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Roman Nies

Gesetz und Gnade

Der Galaterbrief

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© 2018 Roman Nies

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN
Paperback: 978-3-7469-5975-7
Hardcover: 978-3-7469-5976-4
e-Book: 978-3-7469-5977-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Gesetz und Gnade

Der Brief an die Galater

Eine heilsgeschichtliche Auslegung

Von Roman Nies

Inhaltsangabe

Vorbemerkungen

Das andere Evangelium der Juden

Von der Freiheit in Christus

Der Torah gestorben sein, um Christus zu leben

Mit Christus gerechtfertigt

Der Missbrauch der Torah

Fluch und Gnade

Liebe und Gesetz

Die Verheißungen und der Bund

In Christus sein, mehr oder weniger

Knechte oder Erben

Die Frucht des Geistes

Getrennte Wege

Anmerkungen

Literaturverzeichnis (Auswahl)

Vorbemerkungen

Der Brief an die Galater ist das Zeugnis des Apostels Paulus für das große Ziel, das jeder Mensch haben soll, für die Bestimmung, die ihm vom Schöpfer zugedacht worden ist. Ziel und Bestimmung des Menschen ist Jesus Christus, denn allein bei Ihm und in Ihm ist der Mensch zu seiner endgültigen Ruhe in der Vollendung seines Menschseins gekommen.

Paulus zeigt, dass es auf dem Weg zu diesem Ziel vor allem zwei Haupthindernisse gibt. Das eine ist die Religion, das andere ist die Gesetzlosigkeit. Die Religion ist eine menschliche Ordnungskraft. Die Gesetzlosigkeit ist in erster Linie eine Selbstbestimmung zur Autonomie. Damit haben beide die gleiche Wurzel im Wunsch des Menschen, sein Schicksal selber bestimmen zu wollen und dabei so wenig wie möglich von sich aufgeben zu müssen. Die Religion beteiligt die Transzendenz, doch die eigentliche Entscheidungsinstanz ist nichts Jenseitiges, sondern immer der wollende und vermögende Mensch, so wie beim Gesetzlosen auch.

Im Judentum hat sich die Religion zwar auch aus der Überlieferung entwickelt. An ihrem Anfang stand jedoch die verbindliche Weisung und Zielgebung Gottes. Die Juden haben das Wort Gottes, das Alte Testament. Sie haben die Torah, eine Gesetzessammlung und Handlungsanweisung, ein Dokument des Bundes mit Gott, in der Gott kund tut, was Er will.

Aber Paulus verdeutlicht, man kann das Wollen wie Gott will erst wollen, wenn man es vom Ziel her will. Die Torah ist die Zielgebung, Jesus Christus ist das Ziel. Die Torah redet nicht vom Messias als wollte sie auf Ihn hinführen. Aber sie offenbart, dass es unmöglich ist, ihren Forderungen gerecht zu werden. Sie war maßgebend für das Zeitalter des Bundes zwischen Gott und Israel. Sie diente dem Bund der Annäherung Israels an Gott. Doch da Israel den Bund nicht hielt, kam es zur Entfremdung. Doch mit der Entfremdung ist die Erkenntnisgewinnung möglich, dass man Gott immer etwas schuldig bleibt und dass Gott selbst die Rechtfertigung des Menschen erwirken muss. Das Wohlwollen des Menschen fällt immer wieder zurück und kreist um den einzelnen, allenfalls noch um die Sippe oder die Nation. Gott will umgekehrt mehr sein als nur ein Bündnispartner. Das kann man noch nicht aus der Torah erfahren, denn ein Bund wird umso treuer und fester, desto mehr man beachtet: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.“ (5 Mose 6,5) und „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (3 Mose 19,18) Dass Jesus, der Gesetzgeber vom Sinai und damit Bundesgenosse und HERR Israels, *1 eine noch größere Nähe zu Seinem Volk herstellen würde, das hat erst Paulus gezeigt. Christus ist der Bräutigam der Braut Israel und will geliebt werden, nicht auf die Einhaltung eines buchstabengemäßen Gesetzes pochen müssen.

Der Mensch, der in der Religion sein Heil sucht, wird es dort nie finden können. Israel liefert den Beweis, dass nicht einmal die Begegnung mit Gott und eine göttliche Vorgabe für die rechten Lebensregeln ein menschliches Herz umkehren lassen. Israel ignorierte die Torah, passte sie den eigenen Vorstellungen an oder überhöhte sie und machte sie zu einem Ersatz für Gott, weil es der Gerechtigkeitsforderung aus dem Weg gehen und der Heiligkeit Gottes ausweichen wollte. Paulus eröffnet den Galatern, dass das Judentum über das Stadium der Versuche, sich selbst zu rechtfertigen nicht hinausgekommen ist. Dabei wurde die Zielgebung mit dem Ziel gleichgesetzt. Anstatt zu erkennen, dass die Torah nur ein Lehrmittel der Erkenntnis sein kann, das bereit machen soll, die Gerechtigkeit, die bei Gott gilt, zu erfassen, wurde die Torah zum Selbstzweck.

Paulus warnt die Galater, dass sie sich nicht zu diesen Grundelementen der Religion zurückkehren sollen. Auf der einen Seite waren das messianische Juden, die die Galater zu einer Einhaltung der Tora nach Gewohnheit der Juden bringen wollten, was für Paulus einer Verfälschung des Evangeliums von der Freiheit in Christus gleich gekommen wäre. Auf der anderen Seite drohte eine Angleichung an heidnische Praktiken. Und das gleich doppelt, einmal verstanden als Freiheit alles zu tun, was man wollte und das andere Mal verstanden als Möglichkeit sich selber zu verwirklichen und zumindest etwas zur Selbstfindung beizutragen, die es tatsächlich nur in Christus geben kann, denn wer sich selber finden will, kann sich nur in Christus finden, in Ihm ist seine Bestimmung und sein Lebensziel. Das Autonomiebestreben des Menschen ist eine Umkehrung der wahren Ichwerdung, ein vollständiges Widersachertum. Die wahre Ichwerdung findet der Mensch nur in Christus.

Ob Torahgötzentum oder Heidentum, die Findigkeit des Menschen, wenn es darum geht, der Begegnung mit dem heiligen Gott auszuweichen, ist groß und raffiniert. Paulus warnt die Galater davor. Er rechtfertigt sich gegenüber den Galatern, dass er seine Lehren von Jesus Christus persönlich bekommen hat (Gal 1,12), das konnten die Störer aus Jerusalem nicht von sich behaupten. Unter den Galatern waren auch Juden, sonst hätten sich die messianischen Juden nicht auf den beschwerlichen Weg zu ihnen gemacht. Paulus betont jedoch, dass er auch die Anerkennung der Jünger Jesu hatte. Wenn nun aus Jerusalem messianische Juden ihm nachreisten und ein anderes Evangelium brachten als er, hatten sie dazu keine Vollmacht. Die Fragwürdigkeit ihrer Botschaft wurde außerdem offenbar durch ihre Uneinheitlichkeit. Um das zu illustrieren berichtet Paulus den Galatern von der Heuchelei des Petrus, als dieser die Tischgemeinschaft mit den nichtjüdischen Christen bei Ankunft derer aus Jerusalem aufgab.

Daran lässt sich beispielhaft zeigen, dass es nicht mehr auf die genaue Einhaltung der jüdischen Überlieferung ankam, auch wenn sie in der Torah gegründet war, sondern auf das Leben Christi in dem Gläubigen (Gal 2,20).

Der Galaterbrief ist das Dokument über die Gerechtigkeit und das Heil aus dem Glauben Jesu Christi, aus der Treue zu Christus und aus Christus, denn sie erwächst aus einer vertrauensvollen Beziehung, die Gott durch den Geist Christi gründet und aufbaut. Diese Treue liegt auf einer Segenslinie, die bis Abraham reicht und damit älter ist als die Gesetzessammlung der Torah. Segen statt Fluch, denn die Torah zeigt den Fluch, dem jeder ausgesetzt ist, der versucht, nicht im Vertrauen auf Christus, sondern im Halten der Gebote Gerechtigkeit zu erlangen (Gal 3,13). So haben das die Galater nicht von den messianischen Juden aus Jerusalem gehört. Paulus wird sehr deutlich in seiner Wortwahl. Man müsse geradezu vom Gesetz erlöst werden, nicht nur von der Sünde, um ein Kind Gottes werden zu können (Gal 4,5). Das Gesetz steht für die Knechtschaft; in Christus zu sein, steht für die Freiheit (Gal 5,1). Paulus warnt die Galater vor einem Rückfall ins Gesetz. In Wirklichkeit stecken sie in der Gesetzlichkeit und der Religion tief drin. So sind sie untauglich für das geistliche Wachstum und das tiefere Kennenlernen des Christus und ihre Werke werden unfruchtbar. Es ist noch schlimmer, wer versucht durch die Torah gerecht zu werden oder andere religiöse Vorschriften und Bedingungen, hat Christus verloren (Gal 5,4). Paulus verdeutlicht den Unterschied zwischen dem Leben im Geist Christi und dem Leben im Fleisch, wozu er die Werke des religiösen Gehorsams dazuzählt. An den Früchten kann man erkennen wes Geistes Kind jemand ist (Gal 5,2224). Er fordert die Galater zur kritischen Selbstprüfung auf (Gal 6,4). In Christus wird man eine neue Kreatur, unbeachtet dessen, was man vorher war (Gal 6,15).

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Das andere Evangelium der Juden

Gal 1,1.3.6-9.11-12. 16-18, 2,1-4

Im Galaterbrief wird das Thema der Heilsgeschichte Gottes weiter fortgeführt. Man könnte auch sagen, dass er in das paulinische Denken einführt, denn beim Galaterbrief handelt es sich mutmaßlich um den frühesten erhaltenen Brief von Paulus. Hier spricht der gleiche Autor, wie schon im Römerbrief, über die gleiche Thematik. Im Römerbrief wird er sie noch vertiefen, insbesondere im Hinblick auf die Juden, die er im Römerbrief ganz speziell anspricht.

Bereits bei der Begrüßung betont Paulus, dass er keine Berufung durch Menschen, auch nicht durch sich selbst, sondern durch „Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Gal 1,1) bekommen hat. Die Berufung ist von Gott Vater und von Gott Sohn, vom heiligen Geist ist nicht die Rede. Auch nicht als er den Briefempfängern gleich „Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ zusagt (Gal 1,3). Bei Paulus kommt die Idee von einer dritten göttlichen Person nicht vor. Das Heil wird immer im Zusammenhang mit Christus und dem Vatergott dargestellt. Dass die sich über den Geist mitteilen, ist für Paulus selbstverständlich. In Röm 8,9 setzt Paulus den Geist Gottes mit dem Geist Christi gleich. In Röm 8,14 ist es der Geist Gottes, der Gottes Kinder antreibt. In Röm 15,19 wird dem Geist Gottes eine Kraftwirkung zugesprochen. In 1 Kor 2,12 ist der Geist, den die Gläubigen erhalten als Geist aus Gott identifiziert. Und es ist auch dieser Geist, der in den Menschen lehrt, wie der nachfolgende Vers verdeutlicht. Dieser Geist macht den Menschen zu einem „geistlichen“ Mensch (1 Kor 2,14-15). Dieser Geist „wohnt“ in ihnen nach 1 Kor 3,16. Eines Geistes mit dem Herrn zu sein wie in 1 Kor 6,17 kommt offenbar daher, weil man den gleichen Geist wie ihn der Herr Jesus Christus hat, in sich hat, weshalb dieser Geist, der innewohnt auch als Heiliger Geist bezeichnet wird (1 Kor 6,19). Paulus meint, diesen Geist Gottes zu haben (1 Kor 7,40) und durch diesen Geist auch reden zu können (1 Kor 12,3), denn es ist immer der gleiche Geist, der von Gott kommt, der Gnadengaben zuteilt einem jeden, wie Gott will (1 Kor 12,9-11). Gott ist also Geist und hat Geist, den Er zuteilen kann (2 Ko5 5,5). Und dieser Geist scheint mit dem menschlichen Geist eine Union oder Einheit bilden zu können. In 2 Kor 3,17-18 bestätigt Paulus noch einmal, sogar zwei Mal, dass der Herr der Geist ist. Da der Geist Gottes zugleich Gott ist und dem Menschen wie eine Kraft mit Wirkung gegeben werden kann, muss Er als erkennbare Kraftwirkung Gottes verstanden werden, da Gott als solcher in Seiner Person, außer in Jesus Christus als Mensch, nicht anders für Menschen erfahrbar ist. Das heißt, der Mensch kann von einem Vatergott reden, weil ihm das offenbart worden ist. Er hat den Vatergott selber nicht gesehen, weil er als Mensch nicht die Fähigkeit hat, Ihn zu sehen. Aber er kann Gott als Kraftwirkung Seines geistigen Wesens erleben (Eph 3,16) und – wunderbar genug – in sich selbst als geistige Kraftwirkung. Wenn man also sagen will, der heilige Geist Gottes ist eine Person, dann ist das nur berechtigt, weil man Gott als Geist wahrnehmen kann und nicht anders und weil die Bibel bezeugt, dass Gott eine Person ist. Ob diese Person der Vater oder der Sohn ist, wird von der Bibel nicht immer klar unterschieden. Ausdrücklich von einer weiteren Person Gottes, einer dritten oder vierten oder fünften redet die Bibel nicht.

Wichtig ist es für Paulus zu sagen, dass man „im Geist“ Gottes leben und wandeln soll (Gal 5,25), um dann irgendwann Gott leibhaftig und personal erleben zu können. Dem muss allerdings eine Wandlung vorausgehen, ohne die kein Mensch Gott sehen kann. Der Geist Gottes ist hierzu eine Anfangsgabe. Dass man sich von ihm leiten lassen soll, ist selbstredend. Er ist ja der Geist der Weisheit und Offenbarung (Eph 1,17). Wer den Geist hat, ist deshalb „in“ Christus, weil der Geist von Christus ist. Und dadurch hat man „im Geist“ den Zugang zum Vater (Eph 2,18), der wiederum den Menschen zu einer Wohnung von sich selber, eben durch den Geist macht (Eph 2,22). Es ist kein anderer als dieser Geist, der betrübt werden kann (Eph 4,30) und als Beistand als Geist Jesu Christi bezeichnet wird (Phil 1,19). Beistand und Tröster sind ein und derselbe. Wenn Paulus im 1 Thes 4,8 davon redet, dass Gott „den Heiligen Geist in euch gibt“ ist es klar, dass damit keine Person gemeint sein kann, die von Gott, der den Geist gibt, als eigenständige Person unterschieden werden kann. *2 Diese Überlegungen, wann vom Geist Gottes als Person, wann als Kraftwirkung geredet wird, war den Juden damals fremd, weil ihnen völlig klar war, dass es Gott, der Vater, zu allen Zeiten über Seinen Geist bewirkt hat, sich den Menschen mitzuteilen und zu offenbaren. Die Schwierigkeit für Juden, Gott als einer zu verstehen, begann erst mit der Verkündigung, dass der Menschensohn gekommen war und als Gottessohn von Toten auferstanden war, um als kommender Messias bereits auf dem Thron neben Gott dem Vater zu sitzen. Für Paulus war die Kraftwirkung des Geistes Gottes mit der Person Gottes als des Vaters und des Sohns nicht zu trennen. Dass die Bibel etwas von einer weiteren Gottperson offenbaren würde, ist eine Idee späterer Generationen. Am Beispiel des Trinitätsglauben lässt sich zeigen, dass die Trennlinie zwischen Exegese und Eisegese nicht immer scharf zu ziehen ist.

Das zeigt sich auch beim nächsten Thema. Gleich nach den einleitenden Grußworten drückt Paulus seine Verwunderung darüber aus, „dass ihr euch so bald abwenden lasst von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem andern Evangelium, obwohl es doch kein andres gibt.“ (Gal 1,6-7a) Anderer Ort - gleiches Problem, könnte man sagen. Und natürlich ging es auch in Galatien den Weg allen Irdisch-Weltlichen, nachdem Paulus einmal weg war. Von einigen Gemeinden wissen wir es, weil Paulus es in den Briefen anspricht, von anderen wissen wir es nicht, ist aber ebenso wahrscheinlich anzunehmen. Wenn Paulus schon, als er noch Einfluss auf die Gemeinden hatte, gegen die Glaubensabweichungen und Irritationen angehen musste, ist es schlicht nicht glaubwürdig anzunehmen, dass sich die glaubens- und lehrmäßige Ausrichtung nicht weiter problematisiert haben sollte, nachdem Paulus von der Bildfläche verschwunden war. Als die Christenheit keinen Paulus mehr hatte, entwickelte sie sich dennoch weiter. Aber wohin nur? Es kam zu einem Mischmasch aus Lehrfetzen.

Es stellt sich die Frage was dieses „andere Evangelium“, von dem Paulus spricht, ist und was an diesem anderen Evangelium so anders war, im Vergleich zum Evangelium von Paulus. Dazu erklärt Paulus „dass einige da sind, die euch verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren“. Dabei kann es sich nicht um nicht an den Messias Jesus glaubende Juden handeln, denn die verkündeten kein Evangelium, sondern das, was im Judentum schon immer verkündet worden war, die Torah und die Propheten und die mündliche Überlieferung auf der gleichen Ebene. Aus der Apostelgeschichte des Lukas ergibt sich, dass es messianische Juden gab, *3 die gegen die Verkündigung von Paulus vorgingen, weil sie nicht akzeptierten, dass die Nichtjuden ganz ohne Beschneidung und ohne Befolgen der ganzen Torah in die messianischen Gemeinden aufgenommen werden könnten. Nicht nur das. Es sollte überhaupt nirgendwo diese Botschaft verbreitet werden dürfen, die Paulus vertrat.

Dieses „andere Evangelium“, das unter den Galatern verkündet worden war, ist also eine Botschaft, die wahrheitsgemäße Bestandteile des Evangeliums, dass Jesus Christus der Messias und Erlöser ist, enthielt, dazu die Anweisung für alle Nichtjuden, die ganze Torah halten und die Beschneidung durchführen zu müssen, denn unter den Galatern waren sowohl Nichtjuden als auch Juden. Bei den Juden stand ein Verzicht auf das Bundeszeichen der Beschneidung oder ein Nichtbeachten der Torah höchstwahrscheinlich gar nicht zur Debatte. Aber es war leicht abzusehen, dass es keine Gemeinschaft mit Nichtjuden geben konnte, wenn die alle Freiheiten hatten gegenüber der Torah – und diese auch schamlos ausnutzten. Oder, wenn man es positiv formulieren wollte – die Nichtjuden wollte man davor schützen, durch vermeintliche Freiheiten von der Torah in ihr Verderben zu rennen und dabei auch noch Juden ein schlechtes Beispiel zu geben. Daher mussten alle, die das so sahen, gegen Paulus und seine Lehren vorgehen.

Es gibt zwar heute keine Kirche von Nichtjuden, die behauptet, dass die Beschneidung notwendig wäre, weil diesbezüglich das Neue Testament eindeutig ist. Aber damals gab es das Neue Testament noch nicht und die Jünger Jesus lebten noch und hatten natürlich alles aus ihrer Zeit mit Jesus weitergegeben. Sie hatten also auch jedem erzählt, dass Jesus selber gesagt hatte, dass Er nicht gekommen war, die Torah aufzulösen oder abzuschaffen, sondern dass jedes kleine Häkchen Gültigkeit behielt, bis der Messias in Seiner Herrlichkeit zurückkam (Mt 5,17). Und so folgerten auch die Juden zunächst daraus, dass auch für Nichtjuden das gelten würde, denn Jesu hatte kein Wort darüber verloren, dass es nicht so wäre.

Was sie nicht wissen konnten, war, dass irgendwann ein gewisser Saulus eine Privatschulung des auferstandenen Christus bekommen würde, wo ihm ein Spezialauftrag gegeben würde, der in der Konsequenz die antike Welt aus den Angeln heben würde. Gott schenkte den Jüngern Jesu die Einsicht, dass Paulus die Wahrheit sagte, aber ob sie selber diese Wahrheit ganz nachvollziehen konnten, ist nicht überliefert. Überliefert ist lediglich, dass sowohl die Evangeliumstexte als auch die Briefe und Schriften von Jakobus, Johannes und Petrus geradezu wimmeln von Aussagen, die das Befolgen der Torah betreffen und sich widerspruchsfrei mit den Forderungen der Torah vereinbaren lassen.

Und so muss man sich nicht wundern, dass es heute einige christliche Glaubensgemeinschaften gibt, die an der Torah weitgehend festhalten, obwohl sie keine Juden sind. Das geht soweit, dass die jüdischen Festtage und der Sabbat gehalten und die Speisegebote der Torah beachtet werden. Nicht um gesünder zu leben, sondern um Gott gehorsam zu sein. Und so kann es nicht erstaunen, dass es damals viele Gegner des Paulus gab, die dachten, sie müssten das richtig stellen, was Paulus sich da ausgedacht hatte. Es mochte ja sein, dass er tatsächlich Jesus Christus begegnet war, aber vielleicht hatte er ja seinen Auftrag selbstherrlich ausgeweitet und überdehnt, zumal wenn zwischen dem Ereignis vor Damaskus und seinem öffentlichen Auftreten als Wanderprediger viele Jahre vergangen waren. Es wäre ja nicht das erste Mal, das ein vermeintlicher Mann Gottes gut anfing und dann die Bodenhaftung verlor und auf einmal sich einbildete, ein Prophet Gottes zu sein, wo er doch nur sein Wunschdenken zur allgemeinen Maxime erhob. *4

Paulus warnte also die Galater vor jedem anderen Evangelium als das, was er ihnen gebracht hatte. Manche Ausleger verstehen diese Schriftstelle als Beweis dafür, dass es nur ein einziges Evangelium gibt. Aber das ist nicht, was Paulus hier sagt. Er wusste sehr wohl, dass die anderen Apostel keine Nationenmission betrieben, sondern immer noch dabei waren, ihren Volksgenossen das Evangelium zu bringen, welches Paulus das Evangelium der Beschneidung nannte (Gal 2,7). Mit dieser Benennung wollte Paulus vielleicht nur zum Ausdruck bringen, dass es überhaupt einen Unterschied zu seinem Evangelium der Unbeschnittenheit gab, wie er es nannte. Aber der Name enthält, gewollt oder nicht, die Kennzeichnung des Unterschieds. Es waren die Juden, die als Zeichen der Zugehörigkeit zum Volk Gottes die Beschneidung forderten, nicht die Nichtjuden! Wenn aber die anderen Apostel sich inhaltlich Paulus angenähert hätten, wären sie aus eben diesem Grund abgelehnt worden wie es auch Paulus widerfuhr.

Weder die Geschichtsschreiber, noch die Kirchenväter, noch das Neue Testament wissen davon etwas.

Nach dem, was Paulus in den Versen 8-9 sagt, „Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht“ (Gal 1,8-9) wäre, übertragen auf heutige Verhältnisse, der Großteil der christlichen Kirchen anathema - verflucht, denn sie predigen allesamt nicht das Evangelium, das Paulus predigte, sondern ein anderes. Paulus hat beispielsweise nie die Ersatztheologie vertreten, oder dass der Mensch die Willensmacht hätte, völlig frei Entscheidungen zu treffen, oder dass Maria „unbefleckt“, d.h. im Zustand der Sündlosigkeit empfangen hätte. Die Liste könnte lange fortgeführt werden. Und sie würde Unbiblisches und Biblisches enthalten – aber eben nicht Paulinisches.

Paulus sprach hier die Galater an. Er hätte es auch den anderen Gemeinden, die er bereist hatte, so sagen können und vielleicht hat er es ja auch getan. Jeder andere, der in diesen paulinischen Gemeinden nicht auf den Lehren des Paulus weiter aufgebaut, sondern etwas anderes eingeführt hätte, z.B. eine Botschaft, in der die Torah als verpflichtend verkündet worden wäre, hätte den Zorn von Paulus auf sich gezogen. Paulus verflucht die möglichen Irrlehrer.

Was bedeutet „verflucht“ in diesem Zusammenhang? Es bedeutet so viel wie aus der Gemeinde ausgeschlossen zu sein. Und das ist verständlich, denn wenn Paulus nicht will, dass in seinen Gemeinden ein anderes Evangelium verkündet wird, dann will er natürlich auch nicht, dass diejenigen, die dieses andere Evangelium verkünden, in der Gemeinde sind, wo sie ihre Einflüsse ausüben können. Das gleiche gilt für heute auch, wer nicht in den wichtigsten Lehrfragen und Glaubensfragen mit der Gemeinde übereinstimmt, sollte nicht versuchen, alle zu überzeugen, sondern sich eher eine Gemeinde suchen, die das glaubt, was er glaubt. Oder er schweigt und erfreut sich an dem, mit dem er übereinstimmen kann. Mit einer Verdammung in die Hölle hat dies nichts zu tun, denn darüber entscheidet nur Gott. Wenn man wie Paulus lehrt, dass in Glaubensfragen jeder zu seiner eigenen Gewissheit forschen muss, kann man ihn, wenn er es dann tut und zu anderen Schlüssen kommt, nicht verurteilen. Aber es bleibt dennoch bei der Verantwortlichkeit über die Lehre, die Glaubensgemeinschaft und die Tischgemeinschaft. In der heutigen Zeit der Ökumenebewegungen, wird oft keine klare Sprache mehr gesprochen, selbst wenn man, wie die katholische Kirche, eine klare Vorstellung von der „rechten“ Lehre hat. Es wird versucht alle unter einem Dach zu vereinigen, sogar Nichtchristen werden als Mitbrüder angesprochen. Das erinnert an den Wolf, der Kreide gefressen hat, um das naive Rotkäppchen zuerst übertölpeln und dann auffressen zu können. Es kann keine Zweifel geben, dass Paulus auf solchen Ökumenetagungen eine persona non grata wäre. Man würde ihm aber umsonst keine Einladung schicken, weil er sowieso nicht hingehen würde.

Im Folgenden wird klar, was Paulus unter dem „anderen Evangelium“ versteht, denn er grenzt es deutlich von dem ab, was andere predigen. Und so erkennt man, dass das „Andere“ sich auf Inhalte von „anderen“ Verkündigern bezieht.

Erhellend ist schon Vers 11-12: „Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“ (Gal 1,11-12)

Hier hebt Paulus ab auf die Tatsache, dass er von dem erhöhten Herrn seine Belehrung bekommen hat. Er sagt in Gal 1,17 ausdrücklich, dass er das Evangelium nicht von den anderen Aposteln hat. Das und die Tatsache, die er ebenfalls erwähnt, dass er zu den Nationen gesandt wurde (Gal 1,16), erklärt, dass er ein anderes Evangelium als diese Apostel predigte. Würde er das gleiche zu predigen haben, hätte Paulus diesen Privatunterrichtung durch Jesus nicht benötigt. Er hätte einfach bei den anderen Aposteln lernen können, bei Petrus oder bei Jakobus. *5 Aber Paulus betont seinen Separatismus als wolle er sagen, dass er mit denen in Jerusalem lehrmäßig nichts zu schaffen hat. In drei Jahren verbrachte Paulus gerade mal 15 Tage bei Petrus (Gal 1,18). Dann kam eine Zeit, in der er in 14 Jahren nur einmal nach Jerusalem zog (Gal 2,1). Von einem Briefaustausch zwischen Paulus und anderen ist nichts bekannt. Es hat ihn höchstwahrscheinlich nicht gegeben. Gott hatte Paulus angewiesen nach Jerusalem zu gehen, um klarzustellen, was sein Evangelium war (Gal 2,2). Man kann sich fragen, warum Paulus das tun sollte, wenn er das Gleiche predigte wie die anderen. Wenn er das Gleiche predigte, dann hätte das der Geist Gottes auch bei den anderen Aposteln nicht zum Thema machen müssen, ob Paulus denn überhaupt ein Bevollmächtigter Gottes war, der den Nationen das richtige Evangelium brachte. Und dann hätte ihn auch niemand bei den Jüngern in Jerusalem anschwärzen müssen. Er predigte aber nicht das Gleiche und deshalb musste er zur Rede gestellt werden und selber Zeugnis ablegen. Für die Apostel in Jerusalem war das, was Paulus ihnen zu sagen hatte, höchst verwunderlich. Da sie aber vom Geist Christi geleitet wurden, kamen sie wenigstens zum Beschluss, dass Paulus mit seiner Verkündigung unter den Nationen so fortfahren dürfe.

„Aber nicht einmal Titus, der bei mir war, wurde, obwohl er ein Grieche ist, gezwungen, sich beschneiden zu lassen; und zwar wegen der heimlich eingedrungenen falschen Brüder, die sich eingeschlichen hatten, um unsere Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, zu belauern, damit sie uns in Knechtschaft brächten.“ (Gal 2,3-4) Gleich darauf nennt Paulus das Ergebnis der Apostelkonferenz, dass ihm das Evangelium der Unbeschnittenen gegeben sei, so wie Petrus das Evangelium der Beschneidung. Es ging aber nicht allein um die örtliche Zuständigkeit, worauf die „Freiheit, die wir in Christus Jesus haben“ hindeutet, denn sie steht im Gegensatz zu der „Knechtschaft“, die die anderen brächten.

Wie sah Luther die Freiheit von der Torah und von der Pflicht, Werke „der Gerechtigkeit“ zu erbringen? Eine Antwort darauf findet sich in „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Luther sagt,

1. dass die Werke aus dem Glauben kommen, gewissermaßen wie eine reife Frucht, die aus Gottes Gnade gewachsen ist („Aber wie der Glaube fromm macht, macht er auch gute Werke.“);

2. dass die Werke keinen Beitrag zur Rettung, nicht einmal zur Heiligung (bei Luther „Frömmigkeit“) beitragen, sondern dass allein der Glauben, der aus Gottes Gnade gegeben worden ist rettet und heiligt („So denn die Werke niemand fromm machen und der Mensch zuvor fromm sein muss, ehe er wirkt, so ist offenbar, dass allein der Glaube aus lauterer Gnade, durch Christus und sein Wort, die Person genugsam fromm und selig macht…“);

3. dass auch die Gebote nichts zur Rettung beitragen („… und dass kein Werk, kein Gebot einem Christen zur Seligkeit not sei. Sondern er ist frei von allen Geboten…“);

4. dass gerade aus dieser von Christus geschenkten Freiheit heraus, rechte Werke erbracht werden, nicht zum Eigennutz, sondern Gott zu Liebe, der sie ja auch möglich gemacht und begnadet hat („… und tut alles aus lauterer Freiheit umsonst, was er tut. Er sucht in nichts damit seinen Nutzen oder Seligkeit, denn er ist durch seinen Glauben und Gottes Gnade schon satt und selig, sondern nur, Gott darin zu gefallen.“ *6

Paulus hätte dem nicht widersprochen. Luther war sein Schüler. Der Geist Gottes weht nicht nur wo er will, sondern auch wann er will. Was Paulus im Römerbrief oder Galaterbrief über das Verhältnis von Erlösung durch Christus und dem Vermögen der Torah, bzw. der frommen Werke geschrieben hat, entspricht lehrmäßig ziemlich genau dem, was Luther entnommen und kund getan hat.

Johannes Pflaum bringt es auf einen radikal einfachen Nenner in „Die falsch verstandene Freiheit“: „Entweder wir glauben Gottes Wort und setzen unser Vertrauen auf Christus und leben in der Freiheit. Oder wir sind an die Sünde gebunden und versklavt, getrennt von Gott.“ *7

Unreife Menschen könnten freilich nicht mit dieser Freiheit umgehen. Und deshalb besitzen sie sie auch nicht. Es ist also nicht so, dass da einer das Evangelium, das Paulus gepredigt hat, verstehen würde und dann die Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes gnadenlos ausnützen würde, denn wenn er das täte, würde er lediglich unter Beweis stellen, dass er das Evangelium gar nicht verstanden hat und nicht zu dem Kreis der mit dem Geist der Wahrheit Begnadeten gehört. Es ist vielmehr so, dass auch hier das gleiche Prinzip der Begnadung am Walten ist wie bei dem Verständnis anderer geistlicher Dinge. Der Geist Gottes führt in die Tiefen der Gottheit (1 Kor 2,10). Wo der Geist Gottes nicht am Werk ist, gibt es Fehlanzeige, da wird nichts verstanden, sondern nur herumgerätselt und herumdoktriniert und das, was man nicht verstanden hat, wird dogmatisch gegen die Wahrheit abgesichert.

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Von der Freiheit in Christus

Gal 2,4-12.14-21

Wer das Evangelium verstanden hat, ist ein Begnadeter. Wäre er nicht begnadet, könnte er das Evangelium nicht verstehen und gehörte dann zu jenen, die ein „anderes“ Evangelium vertreten. Und erst wenn man das Evangelium von Paulus verstanden hat, versteht man auch, wie das Verhältnis zu den guten Werken Gottes ist, wo nicht, wächst er in dieses Verständnis hinein. Das bedeutet nicht, dass jeder wie Luther oder Paulus sich dazu exakt und theologisch unmissverständlich äußern kann. Es nützt rein gar nichts zum Erlangen des Geistes Gottes, viele Silvester Theologie studiert und vier Doktorentitel (wie mein ehemaliger Tutor) erlangt zu haben. Wer den Geist Gottes nicht hat, bleibt beim menschlichen Verständnis hängen, auch wenn er noch so viele kluge Worte darüber verliert. Ein wissenschaftliches hat ebenso wenig wie ein kirchlich loyales Herangehen von hundert Generationen theologischer Professoren zum Durchbruch der evangelischen Wahrheit oder zum Erkennen der katholischen Irrtümer verholfen. Es fehlt ohne den Geist Gottes das kompetente Hören und die persönliche Betroffenheit, denn dem theologischen Erkennen geht die Umkehr voraus. *8

*9