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Lothar Linz

Erfolgreiches Teamcoaching

Meyer & Meyer Fachverlag & Buchhandel GmbH

Inhaltsübersicht

Impressum

© 2004 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

4. überarbeitete Auflage 2014

6. Auflage 2022

Auckland, Beirut, Budapest, Cairo, Cape Town, Dubai, Hägendorf, Indianapolis, Maidenhead, Singapore, Sydney, Teheran, Wien

Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)

ISBN 978-3-8403-3688-1

verlag@m-m-sports.com

www.dersportverlag.de

ISBN 978-3-8403-3688-1

Danksagung

Inzwischen arbeite ich so viele Jahre in diesem Beruf, da hatte ich das Glück, sehr viele Athleten, Mannschaften und Trainer begleiten zu dürfen. Von euch allen habe ich viel gelernt. Die mannigfaltigen Erfahrungen sind der Schatz, aus dem ich dieses Buch schöpfen kann. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken.

Daneben gibt es viele Menschen, die in irgendeiner Form zu diesem Buch beigetragen haben. Auch wenn ich nicht jeden Einzelnen namentlich nenne, so danke ich allen, die mich unterstützt, ermutigt und begleitet haben. Ich weiß das alles sehr zu schätzen.

Und ich danke natürlich dem Verlag und meiner Lektorin, dass sie dieses Buch einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben und weiterhin machen.

Vorwort – Unterhaching ist überall

Zugegeben, das Leben eines Fußballprofis unterscheidet sich grundlegend von dem eines Kreisligakickers. Und ein Bundestrainer muss ganz andere Dinge leisten, als die Trainerin eines Basketballoberligisten. Aber bei allen Unterschieden, die zu Grunde liegenden psychischen Mechanismen gelten für alle Spielniveaus in gleicher Weise.

Die bittere Leverkusener Niederlage 2000 in Unterhaching und die damit am letzten Spieltag verspielte Meisterschaft ist vermutlich noch den meisten Deutschen vor Augen. Aber dass sich am gleichen Wochenende in der Kreisliga A des Fußballkreises Rhein-Berg ein vergleichbares Drama abspielte, wer weiß das schon? Als Tabellenführer empfing der TuS Immekeppel die schon als Absteiger feststehende zweite Mannschaft des SV Refrath. Eigentlich eine klare Sache, zumal schon ein Punkt zum großen Ziel genügt hätte. Doch es kam ganz anders. Der Außenseiter gewann und Immekeppel stürzte „ins Tal der Tränen“.

Sie sehen also, Unterhaching ist überall. Was für Nationalspieler gilt, gilt auch für Freizeitsportler. Mannschaften funktionieren immer auf die gleiche Weise, Trainer führen ihre Mannschaften immer dank derselben Methoden und sie machen auch auf allen Ebenen die gleichen Fehler.

Dieses Buch ist deshalb für alle Trainer geschrieben, ob sie in der Bundesliga oder in der Landesliga arbeiten, ob sie schon 20 Jahre im Geschäft sind oder gerade ihre ersten Sporen verdienen. Ich möchte ganz bewusst eine Lücke schließen, die ich schon seit vielen Jahren beobachtet habe. Sportpsychologische Literatur wird noch immer vorwiegend für die Fachleute geschrieben. Konkrete Ratgeber hingegen existieren kaum.

Für diesen Missstand gibt es natürlich gute Gründe. Zum einen ist die Sportpsychologie eine junge Wissenschaft, sodass sie sich noch in der Entwicklung befindet. Zum Zweiten besteht die Gefahr, dass ein solcher Ratgeber als Kochbuch verstanden wird, frei nach dem Motto: Sie brauchen nur folgende Zutaten zu nehmen, dann kommt am Ende der sichere Erfolg heraus. Das funktioniert natürlich nicht! Dazu sind die Menschen viel zu komplex. Und wenn mehrere Menschen zusammenkommen, wird es noch einmal vielfältiger. Aber mit dem richtigen Verständnis hat ein solches Buch einen hohen Wert.

Nehmen Sie mein Buch als Angebot. Sie können keine Patentrezepte finden, aber es enthält hilfreiche und konkrete Anregungen. Und es kann Ihnen helfen, ein besseres Verständnis für Ihre Tätigkeit zu gewinnen. Indem Sie die wichtigsten Modelle und Mechanismen kennen lernen, die zwischen Menschen wirken, können Sie diese besser einsetzen und so zu einem größeren Gelingen Ihrer Arbeit gelangen.

Ich habe das Buch in zwei Teile aufgeteilt. Teil I beinhaltet die theoretischen Grundlagen, auf denen gelungenes Coaching basiert. Dieser Abschnitt dient Ihrem besseren Verständnis. Teil II dagegen orientiert sich ganz direkt an Ihrem Alltag als Trainer. Er versucht, Ihnen konkrete Hilfen zu geben, wie Sie die wichtigsten Situationen behandeln können, welche ich während meiner langjährigen Erfahrung als Sportpsychologe im Spitzensport als wiederkehrend erlebt habe.

Eine praktische Anmerkung möchte ich vorweg noch machen: Wenn ich im weiteren Text ausschließlich die männliche Form verwende, so hat das rein praktische Gründe. Ich hoffe, dass sich die weiblichen Leserinnen dabei genauso angesprochen fühlen.

1 Einführung in die Grundlagen des erfolgreichen Coachings

Dieses Buch richtet sich bewusst an die Praxis. Ihr Traineralltag ist es, der mich interessiert. Hierzu hoffe ich, Ihnen hilfreiche Anregungen geben zu können. Deshalb habe ich den Schwerpunkt des Buches auf den zweiten Teil („Praktische Anregungen zum erfolgreichen Teamcoaching“) gelegt.

Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung (Lau, Seeliger & Stoll, 2002) belegt, dass Trainer aller Sportarten den Mangel an praxisrelevanten Lösungsvorschlägen für ihre Tätigkeit beklagen. In diesem Buch finden Sie deshalb sehr konkrete Vorschläge und Überlegungen, die Ihnen in Ihrer täglichen Arbeit eine Orientierung bieten.

Es erscheint mir dennoch sinnvoll, zuvor einige wichtige psychologische Grundlagen vorzustellen. Diese werden es Ihnen erleichtern, meine späteren Anregungen zu verstehen. Außerdem sind Sie damit in der Lage, Ihr Handeln selbstständig an diesem Grundwissen auszurichten.

Ich habe mich dabei bewusst auf einige wenige, mir wichtig erscheinende Theorien beschränkt. Viele sportpsychologisch relevante Konzepte kommen in diesem Buch nicht ausdrücklich vor. Wer hierzu mehr erfahren möchte, der sei auf die zahlreiche Fachliteratur verwiesen. Leider ist diese Fachliteratur nur selten praxisbezogen und zudem für den Durchschnittsbürger sprachlich oftmals nur schwer verständlich. Ich will mich mit diesem Buch aber bewusst an alle interessierten Trainer wenden.

Mit den hier vorgestellten Grundlagen erwerben Sie ein Basiswissen darüber, wie Coaching funktioniert und was Sie dazu beachten müssen. Außerdem erfahren Sie etwas über Kommunikation, über die Grundmechanismen in Mannschaften, über Ihre Rolle als Führungsperson, über Faktoren, welche die Qualität Ihres Coachings bestimmen und über die Bedeutung und den Umgang mit Zielen.

Im zweiten Teil des Buches erleben Sie dann, wie Sie die Inhalte in konkreten Situationen Ihres Traineralltags umsetzen können.

2 Basiswissen für eine gelungene Kommunikation

Es ist für mich immer wieder verwunderlich, wie gut wir Menschen uns verständigen können, obwohl unsere Kommunikation voller möglicher Quellen für Missverständnisse ist. Genau betrachtet, ist es ja sogar so, dass niemals eine Botschaft

genau so beim anderen ankommt, wie sie von uns als Absender gemeint ist. Meine Einstellung, meine Erfahrung, meine Erwartungen, meine Beziehung zum anderen, meine aktuelle Stimmung und noch viele Faktoren mehr bewirken, dass ich Informationen nicht neutral aufnehme, sondern sie direkt in einen Zusammenhang stelle. Dieser Zusammenhang unterscheidet sich aber immer in irgendeiner Weise von dem meines Gesprächspartners, weil dieser andere Erfahrungen gemacht, andere Erwartungen entwickelt und andere Werte mitgebracht hat. Deshalb ist es auch nicht weiter seltsam, dass es, trotz aller Übereinstimmung, immer wieder zu Missverständnissen kommt. Woran das liegt und wie wir es leichter schaffen, richtig verstanden zu werden, davon handelt das folgende Kapitel.

Ich habe dieses Thema an den Anfang meines Buches gestellt, weil es von grundlegender Bedeutung ist. Aller zwischenmenschliche Kontakt läuft über Kommunikation ab. Kommunikation bildet das Medium, über das wir uns mitteilen. Beziehung in jeder Form, ob zwischen Mutter und Kind oder zwischen Trainer und Spielerin, ob zwischen zwei Freunden oder innerhalb einer Ehe, immer ist sie nur auf der Basis von Kommunikation möglich. Das Erste, womit ein Baby seine Lebendigkeit vermittelt, ist ein Schrei. Sofort beginnt es also, sich mitzuteilen und dadurch Kontakt zu seiner Umwelt aufzunehmen. Beim Coaching springt die Bedeutung von Kommunikation geradezu ins Auge. Ohne Kommunikation können Sie Ihren Athleten nichts mitteilen, sie nicht anspornen oder zu neuen Überlegungen anregen. Deshalb möchte ich Ihnen die wichtigsten Kommunikationsmodelle vorstellen, die Sie für Ihre tägliche Praxis kennen sollten.

2.1 Das Kommunikationsmodell der vier Gesprächsebenen von Schulz von Thun (1981)

Wenn Sie heutzutage auf irgendein Seminar zur Kommunikationsschulung gehen, werden Sie immer auf dieses Modell treffen. Es macht deutlich, dass jede Aussage nicht nur die reine Sachaussage vermittelt, sondern gleichzeitig drei weitere Botschaften enthält.

Eine Aussage beinhaltet zugleich:

Machen wir uns das an einem Beispiel deutlich. Ein Spieler Ihrer Mannschaft kommt wiederholt zu spät zum Training. Sie begrüßen ihn mit den Worten: „Du bist ja schon wieder zu spät.“ Die reine Sachaussage ist leicht beschrieben: „Der Spieler ist später als vereinbart zum Training gekommen und das nicht zum ersten Mal.“ So sachlich und nüchtern wird Ihre Botschaft aber kaum beim Spieler ankommen und wahrscheinlich meinen Sie auch mehr als das Gesagte. Dies wird klar, wenn man sich nun die drei anderen Gesprächsebenen anschaut. Mit Ihrer Aussage treffen Sie nämlich zugleich auch eine Beziehungsaussage, einen Appell und eine Mitteilung über sich selbst. Wie diese Aussagen jeweils aussehen könnten, macht die folgende Grafik deutlich:

Das ist möglicherweise das, was Sie ausdrücken wollten. Aber das ist noch lange nicht das, was der Spieler versteht! Vielleicht hat er das Gefühl, dass Sie ihn schon seit einiger Zeit sehr kritisch beurteilen, während Sie bei anderen Spielern viel mehr durchgehen lassen. War denn nicht der Torwart zuletzt auch mehrfach zu spät, ohne dass Sie etwas gesagt haben? Spekulieren wir also mal, wie der Spieler im genannten Fall die Botschaft verstehen könnte:

Und schon haben wir ein klassisches Beispiel dafür, wie Menschen aneinander vorbeireden. Weil das, was der eine sagt, vom anderen auf jeder Ebene ganz anders verstanden werden kann. Beachten Sie besonders die Unterschiede auf der Beziehungs- und der Selbstmitteilungsebene. Hier gehen die Aussagen am deutlichsten in unterschiedliche Richtungen. Erfahrungsgemäß entstehen meist auch auf der Beziehungsebene die gewichtigsten Missverständnisse.

Eine kleine Randbemerkung sei mir hier erlaubt: An dem oben benutzten Beispiel macht sich ein typisches Problem deutlich. Die meisten Menschen neigen dazu, Kritik als einen Angriff auf ihre Person zu verstehen. Immer aber beinhaltet Kritik die Beziehungsaussage: „Du bist mir wichtig“, also eine ganz positive Botschaft. Nur hören wir das meist nicht. Dabei verhält es sich tatsächlich so. Wenn wir dem anderen nicht wichtig wären, würde er sich gar nicht die Mühe machen, uns zu kritisieren. Wie Hass immer eine Form von Liebe ist, so schließt Kritik immer eine Form der Anerkennung, der Wertschätzung, ein!

Doch zurück zum Modell. Obwohl die Selbstmitteilung und der Appell, wie wir oben gesehen haben, tatsächlich in jeder Botschaft mitschwingen, empfehle ich in der Regel, diese beiden Ebenen zu vernachlässigen. Für die Praxis wird es sonst zu kompliziert. Viel wichtiger finde ich es, die Beziehungsebene in den Blickpunkt zu rücken. Die themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn, eine in den 70er Jahren häufig praktizierte Methode zur Gruppenführung, hatte folgende Grundregel: „Störungen haben immer Vorrang.“ Gemeint war damit, dass an einem Thema erst weitergearbeitet würde, wenn die Störungen auf der Beziehungsebene geklärt waren. Solange hier Unstimmigkeiten herrschen, muss die inhaltliche Arbeit zurückstehen.

In der Absolutheit ist dieses Konzept kaum haltbar, da es schnell zu einer Lähmung führt. Leicht passiert es, dass man in einer Gruppe nur noch über Beziehungsstörungen spricht und die eigentliche thematische Arbeit gar keinen Raum mehr findet. Aber es lohnt sich, diese Regelung als Anregung zu nehmen. Solange auf der Beziehungsebene Störungen bestehen, wirkt sich das immer auf unsere Verständigung negativ aus. Je bedeutsamer die Beziehungsstörung, desto gravierender die Kommunikationsstörung! Es ist sicher nicht notwendig, jeder Spannung nachzugehen. Aber jeder bedeutsamen! Gerade als Trainer ist es wichtig, dass Sie immer für die Basis einer gelungenen Beziehung zu Ihren Athleten sorgen, damit Sie diese mit Ihrem Denken und Handeln auch erreichen.

2.2 Das Beziehungsmodell der Transaktionsanalyse

Wenn wir über Beziehung als Basis einer gelungenen Kommunikation reden, dann lohnt es sich, ein weiteres Modell zu betrachten, das Beziehungsmodell der Transaktionsanalyse. Dieses macht einen wesentlichen Aspekt deutlich, auf welche Weise gerade in der Trainer-Athleten-Beziehung Kommunikation ge- oder auch misslingen kann. Begründet wurde die Transaktionsanalyse (kurz: TA) von Eric Berne (siehe z. B. Berne, 2002). Er beobachtete, dass es Beziehungsmuster gibt, die zueinander passen, und andere, die zwangsläufig zu einer Kommunikationsstörung führen.

Wir Menschen können miteinander in dreierlei Weise in Beziehung treten: über unser Kinder-Ich, unser Erwachsenen-Ich oder unser Eltern-Ich. Das bedeutet, einfach ausgedrückt: Wir können uns kleiner als unser Gegenüber fühlen, gleichwertig oder aber auch als größer als der andere empfinden. Es geht hierbei ausdrücklich nicht um objektive Realitäten, sondern darum, wie ich innerlich dem anderen entgegentrete.

Sicher kennen Sie das aus Ihrer eigenen Erfahrung: Obwohl es keinen objektiven Grund dafür gibt, fühlen Sie sich manchen Menschen gegenüber unsicher und minderwertig. Viele Menschen erleben das in der Gegenwart eines Arztes. Obwohl sie dem Arzt gegenüber völlig gleichberechtigt sind, verhalten sie sich nicht mündig, sondern kleinlaut und ehrfürchtig. So kommt es zum immer noch weit verbreiteten Bild des „Halbgotts in Weiß“.

Aus Kommunikationssicht ist gegen ein solches Verhalten nichts einzuwenden, solange der Arzt sich auch überlegen fühlt und Sie entsprechend behandelt. Wenn ein Gesprächspartner aus seinem Kinder-Ich (klein + unterlegen) handelt und der andere aus seinem Eltern-Ich (groß + überlegen), funktioniert die Beziehungsebene wunderbar. Problematisch aber wird es, wenn das zu Grunde liegende Muster nicht zusammenpasst. Was ist, wenn Sie sich dem Arzt gegenüber gleichwertig empfinden (Erwachsenen-Ich), seine Therapievorschläge also kritisch hinterfragen, er aber noch am alten Klischeebild hängt und sich deshalb für unangreifbar hält (Eltern-Ich)? Dann sind die Probleme vorprogrammiert! Abbildung 1 macht deutlich, welche Beziehungsmuster zusammenpassen und welche zu Problemen führen.

Wenn Sie das auf Ihre Situation als Trainer übertragen, dann wird sehr schnell klar, was Sie an diesem Modell lernen können. Es ist unbedingt wichtig, dass Sie mit Ihren Athleten zu einem übereinstimmenden Beziehungs- und damit Kommunikationsmuster kommen.

Das Kommunikationsmodell der TA

Konkret gesagt, heißt das: Wenn Sie mit Kindern arbeiten, dann sind Sie „der Große“. Deshalb sollten Sie hier bevorzugt aus dem Eltern-Ich heraus handeln. Wenn Sie mit erwachsenen Sportlern arbeiten, sollten Sie diese als Gleichberechtigte behandeln, es sei denn, diese wollen gerne weiterhin geführt werden, wollen gerne, dass Sie ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Am schwierigsten ist der Rat bei Jugendlichen. Denn diese sind genau in einer Umbruchphase vom Kind-Ich zum Erwachsenen-Ich. Oftmals wollen sie gerne schon als Erwachsene behandelt werden, obwohl sie noch kindlich denken und handeln. Das macht es für Sie als Trainer nicht leicht. Hier braucht es Fingerspitzengefühl.

2.3 Weitere wichtige Aspekte der Kommunikation

Jetzt haben Sie gelernt, dass es wichtig ist, bei der Kommunikation sowohl auf die Sachaussage wie auf die Beziehungsaussage zu achten. Und Sie haben ein einfaches Modell kennen gelernt, welches Ihnen hilft, die Beziehungsebene positiv zu gestalten. Zuletzt will ich Ihnen noch einige weitere Aspekte der Kommunikation verdeutlichen, die ebenfalls für Sie als Trainer eine Rolle spielen.

Sicher sind Sie sich bewusst, dass wir nicht nur über die Sprache Mitteilungen an unsere Mitmenschen senden, sondern genauso über unseren Tonfall, den Gesichtsausdruck (= Mimik) und den Körperausdruck (= Gestik). Wir unterscheiden deshalb zwischen verbaler (= sprachlicher) und nonverbaler (= Körpersprache) Kommunikation. Beide sind gleich wichtig. Die nonverbale Kommunikation wird aber häufig unterschätzt. Denn sie ist immer aktiv.

Sie können schweigen, aber Ihr Körper wird jederzeit Botschaften aussenden. Deshalb hat der bekannte polnische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick (2000) auch die interessante Aussage getroffen: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Zugegebenermaßen ein zunächst kompliziert erscheinender Satz. Aber seine Wahrheit ist einfach und offenbar. Wenn jemand Sie etwas fragt und Sie nicht antworten, dann ist das auch eine Antwort. Nämlich entweder, dass Sie die Frage nicht verstanden haben, oder dass Sie sie nicht beantworten wollen bzw. können.

Und es gibt ein weiteres interessantes Phänomen innerhalb der Kommunikation: die doppelten Botschaften. Damit ist gemeint, wenn jemand gleichzeitig zwei widersprüchliche Aussagen trifft, indem er sprachlich den anderen auffordert, näher zu kommen, gleichzeitig sein Körperausdruck aber verschlossen ist. Was soll der andere tun? Hört er auf die Worte oder auf den Körper? Auf Dauer blockieren solche doppelten Botschaften den Gesprächspartner. Deshalb ist es wichtig, möglichst übereinstimmend zu sein, in dem, was man empfindet und was man sagt. Denn der Körper drückt häufig unmittelbarer unsere Haltungen und Empfindungen aus. Die Sprache können wir insgesamt besser kontrollieren.

Je ehrlicher Sie also sind, desto eindeutiger wird auch Ihr Ausdruck und desto besser wissen die Athleten, wo sie bei Ihnen dran sind. (Das ist auch das Problem, wenn Sie als Trainer mit dem Stilmittel der Ironie arbeiten. Ironie macht nur dann Sinn, wenn man sicher sein kann, dass sie vom Gegenüber als solche verstanden wird. Aber da der Selbstausdruck bei der Ironie zwangsläufig widersprüchlich ist, sind hier Missverständnisse fast schon vorprogrammiert.)

Sicher wäre noch viel mehr zu diesem Thema zu sagen, aber mit den hier beschriebenen Begriffen und Modellen sind Sie als Trainer in der Lage, die wichtigsten Missverständnisse aufzuklären und zukünftige Kommunikationsprozesse effektiv zu gestalten, sodass es Ihnen in Zukunft noch besser gelingen wird, mit Ihren Athleten in fruchtbaren Kontakt zu treten.

Davie Selke (L), U21 Nationaltrainer Stefan Kuntz (R): Gelungene, offene Kommunikation ist die Grundlage für eine positive Beziehung.
Foto: ©Picture Alliance/dpa

3 Was ist ein Team? Gruppenregeln und Gruppendynamik

Wenn wir von Sportmannschaften sprechen, benutzen wir gerne Begriffe wie Teamgeist, Mannschaftsgefüge usw. Was aber verbirgt sich hinter solchen Worten? Was ist überhaupt ein Team? Gibt es übergreifende Regeln, nach denen Gruppen funktionieren? Und wie beeinflussen sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig? Auf solche Fragen will das folgende Kapitel Antworten geben.

3.1 Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile

Wir Menschen sind in unserer Grundnatur soziale Wesen. Das bedeutet, dass wir immer aufeinander bezogen sind. Wenn mehrere Menschen zusammenkommen, bilden sie nicht nur eine Ansammlung von Individuen. Sie sind mehr. Gemeinsam entsteht ein neues Ganzes.

Eine Mannschaft besteht demnach nicht nur aus fünf, sieben oder elf Spielern, sie bildet eine neue, größere Einheit. Und je besser eine Mannschaft funktioniert, desto größer wird der Mehrwert, den diese Einheit ausmacht.

Auf Grund dieser Tatsache gilt für alle Gruppen eine einfache Regel: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Um diesen Satz noch besser zu verstehen, stellen Sie sich eine einfache Frage: Wie kommt es, dass die deutsche Damenstaffel im olympischen Langlauf 2002 die Norwegerinnen schlagen konnte? In der Addition der Einzelzeiten waren die Skandinavierinnen doch viel besser. Der Grund liegt darin, dass es nicht möglich ist, einfach die Einzelteile zu addieren. Das Ganze ist eben mehr als das. Es bildet eine neue Einheit, eine neue Dynamik, einen neuen Wert.

Von diesem größeren Ganzen getragen, entwickelten die deutschen Langläuferinnen ein solches Leistungsvermögen, dass jede Einzelne über ihre Grenzen hinauswuchs.

Nicht umsonst betonen viele Athleten, dass es für sie etwas Besonderes ist, in der Staffel oder im Mannschaftswettbewerb zu starten. Die Übung „Der Sitzkreis“ (siehe Kasten hier) bietet eine schöne Möglichkeit, Ihren Spielern den Mehrwert einer Mannschaft erfahrbar zu machen.

Übung 1: Der Sitzkreis

Lassen Sie Ihre Athleten einen Kreis bilden. Achten Sie darauf, dass sie ganz dicht stehen. Bitten Sie sie, sich im Uhrzeigersinn auszurichten. Jeder Athlet schaut jetzt auf den Rücken seines Vordermanns. Lassen Sie alle noch enger zusammenrücken. Und jetzt fordern Sie sie auf, sich auf Kommando auf die Oberschenkel des Hintermanns zu setzen. Wenn alle mitmachen, entsteht ein stabiler Sitzkreis. Was aber passiert, wenn Sie nun ein oder zwei Mitglieder aus dem Kreis nehmen?

Diese Übung können Sie gut nutzen, um zu zeigen, dass eine Mannschaft mehr ist als „die Summe ihrer Einzelteile“. Außerdem können Sie einige wesentliche Faktoren aufzeigen, wie eine Mannschaft funktioniert. Nämlich indem jeder seinen Beitrag gibt, sich „einreiht“ und zugleich sich den anderen zumutet, den anderen auch vertraut. Außerdem zeigt diese Übung, wie wichtig eine Person ist, welche die Kommandos gibt.

Wegen dieses Summierungseffekts ist es für einen Trainer auch so schwierig, wenn seine Mannschaft nicht mehr zusammenhält, sondern in einzelne Grüppchen und Individuen zerfällt. Dann geht genau diese zusätzliche Kraft verloren. Dann steht Ihnen als Trainer wirklich nur die reine Summe der Einzelteile zur Verfügung, (möglicherweise sogar noch weniger, wenn sich die eigenen Spieler gegenseitig, ob absichtlich oder unabsichtlich, behindern). Und das ist gegen die meisten echten Mannschaften, auch wenn sie in ihren individuellen Möglichkeiten unterlegen sind, zu wenig, um zu gewinnen.

Foto: ©Lothar Linz

Deshalb wird auch so oft vom Teamgeist gesprochen. Der Teamgeist ist genau die Kraft, die keiner richtig beschreiben kann, aber jeder schon einmal erlebt hat. Die Kraft, die eine Mannschaft eint und jeden Einzelnen anspornt. Die Kraft, welche dem Außenseiter hilft, den Favoriten besiegen zu können.

3.2 Was eine soziale Gruppe ausmacht

Nicht immer, wenn mehrere Menschen zusammenkommen, sprechen wir jedoch automatisch von einer sozialen Gruppe. Die Menschen, welche zum selben Zeitpunkt über den Bahnhofsvorplatz laufen, werden von uns wohl kaum als Einheit angesehen. Sie befinden sich nur zufällig zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Außer dieser Tatsache eint sie wenig. Auch die Gruppe der Bartträger ist für unsere Betrachtung wenig bedeutsam. Als Trainer interessiert Sie ja etwas anderes, nämlich das, was man in der Soziologie als eine soziale Gruppe bezeichnet. Schauen wir also einmal, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit von einer solchen Gruppe gesprochen werden kann. In der Regel werden dafür drei Faktoren genannt:

  1. Gemeinsames Ziel (für eine bestimmte Zeitdauer)

  2. Abhängigkeit in der Zielerreichung

  3. Bewusstsein dieser Abhängigkeit

Das gemeinsame Ziel ist ein interessanter Aspekt. Er gibt Ihnen erste Hinweise darauf, wie Sie eine Trainingsgruppe oder eine Mannschaft zusammenbringen können, wenn das erforderlich ist. Das gemeinsame Ziel bildet immer den Ausgangspunkt. Darauf sollten Sie Ihre Spieler oder Athleten jeweils zu Beginn einschwören. Das Ziel weist uns den Weg. Und auf dieses Ziel können Sie immer wieder zurückgreifen. Daran können Sie Ihre Sportler erinnern, wenn der Zusammenhalt verloren geht.

Und es ist etwas Wesentliches, dass man nicht nur ein gemeinsames Ziel hat, sondern in der Erreichung des Ziels auch voneinander abhängig ist. Zwei Konkurrenten haben ebenfalls ein gemeinsames Ziel. Aber sie sind keine soziale Gruppe, weil sie eben nicht aufeinander angewiesen sind, sondern vielmehr sich gegenseitig im Wege stehen. Ganz anders Ihre Mannschaft oder Trainingsgruppe. Sie brauchen einander. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass Athleten oft vergessen, wie sehr es auf ihre Mitstreiter ankommt. Deshalb betone ich diesen Aspekt immer wieder.

Die gegenseitige Abhängigkeit ist etwas Positives. Ich brauche dich und du brauchst mich. Das macht uns beide gleichberechtigt. Jeder Spieler bringt etwas ein, auch der Ersatzspieler. Die Gültigkeit dieser Aussage sieht man spätestens dann, wenn ein Ersatzspieler für Unruhe sorgt. Sofort leidet die Atmosphäre in der gesamten Mannschaft darunter. Deshalb braucht die Mannschaft auch die Reservespieler. Wenn ich anerkennen kann, dass ich die anderen brauche, schätze ich ihren Wert. Und ich kann sicher sein, dass die anderen meinen Wert schätzen. So entsteht ein wirkliches Team.

3.3 Die Gruppe ist wichtiger als das einzelne Mitglied

Ein funktionierendes Team benötigt aber mehr, als die Abhängigkeit von der gemeinsamen Zielerreichung. Ein Team braucht zum Beispiel Regeln. Dabei gibt es ausgesprochene und unausgesprochene Regeln. Beide sind gleich wichtig. Ein Beispiel für ausgesprochene Regeln umfasst all das, was im Strafenkatalog mit Konsequenzen belegt wird, etwa die Pünktlichkeit beim Training oder das Tragen einheitlicher Kleidung während des Wettkampfs.

Unausgesprochene Regeln fallen sehr unterschiedlich aus. Häufig haben sie eine eher subtile Wirkung. Ich habe z. B. bei einer Mannschaft erlebt, dass eine heimliche Regel darin bestand, nicht zu ehrgeizig zu sein. Lieber sollten die Spieler sich zurücknehmen, als den Aufstieg ernsthaft anzustreben, obwohl dieser sportlich möglich gewesen wäre. So boykottierten sie immer wieder durch nachlässiges Auftreten gegen schwache Mannschaften und damit verbundene, „unnötige“ Punktverluste alle sich bietenden Chancen. Wenn aber der Aufstieg außer Reichweite geriet, war die Mannschaft wieder von der unausgesprochenen Regel befreit und zeigte prompt ihr wahres Potenzial, z. B. indem sie den Tabellenführer auswärts schlug.

Unausgesprochene Regeln sind häufig sehr wirksam, gerade weil sie niemals offen gelegt werden und dadurch im Verborgenen wirken. Deshalb ist es für Sie als Trainer wichtig, auf solche Regeln zu achten und sie direkt anzusprechen, wenn Sie einen negativen Einfluss wahrnehmen, auch wenn das manchmal schwierig erscheint, weil Ihnen die „objektiven“ Belege fehlen. Sie vermeiden eine zu negative Reaktion von Seiten der Spieler, wenn Sie dabei nicht besserwisserisch auftreten, sondern Ihre persönlichen Eindrücke als eben solche formulieren. Dann fällt es den Athleten leichter, sich darauf einzulassen, da ihnen Spielraum für ihre eigene Sichtweise gelassen wird. Natürlich gibt es auch unausgesprochene Regeln, die hilfreich sind, etwa wenn gilt, dass zu egoistisches Verhalten einzelner Spieler im Torabschluss unerwünscht ist.

Letzteres Beispiel führt zu einem Punkt, der in meinen Augen von überaus großer Bedeutung ist. Eine Gruppe funktioniert nur dann, wenn grundsätzlich gilt, dass das Wohl der Gemeinschaft vor dem des Einzelnen geht. Nach diesem Prinzip ist interessanterweise auch unsere Rechtsprechung ausgelegt.

So ist es möglich, Grundstücke zu enteignen, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit geschieht, etwa zum Bau neuer Autobahnen. Hierbei werden persönliche Bedürfnisse hinter die der Gesamtheit gestellt.

Genauso sollte auch eine Mannschaft bzw. Trainingsgruppe funktionieren. Das bedeutet nicht, dass der Einzelne unwichtig ist. Ganz im Gegenteil! Für den Erfolg der Mannschaft braucht es sogar einen gesunden Egoismus. Was wäre etwa ein Fußballteam ohne den Stürmer, der das Tor machen will? Nur geht in entscheidenden Fragen eben immer das vor, was für die Gesamtheit am besten ist. Ich kenne viele Athleten, die genau an diesem Punkt Probleme haben. Oft erlebt man das bei solchen Sportlern, die sich auf Grund herausragender Erfolge nicht mehr unterordnen wollen.

Einheitliche Kleidung ist ein Mittel, die Zusammengehörigkeit einer Gruppe auszudrücken.
Foto: ©Picture Alliance/dpa

3.4 Jeder beeinflusst jeden

Sicher kennen Sie das Sprichwort: „Das ist für mich so wichtig, als wenn in China ein Sack Reis umfällt.“ Wofür gilt das eigentlich? Kann es uns wirklich noch egal sein, wenn in China „ein Sack Reis umfällt“? Wenn wir Nachrichten schauen, erfahren wir zum Beispiel, wie auf den Philippinen bei einem Zugunglück 12 Menschen umgekommen sind. Und wenn ich beim Chinesen mit hölzernen Einmalessstäbchen speise, trage ich möglicherweise dazu bei, dass auf einer tropischen Insel der Regenwald abgeholzt wird.

Auf den ersten Blick scheint es verrückt, aber die Welt rückt immer näher zusammen. In den letzten Jahrzehnten mussten wir erkennen, dass unser Verhalten sehr wohl etwas mit den Menschen in Guatemala oder Mazedonien zu tun hat. Die Vernetzung durch Internet und Mobiltelefon hat diesen Prozess noch einmal potenziert. Genau betrachtet, verhält es sich so, dass wir alle miteinander verbunden sind. Das ist kein esoterisch angehauchtes Gerede, das ist eine immer konkretere Erfahrung.

Doch kommen wir von dieser allgemeinen Betrachtung zurück zum Sport. Was für die ganze Welt gilt, gilt nämlich auch für jedes andere System. Die Mitglieder innerhalb eines Systems sind alle miteinander verbunden. Diese Verbindungen sind nicht jederzeit deutlich und sichtbar, aber sie bestehen immerzu. Sobald sich ein Systemmitglied verändert, verändert sich deshalb das gesamte System. Man kann sich das am besten als ein großes Netz vorstellen. Wir Menschen bilden die Knoten und die Seile dazwischen unsere Verbindungen. Wenn Sie am Ende des Netzes ziehen, kommen die Auswirkungen in abgeschwächter Form auch am anderen Ende des Netzes an. Wie die Ringe auf dem Wasser eines Sees bis zum anderen Ufer reichen, wenn Sie einen Stein hineinwerfen. Eine Mannschaft ist auch ein großes Netz. Was der eine Spieler tut, beeinflusst jeden anderen. Wenn ein Spieler einen Fehler macht, kann es passieren, dass dadurch alle gemeinsam verlieren. Genauso kann die Tat eines Spielers das gesamte Team vor dem Abstieg retten.

Dies macht deutlich, dass jedes Teammitglied wichtig ist. Wirklich jedes, auch der schwächste Ersatzspieler. Im Guten wie im Schlechten ist selbst er in der Lage, eine Menge für oder gegen das Wohl des Ganzen zu bewirken.

3.5 Systemische Gruppenregeln

In den letzten Jahren hat die systemische Therapie sehr an Bedeutung gewonnen. Bei einer dieser psychologischen Sichtweisen auf das Entstehen und Lösen von Problemen, Krankheiten und Konflikten handelt es sich um die Familienaufstellung nach Hellinger (Hellinger, 1990). Diese Form der Gruppenarbeit verdeutlicht, dass es grundsätzliche Regeln gibt, die für alle Gruppen gelten. Es spielt keine Rolle, ob es sich um Familien, Interessengemeinschaften, berufliche Organisationen, Parteien, Vereine oder eben auch um Mannschaften handelt. Wenn ich sage, dass solche Regeln „gelten“, dann meine ich damit nicht, dass diese Regeln vereinbart wurden, oder dass sie nachvollziehbar sein müssen. Diese Regeln bestehen einfach und man kann es erfahren. Beobachten Sie in den nächsten Tagen Ihre Mannschaft. Sie werden vermutlich einiges von dem, was ich im Folgenden darstelle, wiederfinden. Viele Trainer haben mir dies in meinen Vorträgen schon bestätigt.

Dass die grundlegenden Regeln für ein Sportteam mit denen einer Familie übereinstimmen, ist übrigens gar nicht so überraschend, wie es vielleicht manchem Leser auf den ersten Blick erscheint. Das Wort Team stammt nämlich aus dem Altenglischen und meint Familie! Die Familie scheint also so etwas wie das „Urteam“ zu sein. Kein Wunder, wo wir doch alle unsere ersten Erfahrungen mit einer Gemeinschaft in der Familie machen. (Es gibt übrigens noch eine zweite Herkunftsbedeutung des Wortes Team. Dieses steht auch für ein Gespann. Ein Gespann zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es gemeinsam „an einem Strang“ zieht, eine sehr sinnbildliche Beschreibung der Tätigkeit von Teammitgliedern.)

Das Recht auf Zugehörigkeit steht für etwas Elementares. Wir alle haben das Bedürfnis, zu unseren Systemen dazuzugehören. Kaum ein Mensch fühlt sich wohl, wenn er in seiner Familie, seiner Schulklasse, seinem Arbeitsteam oder seiner Sportmannschaft „außen vor“ ist. Wir finden unsere Identität über die Zugehörigkeit zu Gruppen. Das umschreibt die eine Seite dieses Ordnungsprinzips.

Zugleich aber haben wir auch ein Recht auf diese Zugehörigkeit. Wenn wir in eine Familie hineingeboren werden, dann sind wir für den Rest unseres Lebens Teil dieses Systems. Das kann uns niemand verwehren. Gerade aber das geschieht oftmals, etwa bei einem schwarzen Schaf in der Familie, welches angeblich gegen die Familienregeln verstoßen hat. Wenn die Familie dieses Mitglied ausschließt, so hat das negative Folgen für das gesamte System. Ganz ähnlich verhält es sich bei Sportmannschaften. Nur mit dem Unterschied, dass hier die Bindung nicht ein Leben lang bestehen muss. Natürlich können wir einen Verein wechseln oder die Mannschaft kann sich von einem Spieler trennen. Aber wichtig ist dabei, wie das geschieht und warum. Wenn Athleten ohne guten Abschied und ohne triftige Ursache ausgeschlossen werden, dann wirkt sich das negativ auf die Mannschaft aus. Und wenn ein Athlet im Unguten geht, so bleibt auch das nicht ohne Wirkung.

Damit Sie sehen können, dass das kein theoretisches Gerede ist, sondern sich dahinter wirkliche Erfahrungen verstecken, möchte ich ein Beispiel einer Leichtathletiktrainingsgruppe vorstellen, welche ich vor einigen Jahren gecoacht habe. Dieses Team bestand aus einer Trainerin und vier Athletinnen. Es kam zwischen der besten Athletin und der Trainerin zu einem Konflikt, der bald öffentlich über die Medien ausgetragen wurde und schließlich dazu führte, dass die Athletin den Verein im Streit verließ. Als ich in der folgenden Saison dazukam, blieben die Leistungen der verbliebenen Athletinnen hinter den Erwartungen zurück. Eine überzeugende Antwort auf die Frage nach den Gründen dafür konnte keine der Beteiligten liefern. Irgendwann kam ich auf die Idee, die Thematik des Weggangs der früheren Topathletin wieder aufzugreifen. Mithilfe einer speziellen Aufstellungsmethodik (siehe Hellinger, 1990) machte ich sichtbar, dass diese Erfahrung noch immer auf der gesamten Gruppe lastete. (Übrigens blieb auch die im Streit weggegangene Athletin hinter den Vorjahresleistungen zurück!) Wir mussten also den Abschied noch einmal in guter Weise nachvollziehen.

Mit „guter Weise“ meine ich, dass der Athletin die verdiente Achtung für ihre Leistungen in der Gruppe und für ihren Entschluss, das Team zu verlassen, zugesprochen wurde. Die Folge dieser rituellen Handlung bestand darin, dass zum einen den einzelnen Athletinnen wieder ein persönlicher Zugang zu ihrer früheren Kameradin möglich war. Vor allem aber konnten alle drei im folgenden Jahr ihre Leistungen deutlich steigern!

Das Recht auf Vorrang des Erstgekommenen ist etwas, was zu früheren Zeiten viel natürlicher gehandhabt wurde. Es war z. B. selbstverständlich, dass der Erstgeborene der Thronfolger war oder dass er den Hof erbte, unabhängig davon, ob er der Geeignetste für diese Tätigkeit war. Das galt auch für den Sport. Die Balltasche musste immer der jüngste Spieler der Mannschaft tragen.

Als Ausgleich für diese Vorzüge haben die Älteren auch mehr Pflichten und die größere Verantwortung zu tragen als die Jüngeren. Starben die Eltern, so musste der älteste Sohn die Geschwister ernähren und die älteste Tochter führte den Haushalt. Bezogen auf den Sport, verhält es sich in der Regel so, dass die älteren Spieler den entscheidenden Elf- bzw. Siebenmeter ausführen. Sie bekleiden das Amt des Mannschaftskapitäns und müssen ihr Team durch die schwierigen Momente führen.