilweise in Antisemitismus übersetzten. Umgekehrt ist es auch nicht gut, wenn sichtbar abgegrenzte Minderheiten, wie die Schwarzen in den USA, bei Bildungserfolg, Einkommen und Lebenserwartung deutlich schlechter abschneiden. Die vernünftigste Lösung wäre eine Aufhebung der Unterschiede durch Vermischung der verschiedenen Ethnien. Dies widerstrebt aber offenbar den Wünschen der meisten Menschen: Schwarze, Weiße und Ostasiaten heiraten in den USA zumeist unter sich. Bei Muslimen kann Integration durch Vermischung schon deshalb nicht funktionieren, weil gläubigen Muslimen die Heirat mit Ungläubigen verboten ist.

In Europa gab es bis vor wenigen Jahrzehnten kaum nennenswerte Gruppen nichteuropäischen Ursprungs. Hier lebten europäische Weiße, und soweit sie eine Religion hatten, war diese christlich. Das änderte sich in einigen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden durch Zuzug aus den ehemaligen Kolonien, in anderen wie Deutschland oder Österreich durch Zuzug von Gastarbeitern aus der Türkei oder Nordafrika. Skandinavien wiederum war Vorreiter bei der Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen, sodass jetzt in Dänemark, Norwegen und Schweden große arabische Minderheiten leben.

Seit Jahrzehnten steigt in allen europäischen Ländern die Wahrnehmung, dass es mit den Einwanderern muslimischen Glaubens und ihren Nachkommen, die häufig schon in der dritten und vierten Generation in Europa leben, besondere Probleme gibt. Solch eine Wahrnehmung mag sich aus Vorurteilen speisen oder sich quasi als selbsterfüllende Prophezeiung aus gesellschaftlicher Diskriminierung ergeben. Aber ihre große Verbreitung ist eine gesellschaftliche Realität. Staatliche Organe sind hier zu Recht beunruhigt. In Deutschland war die Einrichtung der »Deutschen Islamkonferenz« durch Innenminister Wolfgang Schäuble im Jahr 2006 ein Ausdruck dieser Beunruhigung und ein Versuch ihrer Kanalisierung.

Während einerseits das Gefahrenbewusstsein in der Gesellschaft wächst, wird andererseits das Problem gerne verneint und soll nach dem mehrheitlichen Willen von Politik und Medien im Sinne politischer Korrektheit möglichst nicht benannt werden. Das Kunstwort »Islamophobie« ist ein Ausdruck dieser Tendenz. Mit dieser wissenschaftlich anmutenden »Diagnose« wird Kritikern und Besorgten entweder eine (krankheitsverwandte) psychische Anormalität oder eine unmoralische, dem Antisemitismus verwandte Geisteshaltung unterstellt.

In der vorherrschenden Sicht von Politik und Medien darf der Islam als solcher kein grundsätzliches Problem darstellen, weil sonst mehr Fragen entstehen, als man politisch zu beantworten in der Lage ist. Entsprechend gilt der Islamismus mit seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen vielen als eine Fehlentwicklung, die außerhalb des Islam steht. Besondere Integrationsprobleme muslimischer Einwanderer können aus dieser Sicht schon definitorisch nicht existieren. Wo sie gleichwohl bestehen, müssen andere Faktoren verantwortlich sein, sodass der islamische Glaube und besondere Integrationsprobleme der Gläubigen allenfalls in einer Scheinkorrelation miteinander zu tun haben. Kurz nach dem Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 beklagte Sigmar Gabriel: »Wir sind konfrontiert mit einer Ideologie, die allem entgegensteht, was unsere freie und demokratische Gesellschaft ausmacht. Dieser Kampf gegen ›den Westen‹ ist seit Jahren vorbereitet worden.« Aber das sei »ein Machtkampf unter dem Deckmantel der Religion«. Wer dem Ressentiment gegen »den Islam« nicht das Wort reden wolle, der dürfe »aus der Auseinandersetzung mit dem Dschihadismus gerade keine Religionsfrage machen«.14 Ähnlich äußerte sich Norbert Lammert im Deutschen Bundestag: »Wir bekämpfen nicht den Islam, sondern Fanatismus, nicht Religion, sondern Fundamentalismus.«15 Mit solchen Vorgaben verstellt das Establishment in Politik und Medien eine freie Sicht auf die Problemlage und deren voraussetzungslose Analyse. Wie soll man eine Antwort auf islamistischen Fanatismus finden, wenn es moralisch untersagt wird, die religiösen Quellen dieses Denkens zu untersuchen?

Dazu passt das blinde Auge der amtlichen deutschen Statistik: In allen Untersuchungen über Migranten und ihre Nachfahren, die anhand offizieller Statistiken angestellt werden, wird der Faktor der Religion vollständig ausgeblendet. Offenbar geben sich viele der Hoffnung hin, dass etwas, von dem man nichts Genaues weiß, auch kein Problem sein kann. Als es mir in Deutschland schafft sich ab gelang, trotz der statistischen Lücken einigermaßen verlässliches Material über die spezifischen Integrationsprobleme muslimischer Migranten zusammenzutragen, löste dies in Politik und Medien einen Aufschrei der Empörung aus. Ich fühlte mich an die Energie erinnert, mit der offizielle Stellen der Türkei all jene verdammen, die meinen, es habe vor hundert Jahren einen Völkermord an den Armeniern gegeben. Solch eine Empörung findet immer dann statt, wenn unwillkommene Fakten ein Weltbild in Gefahr bringen.

Im Oktober 2014 war ich Zuhörer, als Ayaan Hirsi Ali, die als junges Mädchen mit ihren Eltern und ihrer Schwester aus Somalia in die Niederlande eingewandert war, das Problem in einem Vortrag an der Universität Leiden beschrieb: Sie habe das kulturelle Angebot des Westens angenommen, verinnerlicht und davon profitiert. Ihre nahezu gleichaltrige Schwester habe es aber abgelehnt und gehöre nun zu jenen eingewanderten Muslimen, die der Kultur des Westens feindlich gegenüberstehen und sich in ihrem Muslimsein verschanzen. Zwischen den beiden Reaktionsweisen gebe es keine rationale Brücke, das mache auch sie ratlos. Sie warnte vor den Gefahren eines zunehmenden fundamentalen Islam, weil ein sehr großer und wachsender Teil der Muslime sich wie ihre Schwester verhalte. Er nehme zwar den westlichen Lebensstandard an, nicht aber die kulturellen Einstellungen, die diesen Lebensstandard erst ermöglicht haben.

Viele säkulare Muslime in der westlichen Welt argumentieren wie Ayaan Hirsi Ali (in Deutschland z. B. Bassam Tibi, Hamed Abdel-Samad, Necla Kelek, Güner Balci, Abdel-Hakim Ourghi, Ralph Ghadban). Viele Linke und Liberale hören das nicht gern. Für sie haben solche Warnungen einen rechtspopulistischen Geruch und unterstützen letztlich den Aufstieg von FPÖ, Front National oder AfD. So entstand in den letzten Jahren eine Lähmung offener Debatten, die zugunsten ebendieser Parteien wirkte und Befürchtungen noch verstärkte, statt sie zu zerstreuen.

Das schiere Gewicht des demografischen Faktors wird in solchen Debatten immer wieder unterschätzt. Einstellungen in der Gesellschaft ändern sich durch Änderung der demografischen und religiösen Mischung. Anschaulich gesprochen: Wenn große Teile Deutschlands so wie die Sonnenallee in Neukölln aussehen, kann durch neue Mehrheiten auch das Grundgesetz geändert werden, oder es kann sich die gelebte Verfassungswirklichkeit verschieben. Dagegen gibt es keinen Schutzmechanismus. Auch die Werte des Abendlands lassen sich nicht künstlich konservieren, wenn die sich neu bildenden demografischen Mehrheiten sie nicht teilen oder anders interpretieren. Wie das Beispiel der Türkei eindringlich zeigt, kann man in einem islamischen Land mit dem Mittel einer demokratischen Wahl sogar das westliche Demokratiemodell mit Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung durch Mehrheitsentscheidung abschaffen.

Für viele Linke und Liberale in den Gesellschaften des Westens, aber auch für viele Vertreter des Christentums besteht die Faszination der Einwanderung von Muslimen offenbar darin, dass die Sitten, Traditionen und die Machtverhältnisse der als glaubenslos und materialistisch empfundenen westlichen Gesellschaften infrage gestellt werden und die Legitimität des abendländischen Projekts mitsamt Marktwirtschaft und Leistungsorientierung untergraben wird. Aus dieser Motivation heraus kann man dann ernsthaft die Behauptung aufstellen, dass eine muslimische Frau im Schleier eigentlich keine Unterdrückte sei, vielmehr eher der Westen gegenüber dem sichtbaren Ausdruck ihrer Religiosität intolerant ist.

Unter den Beschwichtigern und Verharmlosern gibt es drei Gruppen: zunächst jene, die keine Probleme mit dem »wahren« Islam sehen (was auch immer unter »wahr« verstanden wird). Sodann gibt es jene, die Probleme zwar sehen, sie aber für überschaubar, lösbar oder vorübergehend halten. Und schließlich gibt es jene, die die Benennung von Problemen oder die Herstellung einer Verbindung zwischen diesen Problemen mit dem »Wesen« des Islam als prinzipiell unzulässig oder als unbegründet ansehen und jenen Kritikern, die so denken oder argumentieren, Islamophobie oder rassistische Motive unterstellen.

Typisch für diese Tendenz zur Verharmlosung (die sich gleitend mit Leugnung mischt) war ein Interview, das der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, und die stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Sawsan Chebli, im August 2016, wenige Wochen vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl, gemeinsam der FAZ gaben.16 Das Thema waren die Muslime in Berlin, und es war aufschlussreich, was zur Sprache kam und was nicht.

Die Politologin Chebli, Tochter palästinensischer Einwanderer, lehnte es ab, die Integrationsdebatte mit der Diskussion über Muslime, Islam oder Religion überhaupt zu vermengen. Sie bestritt damit implizit, dass der Islam als solcher oder in bestimmten Ausprägungen ein Integrationshindernis sein könne, und widersprach sich doch selbst, als sie sagte: »Mein Vater ist ein frommer Muslim, spricht kaum Deutsch, kann weder lesen noch schreiben, ist aber integrierter als viele Funktionäre in der AfD, die unsere Verfassung infrage stellen.« Dabei ist es schon eine Leistung, wie ihr Vater 40 Jahre in Berlin zu leben, ohne Deutsch zu lernen. Dies ist eigentlich nur aus einem weitgehenden Desinteresse an der umgebenden deutschen und europäischen Kultur und an sozialen Kontakten im fremden Umfeld zu erklären. Unklar blieb, nach welchen Maßstäben Chebli die Integration ihres Vaters in Deutschland für höher hält als die von vielen AfD-Funktionären.

Im weiteren Verlauf des Interviews bestand Chebli darauf, dass muslimische Frauen in Deutschland ihr Kopftuch durchweg freiwillig tragen. Sie verwies dazu auf ihre Mutter und ihre fünf Schwestern, allesamt Kopftuchträgerinnen. Sie wandte sich gegen berufliche Einschränkungen aufgrund des Kopftuchs. Einen Gegensatz zwischen dem Islam und der Identifikation mit Deutschland und dem Grundgesetz verneinte sie. Die Scharia regle zum größten Teil das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen und sei für sie als Demokratin kein Problem im Alltag. Der islamistische Extremismus treffe vor allem die Muslime selbst. Islamkritik aus der AfD setzte sie mit rassistischer Hetze gleich: »Da müssen wir Demokraten klar Stellung beziehen und Rassismus mit aller Vehemenz zurückweisen.«

Die zeitgemäße Auslegung des Islam sei »ein innerislamischer Prozess, der auch nicht von außen bestimmt werden sollte«, vom Euro-Islam halte sie nichts. Ein Problem erkannte sie immerhin an: »Als Muslim ist man nur Gott gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet. Das ist ein Segen, macht es aber zugegebenermaßen schwieriger, die Zusammenarbeit mit dem Staat zu organisieren.«

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller war in dem Interview im Wesentlichen Cheblis freundliches Echo. Den Begriff »Leitkultur« empfand er als zu eng gefasst, auch werde er gern politisch zur Ausgrenzung missbraucht. Das Grundgesetz müsse natürlich für alle verbindlich sein. Verträge mit muslimischen Verbänden und Vereinen seien anzustreben. Die Ausbildung für Imame am Islam-Institut der Humboldt-Universität müsse unterschiedliche Glaubensrichtungen abbilden, und es wäre, so Müller, jedenfalls ein großer Fortschritt, wenn in Berlin aufgewachsene und ausgebildete Imame auch in den Berliner Moscheen predigen könnten. Immerhin erkannte er an, dass Integration offenbar nicht automatisch erfolgt. »Für das Zusammenleben muss es einen klar benannten und für alle nachvollziehbaren Rahmen geben. Die für alle verbindlichen Regelungen müssen angesprochen werden.«

Damit wurde Müller deutlicher, als es noch vor einigen Jahren in Berlin üblich war. Aber auffallend blieb, welche Themen von den beiden Gesprächspartnern, die sich so freundlich die Bälle zuwarfen, ausgespart wurden:

der sich in weiten Teilen ausbreitende Fundamentalismus und die zunehmende Radikalisierung von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen unter den Muslimen in Berlin und in Deutschland,

die Folgen der frühen Familiengründung und durchschnittlich höheren Kinderzahl bei den Muslimen. In Berlin stellen die Muslime einen Bevölkerungsanteil von 8–10 Prozent, aber ihr Anteil an den Schulkindern liegt bereits bei 15–20 Prozent. Amtliche Statistiken dazu gibt es leider nicht,

der überdurchschnittliche Anteil der jungen Muslime an der Gewaltkriminalität,

der weitverbreitete Antisemitismus unter den Berliner Muslimen,

die unterdurchschnittlichen Bildungsleistungen, der niedrige Anteil qualifizierter Berufe und die niedrigen Beschäftigungsquoten der Muslime im Erwerbsalter.

Michael Müller argumentierte im Berliner Wahlkampf nicht anders, als es jeder beliebige Vertreter von SPD, CDU, Grünen oder Linken getan hätte. In Bezug auf den Wahlausgang der Abgeordnetenhauswahl 2016 half das offenbar nicht. Für die Regierungsparteien SPD und CDU wurde sie zum Desaster.

Der Durchschnittseuropäer, der weder als Muslim aufgewachsen ist noch Islamwissenschaften studiert hat, kann sich über das »Wesen« des Islam und die Frage, ob dieser Religion bestimmte Gefahren innewohnen, die Muslime auch gefährlich werden lassen, naturgemäß kein Bild machen. Er kennt ja kaum seine eigene Religion, falls er überhaupt religiös ist. Andererseits wird der Durchschnittseuropäer mit Erscheinungen (bzw. mit Behauptungen über Erscheinungen) konfrontiert, die viele beängstigen: Terrorismus, Fundamentalismus, Unterdrückung von Frauen, Kopftuchzwang, überdurchschnittliche Kriminalität, unterdurchschnittliche Bildung, hohe Geburtenrate, großer Einwanderungsdruck, Rückständigkeit in den Herkunftsländern usw. Was ist davon Vorurteil? Was ist Verleumdung? Was hat ganz andere Ursachen als die Religion? Und wie schlimm und gefährlich ist das alles? Bis zu welchem Grad kann man es ändern? Und wie?

Im Angesicht des Islam ziehen sich »die Kirchen in Deutschland (…) auf Allgemeinplätze zurück, weil sie sich mit allen Religionsgemeinschaften in einem Boot sehen«, und bevorzugen eine Schönwetterdogmatik. Als der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert im Januar 2017 über die religiöse Prägung des Grundgesetzes sprach und konstatierte, wir müssten mit dem Abschied von kultureller Homogenität leben, erwähnte er den Islam mit kaum einem Wort.17 Die Frage, ob der Islam als solcher mit unseren kulturellen Grundwerten in Einklang steht und welcher Art das Spannungsverhältnis ist, wird weitgehend tabuisiert.

Mathias Rohe fordert, man dürfe »den Islam und sein Normensystem« nicht »entgegen allen historischen und gegenwärtigen Erfahrungen als unveränderliche, durchweg gegen säkular-rechtsstaatliche Ordnungen gerichtete Größe ansehen«, sondern müsse sich »mit der Vielfalt und Dynamik dieses Systems« konfrontieren.18 Das ist richtig, aber eine Religion existiert nicht unabhängig von ihren Gläubigen. Ihr Inhalt wird dadurch bestimmt, was die Gläubigen glauben, und kann deshalb genauso widersprüchlich sein wie die Überzeugungen der Gläubigen. Entscheidend ist also die Frage: Was glauben Muslime, und wie wirkt sich ihr Glaube auf ihr Verhalten aus? Die Frage nach dem »Wesen« des Islam ist zwar sinnvoll. Ihr Erkenntniswert wird aber dadurch begrenzt, dass die Frage nach dem »Wesen« einer Religion nicht getrennt werden kann von der Praxis der Gläubigen.

Bei heterogen zusammengesetzten Gruppen kann in Bezug auf einzelne Gruppenmitglieder die eine Aussage und in Bezug auf andere Gruppenmitglieder das Gegenteil davon wahr sein. Zu allgemeinen Aussagen kann man nur kommen, wenn man die vielen widersprüchlichen Aussagen in einer Häufigkeitsverteilung oder einem statistischen Durchschnitt verdichtet. Zu den Gefahren des Islam gilt deshalb: Für Einzelne mag das eine stimmen, für andere aber gilt genau das Gegenteil – wie bei Ayaan Hirsi Ali und ihrer Schwester. Es ist also auch eine Frage der statistischen Relationen und der Dauerhaftigkeit der zugrunde liegenden Verhaltensmuster. Die individuelle Erzählung hilft nur begrenzt, denn es gibt sowohl negative als auch positive Beispiele in großer Zahl. Entscheidend ist das Verhältnis der Zahlen, ihr positiver oder negativer Trend, die Gefährlichkeit negativer Erscheinungen, die Wahrscheinlichkeit endogener Veränderungen und die Möglichkeit, Veränderungen exogen zu bewirken.

Vieles deutet darauf hin, dass im Islam eine Tendenz zum Beleidigtsein und zum Sich-angegriffen-Fühlen angelegt ist, die mit unseren Begriffen von Meinungsfreiheit und Demokratie schwer vereinbar ist. Über dem Schriftsteller Salman Rushdie schwebt seit 1989 eine Todesdrohung der Islamischen Republik Iran wegen seines Romans Die satanischen Verse, der angeblich Mohammed und den Islam beleidigt. Der dänische Zeichner Kurt Westergaard ist seit 2002 wegen seiner Mohammed-Karikaturen Gegenstand konkreter Mordpläne und steht unter ständigem Polizeischutz. Die Schriftstellerin Sabatina James wurde in einer muslimischen Familie in Pakistan geboren und wuchs in Österreich auf. Sie weigerte sich, den Cousin zu heiraten, den die Familie ihr als Ehemann zugedacht hatte, und konvertierte zum Christentum. Von ihrer in Österreich lebenden Familie wird sie seitdem mit dem Tod bedroht. Sie lebt an einem unbekannten Ort. Der deutsche Publizist Hamed Abdel-Samad hält sich mittlerweile wegen der Todesdrohungen gegen ihn an einem unbekannten Ort im Ausland auf und steht unter ständigem Polizeischutz.

Solche Ereignisse und die seit Jahrzehnten wachsende Radikalisierung unter Muslimen überall auf der Welt waren ein Anstoß für dieses Buch. An seinen Anfang stelle ich die Frage nach dem »Wesen« des Islam. Meine Antwort suche ich im Text des Korans, so wie ich ihn als verständiger Laie ohne Kenntnisse des Arabischen in deutscher Sprache verstehe. Von daher versuche ich, das Spektrum der Deutungen des Islam aufzufächern, und untersuche näher, was Muslime unter dem Islam verstehen und wie der Islam die Lebenswelt, die Gesellschaften und die Mentalität der Muslime prägt. Dazu sammle ich verfügbare Fakten und interpretiere ihren inneren Zusammenhang. Bei meinen Deutungen versuche ich, nicht voreilig zu sein. Wer ihnen nicht folgt, wird die von mir dargelegten Fakten gleichwohl nicht übergehen können. Er muss sie in diesem Falle anders erklären. Ein bisschen ist es dann wie in einem Indizienprozess: Voneinander unabhängige Fakten, die jede für sich eine andere Erklärung haben mögen, können zusammen Schlussfolgerungen mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ergeben, denen sich der verständige Betrachter eigentlich nicht entziehen kann.

Im Verlauf des Buches spanne ich einen Bogen von den Aussagen des Korans zur mentalen Prägung der Muslime, von da weiter zu Eigenarten und Problemen muslimischer Staaten und Gesellschaften und schließlich zu den Einstellungen und Verhaltensweisen von Muslimen in den Einwanderungsgesellschaften des Westens. Die Erkenntnisse daraus haben einen gruppenbezogenen statistischen Charakter. Sie beschreiben stochastische Zusammenhänge, die niemals sichere Rückschlüsse auf einzelne Personen oder auf die Kausalität einzelner Ereignisse zulassen. Das vermindert aber nicht ihre empirische Relevanz oder ihren teilweise bestürzenden Charakter. Statistische Erkenntnisse über die gesundheitlichen Risiken des Rauchens werden ja auch nicht widerlegt durch den Umstand, dass der Kettenraucher Helmut Schmidt 95 Jahre alt wurde.