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John Holloway

Wir sind die Krise des Kapitals …
und stolz darauf

Die San-Francisco-Vorträge
 
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von
Margarita Ruppel

 

 

 

U N R A S T

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

John Holloway ist Soziologieprofessor an der Universität von Puebla, Mexiko. Seine Veröffentlichungen beschäftigen sich mit marxistischer Theorie, der zapatistischen Bewegung sowie neuen Formen des antikapitalistischen Kampfes. Sein Buch Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen wurde in elf Sprachen übersetzt und hat eine internationale Debatte angestoßen.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

 

John Holloway: Wir sind die Krise des Kapitals …

eBook UNRAST Verlag, Mai 2018

ISBN 978-3-95405-031-4

 

© UNRAST Verlag, Münster

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Erstveröffentlichung 2016 bei PM-Press, Oakland

John Holloway: In, Against, And Beyond Capital

© 2016 PM Press

 

Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

Warum Holloway?
Vorwort von Andrej Grubaĉić

Erstens:
Wer sind Wir?

Zweitens:
Kapital, die gesellschaftliche Kohäsion,
die uns die Luft abschneidet

Drittens:
Wir sind die Krise des Kapitals …
und stolz darauf

Bibliografische Anmerkung

Anmerkungen

Warum Holloway?

Vorwort von Andrej Grubaĉić

 

Positives Denken zu kritisieren, ist in Kalifornien eine waghalsige Angelegenheit, vor allem dann, wenn man es auch noch in einer Räumlichkeit mit dem Namen Namaste Hall[1] tut. Und doch hat John Holloway in seinen drei erhellenden Vorlesungen am California Institute of Integral Studies im April 2013 genau das getan. Studierende und Aktivist*innen bejubelten ihn, widersprachen ihm und beteiligten sich aktiv an diesem denkwürdigen intellektuellen Austausch, der von der Fakultät für Anthropologie und sozialen Wandel organisiert wurde.

In diesem Vorwort will ich John Holloways Marxismus diskutieren und ihn in die zeitgenössische Theorie des Antikapitalismus einordnen. Ich werde mich dabei auf vier Schlüsselaspekte in Holloways Ansichten konzentrieren.

Der erste Aspekt ist die Dialektik. Wie Roy Bhaskar[2] und kritische Realist*innen (Norries 2009) herausgearbeitet haben, kann die gesamte westliche philosophische Tradition durch die Konfrontation zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Positionen erklärt werden. Die erste Position, die von Parimenides beschrieben wurde, geht von einer Unveränderbarkeit der Realität aus. Objekte seien feststehend und vor Veränderungen geschützt. Die Heraklitische Position wiederum betrachtet Objekte als Muster der Veränderung (Graeber 2001). Die Welt befindet sich in einem konstanten Fluss ohne feste Objekte. Für Holloway wie auch für Adorno »folgt [das Denken] einem Potenzial, das in seinem Gegenüber wartet« (Adorno 1966:28). Objekte oder konstitutive Elemente befinden sich in stetiger Bewegung und unserem Denken widerstrebt »das bloß Seiende« (1966: 29). Die bekanntesten Beispiele für Theorien, die Objekte als Prozesse und die Gesellschaft als durch Handlung konstruiert betrachten, sind die von Marx und Hegel. Es ist korrekt, zu behaupten, dass Holloway der dialektischen Tradition fest verbunden ist und beharrlich die Meinung vertritt, es sei aus theoretischer sowie politischer Sichtweise wichtig, den Begriff der Dialektik zu verteidigen. Es wäre jedoch nicht korrekt, es bei dieser Aussage zu belassen. Holloways Dialektik ist nicht dieselbe wie Hegels und sein politisches sowie intellektuelles Projekt verfolgt das Ziel, den Begriff einer offenen und negativen Dialektik zu entwickeln.

Nach der Niederlage des real existierenden Sozialismus lehnten viele Marxist*innen, vor allem jene in der frankofonen Welt, die dogmatische Gewissheit des positiven Denkens ab. Kein synthetisches Denken mehr, erklärten sie, keine Abgeschlossenheit, keine Gewissheit mehr. Diese Reaktion war völlig verständlich, da sie einen intellektuellen und politischen Protest gegen die offizielle Haltung der Kommunistischen Partei Frankreichs darstellte. Die neue Generation der post-1968er Marxist*innen, darunter Deleuze, Guattari, Foucault und Negri, machten einen nachvollziehbaren Schritt von Hegel zu Spinoza, vom Widerspruch zur Differenz. Diese poststrukturalistische Strömung brach mit kohärenten Totalitäten, abstrakten Kategorien und monolithischen Revolutionssubjekten. Damit, so Holloway, seien sie zu weit gegangen und hätten das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wie Holloway darlegt, ist ihre intellektuelle Sorge absolut gerechtfertigt, wenn man es mit unitarischer oder positiver Synthese zu tun hat und der wohlbekannte »Widerspruch« im positiven Konzept der Arbeiterklasse verkörpert wird. In mehreren bedeutsamen Werken (Holloway 2005 und 2010) stellt er jedoch fest, der große Widerspruch liege darin, dass die extremistische Ablehnung der Dialektik ebenjene Theoretiker*innen zu einer neuen Positivierung des Denkens und einer Rückkehr zum synthetischen Abschluss geführt habe. Die neue autonomistische oder postoperaistische Theorie, die mit der Antiglobalisierungsbewegung entstand und am besten in den Werken von Antonio Negri, Michael Hardt und dem Colectivo Situaciones[3] beschrieben wird, setze alle Dialektik mit der synthetischen Hegel’schen Tradition gleich. Das wiederum habe ernsthafte politische Konsequenzen. Anstatt einer offenen Denkweise, die die wichtigste Erkenntnis Marx’ zelebriert – die Idee, dass die Welt nicht aus einzelnen, trennbaren Objekten sondern aus Prozessen und Handlungen besteht – habe dieser neue Positivismus neue Totalitäten gefördert (»Imperium« und »Masse«) und politischen Parteien sowie sozialistischen Regierungen genützt.

Anstatt also das dialektische Denken abzulehnen, lädt Holloway uns ein, es neu zu definieren und weiterzuentwickeln. Sein Marxismus basiert auf einer anderen Logik, die Bewegung, Instabilität und Kampf mit einschließt. Diese geistige Strömung bejaht den Reichtum des Lebens, Unterschiedlichkeit (Nichtidentität) und eine »Bewegung in die entgegengesetzte Richtung«; das heißt, eine Bewegung weg von Ausbeutung, Herrschaft und Klassifizierung. Ohne das widersprüchliche Denken in, gegen und jenseits des Kapitalismus wird das Kapital wieder zu einem Objekt vergegenständlicht, einer Sache anstatt einer sozialen Relation, die für die Transformation einer nützlichen und kreativen Aktivität (Handlung) in (abstrakte) Arbeit steht. Nur die offene Dialektik, eine richtige Denkweise für die falsche Art Welt, ein Denken ohne Vereinfachungen oder Sicherheiten, kann uns in unserem widersprüchlichen Kampf für eine Welt frei von Widersprüchen dienen.

Der zweite Einfluss in Holloways Werk ist das italienische autonomistische Gedankengut im Allgemeinen und Mario Tronti im Speziellen. In seinem berühmten Artikel »Lenin in England« (1979) schreibt Tronti: »Auch wir haben mit einem Konzept gearbeitet, das die kapitalistische Entwicklung in den Vordergrund und die Arbeiter*innen in den Hintergrund stellt. Das ist ein Fehler. Und nun müssen wir das Problem auf den Kopf stellen, die Polarität umkehren und noch einmal von vorn beginnen: Und am Anfang steht der Klassenkampf der Arbeiterklasse« (1979: 1). Diese berühmte Umkehrung der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit kennzeichnete das frühe autonomistische Projekt. Um den Kapitalismus zu verstehen, so die Argumentation, müssten wir bei den Kämpfen der Arbeiterklasse anfangen. Der Kapitalismus entwickle sich in einer konstanten Bewegung von Komposition – Dekomposition – Rekomposition. Das impliziere, dass neue Formen der Gesellschaftsordnung nicht zwangsläufige Ergebnisse der sich entfaltenden kapitalistischen Denkweise seien. Als Problem sieht Holloway hierbei, dass für viele der postautonomistischen Denker*innen, einschließlich Negri (Hardt und Negri 2000; 2004) und Paulo Virno (2004), die Trontische Inversion verloren sei. Ohne negative Gedanken hätten diese Theoretiker*innen einen paradigmatischen Ansatz entwickelt, der sich auf die Analyse von Herrschaft konzentriere. Das ist Holloways Ansicht nach positiver Autonomismus. Das sei Marxismus als Theorie der Restrukturierung des Kapitalismus und nicht als Theorie der Krise. Der neue revolutionäre Akteur sei ein identitäres Subjekt, abgeleitet aus Herrschaftsbeziehungen. Deshalb fordert Holloway einen negativen Autonomismus sowie eine Analyse der Revolution, die in der Welt der abstrakten Arbeit nicht statisch und starr bleibt.

Die Trontische Inversion ist bei der Eröffnung des marxistischen Kanons außerordentlich wichtig, stellt aber nur die halbe Miete dar. Die andere Hälfte findet sich in Adornos Negative Dialektik (1966). Das mag merkwürdig erscheinen. John Holloway ist schließlich bekannt für seinen grenzenlosen, ansteckenden Optimismus und seine verträumte revolutionäre Prosa. Er ist dem sozialen und politischen Kampf nie fern und stets auf der Suche nach Rissen in der Welt des Kapitals und der Herrschaft. Adorno wiederum wird gemeinhin als kulturell elitär angesehen: der Inbegriff eines resignierten Philosophen, ein pessimistischer Theoretiker mit notorisch vagem Stil und der bedauerlichen Gepflogenheit, seinen Student*innen die Polizei auf den Hals zu hetzen. Für Holloway ist das theoretische Erbe Theodor W. Adornos jedoch vielschichtiger und differenzierter. Dank Adorno sei die Entwicklung einer Revolutionstheorie möglich, die das Konzept und die Bewegung der Nichtidentität (Partikularität) in den Vordergrund stelle. Es reiche nicht, die Arbeiterklasse anstelle des Kapitals zu setzen und die Identität unberührt zu lassen. An diesem Punkt erweise sich negatives oder kritisches Denken als unentbehrlich. Negative Dialektik sei die Ontologie des falschen Zustandes. »Von ihr wäre ein richtiger befreit, System so wenig wie Widerspruch« (1966: 20).

»Seitdem der Autor den eigenen geistigen Impulsen vertraute, empfand [Adorno] es als seine Aufgabe, mit der Kraft des Subjekts den Trug konstitutiver Subjektivität zu durchbrechen« (1966: 8). Dialektik ist der Kampf gegen die Identität, eine unangepasste Logik für ein negatives Subjekt in, gegen und jenseits des Kapitalismus. Befreit vom positivistischen Erbe, ist Dialektik Negation ohne Synthese, eine kreative Bewegung gegen Identität, eine geistige Strömung, die Nichtidentität ins Zentrum der Analyse stellt: »Dialektik ist das beständige Gefühl der Nichtidentität.« Das ist der (zweite) Schlüsselaspekt in Holloways Theorie. Die Arbeiterklasse rebelliert gegen den Kapitalismus – sie stellt die Krise des Kapitalismus dar – jedoch auch gegen sich selbst. Dieses offene politische Subjekt, die Arbeiterklasse, wird zu einem inklusiven und widersprüchlichen ›Wir‹, einer kreativen Kraft mit »einem beständigen Gefühl der Nichtidentität«. Das Denken gegen (bestehende Subjektivität) und das Handeln gegen (entfremdete Arbeit) lehnen Identität ab und verstehen den Klassenkampf als eine permanente negative Revolution: eine Explosion der menschlichen Kreativität (was Marx hoffentlich wirklich mit seinem viel zitierten Begriff der »Produktivkräfte« meinte). Dann ist die Theorie der Revolution eine Kritik am schieren Wesen des bourgeoisen Denkens, eine Kritik gegenüber jenen Kategorien der Volkswirtschaft, die den Antagonismus zwischen abstrakter Arbeit und kreativem (widersprüchlichen) menschlichen Handeln verschleiert. Mithilfe Adornos ist die Inversion komplett. Tronti fehlt die Negativität Adornos und Adorno ist unvollständig ohne Trontis Kreativität. Es gibt keinen konsequenten Autonomismus ohne Kritische Theorie und keine effektive Kritische Theorie ohne das autonomistische Projekt in ihrem Kern (Holloway, Matamoros und Tischler 2009).

Der dritte theoretische Einfluss in Holloways Arbeiten ist die Staatsableitungsdebatte. Der womöglich am wenigsten bekannte Teilnehmer in der weiten Welt der marxistischen Staatsdebatten der 1970er, die deutsche Schule der Staatsableitung, spielte eine wichtige Rolle in der intellektuellen Entwicklung Holloways. Holloway und Picciotto (1978) waren die ersten, die diese wichtige theoretische Strömung in der anglofonen Welt vorstellten. Die Hauptthese der Staatsableitung ist, dass die zentrale Frage jeder Debatte über den Staat dessen Form sein müsse (»Formanalyse«). Die Autonomie des Staats sei Illusion, da dieser nicht außerhalb oder abhängig vom Kapital und von Akkumulationsprozessen stehe. Staaten seien Beziehungen und Organisationsformen zur Reproduktion von Kapital. Der große theoretische Beitrag der Staatsableitung bestand darin, die Marxist*innen daran zu erinnern, dass jegliche Auseinandersetzung mit dem Staat »auf der Dialektik der Form und des Inhalts des Klassenkampfes basieren« müsse (1978: 31). Holloway wurde vor allem beeinflusst von Joachim Hirschs Ausführungen über den Staat als kapitalistische Form sozialer Beziehungen. Wenn der Staat also eine kapitalistische Form der sozialen Beziehungen ist, so lautet Holloways politische Schlussfolgerung, kann man ihn nicht nutzen, um eine Revolution herbeizuführen. Holloway definiert in seinem Buch den Staat als spezifische Form der Gesellschaftsordnung, eine Betrachtungs- und Handlungsweise, eine Form der Gesellschaftsordnung, die Menschen ausschließe. Staaten, selbst wenn sie »pink« seien, hätten einen zweifachen Effekt auf soziale Bewegungen: Sie würden die Führung von der Bewegung trennen und die Bewegungen in einen Versöhnungsprozess mit dem Kapital führen. Deshalb müsse man von der staatszentrierten Politik abrücken und sie durch die »Antigrammatik der Revolution« ersetzen. Diese Überzeugung gewann nach Holloways Migration nach Mexiko und vor allem nach dem zapatistischen Aufstand neuen Auftrieb.

Im Januar 1994, als das North American Free Trade Agreement (NAFTA) zwischen Mexiko, Kanada und den USA in Kraft trat, erklärte eine Gruppe Indigener der mexikanischen Regierung den Krieg und besetzte mehrere Landkreise im südlichen Bundesstaat Chiapas. In der Ersten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald, die am ersten Tag des Aufstands veröffentlicht wurde, formulierte die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) ihre Forderungen: Arbeit, Land, Wohnraum, Nahrung, Gesundheit, Bildung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden. Sie zitierten Artikel 39 der mexikanischen Verfassung: »Die Bürger haben zu jeder Zeit das unabdingliche Recht, die Form ihrer Regierung zu verändern oder zu modifizieren.« Während das mexikanische Militär den Aufstand bekämpfte, forderten Millionen Menschen auf der ganzen Welt ein Ende der Angriffe auf die Zapatist*innen. Die EZLN zog sich aus den Hauptstädten der Landkreise zurück, das von ihr besetzte Land blieb jedoch »Territorium in Rebellion«. Sie ließen von der Gewalt ab, blieben jedoch eine Guerilla-Armee, die sich für »Autonomie« einsetzt: territoriale Selbstorganisation und Selbstverwaltung in Politik, Justiz, Bildung, Wirtschaft und Gesundheitswesen.

John Holloway war einer der ersten, die die Bedeutung der zapatistischen Neuerfindung der Politik erkannten (Holloway und Pelaez 1998). Während Negri und die anderen positiven Autonomist*innen nach einem neuen revolutionären Proletariat im »Kognitariat« suchten, jenen Beschäftigten des »immateriellen« Sektors in den Kernländern der Weltwirtschaft, die im Internet herumtüftelten, war Holloway der Meinung, die neue Politik werde von den indigenen Campesinos in Chiapas geschmiedet. Die Zapatist*innen lehnen traditionelle Dogmen des Sozialismus wie staatszentrierte Politik und das leninistische Konzept der Avantgarde ab. Aus Holloways Sicht stehen die Zapatist*innen für eine »dialogische Politik«. Sie haben ihre Losung »preguntando caminamos« (fragend schreiten wir voran) zum Hauptprinzip kreativer Selbstaktivität erklärt. Alte Weisheiten und abgegriffene Dogmen warfen sie über Bord. Entstanden ist der Zapatismo, weniger eine Ideologie als ein Festival der Ideen. Diese Ideen und Praktiken sind zwar nicht inkohärent aber zutiefst widersprüchlich. Genau das ist es, was Holloway mehr als alles andere inspiriert. Sogar der Kern des Zapatismo ist ein Widerspruch zwischen der Organisationsform (letztendlich sind sie eine Armee) und der Bewegung des Ungehorsams (sie sind eine Armee, die keine mehr sein will). Der Widerspruch zeigt sich auch im Kontrast zwischen der militärischen Struktur der Organisation und den autonomen Lebensweisen in den indigenen Gemeinden. Die Zapatist*innen sind keine Synthese; ihr Widerstand ist nicht auf ein positives Bild reduziert. Sie sagen: »Wir sind einfache Leute, wir sind gewöhnliche Frauen und Männer, Kinder und Alte, und genau das macht uns rebellisch.« Dieser Widerspruch enthält eine interessante Verbindung zur kollektiven Identität. Die Zapatist*innen weisen Identität zurück, aber machen sie sich dennoch zu nutze. Sie haben von Anfang an klargestellt: »Wir sind eine Bewegung, die sich fast vollständig aus Indigenen zusammensetzt, doch wir sind nicht bloß eine indigene Bewegung. Wir kämpfen nicht nur für indigene Rechte sondern für Menschlichkeit.« Ohne sich klassifizieren zu lassen, ist der Zapatismo eine konstante Bewegung der würdevollen Wut. Schließlich bewohnen die Zapatist*innen ein Territorium oder, wie es Holloway nennt, einen räumlichen »Riss«. Dreißig Jahre lang haben die Zapatist*innen im Urwald und dem Hochland von Chiapas eine Gesellschaft entwickelt, die auf anderen sozialen Beziehungen basiert, eine funktionierende Gesellschaftsordnung, die von der Logik des Staates abweicht. In den zapatistischen Gebieten in Chiapas warnt ein Schild am Eingang: »Die schlechte Regierung muss draußen bleiben, hier regiert das Volk.«

Ich will versuchen, einige dieser Ideen zusammenzubringen. Holloways Marxismus ist eine kreative und originelle Kombination aus Erkenntnissen der Staatsableitung, der autonomistischen Tradition, der Kritischen Theorie und des Zapatismo. Wie jeder andere Marxismus beginnt dieser bei den Kräften und Relationen der Produktion, definiert sie jedoch anders, als ich es damals in der Schule im sozialistischen Jugoslawien gelernt habe. Der Kommunismus besteht nicht aus großen Traktoren und Fließbändern. Er ist eine Gesellschaft, die sich stets neu erfindet und auf menschlicher Kreativität und Selbstbestimmung basiert. Die Produktivkräfte sind die Menschen selbst. Deshalb beginnt Holloway nicht beim Kapital und der Herrschaft oder dem »elenden Loch der Warenwirtschaft«. Wie in jedem anderen Marxismus geht es um die Klasse. Diese besteht jedoch nicht, zumindest nicht ausschließlich, aus männlichen Fabrikarbeitern. Diese Klasse rebelliert gegen die kapitalistische Gesellschaft und gegen sich selbst, ein revolutionäres Subjekt gegen die Identität. Die Arbeiterklasse ist eine Bewegung gegen Arbeit oder gegen entfremdete Arbeit und identitäre Klassifizierung. Wir sind »die Bewegung, die die Bindekraft, die Synthese und die Identität durchbricht«. Unsere unendliche Vielfalt ist das Grundprinzip unserer Solidarität. Kapitalismus ist ein System der tödlichen, aber schwachen gesellschaftlichen Bindekraft, basierend auf abstrakter Arbeit, auf dem dualen Prozess der Abstraktion unseres kreativen Handelns in Arbeit und der Klassifizierung