Dr. Daniel – Jubiläumsbox 8 – E-Book: 41 - 46

Dr. Daniel
– Jubiläumsbox 8–

E-Book: 41 - 46

Marie Francoise

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-340-1

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Rettung für Gunilla

Roman von Marie-Francoise

  Es war ein typischer Montagmorgen in der Praxis von Dr. Robert Daniel. Die Patientinnen gaben sich buchstäblich die Türklinke in die Hand, und die junge Empfangsdame Gabi Meindl war schier am Verzweifeln, weil die Hälfte der hereinströmenden Damen ohne Termin gekommen war, aber jede Patientin hatte angeblich etwas ganz Dringendes mit dem Herrn Doktor zu besprechen, so daß Gabi sie auch nicht einfach wieder wegschicken konnte.

  Während das Wartezimmer bereits aus allen Nähten zu platzen drohte, kam dann noch ein alarmierender Anruf aus der Steinhausener Waldsee-Klinik, deren Direktor Dr. Daniel zusätzlich auch noch war.

  »Bei der Geburt von Frau Heidenraths Baby gibt es Probleme«, erklärte die Stationsschwester der Gynäkologie hastig. »Bitte, Fräulein Meindl, schicken Sie sofort den Herrn Doktor hierher.«

  »Wie stellen Sie sich das denn vor?« fragte Gabi verzweifelt. »In der Praxis herrscht gerade die reinste Invasion!«

  »Und hier liegt möglicherweise eine Patientin im Sterben!« entgegnete Schwester Bianca heftiger, als es normalerweise ihre Art war. »Frau Dr. Reintaler ist im OP. Ich brauche Dr. Daniel im Kreißsaal, und das so schnell wie möglich!«

  Gabi seufzte tief auf. »In Ordnung. Er wird in ein paar Minuten drüben sein.« Sie legte den Hörer auf, hob aber sofort wieder ab und drückte auf den Knopf, der eine direkte Verbindung zum Sprechzimmer herstellte, dann wartete sie, bis Dr. Daniel drüben abnahm. »Herr Doktor, die Waldsee-Klinik braucht Sie dringend. Bei einer Frau Heidenrath gibt es Probleme.«

  »Das war zu erwarten«, meinte Dr. Daniel. »Ich fahre sofort hin-über.«

  Gabi nickte ergeben. Sie wußte genau, was das für sie und ihre Kollegin, die Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau, bedeutete. Sie hatten jetzt nämlich die undankbare Aufgabe, alle Patientinnen auf den Nachmittag zu vertrösten oder sie warten zu lassen, bis Dr. Daniel wieder zurückkam. Das konnte in diesem Fall allerdings eine ganze Weile dauern.

  »Ich weiß nicht, bis wann ich wieder hier sein kann«, erklärte Dr. Daniel auch schon, dann verließ er im Laufschritt die Praxis, stieg in sein Auto und fuhr den kurzen Weg zur Waldsee-Klinik. Hier wurde er auch schon dringend erwartet.

  »Eine plötzliche Wehenschwäche«, erklärte die Hebamme Anna Lüder, die inzwischen regelmäßig in der Klinik aushalf. »Ich habe ihr zwar…«

  In diesem Augenblick erklang aus dem Kreißsaal ein gellender Schrei.

  »Ich schätze, die Wehen sind wieder da«, meinte Dr. Daniel und eilte in den nur schwach erleuchteten Raum. In der Waldsee-Klinik wurde die sanfte Geburt nach Fréderick Leboyer praktiziert – das bedeutete, daß die Babys hier in einen warmen, etwas abgedunkelten Raum hineingeboren wurden. Doch jetzt brauchte Dr. Daniel unbedingt Licht, und Schwester Bianca richtete sofort eine an der Decke installierte Operationslampe auf das Bett.

  »Herr Doktor…«, stöhnte Gunilla Heidenrath, während ihr ganzer Körper unter dem heftigen Wehenschmerz, der urplötzlich wieder eingesetzt hatte, erbebte.

  »Ganz ruhig, Frau Heidenrath«, versuchte Dr. Daniel sie zu besänftigen. »Wir schaffen das schon.«

  Dabei war er sich dessen im Moment gar nicht so sicher. Ähnlich einer Sturzgeburt, wurde das Baby durch die nicht nachlassenden Wehen aus dem Geburtskanal gedrückt. Es ging so schnell, daß Dr. Daniel gar nicht mehr helfend eingreifen konnte. Und durch das nachströmende Blut war er im Moment daran gehindert zu erkennen, ob diese viel zu rasche Geburt bei der Mutter zu irgendwelchen Verletzungen geführt hatte.

  Völlig erschöpft lag Gunilla auf dem breiten Bett. Die Hebamme hatte ihr das Baby auf den Bauch gelegt, wie es hier üblich war, und mit einem flauschigen Tuch zugedeckt, doch Gunilla war im Moment zu schwach, um das winzige Wesen auch nur zu berühren.

  »Ist es… vorbei?« stammelte sie.

  »Ich fürchte, noch nicht ganz«, entgegnete Dr. Daniel, dann ging er daran, das Baby abzunabeln. Auch das war normalerweise nicht üblich, denn man ließ Mutter und Kind etwas Zeit, miteinander zu schmusen, bevor man die Abnabelung vornahm, doch in diesem Fall galten andere Voraussetzungen.

  »Schwester Bianca, nehmen Sie das Kind einen Augenblick an sich«, bat Dr. Daniel, während er darauf wartete, daß die Plazenta ausgestoßen wurde.

  Währenddessen lag Gunilla noch immer völlig regungslos auf ihrem Bett.

  »Ist es… endlich ein Junge?«

  Die Frage kam schwach und kaum hörbar, trotzdem hatte Schwester Bianca sie verstanden und kontrollierte nun sehr vorsichtig das Geschlecht des Babys, das sie im Arm hielt.

  »Nein, Frau Heidenrath, es ist ein kleines Mädchen«, antwortete sie.

  Gunilla schluchzte leise auf. »O Gott… ich habe so gehofft… Helmut wird…« Der Rest des Satzes war nur noch ein unverständliches Gemurmel.

  Inzwischen hatte Dr. Daniel die Plazenta auf ihre Vollständigkeit untersucht.

  »Es hört nicht auf zu bluten«, flüsterte ihm Anna Lüder zu.

  Dr. Daniel nickte. »Das Problem hatten wir schon bei der letzten Entbindung – allerdings nicht ganz so schlimm wie diesmal.« Er wandte sich der Schwester zu. »Bianca, ich brauche dringend eine Ampulle Ergometrin. Schnell.«

  Die Hebamme nahm das Baby an sich, während Bianca das Medikament in einer Spritze aufzog und sie Dr. Daniel reichte. Er injizierte die Lösung rasch und geschickt, während Gunilla Heidenrath langsam in eine tiefe Bewußtlosigkeit hineindämmerte.

  »Herr Doktor, die Frau stirbt uns weg«, erklärte Bianca mit bebender Stimme, doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf.

  »Der Blutverlust ist zwar sehr hoch, aber zumindest im Moment habe ich noch alles unter Kontrolle.« Er zögerte einen kurzen Augenblick. »Uns bleibt nichts anderes übrig, als eine Bluttransfusion vorzunehmen. Das Medikament wird zwar rasch wirken und die Blutung zum Stillstand bringen, aber ich fürchte, der Blutverlust ist zu hoch, als daß der Körper ihn allein ausgleichen könnte.«

  Im Laufschritt verließ die Krankenschwester den Kreißsaal und kehrte wenig später mit einer Blutkonserve und einer Flasche Kochsalzlösung zurück. Währenddessen hatte Dr. Daniel schon den Zugang gelegt und brauchte nun bloß noch die Infusion anzuschließen.

  »Ich glaube, wir haben’s geschafft«, meinte Dr. Daniel, als er sah, daß die Unterleibsblutungen zum Stillstand gekommen waren. Auch bei der Bluttransfusion schien es keine Komplikationen zu geben. »Trotzdem werden wir Frau Heidenrath auf die Intensivstation legen müssen. Im Augenblick kann ich ein nochmaliges Nachbluten nicht ausschließen, und solange die Transfusion läuft, müssen regelmäßig Puls, Blutdruck und Temperatur kontrolliert werden.« Dann wandte er sich der Hebamme zu. »Wie geht’s dem Kind?«

  »Auf jeden Fall besser als der Mutter«, meinte Anna Lüder, dann warf sie der noch immer bewußtlosen Gunilla einen kurzen Blick zu. »Sie hätte nach dem vierten Kind schon sterilisiert gehört.«

  Dr. Daniel seufzte. »Das ist leider ein Kapitel für sich, Frau Lüder. Ich nehme ja an, daß Sie Herrn Heidenrath kennen.«

  »Und ob! Ich kann allerdings nicht sagen, daß ich darüber sehr erfreut bin. Dieser Mann ist ein rücksichtsloser Egoist, der sich den Teufel um seine arme Frau schert. Irgendwann wird er sie damit noch umbringen.«

  Dr. Daniel gab der aufgebrachten Hebamme ein Zeichen, nicht mehr weiterzusprechen, weil er bemerkte, daß Gunilla langam zu sich kam. Jetzt setzte er sich zu ihr und griff nach ihrer Hand.

  »Nun, Frau Heidenrath, wie fühlen Sie sich?« fragte er besorgt.

  »Müde«, murmelte Gunilla schwach, dann sah sie Dr. Daniel an. »Weiß Helmut schon, daß es wieder nur ein Mädchen ist?«

  »Was heißt denn ›nur‹, Frau Heidenrath?« entgegnete Dr. Daniel mit einem tadelnden Unterton in der Stimme. »Sie sollten froh sein, daß die Kleine gesund ist. Dabei fällt mir ein…« Er wandte sich Anna Lüder zu. »Rufen Sie bitte den Chefarzt. Er soll die Kleine vorab schon mal untersuchen. Ich werde mich heute gleich mit dem Kinderarzt aus der Kreisstadt in Verbindung setzen.«

  Anna Lüder verzog das Gesicht. »Doch nicht dieses eingebildete Ekel.«

  »Dr. Bürgel mag vielleicht nicht der sympathischste Mensch sein, aber als Kinderarzt ist er erstklassig.«

  »Möglich«, brummelte Anna, obwohl sie ja selbst wußte, was für ein guter Arzt Dr. Bürgel war Aber er war eben leider auch schrecklich arrogant, was der guten Anna überhaupt nicht gefiel.

  »Außerdem sollte die Waldsee-Klinik längst über einen eigenen Kinderarzt verfügen«, setzte sie noch hinzu.

  »Ich weiß«, entgegnete Dr. Daniel. »Leider kann ich mir keinen aus dem Ärmel schütteln, und wirklich gute Kinderärzte gibt’s auch nicht wie Sand am Meer.« Dann sah er Gunilla wieder an. »Sie machen sich Sorgen wegen Ihres Mannes, nicht wahr?«

  Gunilla nickte. »Er wird rasen vor Zorn, weil es wieder kein Junge geworden ist.«

  »Ich werde mit ihm sprechen«, erklärte Dr. Daniel ohne zu zögern. Und ihm gehörig die Meinung sagen, fügte er in Gedanken hinzu.

  »Danke, Herr Doktor«, flüsterte Gunilla, dann fielen ihr die Augen wieder zu.

  Dr. Daniel stand auf.

  »Bianca, bringen Sie Frau Heidenrath auf Intensiv«, ordnete er an. »Ich sehe heute nachmittag noch einmal nach ihr. Sollten erneut Unterleibsblutungen auftreten, dann benachrichtigen Sie mich umgehend, ja?«

  »Selbstverständlich, Herr Doktor.«

*

  Unruhig marschierte Helmut Heidenrath in der Eingangshalle hin und her. Warum dauerte es denn so lange? Mittlerweile sollte Gunilla im Kinderkriegen doch schließlich ein wenig Übung haben! Unwillig sah er auf die Uhr. Seit vier Stunden war er nun schon hier!

  In diesem Moment trat Dr. Daniel aus der Gynäkologie in die Eingangshalle und steuerte direkt auf Helmut Heidenrath zu.

  »Und? Ist es diesmal endlich ein Junge?« fragte Helmut ohne den Arzt überhaupt zu begrüßen.

  »Guten Tag, Herr Heidenrath«, erklärte Dr. Daniel mit Nachdruck und zeigte dabei seine Mißbilligung über Helmuts unhöfliche Art ganz deutlich. »Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Tochter.«

  Entsetzt starrte Helmut ihn an. »Tochter?« Dann donnerte er seine rechte Faust gegen die Wand. »Meine Güte, ist diese Frau denn wirklich nicht fähig, mir endlich einen Sohn zu schenken? Vier Gören habe ich schon zu Hause sitzen, und nun…«

  »Was fällt Ihnen eigentlich ein, sich hier in der Klinik dermaßen aufzuführen!« fiel Dr Daniel ihm barsch ins Wort. Normalerweise schlug er keinen so groben Ton an, doch das Verhalten, das dieser Mann nun schon seit Jahren an den Tag legte, brachte selbst ihn auf die Palme.

  »Ist doch wahr«, knurrte Helmut. »Im Mittelalter wurden die Frauen hingerichtet, wenn sie ihren Männern keine Söhne schenken konnten.«

  »Und Sie sind auf dem besten Weg, dasselbe zu tun«, entfuhr es Dr. Daniel. »Im übrigen unterliegen Sie schon rein biologisch einem großen Irrtum. Nicht die Frau, sondern der Mann bestimmt das Geschlecht des Kindes. Also sind Sie es, der anscheinend keine Söhne zeugen kann, wenn man in einem solchen Fall schon eine Schuldzuweisung vornehmen will.«

  Sekundenlang blieb Helmut der Mund offen.

  »Sagen Sie mal, wie sprechen Sie denn mit mir?« ereiferte er sich dann.

  »So, wie Sie es wohl auch verdienen, und vor allen Dingen in der gebotenen Deutlichkeit, denn sanftere Hinweise verstehen Sie ja leider nicht«, entgegnete Dr. Daniel. »Ich habe Ihnen nach Kristins Geburt schon gesagt, daß Ihre Frau kein Kind mehr bekommen solle. Das ist jetzt ein gutes Jahr her, und nun liegt sie schon wieder auf der Entbindungsstation.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Heute wäre uns Ihre Frau beinahe weggestorben. Ich sage es Ihnen jetzt also ausdrücklich, Herr Heidenrath: Bei einer weiteren Schwangerschaft könnte ich für das Leben Ihrer Frau nicht mehr garantieren.«

  Ungerührt sah Helmut ihn an. »Das haben Sie letzten Mal auch schon angedeutet, und Gunilla hat diese Geburt trotzdem überstanden.« Er schwieg einen Moment. »Ich sage Ihnen jetzt auch etwas in aller Deutlichkeit, Herr Doktor: Ich will einen Sohn und Stammhalter haben – um jeden Preis. Das heißt, daß Gunilla mir so viele Kinder gebären wird, bis sie endlich einen Sohn zustande bringt.« Damit nickte er Dr. Daniel knapp zu, dann verließ er die Klinik.

  »Meine Güte, wer war denn das?«

  Dr. Daniel drehte sich um und sah sich dem Chefarzt der Waldsee-Klinik, Dr. Wolfgang Metzler, gegenüber.

  »Der ist wohl als Relikt aus dem vorigen Jahrhundert übriggeblieben«, urteilte Dr. Daniel ärgerlich. »Der glaubt nämlich immer noch, die Frau sei für das Geschlecht des Kindes verantwortlich. Und mit dieser Einstellung bringt er seine Frau Stück für Stück um. Schon nach der Geburt seines letzten Kindes habe ich auf ihn eingeredet wie auf ein krankes Pferd. Ein Vierteljahr später war seine Frau wieder bei mir in der Praxis zum Schwangerschaftstest. Gerade hat sie ein Mädchen zur Welt gebracht…«

  »Das übrigens kerngesund ist«, warf Dr. Metzler dazwischen. »Die Kleine hat beim Apgar-Test zehn Punkte erreicht. Mehr ist bekanntlich nicht drin.«

  Dr. Daniel nickte zwar, war mit seinen Gedanken aber offensichtlich ganz woanders. Helmut Heiden-

raths halsstarrige Haltung ging ihm nämlich noch immer nicht aus dem Kopf.

  »Er will einen Sohn, und dafür riskiert er sogar das Leben seiner Frau«, fuhr Dr. Daniel fort. »Ich dachte, wenn ich ihm eiskalt und brutal die Wahrheit ins Gesicht sage, dann…« Er zuckte die Schultern. »Es scheint, als wäre es ihm völlig gleichgültig. Seine Frau soll auch weiterhin Kinder zur Welt bringen, bis er seinen langersehnten Sohn hat.«

  »Wie schätzt du die Chancen ein, daß das klappen kann?« wollte Dr. Metzler wissen.

  Wieder zuckte Dr. Daniel die Schultern. »So etwas läßt sich leider nur schwer vorhersagen, aber Helmut Heidenrath selbst ist der einzige Junge unter elf Mädchen.«

  Entsetzt starrte Dr. Metzler ihn an. »Willst du damit sagen, daß seine Mutter zwölf Kinder zur Welt gebracht hat?«

  »Fünfzehn«, berichtete Dr. Daniel. »Drei sind kurz nach der Geburt gestorben. Das hat sie mir einmal erzählt, als sie in meiner Praxis war. Inzwischen ist sie leider nicht mehr am Leben. Sie war eine sehr sympathische Frau.« Er seufzte. »Der Vater von Herrn Heidenrath muß allerdings eine ähnliche Einstellung gehabt haben, wie sie jetzt auch sein Sohn an den Tag legt. Herr Heidenrath ist nämlich der Jüngste.«

  »Das heißt, daß dieser armen Frau dasselbe Schicksal droht wie schon ihrer Schwiegermutter.«

  Doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Gunilla Heidenrath wird die nächste Schwangerschaft aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überleben. Sie hatte nach dem vierten Kind schon starke Nachblutungen, und diesmal waren sie so schlimm, daß ich ihr Ergometrin spritzen und zusätzlich eine Bluttransfusion geben mußte.«

  Fassungslos schüttelte Dr. Metzler den Kopf. »Und das will ihr Mann nicht begreifen?«

  »Nein«, antwortete Dr. Daniel und fühlte dabei wieder Wut aufsteigen, weil er einfach nicht verstand, wie ein Mensch nur so verbohrt sein konnte. Irgendwann mußte er seine Frau ja auch geliebt haben oder das noch immer tun. Wie konnte er sie da in Lebensgefahr bringen, nur weil sich sein Wunsch nach einem Sohn erfüllen sollte?

  »Kann man denn mit der Frau auch nicht sprechen? Sie muß doch selbst sehen, wie jede Geburt schwieriger geworden ist.«

  Dr. Daniel seufzte. »Natürlich weiß sie, daß sie mit jeder weiteren Schwangerschaft zunehmend in Lebensgefahr geraten ist, aber sie wagt es nicht, sich ihrem Mann zu widersetzen. Den Grund dafür habe ich noch nicht herausgefunden. Entweder ist er so jähzornig, daß sie einfach Angst vor ihm hat, oder aber sie wurde noch nach dem Prinzip erzogen, daß die Frau dem Manne untertan ist. Immerhin ist sie nun schon zweiundvierzig. Es könnte also durchaus sein, daß sie eine sehr strenge Erziehung genossen hat oder sogar in der eigenen Familie gesehen hat, daß alle dem Vater ohne Widerspruch gehorchten.«

  »Wahnsinn«, murmelte Dr. Metzler, dann sah er seinen Freund an. »Du solltest aber trotzdem noch mal mit ihr sprechen.«

  »Worauf du dich verlassen kannst«, bekräftigte Dr. Daniel. »Diesmal wird es mir gelingen, sie wenigstens zur Verhütung zu bewegen. Noch lieber wäre es mir allerdings, sie würde sich sterilisieren lassen, aber da habe ich wenig Hoffnung.« Er überlegte kurz. »Auch mit ihm werde ich noch einmal sprechen. Er kann doch nicht allen Ernstes wollen, daß fünf oder sorgar sechs Kider Halbwaisen werden, nur weil er um jeden Preis einen Sohn in die Welt setzen will.«

*

  Als Dr. Daniel kurz nach zwölf Uhr mittags endlich seine Praxis erreichte, wartete dort nur noch eine Patientin auf ihn.

  »Alle anderen ließen sich auf den Nachmittag vertrösten, einige sogar auf morgen früh«, erklärte Gabi Meindl. »Aber Frau Scheibler will unbedingt jetzt noch mit Ihnen sprechen.«

  »Für Steffi nehme ich mir auch immer Zeit«, betonte Dr. Daniel, dann trat er ins Wartezimmer, so Stefanie Scheibler, die Schwester von Dr. Metzler und Ehefrau des Oberarztes Dr. Gerrit Scheibler, geduldig auf ihn wartete.

  »Steffi, was gibt es denn so Dringendes?« wollte Dr. Daniel wissen, während er die junge Frau in sein Sprechzimmer begleitete. Dann sah er sich wie suchend um. »Hast du die kleine Daniela denn nicht dabei?«

  Stefanie schüttelte den Kopf. »Meine Mutter kümmert sich um sie. Sie freut sich immer riesig, wenn ich ihr Dani für ein paar Stunden überlasse. Außerdem weiß ich ja, daß ich bei Ihnen immer eine gewisse Wartezeit mit einkalkulieren muß, und da würde Dani nur quengelig.«

  Dr. Daniel seufzte. »Ich weiß schon, was ich meinen Patientinnen so Tag für Tag zumute, aber ich liebe es auch nicht gerade, ständig im Streß zu stehen.«

  »Was ich über die Wartezeiten gesagt habe, war auch überhaupt nicht als Vorwurf gemeint«, verwahrte sich Stefanie. »Dazu kommt es ja nur, weil Sie eben ein Arzt sind, der sich für seine Patientinnen noch Zeit nimmt. Und dafür lohnt es sich ja auch schließlich zu warten.«

  »Na, jetzt hör aber auf mit deinen Schmeicheleien, sonst werde ich noch ganz eingebildet«, meinte Dr. Daniel lächelnd, obwohl bei ihm in dieser Hinsicht überhaupt keine Gefahr bestand. Er war viel zu bescheiden, um eingebildet zu sein, und außerdem betrachtete er es als pure Selbstverständlichkeit, sich für seine Patientinnen Zeit zu nehmen. »Also, Steffi, was führt dich zu mir? Ich sehe dir doch an, daß du nicht sehr glücklich bist. Du hast doch hoffentlich keine Probleme mit Gerrit?«

  Stefanie schüttelte den Kopf. »Gerrit ist der beste Mann, den ich bekommen konnte. Er ist so lieb und zärtlich, und unsere kleine Dani ist unser ganzer Sonnenschein, aber…« Sie senkte den Kopf. »Sie wissen ja noch, was während meiner zweiten Schwangerschaft passiert ist.«

  Dr. Daniel nickte. Wie könnte er das auch jemals vergessen? Stefanie und Gerrit waren so glücklich gewesen, als die junge Frau zum zweiten Mal schwanger geworden war, doch dann hatte Martin Bergmann, der ehemalige Besitzer des Steinhausener Chemiewerks, Stefanie mit dem Auto angefahren. Dadurch hatte sie eine Fehlgeburt erlitten und sich ganz offensichtlich noch immer nicht davon erholt.

  »Gerrit und ich möchten so gern noch ein Kind«, fuhr Stefanie fort. »Aber seit dieser Fehlgeburt will es einfach nicht mehr klappen.«

  »Tja, Steffi, es kann gut sein, daß damals mehr passiert ist, als man im ersten Moment überblicken konnte«, räumte Dr. Daniel ein. »Was hältst du davon, wenn du für ein paar Tage in die Waldsee-Klinik

gehst und dich von mir dort einmal ganz gründlich untersuchen läßt?«

  Stefanie nickte ohne zu zögern. »Ja, Herr Doktor, das wäre gut. Dieses ständige Probieren, und dann jeden Monat aufs neue die Enttäuschung, wenn es wieder nicht geklappt hat… lange würde ich das sicher nicht mehr durchhalten.«

  »Gut, dann schlage ich vor, daß du dich um eine Unterkunft für deine kleine Daniela kümmerst. Mit mehr als drei Tagen Krankenhaus-aufenthalt mußt du aber sicher nicht rechnen.« Dr. Daniel überlegte kurz. »Vielleicht könnte Gerrit in dieser Zeit auch Urlaub nehmen. Im Augenblick ist die Waldsee-Klinik nicht voll belegt, da kann Wolfgang seinen Oberarzt sicher auch mal ein paar Tage entbehren. Wenn du alles organisiert hast, dann rufst du mich an, damit ich in der Klinik ein Zimmer für dich bereitstellen kann.«

  Da brachte Stefanie sogar ein kurzes Lächeln zustande. »Gerrit hatte schon recht, als er einmal sagte, Sie wären unser guter Geist. Was täten wir alle nur ohne Sie?«

*

  »Überraschung!«

  Dr. Daniel blickte auf und direkt in die schönen, dunklen Augen von Frau Dr. Manon Carisi hinein, der Allgemeinmedizinerin Steinhausens, die er im Moment allerdings noch in der Thiersch-Klinik in München vermutet hatte.

  Jetzt sprang er auf, nahm die attraktive Frau liebevoll in die Arme.

  »Manon! Wie kommst du denn hier herein? Meine beiden Damen sind doch schon längst weg.«

  Mit einem zärtlichen Lächeln sah sie ihn an. »Und du arbeitest wieder mal bis zum Umfallen. Robert, Robert, ich glaube, auf dich muß ich wirklich schwer aufpassen.«

  »Gerade wollte ich Schluß machen und nach München fahren, um dich zu besuchen«, beteuerte Dr. Daniel.

  »Ich glaube dir kein Wort«, entgegnete Manon. »Als ich hereingekommen bin, hast du nicht unbedingt so ausgesehen, als würdest du die Arbeit gerade niederlegen. Außerdem kannst du dir ab sofort die Fahrten nach München sparen. Professor Thiersch hat mich endlich aus seinen Fängen entlassen.«

  Mit einer Hand streichelte Dr. Daniel durch Manons kurzes, leicht gewelltes Haar. Dabei mußte er unwillkürlich daran denken, welche Qualen sie beide durchlitten hatten, als Manon ganz plötzlich an akuter Leukämie erkrankt war. Dieser Umstand hatte Dr. Daniel gezeigt, wieviel Manon ihm eigentlich bedeutete, daß es sehr viel mehr als nur Freundschaft war. Doch eine ganze Weile hatte es so ausgesehen, als würde ihre Liebe keine Zukunft haben. Erst eine Knochenmarktransplantation hatte Manons Leben gerettet, und nun war sie also endlich aus der Thiersch-Klinik entlassen worden.

  »Ich bin froh, daß ich dich endlich wiederhabe«, gestand Dr. Daniel leise, dann küßte er sie. »Ich liebe dich.«

  »Alles Lüge«, entgegnete Manon, doch sie lächelte dabei. »Würdest du mich wirklich lieben, dann hättest du längst gesehen, welch eine flotte Frisur ich jetzt trage.«

  Dr. Daniel schmunzelte. »Natürlich habe ich das gesehen, Manon, und wenn es mir nicht gefallen würde, dann hätte ich es dir schon gesagt.«

  »Um Ausreden bist du ja wohl nie verlegen«, lachte Manon, dann drehte sie sich kokett vor ihm. »Und? Wie steht mir die neue Frisur?«

  »Du bist schön wie immer«, erwiderte Dr. Daniel ernst. »Sogar als du keine Haare hattest, hast du mir gefallen.«

  »Daran will ich gar nicht mehr denken«, meinte Manon, während ein Hauch von Melancholie über ihr fraulich-schönes Gesicht huschte.

  »Das heißt also, daß du gleich an deinem Entlassungstag noch beim Friseur warst«, erklärte Dr. Daniel in dem Versuch, sie von diesen trüben Gedanken abzulenken.

  Manon nickte lächelnd. »Selbstverständlich. Ich will schließlich ein wenig schön sein, wenn ich zu dir komme.« Wieder drehte sie sich vor ihm. »Ein neues Kleid habe ich mir auch gegönnt. Meine gesamte Garderobe ist mir nämlich noch ein bißchen zu weit, und schließlich wollte ich dir nicht im Schlabberkleid gegenübertreten.«

  Wieder nahm Dr. Daniel sie in die Arme. Er küßte sie erneut. »Ich bin so froh, daß du wieder zu Hause bist.«

  »Ich auch, Robert.« Zärtlich streichelte sie durch sein dichtes, blondes Haar. »Du hast Sorgen, Liebling.«

  »Sieht man mir das an?«

  Manon nickte. »Ich habe es schon immer gemerkt, wenn es dir nicht gutging. Also, was ist los?«

  »Heute war in der Tat ein stressiger Tag«, meinte Dr. Daniel, dann schüttelte er den Kopf. »Mehr werde ich dir aber nicht sagen. Du kommst gerade aus der Klinik, da sollst du dich erst mal ein wenig erholen. Professor Thiersch würde mir schwere Vorwürfe machen, und das zu Recht, wenn ich dich jetzt mit meinem Problemen belasten würde.«

  »Wir gehören zusammen, Robert, vergiß das nicht«, entgegnete Manon ernst. »Das bedeutet, daß man nicht nur das Glück, sondern auch das Leid miteinander teilen muß.«

  »Das werde ich ganz bestimmt nicht vergessen«, versicherte Dr. Daniel. »Was mich im Augenblick jedoch beschäftigt, sind die Sorgen einer Patientin, und damit, liebe Manon«, er stupste sie an der Nase, »sollst du dich jetzt ganz bestimmt nicht belasten. So, und nun gehen wir nach oben. Irene kocht erfahrungsgemäß immer für eine ganze Kompanie, da wird für dich also sicher auch etwas abfallen.«

  »Das ist gut«, meinte Manon. »Ich habe nämlich einen Bärenhunger, und deine Schwester kocht auch ausgezeichnet.«

  »Weiß ich«, grinste Dr. Daniel, während er hinter Manon die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg. »Deshalb lasse ich mir ja von ihr den Haushalt führen. Außerdem liebt sie ihren kleinen Bruder so heiß und innig…«

  »Robert! Eigentlich sollte ich dir dafür die Ohren langziehen!« schallte ihm in diesem Moment die Stimme seiner verwitweten Schwester entgegen. »Kannst du denn nicht ein einziges Mal pünktlich sein?«

  »Sie liebt dich heiß und innig?« wiederholte Manon fragend und grinste dabei über das ganze Gesicht. »Das hört sich für mich aber doch ein bißchen anders an.«

  In diesem Moment trat Irene aus der Küche, und dabei fiel Manon wieder einmal auf, wie wenig sich die Geschwister rein äußerlich glichen. Dr. Daniel war groß und schlank, mit markantem Gesicht und blondem Haar, während die Körperformen seiner Schwester eher üppig ausfielen und ihr einstmals dunkles Haar mittlerweile grau geworden war.

  »Manon!« Jetzt strahlte sie über das ganze runde Gesicht und nahm die Freundin ihres Bruders spontan in die Arme. »Schön, daß Sie endlich wieder hier sind.« Dabei warf sie Dr. Daniel einen strafenden Blick zu. »Das hättest du mir auch früher sagen können, dann hätte ich ein feudaleres Abendessen auf den Tisch gebracht.«

  »Ich wußte nichts davon«, verteidigte sich Dr. Daniel. »Manon hat mich ebenfalls überrascht.«

  »Außerdem lege ich auch keinen Wert auf ein feudales Menü«, betonte Manon. »Bei Ihnen schmeckt mir alles gut, Irene.«

  Dr. Daniels Schwester errötete. »Das haben Sie jetzt aber lieb gesagt, Manon.« Sie zögerte. »Was halten Sie eigentlich davon, wenn wir beide uns jetzt auch endlich duzen würden?«

  »Sehr viel«, stimmte Manon erfreut zu.

  »Schön«, meinte Irene, dann warf sie ihrem Bruder einen kurzen Seitenblick zu, ehe sie sich Manon wieder zuwandte. »Bei dieser Gelegenheit gebe ich dir auch gleich einen Tip: Erziehe dir diesen Burschen beizeiten, sonst läßt er dich eines Tages auch auf deinem Essen sitzen und kommt, wann immer es ihm beliebt.«

  »Irene…«, begann Dr. Daniel, doch seine Schwester fiel ihm gleich ins Wort: »Sei du bloß ruhig.« Sie bedachte ihn mit einem strafenden Blick. »Um sechs wolltest du oben sein, und jetzt schau mal auf die Uhr. Es ist schon gleich acht. Ein paar hinter die Löffel sollte man dir geben, und deinem Sohn gleich dazu. Der macht es schon genauso wie du… kommt und geht, wann es ihm paßt. Und wenn die gnädigen Herren dann aufkreuzen, soll das Essen natürlich auf dem Tisch stehen.«

  »Wenn du mich jetzt noch länger ausschimpfst, dann wird dein Essen vollends kalt«, wandte Dr. Daniel beschwichtigend ein.

  »Sei nicht zu streng mit Robert und Stefan«, meinte Manon lächelnd. »Sie sind beide sehr pflichtbewußte Ärzte, die eben leider nicht immer pünktlich Feierabend machen können.«

  »Na ja, dann will ich eben mal Gnade vor Recht ergehen lassen«, grummelte Irene. »Glücklicherweise habe ich Rohrnudeln gemacht. Die schmecken notfalls auch kalt.«

  In diesem Moment betraten Stefan und seine jüngere Schwester Karina, die jetzt wieder in München studierte, die Wohnung. Noch einmal wurde Manon aufs herzlichste begrüßt, und als sie später alle gemütlich beisammensaßen, gelang es Dr. Daniel sogar, seine Sorgen um Gunilla Heidenrath für eine Weile zu vergessen.

*

  Nach zwei Tagen konnte Gunilla von der Intensivstation auf die normale Station verlegt werden, trotzdem bat Dr. Daniel die Schwestern, noch sehr gut auf die Patientein zu achten, denn die Gefahr weiterer Nachblutungen bestand noch bis zum fünften Tag.

  »Nun, Frau Heidenrath, wie fühlen Sie sich?« wollte Dr. Daniel wissen, als er seine Patientin nach der Sprechstunde besuchte.

  Ein wenig hilflos zuckte Gunilla die Schultern. »Ich weiß nicht so recht, Herr Doktor, müde und wohl auch ein bißchen ängstlich.«

  Dr. Daniel nickte verständnisvoll. »Wegen Ihres Mannes, nehme ich an. Hat er die kleine Helene schon gesehen?«

  Gunilla schüttelte den Kopf. »Gestern war er für ein paar Minuten bei mir und sagte nur, er würde sich die Göre gar nicht erst anschauen.«

  Erneut stieg der Ärger in Dr. Daniel auf, doch er versuchte, sich zu beherrschen. Trotzdem klang in seiner Stimme ein leiser Vorwurf mit, als er sagte: »Er sollte eigentlich froh sein, daß er ein gesundes Kind bekommen hat.«

  Ein sanftes Lächeln huschte über Gunillas Gesicht. »Sie ist ein süßes Baby, nicht wahr?«

  »Sehr süß sogar«, stimmte Dr. Daniel zu, dann wurde er ernst. »Und sie sollte Ihr letztes Kind sein, Frau Heidenrath.«

  Bedauernd schüttelte Gunilla den Kopf. »Das wird Helmut niemals zulassen. Er will einen Sohn, und ich bin durch meine Heirat mit ihm verpflichtet, ihm einen zu schenken.«

  »Moment mal, Frau Heidenrath. Sie unterliegen da einem gewaltigen Irrtum. Im Ehegelöbnis heißt es nur, daß Sie die Kinder, die Gott Ihnen schenken wird, annehmen und im christlichen Glauben erziehen sollen, aber nicht, daß Sie Ihrem Mann so viele Kinder gebären müssen, bis er endlich einen Sohn hat.«

  »Na ja, wenn man es so genau auslegt…«, wandte Gunilla ein, dann seufzte sie. »Eigentlich würden mir fünf Kinder schon reichen. Es waren ja bei mir immer schwierige Schwangerschaften und Geburten.«

  »Richtig, und es waren auch nicht nur fünf, sondern eigentlich acht, wenn man die drei Fehlgeburten, die Sie erlitten haben, mitrechnet. Frau Heidenrath, ich habe es Ihnen nach Kristins Geburt schon einmal gesagt: Sie müssen unbedingt verhüten, wenn Sie Ihren Kindern die Mutter erhalten wollen. Bei Helene ging es gerade noch mal gut, aber Sie dürfen das Schicksal nicht noch einmal herausfordern. Eine sechste Geburt würden Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überleben.«

  »Ach, Herr Doktor«, seufzte sie leise. »Sie haben leicht reden. Was glauben Sie, was Helmut mit mir machen würde, wenn ich ihm sage, daß ich die Pille nehmen will?«

  »Soll ich ehrlich sein, Frau Heidenrath?« Dr. Daniel wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern fuhr fort: »Ich habe nicht an die Pille gedacht. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, sich sterilisieren zu lassen. Das hätte eigentlich schon nach Kristins Geburt geschehen sollen, aber jetzt ist es praktisch unumgänglich geworden. Frau Heidenrath, Sie sind zweiundvierzig. Auch ohne die Probleme, die Sie bei Schwangerschaften und Geburt haben, würden Sie damit zu einer Risikogruppe gehören. Die Gefahr von Behinderungen bei Kindern, vor allem meine ich das sogenannte

Down-Syndrom, erhöht sich bei zunehmendem Alter der Eltern ebenfalls, und damit sind nicht nur Sie, sondern auch Ihr Mann gemeint. Er ist ja immerhin auch schon sechs-undvierzig.«

  »Einer Sterilisation wird Helmut niemals zustimmen«, entgegnete Gunilla niedergeschlagen. »Er würde darauf bestehen, daß ich weiterhin Kinder bekomme – und zwar so lange, bis ich endlich einem Jungen das Leben schenke.«

  »Das ist doch Wahnsinn!« begehrte Dr. Daniel auf und wurde dabei lauter, als es eigentlich seine Art war. »Begreifen Sie denn nicht, daß Sie schon durch die nächste Schwangerschaft in ernste Lebensgefahr geraten werden? Wollen Sie dann sechs Kinder zu Halbwaisen machen?«

  Da schluchzte Gunilla hilflos auf. »Was soll ich denn tun? Helmut bringt mich um, wenn ich mich sterilisieren lasse!«

  Spätestens in diesem Moment wußte Dr. Daniel, daß er hier nichts ausrichten konnte. Er mußte Helmut Heidenrath davon überzeugen, daß eine erneute Schwangerschaft Gunillas Tod bedeuten könnte.

*

  Die Untersuchungen bei Stefanie Scheibler ergaben genau den Befund, mit dem Dr. Daniel schon gerechnet hatte, deshalb bat er auch Gerrit zu diesem Gespräch hinzu.

  »Also, Steffi, eines gleich vorweg«, begann Dr. Daniel, als sie gemeinsam in seinem Büro saßen. »Ich konnte nichts entdecken, was eine Schwangerschaft verhindern würde. Der Unfall, in den du damals verwickelt warst, hatte zwar die Fehlgeburt zur Folge, aber ansonsten hat er keine weiteren Schäden hinterlassen.«

  Voller Verzweiflung sah Stefanie erst ihren Mann, dann Dr. Daniel an.

  »Aber warum kann ich dann nicht mehr schwanger werden?«

  »Weil du die schrecklichen Ereignisse noch immer nicht verarbeitet hast«, antwortete Dr. Daniel ruhig.

  Gerrit nickte. »Genau das habe ich auch schon vermutet. Trotzdem bin ich froh, daß sich Steffi noch einmal untersuchen ließ.«

  »Und was sollen wir jetzt tun?« wollte Stefanie wissen. »Muß ich mich denn einfach damit abfinden, daß ich keine Kinder mehr bekommen kann, weil Martin Bergmann mich damals angefahen hat und ich diesen Unfall nicht richtig verarbeiten kann?«

  »Nein, Steffi, ganz im Gegenteil«, erwiderte Dr. Daniel. »Du sollst dich nicht damit abfinden, sondern versuchen, die Geschehnisse aufzuarbeiten. Wenn du das geschafft hast, dann wirst du auch schwanger werden können.«

  »Das heißt, ich muß zu einem Psychiater«, erklärte Stefanie mit unüberhörbarer Bitterkeit in der Stimme.

  »Nein, Steffi, absolut nicht. Ich bin sicher, daß es ausreichend ist, wenn du mit mir sprichst, und auch Gerrit kann dir helfen, mit dieser unseligen Geschichte fertigzuwerden.« Er schwieg kurz, bevor er ihr noch einen weiteren Rat gab. »Vielleicht solltest du auch versuchen, nicht mehr ganz so verbissen auf eine Schwangerschaft hinzuarbeiten. Ich weiß schon, das ist leichter gesagt als getan, aber erfahrungsgemäß klappt es am ehesten, wenn man gar nicht daran denkt.«

  Stefanie seufzte. »Sie haben recht, Herr Doktor, das ist wirklich leichter gesagt als getan. Dani wird immer größer, und sie soll ihr Geschwisterchen doch möglichst bald bekommen. Wenn sie erst mal fünf oder sechs Jahre alt ist, dann wachsen die beiden doch beinahe wie Einzelkinder auf.«

  »Erstens mal ist es bis dahin noch ein recht weiter Weg. Daniela ist doch erst zwei. Und zweitens bin ich beispielsweise auch fünf Jahre jünger als meine Schwester, und trotzdem hatten Irene und ich nie das Gefühl, wie zwei Einzelkinder aufgewachsen zu sein.« Er lächelte. »Meistens war es für mich sogar sehr schön, so eine große Schwester zu haben.«

  Dr. Scheibler schmunzelte. »Nur meistens?«

  »Gelegentlich können einem große Schwestern auch auf die Nerven fallen«, räumte Dr. Daniel bereitwillig ein. »Aber das ändert sich auch mit zunehmendem Alter nicht. Irene versucht heute noch, mich zu erziehen, wo sie nur kann, dabei sollte dieser Teil meiner Entwicklung eigentlich längst abgeschlossen sein.«

  Stefanie und Gerrit mußten lachen.

  »Damit erzählen Sie mir nichts Neues«, stimmte Stefanie dann zu. »Geli und Wolfgang machen es mit mir doch genauso, wobei sich Wolfgang noch einigermaßen zurückhält. Im Grunde hat er den großen Bruder nur damals herausgekehrt, als ich mich in Gerrit verliebt hatte. Aber Geli hält sich immer noch für meine zweite Mutter. Sogar in Danis Erziehung will sie mir dreinreden, dabei hätte sie eigentlich genug damit zu tun, sich um ihre Zwillinge zu kümmern. Raimo und Tommy sind ja die reinsten Landplagen.«

  Dr. Daniel erinnerte sich nur mit Unbehagen an die beiden Zehnjährigen, deren Ungehorsam eigentlich kaum zu überbieten gewesen war. Dann wandte er sich dem ursprünglichen Thema wieder zu.

  »Also, Steffi, ich würde vorschlagen, daß du einmal pro Woche zu mir kommst«, meinte er. »Dann werden wir ausführlich über das sprechen, was damals geschehen ist.« Er sah Dr. Scheibler an. »Wenn es Ihre Zeit erlaubt, Gerrit, dann sollten Sie bei diesen Gesprächen vielleicht auch dabei sein. Für Daniela wird sich währenddessen sicher ein Babysitter finden.«

  Stefanie und Gerrit nickten.

  »Ganz bestimmt, Herr Doktor«, versicherte die junge Frau, dann reichte sie Dr. Daniel voller Dankbarkeit die Hand. »Ich bin froh, daß Sie sich für mich immer wieder so viel Zeit nehmen. Und wenn ich dann wirklich schwanger werden könnte… das wäre unser größtes Glück, nicht wahr, Gerrit?«

  Ihr Mann stimmte zu, dann lächelte er. »Noch vor ein paar Jahren hätte ich mir nicht einmal vorstellen können, verheiratet zu sein, und jetzt… der Gedanke an eine große Familie kann mich nicht erschrecken, ganz im Gegenteil. Ich hätte absolut nichts dagegen, wenn unsere Dani noch drei oder vier Geschwisterchen bekommen würde.«

  Dr. Daniel lächelte. »Ich werde sehen, was sich da machen läßt. Erstmal müssen wir die Ursache für diese innere Blockade wegschaffen.«

*

  »Herr Heidenrath, das geht aber nicht!« erklärte Schwester Bianca, als Helmut den kleinen Koffer seiner Frau packte.

  »So?« Er warf der jungen Krankenschwester einen wütenden Blick zu. »Zeigen Sie mir denjenigen, der mich aufhalten wird, wenn ich meine Frau nach Hause holen will.«

  »Das werde ich Ihnen zeigen, verlassen Sie sich darauf«, prophezeite Bianca, dann lief sie ins Schwesternzimmer hinüber und rief in der Praxis Dr. Daniel an.

  Keine fünf Minuten später stand der Arzt im Zimmer.

  »Tut mir leid, Herr Heidenrath, aber Ihre Frau kann noch nicht entlassen werden«, meinte er, und sein Ton duldete eigentlich keinen Widerspruch.

  »Jetzt hören Sie mir mal zu«, entgegnete Helmut scharf. »Meine Frau wird zu Hause gebraucht. Ich habe keine Lust, vier Kinder zu versorgen und den Haushalt in Schwung zu halten, nur damit sie sich hier drinnen auf die faule Haut legen kann.«

  Mit größter Mühe gelang es Dr. Daniel angesichts dieser Worte ruhig zu bleiben.

  »Ihre Frau hat eine äußerst schwierige Geburt hinter sich, und ich kann noch immer nicht aus-schließen, daß es zu weiteren Komplikationen kommen wird. Aus diesem Grund…«

  »Sie sind überängstlich, das ist alles«, fiel Helmut ihm grob ins Wort. »Früher haben die Frauen ihre Kinder auf dem Feld zur Welt gebracht und gleich weitergearbeitet.«

  »Deshalb war damals nicht nur die Säuglingssterblichkeit besonders hoch, sondern auch die der Mütter«, konterte Dr. Daniel. »Frau Heidenrath bleibt noch zwei Tage hier, dann können Sie sie nach Hause holen. Etwas anderes kann ich nicht verantworten.«

  »Müssen Sie auch nicht«, entgegnete Helmut kalt, dann sah er seine Frau an. »Los, steh auf und zieh dich an.«

  Genilla fühlte sich noch sehr schwach und zittrig, trotzdem gehorchte sie.

  »Herr Heidenrath…«, begann Dr. Daniel energisch, doch Helmut unterbrach ihn erneut. »Ich hole meine Frau auf eigene Verantwortung aus der Klinik. Damit sind Sie aus dem Schneider, und mehr wollen Sie ja wohl nicht.«

  »Da unterliegen Sie aber einem gewaltigen Irrtum«, erklärte Dr. Daniel mit Nachdruck. »Ich will meine Patientinnen gesund entlassen und nicht…«

  »Los, geben Sie mir schon so einen Wisch«, verlangte Helmut ungeduldig. »Gunilla wird unterschreiben, daß sie die Klinik auf eigenen Wunsch verläßt.«

  Es machte Dr. Daniel rasend, daß er nichts tun konnte, um Gunilla vor diesem rücksichtslosen Mann zu schützen. Er ließ sich von Schwester Bianca eine entsprechende schriftliche Erklärung bringen, behielt sie aber noch einen Augenblick in der Hand.

  »Frau Heidenrath, niemand zwingt Sie, dieses Stück Papier zu unterschreiben«, erklärte Dr. Daniel eindringlich. »Wenn Sie sich weigern, dann ist das Recht auf unserer Seite. Ich kann Sie hierbehalten, bis die Gefahr weiterer Nachblutungen gebannt ist. Bitte, Frau Heidenrath, gehen Sie kein unnötiges Risiko ein.«